Ein großes Plädoyer für kleine Ensembles und Häuser – Die Entführung aus dem Serail, Bad Lauchstädt, Goethetheater (28. August 2016)

  • Es müssen nicht immer die großen Ensembles, herausragenden Stimmen oder effektvollen Inszenierungen sein. Das hat mir noch einmal ganz deutlich ein Opernbesuch der etwas ausgefalleneren Art im idyllischen Bad Lauchstädt vor Augen geführt den ich gestern erleben durfte. Vorab: ich bin ein großer Freund historischer Theater und hatte dabei wunderbare Opernerlebnisse u. a. in der Oper auf Schloss Drottningolm.
    Der 1802 eingeweihte, von Heinrich Gentz entworfene Theaterbau war im bis dahin vor allem durch Badekuren bekannten Ort Lauchstädt eine regelrechte Attraktion und wird nach drei Restaurierungen 1830, 1907 und 1966-68 heute noch bespielt. Aktuell läuft die vierte Restaurierung (Fassade). Die originale Bühnenmaschinerie hat sich erhalten, außerdem wurde die “Wellenmaschine” von Schloß Drottningholm für den Hintergrund der Bühne nachgebaut und an die Bühne in Bad Lauchstädt angepasst.
    Es gastierte das Orchester l’arte del mondo unter Werner Erhardt, die ich noch nie gehört hatte. Es ist ein Ensemble, das auf historischen Instrumenten musiziert und großes Interesse an interkultureller Zusammenarbeit hat. So auch gestern, wo sie zusammen mit dem türkischen Pera Ensemble gastierten. Die Zusammenarbeit äußerte sich v. a. darin, dass die Ouvertüre leicht verändert wurde und die Janitscharenmusik durch das Pera Ensemble in veränderter Form präsentiert wurde. Außerdem wurde einige der Sprechszenen zusätzlich mit traditioneller türkischer Musik unterlegt. Das geriet leider im dritten Akt ein wenig zu laut, so dass man Mühe hatte die Dialoge zu verstehen. Ansonsten boten Ensemble (und das Theater) ein sehr ausgewogenes Klangbild. Erhardt hat einen beschwingten, aber durchaus zupackenden Mozart dirigiert, kleine Wackler im Blech und den Holzbläsern verzieh man gern angesichts der erkennbaren Freude, mit der er und mit ihm das Ensemble sich präsentierten.
    Die Solisten waren mir bis auf Rúni Brattaberg, den ich als Fafner im Rheingold bereits als stimmgewaltigen Riesen erleben durfte, nicht bekannt. Nun, m. E. steht und fällt das Vergnügen der Oper sehr stark mit dem Osmin. End Brattaberg, der ihn in der kommenden Saison auch an der Leipziger Oper singen wird, hat ihn wunderbar gesungen. Ein wenig komödiantisch, aber auch durchaus zum Fürchten, voller Unverständnis gegenüber manchen Äußerungen von Blondchen spielte und sang er sich in sehr großer Wortdeutlichkeit nach der ersten Arie frei und bekam auch verdient den größten Applaus. Die hochanspruchsvolle Partie der Konstanze wurde von der Chilenin Stephanie Elliott gesungen, die ihr Handwerk u. a. an der Musikhochschule in Köln erlernt hat. Sie meisterte ihren Part inklusive dem Koloraturfeuerwerk “Martern aller Arten” wirklich bravourös und intonierte stets äußerst sauber. Im Ausdruck ist noch ein wenig Luft nach oben, aber das ist Jammern auf hohem Niveau. Die Blonde wurde von der Kölnerin Maria Klier verkörpert, die in manchen Höhen ein wenig angestrengt klang, aber eine bezaubernde, kecke Leichtigkeit bis hin zu einigen sympathischen Albernheiten darbot. Den Pedrillo sang der Kölner Matrin Koch, dessen Diktion ich in den Sprechrollen etwas zu überdeutlich fand, aber der gesanglich den spitzbübischen Ton des Pedrillo gut traf. Der Mexikanische Tenor Roberto Ortiz sang den Belmonte. Er hat imO eine eher kleine Stimme, für die das Haus so eben noch geeignet war. In den Höhen geriet er an seine Grenzen und sprach einige Konsonanten sehr weich aus, aber sein Timbre war wie geschaffen für den Belmonte: ein verführerischer Schmelz, in den Mittellagen geradezu betörend. Eine angenehme und wortdeutliche Sprachrolle füllte schließlich Olaf Haye als Bassa Selim aus.
    Auch wenn alle Stimmen sicher noch Potenzial nach oben haben, so hat mich vor allem die Esembleleistung begeistert, die Stimmen funktionierten in den Duetten und den Quartetten grandios. Sie passten von den Lagen und dem Timbre äußerst gut zusammen, so dass die gesanglich Leistung trotz der auf dem Papier vielleicht nicht so bekannten Stimmen insgesamt hervorragend war.
    Eine letzte Bemerkung zur Inszenierung (Igor Folwill): da sich die Kulisen-Bühne in Bad Lauchstädt nahezu vollständig erhalten hat, entschied sich der Regisseur für eine klassische Inszenierung und die war bis hin zu kleinsten Details gelungen. Auf die rekonstruierte Wellenmaschine mit dem sich nähernden Schiff hatte ich ja bereits hingewiesen. Betont wurden Bezüge zur Commedia dell’Arte, sowohl in den Kostümen als auch im verhalten einiger Charaktere. Nach eigener Angabe wollte der Regisseur nachspüren, wie Oper in der Goethezeit gewirkt haben könnte. Dass allein durch den Ort des Geschehens immer wieder Bezüge zur aktuellen Welt aufflackerten, lag nahe. Diese wurden beispielsweise durch schlichte Verschiebungen von Betonungen akzentuiert.
    Kurzum: Mich hat erstaunt und begeistert, auf welch hohem Niveau hier musiziert und gesungen wurde und ich kann jedem einen Besuch im Theater nur empfehlen. Denn man erhält zum einen ein Erlebnis eines historischen Theaters, zum anderen muss man musikalisch kaum Abstriche machen. Das Gesamterlebnis, auf das es schließlich ankommt, stimmte einfach.


