Wintermärchen - Winter-Darstellungen in der europäischen Kunst von Bruegel bis Beuys

  • Lieber Thomas,


    ich habe mal recherchiert: Der abgebildete Dumond-Band geht auf die folgende Ausstellung zurück:


    http://www.wa.de/nachrichten/k…-museum-hamm-1174987.html


    Dem ist zu entnehmen, daß diese Aquarelle aus der Zeit von 1946-48 stammen. Also mit der Einschätzung, was den Zeitrahmen angeht, lagst Du richtig! Ich muß sagen, ich bin von diesem Aquarell hingerissen - weil ich ja selber Aquarelle male :) :




    Noldes Motive sind natürlich die Berge eigentlich nicht - das Meer, die Blumen, die flache Landschaft Schleswig Holsteins, das kennt man von ihm. Die Bilder wirken im Vergleich zu seinen früheren expressiven Aquarellen in der Tat ein wenig harmlos, fast schon touristisch. Aber wenn er das 1948 gemalt hat, dann trifft das in eine Zeit, wo er gerade seine zweite Frau geheiratet hat. Vielleicht ist das der Grund für die gewisse Unbeschwertheit. Die Trencker-Filme beuten im Grunde ja auch die Romantik aus: Der Romantiker schaut und beschreibt die Berge, auch die Mühsal des kargen einfachen Lebens der Bergbauern (z.B. Senancour). Aber er selbst sitzt immer auf einem schön behüteten und beschützten Platz - er ist Zuschauer und nicht Teilnehmer dieses mühseligen Lebens. Eine sehr "ästhetische" Haltung! :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Kessler, der in Dresden studierte, war ein sehr beliebter Landschaftsmaler, der sich ab 1910 auf Winterlandschaften spezialisierte. Er war Mitglied der Münchner Künstlergenossenschaft und stellte regelmäßig im Glaspalast aus. Das ansprechende Aquarell unten stammt von ungefähr 1930.


  • Realismus ist ein problematischer Begriff, denn: Was ist eigentlich "real", die Wirklichkeit? Das Verständnis davon, was "wirklich" ist, unterliegt schließlich selbst dem Wandel der Auslegung. Gustave Courbet, der für sich reklamierte, "Realist" zu sein, gebrauchte diesen Titel als "Kampfbegriff". Man sollte ihn daher als einen Oppositionsbegriff verstehen, der seinen Sinn aus dem zieht, was er vermeiden will: die Romantisierung und Idealisierung.


    Dies kann man an den beiden Bildern, die ich oben eingestellt habe, gut nachvollziehen, finde ich.



    Was ist "realistisch" an diesem Bild? Im Vergleich mit der Romantik fällt auf, daß Courbet jede idealisierende Bildkomposition vermeidet. Das Motiv wirkt - anders als bei C.F. Friedrich - nicht zusammengestellt, sondern wie eine Momentaufnahme, der Blick eines Spaziergängers, der zufällig gerade auf diese Ansicht fällt. Und die Gegenstände sind auch nicht besonders "schön" - eine verfallene, eher unansehnliche Hütte und ein ebenso unattraktives Gestrüpp. Trotzdem hat das Bild seinen Reiz - der liegt in der bewegten Impression - bei Courbet steht der Impressionismus und seine Betonung des Moments schon vor der Tür.



    Das ist ein extremes Beispiel für Courbets Realismus. Das Reh im Wald - ein beliebtes Motiv von der Romantik bis zum Expressionismus. Auch hier vermeidet Courbet jede Stilisierung. Symbolik und Bedeutungsschwere wird ausgeschaltet durch den Eindruck eines "Schnappschusses". Das Bild wirkt wie geschossen mit einem Fotoapparat.


