Der Musiker Gräber

  • Lieber Erich Ruthner,
    Rheingold hat eben diesen Thread mit dem Titel »Der Musiker Gräber« eröffnet, weil das ein Musikforum ist. Sicher wäre es an anderer Stelle auch möglich über »Der Künstler Gräber« zu schreiben, dann kämen noch Schauspieler, Maler, Bildhauer, Dichter und Schriftsteller dazu, vielleicht auch noch Fotografen und Artisten ...


    Dass man das nicht ganz so eng sehen muss, zeigt mein Beitrag Nr. 359, der dem Grabbesuch der Sängerin Irene Abendroth gewidmet ist.
    Wirklich keine zehn Meter davon entfernt ist das Grab von Nikolaus Lenau, da war ich dann auch der Meinung, dass man das der Allgemeinheit mitteilen sollte und verwies darauf, dass viele der Texte des Dichters in Musik gesetzt wurden.


    Auch wenn ich demnächst etwas über die Altistin Luise Willer schreibe, werde ich natürlich darauf hinweisen, dass auf dem kleinen Friedhof gleich an der nächsten Ecke Gert Fröbes Grab ist, aber auf den großen Friedhöfen in Wien, München, Berlin, Hamburg ... würde das Thema der Musikergräber »verwässert«, wollte man sich allen prominenten Gräbern zuwenden.
    In diesem Sinne verstehe ich meine Anmerkung zu den Herren Balser, Gobert und Seefehlner.

  • Dieser Beitrag steht im Zusammenhang mit dem Grabbesuch bei Irmgard Seefried, der unter Nr. 387 zu finden ist



    Wenn man an diesem Grab steht, ist an zwei hervorragende Musiker zu denken. Wolfgang Schneiderhan war ein echter Wiener, seine Frau, die Sopranistin Irmgard Seefried, war aber erst 1943 aus Deutschland in die Stadt gekommen und betrachtete Wien als ihre Wahlheimat.
    Beide sind schon als Kinder durch besondere musikalische Begabungen aufgefallen, aber bei Wolfgang, der ursprünglich einige Jahre unter dem Namen »Wolfi« auftrat und den Status eines »Wunderkindes« hatte, war die musikalische Seite schon in Kindertagen extrem ausgeprägt.


    Wolfgangs Vater, ein lebensuntüchtiger Schauspieler, der nicht viel auf die Reihe bekam, war eine Belastung für die Familie; Irmgards Vater dagegen ein musikalisch begabter Schulmeister, der sein Leben und das der Seinen fest im Griff hatte.
    Die musikalische Begabung kam bei den Schneiderhans von der mütterlichen Seite; die Mutter erteilte Unterricht in Klavier-, Geigen- und Zitherspiel und trat in volksnahen Kreisen als Zithervirtuosin auf. Von Wolfi wird berichtet, dass er schon als Zweijähriger von Musik besessen war und schon im Alter von drei Jahren von seiner Mutter Violinunterricht bekam. Die musikalischen Fortschritte des Kleinen waren so verblüffend, dass dem nahen Umfeld bald klar war, dass hier ein »Wunderkind« heranwuchs.


    Die Mutter ergreift die Initiative und sorgt dafür, dass der Siebenjährige bei Otakar Sevcik, der gerade 70 Jahre alt geworden war und als Begründer der tschechisch-wienerischen Geigenschule gilt, Unterricht erhält. Der Unterricht bei Professor Sevcik fand stets in der Ferienzeit statt, Mutter und Sohn fuhren nach Pisek, wo sie in einer billigen Unterkunft logierten und von spärlichen Mahlzeiten lebten. Die Mutter erledigt gegen eine entsprechende Entlohnung Schreibarbeiten für den Herrn Professor Sevic, um die Unternehmung zu finanzieren.


    In der Schule macht der Junge seine Sache recht ordentlich und eine weitere Sonderbegabung tritt zutage, er ist ein guter Zeichner; seine Zeichnungen schmücken den Klassenraum und er kann mit dieser Kunst sogar etwas Geld verdienen.
    Als zweiter Geigen-Lehrer kommt nun Julius Winkler in Wien dazu. Sevcik trainiert mit Wolfi Technik, Winkler, ein in Wien lebender Ungar, weiht ihn in den Sinn der Technik ein. Wolfi hat Fritz Kreisler, Pietro Mascagni und Felix Weingartner vorgespielt, und sie alle begeistert.


    Im September 1926 gibt Wolfi sein erstes Konzert in Kopenhagen. Im weiteren Verlauf seines Aufenthalts im Norden spielt er in privaten Konzerten, aber auch im schwedischen Rundfunk. In Malmö wird er von Freunden mit exklusiver Kleidung ausgestattet.
    Der Elfjährige wird von seiner Mutter in Wiener Zeitungsredaktionen geschickt, um dort zu antichambrieren, was dem Jungen äußerst peinlich ist. Bis Ende 1926 spielt er sechsmal in Wien und Graz. Im Mai 1927 erobert er mit seinem Geigenspiel Kopenhagen und die dänische Provinz. In dieser Zeit schwänzt er nun schon seit einem halben Jahr das Gymnasium, was jedoch dort niemand aufzufallen scheint.
    Wolfi ist inzwischen in der Lage größere Geldbeträge nach Hause zu schicken und träumt aufgrund seiner momentan hohen Einkünfte vom Bau einer Villa ... und die Eltern träumen zu Hause mit. Wolfi war von dem Pianisten Willy Klasen »entdeckt« und zu Konzertreisen mitgenommen worden, eine Wunderkind-Attraktion, die sich gut vermarkten ließ.
    Als erwachsener Mann schildert Wolfgang Schneiderhan im Rückblick seine Wunderkind-Phase so:


    »Ich lernte in jener Zeit Europa kennen, täglich in einer anderen Stadt geigend – das heißt: Ich sah die Konzertsäle und die Zimmer kleiner Hotels. In meiner Wunderkindzeit wurde ich in schwarze, braune oder blaue Samtanzüge gesteckt. Da die Strümpfe keine Falten werfen durften, gab man mir einen Damenstrumpfhalter. Zu guter Letzt trug ich eine Ponyfrisur, und man kann sich meine Pein vorstellen, wenn man mich allerorts als "Fräulein" anredete und mir sogar die Hand küßte. Es war eine Zeit, in der bitter-ernste mit kurzen sonnigen Abschnitten wechselten.«.


    Wenn man die Details dieser Konzertreisen kennt, sollte man annehmen, dass durch die sich überschlagenden Aktivitäten Geld in rauen Mengen eingenommen wurde, aber die Eltern zu Hause baten in unterschiedlichen Tonarten immer wieder um Geld, ja forderten es mit Nachdruck. Manchen nach Hause geschickten Geldbetrag ließ der Vater einfach in seiner Tasche verschwinden.
    Willy Klasen forderte von dem nunmehr 13-Jährigen zu viel. Die einzelnen Konzertereignisse sind eine Aneinanderreihung von Superlativen. Das Karussell dreht sich immer schneller; irgendwann bricht der Junge zusammen, sitzt in einem Hotel fest und kann die Rechnung nicht bezahlen. Mit 14 trennt er sich von seinem ständigen Begleiter.
    Eine Gräfin von Hartenau-Battenberg ordnet nun die finanziellen Verhältnisse. Der Vater, Theodor Schneiderhan ist tot, er starb mitten in der Krise seines Sohnes; Wolfi erinnert sich nicht an das Todesdatum seines Vaters.


    Das Wunderkind-Dasein hat nun sein Ende, Wolfi ist Geschichte; Wolfgang Schneiderhan wird im Juni 1933 erster Konzertmeister bei den Wiener Symphonikern, später dann bei den Philharmonikern. Die Gräfin, von Geburt eine Bürgerliche, ordnet nicht nur die Finanzen des Jünglings, sie führt ihn auch in ihren gehobenen Freundes- und Bekanntenkreis ein. Bevor er als Konzertmeister so richtig in Erscheinung tritt, erholt er sich auf einer Hochalpe im Bregenzerwald; der Gutshof gehört einer Familie Hämmerle. Diese Familie hat auch ein Heim in Wien, und der Hausherr besitzt eine wertvolle Geigensammlung und leiht ihm im Laufe der Jahre eine Guarneri del Gesú und zwei Stradivari.


    Seine Solistenlaufbahn wuchs aus der Orchestertätigkeit heraus. Der erwachsene Geiger widmete sich vor allem der Kammermusik und pädagogischen Aufgaben. Professuren am Salzburger Mozarteum und an der Wiener Musikhochschule unterstreichen die pädagogischen Aktivitäten des Künstlers.


    Lehrtätigkeiten verbanden ihn im besonderen Maße mit Luzern und seinen Internationalen Festwochen.
    Als Nachfolger von Carl Flesch und Georg Kulenkampff gab er 1949 dort seinen ersten Sommer-Meisterkurs und unterrichtete fortan auch während des Jahres im Konservatorium auf Dreilinden. Zu seinem ersten Assistenten wählte er Rudolf Baumgartner.


    Auf Vorschlag des Zürcher Geigers wurde 1955 das Kammerensemble der Festival Strings Lucerne gegründet, das in den kommenden Jahrzehnten rund um den Erdball gastierte. Bekannt wurde es vor allem seines homogenen Klangs und des hellen, weichen Wiener Tons wegen, den es vom großen Lehrer übernommen hatte. Schließlich entstammten die Violinistinnen und Violinisten alle seiner Meisterklasse. Auch als sich die Wege der beiden Gründer trennten, kam Schneiderhan gelegentlich als Solist zum Ensemble zurück. Bis 1970 trat Schneiderhan jedes Jahr an den IMF auf, später dann, bis 1986, in der Regel noch alle zwei Jahre, nicht selten mit seiner Gattin, der 1988 verstorbenen Sopranistin Irmgard Seefried, mit der ihn eine einzigartige Künstlergemeinschaft verband. 1968 wirkten beide bei der Uraufführung des eigens für sie komponierten «Magnificat» für Sopran, Violine und Orchester von Frank Martin mit. Überhaupt setzte sich Schneiderhan, der sich gelegentlich auch als Dirigent versuchte, für zeitgenössische Musik ein und spielte Strawinsky, als dies noch keine Selbstverständlichkeit war.


    Am 18. Mai, es war der Pfingstsamstag 2002, starb Wolfgang Schneiderhan, kurz vor seinem 87. Geburtstag, in einem Sanatorium in Döbling.



  • Ein Grabbesuch zum heutigen Todestag des Dirigenten


    Der Wiener Dirigent Josef Krips gilt als einer der bedeutendsten Akteure des Wiederaufbaus der österreichischen Musiklandschaft nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Von 1945 bis 1950 war er ständiger Dirigent der Wiener Staatsoper und Leiter zahlreicher Auslandsgastspiele.
    Als Chefdirigent des London Symphony Orchestra (1950-54), des Buffalo Philharmonic Orchestra (1954-1963) und Leiter des San Francisco Symphony Orchestra (1963-1970) war Josef Krips auch außerhalb seiner Heimat anerkannt. Es würde diesen Rahmen sprengen, wollte man all seine Stationen aufzählen.


    Sein Vater war Arzt und Geburtshelfer, Josef kam als erstes Kind der Familie in häuslicher Umgebung zur Welt und vier Geschwister folgten. Aber der Kleine war schon als Baby kränklich und bekam dann, als er zweieinhalb Jahre alt war, die sogenannte englische Krankheit. Ansonsten wuchs er behütet heran und verbrachte zweiundzwanzig Jahre im Elternhaus.


    Krips´ Vater war musikalisch und musikbegeistert und Besitzer einer schönen Tenorstimme; dass sie schön war beweist die Tatsache, dass sich einige Kirchen bemühten ihn als Solisten zu bekommen, seinen Sohn Josef nahm er zu den Proben des Wiener Männergesangvereins mit, wobei das Söhnchen »Matthäus- Passion«, »Johannes-Passion«, »Mozart-Requiem« und das Requiem von Brahms und Verdi kennen lernte.
    Im Alter von sechs Jahren begleitete Josef seinen Vater am Klavier zu Schuberts »Morgengruß«
    Josef erlebte seine ersten Opernbesuche als Siebenjähriger, das waren so unterschiedliche Opern wie »Lohengrin« und »Der Evangelimann«, da war er acht, wie er Kienzl zu dessen 80. Geburtstag schrieb.
    In Schülerkonzerten des Währinger Gymnasiums spielte er schon mal mit dem zwei Jahre älteren Ernst Krenek im Quartett oder Krenek begleitete den Josef am Klavier, wenn dieser Schubert-Lieder sang. Wie man sieht, war das schon ein sehr musikalisches Heranwachsen.
    Zu seiner Firmung, das war 1914, wünschte er sich den Besuch der Oper »Parsifal«, schlief aber kurz vor Ende des zweiten Aktes ein, die Feierlichkeiten seines Firmtages waren für ihn doch zu strapaziös gewesen.
    Ein besonders guter Schüler soll er nicht gewesen sein, aber da er bei schulischen Veranstaltungen stets als Pianist, Geiger oder Sänger präsent war, gab es für ihn einen gewissen Notenbonus.
    Der Zwölfjährige bekam vom Großvater eine Geige und lernte bei einem zweiten Geiger der Volksoper das Instrument zu spielen; zwischen dem fünfzehnten und siebzehnten Lebensjahr spielte Josef Krips dann als Substitut im Volksopernorchester.


    Der Vater von Josef Krips hätte es gerne gesehen, wenn sein Sohn auch Arzt geworden wäre, aber dieser wollte das nicht. Im Alter von siebzehn Jahren begann er ein Gesangsstudium bei dem renommierten Gesangspädagogen Otto Iro, der zwar selbst keine brillante Sängerkarriere nachweisen konnte, aber er publizierte erfolgreich zum Thema »Stimmbildung«.
    Vater Krips war der Ansicht, dass Musiker kein Beruf sei und war nicht bereit das Studium seines Ältesten zu finanzieren, also begleitete der junge Krips in den Unterrichtsstunden, um ans Studiengeld zu kommen. Als er an zwei Tagen hintereinander die Titelpartie in Mendelssohns Oratorium »Elias« sang, war er schon zur Erkenntnis gelangt, dass er keine Sängerkarriere anstreben würde. Einige Male stand er in weniger bedeutenden Rollen auf der Opernbühne, dann war die kurze Sängerkarriere des Baritons Josef Krips auch schon zu Ende.


    Durch ein spontanes Einspringen als Klavierbegleiter bei einem Vorsingen an der Volksoper wurde Direktor Weingartner auf den jungen Mann aufmerksam, in den Jahren 1921 bis 1924 war er - nach einer verkürzten Probezeit - an diesem Haus engagiert. Er studierte auch mit vielen unbekannten Sängern Rollen ein, und da er ein sehr gutes Gedächtnis hatte, konnte er mehr als ein Dutzend Opern ohne Klavierauszug spielen und kannte sich in diesen Opern bestens aus; er zeichnete sich an diesem Haus als Allroundtalent aus und war auch mal als Chorsänger oder Souffleur gefragt.


    Sein Dirigentendebüt feierte Krips am 23. September 1921 - »Maskenball« - noch nie vorher hatte er eine Oper dirigiert, ein Notfall, er war für einen plötzlich erkrankten Dirigenten eingesprungen. Als der Chordirektor der Volksoper überraschend starb, wurde Krips Chordirektor der Volksoper; es war im Herbst 1922. In dieser Funktion hat er die junge Anny Konetzni als Chorelevin engagiert, die später eine ganz große Sängerin wurde.
    Der junge Krips wurde immer mehr mit Dirigaten betraut, dirigierte auch viel in Linz, wo man ihm das seiner Jugend wegen anfangs nicht so recht zutraute.


    Aber Krips arbeitete nicht nur an der Volksoper, er studierte auch dort. Zum erfahrenen Weingartner hatte er ein gutes Verhältnis. Er durfte seinen Chef regelmäßig in der Wohnung besuchen. Weingartner gab ihm meist zweimal in der Woche eine Art Seminar, erklärte die Architektur der grundlegenden Werke der Musikliteratur und wie sie zu interpretieren sind.


    Bis hierher klingt das alles recht positiv, aber kein Meister fällt einfach vom Himmel; auch der scheinbare Wunderknabe wurde gewaltig zusammengestaucht. Während einer Probe zum »Waffenschmied« kanzelte Weingartner Krips wegen des zu schleppenden Tempos wütend ab und sagte vor der versammelten Bühnenmannschaft: »Mein Lieber, wenn Sie so weitermachen, wird aus Ihnen gar nichts!« Nun, das renkte sich wieder ein, aber als Weingärtner von der Volksoper wegging mochte Krips auch nicht mehr bleiben; er war nun 22 Jahre alt und hatte bereits ein Repertoire von 38 dirigierten Opern.


    Seine nächste Station war Aussig, das an der Elbe, etwa zwischen Dresden und Prag liegt; zu dieser Zeit war die Stadt deutsch-böhmisch. In Aussig war Krips Opernchef und machte seine Sache gut, aber es kamen nach den ersten sechs Wochen in seinem neuen Betätigungsfeld schon acht attraktive Angebote aus Deutschland, eines aus Dortmund, das solch gute Konditionen hatte, dass er das gar nicht ablehnen konnte.
    Es kam Geld ins Haus, es konnte geheiratet werden, seine Wahl fiel auf eine sehr gut aussehende Witwe, die den ersten Modesalon in Aussig führte. Die Hochzeitsfeierlichkeiten wurde musikalisch von seinem ehemaligen Musiklehrer an der Orgel und seinem Violinlehrer gestaltet; in der Döblinger Pfarrkirche erklang zunächst das »Ave Maria« von Gounod, danach ließ sich der Volksopernchor mit »Treulich geführt« hören. Die Hochzeitsreise ging nach Dortmund.