    Herzliche Grüße
    JLang


    Abschließend noch einmal ein Eindruck des Hauses (zu einem anderen Zeitpunkt angefertigt).



    Und das Ensemble zur Übersicht:
    Konstanze: Stephanie Elliott
    Blonde: Maria Klier
    Pedrillo: Martin Koch
    Belmonte: Roberto Ortiz
    Osmin: Rúni Brattaberg
    Bassa Selim: Olaf Haye
    Pera Ensemble


    Leitung, Ud & Perkussion: Mehmet C. Yeşilçay
    Ney & Perkussion: Volkan Yilmaz
    Kanun & Perkussion: Serkan Mesut Halili
    Perkussion: Ozan Pars


    Chor & Orchester l’arte del mondo


    Musikalische Leitung: Werner Ehrhardt


    Regie: Igor Folwill
    Musikalisches Arrangement: Mehmet C. Yeşilçay

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Die hochanspruchsvolle Partie der Konstanze wurde von der Chilenin Stephanie Elliott gesungen, die ihr Handwerk u. a. an der Musikhochschule in Köln erlernt hat. Sie meisterte ihren Part inklusive dem Koloraturfeuerwerk “Martern aller Arten” wirklich bravourös und intonierte stets äußerst sauber. Im Ausdruck ist noch ein wenig Luft nach oben, aber das ist Jammern auf hohem Niveau.

    Schön, dass sie sich inzwischen zu einer erfolgreichen Konstanze gemausert hat. Vor ca. 8 Jahren habe ich sie u.a. als Gilda und als Fiorella ("Turco") erlebt.

    Eine angenehme und wortdeutliche Sprachrolle füllte schließlich Olaf Haye als Bassa Selim aus.

