An die Wiener: Willy Boskovsky

  • Hallo an die Wiener,


    kurze Frage: Wenn ich recht informiert bin, ist der Brauch, Stardirigenten zum Neujahrskonzert einzuladen erst in den letzten Jahren/Jahrzehnten entstanden. Viele Konzerte davor (so reime ich es mir mangels genauerer Recherche zusammen) wurden Willy Boskovsky dirigiert. Der Name ist schon ein Begriff - gerade was die Walzer-Interpretation angeht. Mir liegt immerhin das 1979er-Konzert (sein letztes?) vor - in der Reihe Decca Legends.


    War er besser/passender als Dirigent für dieses Konzert? Hat dieser Event etwas verloren, seit auf die *Sterne* gesetzt wird?

    Gruß,
    Gerrit

  • Hallo Gerrit,


    da sich noch kein Wiener aufraffen konnte, schnell etwas aus meinem Gedächtnis: Nach dem Tod von Clemens Crauss war man vor das Problem gestellt, einen neuen Dirigenten für das Neujahrskonzert zu finden, und kam irgendwie auf den 1. Konzertmeister. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es ursprünglich nur eine einmalige Sache sein sollte, aber in Österreich können provisorische Lösungen ungemein langlebig sein, umsomehr als sich Willi Boskovsky durchaus bewährte - und das rund 30 Jahre lang!
    Anfang der 80er musste Boskovsky ein Konzert aus Gesundheitsgründen auslassen, und man nützte die Gelegenheit, ihn permanent zu verdrängen. Ich vermute, das Orchester selbst wollte aus markttechnischen Gründen auf große Namen setzen. Der Einspringer Maazel schaffte es aber geschickt, seine Position als angehender Chef der Wiener Staatsoper auch dahingehend zu nützen, das Neujahrskonzert behalten zu können. Und es dauerte bis zu seinem Abgang von der Oper, bis man ihn auch vom Neujahrskonzert los wurde und endlich Jahr für Jahr einen anderen Spitzenmann einladen konnte.
    Ich glaube, es gibt heute noch Leute in Wien, die der Ära Boskovsky nachtrauern. Die Konzerte unter ihm hatten etwas familiäres und entspanntes, das es seither in dem Masse nicht mehr gibt. Auch wenn z.B. Zubin Mehta die Philharmoniker weitgehend so spielen lässt, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, ist es nicht dasselbe als wenn man unter sich wäre.
    Auf der anderen Seite bringt jeder Dirigent interessante neue Aspekte und generell glaube ich sagen zu können, dass das Niveau der Nach-Boskovsky-Ära durchaus gut war (relative Tiefpunkte die ersten zwei, drei Konzerte von Maazel, absolute Höhepunkte die Konzerte von Karajan und Kleiber). Es fehlt lediglich ein wenig der nostalgische Flair, den es früher gehabt hat (wenn man davon absieht, dass das Neujahrskonzert selbst angewandte Nostalgie ist).


    Ciao

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Hallo,


    Das erste Neujahrskonzert unter Williy Boskovsky fand 1955 statt.
    Clemens Krauss, der bisherige Leiter (mit Ausnahme eines Jahres in den Joseph Krips dirigierte) war überraschen gestorben, und so musste ein Nachfolger gefunden werden. Man entschied sich, durchaus nicht mit Freuden für Willy Boskovsky, der Konzertmeister der Wiener Philharmoniker war. Nachträglich stellte sich diese Wahl als Glücksgriff heraus. Er leitet die Konzerte bis 1979. (Konzertmeister der Wiener Phiulharmoniker war er bis 1971)
    Willi Boskovsky leitete ausserdem das Wiener Mozartensemble, das Wiener Straußorchester, und war Mitglied des Wiener Oktetts.


    Ob er besser oder passender war, wurde schon zu seinen Lebzeitenverschieden beurteilt. Seine Befürworter lobten den Stil, wie er "mit der Geige in der Hand" a la "Walzerkönig" das Orchester führte, und die Massen verzauberte, Puristen war nicht nur er, sondern schon die Programmgestaltung der Konzerte ein Dorn im Auge, man wollte ein "seriöses Konzert" ohne "breite Masse".


    Als Boskowsky (angeblich nicht freiwillig) ging, wurde die Entscheidung getroffen jedes Jahr das Konzert einen anderen international renommierten Dirigenten dirigieren zu lassen.
    Tatsächlich ist das Konzert dadurch "weniger wienerisch" geworden.



    Freundliche Grüße aus Wien


    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Zitat

    Der Einspringer Maazel schaffte es aber geschickt, seine Position als angehender Chef der Wiener Staatsoper auch dahingehend zu nützen, das Neujahrskonzert behalten zu können. Und es dauerte bis zu seinem Abgang von der Oper, bis man ihn auch vom Neujahrskonzert los wurde und endlich Jahr für Jahr einen anderen Spitzenmann einladen konnte

    .


    Dafür hat er sich aber eingehandelt, daß während eines der von ihm dirigierten Neujahrskonzerte (wie formulier ich das jetzt elegant ?) "ablehnende Flugzettel" von der Galerie in den Zuschauerraum geworfen wurden, vor laufender Kamera.
    Die Verursacher waren nicht ausfindig zu machen und die Internetrecherche ergab, daß dieser Vorfall nie stattgefunden hat.


