Beethoven, Klaviersonate Nr. 3 C-dur op. 2 Nr. 3 CD-Rezensionen und Vergleiche (2016)

  • In dem Fall wohl eher das erste Klavier :D.
    Mein Cmputer hat, wie ich gerade feststellte, die CD ohne mein Wissen kopiert. Falls Interesse bestünde, könnte ich sie dir nach der Chorprobe rüberschicken.

    Das wäre super, lieber Willi. Ich habe heute gerade neue CD-Leerboxen für 6 CDs bestellt, damit ich die vielen gebrannten CD-Rs weiter übersichtlich archivieren kann. :) :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger


  • Beethoven, Sonate Nr. 3 C-dur op. 2 Nr. 3
    Michael Korstick, Klavier
    AD: 12/2005
    Spielzeiten: 9:38-9:12-2:53-4:51 --- 26:32 min.;


    Michael Korstick bleibt seinem Grundsatz auch in dieser Sonate treu, schnelle Sätze schnell zu spielen und langsame Sätze langsam. So entwickelt er auch hier im Kopfsatz ein agiles Spiel, das in Rhythmik und Dynamik m. E. partiturtreu ist.
    Anders als einige seiner Kollegen hebt er nach der einleitenden Piano-Sequenz (Takt 1- - 8) in der Sforzandokette (Takt 9 - 12) den dynamischen Level schon deutlich an un d erreicht ab Takt 13 ein veritables Fortissimo. Das ist von Anfang an ein furioses, kraftvolles Spiel mit permanentem Vorwärtsdrang.
    Im Seitenthema spielt er den ersten Teil, die Achtelsequenz sehr zurückgenommen, aber dennoch klar im Klang und stark im dynamischen Kontrast, um gleich im Forte ab Takt 39 wieder kräftig nach oben zu kontrastieren.
    Das Gleiche ereignet sich im Dolce, zunächst (Takt 47 bis 60) beseligender Gesang mit leichten dynamischen Bewegungen, dann ab Takt 61 in der Sechzehntelsequenz wieder kräftiger dynamischer Kontrast, desgleichen in der Schlussgruppe. Natürlich wiederholt auch er die Exposition.
    In der Durchführung spielt auch er nach der tastenden Einleitung ein klang- und kraftvolles 1. Zentrum, das er mit einem schönen Calando abschließt. Das 2. Zentrum ist beinahe noch eindrucksvoller, nicht nur wegen seines wiederum eminenten dynamischen Kontrastes, sondern auch wegen seines besonders eckigen Rhythmus, den ich in dieser Ausprägung noch nicht oft gehört habe, und den er in der Legatobogenkette in der Endphase der Durchführung wirkungsvoll kontrastiert.
    Sehr ausdrucksvoll ist in der Reprise die Synkopensequenz, sowohl im leisen leichten 4-taktigen Beginn als auch in der 4-taktigen Forte-Antwort.
    Weiter gestaltet er auch das Seitenthema adäquat zur Exposition und führt uns über die Schlussgruppe zur wundersamen Coda, die er auch mit einem kraftvollen ffp-Akkord eröffnet, dann sehr tief in den pp-Keller geht und in den vier Takten 228 bis 231 ein wunderbares Glissando in den Achteltriolen spielt. Auch er beendet diese 1. Codaphase mit einem wesentlich leiseren fp-Akkord, um dann eine sehr schöne Kurzkadenz zu spielen, die nicht virtuos überdreht ist. Die 2. Codaphase spielt er wie gewohnt, rhythmisch exakt und dynamisch äußerst hochstehend.
    Ein grandios gespielter erster Satz!


