Kurznotizen aus den Opernhäusern!

  • Im Teatro Carlo Felice (5 min Fußmarsch von meiner Unterkunft entfernt) herrschte eine deutlich höheres Niveau als einige Tage vorher in Santa Maria delle Vigne. Mein erster Besuch einer Oper in Italien. Ein schönes Haus, von außen neoklassizistisch, von innen mit romantischen Zügen.


    Zum Vergleich hatte ich ja die Inszenierung in Essen. In Genua war sie wesentlich konventioneller. Aber auch hier wurde die Ouvertüre erst nach dem Prolog (bzw. dem ersten Akt) gespielt. Ewig langer, tosender Beifall. Er galt dem Dirigenten (Daniel Oren), der hier wohl Gott-Status hat. Er war aber gut, nicht nur bei der Ouvertüre. Sehr aufmerksam, sehr aktiv (auch körperlich), der hatte seine Leute im Griff.


    Die Inszenierung war recht einfach, sie kam mit wenigen, aber durchaus stimmungsvollen Bildern aus. In Essen wurde da aber mehr geleistet. Interessantes Detail: Irgendwann sollen laut Libretto bekanntlich die doofen Deutschen vernichtet werden. Man benutzte aber statt "tedeschi" (Deutsche) das Wort "nemici" (Feinde). Alles italienisch übertitelt, das war sehr angenehm. Fast ausschließlich italienische Sänger. Das sei in Italien normal, wurde mir gesagt.


    Leider habe ich keine Notizen zu den einzelnen Darstellern gemacht. Sie waren meist gut bis sehr gut, insgesamt etwas besser als in Essen. Für das Orchester gilt das Gleiche. Die Inszenierung war in Essen besser. Der Chor ebenfalls. Insgesamt ein absolut lohnender Nachmittag.


    Genau: Die Vorstellung war sonntagnachmittags um 15.30 Uhr und dennoch ausverkauft. Die machen sogar an normalen Wochentagen Nachmittagsvorstellungen, ts ts ts.


    Ein Frage hätte ich noch: Das war nun Stagione-Theater (statt Repertoire-Theater). Die Truppe reist also weiter. Was machen dann aber Dirigent und Orchester? Reisen die mit? Es hieß aber "Orchestra del Carlo Felice" und Daniel Oren scheint in Genua bekannt zu sein. Singen die Sänger dann in einer anderen Stadt mit einem anderen Ochester zusammen? Und was macht der Chor?



    Thomas Deck

  • Zitat

    Original von schiral
    Von Anfang an agierte der Chor holzhammermäßig als Trauergemeinde, obwohl das Ende schon ab dem 1. Akt im Libretto und in der Musik erkennbar ist....


    ???????? :D


    :hello: KW

  • Man kann's ja mal versuchen: Nächsten Freitag und Samstag bin ich in Berlin.


    8.6.: Don Carlo in der Staatsoper
    9.6.: Entführung in der KOB "empfohlen ab 18 Jahren"


    Letzteres offensichtlich die kontrovers diskutierte Inszenierung von Bieito.


    Meinungen zu diesen beiden Inszenierungen würden mich interessieren.


    Und falls jemand zufälligerweise an einem der beiden Abende anwesend sein sollte, könnten wir uns zwecks Meinungsaustausches vorher bzw. in der Pause bzw. hinterher kurz treffen...



    Thomas Deck


  • Ok, die beiden Inszenierung sind wohl älter, so dass es nichts mehr zu diskutieren gibt. Jetzt wollte ich nach älteren Tamino-Diskussionen zu der Bieito-Inszenierung der Entführung suchen. Habe aber außer kurzen Erwähnungen nichts gefunden. War das tatsächlich nie Thema hier??? Falls doch, wie kann man so etwas wiederfinden? Ich probierte es mit der erweiterten Google-Suche, da findet man eigentlich alles...



    Thomas Deck

  • Zitat

    Original von thdeck
    Ein Frage hätte ich noch: Das war nun Stagione-Theater (statt Repertoire-Theater). Die Truppe reist also weiter. Was machen dann aber Dirigent und Orchester? Reisen die mit? Es hieß aber "Orchestra del Carlo Felice" und Daniel Oren scheint in Genua bekannt zu sein. Singen die Sänger dann in einer anderen Stadt mit einem anderen Ochester zusammen? Und was macht der Chor?
    Thomas Deck


    Hallo, Thomas,


    Stagione-Theater bedeutet in erster Linie, dass ein Stueck fuer einige Zeit oder fuer immer abgespielt und durch ein anderes Werk ersetzt wird, das wieder en suite gespielt wird. Dieses Stueck kann dann von einem anderen Theater uebernommen werden.
    Die Solisten können dieselben sein, muessen es aber nicht. Chor und Orchester hingegen bleiben in der Regel am Ort.