    Dortmund hatte ein Theater mit 1.400 Plätzen und einem 94-Mann-Orchester. An diesem Haus dirigierte er seinen ersten «Tannhäuser« und auch »Meistersinger«. Musikalisch wurde er in Dortmund kaum kritisiert, aber man erklärte ihm mit Nachdruck, dass man in Deutschland pünktlich zu sein hat, in Wien hatte er den Chor schon mal zwanzig Minuten warten lassen. Er hat sich das eingeprägt - und als er wieder nach Wien zurück kehrte, nannte man ihn dort »den Preußen«. Er kehrte recht schnell wieder nach Wien zurück, denn er nannte den Dortmunder Intendanten einen »alten Trottel«, er musste vor dem Betriebsrat erscheinen und man vereinbarte, dass der Kapellmeister das Theater zum Saisonende verlässt. Erwähnenswert ist dabei, dass 82 von 94 Orchestermusikern zum Abschied an den Bahnhof kamen.


    Den Sommer verbrachte Krips mit seinem jungen Bruder in Unterach am Attersee, wie lange diese Freizeit dauern sollte war ungewiss, kein Engagement in Sicht. Unerwartet läutete der Briefträger - ein Telegramm! Eine Künstleragentur aus Berlin hatte es gesandt. In Karlsruhe war der erst 28-jährige Dirigent Ferdinand Wagner nach nur einjähriger Amtszeit überraschend gestorben. Man benötigte dort dringend einen Nachfolger.
    Auf der Bewerberliste der Nachfolge standen neben Krips immerhin auch Felix von Weingartner, Otto Klemperer, George Szell und Karl Böhm - wobei das nur die heute noch überall bekannten Namen sind, insgesamt hatten sich 80 Dirigenten um die Stelle beworben. Krips´ Probedirigate beeindruckten in Karlsruhe. Mit einer zusammengewürfelten Mannschaft - nur der Chor kam von Karlsruhe - brachte Krips den »Fliegenden Holländer« in Baden-Baden zur Aufführung.
    Nun musste er noch eine Probe als Konzertdirigent abgeben; auf seinem Programm standen: g-Moll-Symphonie von Mozart, Tannhäuser-Ouvertüre und die fünfte Symphonie von Beethoven.
    Die Karlsruher Zeitung schrieb in ihrer Rezension:


    »Zweifellos zählt Josef Krips im stabführenden Nachwuchs zu jenen Erscheinungen, die den Durchschnitt bedeutend überragen und wertvolle Qualitätsmomente aufweisen. Er ist nicht nur ein energischer, handfester Orchesterführer, der genau weiß, was er will, mit der der sachlich klaren Zeichengebung, die gegenüber den exzentrischen Manieren so vieler seiner jungen Kollegen wahrhaft wohltuend wirkt, verbindet sich wirklicher Impuls, starkes Temperament.«


    Zunächst engagierte man ihn als Kapellmeister, aber schon nach drei Monaten wurde er zum GMD ernannt, damit war er der jüngste Generalmusikdirektor, den es je in Deutschland gegeben hatte; der Vertrag sollte zehn Jahre gelten, aber zehn Jahre später hatte sich die politische Lage in Deutschland so verändert, dass er nicht bleiben konnte, weil er nicht imstande war vier arische Großeltern vorzuweisen.


    Während seiner siebenjährigen Tätigkeit in Karlsruhe reiste er stets nach Bayreuth und war dort hautnah am Geschehen, erlebte die großen Kollegen Furtwängler und Toscanini bei der Probearbeit, ebenso reiste er zu den Salzburger Festspielen.
    Schon in seinen frühen Karlsruher Jahren bekam Krips Angebote von der Wiener Staatsoper, der Metropolitan Opera und San Francisco, aber zu dieser Zeit fühlte er sich für diese Positionen noch zu jung.


    1930 traf ihn ein schwerer Schicksalsschlag. Krips kaufte sich 1928 ein Auto und weil Josef Krips noch Verpflichtungen hatte, fuhr Maria Krips mit dem Auto alleine nach Wien, wurde bei Melk aus der Kurve getragen und war tot.


    Im November 1931 stand Krips erstmals am Pult der Wiener Staatsoper, Clemens Krauss hatte ihn eingeladen die Neuinszenierung des »Zigeunerbaron« zu dirigieren, am Silvesterabend 1931 gab er dort sein Debüt. Richard Strauss, mit dem Krips in regem Kontakt stand, hatte allerdings kein Verständnis dafür, er schrieb:


    »... aber wie können Sie sich herbeilassen, in Wien mit dem "Zigeunerbaron" zu debütieren? Das wäre schon die neueste Mode, daß man Dirigenten von Rang heute an Operetten beurteilt! Paßt allerdings zu dem Unfug, die Herren Millöcker, Strauß und Offenbach unter die "Klassiker" einzureihen!«


    Aber Richard Strauss´ Sorgen waren unbegründet, denn bereits zum 1. Mai 1933 dirigierte Krips an der Wiener Staatsoper eine »Götterdämmerung«-Aufführung und weitere Operndirigate folgten, auch Graz war an dem frei gewordenen Dirigenten interessiert. Dort konnte er Generalmusikdirektor werden; er dirigierte »Aida« und versprach dem Chor ein Fass Bier, wenn die A-capella-Stellen im zweiten Bild einwandfrei gesungen werden; der Chor kam zu seinem Bier. Der Jubel nach der Aufführung war überwältigend - nicht wegen des Bieres, sondern wegen der künstlerischen Gesamtleistung. Es galt praktisch als ausgemacht, dass Krips in Graz neuer Generalmusikdirektor wird.
    Aber in diesen Tagen war Egon Pollak, der in Prag als Gast eine »Fidelio«-Aufführung dirigierte, tot vom Pult gefallen. Wien brauchte dringend einen qualifizierten Nachwuchs und Krips wusste, dass die Staatsoper eine erste Adresse war. Wien bot eine Monatsgage von 3.000 Schilling, aber als dann endlich nach Wien durchgedrungen war, dass man Krips in Karlsruhe aus rassistischen Gründen gekündigt hatte, packte die Wiener Direktion die Gelegenheit beim Schopf und reduzierte das Monatssalär schleunigst auf tausendsechshundert Schilling.


    1935 gab Josef Krips sein Debüt bei den Salzburger Festspielen, wo er den »Rosenkavalier« von Clemens Krauss übernahm, denn Krauss hatte in Buenos Aires zu tun.


    Zusammen mit Weingartner übernahm er die Kapellmeisterschule an der Akademie und machte dort die Hauptarbeit, weil Weingartner oft monatelang abwesend war. Danach kam noch eine Saison in Belgrad, dann das Berufsverbot. Das war hart, aber er mochte nicht nach Amerika und blieb auch nach dem sogenannten Anschluss im Land. Er lebte bei seiner Mutter im Familienhaus in Döbling und hatte noch mit einigen Musikern Kontakt, wenn er korrepetierte, was teilweise mit Naturalien honoriert wurde, legal war das damals nicht.
    Noch 1941 erhielt er eine Sondergenehmigung und durfte in Budapest dirigieren, dann hielt er bis 1945 keinen Taktstock mehr in der Hand. Er war nun zu ungewohnter Arbeit gezwungen, arbeitete in einer Weingroßhandlung und dann bei einer Nahrungsmittelfirma und war zum Posttransport bestimmt, was er in stundenlangen Fußmärschen quer durch Wien bewältigen musste. Ein Dr. Boesch hielt seine schützende Hand über ihn, soweit ihm das möglich war. Zehn Tage vor dem Endkampf in Wien tauchte er zusammen mit seiner Mutter ab, in den Keller von Kammersänger Fritz Krenn, bis die Russen kamen.


    In der unaufgeräumten Zeit nach den Kriegsereignissen wurde wieder - teilweise unter fragwürdigen Umständen - musiziert. Der Dirigent musste sich beispielweise um verhaftete Musiker kümmern und ähnliches mehr.
    Aber es gab 1946 schon wieder Salzburger Festspiele, Krips dirigierte »Don Giovanni« und Ljuba Welitsch wurde als große Sängerin entdeckt. Danach folgten einige Auslandsgastspiele der Wiener Oper: Russland, Frankreich, Belgien, England; das war auch PR in eigener Sache, denn die Staatsoper bangte um einen ausreichenden Etat.
    Das Staatsoperngastspiel in London war für Krips eine wichtige Station zum Aufbau seiner internationalen Karriere. Als es allerdings nach Amerika gehen sollte, stand sein geplantes Konzert mit dem Chicago-Orchester unter keinem guten Stern. Mit einem Visum und den besten Wünschen verließ er in Wien die amerikanische Gesandtschaft und flog mit seiner zweiten Frau Mitzi nach Amerika. Unmittelbar nach der Landung hat man beide verhaftet und unter unwürdigen Umständen wie Verbrecher nach Ellis Island gebracht. Nach einigem Hin und Her wurden sie wie Gefangene zum Flughafen eskortiert und mussten zurück fliegen. Zunächst erholten sie sich in London von dem Schock. In Österreich schrieb die Presse, dass Krips die Resulution eines kommunistischen Friedensrates unterzeichnet hätte - Krips wusste von so einer Unterschrift jedoch nichts.


    London war ein besserer Boden für ihn, von 1950 bis 1954 war er Chefdirigent des London Symphony Orchestra. Krips moniert, dass dort die Arbeitsbedingungen der Orchestermusiker schlecht sind, weil sie meist nur nach Diensten bezahlt werden und die Probebedingungen sehr zu wünschen übrig lassen.
    Während eines Konzerts des LSO wurde Krips zur Pause in die Loge gebeten, wo er ein kurzes Gespräch mit Miss Truman hatte; am nächsten Tag schickte der amerikanische Botschafter einen Brief, der ausdrückte, dass ein Visum für ihn und seine Frau bereit liegt.
    Im Februar 1953 kam dann für Krips endlich das Amerika-Debüt und zwar in Montreal; die zweite Station war Buffalo, eine Industriestadt im Staat New York. In Buffalo hat man Tradition, denn Nikisch, Richter, Strauss und Mahler waren bereits vorher da. Im August kam nun endlich das verhinderte Konzert mit dem Chicago-Orchester zustande.
    1955 taucht Krips in Australien als Gastdirigent auf, wo er auch nach vielen Jahren Angehörige seiner versprengten Familie trifft; 1959 kamen noch Konzerte in Neuseeland dazu.
    Israel lernte Krips erstmals 1957 kennen und war bis 1969 mehrmals dort tätig, dirigierte ohne Honorar und setzte sich - als er dort schon bekannt war - für die Musik von Richard Strauss ein; man war zwar überrascht, verübelte es ihm aber nicht, zumal er das musikalisch-künstlerisch begründete und darauf Bezug nahm, dass er Richard Strauss persönlich gut kannte.
    1958 verließ Krips Wien, um nach Montreux überzusiedeln, inzwischen war er ja auf der ganzen Welt zuhause; man bedenke, dass er insgesamt über 80 verschiedene Orchester dirigierte. Eines dieser Dirigate kam 1961 zustande, Knappertsbusch war erkrankt und Wieland Wagner bat Krips um die Übernahme der »Meistersinger«. Krips war ja vordem schon öfter in Bayreuth gewesen, allerdings nicht in dieser Position.


    In der ersten Spielzeit der neuen »Met« im Lincoln Center hatte Krips im Februar 1967 sein Debüt an der Metropolitan Opera New York. Auf dem Programm stand »Die Zauberflöte«. Marc Chagall hatte die Ausgestaltung übernommen, Pilar Lorenga, Hermann Prey, Nicolai Gedda ... sangen, Günther Rennert führte Regie.
    Im Juli 1968 leitet Josef Krips in kurzer Reihenfolge die Orchester von Philadelphia, Los Angeles, Chicago, Boston und New York.


    Im Oktober 1968 hatte ihn seine Frau Mitzi noch auf der Tournee mit den Wiener Symhonikern nach Israel begleitet, ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich zusehends. An seinem Geburtstag am 8. April 1969 verabschiedete sich nach 28 Jahren des Zusammenseins seine Lebenspartnerin für immer von ihm.
    Im Oktober 1969 schloss er die dritte Ehe mit Harrietta Procházka. Diese Frau war die Tochter einer Klavierpädagogin und ist in der ehemaligen Wohnung Eduard Hanslicks aufgewachsen. Sie absolvierte ein Musikstudium an der Wiener Universität. Seit 1963 bestand eine Freundschaft mit Mitzi und Josef Krips, mit denen sie auch reiste.
    Die Trauung fand in der Curhauskapelle zu St. Stephan statt, die Wiener Sängerknaben sangen die Deutsche Messe von Schubert. Die Hochzeitsreise ging nach Belgrad, im Schlepptau die Wiener Philharmoniker ...


    Von San Francisco verabschiedete sich Krips 1970. In seinen sieben Jahren hatte er dort etwa 700 Konzerte gegeben und dabei 215 verschiedene Werke aufgeführt; die Stadt bedankte sich mit der Verleihung der Ehrenbürgerschaft. Es war dort kein Abschied für immer, er war nur kein Direktor mehr. Zu seinem 70. Geburtstag weilte er auch in Amerika und wurde enthusiastisch gefeiert. Die Geburtstagsfeier zum 71. fand in Stockholm statt, ein Indikator, dass dieser Mann ständig auf Reisen war. Aber es ging auch umgekehrt, 1973 kam das San Francisco Symphony Orchestra unter Leitung von Seiji Ozawa, der Krips Nachfolger war, im Rahmen seiner Europa-Tournee auch nach Wien, stolz zeigte Krips »seinen« Musikern die Musik-Stadt Wien.


    Erste gesundheitliche Beeinträchtigungen stellten sich ein, es gab Schwierigkeiten mit dem rechten Arm. Mitte Dezember kam eine Fieberattacke dazu, er musste mehrere Abende an der Staatsoper absagen, Anfang 1974 dann auch Konzerte in Los Angeles, San Francisco und Montreal. Der Dirigent begab sich zur Bronchoskopie nach Lausanne. Als Sohn eines Arztes machte er sich keine Illusionen, es war Lungenkrebs; der ehemalige Vielraucher rührte keine Zigarette mehr an. Zwei Monate verbrachte er in einer Wiener Klinik, dann hatten die Röntgenbilder keine Schatten mehr gezeigt, scheinbar war hier ein Wunder geschehen. Zu einem zweiwöchigen Erholungsurlaub fuhr er zurück in die Schweiz, danach ging es nach Paris, um dort »Cosi fan tutte« vorzubereiten. Nach eigener Aussage fühlte er sich »frisch wie ein Fisch im Wasser«. Dieser Frische bedurfte es wohl auch, denn Krips bezeichnete »Cosi fan tutte« als die schwierigste aller Mozart-Opern. Die Aufführungen lösten Ovationen aus. Bei der dritten »Cosi« war er glückbeseelt, bei der siebten Vorstellung musste er die Serie abbrechen, ein Pariser Spezialist riet zur Chemotherapie.


    Am 13. Oktober, nachts gegen drei Uhr starb Josef Krips. Die Begräbnisfeierlichkeiten fanden nach der Überführung aus Genf am 23. Oktober in Wien statt. Mit der Aufbahrung auf der Feststiege der Staatsoper erwies man dem Dirigenten eine letzte große Ehrung. Der Opernchor sang »Bruckner-Motetten«, die Ansprache hielt Direktor Rudolf Gamsjäger, daneben ergriffen noch andere Trauerredner das Wort.


    Zum Auszug des Sarkophags erklang das »Adagio der siebenten Symphonie« von Bruckner, gespielt von den Wiener Philharmonikern. Der Chor der Gesellschaft der Musikfreunde sang das »Ave verum« von Mozart und ein philharmonisches Streichquartett spielte den langsamen Satz aus Schuberts »Der Tod und das Mädchen«. Mit Bachs Choral »Wenn ich einmal soll scheiden« endete das Begräbnis des Dirigenten Josef Krips.


    Praktischer Hinweis:
    Die Ruhestätte von Josef Krips findet man auf dem Friedhof Neustift am Walde
    Pötzleinsdorfer Höhe 2
    1180 Wien


    Das Grab befindet sich in der Gruppe 16, Reihe 4, Nr. 30 (nicht weit vom Grab von Irmgard Seefried entfernt)


  • Zum heutigen Geburtstag von Selma Kurz



    Die Geburtsstadt der Sängerin liegt heute in Polen. Selma Kurz stammt aus einer armen jüdischen Familie und hatte als Näherin gearbeitet. Als sie in der Synagoge von Biala sang, wurde man auf ihre Stimme aufmerksam. Im Alter von 16 Jahren konnte sie mit ihrem Gesang offenbar auch den Fürsten Nikolaus Esterházy beeindrucken, denn dieser unterstützte ihre Ausbildung. Die fand zunächst bei dem in Wien lebenden Bariton Johannes Ress statt der die junge Dame in die Gesangskunst einführte. Zur weiteren Ausbildung konnte sie in Paris bei Mathilde Marchesi und Jean de Reszke, der einer der bedeutendsten Tenöre seiner Zeit war, studieren.


    1895 debütierte sie als Mignon in der gleichnamigen Oper von Ambroise Thomas am Hamburger Theater. Aber schon im folgenden Jahr wechselte sie an die Frankfurter Oper, wo sie sich mit der Elisabeth im »Tannhäuser« einführte und auch als Carmen große Erfolge feierte und bis 1899 in Frankfurt sang.


