Zyklus der Verzweiflung - Schuberts Winterreise

  • Hallo Sagitt,
    das habe ich nicht verstanden. ein Sänger, der die Winterrese singt, muß möglichst schlecht bei Stimme sein? Fischer-Dieskau hat seine beste und ergreifendste Winterreise gesungen als er 23 Jahre alt war. Für die Winterreise braucht man eine 100%tig intakte Stimme. Das weiß ich übrigens aus eigener Erfahrung.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Hallo Herbert,


    der Versuch einer Erklärung.


    In dem berühmten Film, Mit meinen heissen Tränen, "singt" Udo Samel Lieder aus der Winterreise.
    Ich finde das ergreifender als mit Thomas Hampson im Schöngesang sterben.


    Das ist halt meine Ansicht.


    Schöne Grüsse


    Hans

  • Zumindest live sollte man gut bei Stimme sein ! Sonst hielte man diesen 70minütigen Marathon niemals durch. Auch ich spreche da aus eigener Erfahrung. Unstrittig ist ja wohl ebenso, dass unser Flüchtling jung, schwarzhaarig und körperlich fit ist, was jedoch einer gravierenden Beschädigung seiner Seele nicht im Wege steht.
    Fischer - Dieskau, 24 Jahre alt, heimgekehrt aus der Kriegsgefangenschaft - ein idealer Interpret dieses Zyklus`!


    Ciao. Gioachino

    MiniMiniDIFIDI

  • Hallo Giachino,


    der Meinung bin ich auch. Wenn man Sagitts Theorie umsetzt,


    kann man ja die Müllerschen Gedichte gleich rezitieren, dann braucht's


    keinen Schubert und keinen Sänger.


    Ich möchte noch einmal betonen: Der Interpret der Winterreise, sollte


    eine schöne, intakte Stimme besitzen, denn nur eine intakte Stimme,


    kann die gesanglichen und interpretatorischen Anforderungen dieses


    musikalischen Meisterwerks bewältigen.



    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Eine wohl einzigartige Interpretation des "Leiermanns" habe ich auf folgender CD bestaunen können:



    Der Klavierpart gewinnt auf der Drehleier, gespielt von Matthias Loibner, eine eigenartige und neue Intensität. Ich würde das Stück gern immer mit Drehleier hören! Die Stimme der bis vor kurzem in Graz lebenden bosnischen Allessängerin (im besten Sinne des Wortes!) und Musikethnologin Natasa Mirkovic-De Ro klingt, wenn man Baritone im Ohr hat, gewöhnungsbedürftig, aber mittlerweile bin ich auch davon schon hingerissen.
    Auch ein schönes sephardisches Lied, "Adio Querida", kann man auf dieser CD hören, der Rest ist unklassisch ("musikethnologisch"), aber trotzdem sehr gut.


    Liebe Grüße,
    Martin

  • ja, der großartige schweizer künstler rené zosso hatte das schon anfangs der 70er jahre in seinem konzertprogramm, ist aber meines wissens nie konserviert worden.
    (hier gibt es ein interessantes interview mit ihm, für die frankophilen, oder zumindest -phonen: ttp://www.crmtl.fr/spip.php?article70 )

  • Stutzmann finde ich hier hervorragend, vor allem ihr Umgang mit dem Vibrato. Sie scheint selbiges unter Kontrolle zu haben und es nach belieben weglassen zu können. So singt sie manche Töne vollkommen gerade oder singt sie gerade an, um dann Vibrato hinzuzunehmen. Ein interessanter Effekt. Vibratolose Töne empfinde ich als kalt aber auch sehr rein, was der Winterreise durchaus zuträglich ist. Deswegen ist Stutzmanns Winterreise in meinen Top 10, sie ist allerdings die einzige weibliche Interpretin hier.


    Fassbaenders Winterreise gefaellt, obwohl ich sie als Liedinterpretin schätze (Wolf: Feuerreiter). Als ich gehört habe, dass sie "Schlossen" mit kurzem o singt, hab ich die Aufnahme weggelegt.


    Christa Ludwig gefällt mir hier überhaupt nicht, das kann ich aber schwer begründen.

