PUCCINI, Giacomo: MANON LESCAUT

  • Giacomo PUCCINI
    MANON LESCAUT


    Dramma lirico in quattro atti


    Libretto: Ruggero Leoncavallo, Marco Praga, Domenico Oliva, Luigi Illica,
    Giuseppe Giacosa, Giulio Ricordi, Giacomo Puccini


    Uraufführung: 1. Februar 1893, Teatro Regio (Turin)


    Ort und Zeit der Handlung: Amiens, Paris, Le Havre, Amerika
    2. Hälfte des 18.Jhdts.


    Personen der Handlung:


    Manon Lescaut (Sopran)
    Lescaut, Sergeant der kgl. Garde (Bariton)
    Chevalier Des Grieux, Student (Tenor)
    Geronte, kgl. Steuerpächter (Bass)
    Edmondo, Student (Tenor)
    Wirt (Bass)
    Musiker (Mezzosopran)
    Tanzlehrer (Tenor)
    Lampenanzünder (Tenor)
    Sergeant der Schützen (Bass)
    Schiffskapitän (Bass)


    HANDLUNG


    1. AKT
    Vor einem Gasthaus in Amiens versammelt sich am Feierabend allerhand Volk. Edmondo, ein Student, besingt in einem Madrigal den lieblichen Abend, der den Verliebten besonders willkommen sei, wird aber von seinen Kameraden lachend unterbrochen. Er stimmt nun ein fröhliches Loblied auf die Jugend und ihre Freuden an. Des Grieux erscheint, macht aber keine Anstalten, sich den anderen anzuschließen, worauf Edmondo argwöhnt, er sei wohl unglücklich verliebt. Keineswegs, die Liebe, "questa tragedia ovve commedia", sei ihm völlig unbekannt, erwidert der junge Mann, Das will ihm aber niemand glauben, wahrscheinlich habe er nur eine Abfuhr erhalten. Um das zu widerlegen, beginnt Des Grieux mit einer Gruppe Mädchen zu schäkern, die aber merken, wie wenig ernst es ihm damit ist, und verärgert reagieren.
    Die Postkutsche aus Arras trifft ein und wird sofort von Neugierigen umringt, welche die sicher vornehmen Reisenden betrachten wollen. Lescaut und seine Schwester Manon steigen aus, letztere galant betreut von Geronte, einem schon in die Jahre gekommenen Kavalier. Auch Des Grieux erblickt Manon und ist von ihrer Schönheit und Anmut sofort bezaubert. Während ihre Begleiter die Quartierfrage regeln, nähert sich Des Grieux dem Mädchen und gesteht, dass sie in seinem Herzen nie zuvor empfundene Gefühle wecke. Sie erzählt ihm, dass sie auf Wunsch ihres Vaters von ihrem Bruder in ein Kloster gebracht werden soll, was den Studenten bestürzt, denn ihr sei ein anderes Schicksal beschieden. Er bietet ihr seine Hilfe an, und während Lescaut bereits ungeduldig nach ihr ruft, verspricht Manon, ihn am Abend heimlich zu treffen.
    "Donna non vidi mai" - so eine Frau hat er noch nie gesehen, schwärmt der entflammte des Grieux, sehr zur Erheiterung seiner Freunde, weil ihn nun doch Amors Pfeil getroffen hat. Verärgert entfernt er sich, während die Burschen und Mädchen die Art von Liebe preisen, die sich in Lachen, Seufzern und Küssen erschöpft und nicht lange andauert.