    Gustav Mahler holte sie dann nach Wien, wo sie bis 1929, zum Ende ihrer Karriere, blieb. Mahler zeigte an der Sängerin nicht nur beruflich Interesse, was von Insidern interessiert beobachtet und weitergetragen wurde. Am 10. April 1900 traf man sich in Venedig. Natürlich war sowohl Mahler als auch Selma in Begleitung. Mahler war mit seiner Schwester und Natalie Bauer-Lechner angereist, Selma Kurz hatte eine mütterliche Freundin dabei.
    Der vierzigjährige Mahler scheint sich einiges versprochen zu haben, man war schon beim vertraulichen »Du« angelangt, die 25-jährige Sängerin war durchaus attraktiv. Aber Selma Kurz konnte sich wohl nicht vorstellen Frau Direktor zu werden, sie mochte lieber singen. Als im Mai die Saison zu Ende ging reiste die Sängerin nach Marienbad und der Operndirektor an den Wörthersee; man spricht heute von einer kurzen Affäre ...


    Hatte sie zu Beginn ihrer Karriere hauptsächlich Partien aus dem lyrischen Fach gesungen, so wurde sie bald eine gefeierte Koloratrice. Die Wiener Staatsoper war ihre künstlerische Heimat geworden, aber natürlich war sie auch bei den Salzburger Festspielen, in Brünn, Prag, Budapest, Monte Carlo, Paris, London ... zu hören, gab jedoch in New York nur ein Konzert.
    Selma Kurz gehört zu den größten Koloratursopranistinnen aller Zeiten. Scheinbar mühelos bewältigte sie die schwierigsten Koloraturpassagen - und sie hatte Stilgefühl; ihr besonderes Markenzeichen waren die nicht enden wollenden Triller. Einige Opernbesucher sollen sogar Stoppuhren mitgebracht haben, um die exakte Dauer festlegen zu können, als Ergebnis sind 24 Sekunden überliefert. Ihre Schallplattenaufnahmen sind zwar in die Jahre gekommen, vermitteln aber immer noch einen Eindruck von dieser außergewöhnlichen Stimme.


    1910 heiratete Selma Kurz den Wiener Gynäkologen und Universitätsprofessor Dr. Josef von Halban. Aus dieser Ehe gingen eine Tochter und ein Sohn hervor.
    1927 trat Selma v. Halban-Kurz letztmalig an der Wiener Oper als Rosina im »Barbier von Sevilla« auf; 1929 erkrankte sie an einer langen, unheilbaren Krankheit und starb 1933 in Wien.


    Die sprichwörtliche Friedhofsruhe wollte sich aber auf dem Wiener Zentralfriedhof nicht einstellen, es gab erhebliche Turbulenzen wegen der außergewöhnlichen Gestaltung ihres Grabmals durch den Wiener Bildhauer Fritz Wotruba.
    Ihr Grab befand sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu jenem des ehemaligen österreichischen Bundeskanzlers, Prälat Dr. Ignaz Seipel.
    Josef von Halban wollte für seine verstorbene Frau ein besonderes Grabmal errichten lassen und beauftragte deshalb den Bildhauer Fritz Wotruba, von dem man keine konservative Gestaltung erwarten durfte.
    Auch in Wien müssen Grabgestaltungen bestimmten Kriterien entsprechen und von der Stadtverwaltung genehmigt werden. Der von Wotruba eingereichte Entwurf zeigte die Figur einer liegenden Frau mit nacktem Oberkörper. Die Figur sollte in Untersberger Marmor ausgeführt werden. Die Behörde hatte Änderungswünsche, die sich jedoch nicht mit der Figur befassten, sondern lediglich die Einfassung der Grabanlage betrafen, die an die der umliegenden Ehrengräber angepasst werden sollte, ansonsten wurde das Grabmal in dieser Form akzeptiert.


    Als dann die Figur auf dem Friedhof zu sehen war, brach ein Sturm der Entrüstung los, bei der Stadtverwaltung gingen mündliche und schriftliche Beschwerden - darunter auch Drohbriefe - ein, und auch die Zeitungen nahmen sich des Themas an.
    Eine steinerne Frauenfigur mit entblößtem Oberkörper in nächster Nähe zum Grab von Ignaz Seipel wurde von einigen Beschwerdeführern als anstößig oder geradezu obszön angesehen; sie forderten die Entfernung der Figur.
    Die Angelegenheit wurde kompliziert, weil sowohl sittlich-moralische Vorstellungen als auch politische Aspekte im Spiel waren, denn es war die Zeit des Österreichischen Bürgerkriegs.
    Nach den Kämpfen war ein neuer Bürgermeister im Amt, der sich höchstpersönlich zum Grab der Frau Kammersängerin begab; er ordnete an, dass der Magistrat für die Entfernung des Grabmals zu sorgen hätte. Dieser reagierte auch prompt: Josef von Halban wurde am 9. Juni 1934 in Form eines Bescheides verpflichtet, das Grabdenkmal auf eigene Kosten zu entfernen, da es »der Weihe und dem Ernst des Ortes« widerspreche. Der Witwer weigerte sich und machte geltend, dass schließlich eine behördliche Genehmigung vorliege und ihm die Entfernung hohe Kosten verursachen würde. Die Figur verschwand nun in einem Verschlag aus Holz, der im Laufe der Zeit von Grün überwachsen war.
    Die Totenruhe der Selma Kurz wurde nicht gestört; ihrem Nachbarn erging es schlimmer, er verzog unmittelbar nach den Figurenstreit in die Gedächtniskirche, kehrte aber schon nach fünf Jahren wieder an die Seite der Opernsängerin zurück.
    Inzwischen ist dort Ruhe eingekehrt, der Holzverschlag ist längst weg; die Sängerin könnte stolz auf ihr Grabmal sein, denn die Marmorfigur wird heute als herausragendes künstlerisches Werk am Zentralfriedhof gewürdigt.


    Praktischer Hinweis:
    Das Grab von Selma Kurz befindet sich auf dem Wiener Zentralfriedhof, Gruppe 14 C

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  • Hallo!


    Seit ich die Carlos Kleiber – Biografie von Alexander Werner beendet habe, ist es mein Ziel, ein Bild von der Grabstätte Kleibers (sein Vater ist in diesem Thread ja schon vertreten) einzustellen.


    Die Grabstätte befindet sich in Slowenjen, wo Kleiber mit seiner Frau Stanislava (genannt Stanka) beerdigt wurde. Kleiber wurde verbrannt. Das Grab liegt in Konjsica bei Laibach, wo Kleibers ihr Ferienhaus hatten.


    Es wird berichtet, dass zur Beisetzung im Juli 2004 einige Besucher das Ziel nicht gefunden hätten. Das kann ich jetzt nachvollziehen, nachdem ein Freund für mich dorthin gereist ist und eine ganze Reihe von Bildern gemacht hat. Bilder von der Grabstätte und der ihm gewidmeten Gedenkstätte.
    Die Frau meines Freundes stammt aus Slowenien, er selbst hat zeitweilig dort gelebt, studiert und gearbeitet. Daher sind die beiden regelmäßig dort. Auf meine Bitte hin, für mich Bilder zu machen, machte er sich auf den Weg, um ab einer bestimmten Stelle, von der an offiziell zu bestimmten Uhrzeiten keine Fahrzeuge mehr unterwegs sein dürfen, zu Fuß weiter zu gehen. Das bedeutete eine Fußstrecke von einfach 9 km. Es sei – so sagt er – ein unvergesslicher und schöner Tag gewesen.





    Gruß WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • Ich bin viel in den Slowenischen Karawanken rumgeklettert und habe einige "verbotene" Wege mit dem Auto benutzt. 2 Protokolle von großzügigen Polizisten von umgerechnet 10 Euro konnte ich verschmerzen. 9 km zu Fuß hin und zurück oder ein kleines Risiko für kaum über 10 Euro? Überlegungssache. :pfeif:

    W.S.


  • Im Beitrag Nr. 388 hat Erich Ruthner darauf hingewiesen, dass auf dem Friedhof Neustift auch die Sängerin Esther Réthy ihr Grab hat - heute ist ihr Geburtstag, ein Anlass ihrer zu gedenken.


    Wenn man es genau nimmt, müsste man Violet Esther Réthy schreiben und mit ihrer Verheiratung kam noch der Name ihres Mannes mit dazu, so steht also auf dem Grabstein:
    PROF. ESTHER RETHY - IMRE, den dazugehörigen Titel erwarb sie sich als Lehrende an der Musikhochschule Wien.
    In verschiedenen Publikationen wird behauptet, dass die Sängerin in erster Ehe mit dem Dirigenten Anton Paulik verheiratet gewesen sei. Der kenntnisreiche Gottfried Cervenka (†2015) verweist diese Darstellung allerdings ins Reich der Legende. Ihr Mann, Dr. Vinzenz Imre war - wie es in einem Nachruf zu lesen ist - nicht nur Arzt, sondern studierte gleichzeitig auch Gesang und bekam fast gleichzeitig seine Promotionsurkunde als Arzt und sein Diplom als Opernsänger. In besagtem Nachruf wird auch darauf hingewiesen, dass er sich in immer stärkerem Maße mit Phoniatrie ("Stimmheilung") befasst hat; Cervenka formuliert es so:


    »Esther Rethy heiratete bereits 1934 ihren Landsmann Dr. Vinzenz Imre, einen HNO-Arzt mit Ausbildung zum Dirigenten und Tenor, der sich vor allem in der Betreuung von Sängerinnen und Sängern verdient gemacht hat. Mit ihm hatte sie auch zwei Kinder: eine Tochter und einen Sohn, der als Dirigent gewirkt hat. Eine Ehe mit dem Dirigenten Anton Paulik, wie in diversen Biographien hartnäckig behauptet, hat es jedoch nie gegeben.«


    Esther Rétys Stimme wurde durch Magda Rigó in Budapest ausgebildet. An der Budapester Musikakademie musizierte Esther Réthy schon mit dem später so berühmten Dirigenten Georg Solti, die beiden waren ja bis auf einen Tag gleichaltrig. Solti studierte in Budapest mit ihr die Mimi in »La Boheme« ein, aber dann trennten sich ihre Wege.


    1935 gab Rethy als Micaela in »Carmen« ihr Debüt an der Nationaloper Budapest, sang auch die Pamina in der »Zauberflöte« und andere kleinere Partien.
    Zu einer Festaufführung von Beethovens »Fidelio« waren Gäste aus der Führungsriege der Wiener Staatsoper angereist, unter anderen waren auch Hans Knappertsbusch und Bruno Walter anwesend als Esther Réthy die Marzelline sang. Es war dann schon mehr als ein Kompliment, von solchen Musikkennern zu einem Gastspiel nach Wien eingeladen zu werden.


    So gastierte sie im Frühjahr 1937 als Margarethe in Gounods »Faust« an der Wiener Staatsoper so erfolgreich, dass man sie gleich da behielt. Es muss eine beeindruckende Vorstellung gewesen sein: Jussi Björling gab den Faust, daneben agierten die Herren Alexander Svéd und Alexander Kipnis. Der Nachkriegsspielplan der Wiener Staatsoper weist aus, dass Frau Réthy in den Jahren 1948 bis 1955 hier 46 mal als Marguerite auf der Bühne stand.
    Bis zur kriegsbedingten Schließung der Staatsoper hatte Esther Réthy schon 370 Vorstellungen gesungen, nur als Beispiele - nicht als vollständige Auflistung - seien genannt:
    32 mal Sophie im »Rosenkavalier«, 17 mal Pamina in der »Zauberflöte«, 10 mal Margarethe in »Faust«, 13 mal Euridike in »Orpheus und Euridike«, 8 mal Evchen in den »Meistersinger von Nürnberg«, ebenfalls 8 mal »Traviata«, 28 mal die Mimi in »La Boheme«.


    Die Chronik der beiden Wiener Häuser - Staatsoper und Volksoper - die ja einige Jahre eng miteinander verbunden waren, nennt nach dem Krieg und bis zum Jahr 1961 die starke Zahl von 880 Aufführungen mit Esther Réthy. Häufig war Helge Rosvaenge ihr Partner und sie war auch in den großen Operetten präsent zum Beispiel 145 mal als Fischermädchen Annina in »Eine Nacht in Venedig« und in mehr als 80 Vorstellungen als Saffi im »Zigeunerbaron«.


    Natürlich war Esther Réthy auch außerhalb Wiens zu hören; schon bei den Salzburger Festspielen 1937 war sie dabei, wo sie unter Bruno Walter die Susanna in »Le nozze di Figaro« an der Seite von Enzio Pinza sang und die Sophie im »Rosenkavalier« unter Knappertsbusch mit den Partnerinnen Lotte Lehmann und Hilde Konetznie als Feldmarschallin.
    1938 sang sie nicht nur die Susanna im »Figaro«, sondern auch in »Tannhäuser« - nicht die Elsa, sondern die tragende Rolle "ein junger Hirt". Im Jahr darauf ist sie in Salzburg wieder als Susanna zu hören, Dirigent ist Knappertsbusch.


    Nach dem Krieg hört man sie dann in den Jahren 1950 nochmal in »Don Giovanni« und letztmals 1952 in »Die Liebe der Danae«. In den Jahren nach dem Krieg kann Esther Réthy ihre Karriere fortsetzen, sowohl in Wien als auch bei den Bregenzer Festspielen und anderen europäischen Festivals hat sie Verpflichtungen.
    Als die Volksoper mit der Neueröffnung der Staatsoper wieder zum selbständigen Haus wurde, war sie dort häufig mit sogenannten leichteren Sachen zu hören. Anfang der 1970er Jahre zog sie sich von der Bühne zurück, um sich pädagogischen Aufgaben zuzuwenden. Sie war Professorin am Wiener Konservatorium, danach an der Wiener Musikuniversität und gab Meisterkurse am Mozarteum in Salzburg; sogar nach Tokio reiste sie in pädagogischer Mission.


    Wer weiß, wie ihr künstlerischer Weg verlaufen wäre, wenn der Krieg ihr Engagement an die Metropolitan Opera New York nicht verhindert hätte, es war knapp, der Vertrag war schon in der Bearbeitungsphase.


    Praktischer Hinweis:
    Das Grab von Kammersängerin Esther Réthy-Imre befindet sich auf dem Friedhof Neustift am Walde
    Pötzleinsdorfer Höhe 2
    1180 Wien


    Es ist in der Gruppe 24, Reihe 10, günstige Zugänge sind Tor 3 und 4.
    Vom Verwaltungsgebäude (am Tor 5) aus gesehen, liegt die Grabstätte weit entfernt fast am Ende des Friedhofsgeländes.

  • Sie war bis zu ihrem Abgang an der Volksoper sehr viel beschäftigt. In den Operetten "Gräfin Mariza", "Nacht in Venedig", "Land des Lächelns" und der "Zirkusprinzessin" hatte sie durch den Einfluss von Anton Paulik bis zum Ende ihrer Karriere keine Alternativbesetzung.


    Als Jugendlicher bin ich mit anderen oft dagegen aufgetreten, denn wir wollten ein jüngeres Operettenpaar auf der Bühne sehen, (ihr Partner war damals vorzugsweise Rudolf Christ) wie z. B. Adele Leigh und Peter Minnich. Doch mussten wir alle zugeben, dass sie bis zur letzten Vorstellung stimmlich auf der Höhe war.


  • Heute ist der Todestag von Walter Berry


    Der kleine Walter kam im Rudolfinerhaus, einem Krankenhaus in Wien-Döbling zur Welt. Die Eltern kamen aus kleinen Verhältnissen, aber mit einigem Fleiß gelang ihnen die Gründung eines Salons für Fußpflege, der den Lebensunterhalt sicherte. 1929 war kein gutes Jahr, man spricht noch heute von einem Katastrophenwinter in Wien und dem schwarzen Freitag in Amerika. Soweit der wirtschaftliche Aspekt - für werdende Sänger war es ein gutes Jahr, denn 1929 wurden auch Eberhard Waechter, Kurt Equiluz, Waldemar Kmentt, Hermann Prey, Piero Cappuccilli und Nicolai Ghiaurov geboren.


    Auch wenn es sich heute etwas seltsam lesen mag, Walter Berry konnte kein Sängerknabe werden, weil der Achtjährige bei mehrmaligen Vorsing-Versuchen kläglich scheiterte. Die Musikalität war da, aber seine Stimme wurde als zu schwach empfunden.
    Berrys Vater spielte Geige und hielt seinen Sohn und die um sechs Jahre ältere Tochter an Klavier zu spielen. Der junge Berry hatte nicht grundsätzlich etwas gegen das Klavier, aber gegen seine Klavierlehrerin und in einem Gentlemen’s Agreement konnte er bei seinem Vater erreichen, dass er da nicht mehr hin musste, wenn er stattdessen selbständig übte. Er begleitete im Rahmen der Hausmusik den geigenden Vater am Klavier, der Sohn selbst konnte am Geigenspiel keine rechte Freude finden.


    Der junge Berry war auch nicht gerade das Musterbeispiel eines guten Schülers, er mochte keine Glanzleistungen bringen und verließ das Gymnasium wieder. Und dann gerieten diese jungen Leute in die Endphase des Zweiten Weltkrieges und wurden rasch als »Halbsoldaten« ausgebildet »Volkssturm« nannte man das damals. Zweimal musste er die Donau schwimmend überqueren, dann schlug er sich wieder nach Wien durch.
    Das Zivilleben war für den jungen Mann aber auch nicht das Gelbe vom Ei, er besucht mit sehr mäßigem Erfolg die Staatsgewerbeschule für Hoch- und Tiefbauingenieure und bemerkte, dass er nicht zum Techniker geboren war, seine Lehrer waren der gleichen Ansicht.


