Das Philadelphia Orchestra in Referenzaufnahmen

  • Das Philadelphia Orchestra ist, um es mit Hermann Ortel und Hans Foltz aus den "Meistersingern" zu sagen, ein "eig'ner Fall". Welches Orchester hatte in bald sieben Jahrzehnten nur zwei Chefdirigenten? Welches Orchester wurde durch die Klangvorstellungen eines einzelnen Dirigenten so maßgeblich geprägt?


    Die Rede ist natürlich von Leopold Stokowski (1912—1941) und Eugene Ormandy (1936—1980). In den fünf Jahren zwischen 1936 und 1941 ging die musikalische Leitung sukzessive auf Ormandy über. Dem war eine heftige Auseinandersetzung Stokowskis mit dem Orchestervorstand vorausgegangen, welcher am Ende doch noch einknicken wollte, aber da war es bereits zu spät: Stokowski ließ sich nicht mehr umstimmen. 1941 verließ er für 19 Jahre das Orchester, um erst 1960 als Gastdirigent zurückzukehren und zuletzt 1969 in Philadelphia aufzutreten.


    Jedenfalls ist der sog. "Philadelphia Sound" im Grunde genommen identisch mit dem "Stokowski Sound". Bis in die 1950er Jahre hinein galt das Philadelphia Orchestra neben dem New York Philharmonic und dem Boston Symphony Orchestra als eines der "Big Three". Erst in den 50ern stießen das Cleveland Orchestra unter Szell und das Chicago Symphony Orchestra unter Reiner zu den nunmehr "Big Five" genannten Spitzenorchestern der USA hinzu.


    Zweifellos war es allein Stokowskis Verdienst, das erst 1900 gegründete Philadelphia Orchestra in diese Höhen zu katapultieren. Sein Ansehen war so groß, dass es Ormandy im Grunde genommen vier Jahrzehnte lang nicht wagte, dem Orchester einen anderen Klang aufzudrängen. Ormandy könnte man von daher als den idealen Sachwalter bezeichnen, einen Bewahrer des weltberühmten Klanges. Kritischere Stimmen nennen es epigonal.


    Tatsächlich klingen einige Aufnahmen Ormandys im Vergleich zu Stokowski doch ein wenig medioker. Freilich weidet sich Ormandy im Klangbad des Weltklasseorchesters, doch das, was Stokowskis Interpretationen so einmalig machte, vermisst man oftmals. Ausnahmen bestätigen die Regel.


    Mit Riccardo Muti (1980—1992), Wolfgang Sawallisch (1993—2003) und Christoph Eschenbach (2003—2008) konnte man zwar hochkarätige Nachfolger gewinnen, aber dennoch fiel das Orchester in der öffentlichen Wahrnehmung doch zurück hinter die goldene Zeit zwischen 1912 und 1980.


    Mit Yannick Nézet-Séguin setzt man seit 2012 auf einen Newcomer, der sich aber zumindest meines Erachtens noch nicht so richtig profilieren konnte. Anders als beim jüngsten Coup in Boston (Andris Nelsons) machte die Berufung Nézet-Séguins zumindest in Europa keine so großen Schlagzeilen. Die Neuaufnahmen halten sich leider auch in engen Grenzen, so dass vernünftige Vergleiche schwerfallen.


    Die großartigsten Aufnahmen des Philadelphia Orchestra sind m. E. jene, die Stokowski während der Zeit seines "zweiten Frühlings" in Philadelphia in den 60er Jahren machte. Glücklicherweise sind sie alle in Stereo eingefangen worden, da in den USA bereits seit spätestens 1960 Stereo im Rundfunk durchaus die Regel war. Besonders hervorzuheben wären exzeptionelle Aufnahmen der 1. Symphonie von Brahms (1963), der 5. Symphonie von Beethoven (1962) und diverser Wagner-Auszüge (1960, 1962, 1963, 1969).

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Leider sind längst nicht alle der 60er-Jahre-Aufnahmen von Stokowski mit dem Philadelphia Orchestra offiziell auf CD erschienen. Im Folgenden diejenigen, die ich auf die Schnelle ausfindig machen konnte:


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Gerade aus der neuerstandenen Box gehört. Philadelphia SO und Stokowski at their very best. Die "symphonische Synthese" aus Tristan ist den Wagnerpuristen wahrscheinlich suspekt, mir gefällt sie. Sie beginnt nicht mit dem Vorspiel sondern mit Musik aus dem 2. Akt und endet natürlich mit dem Liebestod.