    Mikko

  • Lieber Thomas Deck,


    die Carlos-Produktion ist umstritten und wird von vielen Opern-besuchern abgelehnt. Ich hingegen finde diese Produktion äußerst gelungen. Zentrum der Bühne ist ein Tisch, an dem das Königspaar, Carlos und Eboli zu Beginn speisen, aber auch während der Hinrichtung, was ein starkes Bild ergibt. Von der Besetzung her können Sie sich freuen, denn das Bass-Duo Pape/ Youn ist wohlkaum zu toppen, dazu Norma Fantini in ihrervielleicht besten Rolle und mit Andrew Richards ein Carlos, der zwar ein paar Unzulänglichkeiten aufweist, aber in der Lage ist, die Partie kraftvoll und mit schöner Stimme auszusingen. Ich habe zwei Aufführungen dieser Serie gesehen und gehe am 08. auch rein.


    Die Produktion der Entführung hat möglicherweise wesentlich mehr Freunde gefunden und hat zumindest am Anfang regelmäßig für ein volles Haus gesorgt. Hier kann man erleben, wie der Osmin seine erste Arie splitternackt singt. Das Motto ist eigentlich: das ganze Leben ist ein Puff. Ich war in der Premiere, finde diese Produktion allerdings immer noch besser als Bietos Butterfly am Haus. Viel Spaß!

  • Zitat

    Original von Kapellmeister Storch
    Lieber Thomas Deck,


    die Carlos-Produktion ist umstritten und wird von vielen Opern-besuchern abgelehnt. Ich hingegen finde diese Produktion äußerst gelungen. Zentrum der Bühne ist ein Tisch, an dem das Königspaar, Carlos und Eboli zu Beginn speisen, aber auch während der Hinrichtung, was ein starkes Bild ergibt. Von der Besetzung her können Sie sich freuen, denn das Bass-Duo Pape/ Youn ist wohlkaum zu toppen, dazu Norma Fantini in ihrervielleicht besten Rolle und mit Andrew Richards ein Carlos, der zwar ein paar Unzulänglichkeiten aufweist, aber in der Lage ist, die Partie kraftvoll und mit schöner Stimme auszusingen. Ich habe zwei Aufführungen dieser Serie gesehen und gehe am 08. auch rein.


    Die Produktion der Entführung hat möglicherweise wesentlich mehr Freunde gefunden und hat zumindest am Anfang regelmäßig für ein volles Haus gesorgt. Hier kann man erleben, wie der Osmin seine erste Arie splitternackt singt. Das Motto ist eigentlich: das ganze Leben ist ein Puff. Ich war in der Premiere, finde diese Produktion allerdings immer noch besser als Bietos Butterfly am Haus. Viel Spaß!


    Hallo Herr Storch,


    vielen Dank für die beiden Einschätzungen. Wenn Sie Lust haben, können wir uns in der Pause von Don Carlo treffen. Ich werde versuchen, einen Kaffee zu bekommen (obwohl ich jetzt schon weiß, dass er mir nicht schmecken wird), wo immer das ist in der Staatsoper.


    Sie erkennen mich am Alter (42 Jahre), am Übergewicht (68 statt 66 kg) und an den blauen Jeans. Wahrscheinlich mit schwarzem Hemd.



    Gruß
    Thomas Deck

  • Halli,


    Da wolkenstein keine PN empfangen will/kann nun also hier meine Meinung zum Essener Tristan:


    Die Bühnenidee fand ich im ersten Aktl richtig Klasse, im zweiten eher Mittelmäßig (von Bayreuth abgekupfert) und im dritten ziemlich schlecht - obwohl der letzte Akt musikalisch der beste war - dazu später mehr.
    Im letzten Akt geriet der Regisseur offenbar etwas ins Rudern - Hilflos scheint er irgendwelche Symbole (Schafe = Opfer) einbauen zu wollen - die perfekte Illusion der ersten beiden Akte wird durch den dritten Zerstört.
    Die Inszenierung war nach einigen inneren "Ohs" und "Ahs" sehr langweilig, da statisch. Aber so sind nurnmal die späteren Wagneropern - ellenlange Mono/Dialoge und kaum "Action" (kein Qualitätsurteil!!!)- Die Inszenierung tut sich da generell schwer - wie auch z.B. der Dortmunder Ring zeigt!