    Eher zufällig - weil er einem Mädchen nachstieg, die dem Gesang zustrebte - geriet er in einen Chor. Offenbar hatte der junge Mann an Stimmvolumen zugelegt, denn der Dirigent setzte ihn schon bei nächster Gelegenheit bei einem Bass-Solo ein. Walter Berry hatte erstmals ein Metier gefunden, das ihm wirklich Spaß machte. Berry sang nun auch in anderen Chören und entwickelte sich zum routinierten Chorsänger; die Bezeichnung »routiniert« darf man so verstehen, dass er in etwa zwanzig verschiedenen Kirchen- und Konzertchören sang und hier auch mit solistischen Aufgaben betraut wurde.


    Solche Chöre machen auch Konzertreisen. Als der Wiener Singverein nach Perugia zum Sagra musicale fuhr, fungierte Erik Werba als Reiseleiter, den meisten Musikfreunden ist Werba wohl als Liedbegleiter bekannt, ihn verband eine lebenslange Freundschaft mit Walter Berry.


    Berry konnte sich nun eine Sängerkarriere vorstellen und meldete sich 1947 zum Vorsingen an der Wiener Musikakademie an. Bei der Aufnahmeprüfung sang er »O Isis und Osiris« und wurde angenommen, nachdem man ihn gefragt hatte ob er Klavier spielen könne, überprüft wurde das jedoch nicht. Berrys Eltern wussten bis dahin nichts von den Aktivitäten ihres Sohnes, der sie zu einer Akademieaufführung einlud. Er sagte ihnen, dass er für sich nur noch eine Einzelkarte an einem anderen Platz bekommen hätte. Berry trat als uralter Mann auf, als Simon in »Gianni Schicchi« die Eltern erkannten ihren Sohn in dieser Maskerade nicht, erst ein Blick ins Programmheft zeigte, dass man neuerdings einen Opernsänger in der Familie hatte. Die Eltern akzeptierten seine Entscheidung, Walter Berry studierte 3½ Jahre.


    Erik Werba war 1949 als Einunddreißigjähriger an die Musikakademie berufen worden und war in dieser Zeit die wichtigste Bezugsperson für Berry, der die natürliche Autorität des Älteren anerkannte, von ihm nahm er Ratschläge an. Werba unterrichtete das Fach »Lied- und Oratoriumskunde« und Berry wurde nicht nur mit den Klassikern, sondern mit zeitgenössischen Liedkomponisten wie Langer, Syrowatka oder Skorzeny bekannt, er sang sogar Lieder von Karl Löbl, der doch eher als Musikkritiker bekannt ist.
    Natürlich bemerkte Werba auch, dass seinem Schützling die verhaltene Lyrik eines Franz Schubert nicht ganz so nahe stand wie eine dramatische, opernhafte Ballade von Carl Loewe.


    Einerseits lernt man nie aus, andererseits war Berry praktisch mit 21 ein fertiger Sänger mit einigen Publikumserfolgen. Schon im Frühjahr 1950 hörte er den Satz: »Sie sind engagiert!«, und diese Worte hörte er nicht etwa an einem Provinztheater, sondern an der Wiener Staatsoper. Aber da sang er am nächsten Abend nicht gleich den »Papageno«, laut Vertrag war er nun Solo-Eleve der Wiener Staatsoper; das zerstörte Haus war noch längst nicht aufgebaut, aber das Ensemble war vom Allerfeinsten: Elisabeth Schwarzkopf, Ljuba Welitsch, Anton Dermota, Paul Schöffler ... das Traumpaar in »Figaros Hochzeit« waren Irmgard Seefried und Erich Kunz.
    Berry sang sich also durch eine erkleckliche Anzahl kleiner Rollen, hatte aber zu einer Zeit gesungen, wo die Presse der Würdigung sängerischer Leistungen noch viel Raum gab, da wurden dann sogar gut gesungene kleine Rollen, wie etwa ein Nachtwächter, lobend erwähnt, heute undenkbar.


    Ab Juni 1954 hatte Berry unter Karl Böhm einen Dreijahresvertrag als Staatsopernsolist. Als im folgenden Jahr die Staatsoper wieder eröffnet wurde, geschah das mit einer »Eröffnungswoche«, die sich eigentlich über drei Wochen mit sieben Opernpremieren hinzog. So stand in diesen Wochen auch »Wozzeck« von Alban Berg auf dem Eröffnungsspielplan.
    Karl Böhm verhalf dem jungen Berry zur Titelrolle in diesem Stück. Eigentlich war für diese Rolle der weit erfahrenere Josef Herrmann vorgesehen, der den Wozzeck schon einige Male an der Staatsoper gesungen hatte, aber der war herzleidend und starb am 19. November (Beitrag Nr. 257). Diese Wozzeck-Premiere war für Walter Berry ein Riesenerfolg; mehr als zweihundertfünfzig Journalisten verbreiteten diese Nachricht in alle Welt, er war praktisch über Nacht zum Star geworden. Diese Rolle war auch später noch eine der wichtigsten in seinem Sängerleben. Recht schnell verabschiedete er sich nun von den kleineren Rollen - aus Masetto wurde Leporello und so weiter ...


    Einen Rollenwechsel gab es auch an der Spitze des Hauses, auf Karl Böhm, der im Unfrieden schied, folgte Herbert von Karajan, der eine gänzlich andere Philosophie ins Haus brachte.
    Einige Sänger hatten Schwierigkeiten sich schnell auf das Singen in Originalsprache umzustellen, Berry bemühte sich aus innerem Antrieb in Originalsprache zu singen wenn entsprechende Gäste ans Haus kamen, was immer öfter der Fall war. Trotzdem wurde auch Berry bevorzugt für Mozart, Strauss und Wagner eingeteilt und Berry meinte zu dem Umstand, dass er zunehmend von italienischen Opern ferngehalten wurde:»weil ich eben Berry und nicht Berillo heiße«
    Mit Christa Ludwig stand Berry bereits 1955 als Papageno auf der Bühne, 1956 war sie seine Carmen; am 29. September 1957 heiratete das Paar in der Stiftskirche Klosterneuburg, nordwestlich von Wien.
    Beide hatten 1956 entscheidende Karriereschritte gemacht, aber an beide wurden nun auch erhebliche Ansprüche gestellt. Das fing schon mit den Flitterwochen an, die wegen dringenden Verpflichtungen ausfielen. Die Staatsoper gab gerademal einen Tag frei - das frischgebackene Sängerpaar nutzte diesen Tag zum Rollenstudium ihrer nächsten Auftritte.
    In der Wiener Innenstadt hatten sie eine sängergerechte 8-Zimmer-Wohnung, die sie oft nicht sahen, weil beide inzwischen so berühmt geworden waren, dass sie ihre Auftritte nicht nur auf Wien beschränken konnten. Dennoch sah man sie in Wien oft als Paar auf der Bühne stehen, weil sie auf gleich hohem Niveau sangen und es auch stimmlich passte.
    Wenige Tage vor Christa Ludwigs 31. Geburtstag, kam das Wunschkind Wolfgang zur Welt. Nach der Geburt pausierte die junge Mutter ein paar Monate, der Vater hatte ohne Pause viel zu tun, und bereits im Oktober stand die Jungmutter wieder mit ihrem Gatten auf der Bühne.
    Der kleine Berry wurde im Wesentlichen von seiner Großmutter Eugenie Besalla-Ludwig betreut, die mit ihrer Tochter zusammen wohnte; sie war die Gesangslehrerin, Beraterin und Förderin ihrer Tochter. Als die vielreisenden Eltern mal wieder zuhause aufkreuzten und in freudiger Erwartung den Kleinen fragten: »wo sind Mama und Papa?« lief das Söhnchen nicht auf die Eltern zu, sondern zeigte auf das Bild an der Wand - Künstlerpech!
    Gerade als Berry im Beruf alles gelang und er von Erfolg zu Erfolg eilen konnte, verfiel er plötzlich auf den Gedanken eines Berufswechsels, aber er wollte nicht etwa Dirigent oder Direktor der Staatsoper werden, sondern Archäologe. Seine häusliche Umgebung reagierte gelassen und Berry begrub diese Idee recht bald wieder und sang weiter. Am Anfang seiner Sängertätigkeit hatte Berry ja schon einmal einen »Fachwechsel« vorgenommen und war als Schlagersänger Fred Hedin mit angeklebtem Schnurrbart aufgetreten.


    Als die die beiden berühmt und überall begehrt waren, wuchsen damit auch die finanziellen Möglichkeiten. Außerhalb Wiens leistete man sich ein schönes Plätzchen in Klosterneuburg-Weidling, das man großzügig bebaute, bei den Bauarbeiten konnte der Sänger nun sein auf der Staatsgewerbeschule für Hoch- und Tiefbauingenieure erworbenes Wissen einbringen. Man leistete sich Köchin, Gärtner, Chauffeur und eine Sekretärin. Der Hausherr selbst chauffierte leidenschaftlich gern und nannte unter anderen auch einen Rolls-Royce sein eigen.


    Als die Deutsche Oper Berlin 1963 mit ihrer »Fidelio«-Produktion nach Japan reiste, wo das neue Nissei Theater in Tokio eröffnet wurde, sangen Christa Ludwig und Walter Berry, wie schon in Berlin, Leonore und Pizarro. Berry war ja nicht immer Pizarro, wenn »Fidelio« gegeben wurde, Karajan hatte ihn 1957 einmal als Zweiter Gefangener eingesetzt, wo er singen durfte: »Sprecht leise, haltet euch zurück, wir sind belauscht mit Ohr und Tritt.«


    Einen weiten Raum nahmen seine Auftritte bei den Salzburger Festspielen ein. Von 1953 bis 1989, also sechsunddreißig Jahre lang, trat Walter Berry fast jeden Sommer in Salzburg auf, später dann auch noch bei den Osterfestspielen. Die Berrys liebten die Festspiele in Salzburg, weil man für längere Zeit an einem Ort verweilen konnte; zudem konnte der Sohn auch die Vorstellungen besuchen, wenn seine Eltern sangen. Als ihn diese mal nach einer Vorstellung fragten, wie es denn gewesen sei und einen größeren Bericht erwarteten, meinte er nur: »heiß war´s«
    In Salzburg ergab es sich dann so, dass Berry sukzessive immer mehr Rollen übernahm, die vordem der brillante Erich Kunz über Jahre hier gesungen und gespielt hatte, also Papageno, Leporello und gar Figaro, den Kunz sehr oft zusammen mit Irmgard Seefried als Susanna geboten hatte. Aber es soll hier nicht der Eindruck erweckt werden, dass Berry in Salzburg nur Mozart gesungen hätte, hier war ein breites Spektrum geboten: Konzerte, Liederabende, das Oratorium von Franz Schmidt ...


    Als Karajan an der Wiener Staatsoper Chef wurde setzte er das Ehepaar Berry/Ludwig verstärkt ein und stimulierte Berry auch zu Rollen wie beispielsweise dem Barak in »Die Frau ohne Schatten« Karajan konnte auch Berrys Gattin davon überzeugen, dass sie eine gute Färberin abgeben würde ... und schon stand das Ehepaar auf der Bühne. Das war dann ein echter Happen für´s Publikum, wenn Barak sang: »Mir anvertraut, dass ich sie hege, dass ich sie trage auf diesen Händen« - so etwas konnte eine andere Besetzung nicht bieten.
    Aber es kam die Zeit, wo das optimale Zusammenspiel nur noch auf offener Bühne klappte, die Randbedingungen für eine Musterehe waren ungünstig. Im Januar 1970 wurden sie zwar in Amerika noch zum Ehepaar des Jahres gewählt und man widmete den beiden einen Bildband, in dessen Textteil diese Bilderbuchehe in den höchsten Tönen gepriesen wurde, aber das Buch war gerade erschienen, da wurde die Ehe im August 1970 geschieden.


    War es bei Walter Berry bisher eigentlich immer bergauf gegangen, kam in dieser Zeit sowohl beruflich als auch privat etwas Sand ins Getriebe. Berrys Entwicklung zum »Helden« vollzog sich langsam, wurde aber von Karajan gefördert, ja sogar gefordert. Bei einem Telefonat - das war 1966 - mit Karajan glaubte sich Berry verhört zu haben als der Maestro sagte: »In Salzburg werden wir den Wotan machen.« Berry fragte »Wen, wen bitte?« Als Karajan erklärte, dass damit der Wotan in »Walküre« gemeint sei, wehrte Berry erschrocken ab und meinte: »Aber Herr von Karajan, ich bin doch kein Wotan!«, Erwiderte Karajan unwirsch: »Wen ich Ihnen sage Sie sind ein Wotan, dann sind Sie ein Wotan.« Das Debüt gelang, und er sang dann diese Partie auch einige Male erfolgreich an der »Met«, aber da kam es auch zu Stimmproblemen. Dennoch hatte er den Wotan auch problemlos gesungen, so dass man auch die »Verdi-Helden« ins Auge fassen konnte. Kaum war dies angedacht, bot ihm Bayreuth den Hans Sachs an. Natürlich wusste auch Berry, dass man den nicht eben mal so im Vorbeigehen singt, aber er wusste auch, dass das ein Sahnehäubchen auf jeder Sängerkarriere ist. So ganz unbekannt war ihm das Werk nicht, denn er hatte in diesem Stück bereits drei Rollen gesungen. Jetzt war er 39, fast noch ein wenig jung für den Hans Sachs. In Bayreuth fühlte er sich längst nicht so wohl wie in Wien oder Salzburg, er war noch nie hier gewesen, auch nicht als Opernbesucher.
    Bei den Proben war Böhm des Lobes voll, aber Berry wollte die Lobeshymnen abschwächen und sagte zu Böhm: »Entsetzlich, loben Sie mich nicht, das kann ich nie wieder.« Nach dieser Aussage gab Böhm den Hasenfuß, stürmte zur Direktion und forderte zur Premiere Theo Adam. Die Direktion wollte das diskret regeln und sprach von Kreislaufproblemen Berrys, aber Böhm war da nicht so zurückhaltend und sagte in einer Pressekonferenz: »Quatsch, Kreislaufprobleme! Angst hat er ´kriegt.« Das war natürlich für einen Sänger niederschmetternd, aber er fand einen prominenten Tröster - und das war Herbert von Karajan. Als sich Berry von seiner Stimmkrise erholt hatte, ging es wieder in den gewohnten Gleisen weiter. Nun stürzte er beim sommerlichen Gletscher-Skifahren so schwer, dass er sich einen komplizierten Drehbruch zuzog, was dazu führte, dass im Herbst sein geplanter Auftritt als Kaspar im »Freischütz« an der »Met« nicht stattfinden konnte.


    1972 musste er den schmerzlichen Abschied von der Wiener Staatsoper verkraften als Rudolf Gamsjäger dort auftauchte. Das Angebot war für Berry so unannehmbar mickrig, dass er nur noch seine Altverpflichtungen bis 1973/74 abarbeitete.


    Nun war Berry nach Luzern gezogen. Die Wohnung war ihm nicht neu, die Umgebung auch nicht, aber das familiäre Umfeld fehlte ihm sehr. In der Ära Gamsjäger kam Berry kaum noch nach Wien.


    Aber als er doch mal wieder da war, besuchte er überraschend seine Schwester - und die hatte gerade Besuch von einer Freundin, einer dreiunddreißigjährigen hübschen Frau, Brigitte mit Namen, die jedoch verheiratet war, aber diesen Status nicht mehr lange bewahrte. Gemeinsamkeiten gab es dergestalt, dass die beiden in der gleichen Gegend groß wurden und sich vom Einkaufen kannten.
    Obwohl Berry nach seiner Scheidung nicht mehr heiraten wollte, war er schon wieder im Mai 1973 in festen Händen. Die Feierlichkeiten waren - was den Personenkreis betrifft - bescheiden, man speiste am Hochzeitstag zu viert. Brigitte war keine Sängerin, sondern Sekretärin und die beiden waren zunächst unzertrennlich, wo er auch sang, sie reiste immer mit. Die erste Reise ging gleich nach Amerika.
    Einen großen Erfolg hatte in diesen Jahren »Die Frau ohne Schatten« mit der Besetzung: Leonie Rysanek als Kaiserin, James King als Kaiser, Christa Ludwig als Färberin und Walter Berry als Barak, Karl Böhm dirigierte. Die großen Opernhäuser rissen sich um diese Erfolgsbesetzung der »Met«


    In Salzburg verlor Berry seinen Figaro, weil es zwischen ihm und Karajan gewaltig gekracht hatte, es kam auch nie wieder zu einer Versöhnung. Aber als Karl Böhms 80. Geburtstag anstand, wünschte dieser sich »Die Frau ohne Schatten« in der Idealbesetzung; so hörte man Berry wieder in einer seiner Paraderollen.


