Petition zum Erhalt klassischer Inszenierungen in Wiesbaden

  • Keines weiß genau was damit gemeint ist bzw. keiner weiß was kommt
    Alle regen sich darüber auf.
    Und wenn einer schreibt kommt laßt uns dafür über die nächste Klippe springen.
    Springen tatächlich fast alle hinterher.

    Halleluja! Da haben wir ja noch jemand, der wie das delphische Orakel spricht!

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • Die Kritiken waren insgesamt sehr positiv, und wenn man den allgemeinen Tenor herausfiltert, so hat sich Christoph Waltz wohl vom skandalträchtigen Regietheater weitgehend ferngehalten und eine allgemein gefällige Inszenierung auf die Beine gestellt.


    Wieder in Alltagsklamotten. Sorry, aber das ist allenfalls RT light. Gäääääähhhn!

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)


  • Da verlangst du aber sehr viel, m.joho! Keine Rechtschreibfehler, sinnvoller Beitrag und noch eine Pointe drin - sowas schafft sonst nur das Überraschungsei mit Spannung, Spiel und Schokolade. Ich finde, wir sollten nicht zuviel fordern.

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Lieber MJoho,


    ein Tippfehler kann ja mal vorkommen. Wer aber "endgültig" regelmäßig mit "t" schreibt, weiß nicht, dass das etwas mit "Ende" und nichts mit "Ente" zu tun hat. Ebenso irgendwer, irgendwo, irgendwie kommt regelmäßig mit "t" vor und verschiedene andere Rechtschreibfehler. Wer heute noch "dass" mit "ß" schreibt, dem kann man das nicht übel nehmen, denn nicht jeder hat sich so wie ich mit der neuen Rechtschreibung auseinandergesetzt. Wenn jemand aber die Konjunktion "dass" immer nur mit einem "s" schreibt, dann erschwert es erheblich das Lesen. Wenn dann noch die Groß- und Kleinschreibung durcheinander geworfen wird, keine Kommata oder Punkte gesetzt werden, wo diese hingehören, und noch ein teilweise wirrer Stil hinzukommt, dann vergeude ich meine kostbare Zeit nicht mehr, diese Beiträge zu entziffern. Ich habe bisher nichts sagen wollen, aber da du es jetzt ausgesprochen hast, kann ich nur bestätigen, dass auch ich meine Schwierigkeiten damit hatte.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Das ist durchaus richtig - DESHALB und auch aus anderen Gründen sehe ich Oper als museale Kunst.
    Ein ausgewähltes Publikum - und Opernpublikum war in der Regel immer "elitär", welches den historischen Zusammenhang und die Regeln der Entstehungszeit kennt - hat Freude an der Oper als historisches Vergnügen.

    Ich sehe durchaus einen Unterschied in dem Vergnügen, lieber Alfred, ein Buch wie das von Tocqueville über die französische Revolution zu lesen oder ein Theaterstück bzw. eine Oper aus dieser Zeit anzuschauen. Gehst Du wirklich in die Oper mit einem historischen Interesse? Und ist nicht die Idee des Museums gerade - wenn man Bilder aus verschiedenen Epochen nebeneinander aufhängt - das Historische zu tranzendieren in eine imaginäre Gleichzeitigkeit?



    Jedoch glaube ich nicht, dass die Lösung darin besteht, die Oper zu modernisieren, sondern eher darin, den modernen Menschen zu dem zu führen, was die Oper eben damals ausgemacht und bedeutet hat.

    Lieber Don - das würde ja bedeuten, daß nicht die Oper mir nahegebracht wird, sondern ich mich in die Zeit der Opernentstehung bewege, also gewissermaßen zu einem Barockmenschen werde. So etwas hat die romantische Hermeneutik (Schleiermacher) tatsächlich geglaubt, daß so etwas durch "Einfühlung" möglich sei. Nur stellt sich das dann leider als eine Projektion unserer Erfahrungen in die Vergangenheit heraus. (Genauso wie bei vielen Begeisterten für östlicher Kultur, etwa die durchaus sympathischen Hippies, die meinten, sie könnten das chinesische Denken so ohne weiteres verstehen.) Gerade die "Bedeutung" für das damalige Publikum ist letztlich nicht in eine andere Epoche transportierbar. Schiller wollte mit seinem Don Carlos zum Ausdruck bringen, die Fürsten zu bewegen, den Bürgern Freiheitsrechte einzuräumen. Genau diese kompromißlerische Haltung ist für uns heute schlicht obsolet - wenn dieses Stück für uns wirklich Bedeutung hat, dann genau nicht in der Intention, die Schiller und auch das damalige obrigkeitstreue und zugleich freiheitsbedürftige bürgerliche Publikum damit verband. Unsererseits werden andere Dinge wichtig, die dem Publikum damals eher von untergeordneter Bedeutung waren. Die Möglichkeit der "Umdeutung" ist es gerade, die einen solchen Stoff nach wie vor aktuell erscheinen läßt.



    Die Oper steht in einer Wechselwirkung mit dem Publikum, und wenn sich viele Menschen eben für eine gewisse Form der Musik und eine gewisse Form der Inszenierung entscheidet - sagen wir, für La Boheme in einer erzkonservativen Inszenierung - dann mag dies wissenschaftlich überholt, verstaubt, antiquiert sein - aber in dem Moment spielt das nur eine untergeordnete Rolle, da nicht jede Inszenierung wissenschaftlichen Kriterien genügen oder gar zur Weiterentwicklung der Gattung beitragen muss. In diesem Fall dient sie dazu, das zu erhalten, was alt ist - oder ewig jung.