    Musikalisch kam es aus dem Orchester gewohnt bombastisch! Soltesz nach vorn treibende Tempi und die differenzierte Dynamik waren einsame Klasse - die Aukkustik des Aalto-Theaters haut mich aber generell immer wieder um!!! :jubel: - (Was ich vond er Kölner Oper nicht sagen kann...weshalb ich nicht mehr plane wegen einer Oper hinzufahren... :( :stumm: )...
    Sängerisch gab es aufgrund von Krankheit eine andere Isolde: Kirsi Tiihonen sprang ganz kurzfristig ein (weniger als 2 Tage für die sängerische/szenische Probe! Was soll ich sagen - ich war hingerissen!!!
    Dowd gefiel mir als Tristan eher weniger - obwohl seine darstellerischen Qualitäten (und bisweilen auch gesanglichen) im dritten Akt glänzend waren! Dowd ist kein echter Heldentenor und hat einige Probleme in der Höhe...er mus da teilweise ganz schön drücken - das hört man! Auch seine teilweise veristischen Mittelchen zur Leidensschilderung gehören eigentlich gar nicht in eine Wagneroper, haben mir aber auch im 3. Akt emotional zugesetzt!
    Der "Star" des Abends war eindeutig Trisinger als Kurneval - also eher eine Nebenrolle! Unglaublich Kraftvoll und glänzend ind er Höhe, hätte vielleicht lieber er den Tristan gegeben - Dowd hörte sich gegenüber ihm ziemlich dünn und schwach an - (möglicherweise war das für den 3. Akt so geplant?!)
    Die anderen Stimmen überzeugten alle mehr oder minder gut- generell waren alle Leistungen überdurchschnittlich gut - einige excellent!


    Das wäre meine, etwas knappe Meinung zum Essener Tristan - eine hörens, aber nicht unbedingt sehenswerte Produktion!


    LG
    Raphael

  • Zitat

    Original von raphaell
    Das wäre meine, etwas knappe Meinung zum Essener Tristan - eine hörens, aber nicht unbedingt sehenswerte Produktion!



    Hallo Raphael,


    gleich drei weitere ausführliche Meinungsäußerungen zum Essener "Tristan" findest Du (etwas verstreut) in diesem Thread:


    Tristan und Isolde


    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo Zwielicht,


    Danke für den Tipp - ich bin ja froh, dass meine Meinung sich in den meisten Punkten ca. mit den anderen deckt!


    LG
    Rpahael

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • @ raphaell


    Du bist ja ein begnadeter Kritiker! Alle Achtung!
    PN darf ich anscheinend noch keine empfangen.
    Liegt wohl an meinem jetzigen Status :(
    Wann ändert sich das eigentlich?
    Im Übrigen fand ich die Kosky-Regie gar nicht so übel
    und das Stück durchaus SEHENSwert.
    Die Schäfchen waren womöglich fehl am Platze,
    aber ich bin tolerant bei solchen Details,
    vor allem, wenn halbwegs anständig gesungen wird.
    Bei Gesamtkunstwerk zählt Gesamteindruck und
    der war recht positiv. Vielleicht habe ich auch
    gerade den Abend erwischt, wo Frau Herlitzius
    und Herr Dowd sich besonder viel Mühe gegeben hatten.


    Schöne Grüße!


    :hello:

  • Hallo,


    Alfred hat die PN kürzlich generell für alle "Neuen" gesperrt...gerüchten zu folge wird das bei 250 aufgehoben...! Da du aber ein sehr ordentlicher Forenteilnehmer bist, kannst du Alfred möglicherweise mit einiger Argumentationskunst bitten dir die Rechte früher zu geben - (kein Gewähr für Erfolg...! :D :stumm: )


    Nochmal zum Tristan: Sicher war das Stück etappenweise sehenswert - allerdings gab es einige Ecken und kanten, die nicht hätten sein müssen -
    Das Potetial zu etwas wirklich Gutem lag greifbar nahe! möglicherweise hast du auch wirklich einen guten Tag erwischt was die Sänger angeht - wie gesagt - die finnische Austausch-Isolde: :jubel:. Der gequälte Dowd-Tristan: :evil:
    Hört sich schlimmer an als es war! Generell war die ganze produktion erlebenswert ob mit szene oder ohne oder wie auch immer... :D - das zeigt schon die enorme "Kritik- und Vorschauwelle!


    LG
    Raphael

  • Hip, Hip, Hooray: In Bonn hat Dietrisch Hilsdorf wieder zugeschlagen. "Sein" Othello spielt in einer Fabrikhalle und einem nach bedarf hineingezogenen Kubus. Drumherum gibt's bizarres Hafentreiben, wo Kapitän Ahab mit dem Schild "L'ultime Virgine" seine Tochter anbietet. Nackedeis gibt's auch: Eine Barbusige verführt Cassio. Spielen tut der Schmarr'n nicht um 1500 sondern - welch Wunder - in der Entstehungszeit der Oper +/- 50 Jahre. Kostüme waren entsprechend schlecht recherchiert.