    Inzwischen bahnt sich zwischen Geronte und Lescaut eine Art Geschäft an. Es zeigt sich nämlich, dass der Sergeant vom Familienbeschluss, Manon ins Kloster zu stecken, gar nicht angetan ist. Welche Verschwendung, so viel Schönheit und Jugend hinter Klostermauern zu verbergen! Und als Geronte sich als kgl. Steuerpächter zu erkennen gibt, wittert Lescaut sofort die Chance, die Schönheit seiner Schwester in bare Münze zu verwandeln. ("Che sacco d'oro" - welch ein Geldsack!)
    Gerne nimmt er daher die Einladung Gerontes zum Abendessen an.
    Der hat aber in Wahrheit ganz anderes im Sinne, und während Lescaut sich von einigen Studenten zum Kartenspiel verleiten lässt, trifft der Alte ein Arrangement mit dem Wirten: Er solle ihm eine Kutsche mit den schnellsten Pferden besorgen, außerdem lässt er sich den Hinterausgang zeigen. Edmondo beobachtet die beiden und zieht sofort die richtigen Schlüsse. Als daher kurz darauf Des Grieux auftaucht, in der Hoffnung auf das versprochene Rendevouz mit Manon, warnt ihn der Freund, dass seine Schöne entführt werden soll. Er verspricht ihm seine Hilfe, um diesen Plan zu vereiteln.
    Manon schleicht sich tatsächlich aus ihrem Zimmer, betont aber, wie unschicklich das sei. Gleichzeitig lässt sie durchblicken, wie traurig sie ihr künftiges Schicksal mache, wo sie doch ein fröhliches Mädchen sei, das gerne tanze usw. Erwartungsgemäß reagiert Des Grieux mit einer leidenschaftlichen Liebeserklärung. Dann enthüllt er ihr die schurkischen Absichten Gerontes und fordert sie auf mit ihm zu fliehen. Manon wehrt sich zunächst oder tut zumindest so, aber als Edmondo die Ankunft der Kutsche meldet, folgt sie Des Grieux.
    Geronte kommt zu spät: Zwar ist Lescaut noch immer ins Kartenspiel vertieft, aber Manon bereits über alle Berge, wie ihm Edmondo schadenfroh unterbreitet, als er eben nach dem Mädchen schicken lassen will. Scheinbar entsetzt informiert nun der Möchtegernentführer den Sergeanten von dem Vorgefallenen, man müsse sofort die Verfolgung der Flüchtenden aufnehmen. Lescaut hat es damit aber nicht so eilig, dafür lobt er scheinheilig die "väterlichen Gefühle", welche Geronte seiner Schwester offenbar entgegenbringt. Er kennt Manon und ihre Verschwendungssucht, ein Leben an der Seite eines mittellosen Studenten werde sie bald satt haben, und dann würde
    sie die "Einladung" Gerontes gerne akzeptieren und Des Grieux sitzen lassen. Zu dritt würde sie dann ein schönes Familienleben führen.
    Edmondo hat inzwischen den Studenten von Des Grieux' Abenteuer erzählt, und alle lachen über den dupierten Steuerpächter.