    Schöne Grüße
    Holger


  • Bei Wassiliy Kandinsky, der die Idee abstrakter Malerei prägte, finde ich immer wieder anziehend, daß man als Betrachter gewissermaßen den Schritt zur Abstraktion mit- und nachvollziehen kann. Man wird gleichsam von der gegenständlichen Ebene "entführt" auf die abstrakte - wie der Rattenfänger von Hameln durch den Flötenklang die Menschen weg aus der alltäglichen Welt in eine unbekannte lockt. Man sieht drei Pferde einen Abhang im schnellen Gallopp hinunterreiten. Das ist sehr dynamisch, teilt das Bild zudem in zwei Hälften, Vorder- und Hintergrund. Zugleich zeigt sich aber eine abstrakte Komposition, die gefangen nimmt durch ihre Harmonie von Farben und Formen. Diese ist "flächig" - negiert die Raumteilung auf der Gegenstandsebene. Das Bild wirkt wie aus dem Pinsel "hingeworfen", ist aber minutiiös genau komponiert, wenn man hinschaut: Anordnung, Größe, die Wahl der Farben, all das entspringt künstlerischem Kalkül.



    Ich mag diese traum- und märchenhaften, leuchtenden Farben von Kandinsky - die es so nur bei ihm gibt. Die sind einfach wunderschön! Auch hier kommt behutsam die Abstraktion ins Spiel: Bäume, die zu Strichgebilden geworden sind, zu graphischen Elementen, welche mit den Farbflächen kontrastieren und einen harmonischen Kontrapunkt bilden. Die Welt, wie sie Kandinsky zeigt, ist leuchtend schön - die Malerei macht sie noch schöner, als sie eigentlich ist.



    Dieses Bild geht in der Abstraktion deutlich weiter. Die Gegenstände sind noch erkennbar, aber sie wachsen aus einem völlig imaginären Raum heraus. Da sind zudem kubistische Züge zu erkennen im räumlichen Perspektivenwechsel. Eine sanfte Abstraktion, die den Betrachter wiederum dazu verführt, sich quasi mühelos von der gegenständlichen in die abstrakte Ebene zu begeben.

  • Zitat Holger Kaletha


    Zitat

    Wassiliy Kandinsky ... Man wird gleichsam von der gegenständlichen Ebene "entführt" auf die abstrakte - wie der Rattenfänger von Hameln durch den Flötenklang die Menschen weg aus der alltäglichen Welt in eine unbekannte lockt.


    Lieber Holger, Kandinsky ist in der Tat ein Meister des "Gegenständlichen". Ich persönlich sehe Kandinsky allerdings nun grade anders herum. Mein Blick wird von der Ebene der Form, so abstrakt sie auch sein mag, immer auf die Ebene des Gegenstandes zurückgeführt, weil ich automatisch anfange, die Formen zusammenzusetzen, Assoziationen zu bilden mit der mir bekannten gegenständlichen Welt. Das ist aber nicht zuletzt meiner beruflichen "Sehschule" geschuldet.


    Danke für die schönen Beispiele, wie unterschiedlich "Winter" angegangen wird. Wichtig fand ich im Übrigen auch den Hinweis von Thomas Pappe auf die zeitgleiche Lyrik der Bilder. Es ist sehr interessant, welche Verbindungslinien zwischenunterschiedlichen "Medien" (Musik, Malerei, Lyrik) für bestimmte Zeiten künstlerischen Schaffens zu ziehen sind (da hattest Du in einem Deiner Beiträge ja bereits drauf hingewiesen).


    Und um hier nicht ganz OT zu sein, noch ein kleiner Nachschlag eines Winterbildes:



    Es ist aus dem Impressionismus, gemalt hat es Claude Monet. Das Bild zeigt das Parlament von London (Monet selbst war mehrfach in der Stadt) und es existieren zahlreiche Versionen. Zentral sind für Monet die Stimmungen, die durch Licht hervorgerufene erden und dies ist bei diesem Wintergemälde hinreißend gut gelungen. Schemenhaft erhebt sich das Parlament hinter einer diesigen Wand. Daß die Sonne ihre Kraft aber nicht ganz verloren hat, bezeugen die unterschiedlichen Färbungen, bei denen immer wieder leichtes violett durchscheint. Das ist eine Farbe, die ich besonders mit dem Winter verbinde: kurz bevor Schnee fällt, kann der Himmel solche Färbungen annehmen. Eben eine solche Stimmung verstrahlt das Bild für mich.