    Es war gähnend öde, unattraktiv, ästhetisch zum :kotz: und überhaupt :angry:. Gesungen wurde so la la.

  • Zitat

    Original von Knusperhexe
    Hip, Hip, Hooray: In Bonn hat Dietrisch Hilsdorf wieder zugeschlagen. "Sein" Othello spielt in einer Fabrikhalle und einem nach bedarf hineingezogenen Kubus. Drumherum gibt's bizarres Hafentreiben, wo Kapitän Ahab mit dem Schild "L'ultime Virgine" seine Tochter anbietet. Nackedeis gibt's auch: Eine Barbusige verführt Cassio. Spielen tut der Schmarr'n nicht um 1500 sondern - welch Wunder - in der Entstehungszeit der Oper +/- 50 Jahre. Kostüme waren entsprechend schlecht recherchiert.


    Es war gähnend öde, unattraktiv, ästhetisch zum :kotz: und überhaupt :angry:. Gesungen wurde so la la.





    Natürlich sagen Bilder nicht so wahnsinnig viel über ein Regiekonzept aus, aber was ich sehe, wirkt auf mich doch ziemlich eindrucksvoll.


    :hello:

    ...


  • Ach was Edwin, wirklich? Ist ja mal was revolutionär Neues. So langsam kann man nach Dir den Wecker stellen.


    :hello:

  • Zitat

    Original von Knusperhexe


    Ach was Edwin, wirklich? Ist ja mal was revolutionär Neues. So langsam kann man nach Dir den Wecker stellen.


    :hello:


    Ich hab meinen auch schon nach Dir gestellt. Jetzt geht das Ding nach - und das gleich um Jahrzehnte...! :hahahaha: :hahahaha: :hahahaha:
    :hello:

    ...

  • Hallo Bernd,


    ich möchte noch kurz die Gelegenheit nutzen, einige Anmerkungen zu Deinem Bericht über den Frankfurter "Simone Boccanegra" loszuwerden.


    Zitat

    Ich war mit Carignanis Dirigat auch nicht restlos glücklich (...). Carignani hielt allerdings selten ein Grundtempo für längere Zeit durch, differenzierte zu stark und nicht immer einsichtig: so etwa beim Finale I, in dem Simones Solo ("E voi gridando pace...") sehr langsam daherkam, während bei den entsprechenden Ensemblepassagen wieder aufs Gaspedal getreten wurde.


    Zitat

    Ich finde es ausdrücklich gut, dass einmal nicht der Brio-Temperamentbolzen Verdi, sondern der subtile Instrumentator zu Ehren kam - trotzdem fiel das Stück aufgrund der Überdifferenzierung bei Tempo, Dynamik und Klangfarbe doch tendenziell auseinander.


    Mir liegt Carignani überhaupt nicht, vor allem seine Wagner-Dirigate finde ich grauslich. Mich erinnert das alles viel zu sehr an dieses schwer erträgliche karajaneske Zelebrieren von Musik. Deshalb ist klar, dass ich froh bin, wenn der Frankfurter GMD wechselt und mit Sebastian Weigle ein Dirigent antritt, der mir weit mehr liegt. Ich finde zu Carignanis "Simone"-Dirigat keinen Zugang.


    Interessant aber, dass wir beide von durchaus unterschiedlichen Positionen herkommend feststellen, dass der musikalische Fluss auseinanderzufallen droht. Und das ist etwas, was meiner Meinung nach, bei einer Opernvorstellung nicht passieren darf.


    Zitat

    Für mich war es eher eine Inszenierung vom Typus "zu viel gewollt und zu wenig umgesetzt".


    Das teile ich absolut. Da hat sich das Regieteam kluge Gedanken gemacht - nur: die lesen sich besser, als sie auf der Bühne aussehen. Die von Dir auch beschriebene Hilflosigkeit mancher Sänger geht auf das Konto einer problematischen Regie.


    Zitat

    Die zwanzig Jahre zwischen Prolog und erstem Akt wurden bei offener Bühne überbrückt - die Protagonisten rupften sich künstliche Haare vom Kopf und alterten somit schlagartig


    Diese Idee fand ich auch gut - die hat sehr sinnfällig mit einem kleinen, szenischen Ereignis jenen Bruch gezeigt, der es manchem Zuschauer schwer macht, der Handlung zu folgen.


    Diese Meersoffitte und die damit verbundenen Aktionen fand ich, ich bitte um Nachsicht, platt.


    Nicht vergessen darf man bei alldem, dass ich direkt am Vorabend Stefan Herheims "Don Giovanni" gesehen habe - über drei Stunden pralles Operntheater - da ist die szenische Zurichtung des "Simone Boccanegra" als Oratorium im Kostüm ein harter Brocken.