    Als Gamsjäger 1976 seine Tätigkeit an der Staatsoper beendete, war für Berry wieder Land in Sicht, der Nachfolger Egon Seefehlner nahm unverzüglich Kontakt zu ihm auf, es ging für ihn an der Staatsoper weiter, wo er weiterhin erfolgreich wirken konnte und außerhalb Wiens war er auch immer noch gefragt.
    Seine Eltern starben als er unterwegs war, auch als sein Enkel zur Welt kam, war er in Amerika gerade bei seinen letzten Auftritten an der »Met« und bedauerte das sehr: »Immer, wenn etwas ist, singe ich irgendwo«, sagte er zu seinem Sohn.
    Künstlerkollegen verabschiedeten sich von der Bühne oder für ganz, wie sein lebenslanger Freund und Klavierbegleiter Erik Werba, der einen Tag nach Berrys 63. Geburtstag starb.
    Auch manche Rollen passten einfach nicht mehr. In den späten achtziger Jahren reduzierte sich sein Opernrepertoire langsam auf etwa zehn Partien. Aber kein Figaro oder Papageno mehr, sondern Don Alfonso und Sprecher. Kein Barak oder Ochs mehr, sondern Waldner und Musiklehrer.
    Auch seiner zweiten Ehe war kein Erfolg auf Dauer beschieden, irgendwann bestand diese Verbindung dann nur noch auf dem Papier, dann trennte man sich


    Im Frühjahr 1989 tauchten erste Gerüchte auf, dass Walter Berry an die Wiener Musikhochschule käme, im September war das dann wirklich so, er unterrichtete nun das Hauptfach »Lied und Oratorium«. Er hatte dort einen großen Zulauf, setzte qualitative Maßstäbe, und übte diese Tätigkeit mit viel Herzblut aus. Zu seiner neuen Tätigkeit meinte er: »Mein Singen hat keine Zukunft mehr, mein Unterrichten schon.«
    Im ersten Hochschuljahr war er als Sänger noch sehr beschäftigt und sang zum Beispiel an der Staatsoper noch den Kothner, eine Partie die nicht so anstrengend ist und ihm angemessen schien. Anfänglich unterrichtete er neben seinem eigenen Singen, dann verschob sich das immer mehr so, dass er neben seiner Unterrichtstätigkeit auch noch selbst sang.
    Mit dem Theaterdirektor La Roche nahm Berry praktisch seinen Abschied von der Bühne, am 6. November 1992 war Premiere, die Kritiken für diese Leistung konnten sich sehen lassen.


    Mit »praktischem Abschied« in »Capriccio« war gemeint, dass das nochmal eine neu erarbeitete Rolle war. Die tatsächlich letzte Partie an der Staatsoper war für Berry der Musiklehrer in »Ariadne auf Naxos«; achtzigmal hatte er sie schon gesungen, am 21. März 1995 war es dann das einundachtzigste Mal.


    Nun gab Berry auch einmal einen Meisterkurs auf einem Schloss in Niederösterreich. Unter den beim Meister Studierenden war auch eine junge, hübsche Sängerin, die an einer Musikschule als Gesangspädagogin angestellt war. Bei solchen Veranstaltungen liegt es in der Natur der Sache, dass man sich näher kommt, auch wenn der Altersunterschied groß ist. Man fand ausreichende Übereinstimmungen und kam sich so nahe, dass nach anderthalb Jahren aus der Sängerin Elisabeth Flechl Elisabeth Berry wurde. Berry unterstützte seine junge Frau nach Kräften mehr aus ihrer sängerischen Begabung zu machen als nur zu unterrichten, und Berry hatte diesbezüglich pädagogischen Erfolg.


    Diesen Erfolg hatte er auch schon seit vielen Jahren an der Hochschule gehabt, aber die Bürokratie und die Zeit arbeiteten gegen ihn. Gerne hätte er noch weiter unterrichtet, aber die Statuten der Hochschule sagten, dass mit 65 Schluss sein müsse. Es gab noch ein Ehrenjahr dazu, auch noch ein Gastjahr, aber zum Frühjahr 1997 war dann endgültig Schluss.


    Da er wusste, dass es einen Markt für gute Gesangslehrer gab, organisierte er selbst eine Ausbildungsstätte; das war kein Problem bei den guten Verbindungen die er hatte. In einem kleinen intimen Konzertsaal der Firma Bösendorfer konnte er unterrichten. Nicht jeder durfte kommen, Berry mochte hier keine Basisarbeit leisten, sondern praktisch fertigen Sängern den letzten Schliff geben. Berry war jetzt auch von schulischen Zwängen frei und konnte, anders als an der Hochschule, seine Unterweisungen auch auf das Opernfach, das er natürlich exzellent beherrschte, ausweiten.


    Drei Wochen vor seinem Tod erfuhr er, dass sein Herz nicht ganz in Ordnung war, aber eine akute Gefahr bestand offensichtlich nicht. Walter Berry hatte noch Zukunftspläne; ruhig zu Hause im Sessel zu sitzen war seine Sache nicht. Auch seine direkte Umgebung war deshalb völlig überrascht, als dieses Herz plötzlich nicht mehr schlug. Er starb gegen acht Uhr früh in seiner Wohnung. Sein Begräbnis wünschte er sich im engsten Familienkreis. So geschah es und seine Frau sang die Sopranpartie aus dem »Brahms-Requiem«, in der es heißt: »Ihr habt nun Traurigkeit, aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen.«
    Nun ruht Walter Berry auf einem Friedhof, der inmitten von Weingärten am Fuß des Kahlenbergs angelegt wurde.


    Praktischer Hinweis:
    Wenn man den Haupteingang an der Wildgrubgasse benutzt, wendet man sich nach links zum alten Teil des Friedhofs und orientiert sich am Friedhofskreuz, ganz in der Nähe ist das Grab.



    Der Friedhofseingang - von hier aus orientiert man sich links


    Friedhof Heiligenstadt
    Wildgrubgasse 20
    1190 Wien

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  • Vielen Dank für Deine Fleißarbeit über einen meiner Lieblingssänger, lieber hart. Ich habe aus dem Bericht doch so einiges erfahren, was ich noch nicht wusste. Ein Beispiel dafür, dass Tamino auch in kleinen Dingen viel zu bieten hat (man muss nicht unbedingt dicke Biographie-Wälzer kaufen). Die von Dir in die Berichte eingestellten Bilder lassen ja darauf schließen, dass Du viel herumreist - folglich wünsche ich Dir allzeit gute Fahrt!!!


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Lieber hart!


    Auch ich möchte mich recht herzlich für deine ausführlichen Berichte und Zeugnisse verstorbener Musiker, Dirigenten, Sängergrößen u. A. bedanken. Die unglaubliche Mühe die darin steckt, verdient höchste Anerkennung!

    W.S.


  • Ein Gedenken zum heutigen Geburtstag von Leopold Demuth


    Eigentlich hieß der Sänger Leopold Pokorny und sein Geburtsjahr wird in der Literatur oft mit 1861 angegeben, aber es existiert ein Meldezettel mit der Jahresangabe 1860 und am Grabstein ist ebenfalls 1860 eingeschlagen, dies war aber fotografisch nicht zu dokumentieren.


    Seine überdurchschnittliche Stimme wurde während der Militärzeit entdeckt und er war so klug, sein Organ bei dem berühmten Wiener Gesangspädagogen Joseph Gänsbacher ausbilden zu lassen. Gänsbacher war eine so bekannte Persönlichkeit, dass ihm Johannes Brahms, mit dem er befreundet war, seine Cellosonate Nr. 1 in e-moll widmete.
    Auch bei Leopold Demuth hatte Gänsbacher Erfolg, sein Schützling debütierte 1889 am Stadttheater Halle an der Saale in Heinrich Marschners »Hans Heiling«, wo man ihm die Titelpartie anvertraute. Ab 1891 hörte man Demuth auf die Dauer von fünf Jahren am Leipziger Opernhaus. Die nächste Station seiner Karriere war das Stadttheater Hamburg, wo der quirlige Direktor Pollini ein beachtliches Ensemble beisammen hatte; hier sangen unter anderen: Anna Mildenburg, Katharina Klafsky, Willy Hesch ... und den Takt gab Gustav Mahler an, der dieses Theater als »Zuchthaus« bezeichnete und dann, nachdem er hier sechs Jahre gewirkt und geliebt hatte, nach Wien ging.


    So kam auch Leopold Demuth 1898 an die Wiener Hofoper, wo er bei erstklassigen Aufführungen den Gipfelpunkt seiner Karriere erreichte und einer der Publikumslieblinge war. 1899 sang er bei den Festspielen von Bayreuth den Hans Sachs in den »Meistersingern« und den Gunther in der »Götterdämmerung«. Sein Bekanntheitsgrad war inzwischen so groß geworden, dass er auch viele Gastspiele an anderen bedeutenden Bühnen gab. Er hatte ein breites Rollenspektrum im Angebot und sang gekonnt sowohl Wagner als auch Mozart.
    Bereits im Jahr 1900 wurde seine Stimme auf Schallplatten konserviert und in den Folgejahren entstanden noch weitere Aufnahmen, die es ermöglichen, sich einen Eindruck seiner Gesangskunst vermitteln zu lassen.
    Der Name des Kammersängers Demuth hängt auch mit der Laufbahn von Richard Tauber zusammen, die Episode findet sich immer wieder in der einschlägigen Sängerliteratur. Richard Taubers Vater, der mit Demuth gut bekannt war, kam zum Zwecke der Stimmprüfung mit seinem Sohn, der ja eigentlich Heldentenor werden wollte, um bei dem berühmten Kollegen zu hören was davon zu halten sei. Also hörte Demuth was der 17-jährige Tauber zu bieten hat und meinte nach der Darbietung: »Lieber Freund! Um Gottes Willen, halte deinen Sohn davon ab Sänger zu werden, was er besitzt ist ein Zwirnsfaden, aber keine Stimme. Glaub mir, aus ihm wird niemals ein Sänger.«


    Auf dem Höhepunkt seiner Karriere musste Leopold Demuth überraschend abtreten - es war bei einem Konzert in Czernowitz, einer Stadt die heute zur Ukraine gehört - ein Herzschlag setzte seinem Leben ein Ende.


    Das Grab ist von Efeu überwuchert, mit etwas Mühe kann man den oben stehenden Namen der Ehefrau lesen:
    EUGENIE DEMUTH
    1862-1954
    und darunter findet man dann mit noch größerer Mühe
    LEOPOLD DEMUTH
    KAMMERSÄNGER
    1860-1910


    Praktischer Hinweis:
    Das Grab von Leopold Demuth befindet sich auf dem Wiener Zentralfriedhof, Gruppe 33 H




  • Zum heutigen Todestag von Wilhelm Hesch


    Wilhelm Hesch kam aus Böhmen, wie so viele Musiker, die dann in Wien berühmt wurden; Heschs Geburtsort liegt heute in Tschechien. Auf seinen zahlreichen Schallplatten steht der Name »Wilhelm Hesch«, auf dem Grabdenkmal steht dagegen »WILLY HESCH«.
    Das Sterbedatum ist auf seinem Grabmal mit † 9. XI. 1908 angegeben, während man sowohl im Großen Sängerlexikon als auch bei Wikipedia 4. Jänner 1908 respektive 4.1.1908 findet.


    Dass das kein gewöhnliches Grab ist, sieht man auf den ersten Blick, der Bildhauer Hugo Kühnelt schuf diese männliche Trauerfigur und hat sein Werk nicht lange überlebt, er ist im Ersten Weltkrieg gefallen.


    »Dieser vollendete Künstler machte einige der feinsten Platten, die je von einem Bass veröffentlicht wurden und vielleicht hat ihn nur der legendäre Pol Plançon hinsichtlich vokaler Qualität und Technik übertroffen.«


    Dieses Zitat von einem gewissen Arthur E. Knight hat Jürgen Kesting seinen Betrachtungen bezüglich der hinterlassenen Schallplatten von Wilhelm Hesch vorangestellt. Kesting spricht von fast 90 Platten, in einer anderen Publikation steht:
    »In den Jahren zwischen 1900 und 1907 notierte er nicht weniger als 102 Titel; Unter diesen 102 Titeln wurden einige Arien natürlich immer wieder aufgezeichnet. Zwanzig weitere Titel für Odeon, einige davon auf Tschechisch gesungen, wurden 1904 und 1905 produziert.«


    Sei's drum, da kommt es nun auf ein paar Platten mehr oder weniger nicht so sehr an, aber interessant ist, dass Wilhelm Hesch in dieser frühen Zeit der Tonaufzeichnungen schon so viele Aufnahmen gemacht hat, das ist ein Indikator dafür, dass seine Stimme von den Musikfreunden dieser Jahre als etwas Besonderes empfunden wurde. Für unsere an neueren Gesangsdarbietungen geschulten Ohren klingt das mitunter doch etwas gewöhnungsbedürftig.
    Kesting beschreibt das so:


    »... leiden unter den oft schon zitierten perspektivischen Minderungen - etwa in der Wiedergabe der ganz tiefen Frequenzen - und verlangen den guten Willen des ergänzenden Hörens. Aber es ist kaum herauszufinden, ob Osmins tiefes D bei "denn nun hab´ ich Ruh vor euch" vom Sänger verwackelt wurde oder von der Aufnahmetechnik.«


    Hesch kam aus einfachen bäuerlichen Verhältnissen und schloss sich zunächst einer reisenden böhmischen Theatergruppe an, bewegte sich aber dann als Zwanzigjähriger schon als Kezal auf der Bühne des Theaters von Brünn (Brno). Schon zwei Jahre später sang er am Nationaltheater in Prag den Plumkett in Flotows »Martha« und in der Uraufführung von Dvoráks Oper »Die Jakobiner« den Burggrafen Filip. Als das Prager Ensemble anlässlich der Weltausstellung 1892 in Wien auftrat, war er mit seiner in Prag gesungenen Debütrolle des Kezal in Smetanas »Die verkaufte Braut« auch in der österreichischen Metropole erfolgreich.
    Im Jahr darauf gab er ein erfolgreiches Gastspiel am Stadttheater in Hamburg. Als Wilhelm Hesch 1895 an der Wiener Hofoper als Leporello in »Don Giovanni« gastierte, war das Gastspiel so beeindruckend, dass man Hesch gleich auf Dauer engagierte. Unter dem Dirigenten Gustav Mahler entstanden dort Aufführungen von hohem künstlerischem Wert. Wilhelm Hesch sang hier in einem erlauchten Kollegenkreis: Selma Kurz, Grete Forst, Hermine Kittel, Leo Slezak, Erik Schmedes, Leopold Demuth, Friedrich Weidemann ...


    Bis zu seinem Tod blieb er am Wiener Opernhaus, gab aber immer wieder Gastspiele in Prag; war aber auch an den Opernhäusern in Köln, Frankfurt, Nürnberg ... zu hören.
    Wenn man die alten Spielpläne der Wiener Hofoper studiert, kommt man bei der Addition auf 507 Vorstellungen mit Wilhelm Hesch. Am häufigsten ist die Rolle des Kezal in der Oper »Die verkaufte Braut« genannt.


    Den Kezal sang er hier von 1896 bis 1907. Gemäß diesen Plänen muss er als Daland in »Der fliegende Holländer« am 17. Dezember 1907 letztmals auf den Brettern der Wiener Hofoper gestanden haben.


    Im Jahr 1955 wurde in Wien Penzing und Ottakring - 14. und 16. Bezirk - der Heschweg nach dem Sänger benannt. Und das Grab ist - wie es sich für Wien gehört - ein Ehrengrab.


    Praktischer Hinweis:
    Das Grab befindet sich in der Gruppe 15, Nr. 1
    Friedhof Baumgarten
    Waidhausenstraße 52 (ein kürzerer Weg bietet sich am Tor 7 in der Donhartgasse an)
    1140 Wien



  • Zum 40. Todestag von Alfred Jerger


    Eigentlich hatte er Musikwissenschaft studiert, und eigentlich hieß er ursprünglich Alois Jerger. Als solcher trat er erstmals 1917 als Lothario in der Oper »Mignon« von Ambroise Thomas mit seiner Bass-Bariton Stimme in Zürich vors Publikum.


    Seit 1913 war Alfred Jerger als Operetten-Kapellmeister in Passau tätig und später dann in Winterthur. Am Stadttheater Zürich entdeckte man, dass der Herr Kapellmeister eine brauchbare Stimme besaß. Sein Wirken war breit gefächert; so wirkte er auch bei Uraufführungen von Stücken der zeitgenössischen Komponisten Schoeck und Schreker mit.
    1919 vermittelte Richard Strauss den Sänger an die Münchner Staatsoper und schon 1921 wurde er Mitglied der Wiener Staatsoper, wo er im Laufe von Jahrzehnten in unterschiedlichen Funktionen tätig war; er führte Opernregie, befasste sich mit Neubearbeitungen und wurde sogar 1945 durch den Befehl des russischen Stadtkommandanten als kommissarischer Leiter dazu gebracht eine »Figaro«-Aufführung zustande zu bringen. Übrigens währte Jergers Direktorentätigkeit exakt vom 01.05.1945 bis 14.06.1945 ...
    Die Besetzung dieser Aufführung sah damals so aus:
    Alfred Poell (Conte Almaviva), Hilde Konetzni (Contessa Almaviva), Irmgard Seefried (Susanna), Alois Pernerstorfer (Figaro), Sena Jurinac (Cherubino), Elisabeth Höngen (Marcellina), Hermann Gallos hörte man als Don Basilio und Don Curzio ...
    Oscar Fritz Schuh führte Regie, Josef Krips dirigierte.
    Jerger kann auch als der Entdecker von Wilma Lipp und Förderer von Sena Jurinac gelten.


    Am 14. Oktober 1921 stand er erstmals als Amonasro auf der Bühne der WSO, seine Aida war Maria Jeritza. Über viele Jahre bleibt er dann dem Haus in vielerlei Funktionen erhalten.
    Im besten Sängeralter wirkte er als Mandryka an der Dresdner Semperoper in der Uraufführung von »Arabella« mit und oft war er auch im Rahmen der Salzburger Festspiele zu hören.


    Alfred Jerger muss der Spezialist in Sachen »Fledermaus« gewesen sein, denn in diesem Stück gab er über hundert Mal den Frosch, war aber auch oft als Gefängnisdirektor Frank zu sehen, hatte die Spielleitung, führte Regie, war am Klavier und sorgte sogar für eine szenische Neugestaltung. Außerhalb der Staatsoper wagte er sich sogar ins Filmmilieu vor, Leo Slezak war da auch mit von der Partie, künstlerischer Ruhm war jedoch mit diesem Streifen nicht zu ernten.