    Beste Grüße
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Lieber Holger, Kandinsky ist in der Tat ein Meister des "Gegenständlichen". Ich persönlich sehe Kandinsky allerdings nun grade anders herum. Mein Blick wird von der Ebene der Form, so abstrakt sie auch sein mag, immer auf die Ebene des Gegenstandes zurückgeführt, weil ich automatisch anfange, die Formen zusammenzusetzen, Assoziationen zu bilden mit der mir bekannten gegenständlichen Welt. Das ist aber nicht zuletzt meiner beruflichen "Sehschule" geschuldet.


    Lieber JLang,


    da hast Du völlig recht! Man kann das auch genau andersherum sehen - letztlich, weil es keine hierarchischen Ebenen gibt. Bei Klee finde ich - im Winterbild - gibt es diese Umkehrung, da sieht man in die abstrakten Symbole die Gegenstände hinein. Der Thread beginnt mir Spaß zu machen... Das ist so, wie wenn man gemeinsam ins Museum geht. Vier Augen sehen immer mehr! :) Monet finde ich ganz großartig! Hast Du die Wuppertaler Monet-Ausstellung gesehen? Da wurde einem richtig klar: Keiner konnte so das Licht malen wie Monet! Das ist einfach unglaublich!


    Schöne Grüße
    Holger

  • Zitat Holger Kaletha


    Zitat

    Der Thread beginnt mir Spaß zu machen... Das ist so, wie wenn man gemeinsam ins Museum geht. Vier Augen sehen immer mehr! :) Monet finde ich ganz großartig! Hast Du die Wuppertaler Monet-Ausstellung gesehen? Da wurde einem richtig klar: Keiner konnte so das Licht malen wie Monet! Das ist einfach unglaublich!


    Ich finde den thread auch ganz wunderbar, das hat Alfred wieder ein ganz tolles Thema angestoßen :thumbsup:
    Und ja: Licht und Monet, das kann man ja fast synonym verwenden :). Es ist schier unglaublich, wie er Brechungen des Lichts, Färbungen, Spiegelungen "eingefangen" hat. Der thread ist ja bereits ein kleines virtuelles Museum, man kann Bilder zusammen sehen und sich darüber austauschen, auch wenn sie in den unterschiedlichsten Museen hängen. Das Schöne ist ja, daß man – ganz nach der eigenen Seherfahrung – auf die unterschiedlichsten Dinge in Gemälden achtet. Die Wuppertaler Ausstellung habe ich leider nicht gesehen, es war im Jahr 2009, oder? In diesem Jahr war ich auf Reisen rund ums Mittelmeer.


    Einen herzlichen Gruß sendet
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Es ist schier unglaublich, wie er Brechungen des Lichts, Färbungen, Spiegelungen "eingefangen" hat. Der thread ist ja bereits ein kleines virtuelles Museum, man kann Bilder zusammen sehen und sich darüber austauschen, auch wenn sie in den unterschiedlichsten Museen hängen.

    Lieber JLang,


    es wäre doch schön, wenn die Beteiligung noch größer wäre - jeder stellt sein Lieblings-Winterbild ein z.B. Das Tolle in der Wuppertaler Ausstelung war, daß sie versucht haben, Monets "Serien" wenigstens z.T. zusammenzustellen, was natürlich schwierig ist aus verschiedenen Museen. Z.B. hat er den berühmten Heuhaufen immer wieder bei unterschiedlichem Tageslicht gemalt. Das Morgenlicht bei Monet ist wirklich ein Morgenlicht! Frappierend! :hello:


    Ein vergnügliches Adventswochenende wünscht
    Holger

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  • Bei diesem Thema möchte ich auch gerne ein paar Bilder meines Lieblingsmalers beisteuern.
    Es handelt sich um den Wagnerianer und Sagenmaler Hermann Hendrich, der auch einige schöne
    Gemälde in Winterstimmung geschaffen hat. Alle Bilder sind von der Homepage des Nibelungenhorts - Förderverein des Malers Hermann Hendrich e.V.