    Nachsatz: Loy scheint tatsächlich sehr empfindlich auf Kritik zu reagieren, das war in der Premiere auch so - und ich denke, dass müsste er schon aushalten können.

  • Vor einigen Jahren setzte die Oper Frankfurt die Oscar-Straus-Operette „Walzertraum“ auf den Spielplan. Ich bin hingegangen, weil ich zum einen ein Abo in Frankfurt habe und zum anderen, weil mir Oscar Straus um einiges sympathischer ist, als bsplsw. Franz Lehár. Leider dauerte es nicht lange, bis ich feststellen musste, dass dieses Stück und ich keine Freunde werden können – ich fand den Stoff reichlich peinlich und die Musik rettete nichts.


    Für die Inszenierung war eine Regisseurin der jüngeren Generation verantwortlich, Andrea Schwalbach – und die holte aus dieser Vorlage alles heraus, was eine heutige Regisseurin darin finden mag. Das gefiel natürlich einem Grossteil des Publikums nicht – einmal mehr ging mir das gänzlich anders: ich merkte mir den Namen Andrea Schwalbach und hoffte, einmal eine Oper von ihr inszeniert erleben zu dürfen.


    Am 24.05.2007 war es soweit: in Hannover hatte der Doppelabend „Il prigioniero“ (Luigi Dallapiccola)/„L´Enfant et les sortilèges (Maurice Ravel) Premiere., Regie: Andrea Schwalbach.


    Für die Regisseurin handeln beide Stücke vom Gefangensein, vom Quälen und Foltern von Macht und Machtmissbrauch.


    Dallapiccola erzählt im „Prigioniero“ die Geschichte eines Gefangenen, der Vertrauen zu seinem Kerkermeister fasst, der ihn mit „Fratello“ (Bruder) anspricht und ihm scheinbar einen Weg in die Freiheit zeigt. Am Ende dieses Weges steht der Grossinquisitor – es ist niemand anderes als der Kerkermeister, der ihn die ganze Zeit betrogen hat und nun sein Mörder werden wird.


    Es ist ein erschütterndes Stück, zeitlos, immer aktuell mit einer unter die Haut gehenden Musik und einer unglaublichen Rolle für einen Bariton.


    In Hannover sieht man einen abstrakten Raum mit schräg verschobenen, sich nach hinten verjüngenden Forstsetzungen des Bühnenrahmens, im Vordergrund ein angedeuteter Käfig für den Gefangenen. Die Folterknechte – allesamt sorgfältig in Anzüge gekleidet – beobachten und belauschen den Gefangenen und seine Mutter, die die Geschichte ihres Sohnes erzählt (stimmstark und engagiert: Khatuna Mikaberidze). Mit einem Messer fügt sie sich Verletzungen zu – quält sie sich nur selbst oder versucht sie tatsächlich,, sich umzubringen?


    Der Gefangene (darstellerisch eine unglaubliche Leistung: Lauri Vasar) weist alle Anzeichen eines gefolterten Menschen auf, das Zittern, die Unruhe, der Blick, dieses Changieren nah am Wahnsinn, beängstigend. Er lässt weitere Folterungen einfach geschehen, ein körperlich und seelisch gebrochener Mensch.


    Nach einem letzten Gespräch mit der Mutter wird der Gefangene das Messer seiner Mutter in der Hand halten. Hat sie es ihm gegeben, damit er seinen Qualen ein Ende bereiten kann? Hat er es sich genommen? Man weiss es nicht genau.


    Am Ende wird der Kerkermeister (hier im richtigen Fach eingesetzt: der Charaktertenor Robert Künzli) den Gefangenen mit Plastikfolie, die er eng um seinen Kopf wickelt, ersticken.


    Lutz de Veer lässt das hannoveraner Orchester laut und grell aufspielen – und es zeigt sich einmal mehr, wie gut die Musiker dort mit zeitgenössischem Tönen zurechtkommen.
    Der zweite Teil hätte jetzt einen Kontrapunkt setzen können: Ravel erzählt die Geschichte eines Kindes, das reichlich unartig nicht auf seine Mutter hören will, keine Schulaufgaben macht, ziemlich viel im und vor dem Haus kaputt macht und plötzlich feststellen muss, dass die ganze Umgebung unter ihm leidet. Erst als ein verletztes Eichhörnchen im Garten vom Kind liebevoll versorgt wird, wendet sich das Blatt: das Kind hat Mitleid empfunden und wird zur Mutter zurückgebracht.


    Nicht so in der Inszenierung von Andrea Schwalbach: sie erzählt die Geschichte sehr geschickt anders: die Mutter quält das Kind, die Gegenstände und Tiere sind gemein und hinterhältig, der Schulmeister quält die Kinder, die in einem Schulgebäude zusammengepfercht sind wie in einem Gefängnis mit sinnlosen Rechenaufgaben.