    Die Karriere von Alfred Jerger war lang; wie lang sie war, lässt sich schwer feststellen; die Datenlage ist etwas diffus - einerseits heißt es, dass er an der Wiener Staatsoper von 1921 bis 1953 tätig gewesen sei, andererseits sind noch 1963 Auftritte an der Staatsoper notiert, zum Beispiel als Haushofmeister in »Ariadne auf Naxos« und als Selim Bassa in »Die Entführung aus dem Serail«. Außerdem wirkte er noch als 80-Jähriger in einer Schallplattenaufnahme von »Der Rosenkavalier« mit - zwar nicht als Baron Ochs auf Lerchenau, den er in Wien 22 Mal sang, sondern in der weit bescheideneren Rolle des Notars ...
    Über viele Jahre war Alfred Jerger auch pädagogisch am der Wiener Musikakademie tätig.


    Praktischer Hinweis:
    Das ehrenhalber gewidmetes Grab von Alfred Jerger befindet sich auf dem Wiener Zentralfriedhof - Gruppe 40, Nummer 46.

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  • Heute ist der Todestag von Paul Schöffler


    Paul Schöffler studierte am Konservatorium seiner Heimatstadt Gesang, Klavier- und Violinspiel; Musiktheorie gehörte ebenfalls zur Ausbildung. Schöfflers langjähriger Bühnenpartner Anton Dermota hatte eine hohe Meinung von seinem Kollegen und beschrieb ihn so:


    »Die alle überragende Persönlichkeit aber stand wohl mit Paul Schöffler auf der Bühne, ein Vollblutkünstler, dem niemand den einstigen sächsischen Volksschullehrer angesehen hätte, auch wir nicht, die ihm als Kollegen nahestanden.«


    Schöfflers Gesangslehrer waren Rudolf Schmalnauer und Waldemar Staegemann; beide waren mit der Dresdner Oper eng verbunden, wobei Staegemann die bedeutendere Sängerkarriere absolvierte. Paul Schöffler übertraf dann seine beiden Lehrer. Eine weitere Ausbildung bei dem Sizilianer Mario Sammarco folgte, das war dann schon die Spitzenklasse baritonaler Gesangskunst.


    Fritz Busch gab Nachwuchssängern und Sängerinnen - Erna Berger gehörte auch dazu - gerne eine Chance zum Karriereanschub. Schöffler wurde an die Dresdner Staatsoper verpflichtet und debütierte dort als Heerrufer, die meisten Quellen nennen dafür das Jahr 1924. Sicher ist dagegen, dass Schöffler am 21. Mai 1925 bei der Uraufführung »Doktor Faust« von Ferruccio Busoni mitwirkte; in weiteren Uraufführungen zeitgenössischer Werke war der junge Sänger ebenfalls eingebunden:
    Kurt Weills »Der Protagonist« (Dresdner Uraufführung 27. März 1926), Alfred Schattmanns »Die Hochzeit des Mönchs« (Uraufführung 19. Mai 1926), Cardillac (Uraufführung 9. November 1926), »Penthesilea« (8. Januar 1927), Erwin Dressels »Die Zwillingsesel« (29. April 1932), Mark Lothars »Münchhausen« (6. Dezember 1933), Rudolf Wagner-Régenys »Der Günstling« (Uraufführung 20. Februar 1935) und Robert Hegers »Der verlorene Sohn« (Uraufführung 31. März 1936).


    Ab 1937 hört man Paul Schöffler an der Wiener Staatsoper, der er über viele Jahre fest verbunden blieb - im Spielplanarchiv der WSO findet man noch am 24. April 1972, dass Schöffler als Oberpriester des Neptun in »Idomeneo« auf der Bühne stand.


    Seine Gastspiele waren an allen großen Häusern der Welt begehrt; natürlich sang er an der Mailänder Skala, an der Covent Garden Oper London, der Grand Opéra Paris, an den deutschen Staatsopern und am Teatro Colón in Buenos Aires ...
    Die Metropolitan Oper New York, das Sahnehäubchen jeder großen Sängerkarriere, darf auch nicht ausgespart bleiben, in neun Spielzeiten hat er dort in fast hundert Vorstellungen 14 Partien gesungen.


    Sein Repertoire war sehr breit und die Stimme entwickelte sich auf dem natürlichen Weg vom lyrischen Mozartgesang zu den schwereren Kalibern des Wagner- Faches; besonders hervorzuheben ist hier sein Hans Sachs.


    In der unmittelbaren Nachkriegszeit sang Schöffler einmal unter Krips die f-Moll-Messe von Bruckner, der andere Solist war Anton Dermota, beide erhielten damals als Extrahonorar einen Rucksack mit fünf Kilogramm Kartoffeln, und die beiden waren überglücklich - auch solche Momente gibt es im Wirken eines Konzert- und Opernsängers.


    Aber in so einem Sängerleben gibt es nicht nur die strahlend umjubelten Opernabende, es sind auch Aufgaben zu bewältigen, die keinen Jubel hervorrufen können. So berichtet zum Beispiel Gerhard Eberstaller von der Trauerfeier für Clemens Krauss, wo unter anderem auch Paul Schöffler gefordert war und aus Händels »Julius Cäsar« in ergreifender Weise die Arie am Grab des Pompejus - »Schatten nur waren Deine Trophäen ...« sang. Die Gedanken werden wohl zurückgegangen sein, zu jenem 14. August 1952, zu den Salzburger Festspielen, wo man gemeinsam nun endlich »Die Liebe der Danae« aus der Taufe heben konnte, Richard Strauss war inzwischen ja auch schon tot.


    Eine für Schöffler unangenehme Sache passierte als Karajan an der Wiener Oper das Sagen hatte und Schöffler schwuppdiwupp als Jago durch einen italienischen Sänger ersetzte, der Schöfflers Qualität nicht erreichen konnte. Die Originalsprache war für Schöffler kein Problem, er hatte das bereits schon unter Furtwängler in Salzburg italienisch gesungen. Der Kritiker Karl Löbl schrieb damals von einem Skandal und die Wiener Opernfreunde waren entsprechend sauer.


    Im privaten Bereich soll Paul Schöffler recht umgänglich gewesen sein; während der Kriegszeit residierte er ja alleine in Wien, recht nobel, in einem Palais mit Park, seine Gattin, eine Engländerin, lebte mit beiden Söhnen in London. So konnte der Sänger seinen ganz eigenen Lebensstil pflegen.
    Wenn auf Gastspielreisen das Ensemble um neun beim Frühstück saß, erschien Kollege Schöffler - er kam dann jedoch nicht aus dem Bett, sondern hatte bereits ein paar Bahnen geschwommen oder er kam vom Tennis. Und er war ein unruhiger Geist, der urplötzlich aus einer gemütlichen Runde aufbrach und es oft aus unerfindlichen Gründen plötzlich sehr eilig hatte.
    Auch die langjährige Opernfotografin Lillian Fayer, die praktisch bei jeder Probe dabei sein durfte, wurde einmal mit der Schöfflerschen Ungeduld konfrontiert, als diesem das Posieren zu lange vorkam und er der Fotografin zurief: »Schneller, schneller« und Lillian Fayer meinte, dass sie ihm das demnächst auch einmal auf der Bühne zurufen werde ...


    Am 2. Dezember 1977 hat man Paul Schöffler auf dem Wiener Zentralfriedhof in einem Ehrengrab bestattet.
    Man findet seine Ruhestätte in der Gruppe 40, Nr. 54

  • Lieber Hart,


    die Fotodokumente und Deine Kommentare gehören mit zum informativsten und interessantesten, was das Tamino-Klassik-Forum zu bieten hat. Danke, dass Du diesen Thread praktisch im Allengang stemmst .Die bisher vorliegenden Beiträge sind so wertvoll, dass daraus eine Präsentation in Buchform entstehen könnte - vielleicht als erstes Buch in einer Tamino-Veröffentlichungsreihe. Auf jeden Fall besten Dank für diese Fleissarbeit. Interessieren würde mich noch ob du alle Fotos am Originalort machst? Bitte liefere weitere solche Berichte. :hello:
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Interessieren würde mich noch ob du alle Fotos am Originalort machst?


    Lieber Operus.
    selbstverständlich stammen die von mir eingestellten Fotos von eigener Hand. Man muss da schon selbst hingelaufen sein, und man sollte eine Beziehung haben, zu denen, die da unterm Stein liegen,
    dann jätet man auch schon mal Unkraut, wenn es nötig ist ...
    Es gibt ja einiges festzuhalten, das dann plötzlich auf Nimmerwiedersehen verschwunden sein kann ...
    Da sind schließlich einige beklagenswerte Beispiele in diesem Thread, die zeigen, wie ehemals große Künstler einfach beiseite geschafft wurden, weil in der Administration Leute nachgewachsen sind,
    die keinerlei Bezug mehr zur vergangenen Kultur haben. Als rühmliche positive Ausnahme ist hier allerdings die Stadt Wien zu loben!


    Aber meine Aussage soll auch an Beispielen aus diesem Thread belegt werden:
    Beitrag Nr. 9 - Das Grab von Leo Blech
    Beitrag Nr. 183 Der Grabstein von Leo Blech ist wieder in Ordnung - ein Jahr später aber nicht mehr,
    wie diese Aufnahme von 2015 zeigt.




    Beitrag Nr. 236 Henny Wolff - vielleicht hatten die Hamburger bei »Tamino« gelesen ...



    das Foto oben ist die ältere Aufnahme, jetzt stimmen die Daten.


    Beitrag Nr. 287 Sophie Menter - hier ist der neueste Stand nicht bekannt, aber in München soll sich demnächst etwas tun ...
    Beitrag Nr. 290 Maria Müller


    Um noch etwas zu München zu sagen:
    Vier Mal hatte ich in den letzten Jahren den Münchner Waldfriedhof besucht (bin 400 Kilometer von diesem Ort entfernt), um das Grab von Heinrich Rehkemper zu finden, ein begnadeter Liedsänger, der noch mit Richard Strauss Liederabende gab, aber auch an der Münchner Oper viele Jahre umjubelt war (in manchen Sänger-Büchern findet man seinen Namen nicht!) Auf YouTube wird jedoch seiner gedacht ...
    Wenn ich es noch erlebe, werde ich am 30. Dezember, das ist sein Todestag, etwas über ihn und sein Grab schreiben ...


    Interessiert habe ich nun vernommen, dass hier inzwischen offensichtlich ein Umdenkungsprozess in Gang gekommen ist, denn in einer Münchner Zeitung war zu lesen, dass ein Ausschuss des Stadtrats beschlossen hat auf dem Waldfriedhof ein eigenes Gräberfeld für Künstler einzurichten. Die haben dort zwar schon eins und Rehkemper fand zumindest ganz in der Nähe seine Ruhe, aber das weiß kaum jemand ...


    Ein Buch? Ich fürchte wir Alten hier im Forum sind die einzigen, die noch mehr oder weniger verklärt nach hinten schauen, ansonsten geht der Blick nach vorne! Und dass ich das alles jetzt ruck-zuck nach Budapest befördern kann, hat ja auch etwas ...

  • Lieber Hart,


    Danke für die Informationen. Deine Leistung wird ja noch größer und bewunderswerter, wenn das alles selbt erlaufen und erkundet ist. Chapeau!
    Selbstverständlich schreibt Du den Bericht über Rehkemper noch. Wer wird denn so trübe Gedanken haben. Das mit dem Vorwärts in jeder Beziehung ist goldrichtig.
    Ich habe z.B. vor einem Jahr interimistisch die Position des Vertriebsdirektors mit Personal- und Ergebnisveranwortung übernommen. Wir schaffen zufriedenstellende Ergebnisse mit Mitarbeitern, die alle meine Enkel sein könnten. Ich fühle mich sauwohl in dieser Aufgabe und die Anderen offensichtlich auch.
    Leben heißt lebendig sein und bleiben. Also auf ein gutes weiteres Leben für uns beide. :hello:


    Mit lieben Grüßen aus Ungarn
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

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  • Erinnerung zum heutigen Todestag


    Erwin Wohlfahrt und Fritz Wunderlich sind insofern Schicksalsgenossen, dass sie nur 36 Jahre alt werden durften, Erwin Wohlfahrt war um zwei Jahre jünger. Die beiden Tenöre kannten sich und ihre Stimmen sind auf einem Aufführungsmitschnitt vom 4. August 1961 zu hören, Wunderlich als Belmonte, Wohlfahrt in der Rolle des Pedrillo.
    Beide Sänger waren auch in ihrer Karriere so weit vorangeschritten, dass ein Debüt an der Metropolitan Oper New York in greifbarer Nähe lag.


    Zunächst hatte Wohlfahrt den Beruf des Frisörs erlernt, studierte dann aber an der Musikhochschule Nürnberg, unter anderem auch bei dem renommierten Bariton Willi Domgraf-Fassbaender. Sein erstes Engagement führte ihn dann 1955 an das Stadttheater Aachen, von wo aus schon viele erfolgreiche Musikerkarrieren gestartet wurden.


    Seine nächste Station war die Komische Oper Berlin, an der er von 1957 bis 1959 auftrat. In den Spielzeiten 1959-61 hörte man Wohlfahrt am Opernhaus Köln; danach wurde er an die Hamburgische Staatsoper berufen, wo Rolf Liebermann einen ganz besonderen Opernstil pflegte - während Liebermanns ersten Hamburger Intendanz wurden immerhin 24 Auftragswerke uraufgeführt, was für Wohlfahrt bedeutete, dass er in vielen zeitgenössischen Opernwerken zu singen hatte. Zu einer besonders spannenden Sache gestaltete sich damals die Uraufführung von Giselher Klebes Werk »Jacobowsky und der Oberst«, wo Liebermann plötzlich den Idealtyp für den Oberst -Adjutanten Szabuniewicz entdeckte - und das war Erwin Wohlfahrt! Auftraggeber Liebermann wies Klebe an, die für eine Bass-Stimme bereits fertiggestellte Partie ins Tenorfach zu legen. Wie man in Presseberichten nachlesen kann, muss das eine ganz ergreifende Aufführung gewesen sein.


    Erwin Wohlfahrt hatte zwar seinen allerersten Sängerauftritt am Aachner Theater als Adam im »Vogelhändler«, aber inzwischen war die Stimme gereift; er gastierte 1963 an der Mailänder Scala, später dann auch in Rom. Auch in Bayreuth ist der noch relativ junge Sänger in mehreren Rollen zu hören. Über ein Hörerlebnis einer Schallplattenaufnahme schreibt der Musikjournalist Matthias Nöther in einem Buch:


    »Die Partien des Mime in "Rheingold" und "Siegfried" singt der Tenor Erwin Wohlfahrt. Wohlfahrt stellt seine Stimme vollkommen in den Dienst seiner Darstellung der Figur - er schreit, heult, schluchzt, keucht, kreischt, röchelt. Der Gesangston wird zwar nie ganz aufgegeben, jedoch wird er durch diese unmittelbar expressiven Momente so sehr angereichert, dass er unter ihnen manchmal nur mit Mühe noch zu erkennen ist ...
    Der Tenor war zum Zeitpunkt der Aufnahme gerade mal 35 Jahre alt und damit einer der jüngsten Sänger in Wieland Wagners Bayreuther Ensemble.«


    Praktischer Hinweis:
    Friedhof Hamburg-Ohlsdorf, Fuhlsbüttler Straße 756
    Vom Haupteingang aus gesehen ist das Grab fast am Ende des großen Friedhofs, also näher der Einfahrt Bramsfelder Chaussee; als grobe Orientierung kann die Kapelle 13 und das Feld »Katholische Brüderschaft« dienen.
    Die Grab-Stele ist im Friedhofsplan auf Bk 69, 1457/1458 zu finden.

  • Lieber Hart.


    da lag ich ja intuitiv goldrichtig, als ich gestern Erwin Wohlfahrt mit als "führenden Rollenvertreter" nannte.


    Woran ist er denn so jung gestorben, weißt du das?

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Lieber Stimmenliebhaber,
    im Internet findet man bei Wikipedia:
    »musste er wegen einer Viruserkrankung alle Verpflichtungen absagen, darunter auch sein erstes Engagement an der New Yorker Metropolitan Opera«, aber auch die Formulierung: »nach langer Krankheit an einem „unbekannten“ Virus.«
    Klaus Ulrich Spiegel schreibt:
    »Er starb erschreckend früh an Leukämie«
    In der Zeitschrift Für Trauerkultur (Publikation Ohlsdorfer Friedhof):
    »starb er in Hamburg an einer unheilbaren Blutkrankheit«


  • Zum heutigen 110. Geburtstag


    Elisabeth Höngen wurde in der westfälischen Industriestadt Gevelsberg im Sauerland geboren, dort wo vor ihr der Bariton Rudolf Frese (1888) und nach ihr der Bariton Ernst Krukowski (1918) geboren wurden, offenbar ein günstiges Klima für Opernstimmen; den größten Bekanntheitsgrad von den dreien dürfte heute noch die Altistin Elisabeth Höngen haben.


    Theodor Höngen, Elisabeths Vater, war ein angesehener Geschäftsmann in der Eisenbranche und im privaten Bereich durchaus musikalisch interessiert; er soll, wie auch seine Frau Elisabeth, eine schöne Singstimme gehabt haben und war in jungen Jahren Mitglied im Männergesangverein. Als seine Tochter neben dem Geigenspiel auch das Klavierspiel erlernt hatte, durfte sie den Vater begleiten, wenn er Volkslieder und Balladen von Carl Loewe zum Besten gab.