  • Zitat

    Original von Theiresias
    ...
    Fassbaenders Winterreise gefaellt, obwohl ich sie als Liedinterpretin schätze (Wolf: Feuerreiter). Als ich gehört habe, dass sie "Schlossen" mit kurzem o singt, hab ich die Aufnahme weggelegt.
    ...


    Sie hatte aber auch jeden Grund dafür! Das Pech dabei ist, dass sie offenbar einen falschen Text hatte. Den richtig heißt es natürlich Schloßen (mit langem O).


    ;)

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Einmal einen langen Vokal kurz zu singen, ist natürlich ein k.o.-Kriterium...


    Was macht man denn dann mit Britten/Pears oder anderen Nichtmuttersprachlern, bei denen so was (und schlimmeres) viel häufiger vorkommt...?


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • nicht anhören nat. - spontan fällt mir vor allem Bostrige ein...
    wobei Thomas Hamspon bzw. Rene Flemming ein hervorragendes deutsch singen... ausnahmen bestätigen die regel.

  • Hallo zusammen,


    The Schubert-Institute (UK) notiert insgesamt 467 Aufnahmen der Winterreise. Ich hab mal herausgefiltert, in welcher Häufigkeit dabei welche Stimmen vorkommen:


    Tenor 103
    Bariton 211
    Baßbariton 64
    Baß 38
    Mezzosopran 21
    Sopran 8
    Alt 2


    Interessant ist auch, welche Instrumentalaufnahmen gelistet sind:
    Je 1x Cello mit Klavierbegleitung, Bratsche mit Klavierbegl., Saxophon mit Klavierbegl.
    dann noch je 1x Klavier solo und Posaune solo

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Zitat

    Original von sagitt
    Sagitt meint:



    Tabea Zimmermann Viola fehlt dann.
    War mit Shirai Höll zusammen veröffentlicht.


    Lieber Hans,


    welchen Unterschied machst du zwischen Viola und Bratsche?
    Die Aufnahme Tabea Zimmermann/Shirai Höll ist die oben erwähnte.
    :hello:

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Hinsichtlich der Instrumentalbegleitung eine sehr interessante Aufnahme. Die Stimme Prégardiens muß man allerdings mögen, mir klingt seinTenor zu kühl und schneidend. Seine Diktion allerdings ist hervorragend.


    Freundliche Grüße Siegfried

  • Hallo Siefried,


    einverstanden, Pregardien war nie " mein" Tenor, aber die Bearbeitung ist eine weitere Bereicherung. Da kommen Klangfarben raus, die ein Klavier einfach nicht hat.


    Schöne Grüsse


    Hans

  • Wer mir die Winterreise das erste Mal live vorgesungen hat, weiß ich nicht mehr, meine erste CD-Einspielung war mit Bernd Weikl/ Helmut Deutsch. Diese Version mag ich noch immer sehr gerne, auch wenn sie damals bei den Kritiken nicht sehr gut ankam. Weikl hat sicher nicht die schönste Stimme aller Zeiten, aber seine Interpretation hat mich sehr berührt. – Übrigens stimme ich vollkommen zu, dass man für diesen Zyklus eine absolut intakte Stimme haben muss. Es muss nicht alles im "Schöngesang" dargeboten werden, zugunsten der Interpretation darf dann schon mal ein rauher Ton etc. kommen. Aber nach Möglichkeit "beabsichtigt", und nicht, weils nicht anders geht…


    Auch wenn es sich dann nicht mehr um die Originaltonarten handelt (und ich pflichte schon bei, dass Schubert sich sicher etwas dabei gedacht hat!), bevorzuge ich für diesen Zyklus die tief(er)en Stimmen, weil’s für mich eine andere Grundstimmung erzeugt. (Winter = „dunkel“? Vielleicht.) Dennoch erinnere ich mich gerne an eine Liveversion in Linz mit Hans-Peter Blochwitz.


    Dürfen Frauen diesen Zyklus singen? Warum nicht, wenn es in sich stimmig ist? Dann werden halt nicht eigene Erlebnisse erzählt, sondern es wird quasi aus dem Tagebuch eines anderen vorgelesen (-gesungen), damit habe ich kein Problem. Als (passionierte Hobby-)sängerin kann ich nur zu gut verstehen, dass man diese Lieder nicht nur hören, sondern selbst "durchleben" möchte.


    Thema Suizid: Für mich war früher klar: Der Müller stirbt, der Winterreisende überlebt. Bis dann irgendwer mal gemeint hat, dass das völlig falsch sei, auch die Winterreise gehe letal aus. Der Leiermann wäre doch nur ein Symbol für den Tod etcetc. Mittlerweile – was auch immer "analytisch-tiefenpsychologisch" etc. "richtig" ist! – finde ich persönlich, dass es von der jeweiligen Interpretation abhängt, wie’s ausgeht. Bei manchen Sängern klingt es, als ob der Leiermann ein Leidensgenosse wäre, nun kann der Reisende wenigstens einem anderen Menschen sein Leid klagen, und es geht weiter. Bei anderen herrscht nur noch tiefe Resignation, und der arme Reisende wird sogar vom Tod abgewiesen und "darf nicht einmal sterben". Letzte Woche fiel mir dann die Version Robert Holl/ Oleg Maisenberg in die Hände. Nun zählt Holls Stimme nicht wirklich zu meinen Favoriten, aber seine Interpretation fand ich nicht uninteressant. Er sang (interpretierte!) diesen Zyklus von Anfang an so (lebens-)müde, dass für mich kein Zweifel besteht; Dieser Reisende tritt seinen Letzten Weg an. Offenbar kann man den Zyklus wirklich ganz unterschiedlich deuten und interpretieren...


    Vielleicht zählt die Winterreise deshalb zu meinen Lieblingszyklen, weil es eben so viele Aspekte gibt. Vielleicht aber auch "nur", weil die Musik einfach unglaublich ist… :jubel: :jubel: :jubel:


    Liebe Grüße aus Wien!
    vedriel

  • Bisher war die Winterreise für mich doch immer ein Werk, das ich mir nur von Baritonen adäquat gesungen vorstellen konnte - wie an anderer Stelle erwähnt, ist meine Lieblingsaufnahme die von Prey/Sawallisch.
    Nicht zuletzt durch das erneute Studium der Beiträge hier begann ich mich dann aber, für die Aufnahmen von Peter Anders zu interessieren. Neulich hatte ich Gelegenheit, in die Aufnahme von 1948 hineinzuhören und war sehr angetan davon. Einigen Beiträgen entnehme ich, dass die Aufnahme von 1945 in mancherlei Hinsicht noch reizvoller sein könnte.
    Kennt jemand beide Aufnahmen und könnte sie kurz vergleichen? Mich interessiert natürlich der Vergleich der Interpretationen, aber auch der Aufnahme-Qualität - die von 1948 fand ich überraschend gut.

    Herzliche Grüße
    Uranus

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  • Lieber Uranus,
    die Plattenaufnahme von 1945 ist ausdrucksmäßig kaum zu übertreffen,
    auch sang Anders trotz der nur drei Jahre Unterschied, noch leichter und lyrischer, als in der WDR-Aufnahme von 1948. Das soll nicht heißen, daß diese Aufnahme schlechter ist als die erste, aber eben doch anders.
    Man sollte schon beide Einspielungen besitzen, da sie ja auch preisgünstig zu bekommen sind.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Sagitt meint:


    Interessanterweise doch eine Aufnahme, bei de Anders sich nicht als technisch versierter Liedersänger zu erkennen geben kann. Nun, Anfang 1945, man kann es sich eigentlich gar nicht vorstellen.Zwischen Bombenangriffen diese Aufnahme ?


    Grossartig: Wege zur Musik, Winterreise, Bayerischer Rundfunk

  • Die Winterreise habe ich vor Jahren ( ich war in einer psychischen Krise) über einen längeren Zeitraum täglich mindestens zwei- bis dreimal gehört - ich war regelrecht süchtig danach! :rolleyes:
    Bescheidene vier Aufnahmen nenne ich mein, und zwar die von H. Prey, Peter Schreier, Dietrich Fischer-Dieskau und Rudolf Knoll.
    Am liebsten höre ich aber Hermann Prey und Rudolf Knoll, also bevorzugt "Baritöne". Ja, und wie bereits hier im Thread erwähnt wurde, ist Fischer-Dieskaus Gesang auch mir technisch zu perfekt, denn das Gefühl, der Schmerz, die Einsamkeit, Hoffen und Bangen vermisse ich bei ihm.
    Bis zum heutigen Tage höre ich immer wieder mal die Winterreise, und immer wieder ist es mir ein besondres Hörerlebnis.