    Die Bilder sind böse An- und Einsichten einer Familie: die Standuhr wird zum Kriegsversehrten Onkel (das abgetrennte Bein und der abgetrennte Arm führen ein makaberes Eigenleben), Hirt und Hirtin feiern als Grossmutter und Grossvater Dauerhochzeit...


    Am Ende sinkt das Kind zu Boden, man erfährt nicht, ob es gestorben ist – aber dass es ein Gefangener seiner eigenen Erinnerungen und einer vielleicht sogar sehr durchschnittlichen Familie war oder ist, das ist nicht zu übersehen.


    Der Raum wird mit wenigen Versatzstücken als Wohnzimmer, Garten oder Strasse angedeutet (Bühne und Kostüme: Anne Neuser und Stephan von Wedel).


    Gute Darsteller/innen (als Kind: Julia Grinjuk) und mit Carmen Fuggiss kann eine immer noch beeindruckende Koloratursopranistin aufgeboten werden (Fledermaus, Eule und Hirtin).


    Lutz de Veer geht auch beim Ravel zügig und rhythmisch sehr passend ans Werk – der Ravel klingt weniger ironisch als bös-sarkastisch.


    Eine Premiere an einem Donnerstag, ungewöhnlich – und sicher auch mit dafür verantwortlich warum es nicht gar so voll wie sonst bei Premieren war. Freundlicher Beifall für alle Beteilgten.


  • Die Bilder (ein paar mehr gibt es auf der Internetseite des Theaters Bonn) sagen mir in diesem Fall gar nichts, deswegen fahre ich in den nächsten Tagen selber hin . In einer Rezension ist zu lesen, daß Hilsdorf sich vorrangig auf das Ehedrama konzentriert und die politischen Aspekte im Stück kaum zeigt.


    Begriffe wie "öde, unattraktiv" etc. sollen vermutlich bestätigen, was die Presse in letzter Zeit über Dietrich Hilsdorf berichtet: der Löwe sei alterszahm geworden :D .


    War hier auch jemand im "Otello" in Wuppertal?

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Zitat

    Original von S.Kirch
    Begriffe wie "öde, unattraktiv" etc. sollen vermutlich bestätigen, was die Presse in letzter Zeit über Dietrich Hilsdorf berichtet: der Löwe sei alterszahm geworden :D .


    Hallo S.Kirch,


    alterszahm? Ich weiß nicht, kommt wohl auf die Sichtweise an. Mich haben die Hilsdorf'schen Sichtweisen nie beglückt, sondern gelangweilt bis zum umfallen.


    :hello:

  • Zitat

    Original von S.Kirch
    Begriffe wie "öde, unattraktiv" etc. sollen vermutlich bestätigen, was die Presse in letzter Zeit über Dietrich Hilsdorf berichtet: der Löwe sei alterszahm geworden


    Hallo Sophia,


    das ist auch für mich das grosse Problem bei Dietrich Hilsdorf. Seine früheren Inszenierungen (auch im Schauspiel) zählten für mich zum besten, was es damals auf der Bühne zu erleben gab (für das streng-konservative Wiesbadener Publikum waren Inszenierungen wie der "Samson" oder die geniale Version des "Werther" absolute Schocker).


    Die neueren Produktionen finde ich langweilig und bieder - und diese Altherrenerotik (in Blecheimer urinierende Hexen oder Männer mit Extremphalli) finde ich reichlich peinlich. Das alles täuscht nämlich nicht über eine konventionelle und spannungsarme Personenregie hinweg (die Ausnahme der letzten Jahre: eine szenische "Johannes-Passion" in Wiesbaden, die fand ich sehr gelungen).

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner


    Und dann bitte einen Bericht!


    :hello:


    Eine schwierige Bitte. Stehen doch die Meinungen fest von `öde, langweilig, lala, unerfüllte Erwartungen` etc. Und selbst Bianca hat sich zu verhüllen.


    Schaumermal ;)

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner


    Und dann bitte einen Bericht!


    :hello:


    Hallo Edwin,
    hast du endlich deine Liebe für Verdi entdeckt? :hello:

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Zitat

    S.Kirch fragt: War hier auch jemand im "Otello" in Wuppertal?


    Hallo,


    erst heute abend wird die Premiere in Wuppertal sein. Ich werde dort sein und gerne darüber kurz berichten.


    Gruß,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Eines muss man der etwas glücklosen Intendantin Kirsten Harms lassen: neben viel konventionellem bietet ihr Spielplan auch einige echte Raritäten: in dieser Spielzeit konnte der interessierte Opernfreund zuerst Franchettis „Germania“ kennenlernen und jetzt, am Pfingstsonntag, den auch sehr selten gespielten „Traumgörge“ von Alexander von Zemlinsky.