  • Eine unglaublich gelungene Einspielung des Philadelphia Orchestra ist folgende aus dem Jahre 1978 unter Eugene Ormandy:



    Insbesondere die beiden unbekannteren Legenden "Lemminkäinen und die Mädchen auf der Insel" sowie "Lemminkäinen in Tuonela" sind mustergültig interpretiert.


    Das Philadelphia Orchestra klang kaum jemals besser als hier.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Das Philadelphia Orchestra klang kaum jemals besser als hier.


    Diese ausgezeichnete EMI-CD mit Ormandy (in der 2.Abb) habe ich auch seit vielen Jahren (als Vergleich da zu auch Segerstam und N.Järvi).
    Du und Lutgra hattet bereits im Thread der Neuerscheinungen davon geschwärmt. *** Ormandy ist ein ausgezeichneter Sibelius-Dirigent, was mir zu Beginn durch diese EMI-Aufnahme der Lemminkäinen-Suite (die ich uzuvor schon auf LP hatte) klar geworden war. Daher habe ich auch weitere Sibelius-Aufnahmen mit Ormandy bereits (und brauche die neuerscheinende SONY-Sibelius - Box nicht mehr).


    Eigendlich bin ich aus klanglichen Gründen allgemein nicht der grosse "EMI-Fan", aber es gibt auch bei EMI ausgezeichnetes Klangmaterial.
    Dazu gehört auch diese weitere Ormandy-EMI-CD mit dem Philadephia Orchestra:


    2Werke von Hindemith - die fantastischen Sinfonischen Metamorphosen und die umwerfende Konzert-Musik für Streicher und Blechbläser op.50


    .
    EMI, 1979, ADD


    Das ist einfach referenzwürdig mit welcher Wucht er das Philadelphia Orchestra aufspielen lässt - :thumbsup: und klanglich zu einer Zeit aufgenommen, als die Analogtechnik auf einem vollendeten Stand war. Im op.50 scheinen die Streicher des Philadelphia Orchestra auf einem Elektrischen Stuhl zu sitzen - so heiss ist das ...
    Diese EMI-CD gibt es auch in einer weiteren neueren EMI-Ausgabe um die Bartok-Mandarin-Suite erweitert (sogar preiswerter).

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

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  • Ich finde, dass die Gesamtaufnahme der neun Symphonien Beethovens eines Dirigenten, der immerhin auch zwölf Jahre dem Orchester vorstand, immer noch unter Wert laufen und auch hierher gehören:



    In meiner Sammlung jedenfalls haben sie ihren festen Platz, und ich höre sie zwischendurch immer mal wieder.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ich finde, dass die Gesamtaufnahme der neun Symphonien Beethovens eines Dirigenten, der immerhin auch zwölf Jahre dem Orchester vorstand, immer noch unter Wert laufen und auch hierher gehören


    Lieber Willi,
    denke daran, dass es hier um Referenzaufnahmen des Philadelphia Orchestra gehen soll ... aus meiner Sicht muss ich sagen, dass ich zu der Beethoven-Sinfonien-GA in Beitrag 14 mehr Vertrauen in diese Richtung hätte (aber die ist immer noch zu teuer) - - - ... - - - Ormandy !


    Was zeichnet Deiner Meinung nach diesen Muti-Beethoven-Zyklus besonders aus?
    Die Einzel-CD´s aus diesem Zyklus sind zum Teil für 1Cent im Angebot :pfeif:
    Ich habe Muti mit vielen Klassikern eher als belanglos in Erinnerung - erst für Komponisten ab dem 20. Jhd ordne ich gedanklich Muti für mich ein. (Ausnahme Tschaikowsky-Manfred.)


    ---------------
    Ich dachte an eine sofortige Antwort von Dir, lieber Willi (da ich Dich gerade noch Online gesehen hatte).
    Damit sie mir keiner weg schnappt, habe ich mir diese digitale Muti-Beethoven-GA (EMI, 1988, DDD) gerade für 5,89€ bestellt; :D bevor sie mir für den Hammer-Preis ein Anderer wegschnappt. :pfeif:

    Gruß aus Bonn, Wolfgang