    Neben dem überdurchschnittlichen Interesse an der Musik zeigte sich bei der Heranwachsenden schon recht früh die Freude am Verwandeln durch Schminke und Verkleidung; als sie später dann professionell auf der Bühne stand, bezeichnete man sie als Sing-Schauspielerin und kein Geringerer als Karl Böhm lehnte sich so weit aus dem Fenster, dass er seinem Tagebuch anvertraute, dass Elisabeth Höngen »Die größte Tragödin der Welt« sei. Aber noch war es nicht so weit ...


    Erst musste einmal das Gymnasium absolviert werden, aber die Eltern konnten sich schon vorstellen, dass die Tochter auch mal beruflich was mit Musik macht, sie dachten daran, dass aus ihrer Elisabeth vielleicht eine tüchtige Musiklehrerin werden könnte. Da von Seiten des Onkels verschiedene Musikinstrumente ins Haus kamen, lernte das Mädchen Dreiviertelgeige, Gitarre, Pikkoloflöte - und später kam noch eine Zither hinzu.
    In der größeren Nachbarstadt Hagen absolvierte sie die höhere Schule und schloss mit dem Abitur ab, dann bewilligten die Eltern das Studiengeld für die Universität Berlin, wo sie die Fächer Germanistik und Musikwissenschaft studieren wollte, das Ziel war der Lehrerberuf. Aber die junge Frau fiel bei der Aufnahmeprüfung durch. Man hätte die Prüfung wiederholen können, aber sie hatte nun keine Lust mehr am Studium einer Musiklehrerin und meldete sich - ohne das Wissen der Eltern - zur Aufnahme an der Berliner Hochschule für Musik, wo sie als Studentin akzeptiert und in der Gesangsklasse Hermann Weißenborns zur Opern- und Konzertsängerin ausgebildet wurde, später folgten Studien bei Paola Novikova.
    Das waren erste Adressen: bei Weißenborn studierten Joseph Schmidt, Dietrich Fischer-Dieskau und auch noch Edda Moser; bei Novikova Nicolai Gedda, George London und Helen Donath.
    Im Verlaufe dieses Studiums, das Elisabeth Höngen mit Auszeichnung absolvierte, erwarb sie auch den offiziellen Titel »Staatlich geprüfte Gesangspädagogin«. Nun war jedoch das Interesse am Theater so stark, dass sie gar nicht daran dachte von ihren verbrieften pädagogischen Fähigkeiten Gebrauch zu machen.


    Ihre ersten Auftritte hatte die junge Sängerin an den Städtischen Bühnen Wuppertal, gerademal zwanzig Kilometer von ihrem Geburtsort entfernt. Die Irmentraud in Lortzings »Waffenschmied« war ihre Debütrolle, aber in diesen Anfängerjahren zwischen 1933 und 1935 sang sie auch schon Amneris, Eboli, Brangäne, Fricka und sogar schon die Lady Macbeth, mit der sie dann in den späteren Jahren einen überwältigenden Erfolg hatte.
    Das nächste Engagement war in Düsseldorf, eine halbe Autostunde von Wuppertal entfernt, wo sie bis 1940 blieb und als Rollen noch Oktavian, Carmen, Ortrud und Amme in »Frau ohne Schatten« hinzukamen. Eine besondere Bedeutung, die noch viele Jahre später Früchte trug, hatte hier die Gestaltung der Carmen. In Gemeinschaftsarbeit mit dem Regisseur und Dirigenten erarbeitete man am Haus eine neue, möglichst sinngetreue Übersetzung des französischen Textes, die Höngen dann auch später in Dresden, Berlin und Wien beibehielt.
    Inzwischen waren auch andere Häuser aufmerksam geworden, es kamen Vertragsangebote von München, Hamburg und Dresden.
    Höngen singt nun von 1940 bis 1943 an der Staatsoper Dresden und wechselt dann an die Wiener Staatsoper, der sie bis an ihr Karriereende treu bleibt, in München ist sie häufig als Gast zu hören. An der WSO sang sie nach Angaben des Spielplanarchivs in 853 Vorstellungen; noch im Dezember 1970 wird sie in »Arabela« in der Rolle einer Kartenaufschlägerin genannt.


    Gastspiele führten sie in die maßgeblichen Opernhäuser der Welt, sie sang außerdem in Bayreuth (Fricka, Waltraute; 1941) und ab 1948 bei den Salzburger Festspielen (Marcelline in »Figaro«, Clairon in »Capriccio«), und Tourneen führten sie durch Europa, die Vereinigten Staaten von Amerika und Südamerika. Hieraus ergibt sich, dass sie unter allen großen Dirigenten dieser Zeit gesungen hat.


    Allenthalben wurde bei ihr das ideale Zusammenwirken von Spiel und Gesang gerühmt, aber sie war auch fähig Besonderes im Lied- und Oratoriengesang zu bieten, wo jegliche Maskerade entfällt. Natürlich sang sie Bachs »Hohe Messe« und die »Matthäus-Passion«, Mendelssohns Oratorium »Elias« und so weiter ...- Lieder von Schubert, Schumann, Brahms und Wolf, aber es fällt auf, dass sie auch sehr viele verschollene und auch zeitgenössische Werke aufführte, für die man heutzutage den Begriff »sperrig« verwendet. Beim Blättern in ihren Programmen findet sich zum Beispiel: »Von der Verlassenheit«, ein Zyklus von Franz von Hoesslin, »Lieder des Herbstes«, nach Rilketexten von Winfried Zillig, »Lieder und Tänze des Todes«, von Mussorgsky, »Des Todes Tod« von Hindemith, Alban Bergs frühe »Vier Lieder« und auch Pfitzner-Lieder, wo sie auch mal vom Komponisten selbst begleitet wurde.


    1957-1960 leitete sie eine Opernklasse an der Wiener Akademie für Musik und darstellende Kunst.
    In ihrer Wohnung hatte sie einen Spruch Robert Schumanns hängen:


    »Die Musik ist die Erinnerung an das Schönste, was auf Erden gelebt und gestorben«


    Praktischer Hinweis:
    Elisabeth Höngen wurde am 26. August 1997 auf dem Neustifter Friedhof in Wien bestattet (Gruppe J, Nr. 149).

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  • Zum heutigen Todestag von Georg Hann




    Georg Hann war das einzige Kind seiner Eltern und als er ins Erwachsenalter kam, waren die Zeiten nicht gerade rosig, er wurde als Freiwilliger 1916 Kriegsteilnehmer und beendete seine militärische Karriere im Range eines Leutnants. Bei der Suche nach einem bürgerlichen Beruf hatte er kein Glück, es war die Zeit der Inflation und der junge Mann wurde arbeitslos, was in dieser Zeit keine Seltenheit war.


    Er stand mit dem Abschluss eines Real-Gymnasiums da und konnte keine Arbeit finden. Um nicht gänzlich untätig zu sein, trat er in die Wiener Akademie ein, wo er 1924 bei Professor Theodor Lierhammer sein Studium begann. Lierhammer hatte in Wien einen außerordentlich guten Ruf, er hat auch Erich Kunz, Ljuba Welitsch, Boris Christoff und Otto Edelmann ausgebildet, um ein paar bekannte Namen zu nennen.


    Schon während seiner Studienzeit wurde Georg Hann hin und wieder zu Konzerten eingeladen. Als Hann dreißig Jahre alt war, wurde Clemens von Franckenstein, der Generalintendant der Bayerischen Staatstheater, auf den jungen Sänger aufmerksam. Obwohl Georg Hann zu diesem Zeitpunkt kaum über Bühnenerfahrung verfügte, wurde er zur Unterstützung von Paul Bender als zweiter seriöser Bass engagiert.
    Am 15. Februar 1927 debütierte Hann »als Gast«, wie es auf dem Programm des Nationaltheaters abgedruckt ist, als Eremit in »Der Freischütz«.


    Zunächst wurden ihm kleinere Rollen zugeteilt, aber da er sowohl im Bariton als auch im Bass-Fach eine gute Figur machte, konnte er universell eingesetzt werden. So konnte man ihn zum Beispiel in Mozarts »Die Zauberflöte« ebenso in drei unterschiedlichen Rollen erleben (Serastro, Sprecher und Papageno) wie in Verdis »Don Carlos« (König Philipp, Mönch und Großinquisator). Eine der ersten Wagner-Partien, die er in München sang, war der Bäckermeister Kothner in »Die Meistersinger von Nürnberg«.


    Bald konkurrierte Hann mit seinem sehr erfahrenen und berühmten Kollegen Paul Bender, oft stand er aber auch mit diesem gemeinsam auf der Bühne. Als Hann dann schon seine Meriten hatte, beäugte er die nachrückenden Sänger eher misstrauisch und meinte grollend:


    »Früher hat ma halt Leuth´ singen lassen, heut´ meint ma, mit de Bubn geht´s a scho«


    Etwas Gegenwind bekam Hann, als im Januar 1937 in München die Ära Clemens Krauss begann. Die beiden Herren waren sich bezüglich der Rollenbesetzung nicht einig. So überging Kapellmeister Krauss Georg Hann stets, wenn es um die Besetzung von »Bösewichtern« ging, zum Beispiel Pizarro und Scarpia - und gerade diese Rollen liebte Hann ganz besonders. Kraus war dagegen der Ansicht, dass Hann der Kezal in »Die verkaufte Braut« besser zu Gesicht steht. Für die Heldenbariton-Rollen bevorzugte Krauss Hans-Hermann Nissen und Hans Hotter.


    Wenn man sich die Einsätze Hanns am Nationaltheater anschaut, stellt man fest, dass er hier viele gewichtige Rollen sang, auch im Wagner-Fach. 1938 wurde Georg Hann der Titel eines Kammersängers zuerkannt und die Stimmkollegen Hans-Hermann Nissen und Karl Schmitt-Walter wurden am gleichen Tag in diesen Stand gehoben. Das Nationaltheater in München war für Hann der Dreh- und Angelpunkt, aber natürlich war er auch bei den Salzburger Festspielen und auch in Wien zu hören, wo er einen Gastspielvertrag hatte. Ein Gastspiel der Münchner Oper führte ihn auch an die Mailänder Scala, ein Gastspiel der Wiener Staatsoper nach London.


    Auch im Konzertsaal war Georg Hann ein stets gefragter Sänger, in der »Matthäus-Passion«, »Missa Solemnis«, »Die Schöpfung« ... und vielen anderen Werken dieses Genres. Auch einige Aufnahmen von Kunstliedern sind uns erhalten geblieben, Volkslieder, und natürlich, wie könnte es bei einem gebürtigen Wiener auch anders sein, die typischen Wiener Lieder. Zu erwähnen sind auch die Operetten-Klassiker, die damals noch einen anderen Stellenwert als heute hatten.
    Zu Zeiten Hanns spiele der Rundfunk auch noch eine ganz andere Rolle als heute; auch in diesem Metier war Hann vielfältig tätig. Noch bis in den späten Abend hatte der Sänger im Rundfunkhaus in München gearbeitet. Auf der Fahrt nach Hause ereilte ihn der Tod. Am 11. Dezember 1950 sollte Hann an der Aufführung der Neunten Sinfonie von Ludwig van Beethoven in Augsburg mitwirken. Diese Aufführung wurde zu einer ergreifenden Gedenkfeier für den verstorbenen Sänger, in der Hans Hermann Nissen den Bass-Part anstelle des Verstorbenen einnahm. Nach einer Ansprache des Direktors vom Städtischen Konservatorium erklang Beethovens Werk zum Gedenken an Georg Hann.


    Im Nachruf der DGG heißt es:


    »Mit Georg Hann, den am 9. Dezember ein Herzschlag am Steuer seines Wagens überraschte, verliert das musikalische Deutschland eine seiner ausgeprägtesten Sängerpersönlichkeiten, die Opernbühne einen Bassisten von seltener Stimm- und Spielbegabung.«


    Georg Hanns Frau, Grete, schreibt in der Traueranzeige:


    »... nach einem Schlaganfall im Alter von 53 Jahren durch einen überaus schönen Tod zu sich in die Ewigkeit abberufen.«


    Im Münchner Stadtteil Obermenzing erinnert heute noch eine Georg-Hann-Straße an sein künstlerisches Wirken in der Stadt.


    Praktischer Hinweis:
    Wer das Grab auf dem Münchner Ostfriedhof besuchen möchte, kann auch mit der S-Bahn anreisen; direkt an der Haltestelle ist ein Seiteneingang des Friedhofs, den man sinnvollerweise benutzt.



    Hier ist dieser Seiteneingang


    Man geht von hier aus etwa drei Minuten bis zum Krematoriums-Gebäude und biegt dann nach links zum Gräberfeld 147 ab (Reihe 1- Nr. 12).

  • Zum heutigen Todestag von Carl Philipp Emanuel Bach


    Dort wo Carl Philipp Emanuel Bach geboren wurde, ist aktuell ein Hotelparkplatz, sein Geburtshaus steht nicht mehr, es wurde kurz vor Kriegsende noch am 9. Februar 1945 von einer Bombe getroffen und bis auf die Grundmauern zerstört. Was noch vorhanden war, wurde 1988/89 abgerissen. Johann Sebastian Bach wohnte von 1708 bis 1717 hier, eine Gedenktafel an der Mauer weist noch darauf hin. Eine Bürgerinitiative will nun auf den noch erhaltenen originalen Kellern das Bach-Haus wieder auferstehen lassen, denn man ist der Ansicht, dass sämtliche Wohnorte Bachs entweder unbekannt oder nur noch zu vermuten oder nicht mehr existent sind und einzig in Weimar noch originale Bausubstanz erhalten ist.



    Sein Grab befindet sich an einer markanten Stelle der Hansestadt Hamburg, im Gruftgewölbe der Hauptkirche St. Michaelis, von den Hamburgern kurz »Michel« genannt. Dem Grundriss der Kirche entsprechend befindet sich in der Unterkirche ein großer historischer Friedhof. Diesen unter der Kirche anzulegen, war ein Einfall des Kirchenerbauers Sonnin; eine Geldbeschaffungsmaßnahme; er ging in die Tiefe, um hoch bauen zu können. Über viele Jahre hinweg war das ziemlich in Vergessenheit geraten, eine praktische Nutzung ergab sich als der untere Kirchenraum im letzten Krieg als Luftschutzkeller genutzt wurde.
    Erst 1986 kam ein gemeinnütziger Verein auf die Idee das Gewölbe zu nutzen, 1993 gab es erste ernstere Überlegungen einer neuen Nutzung und von 2004 bis 2009 wurde da unten dokumentiert und restauriert, bis das Gewölbe in dem Zustand war, wie es sich heute darbietet ... und das vermittelt einen sehr ästhetischen Gesamteindruck.



    Im Tode sind zwar alle gleich, aber zwei Musikergräber haben es den Besuchern besonders angetan - das Grab von Carl Philipp Emanuel Bach und das von Johann Mattheson.


    Im März des Jahres 1768 wird Carl Philipp Emanuel Bach in Hamburg Nachfolger von Georg Philipp Telemann, dessen Patenkind er war. Telemann war im Juni des Vorjahres gestorben, nachdem er mehr als die Hälfte seines Lebens in Hamburg zugebracht und das musikalische Leben der Stadt geprägt hatte. Auch Johann Sebastian Bach, der Vater von Carl Philipp Emanuel, hatte sich schon 1720 in der Hansestadt für eine Organistenstelle interessiert, aber die Sache zerschlug sich, über die damaligen Gründe sind verschiedene Geschichten im Umlauf ...


    Am 20. Oktober hatte sich das »Collegium scholarchale« versammelt, um über die Nachfolge des verstorbenen Musikdirektors Telemann zu beraten. Unter den vier Bewerbern waren gleich zwei mit dem Namen Bach, nämlich auch der jüngste Sohn von J. S. Bach, Johann Christoph Bach.


    Damit man die Bachmusiker besser kennzeichnen konnte, sind C.P.E. verschiedene Zusatzbezeichnungen, wie zum Beispiel »Berliner Bach«, »Hamburger Bach« oder gar »Schwarzer Bach«, zugewachsen, die Literatur spricht davon, dass er ein Mann mit tiefschwarzem Haar und ein südländisch aussehender Typ gewesen sei. Wenn man so über die verfügbaren Porträts schaut, ist das nur schwer vorstellbar, eine Ausnahme bildet die Bach-Büste im Schauspielhaus zu Berlin.


    Heute denkt man, wenn der Name Bach genannt wird, primär an Johann Sebastian Bach, der natürlich auch noch in der Zeit als sein Sohn in Berlin und Hamburg große Beachtung fand, in Musikerkreisen einen guten Namen hatte, aber von seinem Sohn in Hamburg überstrahlt wurde, weil man damals Johann Sebastian Bach eher als museale Größe ansah.


    Der Hamburger Anfang von C.P. E. Bach war dergestalt etwas holprig, dass er vom »Collegium scholarchale« mit nur einer Stimme Mehrheit als neuer Kirchenmusikdirektor und Kantor am Johanneum gewählt wurde, das war am 3. November 1767. Vordem war C.P. E. Bach 27 Jahre am preußischen Hof von Friedrich II., wo er den dort vorherrschenden Musikgeschmack als zu konservativ empfand und dem Hofleben stand er auch eher reserviert gegenüber. Da seine Kompositionen am Preußenhof auch nicht so oft zu hören waren, fiel ihm der Abschied dort nicht schwer.
    In seiner Hamburger Zeit sind fast alle seine kirchenmusikalischen Werke entstanden, vor allem die Oratorien »Die Israeliten in der Wüste« (1769), »Die Himmelfahrt Jesu« (1774) sowie das Doppel-Chorstück »Heilig« (1776). Bachs Oratorien zählen zu den am häufigsten aufgeführten oratorischen Werken in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
    Bachs Kompositionen fanden in ganz Europa Absatz und waren bei Aristokraten, Beamten und Kaufleuten sehr beliebt.