    Ja, auch eine "erzkonservative" Inszenierung dient dazu, das Interesse an einem Werk wachzuhalten - und das hat sein Gutes. Die "Wissenschaft" weist nur darauf hin, daß auch diese Inszenierung eine zeitbedingte historische Umdeutung ist und nicht dem historischen "Original" irgendwie näher wäre als eine betont zeitgemäße und moderne. Der Zeitgeschmack von 1870 oder von 1900 ist auch nicht mehr der von 1780.



    Ich denke auch nicht, dass es rückschrittlich ist, den Librettisten ernst zu nehmen - oder ist dieser nicht genauso ein ernstzunehmender Künstler wie der Komponist?

    Die Librettisten waren ja nicht zimperlich, was das Ummodeln von Stoffen anging, die sie benutzt haben. Vergessen sollte man auch nicht: Oft war die Stoffwahl, sowie die Wahl von Ort und Zeit der Handlung der Not geschuldet, der Zensur zu entgehen. Man verlegt eine Handlung in eine ferne Vergangenheit oder ein anderes Land, um keine Scherereien mit der örtlichen Polizei zu bekommen. Das sind nicht nur künstlerische Kriterien, sondern ganz pragmatische, die da eine Rolle spielen. Warum also darf ein Regisseur von heute damit nicht ebenso pragmatisch umgehen?



    Schöne Grüße
    Holger

  • Aber meine Lieben, warum denn nur eine Inszenierung dauerhaft behalten und wer maßt sich hier eigentlich an Entscheiden zu dürfen welche Inszenierung es wert sei die nächsten Jahrtausende gezeigt zu werden.
    Nein, behalten wir doch alle Inszenierungen der letzten sagen wir einmal 100 oder 200 Jahre dauerhaft im Programm.
    Die können dann ja paralell gezeigt werden und der Zuschauer entscheidet dann welche Inszenierung er gern sehen möchte.
    Alte Meister werden doch auch liebevoll restauriert, auch wenn sie über 100 Jahr alt sind und nicht einfach übertüncht oder ersetzt.
    Oder reißen wir etwa, wie es die DDR tat, 100 Jahre alte Burgen und Schlösser ab, auch dann nicht wenn sie noch älter sind.
    Das ist doch schließlich unser kultures Erde.
    Inszenierungen besonders die die in den letzten 100 Jahre gezeigt worden sind müßten ins Weltkulturerbe aufgenommen, werden damit sich unsere Kinder und Kindeskinder immer wieder daran erfreuen können.
    Die Kosten für die Lagerhaltung die dann bei den Openhäusern anfallen, wenn sie ihren Gesamteninszenierungsfundus aufbewahren, übernimmt dann das Taminoklassikforum.

  • Ein schöner langer Beitrag. Nur was will uns der Verfasser damit sagen?


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • das würde ja bedeuten, daß nicht die Oper mir nahegebracht wird, sondern ich mich in die Zeit der Opernentstehung bewege, also gewissermaßen zu einem Barockmenschen werde. So etwas hat die romantische Hermeneutik (Schleiermacher) tatsächlich geglaubt, daß so etwas durch "Einfühlung" möglich sei. Nur stellt sich das dann leider als eine Projektion unserer Erfahrungen in die Vergangenheit heraus.

    Lieber Holger,


    das scheint mir in der Tat zutreffend zu sein. In der Tat gefällt mir auch Deine Formulierung, dass mir nicht etwas nahegebracht wird, sondern ich mich selbst aktiv bewegen muss, um mir etwas anzueignen, ganz außerordentlich gut. Natürlich ist diese Annäherung immer eine subjektive, fehlerbehaftete, keineswegs wissenschaftlich objektive und lückenlose - aber trotz aller "blind spots" steht mir persönlich diese Art der Annäherung immer noch näher als die radikale Abkehr.



    Ja, auch eine "erzkonservative" Inszenierung dient dazu, das Interesse an einem Werk wachzuhalten - und das hat sein Gutes. Die "Wissenschaft" weist nur darauf hin, daß auch diese Inszenierung eine zeitbedingte historische Umdeutung ist und nicht dem historischen "Original" irgendwie näher wäre als eine betont zeitgemäße und moderne. Der Zeitgeschmack von 1870 oder von 1900 ist auch nicht mehr der von 1780.

    Jedwede Inszenierung ist sicherlich nie ganz frei von den Bedingungen der eigenen Umwelt und der Persönlichkeit, und soll es auch nicht sein - der persönliche Stempel, die persönliche Handschrift darf und soll schon spürbar sein. Problematisch wird es für mich erst dort, wo ich Unvereinbarkeiten mit objektiven Gegebenheiten sehe, die dem Kunstwerk immanent sind.
    Wenn ich ein Sonnett schreiben möchte, muss ich mich gewissen formalen Kriterien unterwerfen - sonst ist es vielleicht ein wunderschönes Gedicht, aber kein Sonnett mehr. Ich kann die Form natürlich in gewissem Rahmen schon modifizieren, allerdings muss sie immer noch als Sonnett erkennbar sein.
    Zu entscheiden, wie weit ich dabei gehe, ist natürlich eine Gratwanderung, und eröffnet genau dieses Spannungsfeld, das immer wieder neue Interpretationen ermöglicht. Erfolgt jedoch eine zu große Abkehr von den Gegebenheiten der Oper, wie sie in ihrer musikalischen und textlichen Gestalt konkret vorliegt, entsteht ein m. E. ein neues Kunstwerk - was ja auch seine Berechtigung hat, aber nicht mehr wirklich mit dem Original gleichzusetzen ist.
    Die Mona Lisa von Marcel Duchamp mit dem Schnurrbart ist ein eigenständiges Kunstwerk, mit eigener Aussageabsicht und ästehtischen Bedeutung, und keine Variation oder Interpretation von DaVincis Bild, denke ich, auch wenn es natürlich am Original anknüpft.
    Gleichermaßen frage ich mich dann auch oft, inwiefern die Inszenierung einer Oper, die man vollständig aus dem historischen Kontext (zumindest das, was man davon kennt) herauslöst, noch eine Interpretation des Originals ist, oder schon die Grenze zu einem ganz anderen, eigenständigen Opus überschreitet, das nur noch bedingt mit der eigentlichen Oper, um die es geht, zu tun hat.