    Nach den vielen schnelleren Adagios ist es Balsam, wieder ein wirklich langsames Adagio, (Mozart würde sagen: "Wie es gehört"), zu vernehmen. Korstick versteht es, trotz der niedrigen Grunddynamik die Passage spannungsreich zu spielen und, Joachim Kaiser hätte seine helle Freude daran, die jeweils dritte und vierte Sechzehntel in Takt 1, 2, 5 und 6, in vorbildlichem Staccato zu spielen. So hört man das äußerst selten.
    Und in Teil b vermeint man durch ein Tor zu einer anderen Dimension zu gehen, so zaubrisch abgeklärt fließen die Zweiunddreißigstel ganz ohne Tempodruck dahin und korrespondieren in der Begleitung die Sechzehntel-Abwärtsgänge, die Viertel-Akkorde und die Achtel/Sechzehntel-Seufzermotive damit. Und auch er spielt dieses wunderbare Piano exakt bis zum Ende von Takt 25 und crescendiert nicht etwa schon vorher. Das Fortissimo in Takt 26 mutet daher wie eine Eruption an. Korstick nutzt wieder die Vorgaben der Partitur voll aus. Die Dynamikwechsel spielt er weiter in diesem Subito-ff-p, und besonders beeindruckend ist ab Takt 34 die durchgehende Piano-Sequenz, bei der ich Haus und Hof darauf verwettet hätte, dass er nicht die Bassoktaven in Takt 35 anhebt, was er natürlich auch nicht tut, und er schließt mit einem atemberaubenden Doppeltakt 41/42.
    Mit der gleichen Präzision und pianistischen Verantwortung spielt Korstick auch den reprisenförmigen Teil a' mit integriertem Teil b, wo er im ff-Doppeltakt 53/54, unter seinen Händen eine veritable Schlüsselstelle, selbstverständlich die jeweiligen dritten und vierten Akkorde wieder exakt staccato spielt.


    Eine Offenbarung ist wieder Teil b, dynamisch bewegt in den Takten 55 und 56 und wunderbar akzentuiert das Sforzando in Takt 57 auf der Zwei und die anschließenden sehr anrührenden Seufzer, das ist beinahe überirdisch. Unglaublich auch die Vorschlagsnotensequenz, begeisternd die letzte ff-Stelle Takt 71 auf der Zwei und Takt 72, und in der wundersamen Coda tut sich ein neues Tor zu einer weiteren Dimension auf
    Herausragend!


    Im Scherzo Allegro spielt Michael Korstick natürlich wieder schnell, ist natürlich deutlich schneller als Wilhelm Kempff, Mari Kodama und Claudio Arrau, aber nicht so schnell wie Friedrich Gulda in seiner späteren Aufnahme.
    Rhythmisch und dynamisch jedoch spielt er äußerst zugespitzt. Das ist wie ein Ritt über den Bodensee. Das ist nicht mozartinisch leicht, sondern gespenstisch-romantisch à la Mendelssohn- grandios!
    Auch das heikle Trio musiziert er m. E. herausragend. Hier kann man die Achteltriolen trotz des relativ hohen Tempos gut unterscheiden. Das Scherzo Da Capo, der formidable Übergang im dreifachen Doppelforte und die Coda, im Morendo endend-- ein dritter herausragender Satz!


    Und das Allegro assai, ein dritter schneller Satz, hier ist er temporal ganz bei Rubinstein. Dieser satz ist bei Korstick Spielfreude pur, gleichzeitig, obwohl keinesfalls Selbstzweck, Zeugnis seiner großen Virtuosität. Auch seine Legatofähigkeiten stellt er hier im Dienste der Musik unter Beweis.
    In der Rückleitung bringt er natürlich wieder die gesteigerte Dynamik ins Spiel, bewältigt die heiklen Achtelintervalle und Oktavgänge mühelos und gleitet organisch decrescendierend in das Dolce des durchführungsartigen Mittelteils hinein. Das ist wieder Gesang pur, das ist trotz zwischenzeitlich leichter Verdunklung ein pastoraler heller musikalischer Fluss des frühen genialen Beethoven, adäquat interpretiert.
    Im reprisenförmigen Hauptsatz nimmt der die hochdynamische Vorwärtsbewegung wieder auf. Herrlich seine vorwärts stürmenden Sechzehntelkaskaden ab Takt 197 mit Auftakt, dann die Überleitung in den heiter fließenden Seitensatz hinein, in dem er über die Reise der Achtel durch die Oktaven der sagenhaften Trillercoda zustrebt.
    Hier liefert er sein abschließendes Meisterstück ab, mit einem Calando und einem Rallentando in wirklicher großer Ernsthaftigkeit gespielt und wunderbaren Fermaten-Pausen und einem rauschenden Tempo I-Abschluss- auch dieser Satz herausragend!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Kodama fand ich schon beim kurzen Reinhören während des Überspielens ansprechend, lieber Willi, und Korstick werde ich noch brennen. Morgen ist für das Hören endlich ein wenig Zeit! :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger


  • Beethoven, Sonate Nr. 3 C-dur op. 2 Nr. 3:
    Stephen Kovacevich, Klavier,
    AD: 1/2003
    Spielzeiten:9:20-6:13-3:11-5:00 --- 23:44 min.;


    Es ist vielleicht ein Zufall, dass ich nun, in dieser schicksalsträchtigen Wahlnacht, mir die Zeit damit vertreibe, einem amerikanischen Pianisten zuzuhören, wie er dieses prachtvolle 3. Sonate Beethovens bewältigt, und ich muss sagen, dass er zumindest zu den Schnellsten gehört, dass er mit ungeheurer Leichtigkeit agiert, aber außer dem zunächst temporalen Impetus sich dynamisch noch etwas zurückhält, zumindest im Hauptsatz. Rhythmisch ist das, was er hier am Anfang schon zeigt, überragend.
    Nun ist es sicherlich schwierig, in dem Tempo im Seitenthema die nötige musikalische Tiefe auszuloten, doch zumindest behält er hier die zeitliche Einheit und, wie ich finde, macht er das in diesem ersten lyrischen Abschnitt sehr gut, und in der nachfolgenden Fortesektion bleibt er moderat und leicht, und im Dolce führt diese Leichtigkeit zu einem heiteren, entspannten Gesang, spielfreudig schon in diesem Kopfsatz, und die Leichtigkeit behält er auch im letzten Viertel bei, sonst oftmals schon Schauplatz hochdynamischer Abläufe, die sich hier erst am Ende des Seitensatzes dem Fortissimo nähern, aber dafür im Ablauf höchst rhythmisch sind, aber in der Schlussgruppe ist er dann auch endgültig im Fortissimo angelangt. Natürlich wiederholt Stephen Kovacevich die Exposition, in der er die dynamische Steigerung wieder bis zum Ende durchzieht.
    In der Durchführung greift er im 1. Zentrum beherzt zu, ich habe das aber auch schon mächtiger gehört. Das Calando könnte auch etwas ausgeprägter sein.
    Das 2. Zentrum ist dann doch sowohl rhythmisch als auch dynamisch sehr überzeugend, desgleichen die Endphase der Durchführung.
    In der Reprise spielt er eine grandiose Synkopensequenz, auch hier erfüllt von Leichtigkeit und rhythmischer Delikatesse.
    Das Seitenthema gestaltet er wie in der Exposition, auch im Dolce, ab dem Rinforzando in Takt 194 auf der Eins auch mir kerniger Dynamik.
    Die wundersame Coda spielt er ähnlich wie Andere vor ihm mit absteigender dynamischer Kurve, beginnend mit einem veritablen ffp-Akkord, wunderbar absteigend ins tiefe Pianissimo und endend mit einem maßvollen mfp-Akkord. Die Kurzkadenz spielt er als Kontrast, aber auch nicht überbordend, ganz in seinem insgesamt leichten Spiel bleibend, und in der 2. Phase dreht er dynamisch noch einmal auf, aber demonstriert auch noch einmal seine überragende Rhythmik.


    Im Adagio gehört er leider auch zu den Schnellen, die den Boden des Adagios schon verlassen haben. Immer, wenn man als Laie m. E. das Gefühl hat, dass es nicht passt, dann tut es das auch nicht. Diese Performance ist kein Vergleich zu der m. E. überragenden Darstellung Michael Korsticks, um nur den letzt gehörten großen Adagio-Pianisten zu nennen. Hier herrscht der Eindruck von hast und eile vor, und das ist nicht gut. Das kratzt nur an der Oberfläche der gewaltigen musikalischen Tiefen, die unter er Oberfläche verborgen sind. Das p-ff-Wechselspiel leidet auch unter dem Tempo.
    Er spielt das klanglich eigentlich schön, aber leider im falschen Tempo. Und in diesem Tempo werden auch die Vorschlagsnoten in der Sequenz ab Takt 69 ihrer faszinierenden Wirkung beraubt, Da ist dieses Sequenz keine Schlüsselstelle, sondern nur eine vorbeiziehen de Episode.
    Und interessant ist, dass ausgerechnet er den gebrochenen Akkord in Takt 72 auf der Zwei so langsam spielt. Auch die Coda bleibt m. E. seltsam blass.