    Tannenhäuser als Pilger



    Donnergott in der Schneegrube



    Parsifal sieht die drei Blutstropfen


    Beste Grüße
    Christian

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  • Es folgt die 1889 gegründete Künstlerkolonie Worpswede (bei Bremen) im "Teufelsmoor", beginnend mit Otto Moderssohn (seine Frau war Paula Moderssohn-Becker). Das malerische Worpswede ist auch heute eine Reise wert! Das Museum dort hat eine exzellente Beleuchtung. Ich persönlich mag die Worpsweder Maler sehr.



    Kirchgang 1888



    Winterabend 1935



    1936



    Tauwetter. Winter an der Schleuse 1937



    Wümme im Winter 1942


  • Von Fritz Mackensen konnte ich nur dieses Bild im Netz ausmachen, das abgeerntete kahle Felder zeigt - die aus dem Winter stammen könnten. Mein Vater klingelte zwischen 1945 und 1950 bei einem Besuch in Worpswede einfach unangemeldet an seiner Tür. Er war sehr freundlich, lud den jungen Kunststudenten ein und zeigte ihm sein Atelier. :)


    Mackensen machte Worpswede 1895 berühmt durch sein Gemälde "Gottesdienst im Moor", das er im Münchner Glaspalast ausstellte und dafür die Goldmadaille erhielt.



    Fritz Mackensen: Gottesdienst im Moor (1895)

  • Italien ist nicht gerade jenes Land , welches man mit Winterlandschaften in Verbindung bringt. Dennoch schneit es auch manchmal in Itlaien. Francesco Foschi (1710-1780) hat gerne solche Szenen gemalt. Zwei davon zeige ich hier im Bild - aber er war nicht der einzige Italienische Maler, den das Thema "Winter" faszinierte.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Sehr eindrucksvoll die Bilder von Foschi, lieber Alfred! Ich finde bemerkenswert, wie hier die Natur dargestellt wird: Das Ungewöhnliche, Seltsame, Wunderbare dominiert: Bizarre Formen, wie sie sich eigentlich nur die Phantasie ausdenken kann. Dazu gibt es Übersteigerungen in die Extreme: Die Felsen sind steiler als steil, die Abhänge wahre Abgründe. Diese Natur erscheint offenbar ganz bewußt unnatürlich. Ganz anders John Constable ein halbes Jahrhundert später - s.u.! :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Édouard Manet - La gare du chemin de fer de Sceaux


    Eine verschneite Winterlandschaft mit dunkel verhangenem Himmel um das zentrale Gebäude der Bildmitte, einen Bahnhof, komponiert. Die Ausführung hat etwas skizzenartiges, auch die beiden verlorenen Figuren im Bildvordergrund sind nur in ihren Konturen angedeutet. Es wirkt wie ein verschleierter Blick auf die Schneelandschaft, wahrgenommen werden v. a. farbliche Veränderungen, etwa an den Stellen, an denen die Schneedecke nicht den dunklen Boden bedeckt. Entstanden ist das Bild 1870 während der Belagerung von Paris, ebenso wie das bereits genannte Effet de neige à Petit-Montrouge, zu dem sich auch farbliche Parallelen ergeben. Fast ebenso düster ist der Winter hier eingefangen, es erscheint gleichsam als Projektion einer inneren Verzweiflung in eine Landschaft hinein.



    Mit besten Grüßen
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • ...auf Manet folgt Turner :) Wenn man dieses erstaunliche Bild sieht, dann versteht man, warum die Impressionisten so von ihm beeindruckt waren (Monet sah Turners Bilder in London). Dargestellt ist "eigentlich" ein Schiff im Sturm - aber das Gegenständliche verschwindet fast völlig in der Impression bewegter Atmosphäre.



    Dieses Bild hat zudem nichts Bedrohliches - es geht Turner vornehmlich um den optischen Reiz. Ganz anders Maurice de Flamincks expressionistisches Bild mit gleichem Thema (Beitrag 110, s.o.!), das sehr finster unheimlich, fast schon dämonisch wirkt:


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