    Die Librettisten waren ja nicht zimperlich, was das Ummodeln von Stoffen anging, die sie benutzt haben. Vergessen sollte man auch nicht: Oft war die Stoffwahl, sowie die Wahl von Ort und Zeit der Handlung der Not geschuldet, der Zensur zu entgehen. Man verlegt eine Handlung in eine ferne Vergangenheit oder ein anderes Land, um keine Scherereien mit der örtlichen Polizei zu bekommen. Das sind nicht nur künstlerische Kriterien, sondern ganz pragmatische, die da eine Rolle spielen. Warum also darf ein Regisseur von heute damit nicht ebenso pragmatisch umgehen?

    Gerade die Tatsache, die Du ja richtig ausgeführt hast, dass die Modifikationen oft der Zensur geschuldet waren, macht ja deutlich, dass diese Änderungen eigentlich der ursprünglichen Intention zuwiderliefen, von daher stellt sich die Frage, sollte man nicht versuchen, die Urgestalt des Librettos wieder herzustellen - soweit bekannt, diese Prämisse muss natürlich erfüllt sein, und da ist natürlich auch die Forschung nicht immer in der Lage, alles zu beantworten. Jedoch denke ich, dass es problematisch ist, zwangsweise Änderungen, die vorgenommen wurden, um das Stück überhaupt spielen zu können, als Freibrief dafür genommen werden, die Anweisungen im Text zu ändern oder ganz zu ignorieren.



    herzliche Grüße


  • Ein schöner langer Beitrag. Nur was will uns der Verfasser damit sagen?


    Im Beitrag Nr. 68 wird's sehr gut kommentiert/erläutert (je nach Bedarf).

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Zitat

    Das ist doch schließlich unser kultures Erde.

    Das ist doch schließlich unseres Kultures Erde.


    Oder auch nicht?


    @ zweiterbass


    La Roche hat sich - vermutlich - auf den Beitrag bezogen, welchen ich auch soeben ins Visier genommen habe.


    :P Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

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  • Jedoch denke ich, dass es problematisch ist, zwangsweise Änderungen, die vorgenommen wurden, um das Stück überhaupt spielen zu können, als Freibrief dafür genommen werden, die Anweisungen im Text zu ändern oder ganz zu ignorieren.

    Völlig einverstanden! :) :hello:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • das scheint mir in der Tat zutreffend zu sein. In der Tat gefällt mir auch Deine Formulierung, dass mir nicht etwas nahegebracht wird, sondern ich mich selbst aktiv bewegen muss, um mir etwas anzueignen, ganz außerordentlich gut. Natürlich ist diese Annäherung immer eine subjektive, fehlerbehaftete, keineswegs wissenschaftlich objektive und lückenlose - aber trotz aller "blind spots" steht mir persönlich diese Art der Annäherung immer noch näher als die radikale Abkehr.

    Das eine geht aber nicht ohne das andere, lieber Don. Natürlich kann und soll ich mich aktiv bewegend bemühen, das Erleben eines Barockmenschen zu verstehen. Ich werde damit aber niemals zum Barockmenschen. Erlebnisse aus der Vergangenheit sind nicht identisch reproduzierbar. Und das historische Verstehen (zu dem auch Einfühlung selbstverständlich gehört) ist von Zusatzbedingungen abhängig wie dem Wirkungs- und Traditionszusammenhang, also einer Kontinuität von Vergangenheit und Gegenwart. All das reicht aber wiederum nicht zum vermeintlich vollständigen Verstehen, dazu bedarf es einer aktualisierenden Anwendung, weil die Lücke, der Graben zu einer fernen Vergangenheit niemals vollständig zu schließen ist. Genau dies erwartet die Gemeinde von ihrem Pfarrer: Er soll das Bibelwort so verständlich predigen, daß man dazu nicht erst einmal Semester lang Theologie studieren muß. Und eben dasselbe gilt von einem Interpreten von Musik wie auch der Aufführung im Theater: Ich erwarte von Brendel, daß er mir den Mozart nahe bringt und ebenso von einer Inszenierung, daß sie es vermag, zu zeigen, warum es Sinn macht, ein solches Stück überhaupt aufzuführen und in dieser Form.