    Den hatte ich in den 1990ern ab und an en der Komischen Oper Berlin in Gesangspartien (2. Seemann im "Zaren Saltan" und dergleichen).

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Danke, lieber JLang, für den schönen plastischen Bericht, der eigene Erinnerungen an Besuche in diesem bezaubernden Haus weckt.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Lieber Stimmenliebhaber, lieber Rheingold,
    habt vielen Dank für die Reaktion auf meinen kleinen Bericht.
    Du hast es, lieber Rheingold mit der Formulierung

    Zitat

    bezauberndes Haus

    wirklich schön getroffen.
    Das ging bis zu den Verkäufern der Programme in Livree. Es ist insgesamt einfach alles mit großer Liebe zum Detail gemacht, kleine Unzulänglichkeiten (zu spät aufgenommene Requisiten etc.) Requisiten und verzeiht man einfach gern, im Gegenteil, sie machen es erst wirklich authentisch. Man den besuch wunderbar mit einem Besuch des Kurparks verbinden und schauen, wo Wagner in der Stadt abgestiegen ist (die Häuser, die bekannte Gäste hatten, sind durch Schilder eigens gekennzeichnet). Ich bin sehr froh, dass ich seit einiger Zeit diese musikkulturell bedeutende Ecke näher kennenlernen darf.
    Beste Grüße
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Lieber Jörn,


    herzlichen Dank für Deinen sympathischen Bericht! Ich glaube auch, dass für das Überleben der Kunstgattung Oper genau diese "kleinen Ensembles und Häuser" entscheidend sind!


    P.S. In Kürze werde ich mir das Liszt-Recital von Andre Watts in Schwetzingen besprechen und darüber berichten! :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

  • herzlichen Dank für Deinen sympathischen Bericht! Ich glaube auch, dass für das Überleben der Kunstgattung Oper genau diese "kleinen Ensembles und Häuser" entscheidend sind!


    P.S. In Kürze werde ich mir das Liszt-Recital von Andre Watts in Schwetzingen besprechen und darüber berichten! :hello:


    Lieber Freund Lang,


    es ist ein Bericht, der mir aus der Seele spricht. Auch in der Oper ist Breitenarbeit mit entscheidend. Die Künstler in einer kleineren Stadt bekommen weit engere Beziehungen zum Publikum als dies an einem großen Haus möglich ist. Dadurch wird Theater und Oper ein selbstverständlicher, integrierter Teil des Kulturlebens in einer Stadt. Konzessionen, die man eventuell - aber wirklich nur eventuell - an die gebotene Qualität machen muss wird oft durch Spielfreude und Begeisterung der Mitwirkenden mehr als ausgeglichen und aufs Publikum übertragen. Wir hatten kürzlich beim Heilbronner Sinfonie Orchester ein Konzert mit blutjungen Sängern, die Frau Prof. Jeanne Piland zusammenstellte und einstudierte, was hier an Einsatz, an Frische, an erkennbarer Motivation geboten wurde war einfach mitreissend. Das Publikum war einhellig begeistert. Also ein Hoch auf die kleinen Bühnen, die unter schwierigen Bedingungen Grosses leisten und die vielen privaten Initiativen, die vor allem kleine, feine Festivals beflügeln.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Vielen Dank für Deinen Bericht, lieber Jörn. Er war für mich besonders interessant, da wir im September dort sein werden, um Figaros Hochzeit zu sehen.
    Wie kommen denn die Arbeiten am Theater voran? Bei unserem letzten Besuch in Bad Lauchstädt berichtete uns eine nette Dame von der Tourist-Information im Kurpark, daß sich der Sanierungsbedarf als viel höher herausstellte, als ursprünglich angenommen. Es mußten wohl auch einige Vorstellungen deswegen abgesagt werden und der reguläre Spielbetrieb stand auf der Kippe.