    Mahlers Rücktritt als Direktor der Wiener Hofoper verhinderte nicht nur 1907 die UA des „Traumgörge“ in Wien, der Komponist selbst hat seine Oper nie gehört. An eine späte Uraufführung wagte sich erst im Herbst des Jahres 1980 das Opernhaus in Nürnberg (mit dem dort lange Jahre engagierten Heldentenor Karl-Heinz Thiemann in der Titelrolle).


    Görge ist ein junger Mann, der als Waise in einem Dorf lebt. Ihm gehört die Mühle des Ortes, die sein Erbe ist und die Begehrlichkeiten bei den Dorfhonorationen geweckt hat. Der Müller ist Görges Vormund und der würde seine Tochter Grete gerne mit Görge verheiraten, damit er über diesen Weg in den Besitz der Mühle gelangen kann. Görge ist ein idealistischer Tagträumer, der seine Märchen und Bücher liebt, ja in ihnen lebt. Die vorgesehene Braut Grete kann mit Görge eigentlich nicht so richtig was anfangen, ihr ist der gerade vom Wehrdienst heimkehrende Hans, ein echter Kerl, lieber. Als Hans von der Verlobung erfährt, versucht er Görge dadurch lächerlich zu machen, indem er diesen provoziert eine seiner Geschichten zu erzählen. Es funktioniert nicht: die Menschen sind von der Kraft der Poesie tief beeindruckt. Als Traum erscheint Görge eine Märchenprinzessin: er beschliesst, seine Prinzessin zu suchen und lässt Grete zurück.


    Drei Jahre später gerät Görge in eine politische Revolte: der Anführer der Revolutionäre, Kaspar, würde gerne Görge wegen seines rhetorischen Talentes für seine Sache einspannen. Görge ist zum Aussenseiter geworden und lernt die als Hexe verschriene Gertraud kennen, die ihn liebt. Die Männer um Kaspar lehnen Gertraud ab und wollen sie als Hexe verbrennen. Angewiedert von dieser Menschenjagd gelingt es Görge im letzten Moment Gertraud zu befreien und mit ihr zu fliehen.


    Im Nachspiel sind Görge und Gertraud in Görges Heimat zurückgekehrt. An der Spitze des Dorfes stehen Hans und Grete und die Dorfbewohner verehren Görge und Gertraud, weil Görge sich als Gönner und Wohltäter erwiesen hat. In Gertraud glaubt Görge seine gesuchte Prinzessin zu erkennen.


    In Berlin inszenierte Joachim Schloemer dieses nicht ganz einfache Stück. Die Bühne zeigt die Zwischenetage einer U-Bahn-Station, wie sie in jeder grösseren Stadt zu finden ist, grauer Beton, zwei Rolltreppen, die nach oben oder unten führen, je nachdem – und wohl schon einige Zeit kaputt sind. Im ersten Akt beschliesst am oberen Ende zuerst ein Metallgitter den Raum, im 2. Akt ist dieses Gitter verschwunden. Trotz dieses sehr konkreten Bildes handelt es sich um keinen wirklich realen Raum. Schloemer zeigt dem Zuschauer einen Raum, den er einordnen kann, der ihm bekannt ist. Die Geschichte wird aus dem Blickwinkel Görges erzählt. Dieser ist ein sehr konservativ gekleideter, junger Mann mit dunkler Brille und dem, was Eltern in den 70ern gerne für eine „ordentliche“ Frisur gehalten haben. Görge klebt seine Geschichten als eine Art Wandzeitung an den grauen Beton, eigentlich bleibt er von den vorbeihastenden Menschen aber doch eher unbemerkt. Der Hans des Stückes wird von Görge als Ritter in einer goldenen Rüstung imaginiert, die Erscheinung der Prinzessin wird von Zwergen in Gebirgsjägeruniform auf einem Pferd hereingeschoben. Fast ganz in schwarz gekleidet sitzt die Prinzessin auf ihrem weissen Pferd, der dunkle, banale Raum scheint wirklich märchenhaft zu leuchten.


    Beim Aufgehen des Vorhangs zum 2. Akt sieht man drei Skater, die mit ihren Brettern über die Treppen und den Betonboden rollern. Merkwürdigerweise hat gerade diese Szene eine kleine, aber hartnäckige Gruppe von Zuschauern zum heftigen Protest veranlasst (beim Schlussapplaus mussten dann die zwei Jungs und das Mädchen energische Buhs über sich ergehen lassen – die drei nahmens locker...). Kaspar ist ein schmieriger Zuhältertyp, seine Truppe wird von Görge als in die Jahre gekommene Surfboygruppe wahrgenommen: goldglänzende Shorts, hüftlanges, goldblondes Haupthaar und dazu passende überdimensionierte Skateboards, auf denen „Paradise“ zu lesen ist.