    Jedwede Inszenierung ist sicherlich nie ganz frei von den Bedingungen der eigenen Umwelt und der Persönlichkeit, und soll es auch nicht sein - der persönliche Stempel, die persönliche Handschrift darf und soll schon spürbar sein. Problematisch wird es für mich erst dort, wo ich Unvereinbarkeiten mit objektiven Gegebenheiten sehe, die dem Kunstwerk immanent sind.
    Wenn ich ein Sonnett schreiben möchte, muss ich mich gewissen formalen Kriterien unterwerfen - sonst ist es vielleicht ein wunderschönes Gedicht, aber kein Sonnett mehr. Ich kann die Form natürlich in gewissem Rahmen schon modifizieren, allerdings muss sie immer noch als Sonnett erkennbar sein.

    Da hast Du selber wohl ungewollt das Richtige gesagt. :) Das Beispiel mit dem Sonnett ist nämlich sehr schön, weil es hier um solche formalen Kriterium sehr allgemeiner Nautr geht, die an sich gar keinen Werk-Charakter haben. Ich hatte mal an anderer Stelle gesagt: Die klassische Dramentheorie ist überhaupt keine Werk-Theorie!! Verlangt werden lediglich solche formalen Dinge wie daß die Handlung Anfang, Mitte und Ende haben muß, daß sie überschaubar, einheitlich und zusammenhängend sein soll usw. usw. All diese Kriterien werden auch dann erfüllt, wenn Teile gestrichen, umgestellt, die Handlung an einen anderen Ort und in eine andere Zeit versetzt wird. Regisseure, die so etwas tun (traditionell haben sie das immer getan), machen das also nicht aus Willkür, sondern halten sich schlicht an die Kriterien, wie sie die klassische Dramentheorie vorgibt. Nur dann sind solche Maßnahmen nicht zu billigen, wenn sie mit den formalen Kriterien nicht mehr übereinstimmen, etwa die Einheit der Handlung dadurch aufgehoben wird. Das ist letztlich eine Frage der Einzelbeurteilung. (Weil das so ist, stimme ich mit dem Standpunkt von Johannes Roehl voll überein.)



    Gerade die Tatsache, die Du ja richtig ausgeführt hast, dass die Modifikationen oft der Zensur geschuldet waren, macht ja deutlich, dass diese Änderungen eigentlich der ursprünglichen Intention zuwiderliefen, von daher stellt sich die Frage, sollte man nicht versuchen, die Urgestalt des Librettos wieder herzustellen - soweit bekannt, diese Prämisse muss natürlich erfüllt sein, und da ist natürlich auch die Forschung nicht immer in der Lage, alles zu beantworten. Jedoch denke ich, dass es problematisch ist, zwangsweise Änderungen, die vorgenommen wurden, um das Stück überhaupt spielen zu können, als Freibrief dafür genommen werden, die Anweisungen im Text zu ändern oder ganz zu ignorieren.

    Eine solche "ursprüngliche" Intention gibt es doch gar nicht - wodurch ist so etwas denn ausgeweisen? Die Wahrheit ist wohl, daß pragmatische Überlegungen schon in der Auswahl des Stoffes maßgeblich sind. :hello:



    Schöne Grüße
    Holger

  • Eine solche "ursprüngliche" Intention gibt es doch gar nicht - wodurch ist so etwas denn ausgeweisen? Die Wahrheit ist wohl, daß pragmatische Überlegungen schon in der Auswahl des Stoffes maßgeblich sind.

    Aber es gibt irgendwann eine Entscheidung in der Auswahl des Stoffes - und diese Entscheidung sollte man schon zur Kenntnis nehmen!

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Genau dies erwartet die Gemeinde von ihrem Pfarrer: Er soll das Bibelwort so verständlich predigen, daß man dazu nicht erst einmal Semester lang Theologie studieren muß. Und eben dasselbe gilt von einem Interpreten von Musik wie auch der Aufführung im Theater:


    Und genau hier liegt m.E. der Knackpunkt: Das, was wir hier unter "Regietheater" subsummieren, bringt uns das Stück nicht etwa nahe, sondern zu der vorhandenen Musik wird häufig ein völlig anderes Stück aufgeführt. Das ist dann also völlig kontraproduktiv, denn statt dass mir das Stück verständlicher wird, wird es bis zur Unkenntlichkeit verändert. Ein wahres Wunder, dass die Musik einstweilen noch dieselbe bleibt.


    Viele Grüße


    Mme. Cortese

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • Aber es gibt irgendwann eine Entscheidung in der Auswahl des Stoffes - und diese Entscheidung sollte man schon zur Kenntnis nehmen!

    Richtig - zur Kenntnis nehmen muß man es, nur nicht wie das Amen in der Kirche!



    Und genau hier liegt m.E. der Knackpunkt: Das, was wir hier unter "Regietheater" subsummieren, bringt uns das Stück nicht etwa nahe, sondern zu der vorhandenen Musik wird häufig ein völlig anderes Stück aufgeführt. Das ist dann also völlig kontraproduktiv, denn statt dass mir das Stück verständlicher wird, wird es bis zur Unkenntlichkeit verändert. Ein wahres Wunder, dass die Musik einstweilen noch dieselbe bleibt.