    2.AKT


    Manon sitzt in ihrem eleganten Salon im Palais von Geronte und macht Toilette. Sie kokettiert mit ihrem Spiegelbild und kann sich nicht entscheiden, welches Schönheitspflästerchen ihr der Friseur auflegen soll. Lescaut tritt ein und bewundert die Roben seiner schönen Schwester. All das habe sie nur ihm zu verdanken, er habe sie schließlich aus der armseligen Studentenbude geholt und hierher gebracht. Des Grieux sei sicher ein anständiger Kerl, aber halt kein Steuerpächter, und das hier sei der ihr angemessene Rahmen. Die Erwähnung ihrer einstigen Liebe stimmt Manon nachdenklich. Sie lebt zwar im Luxus, fühlt aber auch die emotionale Kälte in diesem goldenen Käfig und erinnert sich sehnsüchtig an die "feurigen Arme" und leidenschaftlichen Küsse Des Grieux', den sie ohne Abschied verlassen hat. Im Rückblick erscheint ihr das bescheidene Heim von damals wie ein Hort von Frieden und Liebe.
    Aber Lescaut hat einen Trost parat: Er sei nicht nur mit Geronte, sondern auch mit dem Chevalier befreundet, der sie keineswegs vergessen habe, sondern sich immer noch nach ihr verzehre. Unter seiner, Lescauts, Anleitung versuche er sein Glück beim Spiel, um vielleicht auf diese Weise das Vermögen zu erwerben, mit dem er Manon zurückgewinnen könne. Ein wenig plagt sie das schlechte Gewissen, ein so treues Herz betrogen zu haben, dann erwacht die Sehnsucht nach ihm und vor allem seinen brennenden Küssen, denn Geronte kann wohl ihr Gier nach Gold, nicht aber ihre Liebeslust stillen.
    Aber dann erblickt sie ihr Spiegelbild und vergessen sind Des Grieux und die wahre Liebe, alles dreht sich wieder um die lebenswichtige Frage, ob auch das Mieder wie angegossen sitzt.
    Einige Musiker tragen ein Madrigal vor, aber das langweilt sie ebenso wie die Tanzstunde, die nun folgt. Lescaut zieht daraus den Schluss, dass schleunigst Des Grieux wieder ins Spiel gebracht werden muss, denn eine sich langweilende Manon könnte sich Gerontes und somit auch seiner Kontrolle entziehen. Während er sich also entfernt, um Entsprechendes in die Wege zu leiten, beginnt die Tanzlektion. Geronte und seine Freunde bilden das Publikum, und alle überbieten sich gegenseitigen in Komplimenten für Manons Schönheit, Anmut und Eleganz. Schließlich erinnert sie ihr Galan, dass sie ihm ihre Begleitung für den abendlichen Korso versprochen habe, aber Manon braucht noch Zeit für ihre Toilette. Also verlassen Geronte und seine Freunde das Haus, während sie sich erneut in ihr Spiegelbild verliebt und siegessicher verkündet, dass sie ganz gewiss die Schönste sein werde.
    Als sich Schritte nähern, glaubt sie, der Diener wolle ihr die Ankunft der Sänfte melden, statt dessen erblickt sie Des Grieux, der bleich, aber vorerst gefasst eintritt. Manon ist enttäuscht, dass er nicht sofort in ihre Arme stürzt, und wirft ihm vor, sie nicht mehr zu lieben. Gleich darauf mimt sie die Schuldbewusste, die seine Rache erwartet. Aber Des Grieux will keine Rache, er malt ihr seine freudlosen, düsteren Tage aus, nachdem sie ihn verlassen hat. Manon antwortet mit einer Charmeoffensive, wechselt zwischen Schuldgeständnis und leidenschaftlichen Liebesschwüren und erreicht binnen kurzem, dass er ihren Verführungskünsten erliegt. Als sie sich in die Arme sinken, taucht völlig überraschend Geronte auf und ertappt das Paar in flagranti. Wütend stellt er sie zur Rede. Ist das der Dank dafür, dass er sie zu sich geholt habe und ihr seine Liebe schenke? Doch Manon reagiert mit Hohn und Spott, hält ihm einen Spiegel vor und fragt, ob er allen Ernstes glaube, dass sie einen Greis wie ihn lieben könne. Geronte, in seiner Ehre zutiefst verletzt, verlässt das Haus, verfolgt von Manons Gelächter.
    Des Grieux ist weniger wohl bei dieser Szene, er drängt die Geliebte, rasch mit ihm zu kommen. Mit Bedauern nimmt Manon von ihrem prächtigen Salon Abschied, und Des Grieux muss sich eingestehen, dass sie immer noch ein oberflächliches, flatterhaftes Geschöpf ist, dem Reichtum wichtiger ist als sein treu liebendes Herz. Gleichzeitig ist ihm aber auch bewusst, dass er nie von ihr los kommen wird, dass er für sie sogar ein ehrloses Leben als "schamloser Held von Spielhöllen" in Kauf nehmen würde. Manon spürt seine Verzweiflung und schwört leichthin, ewig "fedele e buona" (treu und gut) zu sein.
    Da stürzt atemlos Lescaut herein, um die Liebenden zu warnen: Geronte habe sie angezeigt, die Wachen seien bereits unterwegs. Sollten sie Manon verhaften, stünde ihr die Deportation bevor. Des Grieux drängt zur Flucht, doch Manon will ihren Schmuck, ihr Gold nicht zurücklassen und fordert ihn auf, doch auch möglichst viel an sich zu raffen. Völlig verständnislos beobachtet Des Grieux die Geliebte, die wie ein aufgescheuchtes Huhn hin und her rennt, Truhen durchwühlt und Schubladen leert: Sie solle nur ihr Herz mitnehmen, er wolle nichts als ihr Leben retten. Doch Manons Gier nach Juwelen widersetzt sich jeder Vernunft, und entsetzt muss Lescaut vom Balkon aus verfolgen, dass das Palais bereits umstellt wird, Flucht also sinnlos ist. Kurz darauf tritt Geronte mit einigen Soldaten herein, und nun ist er es, der höhnisch lacht, als Manon festgenommen wird. Des Grieux will sich auf die Soldaten stürzen, doch Lescaut hält ihn zurück: Wenn auch er verhaftet wird, wer soll dann Manon befreien?