    Da es für uns sehr günstig zu erreichen ist, ist Bad Lauchstädt immer mal wieder unser Ziel, einfach um im Kurpark zu bummeln, auf einer Bank zu sitzen oder auch mal ein Glas Saale-Unstrut-Wein zu trinken.

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

  • Hab Dank, lieber JLang für den ausführlichen Bericht.


    Er hat mir richtig Spaß gemacht, weil Du auch über die Sänger berichtest.
    Ich habe bisher Bad Lauchstädt nur durch eine Besichtigung kennen gelernt. Es muss ja ein Ereignis sein, da eine Aufführung zu erleben. Mal sehen, ob ich es für das nächste Jahr einrichten kann.


    Mit besten Grüßen


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Liebe Taminos,
    über die freundlichen Reaktionen auf meinen kleinen Bericht habe ich mich sehr gefreut.


    Zitat operus

    Zitat

    Also ein Hoch auf die kleinen Bühnen, die unter schwierigen Bedingungen Grosses leisten und die vielen privaten Initiativen, die vor allem kleine, feine Festivals beflügeln.


    Lieber operus,
    in dieses Hoch stimme ich nur allzu gern ein. Es ist ja vor allem auch das große (oft genug ehrenamtliche) Engagement vieler Musikbegeisterter, dass es ermöglicht, in diesem Land diese schier unerschöpfliche Breite an klassischer Musik zu genießen.


    Zitat Holger Kaletha

    Zitat

    herzlichen Dank für Deinen sympathischen Bericht! Ich glaube auch, dass für das Überleben der Kunstgattung Oper genau diese "kleinen Ensembles und Häuser" entscheidend sind!


    Ja, lieber Holger, so ist es. Ich mag auch wie vor die großen Häuser, will aber versuchen, mehr von den kleinen Kennenzulernen. In der Tat würde ich auch sagen, dass das Überleben der Gattung wesentlich durch solche kleinen Häuser geprägt wird.


    Zitat Reinhard

    Zitat

    Er war für mich besonders interessant, da wir im September dort sein werden, um Figaros Hochzeit zu sehen.
    Wie kommen denn die Arbeiten am Theater voran? Bei unserem letzten Besuch in Bad Lauchstädt berichtete uns eine nette Dame von der Tourist-Information im Kurpark, daß sich der Sanierungsbedarf als viel höher herausstellte, als ursprünglich angenommen. Es mußten wohl auch einige Vorstellungen deswegen abgesagt werden und der reguläre Spielbetrieb stand auf der Kippe.


    Lieber Reinhard,
    da wünsche ich schon einmal viel Freude, ich musste mich terminlich zwischen Serail und Figaro entscheiden und ich kürzlich Figaro in Leipzig hatte, fiel die Wahl nicht schwer. Die Fassade ist leider momentan immer noch in einem bedauernswerten Zustand, da sie grundlegend restauriert werden muss. Dafür kann man sich momentan ansehen, wie das gemacht wird und wo z. B. noch alte Balken erhalten sind. Bad Lauchstädt ist ja von Leipzig aus wirklich sehr gut zu erreichen.


    Zitat Caruso41

    Zitat

    Er hat mir richtig Spaß gemacht, weil Du auch über die Sänger berichtest.
    Ich habe bisher Bad Lauchstädt nur durch eine Besichtigung kennen gelernt. Es muss ja ein Ereignis sein, da eine Aufführung zu erleben. Mal sehen, ob ich es für das nächste Jahr einrichten kann.


    Lieber Caruso41,
    es lohnt sich wirklich, man könnte es zum Beispiel mit Leipzig verbinden, es ist eine Fahrtzeit von unter 45 Minuten. Und Leipzig hat ja auch immer nette Programme. Zu den Sängern: ich versuche einfach mit meinen bescheidenen Mitteln meine Eindrücke zu schildern. Das ist sicher nichts für Melomanen aber über Oper zu schreiben ohne etwas zu meinen Eindrücken von Stimmen zu schildern, käme mir seltsam vor.


    Herzliche Grüße an Alle
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)