    Görge selbst ist ein Penner geworden, er schiebt seinen Einkaufswagen mit den Habseligkeiten durch diese surrealen Gestalten. Gertraud gleicht ihm optisch, man sieht so auch gut ihre Seelenverwandtschaft.


    Im Nachspiel haben sich Gertraud und Görge zu einem Althippiepaar weiterentwickelt, die eine eigene Sekte gegründet haben. Ein erhöhter Sitz ist für beide vorbereitet, die Sektenmitglieder – alle identisch gekleidet, auch die Kinder – huldigen ihren geliebten Führern. Kurz bevor sich der Vorhang vor dem Paar Görge und Gertraud, die ihr Schlussduett an der Rampe sitzend singen werden, erkennt man, dass die jeweiligen Väter eine Pistole entsichern und ein Massen(selbst)mord stattfinden wird. Wenn sich der Vorhang noch einmal öffnet, liegen die Leichen auf der Bühne, die von Gertraud und Görge nicht wahrgenommen werden. Man flieht in ein privates Glück.


    Sängerisch und musikalisch liegt der Abend auf gutem Stadttheaterniveau. Steve Davislim ist ein darstellerisch sehr überzeugender Görge, stimmlich hält er zwar halbwegs durch, aber ich hätte mir einen helleren, biegsameren und kraftvolleren Tenor gewünscht.


    Bei den Damen war Manuela Uhl als Gertraud (die hier für die erkrankte Michaela Kaune auch die kleine Partie der Prinzessin mit übernommen hat, was auch dramaturgisch Sinn macht) diejenige, die mir am positivsten in Erinnerung blieb.


    Zemlinskys Musik ist für mich (Schreker vergleichbar) immer wieder ein Erlebnis. Der grosse Orchesterapparat, wo der Klang irisierend und farbenreich ineinanderfliesst, wo Motive aufleuchten und schnell wieder verschwinden oder von anderen Melodiefragmenten abgelöst werden, das begeistert mich immer wieder.


    Jacques Lacombe war der Dirigent des Abends – und er machte seine Sache ordentlich, ohne allerdings quasi schonungslos alles aus dieser Partitur herauszuholen.


    Wäre schön, wenn man öfter Gelegenheit hätte, solche Werke auf der Opernbühne erleben zu dürfen.

  • Zitat

    Original von Siegfried


    Hallo Edwin,
    hast du endlich deine Liebe für Verdi entdeckt? :hello:


    Hallo Siegfried,
    mit der entsprechenden Inszenierung kann sogar das ganz interessant sein. :D
    :hello:

    ...

  • Hallo Alviano,


    ganz vielen Dank für Deinen ausführlichen Bericht über die Berliner Aufführung von Zemlinskys 'Traumgörge' - eine Oper, die ich ebenfalls heiß und innig liebe und bei der ich das große Glück hatte, am Sa., 05.09.1987 eine konzertante Aufführung des Werks in der Alten Oper Ffm. unter Leitung von Gerd Albrecht - und mit Josef Protschka als Görge - erleben zu dürfen. Der Mitschnitt wurde dann später als CD-Einspielung bei Capriccio veröffentlicht.

    Eine Live-Übertragung einer weiteren Vorstellung der Deutschen Oper Berlin wird in ein paar Tagen im DLR gesendet:


    Sa., 16.06.2007 - DeutschlandradioKultur - 19.30-22.30 Uhr - Konzert


    Alexander von Zemlinsky (1871-1942):
    Der Traumgörge - Oper in 2 Akten und 1 Nachspiel 1904-06
    Dirigent: Jacques Lacombe


    Live aus der Deutschen Oper Berlin


    Herzliche Grüße
    Johannes

  • Hallo Johannes,


    vielen Dank für Deinen Hinweis auf die Radioübertragung vom "Traumgörge" - das wusste ich nicht. Und auch, wenn ich nicht zu Hause bin, werde ich den Timer programmieren, um die Übertragung mitzuschneiden.


    Den Mitschnitt aus Frankfurt besitze ich auch - ich weiss gar nicht, ob die CDs noch erhältlich sind - und vor allem Protschka war damals ziemlich gut.


    Im direkten Vergleich würde ich sagen, dass Albrecht gegenüber Lacombe auf alle Fälle der bessere Dirigent ist.


    Viel Spass beim Hören - und nicht wundern: zu Beginn des zweiten Aktes machen die Skateboarder natürlich reichlich Lärm beim rollern.


    HG

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose