Zyklus der Verzweiflung - Schuberts Winterreise

  • Lieber Helmut!


    Zunächst mal vielen Dank für die viele Arbeit, die Du Dir machst.


    Fremd sein, das heißt: Auf sich selbst zurückgeworfen zu sein, keine Geborgenheit in einer Gemeinschaft mit anderen zu finden, kein existentielles Zuhause haben. Wenn dieses Fremd-sein als existentielle Befindlichkeit während der Winterreise erhalten bleibt, dann wird dieser Mensch bei allen Versuchen, sich zu artikulieren, zum Monolog verurteilt sein.


    Damit gehe ich nicht ganz konform. Ob ich fremd bin oder nicht, hängt von meinem Ort ab. Ich denke an eine Parole der 1990er Jahre: "Alle Menschen sind Ausländer - fast überall!" Auch als Fremder kann ich Geborgenheit in einer Gemeinschaft mit anderen haben (z. B. als Gastarbeiter mit anderen Menschen gleicher Herkunft), auch als Fremder kann ich ein existienzielles Zuhause haben (eventuell andernorts). Ich bin auch als Fremder nicht unbedingt auf mich selbst zurückgeworfen oder zum Monolog verurteilt. Pardon: Daher finde ich deine Schlussfolgerung offen gesagt weltfremd. Sieh dich in der nächsten Großstadt um, ob die "Fremden" zum Monolog verurteilt sind! - Was Du meinst, ist etwas, was gewichtiger ist als nur "fremd sein". - Vielleicht meinst Du so etwas wie "entwurzelt"?


    Der Wanderer der Winterreise ist als Fremder an den Ort seiner Liebschaft eingezogen, und er ist entweder ein Fremder geblieben (zumindest für die meisten Bewohner des Ortes) oder er ist wieder fremd geworden. Die Überhöhungen mit der Geworfenheit, der Nichtgeborgenheit, dem Ahasver-Schicksal sind beim ersten Wort noch nicht erkennbar. Eventuell im Rückblick, wenn man den ganzen Zyklus vor Augen hat - aber dann müsste man ja ganz anders argumentieren als nur mit dem ersten Wort "fremd".


    Diese Welt ist in die weiße Farbe des Todes getaucht.


    In unserem Kulturkreis ist eher schwarz die Farbe des Todes (außer bei Blumen). Sind Brautkleider denn Todeskleider? Im Orient würde Deine Behauptung eher zutreffen.


    Diese Welt ist in die weiße Farbe des Todes getaucht. Der Wanderer muss in der Dunkelheit "sich selbst den Weg weisen".


    Es fällt mir schwer, "Dunkelheit" und "weiß" gleichzeitig auf dem Weg des Wanderers zu sehen. Entweder ist es dunkel, und der Schnee bestenfalls ein mattes Grau, oder man sieht weiß. Dann ist es aber nicht (vollkommen) dunkel.


    Zwei Drittel der Lieder der Winterreise stehen in Moll. Das letze Lied, "Der Leiermann" steht in a-Moll, - und steht damit in der Quintenbeziehung zunm ersten. Der zyklische, in sich geschlossene Charakter der Winterreise ist zum Beispiel hieran erkennbar.


    Die - zutreffenden! - Beobachtungen in den ersten beiden Sätzen sind für sich alleine genommen viel zu schwach, um einen zyklischen Charakter nachweisen zu können. Schubert selbst nannte die "Winterreise" einen Zyklus, da gibt es nichts mehr zu beweisen. Man müsste nun fragen, was Schubert unter einem Zyklus versteht. (Anders herum gefragt: Wenn in einer anderen Serie zwei Drittel aller Lieder in Dur wären und das erste in C-Dur, das letzte in G-Dur, wäre das denn auch hinreichend für den Nachweis des Zykluscharakters? - Zum Beispiel träfen alle Voraussetzungen auf die 32 Klaviersonaten Beethovens zu - 23 in Dur, 9 in moll, erste in f-moll, letzte in C-Dur. Oberdrein ist der erste Ton der ersten Sonate gleich dem letzten Ton der letzten Sonate, ich meine, Du hättest ein ähnliches Argument bei der Winterreise ins Spiel gebracht ... )


    Wandern kann man auch dieses Lied nicht: Weder auf die Viertel noch auf die Achtel des Liedes. Mit den Vierteln läuft man zu langsam, mit den Achteln zu schnell. Und das ist der entscheidende Sachverhalt für das Verständnis all dessen, was in diesem Zyklus nachfolgt:


    Ich meine, dass man es auf Viertel sehr wohl wandern kann - in einem depressiven Tempo, welches mir nicht ganz fehl am Platze scheint. Jedenfalls wäre eine solche Schrittfrequenz plausibel.


    Ich glaube aber, dass jetzt deutlich geworden ist, was ich meinte, als ich in meinen sechs Thesen zur Winterreise von einem in seiner Grundstruktur monologischen Prozess sprach, als der sich die Abfolge der Lieder darstellt. Sie sind Stationen einer Wanderung im seelischen Innenraum eines verlorenen Menschen.


    Eigentlich hast Du nur etwas zum ersten Lied gesagt. Wie soll daraus die Prozessstruktur des gesamten Zyklus deutlch werden? Ich habe es jedenfalls nicht verstanden, aber vielleicht liegt das an mir. Ich habe auch nicht verstanden, was Deine Argumente für "Stationen einer Wanderung im seelischen Innenraum eines verlorenen Menschen" sind.


    Abermals danke ich Dir für Deine Geduld, Deine Thesen argumentativ zu untermauern.

  • Damit gehe ich nicht ganz konform. Ob ich fremd bin oder nicht, hängt von meinem Ort ab. Ich denke an eine Parole der 1990er Jahre: "Alle Menschen sind Ausländer - fast überall!" Auch als Fremder kann ich Geborgenheit in einer Gemeinschaft mit anderen haben (z. B. als Gastarbeiter mit anderen Menschen gleicher Herkunft), auch als Fremder kann ich ein existienzielles Zuhause haben (eventuell andernorts). Ich bin auch als Fremder nicht unbedingt auf mich selbst zurückgeworfen oder zum Monolog verurteilt. Pardon: Daher finde ich deine Schlussfolgerung offen gesagt weltfremd. Sieh dich in der nächsten Großstadt um, ob die "Fremden" zum Monolog verurteilt sind! - Was Du meinst, ist etwas, was gewichtiger ist als nur "fremd sein". - Vielleicht meinst Du so etwas wie "entwurzelt"?


    Lieber Wolfram,


    wenn ich mir die letzten 4 Verszeilen der 3. Strophe von "Gute Nacht" (und ich sehe das Wort "Gott" nicht religiös) und die letzte Strophe von "Die Wetterfahne" ansehe, kommt mir ein anderes "Fremdsein" in den Sinn, als Du es beschreibst.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Lieber Zweiterbass,


    3. Strophe, letzte vier Zeilen:
    "Die Liebe liebt das Wandern -
    Gott hat sie so gemacht -
    Von einem zu dem andern.
    Fein Liebchen, gute Nacht !"


    (Nur am Rande: Kann es sein, dass Wilhelm Müller hier bittere Ironie im Sinn hatte? An dieser Stelle komme ich regelmäßig ins Grübeln: Der, der sich wegen einer enttäuschten Liebe auf die Wanderung begibt, der singt "Die Liebe liebt das Wandern" - oha.)


    Ich sehe hier aber keinen Bezug zum Fremdsein.


    Helmut hat aber so argumentiert, als ob mit dem ersten Wort bereits alles klar wäre. Helmut sagt: "Fremd sein heißt: ... " - und da widerspreche ich. Da sage ist: Dem ist vielleicht nicht ganz so, man muss eventuell andere Strophen und Lieder hinzuziehen, um diese Argumentation zu stützen. Fremd heißt durchaus nicht immer das, was er dann nennt. Man muss also den weiteren Kontext hinzuziehen, so wie Du das gemacht hast, und damit argumentieren. Die Behauptung

    Zitat

    Ein Fremder sein, das ist jetzt sein Schicksal auf seinem weiteren Weg.


    bedarf jedenfalls der weiteren Untermauerung. Allein aus dem ersten Wort ist sie m. E. nicht ableitbar. Aus weiteren Strophen und Liedern des Zyklus' vielleicht - aber genau das ist nicht geschehen.


    Wohlgemerkt: Ich stelle keine (noch) Fragen zu Helmuts Aussage, nur zu seiner Argumentation, die mir nicht hinreichend schlüssig erscheint. Und das versuche ich zu belegen.

  • Zitat Wolfram:


    "Helmut hat aber so argumentiert, als ob mit dem ersten Wort bereits alles klar wäre."


    Nein, das hat er nicht. Er ist bei seinen Inhaltsbestimmungen des Wortes "fremd" natürlich von diesem Gedicht und von dem ausgegangen, was anschließend in der Winterreise zu diesem "Fremd-Sein" gesagt wird. Das Problem der Befindlichkeit von Ausländern in einer deutschen Stadt ist nicht mein Thema. Ich möchte einfach bei der Winterreise bleiben.


    Im übrigen: Mir ist keineswegs "alles klar".


    Interessant ist Deine Frage, lieber Wolfram:


    "(Nur am Rande: Kann es sein, dass Wilhelm Müller hier bittere Ironie im Sinn hatte? An dieser Stelle komme ich regelmäßig ins Grübeln: Der, der sich wegen einer enttäuschten Liebe auf die Wanderung begibt, der singt "Die Liebe liebt das Wandern" - oha.)"


    Die habe ich mir auch schon gestellt. Es ist wohl ein Ton von Ironie in diesen Versen, und der passt auch sehr gut in die seelische Verfassung, in der dieser Mensch sich befindet. Es ist das, was mit "bittere Ironie " nennt. Diese Verse schillern auf faszinierende Weise zwischen einer noch vorhandenen inneren Bindung an das "Mädchen" und dem Gefühl, von ihm zutiefst verletzt worden zu sein. Aus einer solchen Situation wird "bittere Inronie" geboren.

  • Das erste Wort ist dasjenige, das dem ganzen Zykus den entscheidenden Akzent verleiht: "Fremd". Der Protagonist ist als ein Fremder in eine Welt eingezogen, die, wie sich später zeigt, von typisch bürgerlichen Maßstäben geprägt ist, und er zieht als Fremder wieder aus. Ein Fremder sein, das ist jetzt sein Schicksal auf seinem weiteren Weg.


    Fremd sein, das heißt: Auf sich selbst zurückgeworfen zu sein, keine Geborgenheit in einer Gemeinschaft mit anderen zu finden, kein existentielles Zuhause haben. Wenn dieses Fremd-sein als existentielle Befindlichkeit während der Winterreise erhalten bleibt, dann wird dieser Mensch bei allen Versuchen, sich zu artikulieren, zum Monolog verurteilt sein.


    Lieber Helmut,


    dann habe ich Dich ganz sicher falsch verstanden, aber für mein Verständnis hebt Deine Argumentation auf dem ersten Wort "fremd" ab.


    Für das Wort "fremd" gibst Du eine Definition, für die m. E. beweispflichtig wäre, dass sie die Müllersche/Schubertsche ist. Mit anderen Worten: Du müsstest beweisen, dass - abweichend vom üblichen Sprachgebrauch - das Wort "fremd" hier schon für "auf sich selbst zurückgeworfen", "keine Geborgenheit in der Gemeinschaft mit anderen", "kein existenzielles Zuhause" steht. Diesen Beweis bleibst Du m. E. schuldig.


    Das finde ich schade, denn Deine These hat ja etwas für sich.

  • Hallo Helmut,
    Hallo Wolfram,


    warum seht ihr die fraglichen 4 Verszeilen nicht in Verbindung zur Wetterfahne, 3. Strophe - dort geht es nicht um Liebe, sondern um handfeste bürgerliche Interessen. Freilich ist der Wanderer zutiefst verletzt, sieht aber als Trost - und um besser über seine immernoch vorhandene Liebe hinweg zu kommen - dies als "wahre" Ursache; die 2. Strophe könnte darauf ein Hinweis sein? Die 4. Strophe von "Gute Nacht" ist doch ein Anhaltspunkt dafür, wie wenig er seiner Liebsten "böse" ist. Dies Alles als Spiegelung innerer Vorgänge.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Lieber zweiterbass,



    Du fragst:


    "warum seht ihr die fraglichen 4 Verszeilen nicht in Verbindung zur Wetterfahne, 3. Strophe - dort geht es nicht um Liebe, sondern um handfeste bürgerliche Interessen"


    In meinem obigen Beitrag ( Nr. 450) findest Du folgenden Satz:


    "Der Protagonist ist als ein Fremder in eine Welt eingezogen, die, wie sich später zeigt,von typisch bürgerlichen Maßstäben geprägt ist, und er zieht als Fremder wieder aus. Ein Fremder sein, das ist jetzt sein Schicksal auf seinem weiteren Weg".

  • Schubert komponiert seine Lieder in enger Anlehnung an den lyrischen Text, in so enger, dass er daraus Musiksprache macht. Man kann darüber in dem Thread "Schuberts Ausnahmerang" nachlesen, der jetzt, Alfred sei Dank, wieder voll nutzbar ist.


    Dieses Verwandeln von lyrischer Sprache in Musiksprache ist natürlich auch an dem Lied GUTE NACHT sehr schön zu erkennen. Der Protagonist der Winterreise ist einer, den man aus dem Haus "hinausgetrieben" hat, in dem er sein bürgerliches Glück mit einer Frau suchte. Dieses Hinausgetriebensein stellt sich ihm auf schmerzhafte Weise als ein Verstoßensein aus der bürgerlichen Welt schlechthin dar. Er ist in ihr zum "Fremden" geworden, zu einem Menschen, der auf sich selbst zurückgeworfen ist, kein Zuhause mehr hat, und dem nichts anderes mehr bleibt, als in einer winterlich abweisenden Welt umherzuirren.


    Dieses FREMD-SEIN in der Welt, das Ausgestoßensein aus ihr, das in Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit mündet und das immer mehr vom Bewusstsein begleitet wird, dass nur noch der Tod als Zukunft dieses Lebens bleibt, ist der zentrale Inhalt dieses Werkes. Das Lied GUTE NACHT ist die musikalische Eröffnung einer hoffnungslosen Wanderung im seelischen Innenraum eines Menschen, der sich als ein Verlorener sehen und empfinden muss.


    Dieses "Wandern-Müssen", das eigentlich ein "Nicht-Wollen" ist, das mit einer abgrundtiefen Müdigkeit einhergeht, die in Hoffnungslosigkeit wurzelt, - das alles kann man am musikalischen Text des Liedes ablesen, und man kann es hören. Das Lied "GUTE NACHT" setzt mit den Achteln im Klavierbass ein, die es durchgängig beherrschen und seinen Charakter prägen. Der Klavierdiskant setzt erst mit dem letzten Achtel des ersten Taktes ein. Und dann läuft diese Bewegung der Achtel im Klavier, die sich zum Gehen zu schnell und zum Wandern zu langsam entfaltet, unerbittlich weiter.


    Eigentlich müsste das Klavier auf den Einsatz der Singstimme warten. Das tut es aber nicht. Deren Einsatz kommt dann ja auch: Aber erst auf dem letzten Achtel des siebten Taktes. Sie setzt ein, als müsste sie sich dazu aufraffen und schaffe es vor Müdigkeit kaum. Sie tut es dann mit diesem musikalischen Fallmotiv ein: "f - e - d - a".


    Dieses Hineingezogenwerden der Singstimme in die immerzu pochend weiterlaufenden Achtel der Klavierbegelitung, die Tatsache, dass dies immer auf dem letzten Achtel des jeweiligen Taktes geschieht, ferner die eine Fallbewegung suggerierende Struktur der melodischen Linie, - all das bildet musikalisch dieses "Davongetriebensein" des Wanderers ab, und zugleich lässt es die unendliche Müdigkeit dieses Menschen spüren und hören, der gar nicht Wandern will, weil er nicht weiß wohin und keine Zukunft mehr vor sich sieht. Schubert hat aus lyrischem Text Musiksprache gemacht.


    Es ist übrigens überaus aufschlussreich, wenn man dieses Lied mit dem Lied DAS WANDERN aus der SCHÖNEN MÜLLERIN vergleicht. Dort wird der Klavierpart von Schubert rein instrumental eingesetzt. Das Klavier liefert die Begleitung zu einer liedhaft ausgeführten Singstimme. Hier hingegen, in der WINTERREISE, verschmilzt das Klavier mit der Singstimme. Es hat nicht nur die Funktion einer instrumentalen Begleitung, es ist, wie man hier an dem Lied GUTE NACHT sehen kann, musikalischer Mitspieler.


    Hierin besteht ein wesentlicher Unterschied ziwschen der SCHÖNEN MÜLLERIN und der WINTERREISE. Das hat auch Auswirkungen auf die Gestaltung der Singstimme. Sie kann sich in der "Winterreise" nicht einfach liedhaft entfalten, sondern entwickelt einen eigenständigen instrumentalen Charakter, der manchmal sogar so seinem eigenen Willen folgt, dass er gegen die Deklamation verstößt.


    Aber das ist ein eigenes Kapitel.

  • Lieber Helmut, lieber Wolfgang,


    Frage an Beide:


    Unter welcher Annahme hat Müller den Gedichtzyklus verfasst:


    1.Als Vorgang einer inneren Seelenwanderung, aber doch den zeitlichen Rahmen berücksichtigend - dann kennt Müller (fiktiv) und folglich mit ihm der Wanderer im 1. Gedicht den/die Inhalt/Vorgänge des 2. und Weiterer nicht.


    2. Wie 1., aber die gesamt Seelenwanderung ist ab 1. Gedicht Müller (nur ihm) bekannt, mit der Folge, dass im 1. Gedicht Gefühle, die erst durch Vorgänge in den späteren Gedichten erklärbar sind, nur als Folge von durchscheinen/"im Unterbewußtsein vorhanden"/aus der inneren Einstellung des Wanderers herrührend denkbar sind.


    Bitte um Verzeihung für meine wenig professionelle Frage und danke für die Antwort.


    Herzliche Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Lieber zweiterbass,


    Wilhelm Müller hat die 1823/24 entstandenen Gedichte, die er unter dem Titel DIE WINTERREISE veröffentlicht hat, als in sich geschlossenes dichterischeres Werk verstanden. Es handelt sich also nicht um eine Sammlung von Gedichten, die mehr oder weniger zufällig entstanden sind und nur das Thema "Wandern" als inhaltliche Klammer aufweisen.


    Sie sollen, und das war seine Absicht, die Seelenlage eines Menschen in poetischen Bildern schildern, der, weil von der Geliebten vertoßen, sich als Ausgestoßener aus der Gesellschaft fühlt und durch eine winterliche Landschaft irrt, ohne jede andere Hoffnung als die auf den Tod.


    Diese Gedichte müssen also als aufeinander abgestimmt gelesen werden. Das erkennt man ja auch daran, dass sie alle um dasselbe Thema kreisen und dass bestimmte Motive und Symbole wiederkehren und insofern eine innere Verbindung herstellen.


    Es ist also, um die Frage, die Du gestellt hast, klar zu beantworten, durchaus zulässig, in dem ersten Gedicht (GUTE NACHT) eine Art programmatischen Entwurf zu sehen, der für alles, was nachfolgt, sozusagen die "Weichen stellt".

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  • Lieber Helmut,


    was hältst Du eigentlich von der von Moderato ins Spiel gebrachten These, dass die Winterreise eine in Metaphern gekleidete Kritik am Metternichschen System sei? Manche Widersprüche des Textes, wie die Länge der Reise, verschwinden sofort, andere Bilder entfalten erst vor dem Hintergrund dieses Wissens ihre volle Kraft.


    Schubert komponiert seine Lieder in enger Anlehnung an den lyrischen Text, in so enger, dass er daraus Musiksprache macht.


    Lieber Helmut, leider verstehe ich diese Aussage nicht, weil ich nicht weiß, was Du mit "Musiksprache" meinst. Ist denn nicht Mozarts "Veilchen" auch Musiksprache? Harnoncourt hat das Wort "Musiksprache" auch verwendet, aber er hat erklärt, was er damit meint (nachzulesen in seinen Büchern, er verwendet es z. B. auch für Instrumentalmusik). So kann man das nachvollziehen und hat auch eine Grundlage für eine konstruktive Diskussion. Bitte gib mir doch Deine Definition von "Musiksprache" und sag auch, in wie weit Du Schuberts Winterreise damit von anderen Liedern abgrenzen willst (das war die Absicht, die ich verstanden zu haben glaube).


    Dieses Hinausgetriebensein stellt sich ihm auf schmerzhafte Weise als ein Verstoßensein aus der bürgerlichen Welt schlechthin dar. Er ist in ihr zum "Fremden" geworden, zu einem Menschen, der auf sich selbst zurückgeworfen ist, kein Zuhause mehr hat, und dem nichts anderes mehr bleibt, als in einer winterlich abweisenden Welt umherzuirren.


    Fremd war er ja schon, als er eingezogen war, und er hat in der Folgezeit ja offenbar glücklichere Tage erlebt. Was hält den Wanderer davon ab, zu denken, dass diese neue Fremdheit nicht wieder in glücklichere Zeiten münden könnte?


    Dieses FREMD-SEIN in der Welt, das Ausgestoßensein aus ihr, das in Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit mündet und das immer mehr vom Bewusstsein begleitet wird, dass nur noch der Tod als Zukunft dieses Lebens bleibt, ist der zentrale Inhalt dieses Werkes.


    ... und wenn die politische Hypothese doch stimmen würde ... ?


    Sie tut es dann mit diesem musikalischen Fallmotiv ein: "f - e - d - a".


    Ist auch das Big-Ben-Motiv (fis - e - d - a) ein Fallmotiv vergleichbarer Tragik?

  • Lieber Wolfram, Du fragst:


    "was hältst Du eigentlich von der von Moderato ins Spiel gebrachten These, dass die Winterreise eine in Metaphern gekleidete Kritik am Metternichschen System sei?"


    Meine Antwort: Nichts, denn es fehlt dafür jegliche Textgrundlage. Es gibt ausführliche Untersuchungen zum sog. "Schubertkreis" und seine Rolle im "System Metternich". Ich lasse die Literaturangaben weg (kann sie aber gerne liefern) und fasse das Ergebnis zusammen, über das Konsens besteht:


    Schubert war als Künstler ein unpolitischer Mensch. Seine Musik, insbesondere seine Lieder, verstehen sich als Akt der inneren Emigration aus dem restaurativ-repressiven System der Metternicht-Ära in eine Gegenwelt der Kunst. Repräsentatativ dafür sei auf das Lied "AN DIE MUSIK" (Text Franz Schober) verwiesen.


    Du stellst fest:


    "leider verstehe ich diese Aussage nicht, weil ich nicht weiß, was Du mit "Musiksprache" meinst"


    Ich hatte diesbezüglich auf den Thread "Schuberts Ausnahmerang" hingewiesen. Da steht alles dazu drin. Man muss hier im Forum auf das aufbauen können, was schon ausführlich erörtert und klargestellt wurde. So gibt es in diesem Thread einen Abschnitt, in dem exakt herausgearbeitet wurde, welche Veränderungen Schubert an der Vorlage zur Winterreise von Wilhlem Müller vorgenommen hat (Moderato war u.a. daran beteiligt). Das scheinst Du auch nicht zu kennen, wie aus einem Deiner vorangegangenen Beiträge hervorgeht.


    Du fragst:


    Was hält den Wanderer davon ab, zu denken, dass diese neue Fremdheit nicht wieder in glücklichere Zeiten münden könnte?


    Zur Frage: "Zukunft in der Winterreise" ist bereits das Wesentliche gesagt. Der Protagonist hat keine.


    Ich meine, wir sollten hier ganz eng am Thema bleiben und Abschweifungen in seine inhaltlichen Randzonen vermeiden. Sonst wird dieser Thread endlos, und am Ende wissen die Leser immer noch nicht hinreichend über die musikalische Struktur und die künstlerische Aussage der Winterreise bescheid.


    VORSCHLAG: Wie wäre es denn, wenn wir das hier so machten, wie das zweiterbass gerade im Thread "Schumanns Op. 39" auf vorzügliche Weise vormacht? Wir nehmen uns jedes Lied der Winterreise einzeln vor.

  • Zitat von »Helmut Hofmann« Sie tut es dann mit diesem musikalischen Fallmotiv ein: "f - e - d - a".


    Ist auch das Big-Ben-Motiv (fis - e - d - a) ein Fallmotiv vergleichbarer Tragik?


    Lieber Wolfram,


    bitte nicht zu sehr wundern, wenn ich nun Matthäus 11,15 zitiere, es passt so schön:


    "Wer Ohren hat, zu hören, der höre!"


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Schuberts Eigenart, seine Lieder kompositorisch so eng wie möglich am lyrischen Text zu gestalten, kann man an vielen Stellen dieses Liedes erkennen. So legt er jeweils eine Melodiezeile über ein Verspaar, darin genau der syntaktischen Struktur des lyrischen Textes folgend.


    Wie man das auch machen kann, wenn es einem nicht primär um die Struktur des Textes geht, sondern um die musikalische Artikulation der eigenen Empfindung bei dessen Rezeption, das habe ich z. B. im Thread "Sprache und Musik im Lied" am Beispiel von Hans Pfitzners Lied ABSCHIED gezeigt (Beitrag 263). Da wird einfach mal mitten in ein Verspaar eine Pause gelegt.


    Nun sollte man denken: Wenn Schubert so eng am lyrischen Text komponiert, warum unterläuft ihm dann der Deklamationsfehler im Eingangsvers: "Fremd bin ich eingezogen...". Der wird ja, was betonte und unbetonte Silben betrifft, wie folgt gesprochen: X x x / X x x / x. Gesungen wird muss er aber so akzentuiert werden: x X x / X x x / x, denn das Wort "Fremd" steht im Auftakt!


    Schubert löst dieses Problem, indem er das Wort "Fremd" auf den höchsten Ton einer mit einer kleinen Sekunde abfallenden melodischen Linie legt. Auf diese Weise gelingt ihm ein doppelter Effekt: Es kommt dieser Eindruck des Hineingezogenwerdens der Singstimme in die dahineilenden Achtel des Klaviers zustande, - und es wird zugleich der Klageton, der der kleinen Sekunde an dieser Stelle innewohnt, auf eindringliche Weise spürbar.


    Hier ereignet sich das, was Thr. Georgiades die Verwandlung von sprachlicher in musikalische Struktur, in Musiksprache also, bezeichnet hat.


    Welche Rolle diese kleine Sekunde in diesem Lied spielt, wird einem an anderer Stelle sehr deutlich. Es ist ja als durchkomponiertes Strophenlied angelegt. Durchweg herrscht in den ersten drei Strophen die Tonart d-Moll vor. Mit Beginn der vierten Strophe aber ("Will dich im Traum nicht stören...") treten Dur-Klänge an die Stelle des Molls: A-Dur-Harmonien erklingen.


    Der Grund: Der Wanderer verlässt in einer Vision seine "reale" Situation, in der er in den vorangegangenen Strophen gefangen war. Er stellt sich vor, er könne noch einmal mit seiner ehemaligen Geliebten sprechen, und er tut das auch. Dieses Ansprechen der Geliebten ist eine Art visionärer Ausbruch aus der vom d-Moll geprägten Realsituation, und deshalb setzt Schubert hier die neue, helle Tonart A-Dur ein.


    Es ist aber, - und das wird leicht übersehen! - , weniger der Wechsel der Tonart, der dieses Gefühl eines Wandels im Inneren dieses Wanderers beim Hörer auslöst, - es ist der Tonschritt, der mit "Will dich..." vollzogen wird. An die Stelle der kleinen tritt eine große Sekunde, an die Stelle des "f" tritt ein "fis" ! Der Tonschritt lautet jetzt "fis - e". Man hört also nicht mehr diesen Klageton der kleinen Sekunde, sondern empfindet das "fis" wie ein befreites Aufatmen.


    Dann aber, im letzten Vers ("An dich hab ich gedacht"), bricht das Bewusstsein seiner bedrückenden Situation wieder über den Wanderer herein: Dieser Vers ist klanglich wieder in das alles beherrschende d-Moll getaucht!


    Schubert hat diesem Vers seinen besonderen Nachdruck nicht nur durch die Rückkehr zur alten Tonart verliehen, sondern auch dadurch, dass er das "dich" der Ansprache besonders bestont. Er hat den Text von Wilhelm Müller verändert. Dort lautet dieser Vers nämlich: "Ich hab´ an dich gedacht".


    Dieses Lied ist die Eröffnung einer Wanderung, die sich in der Abfolge der weiteren Lieder als ein Vorgang darstellt, bei dem sich der Protagonist immer mehr in die deprimierende Trostlosigkeit der Bilder verstrickt, denen er sich gegenübersieht. Es sind Bilder, die sich aus einer von Wilhelm Müller mit großer Meisterschaft lyrisch gestalteten Vermischung und Synthese von seelischer Innenwelt und realer Außenwelt aufbauen.


    Das Lied GUTE NACHT hat unter diesem Aspekt einen schrecklichen Titel. Es ist ein Wunsch, der sich an die verlorene Geliebte richtet und der zugleich die Wanderung in die Nacht seines verbliebenen Lebens einleitet. Dieser Mensch hat keine Zukunft mehr. Beim Anblick eines Wegweisers wird ihm bewusst: "Eine Straße muss ich gehen, // Die noch keiner ging zurück."


    Das "Gute Nacht" enthüllt sich im Verlauf des Liederzyklus auf schreckliche Weise als ein Wunsch, der, im Rückbezug auf den Wanderer selbst, den Tod beinhaltet.

  • Schubert war als Künstler ein unpolitischer Mensch. Seine Musik, insbesondere seine Lieder, verstehen sich als Akt der inneren Emigration aus dem restaurativ-repressiven System der Metternicht-Ära in eine Gegenwelt der Kunst. Repräsentatativ dafür sei auf das Lied "AN DIE MUSIK" (Text Franz Schober) verwiesen.


    Liebe Helmut,


    du sagst. Schubert wäre als Künstler ein unpolitischer Mensch gewesen. Zum einen: Was für ein Mensch war er denn als Nicht-Künstler? Zum anderen: Das bleibt ja eine bloße unbewiesene Behauptung. In der von Moderato genannten Quelle werden Belege dafür angeführt, dass Schubert mitnichten ein unpolitischer Mensch war. Ich nenne einige Fakten aus dieser Quelle:


    Die "Gedichte aus den hinterlassenen Papieren eines reisenden Waldhornisten", die ja auch die Winterreise beinhalten, erschienen in der Leipziger Literaturzeitschrift Urania. Diese Zeitschrift wurde 1822 im Metternich-Regime verboten. Anlass dieses Verbotes war ein Text Wilhelm Müllers, des Textdichters der Winterreise. - Alleine dies gibt schon zu denken.


    Schubert entdeckt die ersten zwölf Gedichte der "Winterreise" im Jahre 1823 in der Zeitschrift Urania - das heißt, er hat sich diese Zeitschrift illegal beschafft, denn Besitz und Lektüre standen unter Strafe.


    Schubert war im Jahre 1820 kurzzeitig in polizieilichen Gewahrsam, als er bei einer Razzia aufgegriffen wurde und wurde in der polizeilichen Überwachungskartei geführt.


    Der "Winter" schließlich war eine gängige Metapher für die Politik der Restauration. Eine "Winterreise" herauszubringen, sei es als Textdichter, sei es als Komponist, war natürlich ein hochpolitischer Akt.


    Jedenfalls lässt sich das alles m. E. nicht in seriöser Weise mit einer hingeworfenen Bemerkung wie "Schubert war als Künstler ein unpolitischer Mensch." hinwegwischen, sondern bedarf der Auseinandersetzung.


    Ich meine, wir sollten hier ganz eng am Thema bleiben und Abschweifungen in seine inhaltlichen Randzonen vermeiden. Sonst wird dieser Thread endlos, und am Ende wissen die Leser immer noch nicht hinreichend über die musikalische Struktur und die künstlerische Aussage der Winterreise bescheid.


    Ich meine nicht, dass Du alleine für das Bescheidwissen der Leser verantwortlich wärest. Ohne die Größe Deines Wissens in Frage stellen zu wollen: Vielleicht weiß der eine oder andere Leser auch mehr als Du über die Winterreise oder kennt zumindest aktuellere Forschungsergebnisse, als sie Dir offenbar vorliegen - Du könntest diese Möglichkeit zumindest in Erwägung ziehen. :)


    Der Thread ist ja z. B. auch für den Austausch über tatsächlich stattgefundene Hörerlebnisse gedacht. Wie ich schon einmal sagte: Wer eine Spezialdiskussion führen möchte, kann dies ja in eigenem Thread tun. Ich finde es bedenklich, wenn jemand einen Thread über ein prominentes Werk wie die Winterreise alleine für die Ausbreitung eigener Gedankenströme bzw. wie auch immer erworbenen Wissens reklamiert (mir fehlen hier angesichts des von Dir gezeigten Niveaus und vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Diskussion in Deutschland durchaus ein paar Fußnoten ... :) ) . Diese Anmaßung widerspricht m. E. der Idee eines Internetforums, und ich fände einen Helmut-Hoffmann-Spezialthread eventuell geeigneter dafür. Den obigen Absatz finde ich ehrlich - Du sagst, wie Du diesen Thread, Deine Rolle darin und die Rolle der Leser verstehst. Aber ich sage auch, dass mir diese Ehrlichkeit daran noch am besten gefällt.

  • Zitat Wolfram:
    Ist auch das Big-Ben-Motiv (fis - e - d - a) ein Fallmotiv vergleichbarer
    Tragik?


    ....wohl eher nicht ;) weil es ja dann in D-Dur ist, und Dur klingt
    nun einmal normalerweise längst nicht so tragisch wie moll, nicht wahr.
    Aber ich denke den Zusammenhang zwischen Big-Ben
    und Winterreise wird man nicht wirklich konstruieren können.... ;)


    Es gibt ja diese verdurte Version in "Gute Nacht", und zwar im Pianissimo, unglaublich zerbrechlich .....beginnt glaube ich bei "sollst meinen Schritt nicht hören...."
    Da wird der Hörer dann durch diese musikalische Massnahme Schuberts aus der unerbittlich harten Realität des Molls in die sanfte, verdurte, freundlichere und aufgehellte Traumwelt, in den inneren Menschen des Wanderes mitgenommen, der ja immer noch liebe und warme Gedanken für das Mädchen hat.
    Die Achtel gehen zwar weiter, aber die Unerträglichkeit der harten Realität scheint in diesen Momenten vergessen zu sein.


    Zum Schluss dieses Liedes hin zeigt die Musik dann ja sehr schön, ungefähr beim zweiten "Feinsliebchen Gute Nacht", dass es nur ein warmer, tagträumerischer Gedanke war, und der Wanderer melancholisch und resignierend doch die Realität anerkennt, dass er sich jetzt durch Eis und Schnee weiterquälen
    muss, und nicht mehr bei ihr sein kann.
    Wie ich soeben bemerke, habe ich bei der Durchsicht des Threads übersehen, dass Helmut Hofmann genau dieses Stelle ja auch schon bespricht - nun denn, jetzt habe ich es geschrieben und lasse es auch stehen.


    Ich verstehe nur nicht, weshalb das Motiv f- e- d-a- so isoliert betrachtet wird, denn der erste Teil der Phrase endet doch erst hier:


    f-e-d-a-f(nun eine Oktave tiefer)-e (betont und punktiert), f- e , .....


    Ohne Noten sieht es schon recht verwirrend nur in Buchstaben
    aus....


    Auf jeden Fall macht die Phrase in Entsprechung zum Komma des Textes: "Fremd bin ich eingezogen, ..." doch erst hier, hinter "gen" ein Komma, bei der ein schwacher Sänger atmen könnte (ein guter Sänger sollte hier zwar nicht atmen, aber doch etwas abphrasieren und keineswegs ein kleines crescendo zur nächsten Note, mit dem anschliessenden Satzteil: "fremd zieh ich wieder aus" machen)
    Sonst wäre das tragische Motiv ja schon bei "Fremd bin ich ein ----" , also mitten im Wort zu Ende - das kann doch wohl so nicht richtig sein?


    Oder geht es um motivische Bausteine, die später in anderen Liedern des Werks wieder auftauchen? Wäre mir nicht bekannt, aber ich habe mich auch nicht damit beschäftigt, ausser ganz normalem Musikhören.
    Was ich hier sage ist also nur aus dem Gedächtnis zitiert; habe jetzt weder Noten noch eine CD zur Hand.


    Natürlich nutzt Schubert die emotionale Wirkung der Intervalle gerade bei den ersten Noten des Sängers aus ( taucht ja schon vorher im Klaviervorspiel auf):


    Der Klavierbass verbleibt orgeltonartig auf dem Grundton. Die erste gesungenen Note auf dem Wort "fremd" ist die dazu die Mollterz (bzw. die Moll Dezime).


    Wenn man nur bis zu dieser Note singt und dann Sänger und Pianist dann unmittelbar aufhören, dann klingt es bereits tragisch.....“fremd“ ...irgendwie schmerzerfüllt.
    Dadurch dass die das traurige Tongeschlecht "Moll" ausmachende Mollterz als höchster Melodieton gesetzt wurde, hat Schubert durch den schmerzlichen Charakter dieses Intervalls die emotionale Wirkung auf dem Wort „Fremd“ schon betont.


    Die nächste Note wäre dann die 9 bzw. die 2, also die None oder auch die Sekunde auf dem Wort „bin“. Ein Nonenvorhalt wirkt im Mollzusammenhang immer leidend, schmerzvoll und muss(te) entweder in die 8 (bzw. 1) oder die 3 (bzw. 10, je nach dem, in welcher Oktave man spielt/singt) aufgelöst werden.
    Mit den Zahlen meine ich die Intervalle, also 3 = Terz.


    Typische rhetorische Figuren aus der Welt der Barockmusik wie z.B. Katabasis oder Anabasis kann ich in Verbindung zum Text hier jedoch nicht
    ausmachen. Eine derart unmittelbare und systematisiert-direkte Textauslegung mit Hilfe der musikalischen Rhetorik, wie man es bei Schütz oder Bach sowohl vokal -als auch instrumental entdecken kann, scheint meinen aus dem Gedächtnis herbeigerufenen Höreindrücken nach für Schubert nicht mehr in dieser direkten Form eine Rolle gespielt zu haben, wobei die Schubert-Experten über solche Dinge wohl besser informiert sein werden.


    Unbestritten hat er aber seine eigene, sehr eindringliche, geniale und nachvollziehbare Klangsprache zur Textausdeutung gefunden.


    In diesem Beispiel fällt die Linie anfangs zwar, ähnlich wie bei einer Katabasis.
    Aber der Text „fremd bin ich eingezogen“ ist nicht so direkt wie im Barock damit verbunden ( da eine Linie oder eine Melisma natürlich immer nach unten,
    wenn ein Sänger z.B. bei BWV 10 singt“ ...hinunter in den Schwefelpfuhl“).


    Das fallende, „tragische“ Motiv bezieht sich also meinem Eindruck nach in indirekter Art und im grösseren Zusammenhang auf den gesamten Textinhalt, jedoch nicht
    unbedingt und direkt auf das aktuell gesungene Wort.


    Das nur als kleiner Einwurf zum Thema "tragisches Fallmotiv", welches aus meiner Sicht schon in den ersten Tönen den Tonfall der Verzweiflung ( siehe Titel des Threads) anschlägt.



    :hello:


    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Lieber Glockenton,


    ich wünsche mir sehr und würde mich über die Erfüllung meines Wunsches noch mehr freuen, wenn Du öfter in dieser Art im Kunstliedforum posten würdest - und ich bin mir absolut sicher, das ist nicht nur mein Wunsch!


    Herzliche Grüße
    zweiterbass


    Nachsatz: Kennst Du das Glockengeläute - 11-stimmig! - der Friedenskirche (leider 1500 m Luftlinie von meiner Wohnung entfernt) in Nürnberg? Ich glaube, es hat die tiefste (fiso, 8330kg) Glocke Bayerns; im Internet gibt es eine Seite: "Glocken und Geläute aus Bayern" - dort kann man es, unter über 300 anderen, anhören, die Gewichte und Tonhöhen nachlesen und es gibt auch einige Bilder.

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler


  • Lieber Glockenton,


    vielen Dank für Deine Erläuterungen, welche ich sehr hilfreich fand!


    Ich widerspreche ja nicht der Behauptung Helmuts. Nur meine ich, dass die Stringenz seiner Argumentation nicht ganz das Niveau hält, das er ansonsten inhaltlich vorgibt - das ist eigentlich schade. Du hast natürlich vollkommen recht: Es genügt nicht, zu sagen, dass es sich um ein Fallmotiv handelt - und da ist das Big-Ben-Motiv, das bis auf die Durterz identisch ist, eben das Gegenbeispiel, das die logische Lücke in der Argumentation Helmuts offenlegt. - Es genügt im schriftlichen Diskurs eben nicht, das Richtige zu denken, man muss es auch schreiben, um sich mitzuteilen - selbst, wenn es gar so offensichtlich ist.


    Vermutlich wirst Du nicht einer vordergründigen Unterscheidung "moll ist viel tragischer als Dur" zustimmen. Ich denke z. B. an die Arie "Che faró senza Euridice" aus Glucks "Orfeo", die im Moment höchster Tragik in C-Dur steht, aber auch an manchen Walzer von Chopin, der trotz Molltonart nicht unbedingt tragisch klingt.


    Wichtig scheint mir bei der Anfangszeile des ersten Liedes der "Winterreise" auch, dass der Nonvorhalt "e" stets auf betonter Zeit erklingt, die Töne d und f stets auf unbetonter Zeit. Das "a" - die unbestimmte Quinte - erscheint ebenfalls auf betonter Zeit. - Von besonderer Wirkung ist in der dritten Strophe in D-Dur natürlich der Sekundakkord auf D (also E-Dur mit Sept im Bass), von dem eine besonders ätherische Wirkung ausgeht. Schubert hätte ja einfach - wie auch in den ersten beiden Strophen - einen subdominantischen Akkord setzen können (also G-Dur oder g-moll), das "e" der Melodie wäre dann die Sexte - nichts Ungewöhnliches in subdominantischen Bezirken. Man spiele beides und staune über den Unterschied - wie trivial klänge doch die G-Dur-Lösung gegenüber der an dieser Stelle unerwarteten Doppeldominante!


    Vielleicht würde es die Übersichtlichkeit der Helmutschen Darstellung nutzen und wäre daher für alle seine Leser ein Gewinn, wenn er ein eigenes Unterforum "Die Winterreise" starten würde und darin für jedes Lied einen eigenen Thread eröffnete. Gäbe es darüber hinaus noch einen Thread, der als Übersichtsartikel aufgebaut wäre und fallweise mit den liedbezogenen Threads verknüpft wäre, so könnte dies eine Plattform sein, die den Wünschen Helmuts nach Breite und Tiefe vielleicht besser Rechnung tragen könnte.

  • Nur meine ich, dass die Stringenz seiner Argumentation nicht ganz das Niveau hält, das er ansonsten inhaltlich vorgibt - das ist eigentlich schade.


    Hallo Wolfram,


    Äußerungen dieser Art finde ich...(Musik ohne Taktgefühl, undenkbar)


    Für mich ist es "das Pferd von hinten aufgezäumt", wenn man Interpretationsvergleiche anstellt, bevor man sich über den textlichen Liedinhalt klar ist, worauf dann die Frage der musikalischen Umsetzung folgen müsste und erst dann...


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Hallo Wolfram,


    Äußerungen dieser Art finde ich...(Musik ohne Taktgefühl, undenkbar)


    Lieber Zweiterbass,


    vielen Dank für Dein Feedback! Natürlich ist es wichtig, sich gegenseitig ab und an einzubremsen, wenn etwas aus dem Ruder laufen sollte. Ich gebe für diesen Fall vorsichtig zu bedenken, dass man aus meiner Äußerung ja auch die Motivation heraushören kann, in puncto Argumentation genauso exemplarisch zu arbeiten wie inhaltlich.


    Für mich ist es "das Pferd von hinten aufgezäumt", wenn man Interpretationsvergleiche anstellt, bevor man sich über den textlichen Liedinhalt klar ist, worauf dann die Frage der musikalischen Umsetzung folgen müsste und erst dann...


    Wer wollte da widersprechen? Aber auch hier gebe ich vorsichtig zu bedenken: Würde dieser Maßstab etwa auch an die vielen Besprechungen von Aufnahmen von Sinfonien, Opern usw. angelegt werden, so dürfte man erst dann posten, wenn man die dazugehörigen Partituren gründlich studiert hätte. Das würde die Anzahl der Beiträge wahrscheinlich stark senken. Aber vielleicht ist das nur meine Vermutung.


    Andererseits kann man eine Menge Eindrücke auch aus dem bloßen Hören gewinnen. Diese dann - auch vergleichend - zu schildern, sollte legitim sein. Die wenigsten Konzerthörer kennen das jeweilige Werk in solcher Tiefe und nehmen dennoch Eindrücke mit nach Hause.

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  • Vermutlich wirst Du nicht einer vordergründigen Unterscheidung "moll ist viel tragischer als Dur" zustimmen. Ich denke z. B. an die Arie "Che faró senza Euridice" aus Glucks "Orfeo", die im Moment höchster Tragik in C-Dur steht, aber auch an manchen Walzer von Chopin, der trotz Molltonart nicht unbedingt tragisch klingt.

    Hallo Wolfram,


    ja klar, ich stimme zu, da gibt es durchaus diese Fälle, bei denen Sachen in Moll lustig und in Dur tragisch sein können.
    Trotzdem ist es ja normalerweise so, dass wenn man nacheinander z.B. D-Dur in Terzlage und danach d-moll in Terzlage auf dem Klavier anschlägt, den zweiten Akkord als weicher, trauriger, melancholischer, tragischer etc. empfindet. Dass ein grosser Komponist auch und gerade eine Durstelle tragisch klingen lassen kann, steht ausser Zweifel.


    Wichtig scheint mir bei der Anfangszeile des ersten Liedes der "Winterreise" auch, dass der Nonvorhalt "e" stets auf betonter Zeit erklingt, die Töne d und f stets auf unbetonter Zeit. Das "a" - die unbestimmte Quinte - erscheint ebenfalls auf betonter Zeit. - Von besonderer Wirkung ist in der dritten Strophe in D-Dur natürlich der Sekundakkord auf D (also E-Dur mit Sept im Bass), von dem eine besonders ätherische Wirkung ausgeht. Schubert hätte ja einfach - wie auch in den ersten beiden Strophen - einen subdominantischen Akkord setzen können (also G-Dur oder g-moll), das "e" der Melodie wäre dann die Sexte - nichts Ungewöhnliches in subdominantischen Bezirken. Man spiele beides und staune über den Unterschied - wie trivial klänge doch die G-Dur-Lösung gegenüber der an dieser Stelle unerwarteten Doppeldominante!

    Auch dieser Absatz findet meine ungeteilte Zustimmung. Die Subdominate G-Dur wäre im Zusammenhang dieser herrlichen Stelle in der Tat eine mittlerer Katastrophe und klänge furchtbar profan, banal.....vor allem, wenn man Schuberts Harmonisierung kennt.
    Ich habe es jetzt aus Zeitgründen zwar nicht angespielt, aber ich gehe es gerade in Gedanken durch.
    Mir gefällt übrigens auch sehr der Zwischenakkord vor "sacht sacht...", den ich als typisch für Schuberts Klangsprache empfinde.


    Für mich wird wiederum deutlich, wie wichtig die Rolle der Harmonisierung im Textzusammenhang bei einem Meister wie Schubert (und nicht nur bei dem) ist.


    :hello:


    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Natürlich ist es wichtig, sich gegenseitig ab und an einzubremsen, wenn etwas aus dem Ruder laufen sollte.


    Hallo Wolfram,


    1. ist das m. E. Aufgabe der Moderatoren oder Administratoren, deren Funktion ein User nicht hat!
    2. ist es ein Unterschied ob an der Sache Kritik geübt wird oder ein User beurteilt wird, wie von Dir geschehen!
    Eigentlich wollte ich die Meldefunktion verwenden, halte es aber "tief" und rechne mit...

    Aber auch hier gebe ich vorsichtig zu bedenken: Würde dieser Maßstab etwa auch an die vielen Besprechungen von Aufnahmen von Sinfonien, Opern usw. angelegt werden, so dürfte man erst dann posten, wenn man die dazugehörigen Partituren gründlich studiert hätte. Das würde die Anzahl der Beiträge wahrscheinlich stark senken. Aber vielleicht ist das nur meine Vermutung.


    Ich würfe Äpfel nicht mit Birnen vergleichen - eine Opernarie ist ein "klein wenig anders" als ein Kunstlied und den Aufbau einer Sinfonie ohne Partitur zu verstehen, da braucht es schon sehr viel! Anhören kann man Alles, wenn's gefällt.
    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Nachsatz: Kennst Du das Glockengeläute - 11-stimmig! - der Friedenskirche (leider 1500 m Luftlinie von meiner Wohnung entfernt) in Nürnberg? Ich glaube, es hat die tiefste (fiso, 8330kg) Glocke Bayerns; im Internet gibt es eine Seite: "Glocken und Geläute aus Bayern" - dort kann man es, unter über 300 anderen, anhören, die Gewichte und Tonhöhen nachlesen und es gibt auch einige Bilder.

    Hallo zweiterbass,


    danke erst einmal für die netten Worte. Für das Thema Lied/Schubertlied kann ich mich begeistern, allerdings habe ich längst nicht soviel Ahnung von diesen Dingen wie manche andere hier. Ich besitze von der Winterreise bis jetzt auch nur vier Einspielungen :stumm: , alle mit Fischer-Dieskau.....und lebe damit ganz gut, obwohl ich ja bereits in viele andere der hier besprochenen Aufnahmen hineingehört habe, und es da sicher noch viele neue Hörerfahrungen zu machen gibt, die einem Freude bereiten und von denen man etwas lernen kann.


    Zu dieser Musik kann ich also nur als einseitig vorbelasteter Hörer und Musiker aus der Hüfte geschossen Stellung nehmen ( z.B. sagen, dass ich Brendels Klavierspiel auch in diesem Fall sehr sehr mag, und ggf. warum...), der zwar Einiges sehr gut vom Hören und Vom-Blatt-Spielen kennt, aber nicht derart tief in die Materie eingestiegen ist.
    Für mich hätte das auch einen zu hohen Preis, dass sich bei mir in Sachen Musik alles nur noch ums Lied drehen würde, wodurch ich die Freude an demselben wahrscheinlich doch etwas verlöre.
    Sollte ich einmal einen geeigneten Sänger kennenlernen, würde ich z.B. die Winterreise sehr gerne einmal einstudieren und aufführen, weil mich das Grauen fasziniert.
    Manchmal finde ich ja Schuberts Ausflüge in seelische Abgründe als wirklichen Horror - faszinierend eben, wie sich einem sämtliche Haare aufstellen und sich Gänsehaut einstellt ( ich meine das nicht metaphorisch sondern ganz direkt - das kommt mir beim Schubert-Hören ziemlich oft vor, weshalb ich nicht so oft diese Musik höre, um die starke Wirkung nicht zu sehr aufzubrauchen)


    Ich kenne hier in Norwegen einen Bariton mit schöner Stimme, bezweifle aber noch etwas, dass er das nötige Sprachgefühl mitbringt. Wir machen demnächst eine Bachkantate zusammen ( BWV 27), was mir Gelegenheit gibt, seinen deutschsprachigen Gesang einschätzen zu können.


    Bei mir gibt es ja viel eher die Gefahr, dass sich irgendwann alles nur noch um das Thema Bach und Barock dreht, weshalb ich gerne zwischendurch sowohl hörend als auch spielend einige Ausflüge in andere Gefilde, wie z.B. den Frühbarock, in die Klassik, die Romantik und in andere Musikstile mache.
    Das Kunstlied kann mich teilweise sehr fesseln, gerade wenn die Lieder aus Schuberts oder Schumanns Feder stammen; aber es gibt auch Zeiten, in denen ich mir lieber andere Musik anhöre bzw. mich damit beschäftige, weil die wieder Aspekte hat, die es beim Kunstlied so nicht gibt.


    Durch diese stetige Abwechslung hält man sich die Ohren und den Geist frisch, und man empfindet mehr Freude z.B. zu Bach, Schütz oder Gilles zurückzukehren, oder wieder einmal - so wie ich heute angeregt durch diesen Thread- eine Symphonie von Schubert zu hören (heute leider nur im Auto).
    Das befruchtet sich alles gegenseitig....
    Wenn ich also gerade in einer Phase bin, in der ich gerade für`s Kunstlied brenne ( was sicher mehr als einmal im Jahr vorkommt) und Zeit habe, dann beteilige ich mich auch hier gerne, sofern ich den Eindruck habe, noch irgendetwas Brauchbares hinzufügen zu können. Hier ist ja auch schon viel gesagt worden.


    Zum OT Glockengeläut und Glockenton:


    Wenn eine CD wie z.B. bei manchen Aufnahmen von Jordi Savall mit Glockengeläut beginnt, dann freue ich mich, weil ich den Klang und die damit einhergehende Atmosphäre mag. Allerdings nenne ich mich hier nicht deswegen "Glockenton", sondern weil für mich der Glockenton eine elementar wichtiger Grundbaustein der barocken Klangrede ist. Wahrscheinlich weist Du, wovon ich rede, aber da es ja viele Mitleser gibt, hier eine kurze Erläuterung: Man hält den Einzelton nicht wie eine Sinus-Testton bis zum Schluss mit statischer gleichbleibender Lautstärke aus, sondern lässt ihn dynamisch zurückfedern, wie den Klang einer Glocke. Unter anderem dadurch kann man der in alten Quellen aufgestellten Forderung, dass "jeder Ton sein Licht und Schatten haben muss" nachkommen ( aber es gibt noch andere dynamisch Belebungen für Einzeltöne, wie Messa di voce....führt hier aber zu weit)
    Durch diese auf alten Streichinstrumenten sehr leicht zu bewerkstelligende Massnahme wird ein sprechendes Spiel im Sinne der Klangrede in Zusammenarbeit mit der Artikulation und der Herausarbeitung von gestischen Figuren erst möglich. Gleichzeitig wird die Durchhörbarkeit einer polyphonen Musik gefördert.
    Das nur völlig OT als Antwort auf Deine Frage, bzw. Bemerkung zum "Glockenton".


    Und wo wir schon dabei sind noch ein OT: Ich singe manchmal in einem kleinen Kammerchor als "zweiter Bass" mit, also in tiefstmöglicher Stimmlage. Etwas Schöneres als die tiefsten Bässe im Chor zu singen oder den Generalbass zu spielen kann ich mir ohnehin kaum vorstellen... ;) , und besonders hoch komme andererseits auch nicht - bin auf jeden Fall kein Bariton.


    :hello:


    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Zitat Wolfram (Beitrag 465):


    "Ich finde es bedenklich, wenn jemand einen Thread über ein prominentes Werk wie die Winterreise alleine für die Ausbreitung eigener Gedankenströme bzw. wie auch immer erworbenen Wissens reklamiert (mir fehlen hier angesichts des von Dir gezeigten Niveaus und vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Diskussion in Deutschland durchaus ein paar Fußnoten ... ) . Diese Anmaßung widerspricht m. E. der Idee eines Internetforums, und ich fände einen Helmut-Hoffmann-Spezialthread eventuell geeigneter dafür."


    Ich habe über die Frage nachgedacht, wie man auf einen solchen Beitrag hier im Forum reagieren sollte. Verstanden habe ich, dass man mir "Anmaßung" vorwirft. Unklar ist mir die Andeutung mit den "Fußnoten". Erhebt man auch noch Plagiatsvorwürfe gegen mich?


    Wie auch immer. Ich denke, die angemessene Reaktion ist in einem solchen Fall: Verstummen.

  • 2. ist es ein Unterschied ob an der Sache Kritik geübt wird oder ein User beurteilt wird, wie von Dir geschehen!


    Lieber Zweiterbass,


    oh - dann lass mich doch bitte die Stelle wissen, auf dass ich meinen Fehler erkenne! - Solltest Du aber diese Stelle meinen, die Du bereits mit einem Vorwurf zitiert hattest:


    Zitat

    Nur meine ich, dass die Stringenz seiner Argumentation nicht ganz das Niveau hält, das er ansonsten inhaltlich vorgibt - das ist eigentlich schade.


    , so muss ich zu meiner Rechtfertigung sagen, dass ich nicht Helmut beurteilt habe (oder einen anderen User?), sondern lediglich sage, dass die Stringenz seiner Argumentation nicht ganz das Niveau hält, das er inhaltlich vorgibt. Das hat ja mit dem User zunächst wenig zu tun. Im Übrigen vermute ich stark, dass Helmut sehr wohl in der Lage wäre, stringent zu argumentieren, und lediglich durch den äußeren Zwang, sich kurz und möglichst präzise zu fassen hie und da Abstriche hinnehmen mag.

  • Durch diese stetige Abwechslung hält man sich die Ohren und den Geist frisch, und man empfindet mehr Freude z.B.


    Hallo Glockenton,


    meine große Freude wird bleiben, auch wenn Du nur selten hier postest.


    ...mehr Freude z. B. - ich bei Chormusik aus dem 20. Jahrhundert, oder Orgelmusik, besonders, aber nicht nur, ab Cäsar Franck.


    Ich durfte 1 x das volle Geläute der Friedenskirche ein Etage unter dem Glockenboden erleben - es war das emotional aufwühlendste Musik/Klang-Erlebnis, was ich je hatte - unvergesslich ein Leben lang.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • (mir fehlen hier angesichts des von Dir gezeigten Niveaus und vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Diskussion in Deutschland durchaus ein paar Fußnoten ... ) . Diese Anmaßung widerspricht m. E. der Idee eines Internetforums


    Nur meine ich, dass die Stringenz seiner Argumentation nicht ganz das Niveau hält, das er ansonsten inhaltlich vorgibt - das ist eigentlich schade.


    so muss ich zu meiner Rechtfertigung sagen, dass ich nicht Helmut beurteilt habe (oder einen anderen User?), sondern lediglich sage, dass die Stringenz seiner Argumentation nicht ganz das Niveau hält, das er inhaltlich vorgibt. Das hat ja mit dem User zunächst wenig zu tun.


    Eigentlich wollte ich die Meldefunktion verwenden, halte es aber "tief" und rechne mit...


    Hallo Wolfram,


    na, da habe ich mich offensichtlich ver-rechnet-----Schubert ist für mich ein Musterbeispiel an Feingefühl und Textverständnis------in seiner Musiksprache.


    Aber, gewisse Beispiele hier im Forum haben eben Folgen und das fängt beim Löschen gewisser Threads (die Entgleisungen von Usern und deren Zurechtweisung durch andere User mit ihren Folgen dokumentieren und als Lehrbeispiele hätten dienen können) nicht an und hört beim Überschreiten selbst gesetzter Grenzen nicht auf.


    In diesem Sinn
    viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Lieber Zweiterbass,


    Du bleibst etwas nebulös in Deinen Aussagen - sind Deine Sätze nun Sachaussage, Selbstaussage, Beziehungsaussage oder Appell?


    Gründe für dünnhäutige Reaktionen findet man immer - wenn man denn so reagieren will oder - rein hypothetisch jetzt - sich aufgrund einer selbstgebauten Rolle glaubt, sich so verhalten zu müssen. Ich habe mir auch (kurz) überlegt, wie auf Sätze dieser Art zu reagieren sein:

    In einem Forum, das sich dem Kunstlied verschrieben hat, stößt man in einem Thread, dessen Thema eines der bedeutendsten Werke der Liedliteratur ist, auf die Feststellung, dass Joggen nicht gleich Joggen sei, gefolgt von endlosen Auslassungen über irgendeinen Menschen namens Scot Weir und seine zwei Gitarren.
    Und man beginnt sich seines Forums zu schämen!


    Ich lese persönliche Anmaßungen wie "mein Forum", in keinster Weise zu rechtfertigende Überheblichkeit ("irgendein Mensch names Scot Weir") und stelle fest, dass ich meine Satisfaktionsfähigleit offenbar schon dadurch verloren habe, dass ich mich dazu bekannte, beim entspannten Joggen Musik zu hören. Horribile dictu!


    Sei mir nicht böse, lieber Wolfram, aber ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Hier verschlägt es mir die Sprache. Tut mir leid! Oder hast Du das etwa gar nicht ernst gemeint?


    Auch diesen Kommentar, der meine Worte so darstellt, als ob sie nicht ernst genommen werden könten, hatte ich hinzunehmen.


    Ich hatte diesbezüglich auf den Thread "Schuberts Ausnahmerang" hingewiesen. Da steht alles dazu drin. [ ... ] Das scheinst Du auch nicht zu kennen, wie aus einem Deiner vorangegangenen Beiträge hervorgeht.


    Ich stelle fest, dass es offenbar schon als verwerflich eingestuft wird, nicht alle Beiträge des Herrn H. auswendig zu kennen.


    Ich meine, wir sollten hier ganz eng am Thema bleiben und Abschweifungen in seine inhaltlichen Randzonen vermeiden. Sonst wird dieser Thread endlos, und am Ende wissen die Leser immer noch nicht hinreichend über die musikalische Struktur und die künstlerische Aussage der Winterreise bescheid.


    Und hier offenbaren sich schließlich das Sendungsbewusstsein, der Alleinvertretungsanspruch und das Rollenverständnis des Herrn H. auf deutlichste Weise: Ob die Leser hinreichend über die musikalische Struktur und die künstlerische Aussage der Winterreise informiert sind, entscheidet sich diesen Worten zufolge daran, dass alle Mitschreibenden den thematischen Fäden des Herrn H. folgen. Ohne die Strukturierung des Herrn H. und ohne, dass alle Mitschreibenden "ganz eng" bei den thematischen Ideen des Herrn H. bleiben, sind die Leser demnach nicht hinreichend über die musikalische Struktur und die künstlerische Aussage der Winterreise informiert.


    Diese Unterschiede, die Herr H. zwischen sich und seinen "Lesern" konstruiert und als gegeben voraussetzt, widersprechen m. E. der Idee eines Internetforums. Meine Vorschläge, für seine - sehr interessanten und sachlich fundierten - Spezialldiskussionen einen eigenen Thread (oder gleich mehrere) zu öffnen, hat er offenbar nicht beachtet. Darauf kommt es auch nicht an - es gibt sicher auch andere Lösungen.


    Allen, die die vorübergehende Beitragspause bedauern, sei zum Troste gesagt, dass eine gute Chance besteht, dass mittelfristig das Sendungsbewusstsein stärker sein wird als die Dünnhäutigkeit. Vermutlich entwirft Herr H. bereits die Beiträge, die er nach seiner als Höchststrafe verkündeten Pause zu veröffentlichen gedenkt. Man kann die Pause eventuell verkürzen, in dem man sein Fernbleiben bedauert und ihn im Namen Schuberts und Müllers bittet, schnell wieder seine Beiträge zu posten. Da er zwar nicht schreibt, aber gelegentlich als "im Forum anwesend" zu erkennen ist, stehen die Chancen wahrlich nicht schlecht. Mit 542 Beiträgen in nicht ganz fünf Monaten nimmt das Tamino-Klassikforums wahrscheinlich eine für ihn recht bedeutende Position in seinem Leben ein, quantitativ wie qualitativ - was aus Sicht des Forums ja vermutlich überwiegend positiv gesehen werden kann. Daher meine ich, dass wir uns bald wieder seiner Beiträge erfreuen werden können.

  • Wenn ich im forum bin, fast täglich, lese ich immer im Kunstlied-Forum, weil es mich sehr interessiert und ich meinen Horizont erweitern möchte, auch wenn ich selbst kaum etwas dazu schreibe. Die letzten Postings handelten weniger von Kunstlied sondern User schrieben über User. Das mag für die Beteiligten auch o.k. sein, für den eifrigen Leser aber weniger. Bitte schreibt weiter über das Kunstlied in allen seinen Facetten.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Ja schon, aber in diesem speziellen Fall ist es auch interessant zu beobachten, wie sich solche Ansätze einer...sagen wir "Dissonanz" vor dem Hintergrund unterschiedlicher Charaktere langsam aber stetig im Thread aufbauen, und wie niveauvoll ein solcher Dissenz hier doch bisher ausgetragen wurde. Wenn es in Form von platten, untergriffigen Pöbeleien stattfände (wie meistens woanders und früher leider manchmal auch hier), dann wäre das für die am Thema interessierten und zum Scrollen gezwungenen Mitleser und den/die jeweils Angegriffenen natürlich nur ärgerlich und unangenehm.


    Hier jedoch kam in unterschiedlicher Abstufungen ein feines, aber durchaus scharfes Florett unter Verwendung eines elaborierten Sprachcodes zum Einsatz, wodurch - ich muss es zu meiner Schande gestehen- mir das Lesen dieses vom Thema zwangsläufig abgleitenden Schlagabtausches (z.B. die Assoziation von "Herrn H." zum Brechtschen "Herrn K." drängt sich mir förmlich auf) durchaus so eine Art von literarischem Kunstgenuss bescherte.... :stumm: :pfeif:


    Manches davon könnte vielleicht sogar einen gewissen literarischen Wert in der Form haben, dass man diese Dialoge durch gezielte Auswahl leicht aufbereitet, mit Schauspielern besetzt und in teilszenischen Lesungen aufführt, übrigens unabhängig davon, ob die Autoren selbst diesen speziellen Aspekt ihrer Beiträge (an)erkennen.
    Zwischendurch kämen dann kurze Einspieler der Winterreise...
    So würde die eigentliche Kontroverse über die Art und Weise einer Werkdiskussion zum Kunstlied selbst noch zu einem Kunst-Stück erhoben....jedenfalls ahne ich da ein leichtes (tragikomisches) Potential...
    Anschliessend könnte man es auf dem ZDF-Theaterkanal oder Arte-HD zu später Stunde für das arme Häuflein interessierter Menschen senden.... :D


    Doch zurück zur Winterreise:
    Hier interessiert mich z.B. noch ein Aspekt, den Alfred schon eingangs erwähnte:
    Schubert selbst berichtet davon, dass ihn diese Lieder mehr "angegriffen" hätten, als es sonst der Fall gewesen sei.
    Abgesehen von einigen Sachen wie "Die Stadt am Meer" oder "Der Doppelgänger" aus dem Schwanengesang kann ich für mich berichten, dass mich gerade dieser Liederzyklus beim Hören und Spielen an- bzw. ergreift, und das dies wiederum dazu führt, dass ich mir das nicht so häufig "zumuten" möchte, bzw. ich mir die "schaurige" Intensität meines Musikerlebens erhalten und nicht abnutzen möchte.


    Ich würde es nun interessant finden, darüber zu lesen, ob es anderen Taminos beim Hören dieser Lieder auch so ergeht oder ob sie anders darauf reagieren.


    :hello:


    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

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