    Das bewertet naturgemäß jeder anders. Richtig ist natürlich, daß so etwas gehörig schief gehen kann. Das ist dann aber wie gesagt eine Frage der Einzelbeurteilung. Nur sollte die dann auch wirklich konkret werden und nicht nur mit Allgemeinheiten operieren wie: Es darf keine Umstellungen, keine Versetzung an einen anderen Ort geben usw. Wenn man nur so argumentiert - wie es hier eben zumeist geschieht - dann zeigt das nur, daß man schlicht nicht verstanden hat, was der Sinn der Inszenierung eines Dramas ist.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Wir verfangen uns immer wieder in den fest zementierten Positionen. Meines Erachtens ist es doch nicht die Frage traditionell oder modern inszeniert. Entscheidend ist doch allein, ob geglückt oder mißraten. Wenn oberflächliche Pauschaldiskussion vermieden werden soll, dann sollte ganz konkret herausgearbeitet werden was und warum etwas in einer regielichen Leistung gelungen ist und wo die bemängelnden Kritikpunkte liegen. Sobald hier erlebte Aufführungen besprochen werden erreicht die Berichterstattung häufig dieses Niveau. Die Taminos könnnen es selbstverständlich. Sie sollten es nur öfters tun und sich nicht in nutzlosen Grundsatudiskussionen argumentativ verschleißen.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Lieber Operus,


    das haben wir ja nach der "Traviata" aus der Scala versucht. Die Reaktion war allerdings mehr als dürftig.


    Viele Grüße


    Mme. Cortese

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • das haben wir ja nach der "Traviata" aus der Scala versucht. Die Reaktion war allerdings mehr als dürftig.

    Liebe Mme. Cortese,


    das habe ich anders empfunden. Immerhin sind nach der Fernsehausstrahlung der "La Traviata" 130 Beiträge gekommen. Zum großen Teil mit Detailwissen und recht konkreten Hinweisen, was gefallen hat und was nicht. Das empfinde ich für ein Diskussionsforum dieser Art als beachtlich. Selbstverständlich schwappt dann immer wieder die unausrottbare Grundstzdebatte in die Sachdiskussion hinein und überlagert dann, besonders wenn persönlich und polemisch entgegegnet wird oft wertvolle, weiterführende Erkenntnisse.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Sie sollten es nur öfters tun und sich nicht in nutzlosen Grundsatudiskussionen argumentativ verschleißen.

    Lieber Hans,


    da bin ich nicht ganz Deiner Meinung, zwar ist es zweifelsohne richtig, am konkreten Beispiel zu untersuchen, was gefällt oder auch nicht. Allerdings denke ich, dass nicht jede Grundsatzdiskussion in oberflächliches Geplänkel oder gar wutschnaubenden Disput ausarten muss. Ich halte Holgers Ausführungen für sehr interessant und bedenkenswert, obwohl oder gerade weil sie von den meinigen abweichen. Er vertritt fraglos sehr geduldig und kenntnisreich seinen Standpunkt, was mich zum Nachdenken anregt, und mich zwingt, meine eigenen Kriterien, die ich an eine Opernaufführung anlege, zu hinterfragen und adäquat in Worte zu fassen - dies stellt für mich einen großen Gewinn und ein produktives Ergebnis dar.
    Zudem muss ich ja, bevor ich ans praktische Beispiel gehe, mir schon im Klaren sein, welche Maßstäbe ich bei der Beurteilung zugrunde lege, und da erscheint mir auch eine allgemeinere Diskussion, die sich nicht in den speziellen Einzelheiten des konkreten Fallbeispiels erschöpft, durchaus sinnvoll zu sein, um den Blick über den besonderen Einzelfall hinaus zu weiten und die Eindrücke und Wertmaßstäbe zu systematisieren und zu ordnen.

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Ich werde damit aber niemals zum Barockmenschen. Erlebnisse aus der Vergangenheit sind nicht identisch reproduzierbar. Und das historische Verstehen (zu dem auch Einfühlung selbstverständlich gehört) ist von Zusatzbedingungen abhängig wie dem Wirkungs- und Traditionszusammenhang, also einer Kontinuität von Vergangenheit und Gegenwart.

    Lieber Holger,


    absolut d'accord, aber gerade aus denselben Erwägungen heraus, die Du hier zurecht anführst, gelange ich zu etwas anderen Schlussfolgerungen. Dadurch, dass ich mir eben der Tatsache bewusst bin, dass ich nichts zu hundert Prozent wiederholen und reproduzieren kann, empfinde ich den besonderen Reiz, mich in die Vergangenheit zu versetzen, und nicht umgekehrt das Stück in die Gegenwart zu transferieren.
    Ein Beispiel: Ich habe als Kind mit Begeisterung Ritter gespielt - mit Plastikhelm und Plastikschwert, und auch wenn ich kleiner Knirps natürlich schon wusste, dass eine richtige Rüstung aus Eisen oder Metall war - mit meinem Plastikschwert WAR ich Sir Lanzelot, die Illusion, das Empfinden war perfekt, und ein Cowboyhut oder ein Raumfahrerhelm hätten mich empfindlich gestört.
    Auch in der Oper weiß ich, dass ich da einem Ideal oder einer gewissen ästhetisierenden Welt anhänge - und da kommt für mich der Begriff der Atmosphäre ins Spiel (und ein Spiel ist die Oper ja - ein Schauspiel, mit Musik - die auch wieder, richtig, gespielt wird...).
    Damit meine ich, dass auch, wenn die allerletzte historische Wahrheit nicht erreicht werden kann, so sollte man doch versuchen, eine Wahrhaftigkeit herzustellen, einen Geist, eine Atmosphäre eben, die sich an dem festmacht, was die Partitur und das Libretto vorgibt.


    Ich bin mir nicht sicher - aber ist die Quintessenz nicht so, dass wir beide in dieselbe Zeitmaschine steigen - nur drückst Du den Hebel nach vorne, und transportierst die historische Oper in die Gegenwart, ich drücke den Hebel nach hinten, und reise zurück in die Vergangenheit - ? Beides sind wahrscheinlich nur unterschiedliche Wege zum selben Ziel. Du entkleidest die Oper der Vergangenheit zugunsten der Aktualisierung, um sie aus dem Nebel der Historie auftauchen zu lassen, ich schlüpfe in die Kostüme der Vergangenheit, um auf diese Weise in die Oper einzutauchen - wobei ich immer weiß, dass mein Kostüm nur ein Kostüm ist und ich immer Kind meiner Zeit bleibe, genau wie Du weißt, dass auch die modernste Inszenierung ihre Wurzeln in der Tradition hat, und sei es nur, um sich von ihr abzukehren.


    herzliche Grüße


  • Lieber Don,


    Für Deinen letzten Beitrag möchte ich mich ganz herzlich bedanken!
    Gerade, weil ich die Oper, wie auch Alfred, als museale Kunstform wahrnehme, ist mir dieser Gang in die Vergangenheit sehr wichtig. Vielleicht bin ich diesbezüglich auch irgendwie Kind geblieben und möchte mir diese Verzauberung nicht nehmen lassen.
    Es darf doch einfach nicht sein, dass ich heute nur noch in Lloyd-Webbers Musicals (z.B. Phantom) dieses Erlebnis haben kann, weil es mir in Stücken mit viel wertvollerer Musik durch Regisseure vermiest wird, die mich mit didaktisch erhobenem Zeigefinger in eine mir nicht genehme Aktualität zwingen wollen.
    Ich möchte hier wieder an die nette Geschichte des Germanisten Emil Staiger erinnern, der auf den Satz von Studenten, die moderne Literatur müsse sich mit Gewalt, Vergewaltigung und dergleichen beschäftigten,da dies die heutige Realität sei, antwortete: "Dazu kann ich nur entgegnen, in welchen Kreisen verkehren Sie denn?? ";)

  • Zitat

    Zitat von Don Gaiferos: Auch in der Oper weiß ich, dass ich da einem Ideal oder einer gewissen ästhetisierenden Welt anhänge - und da kommt für mich der Begriff der Atmosphäre ins Spiel (und ein Spiel ist die Oper ja - ein Schauspiel, mit Musik - die auch wieder, richtig, gespielt wird...).

    Lieber DonGaiferos,


    auch von mir vielen Dank für deinen Beitrag. Atmosphäre gibt es leider in der heutigen Oper kaum noch und von Ästhetik habe ich einen ganz anderen Begriff als uns jemand hier lehren will. Da stimme ich mit dem von M.Joho genannten Professor überein und kann diejenigen, die das als ästhetisch betrachten nur fragen: "In welchen Kreisen leben Sie denn?"


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Ein Beispiel: Ich habe als Kind mit Begeisterung Ritter gespielt - mit Plastikhelm und Plastikschwert, und auch wenn ich kleiner Knirps natürlich schon wusste, dass eine richtige Rüstung aus Eisen oder Metall war - mit meinem Plastikschwert WAR ich Sir Lanzelot, die Illusion, das Empfinden war perfekt, und ein Cowboyhut oder ein Raumfahrerhelm hätten mich empfindlich gestört.
    Auch in der Oper weiß ich, dass ich da einem Ideal oder einer gewissen ästhetisierenden Welt anhänge - und da kommt für mich der Begriff der Atmosphäre ins Spiel (und ein Spiel ist die Oper ja - ein Schauspiel, mit Musik - die auch wieder, richtig, gespielt wird...).


    Lieber Don Gaiferos,


    das verstehe ich sehr gut! Da geht es aber finde ich weniger um das Problem des Historischen als die Opernästhetik überhaupt. (Ich hatte dazu schon mal in einem anderen Thread ein Zitat gebracht.) Oper als geschlossene Traumwelt, in die der Zuschauer entführt wird, die ganz bewußt eine Gegenwelt zur Realität durch ästhetische Distanz schafft. Das ist natürlich ein Prinzipienstreit, wie man Theater versteht - als Illusion oder Widerspiegelung einer Realität. Ich finde beides legitim - wozu man sich da entscheidet, ist letztlich eine Frage des Geschmacks und des Standpunkts. Was ich nur überhaupt nicht verstehe ist der Sturm der Entrüstung von RT-Gegnern z.B. gegen diese aktuelle Zauberflöten-Inszenierung. Unsere Art von Traumbildern heute sind doch die Comics, das Kino, der Animationsfilm. Warum soll man diese Bildersprache nicht in der Oper benutzen dürfen? Das enspricht doch genau dieser Opernästhetik - und "Atmosphäre" haben diese Bilder doch nun wirklich. :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Zitat Holger Kaletha

    Zitat

    Was ich nur überhaupt nicht verstehe ist der Sturm der Entrüstung von RT-Gegnern z.B. gegen diese aktuelle Zauberflöten-Inszenierung. Unsere Art von Traumbildern heute sind doch die Comics, das Kino, der Animationsfilm. Warum soll man diese Bildersprache nicht in der Oper benutzen dürfen? Das enspricht doch genau dieser Opernästhetik - und "Atmosphäre" haben diese Bilder doch nun wirklich.