    Mit lieben Grüßen,


    diotima. :hello:

  • Zitat

    Man sollte schon beide Einspielungen besitzen, da sie ja auch preisgünstig zu bekommen sind.


    Hallo Herbert,
    wahrscheinlich ist mein Herumreiten auf der Klangqualität gerade bei diesem Werk etwas befremdlich, aber: Gibt es technisch wesentliche Unterschiede zwischen den beiden Aufnahmen?

    Herzliche Grüße
    Uranus

  • Sagitt meint:


    Ich hatte die 45er Anders-Aufnahme jahrelang auf LP ( 17 cm). Dann war sie lange voim Markt verschwunden, tauchte erst bei Myoto , dann bei der DG wieder auf und ist von erstaunlicher Qualität.


    Irgendwie unvorstellbar, im Frühjahr 1945 in Berlin.


    Ich ziehe sie auch der AUfnahme 1948 vor.

  • Hallo Uranus,
    ich empfinde die klanglichen Unterschiede der beiden Aufnahmen nicht als gravierend. Vielleicht ist die 1948er Aufnahme etwas mehr verhallt, was ich allerdings nicht als positiv bewerte.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.


  • Liebe Diotima,


    neben den von dir angesprochenen Aufnahmen - von H.Prey gibts die Begleitungen von Sawallisch und Hokansson, beide sehr hörenswert - kann ich die Einspielung von Thomas Quasthoff (!) wärmstens empfehlen, aber auch die sehr gut deklamierten Tenoraufnahmen von Peter Anders und Francisco Araiza lohnen sich zu hören.

    Deine "Süchtigkeit" nach diesem Werk kann ich sehr gut nachvollziehen, mir geht es bisweilen genauso.
    :hello:

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Von den zwischen 1948 und 1980 entstandenen Winterreisen des großen Liedsängers Dietrich Fischer-Dieskau möchte ich auf die 1952 entstandene Aufnahme besonders hinweisen:



    Mich fasziniert die erstaunliche Stimmungsvielfalt und Gestaltungskraft des 27- Jährigen. :jubel:

    Freundliche Grüße Siegfried


  • Zitat

    Original-Zitat von siegfried: Von den zwischen 1948 und 1980 entstandenen Winterreisen des großen Liedsängers Dietrich Fischer-Dieskau möchte ich auf die 1952 entstandene Aufnahme besonders hinweisen:
    Mich fasziniert die erstaunliche Stimmungsvielfalt und Gestaltungskraft des 27- Jährigen.


    Das glaube ich Dir gerne, denn bei Hermann Prey, und ich denke bei jedem(r) Sänger(in) findet im Laufe der Karriere ein stimmlicher Reifeprozess statt, der sich dann im Hörvergleich - einst und jetzt - deutlich heraushören lässt.
    Leider kann ich in die Fischer-Dieskau-Cd nur reinschnipseln, aber immerhin etwas.
    Mit lieben Grüßen,
    diotima. :hello:

  • Das ist aber mal eine interessante und informative Unterhaltung! Angeregt davon hörte ich mir Winterreisen-Ausschnitte von Bostridge und Pears an, deren Aufnahmen ich noch nicht kannte.


    Während Bostridges frische und schlichte Art des Vortrags sehr wohl Gefallen finden kann, verstehe ich die geäußerte Begeisterung für Pears überhaupt nicht. Er macht sehr komische Sachen mit seiner Stimme, nur vereinzelt schöne Töne, meistens knödelt er. Da kann ich nicht lange zuhören!


    Denjenigen, die FiDis Manierismus und ausdrucksloses Getue beklagen, möchte ich ausdrücklich zustimmen. Meiner Meinung nach hat er dem deutschen Liedgut keinen Gefallen getan. Allerdings kenne ich die hier auch besprochenen frühen Aufnahmen von ihm (noch) nicht. Einstmals hatte er ja durchaus eine schöne Stimme, die ihm aber leider zu früh abhanden gekommen ist.

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