    Beste Grüße aus Wien


    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Hallo,


    da hätte ich auch eine Frage an die Wiener:
    was haltet ihr denn von den Leistungen Willi Boskovskys und dem "Wiener Johann Strauß-Orchester"?



    Ich bessitze diese doppel CD aber auch eine alte Decca-Querschnitt-CD mit Boskovsky und den Wiener Philharmonikern (Studioproduktion). Ich muß gestehen, daß ich mit beiden Darbietungen nicht so recht glücklich bin. (Jedenfalls nicht im Vergleich zu den Kleibers, Harnoncourt und anderen)


    Grüsse, Markus


    (PS: habe erfreut festgestellt, daß Andre Rieu bei amazon unter Pop/Rock gelistet ist. klar, wo sollte der sonst untergebracht werden, kaegorie kitsch gibts ja nicht.)

  • Hallo


    ich muß gestehen, daß ich mir in Sektlaune, das Neujahrskonzert regelmäßig anhöre, jedoch noch nie eine CD davon gekauft habe.


    Wenn ich mich richtig erinnnere wurden Boskovskys Aufnahmen mit dem "Wiener Johann Stroß Orchester" seinerzeit von der Kritik ziemlich zerzaust, was aber nicht besagen muß.



    Ich muß ehrlich sagen ich wusste bis soeben nicht ob dieses Orchester nur ein "Plattenorchester" war oder ein "reales" bzw ob es nioch existiert.


    Ergebnis: Das "Wiener Johann Strauß Orchester" wurde 1965 von einigen Musikern gegründet. Ihr Leiter war Eduard Strauß, ein Großneffe des "Walzerkönigs". Nach dessen Tod übernahm 1968 Willy Boskovsky die Leitung. Ab 1990 waren mehrere Dirigenten mit dem Orchester tätig, so Rudolf Bibl (Wiener Volksoper, bzw Festspiele Mörbisch), Franz Bauer-Theussl und weitere lokale Wiener Größen.


    Das Orchester hat einen eigenen Zyklus im Wiener Musikverein und persönlich vermute ich ein Naheverhältnis.


    beste Grüße aus Wien


    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Hallo,


    ich bin zwar in keiner Art und Weise ein Fan der Neujahrskonzerte, aber weil ich und meine Eltern einen wunderbaren, liebenswürdigen Kontakt zu Elisabeth Boskovsky (Willi B.s Witwe) haben (sie haben einige Jahre in derselben Wohngemeinde gelebt in der ich aufgewachsen bin) und sie uns regelmässig besucht, möchte ich auf die von ihr initierte DVD Neuerscheinung hinweisen



    Nähere Angaben kann ich leider keine geben, da ich keine weiss...


    Gruss
    Christoph

    Über Geschmack kann man - aber muss man nicht streiten!

  • Hallo!!


    Ich muss ehrlich sagen, dass mich die Neujahrskonzerte ankotzen. Ich mag sie nicht, denn da wird so viel Rummel gemacht, den andere Konzerte nie bekommen werden.


    Die Musik, die im NJ-Konzert gespielt wird, ist meistens sehr schön, weil Strauß, aber hier zählt das nur bedingt.


    Aber jetzt bin ich abgewichen!


    Zu Boskovsky:


    Als Walzerdirigenten kenn ich ihn nicht, aber als hervorragenden Operettendirigenten. Das war sein Metier, er hat Operette richtig verstanden und brache sie so auf die Bühne, wie sie sein sollte. Ganz im Gegensatz zu einem Herrn S., der immer in Mörbisch Operette verschandelt.


    Hier zwei tolle Aufnahmen:

    Der Vogelhändler- Rothenberger, Holm, Dallapozza, Berry ABSOLUTE REFERENZ im ganzen Operettengenre! :jubel: :jubel:



    Boccaccio- Prey, Berry, Böhme, Rothenberger
    Auch ziemlich gut, aber nicht so überrragend wie der Vogelhändler, das liebt m.E. daran, dass das Werk im allegemeinen nicht mit dem Vogelhändler mitkann!


    Geplant ist folgende Aufnahme:

    Wiener Blut- Rothenberger, Holm, Gedda
    Das ich im Sommer, wenn die Großeltern aus Mörbisch kommen sagen kann, wieder über Mörbisch lästern kann! :D :D


    Und weil mir bei den Strauß-Operetten noch einige fehlen!!


    LG joschi

  • Zitat

    Als Walzerdirigenten kenn ich ihn nicht, aber als hervorragenden Operettendirigenten. Das war sein Metier, er hat Operette richtig verstanden und brache sie so auf die Bühne, wie sie sein sollte. Ganz im Gegensatz zu einem Herrn S., der immer in Mörbisch Operette verschandelt.


    Der Herr Boskovsky wird überhaupt nichts auf die Bühne gebracht haben, kann es also auch nicht so gemacht haben, "wie es sein sollte". Gleichwohl war er natürlich ein vorzüglicher Operettendirigent. Und Herr S. verschandelt in Mörbisch nichts, sondern schafft auf bemerkenswerte Weise den Spagat zwischen dem Spektakel der Seebühne und einem äußerst verantwortungsvollem Umgang mit den Stücken. So integral und "nicht zusammengestutzt" wie in Mörbisch wird Operette zur Zeit kaum irgendwo aufgeführt.

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!