Claudio Abbado - Sichtung der Zeugnisse einer Ära

  • Ich finde es eigentlich nicht ganz so schlimm, daß Abbado mit den Wiener Philharmonikern nichts mehr macht. Meiner Meinung nach war das eine Paarung, die wenige spannende Resultate zeitigte. Abbado ist für mich nämlich immer dann am besten, wenn er kämpft: Um ein Werk, um eine Idee, um die Positionierung eines Orchesters.
    Und wenn man gehört hat, wie das Gustav-Mahler-Jugendorchester unter Abbado in Wien Schönbergs "Pelleas" gespielt hat - nun, so weit entfernt waren die nicht von den Wiener Philharmonikern. Die jungen Musiker hatten ihnen sogar eines voraus: Man spürte, wie sie für diesen Dirigenten an ihre Grenzen gingen und noch über sich hinauswuchsen. Etwas Derartiges ist mit dem gleichwohl hervorragenden Wiener Paradeorchester einfach nicht möglich.
    :hello:

    ...

  • Da die Einspielung, wie ich glaube, noch nicht genannt wurde, möchte ich Abbados "Simon Boccanegra" nicht unerwähnt lassen (Carreras, Freni, van Dam, Cappuccilli, Ghiaurov). Ein Meilenstein, im passenden Thread hier mehrfach und ausgiebig gewürdigt.


    Ich schätze auch sehr seine Aufnahmen Mozart'scher Klavierkonzerte mit Gulda.


    Live habe ich ihn nur mit Beethoven 3+7 in seiner Spätphase bei den Berlinern erlebt (Aufnahme); das war damals für mich ein Erlebnis, von dem ich nicht mehr genug Substantielles weiß, um es zu bewerten.


    LG,


    Christian

  • Abbado ist auch ein hervorragender Debussy-Dirigent, weil er nicht nur auf Klangsensualismus setzt (wie Karajan) und nicht nur auf Struktur (wie Boulez). Es gibt eine sehr gute Aufnahme der Nocturnes aus den frühen 70ern mit dem Boston Symphony Orchestra (auf DG) und die erst wenige Jahre alte La mer-Aufnahme aus Luzern ist hervorragend.


    Freundliche Grüße


    Heinz

  • Hallo Heinz,
    völlig richtig - obwohl der späte Boulez gerade bei Debussy sehr schön musizieren läßt. Abbados Zugang ist natürlich völlig anders, wenn man will romantischer, nicht so auf die musikhistorischen Debussy-Folgen zugespitzt. Gerade deshalb ist Abbados "Pelléas"-Einspielung aus der Wiener Staatsoper (bei DG) für Debussy-Fans unverzichtbar: Schärfer konturiert und delikater gespielt als die viel zu wattige Karajan-Aufnahme und besser gesungen als die Boulez-Einspielung. Meiner Meinung nach eine der drei großen "Pelléas"-Aufnahmen (die beiden anderen sind Inghelbrecht und Désormières).
    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von heinz.gelking
    Abbado ist auch ein hervorragender Debussy-Dirigent, weil er nicht nur auf Klangsensualismus setzt (wie Karajan) und nicht nur auf Struktur (wie Boulez). Es gibt eine sehr gute Aufnahme der Nocturnes aus den frühen 70ern mit dem Boston Symphony Orchestra (auf DG) und die erst wenige Jahre alte La mer-Aufnahme aus Luzern ist hervorragend.


    Sehr schön ausgedrückt und genau das, was auch ich an ihm so schätze und er in seinen besten Momenten tatsächlich erreicht, so dass nicht nur die Komplexität und die Farbigkeit der Musik deutlich wird, sondern auch der Schwung, die Emotion. Im Idealfall also eine Mischung aus Bernstein und Boulez.


    Die La Mer Aufnahme aus Luzern habe ich mir heute gekauft, als Doppel-CD, gekoppelt mit der Zweiten von Mahler.



    Und ... was soll ich sagen? Beides phantastisch!

    Wenn ich mir vorstelle, was es für Deutschland bedeuten würde, wenn die heilige Kuh zu uns käme, welches Glück und welcher Segen ginge von allgegenwärtigen heiligen Kühen aus!

  • Zitat

    Original von Marc


    Diese DVD habe ich letztens auch wieder gesehen, weil ich eine verschenken will und kann sie nur nochmals empfehlen, weil sie nicht nur für Abbadiani interessant seien kann, sondern auch für alle, die Interesse an einer Dokumentation über einen Menschen und Musiker besitzen.


    Teilweise gibt es ganz gelungene Momente in der Doku, wenn etwa Bruno Ganz in den Zwischenszenen Gedichte von Hölderlin zitiert und Musik aus dem Prometeo im Hintergrund läuft. (Übrigens, @User Prometeo: Ich wollte dir nochmal antworten, aber dein Posteingang ist voll. ;))


    Schade ist nur, dass nicht auf seinen Einsatz für zeitgenössche Musik eingegangen wird und fraglich bleibt, warum man bei einer Doku über jemanden wie Abbado keine prominenteren Gesprächspartner gefunden hat als etwa Daniel Harding. Aber naja.

    Wenn ich mir vorstelle, was es für Deutschland bedeuten würde, wenn die heilige Kuh zu uns käme, welches Glück und welcher Segen ginge von allgegenwärtigen heiligen Kühen aus!

  • Möchte den thread wieder hervorholen.
    Weiss jemand näheres über Abbado? Geht´s ihm gesundheitlich gut? Ich habe schon lange nichts mehr von ihm gehört/gelesen, was aber überhaupt keine deutung in welche richtung auch immer sein soll.
    Max

    "It´s not how many years we live but what we do with them" (C. Boothe)

  • Soviel ich weiß, geht es ihm ganz gut nach seiner schweren Krebserkankung um die Jahrtausendwende. Am 23. August 2010 hat er auf seinem Lucerne Festival, wie ich gelesen habe, noch ein phänomenales Mahler-Konzert mit dessen 9. Sinfonie geleitet.


    Wenn er wieder nach Berlin kommt, in der neuen Saison, werde ich mich um eine Karte bemühen.


    Liebe Grüße


    Willi :rolleyes:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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