    Lieber Holger Kaletha,


    ich wundere mich ein wenig, daß Du den "Sturm der Entrüstung" nicht verstehst (auch wenn für mich diese Bilder ebenfalls Atmosphäre haben). Zunächst aber: M. E. darf man diese Bilder natürlich auch in der Oper benutzen. Dennoch: Comics und Animationsfilme besitzen diese Ästhetik, von der Du sprichst, - und das müßte man in Betracht ziehen - nur für einen Teil der Menschen: sie sind ja keine allgemeingültigen Bilder. Auch wenn Entrüstung vielleicht eine harsche Reaktion ist, kann ich verstehen, daß man diese Bilder eben nicht als Traumbilder empfindet und sich nach den Bildern sehnt, die den eigenen Traumbildern entsprechen. Das ist ganz legitim und auch abhängig von den Bildern, mit denen man groß geworden ist. Und wenn die in der Oper gezeigten Bilder nicht solchen entsprechen, die man als Traumbild akzeptiert, dann kann es auch nicht als Illusion genießen (wobei ich denke, daß die Begriffe Illusion und Wiederspiegelung der Realität nicht zwingend als Gegensätze verstanden müsse). Daran darf man Kritik üben. Ich habe wie mehrfach erwähnt keine Präferenzen hinsichtlich der Art der Inszenierung: sie muß nach meinem ganz persönlichen Empfinden dem Werk gerecht werden. Das kann aber auf ganz unterschiedliche Weise geschehen.


    Zu Beitrag 66 (Sven godenrath) fällt mir dann noch noch folgendes ein: Zynismus und Ironie bedürfen im geschriebenen Wort einer gewissen Eleganz, ansonsten wirkt das Ganze eher seltsam. Das ist besonders schade, weil die im Beitrag gestreifte Frage (nämlich wie mit dem Vergangenen umzugehen sei) hier besonders interessant ist. Im Falle der Inszenierung muß das Vergangene durch ständige Wiederholung aktuell gehalten werden. Daß es in diesem Zusammenhang erhaltenswerte Inszenierungen gibt, wird niemand bestreiten. Wie dies zu schaffen wäre ohne einen Stillstand zu provozieren, wird man nie für alle Seiten befriedigend lösen können. Darüber nachdenken (und gern auch diskutieren) sollte man dennoch.


    Herzlich
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • ch wundere mich ein wenig, daß Du den "Sturm der Entrüstung" nicht verstehst (auch wenn für mich diese Bilder ebenfalls Atmosphäre haben). Zunächst aber: M. E. darf man diese Bilder natürlich auch in der Oper benutzen. Dennoch: Comics und Animationsfilme besitzen diese Ästhetik, von der Du sprichst, - und das müßte man in Betracht ziehen - nur für einen Teil der Menschen: sie sind ja keine allgemeingültigen Bilder. Auch wenn Entrüstung vielleicht eine harsche Reaktion ist, kann ich verstehen, daß man diese Bilder eben nicht als Traumbilder empfindet und sich nach den Bildern sehnt, die den eigenen Traumbildern entsprechen. Das ist ganz legitim und auch abhängig von den Bildern, mit denen man groß geworden ist. Und wenn die in der Oper gezeigten Bilder nicht solchen entsprechen, die man als Traumbild akzeptiert, dann kann es auch nicht als Illusion genießen (wobei ich denke, daß die Begriffe Illusion und Wiederspiegelung der Realität nicht zwingend als Gegensätze verstanden müsse).

    Ich kann nicht anders als diese Entrüstung als ganz und gar befremdlich empfinden, lieber JLang. Ich wundere mich darüber, wie Menschen offenbar bereit sind, nur um ihre "Opposition" um jeden Preis aufrecht zu erhalten, jeden Selbstwiderspruch dafür in Kauf nehmen. Man wirft modernen Regisseuren vor, daß sie dem Opernbesucher das Vergnügern nehmen, sich nur selbst verwirklichen wollen usw. Statt dessen sollen sie die Dienstleister des Publikumsbedürfnisses sein. In diesem Fall war das Publikum (bei wiederholten und nicht nur einer Aufführung im übrigen) hingerissen und hellauf begeistert. D.h. die Regie hat genau das, was ihr immer vorgeworfen wird, am Publikum vorbei zu inszenieren, nicht getan. Und dann kommen die, welche das Stück überhaupt nicht gesehen haben und zeigen sich entrüstet. Das einzige, was sie sagen, ist: Wir wollen so etwas nicht sehen! Das ist ungefähr so, wie wenn Bayern München zuhause 6:0 gewinnt und alle zufrieden und vergnügt nach Hause gehen, selbst die Gegner neidlos anerkennen müssen: Das war ein tolles Fußballspiel und Bayern hat verdient gewonnen. Und dann kommen einige Griesgrämige, die gar nicht im Stadion waren und sagen: Das war kein schönes Fußballspiel, weil wir die Bayern nicht mögen. Eine solche Haltung nennt man wohl zu Recht voreingenommen mangels Bereitschaft, sich unvoreingenommen mit einer Sache überhaupt einzulassen. Nur dann gerät man nicht selbst in den Selbstwiderspruch, wenn man dem Publikum unterstellt, was sich begeistern läßt: Es hätte nun gar keine Ahnung vom Fußball bzw. von der Oper. Das wäre nun aber ziemlich anmaßend und auch unwahr.