    Im Scherzo ist Kovacevich wieder im richtigen Tempo. Da kann er wieder seine rhythmische Kompetenz und sein dynamisches Feingefühl ausspielen.
    Das Trio haut mich vollends vom Hocker. Das ist derart grandios, dass es Einiges wieder gutmacht.
    Das ist ja nicht nur rhythmisch überragend, sondern auch dynamisch und ist so als Höhepunkt der ganzen Sonate bis hierhin anzusehen. Natürlich schließt er dann das Scherzo Da Capo an.
    Auch der Übergang und das kurze wundersame Coda sind herausragend.
    Seine rhythmischen als auch seine lyrischen Fähigkeiten kommen Stephen Kovacevich in diesem Finale entgegen, und temporal liegt er hier am Ende der ersten schnelleren Hälfte. Im Seitensatz kann man gut verfolgen, wie präzise er die Sechzehntel in den Takten 30, 32, 41 und 43im Diskant spielt- großartig!
    Wunderbar in der Rhythmik auch seine Staccato-Überleitung in die Rückleitung ab Takt 64, und in der Dynamik bleibt er auch in dieser Rückleitung moderat, das habe ich auch schon ganz anders gehört.
    Die virtuosen Anforderungen dieser Sequenz erfüllt er ohne viel Federlesens, und im dolce-Mittelteil, dem durchführenden, lässt er es heiter beschwingt singen. Das ist reiner pastoraler Gesang, pure Freude.
    Das setzt sich auch im reprisenförmigen Hauptsatz fort, in dem er auch die großen dynamischen Höhen nicht erklimmt, sondern in seinem überschaubaren dynamischen Konzept bleibt. In diesem heiteren Vorwärtsdrang geht es im Legato/Nonlegato fließend weiter, der grandiosen Coda zu., in der er noch einmal alle Register seines rhythmischen, dynamischen und pianistischen Könnens zieht.


    Bis auf das leider wenig befriedigende Adagio war dies eine großartige Interpretation.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi,


    hier meine kurze Schilderung der Eindrücke - bei Korstick muß ich mal wieder kontrapunktieren! :D



    Von Mari Kodama kann man sich einen Konzertabend vorstellen mit einem Beethoven-Programm, wo man dann u.a. diese beliebte Sonate op. 2 Nr. 3 zu hören bekommt und ihr aufrichtigen Beifall zeugt und beglückt nach Hause geht. Das ist klaviertechnisch sehr sauber auf hohem (wenn auch nicht höchstem) Niveau, untadelig mit Sinn für klassische Proportionen gespielt, dabei uneitel der Musik dienend und einnehmend unverkrampft und natürlich. Ein Beethoven-Spiel fern jeglicher Manierismen, empfindsam und auch niemals undifferenziert. Ihr Spiel hat auch die nötige Frische, so dass niemals Langeweile aufkommt. Bei der CD hat man allerdings den Vergleich mit den großen Klaviertitanen, und da muss man feststellen, dass dieser Vortrag bisweilen etwas hausbacken ist, besonders etwa zu spüren im Scherzo. Da fehlt dann doch das gewisse „Etwas“, die ganz persönliche Note einer eigenen Sicht auf Beethoven.



    Wie anders beginnt da doch Michael Korstick! Die Trillerfiguren sind „gewollt“, nämlich forciert, dynamisiert. Korstick kratzt Beethoven auf, will weg von pianistischer Routine. Aber wie so oft kann er mich letztlich nicht restlos überzeugen. Im Kopfsatz fällt eine gewisse Inkonsequenz auf. Auf die forcierte Agogik des Hauptthemas folgt ein im Ausdruck eher blasses Seitenthema und dort in der Schlussgruppe, wo der Pianist mal forcieren soll, wird es unscharf und pianistisch ein bisschen verwaschen. Das Adagio geht Korstick wie man es von ihm bei langsamen Sätzen gewohnt ist mit bedächtiger Langsamkeit an. Nur setzt sich diese Bedächtigkeit leider fort und wird zur langatmigen deutschen Gemütlichkeit. Korstick nivelliert nämlich den dramatischen Kontrast, die Gegensätze von Ruhe und Bewegung, von innerer Sammlung und aufkeimendem unruhigem Drang. Deshalb wirken dann auch die Fortissimo-Bass-Oktaven so klobig und ungelenk, fast wie ein Stilbruch. Da fehlt die emotionale Balance. Darauf folgt ein mit Blick auf die vorausgegangene Adagio-Ruhe viel zu vordergründig keckes Scherzo mit einem ziemlich mechanisch-ausdruckslos gespielten Trio. Das Finale ist quirlig lebendig, ein wenig derb. Ich hatte vor Tagen Vladimir Ashkenazy kritisiert und muss deshalb die Maßstäbe zurecht rücken. Ashkenazys Aufnahme ist eindeutig die schlüssigere, geschlossenere und bessere.