    3. AKT


    Lescaut und Des Grieux beobachten die Kaserne am Hafen, in der Manon bis zu ihrer Deportation nach Amerika festgehalten wird. Lescaut hat eine Wache bestochen, sodass es ihnen möglich ist, durch ein Fenster Kontakt mit ihr aufzunehmen. Gerührt erkennt Manon den Geliebten, der auch in der Stunde der Schande treu zu ihr steht. Er flüstert ihr zu, dass sie bald vereint sein würden, sie solle sich zum Hoftor schleichen, dort würden Lescaut und seine Helfer zu ihrer Rettung bereit stehen. Manon gehorcht, doch der Befreiungsversuch misslingt, Lescaut und seine Helfershelfer müssen fliehen. Des Grieux weigert sich zunächst, ebenfalls zu flüchten, doch Manon beschwört ihn durch das Fenster, sich zu retten.
    Der Tumult, den der Anschlag auf die Kaserne ausgelöst hat, lockt die Bewohner von Le Havre zum Hafen. Soldaten müssen die Menge zurückhalten, denn die Deportation der verurteilten Prostituierten steht unmittelbar bevor. Namentlich werden die Frauen aufgerufen und legen die kurze Strecke zum Schiff zurück, verhöhnt und verspottet von den Schaulustigen. Doch auch die Prostituierten provozieren die Gaffer mit obszönen Gesten und herausfordernden Blicken. Nur Manon schreitet stumm und mit gesenktem Kopf durch die Gasse und erregt damit Mitgefühl. Lescaut, der sich inzwischen unter die Leute gemischt hat, nützt diese Stimmung und lanciert geschickt eine Lügengeschichte: Manon sei am Hochzeitstag geraubt und von einem lüsternen Alten als Spielzeug gefangen gehalten worden. Als er ihrer überdrüssig geworden sei, habe er sie auf die Straße gesetzt und ihrer Schande überlassen. Der bleiche Jüngling dort - Des Grieux - sei ihr rechtmäßiger Gatte, der nun die Geliebte in die Verbannung gehen sehen muss. Wie erwartet, fliegen nun Manon alle Herzen zu.
    Inzwischen hat sich Des Grieux an sie herangepirscht und macht sich nun bemerkbar. Tief bewegt nimmt Manon von ihm Abschied und bereut, ihn nicht genug geliebt zu haben. Aber Des Grieux will und kann sie nicht verlassen, und als ein Sergeant die Liebenden trennen will, reißt er sie verzweifelt an sich und droht jedem, der er es wagt sie zu berühren. Die Menschen, durch die rührselige Geschichte Lescauts auf Seiten Manons, schirmen sie von den Soldaten ab. Aber natürlich ist Widerstand zwecklos, das erkennt auch Des Grieux. Als nun der Kapitän auf der Brücke erscheint, fleht er ihn an, ihn als Schiffsjungen mit an Bord gehen zu lassen, was ihm nach kurzem Zögern gewährt wird.


    4. AKT


    Völlig erschöpft schleppen sich Manon und Des Grieux durch eine unwirtliche, öde Landschaft. Die Sonne glüht von einem unbarmherzigen Himmel, Manon ist am Ende ihrer Kräfte und bricht zusammen. Nach einer kurzen Ohnmacht reagiert sie wieder auf Des Grieux' verzweifelte Worte und bittet um Wasser. Doch hier in dieser Wüste ist diese Bitte vergeblich. Manon schickt ihn fort, um eine Quelle zu suchen, und bleibt alleine zurück, von fiebrigen Träumen gequält. Noch einmal sei ihnen ihre Schönheit zum Verhängnis geworden, im Kampf mit einem Nebenbuhler habe Des Grieux Blutschuld auf sich geladen und sie erneut zur Flucht gezwungen. Einerseits ersehnt Manon den Tod, sieht das Grab als friedliches Asyl, andererseits klammert sie sich an das Leben.
    Des Grieux kehrt mit leeren Händen zurück und muss verzweifelt mitansehen, wie ihm die Geliebte immer mehr entgleitet. Immer wieder beteuert sie ihm, wie sehr sie ihn liebe, und mit der Versicherung, dass ihre Schuld in Vergessenheit geraten, ihre Liebe aber nie sterben werde,
    haucht sie ihr Leben in seinen Armen aus.

  • Manon Lescaut,
    Dramma lirico in 4 Akten
    von Giacomo Puccini.
    Text von Ruggero Leoncavallo, Marco Praga, Domenico Oliva, Giulio Ricordi, Luigi Illica und Giuseppe Giacosa, der in Zusammenarbeit mit Illica vor allem das dramaturgische Gerüst entwarf, während Illica die Verse ausfeilte.
    Nach dem Roman Histoire de Manon Lescaut et du Chevalier Des Grieux des Abbé Prévost (1731).
    Uraufführung: 1.2.1893 Turin, Teatro Regio
    mit Cesira Ferrani • Giuseppe Cremonini • Achille Moro • Alessandro Polonini • Elvira Ceresoli,
    Dirig. Alessandro Pomé.



    LG


    :hello:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)