    Carl Philipp Emanuel Bach wird als hochgebildeter und auch dichterisch ambitionierter Mann beschrieben, der außerhalb seines musikalischen Tuns in der Hamburger Gesellschaft einen prominenten Platz einnahm. Sein Haus galt als gastfreundlich. Er pflegte enge Beziehungen zu weltoffenen Denkern, die sich der Aufklärung verschrieben hatten. Klopstock, Lessing und Heinrich Voß waren gern gesehene Gäste - man könnte hier noch ein Dutzend prominente Namen einfügen - im Hause Bach, das als wohlhabendes Haus galt, wo auch ein ordentlicher Tropfen ausgeschenkt wurde, denn Bachs Ehefrau war nicht nur die Tochter eines Weinhändlers, sie soll auch eine ausgezeichnete Hausfrau und Köchin gewesen sein. Da schaute auch einmal der berühmte englische Musikhistoriker Charles Burney vorbei, der sehr angetan war, als ihm C.P.E. Bach vorspielte. Burney beschrieb das Gehörte so:


    »... war Herr Bach so verbindlich, sich an sein Silbermannisches Clavier zu setzen, auf welchem er drei oder vier von seinen besten und schwersten Kompositions , mit der Delikatesse, mit der Precision und mit dem Feuerspielte, wegen welcher er unter seinen Landsleuten mit Recht so berühmt ist. Wenn er in langsamen und pathetischen Sätzen eine lange Note auszudrücken hat, weiß er mit grosser Kunst einen beweglichen Ton des Schmerzens und der Klagen aus seinem Instrumente zu ziehen, der nur auf dem Clavichord, und vielleicht nur allein von ihm, möglich ist hervorzubringen.«


    Der Philosoph Denis Diderot war ein Bewunderer Bachs und korrespondierte mit ihm. Friedrich Gottlieb Klopstock übersetzte mit Bach Händels »Messias« und Bach vertonte Klopstocks Hymne »Morgengesang am Schöpfungsfeste« und das »Vaterlandslied«. Auch Klopstocks Frau wirkte als Sängerin bei der Aufführung von Werken Bachs mit.
    Carl Philipp Emanuel Bach war ein sehr produktiver Komponist und spannte den Bogen vom Barock bis zur Wiener Klassik. Mit einem Wohltätigkeitskonzert verabschiedete sich der Hamburger Bach am 9. April 1786 von der Öffentlichkeit. Er starb am 14. Dezember 1788




    Am Grab rechts im Bild - der Stammbaum der weitverzweigten Musikerfamilie Bach



    Die Grabplatte mit Inschrift



    Eine Informationstafel in unmittelbarer Nähe des Grabes

  • Wenn man schon mal hier unten in der Gruft von St. Michaelis weilt, besucht man natürlich auch die Gedenkstätte von Johann Mattheson, dessen Grabplatte sich in unmittelbarer Nähe zu Bachs Grab befindet.



    Mattheson war ein Universalgenie seiner Zeit: Musiker, Gelehrter, Diplomat, Journalist und schließlich auch noch Sänger (Tenor). Er war der Sohn reicher Eltern und konnte sich in den Fremdsprachen Englisch, Französisch und Italienisch verständigen, Lateiner war er natürlich auch. Neben einer offenbar guten Stimme, die es ihm ermöglichte auch solistisch in Erscheinung zu treten, spielte er mehr als ein halbes Dutzend Musikinstrumente. Als 18-Jähriger schrieb er seine erste Oper »Les Plejades« und sang in dem Stück praktischerweise auch die Hauptrolle.


    Die Barockoper »Boris Goudenow« des Hamburger Komponisten Johann Mattheson entstand mehr als 150 Jahre vor dem 1870 komponierten Musikdrama »Boris Godunow« des Russen Modest Mussorgski. Mattheson komponierte den ganzen Lebenslauf dieses unheimlichen Herrschers; Mussorgski, der auf ein Drama Puschkins zurückgriff, konzentrierte sich auf das krisengeschüttelte Ende von Godunows Regierungszeit. Mattheson dagegen verfolgte den unaufhaltsamen Aufstieg des jungen Machtmenschen, der im 16. Jahrhundert aus dem düsteren Erbe Iwan des Schrecklichen emporgewachsen war.
    Die Partitur dieser Mattheson-Oper hat eine Odyssee hinter sich: 1938 wurde das Manuskript nach Dresden und am Ende des Krieges von der Sowjetarmee nach Leningrad überführt. Erst 1999 gelangte es wieder zurück.


    1703 lernt Mattheson Georg Friedrich Händel kennen, woraus eine lebenslange Freundschaft resultierte, die jedoch nicht nur bei einem Streit ins Wanken geriet, als sich die Herren duellierten, aber ein Knopf an Händels Jacke einen ernsten Schaden verhinderte. Die Freunde bemerkten wohl, dass sie etwas zu weit gegangen waren und versöhnten sich noch am gleichen Abend.
    Die beiden sondierten dann auch wegen Buxtehudes Nachfolge in Lübeck, die jedoch nicht zustande kam, weil ein anderer Organist sich Buxtehudes Nachfolge erheiratet hatte.
    Diese lebenslange Freundschaft zwischen Mattheson und dem um vier Jahre jüngeren Händel war nicht ganz unproblematisch, weil Mattheson stets fühlte, dass er zeitlebens im Schatten Händels stand, es war da eine Konkurrenzsituation entstanden.
    Aufgrund eines Gehörleidens muss dann Mattheson die Opernbühne verlassen und kam so 1704 in die Position des Hofmeisters und bald auch Sekretärs, sowie Korrespondent des englischen Gesandten. Nach seiner Verheiratung mit einer englischen Pastorentochter wurde Mattheson 1715 erst Vikar und 1718 dann Musikdirektor am Hamburger Dom, eine Tätigkeit, die er zehn Jahre ausübte, aber nach Streitigkeiten mit den Sängern, die sich von ihm beleidigt fühlten und in den Ausstand traten, beendete.


    In seinen späten Jahren verfasste er musiktheoretische Schriften und sorgte für die Publikation vieler Musikerbiografien, darunter auch die seines Freundes Händel.
    Schließlich sorgte er auch dafür, dass bei seiner Beerdigung ordentlich musiziert wurde; zu Matthesons Trauerfeier erklang das von ihm selbst verfasste Oratorium »Das fröhliche Sterbelied«


    Damals trieb die Oberschicht, die hier in St. Michaelis bevorzugt bestattet wurde, bei den Trauerzügen einen so großen luxuriösen Aufwand, dass die Obrigkeit dagegen einschreiten musste, die Särge in der Gruft waren jedoch schlicht gehalten.
    Als man Mattheson zu seinem Grab brachte, hatte der Zug der Trauerkutschen alle Mühe, sich einen Weg durch die Menschenmenge zu bahnen, von allen Kirchtürmen der Stadt läuteten für zweieinhalb Stunden die Glocken. Für die Hamburger war Mattheson nicht nur ein großer Musiker, sondern auch ein großzügiger Spender, der den Bau der ersten Orgel im Michel ermöglichte. Nachdem der Pastor bei der Trauerfeier die Verdienste des Verstorbenen entsprechend gewürdigt hatte, hob Georg Philipp Telemann seinen Taktstock und brachte das Oratorium zu Gehör, das Mattheson erst vor wenigen Tagen für diesen Anlass komponiert hatte.




    Hier zur besseren Lesbarkeit der Text auf der Tafel ganz rechts:


    Der weltliche Kantor
    »Eine der Theologie ganz nahe Wissenschaft«
    Zwar ist Mattheson tiefreligiös und davon überzeugt, dass die Musik dem Lobe Gottes dienen soll. Dieses Gotteslob darf aber durchaus weltlich und fröhlich sein, von Dogmen hält er nichts. So ist es selbstverständlich für ihn, Sängerinnen in der Kirche auftreten zu lassen. Der Erfolg gibt ihm recht: »Im Anfang ließ man ersuchen: Ich möge doch ja kein Frauenzimmer auf das Chor bringen; am Ende kunnte man nicht genug davon haben.« Allein die Ohren entscheiden, ob Musik gut ist oder nicht. Althergebrachte, von scheinbaren Autoritäten formulierte Vorstellungen verwirft er mit Begeisterung.


    Charakteristisch für die häufigen Konflikte in seinem Leben ist 1728 das Zerwürfnis mit den Domsängern. Mattheson setzt sich stets vehement dafür ein, nicht nur die »Ehre der Musik«, sondern auch den mitunter schlechten Ruf von Musikern vor den Moralaposteln seiner Zeit zu verteidigen. Das lasterhafte Leben einzelner kritisiert er und schießt dabei - wie so oft - über das Ziel hinaus. So geht er auch mit den Domsängern hart ins Gericht, die sich beleidigt fühlen und streiken. Dies und seine zunehmende Ertaubung veranlassen ihn, die Stellung aufzugeben.


    So selbstbewusst Mattheson auch auftritt, so empfindlich ist er für persönliche Kritik, die er gern als Angriff auf die Musik als Kunst und Wissenschaft im Allgemeinen wahrnimmt. Aber nicht nur als »Tonsetzer« - ein von ihm geprägter Begriff - sondern auch als Musikwissenschaftler sind seine Leistungen bahnbrechend. Mit dem »Feuer der Vernunft« streitet er für die Würdigung nichtdeutscher Musik. Außerdem ist er ein früher Vertreter der Musiktherapie. Musik diene Leib und Seele und sei ein »Arzney-Mittel« gegen Depression, Müßiggang und Aggression.


    Zu den wichtigsten Pressegattungen der Aufklärung gehören die in England entstandenen »Moralischen Wochenschriften«. Mattheson steuert unter anderen seinen »Vernünfftler«, die »Critica Musica« und den »Musicalischen Patrioten« bei. Sowohl Genrebezeichnungen als auch Titel sind für heutige Leser irreführend. Es handelt sich um jugendlich-aufgeweckte Publikationsorgane, in denen neue Gedanken und ethische Grundsatzfragen diskutiert werden. Als »Patriot« begreift sich derjenige, der aktiv und verantwortlich für das Gemeinwesen eintritt. Beispielhaft dafür steht die 1765 gegründete »Patriotische Gesellschaft zur Beförderung der Künste und nützlichen Gewerbe« in Hamburg. Mattheson beherrscht die ganze publizistische Klaviatur von Boulevard bis Fachpresse.

  • Dein Beitrag über Johann Mattheson, lieber hart, ist - wie immer bei Dir - kurz und prägnant. Da ist kein Wort zu viel Geschriebenes und kein einzig Unterschlagenes. Ich habe auch diesen Beitrag gerne und mit Achtung vor Deiner Leistung gelesen.


    Danke!


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER


  • Zum heutigen Todestag von Heinrich Rehkemper - rechts im Hintergrund ist die Säule der Künstler zu erkennen


    In einem Interview mit dem Musikjournalisten Thomas Voigt forscht Josef Metternich - als das Gespräch beim Thema Liedgesang angelangt war - in seinem Gedächtnis und sagt: »Da war doch so ein wunderbarer Bariton in München, in der damaligen Zeit?« und Voigt wirft ein - Rehkemper - da klatscht Metternich enthusiastisch in die Hände und sagt: »Der Rehkemper, das ist der Name! Und Metternich erzählt begeistert weiter, dass er bei einem Freund in Amerika von Rehkemper besungene Schallplatten mit Hugo Wolf- Liedern gehört habe und sagt anerkennend: »Das hat mir dermaßen imponiert; der sang mit seiner echten Stimme und trotz alledem war der Ausdruck des Liedes gewahrt.«


    Heinrich Rehkemper - heute sind seine Spuren weitgehend verwischt, sein Geburtshaus, ein Gründerzeithaus in Schwerte (eine Stadt im Ruhrgebiet) wurde längst abgerissen, mitsamt der einmal dort angebrachten Gedenktafel, auch an seiner letzten Ruhestätte auf dem Münchner Waldfriedhof an der Fürstenrieder Straße 288, erinnert nichts mehr an den auch in München einmal so gefeierten Sänger - aber er hat einige Tonaufnahmen hinterlassen, die auf den modernen Medien unserer Tage noch gehört werden können.


    Die Familie zog von Schwerte aus in die 40 Kilometer entfernte Stadt Hagen, wo für den jungen Rehkemper eine Ausbildung als Maschinenbautechniker begann. Seine schöne Singstimme erregte Aufmerksamkeit und ein Hagener Industrieller ermöglichte ihm zunächst eine Ausbildung am Konservatorium der Stadt Hagen, worauf Studien am Konservatorium Düsseldorf und an der Musikakademie in München folgten. 1919 gab er sein Debüt am Theater in Coburg, das zu dieser Zeit ein Hoftheater mit ungewisser Zukunft war. Als er nach seiner Militärzeit - er war beim Landsturm - dort anfragte, wie sich das Vertragsverhältnis nach seiner Entlassung vom Militärdienst weiter gestalte, wurde ihm zwar sein bis 31. August laufender Vertrag bestätigt, aber die Intendanz schrieb: »Sollten Sie aber schon jetzt etwas Sicheres für gleich oder 1. 9. finden, so rate ich Ihnen dringend zuzugreifen, denn die ganze Zukunft hier erscheint mir recht fraglich.«
    Rehkemper blieb zunächst in Coburg und trat dort als Alfio und Escamillo auf und eine weitere Spielzeit war angedacht, aber die finanzielle Lage des Theaters verschlechterte sich so, dass er einen Brief an die Verwaltung schrieb in dem er seine prekäre finanzielle Situation darlegte. Gleichzeitig verhandelte Rehkemper mit dem Landestheater Stuttgart; aber nun mochten die Coburger ihren beliebten Bariton nicht so einfach ziehen lassen. Eine Berliner Theateragentur konnte auch in Dresden, Berlin und sogar in Wien Interessen wecken, aber der nun so gefragte Sänger schloss einen Vertrag mit Stuttgart ab, wo er dann von 1921 bis 1924 engagiert war. In seiner Stuttgarter Zeit unternahm Rehkemper erste Konzertreisen im In- und Ausland; konkrete Aufzeichnungen nennen Orte wie: Augsburg, München, Köln, Basel, Bern, Zürich, St. Gallen, Wien ... Mit Richard Strauss unternahm Rehkemper auch eine Konzerttournee nach Skandinavien, wobei Strauss bezüglich der sängerischen Leistung voll des Lobes war. Aber schon hier machten sich bei Rehkemper gesundheitliche Probleme bemerkbar; im Herbst 1923 musste er eine Konzertreise durch Schweden vorzeitig beenden.


    Seit 1. August 1924 singt Rehkemper an der Staatsoper München, hat aber auch noch die Möglichkeit Gastspiele an der Stuttgarter Oper zu geben. In München brilliert er zunächst in den lyrischen Baritonpartien; als Friedrich Brodersen 1926 stirbt, der seit 1903 an der Münchner Hofoper gesungen hatte, nimmt Rehkemper dessen Stelle ein. Rehkemper sang unter so namhaften Dirigenten wie Karl Böhm und Hans Knappersbusch. Er war zu einem Publikumsliebling geworden, erkrankte aber dann so schwer, dass er von der Bühne Abschied nehmen musste. In den Jahren 1940 bis 1945 wirkte er am Mozarteum in Salzburg als Gesangspädagoge, wo er aber auch schon mal in der Opernschule inszenierte, wie bei »Hänsel und Gretel« im Sommer 1941. Am 30. Dezember 1949 ist Heinrich Rehkemper gestorben.


    Der Name Heinrich Rehkemper steht zwar noch auf Listen mit prominenten Namen von Personen, die in Bayern bestattet sind, aber wenn man danach sucht, ist da oft nichts mehr zu finden, wie zum Beispiel bei Rehkemper. Nach meiner Recherche ist das im Foto gezeigte Grab die letzte Ruhestätte von Heinrich Rehkemper, aber auf dem Stein steht heute ein anderer Name, den ich vorsorglich per Photoshop wegretuschiert habe, im Laufe der Jahre werden Grabstellen immer wieder neu vergeben.


    Seit dem 10. Oktober 2016 steht folgende Meldung in der Öffentlichkeit:
    »München bekommt erstmals einen „Künstlerfriedhof“: das historische Gräberfeld 41 auf dem Waldfriedhof in Großhadern, eine besonders idyllische Fläche, wird künftig als Ruhestätte für ausgewählte prominente Künstlerpersönlichkeiten dienen. Dies hat der Stadtrat gestern beschlossen.«


    Soweit das heute für den normalen Friedhofsbesucher zu sehen ist, gibt es ein solches Gräberfeld bereits, zumindest kann man das auf Grund einer großen Säule, die inmitten uralter Gräber steht, vermuten, da sich am oberen Säulenende das Wappen der Maler befindet, könnte es sich um verstorbene Kunstmaler handeln. Unweit dieser Säule soll aber einmal das Grab des Opern- und Konzertsängers Heinrich Rehkemper gewesen sein.




    Da erscheint vor meinem geistigen Auge Psalm 103:15
    »Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blüht wie eine Blume auf dem Feld; wenn der Wind darüber geht, so ist sie nimmer da, und ihre Stätte kennt sie nicht mehr.…«


    Er hat einige Tonaufnahmen hinterlassen, die auf den modernen Medien unserer Tage noch gehört werden können:




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