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Lieber Holger,


    schönen Dank für deine Kurzrezensionen. Bei Korstick hatte ich auch nichts anderes von dir erwartet :D .


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Beethoven, Sonate Nr. 3 C-dur op. 2 Nr. 3
    Paul Lewis, Klavier
    AD: 2007
    Spielzeiten: 10:30-7:10-3:20 - 5:31 --- 26:31 min;


    Paul Lewis spielt den Kopfsatz in gemäßigte, Tempo, das vermutlich nicht zufällig Ähnlichkeit mit seinem großen Mentor Alfred Brendel hat. Lewis spielt einen sehr klaren runden Ton und ist dynamisch durchaus exponiert.
    Das Seitenthema spielt er ebenso klar, ja diesseitig, mit kräftigem eher mp-Grundton und in der Forte-Sequenz sehr kraftvoll.
    Im Dolce bringt er das Klavier anrührend zum Singen, dabei die dynamischen Bewegungen durchaus nachzeichnend und im Forte wieder beherzt zugreifend, desgleichen in der Schlussgruppe. Auch rhythmisch weiß er zu überzeugen. Natürlich wiederholt auch er die Exposition.
    In der Durchführung spielt er nach der tastenden Einleitung eine 1. Zentrum mit kraftvollen und Klangvollen Glockenschlägen und lässt das Zentrum in einem betörenden Calando auslaufen. Im 2. Zentrum wirkt der eckige Rhythmus durch seine hochdynamische Auslegung noch zwingender. Auch die Synkopensequenz am Beginn der Reprise spielt er in einem mitreißenden Rhythmus und mit einer kraftvollen zweiten Hälfte. Das Seitenthema spielt er entsprechend der Exposition, und ab dem Rinforzando in Takt 194 geht es wieder hochdynamisch zur Sache, ich meine, auch hier noch etwas kräftiger als in der Exposition.
    Die erste Codaphase spielt er dynamisch und temporal "wie aus dem Lehrbuch", voller Klarheit, auf einem moderaten Akkord in Takt 232 auf der Eins endend, und dann im Tempo schön kontrastierend. In der 2. Codaphase geht es noch einmal klang- und kraftvoll zur Sache- ein großartig gespielter Kopfsatz!


    Auch im Adagio ist er nahe bei Alfred Brendel (1994). Er gehört damit zwar auch zu den etwas Schnelleren, aber sein Spiel strahlt eine große Ruhe und Gelassenheit aus und fühlt sich von daher nicht falsch an. In der Zweiunddreißigstelsequenz ist der Fluss schon rascher, aber immer noch ohne Hast und Eile und er zeichnet auch hier die moderaten dynamischen Bewegungen sehr schön nach.
    Die Dynamikwechsel ff-p usw. spielt er sehr schön subito und hält auch die letzte durchgehende p-Sequenz entsprechend der Partitur durchgehend im Piano. Wunderbar spielt er auch den letzten Doppeltakt 41/42. Lewis entwickelt sich m. E. mehr und mehr zu einem der großen Beethoven-Pianisten dieses Jahrhunderts. Jedenfalls habe ich den Eindruck, je mehr Sonate ich hier in seiner Interpretation bespreche.
    Im reprisenförmigen Teil a' spielt er zwei sehr kraftvolle ff-Takte 53 und 54. Sehr schön gestaltet er auch das Thema in der höheren Lage und die anschließende Vorschlagsnotensequenz. Atemberaubend ist seine Lesart der Kurzcoda.


    Im Scherzo ist er etwas langsamer als Alfred Brendel. Er spielt auch hier wieder sehr klar und mit leicht erhöhter Grunddynamik, rhythmisch weiterhin sehr prägnant. Auch das Trio gefällt mir sehr gut, in dem er durch seine Dynamisierung ständig in jedem Phrasenabschnitt inneren Schwung aufbaut. Nach dem Scherzo Da Capo gestaltet er einen kraftvollen dreifachen Fortissimo-Übergang und eine anrührende Morendo-Coda.