    Und wieso sind das keine allgemeingültigen Bilder? Die Sprache von Comics versteht jeder. Hinter der "Entrüstung" darüber steht für meinen Geschmack wiederum eine andere Voreingenommenheit: Man hält Comics für Trivialkunst, die in der "hohen" Kunst der Oper nichts zu suchen hat. Deshalb lehnt man einfach im vorhinein die Verwendung solcher Bilder als prinzipiell unangemessen ab. Hier darf man aber konstatieren, daß die Regisseure offenbar im altmodischen romantischen Geiste handelten, die lingua romana und ihre "Wechselerhöhung und Erniedrigung" - anders als die "Entrüster" - noch zu verstehen in der Lage sind. Also soll derjenige, der das Märchen zum Kanon der Poesie erheben wollte, das letzte Wort haben: "Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Aussehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Sinn gebe, so romantisiere ich es -" :hello:


    Herzliche Grüße
    Holger

  • nd dann kommen die, welche das Stück überhaupt nicht gesehen haben und zeigen sich entrüstet. Das einzige, was sie sagen, ist: Wir wollen so etwas nicht sehen! Das ist ungefähr so, wie wenn Bayern München zuhause 6:0 gewinnt und alle zufrieden und vergnügt nach Hause gehen, selbst die Gegner neidlos anerkennen müssen: Das war ein tolles Fußballspiel und Bayern hat verdient gewonnen. Und dann kommen einige Griesgrämige, die gar nicht im Stadion waren und sagen: Das war kein schönes Fußballspiel, weil wir die Bayern nicht mögen. Eine solche Haltung nennt man wohl zu Recht voreingenommen mangels Bereitschaft, sich unvoreingenommen mit einer Sache überhaupt einzulassen. Nur dann gerät man nicht selbst in den Selbstwiderspruch, wenn man dem Publikum unterstellt, was sich begeistern läßt: Es hätte nun gar keine Ahnung vom Fußball bzw. von der Oper. Das wäre nun aber ziemlich anmaßend und auch unwahr.


    [...] Persönliche Verunglimpfung entfernt. TP


    Also ich persönlich kenne keinen Fußballfan, der eine bessere Leistung - und zwar egal, von welchem Verein - nicht anerkennt. Das liegt vielleicht auch daran, dass im Fußball immer noch Regeln gelten, die von allen Mannschaften einzuhalten sind und dass man, wenn man ins Stadion geht, auch Fußball - nicht Handball, nicht Tennis, nicht Pingpong und nicht Völkerball - zu sehen bekommt, egal ob man nun mit dem Verein sympathisiert oder nicht.


    Was nun an Koskys Comicshow besser sein soll als an der Everding'schen Zauberflöte, erschließt sich nicht. Dass sie einige anspricht, ist durchaus möglich, dass sie viele andere, die die Musik im Vordergrund haben möchten, nicht anspricht, genauso. All das ist legitim. Die "Begeisterung" für die Produktion ist sicherlich viel weniger darin zu suchen , dass sie sich comic-artiger Bilder bedient. Hier wurde einmal ganz bewusst auf die sonst üblichen, widerlichen Requisiten des herkömmlichen Regietheaters verzichtet - es gibt keine Nackten, keine Nazis, keine Gaskammern, keine Lumpen, keine Vergewaltigungen und keinen Puff. Stattdessen gibt es eine Menge zu sehen, viele bunte Bildchen, viel Videoklamauk und Reizüberflutung gratis. Dafür sind einige dann schon so dankbar, dass sie auf die Knie sinken und in Begeisterungsstürme ausbrechen. Von mir aus gern. Es gibt aber auch Leute, denen das noch nicht ausreicht. Das ist eben das Erbe jahrelanger Zermürbung durch das Regietheater. Nun ist das Publikum "gefügig" gemacht worden, und es muss schon zu extremen Auswüchsen kommen, bevor es protestiert. Für alle, deren Schmerzempfinden noch keine Hornhaut bekommen hat, sieht das anders aus.

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Man wirft modernen Regisseuren vor, daß sie dem Opernbesucher das Vergnügern nehmen, sich nur selbst verwirklichen wollen usw. Statt dessen sollen sie die Dienstleister des Publikumsbedürfnisses sein.

    Für wen hat ein Komponist seine Werke geschrieben? Für das Publikum oder für den Regisseur? In Deinen Ausführungen spielt der Komponist so gut wie keine Rolle.


    Deine Antwort kenne ich schon. Du kannst sie Dir sogar ersparen. Meine Meinung steht seit Jahren fest. Der, der das Werk geschaffen hat, ist der Urheber, der Vater des Ganzen. Der Regisseur war, ist und wird immer eines bleiben, der Umsetzer des Originals. Niemals wird er etwas anderes sein, denn er verwirklicht die Idee eines anderen. Und je mehr er sich vom Original entfernt, desto weniger hat er das Recht, sein "Werk (Machwerk)" so zu nennen wie das Original. Daran können philosophische Kategorien nichts ändern. Geistiger Diebstahl bleibt geistiger Diebstahl.


    Nicht umsonst sind Menschen, die als Dr. phil. promoviert haben wie von Guttenberg des geistigen Diebstahls bezichtigt worden, weil sie Urheberrechte verletzt und abgeschrieben haben. Ich wünschte, daß das denen auch passiert, die geistigen Diebstahl an Werken der Klassik begehen, egal ob Schauspiel oder musikalische Werke.


    Trotzdem schöne Weihnachten.


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Dürfte ich erfahren, warum mein gesamter letzter Beitrag gelöscht wurde? Oder ist er nur in einen anderen Thread verschoben worden?

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Könnte es sein, dass er im "Sammelplatz für..." zu finden ist, nachdem ihm von TP eine angebliche "Verunglimpfung" entfernt worden ist??

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