    Im Finale stimmt er wieder genau mit dem Tempo Alfred Brendels überein. Somit gehört er auch hier zu den temporal Gemäßigteren. Rhythmisch und dynamisch spielt er nach wie vor höchst aufmerksam. In diesem Tempo springen auch gleich wieder so Einzelheiten ins Auge (Ohr), wie die Sechzehntel auf der Drei in Takt 30, 32, 41, 43 u. ä., die man in schnellem Tempo kaum unterscheiden kann.
    Bestechend wirkt Lewis' Rhythmik z. B. im Staccato-Übergang zur Rückleitung, sowie in dieser selbst.
    Im durchführenden Dolce-Mttelteil hebt Lewis einen bezaubernden pastoralen Gesang an. Wunderbar fügen sich die kurzen Staccato-Phrasen in den weitgehenden Legato-Fluss ein.
    Im reprisenförmigen Hauptsatz spielt er wieder sehr hochdynamisch und im Seitensatz lässt er die Musik wieder schön fließen, und die Achtelfolgen durch die Oktaven der großartigen Trillercoda zustreben.
    Diese spielt er, obwohl nicht in hohem Tempo, aber dennoch sehr spannungsreich und mit atemberaubendem Calando und Rallentando und äußerst hochdynamischem Tempo I zum Abschluss, nochmalige Beweise für seine Partiturtreue.


    Eine grandiose Einspielung!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Beethoven, Sonate Nr. 3 C-dur op. 2 Nr. 3
    John Lill, Klavier
    AD: ?
    Spielzeiten: 10:28-8:40-3:06-5:33 --- 27:47 min.;


    John Lill besticht auch in dieser Aufnahme wieder durch sein klares, transparentes und kraftvolles Spiel. Von Anfang an geht er auch auf die präzisen Rhythmusvorschriften Beethovens sowie seine zahlreichen dynamischen Kontraste ein. Er hat gleich die ganze Spannweite vom anfänglichen Piano bis zum Fortissimo in Takt 13 im Blick.
    Es ist stets eine Freude, ihm zuzuhören, weil man sich immer sicher sein kann, dass er partiturtreu spielt. Temporal ist er hier auf einer Linie mit den beiden anderen Landsleuten Paul Lewis und Alfred Brendel (!) (ich glaube, Alfred Brendel kann man mit Fug und Recht so bezeichnen, weil er seit 45 Jahren in England wohnt (London, Hampstead).
    Den 1. Teil des Seitenthemas spielt Lill mit klarem, leicht melancholischen Ton, und im 2. Teil geht er zu kräftigen Sechzehntelläufen über. Im Dolce erhebt sich reinster, pastoraler Gesang und in Takt 61 folgt auf dem Fuße kraftvoller 4/4-Rhythmus in den Sechzehnteln.
    Mitreißend ist auch seine Lesart des letzten Viertels des Seitenthemas einschließlich der kontrastreichen Schlussgruppe. Und in der zieht er auch das Fortissimo von Takt 85 bis 88 in beiden Oktaven voll durch. Selbstverständlich wiederholt er auch die Exposition.
    Umwerfend ist auch sein 1. Durchführungszentrum, nach der tastenden Einleitung, kraftvoll, präzise, klangvolle Glockenschläge und ein zu Herzen gehendes Calando am Schluss.
    Unglaublich auch das 2. Zentrum, der eigentliche Höhepunkt, hier auch dramatischer Natur, die den eckigen Rhythmus markierenden markerschütternden Sforzandi, in die Endphase der Durchführung hin einreichend.
    Hier geht es hochdynamisch in die Reprise hinein, in der er trotz des maßvollen Tempos in der Synkopensequenz keinerlei Langeweile aufkommen lässt. Auch dynamisch überzeugt diese Sequenz über die Maßen.
    Nach der hochdynamischen Überleitung überzeugt auch sein Seitenthema wieder in der nun etwas höheren Lage, durch seinen ruhigen, dynamisch leicht bewegten Fluss, um dann in der Fortesequenz wieder einen veritablen Kontrast zu erzeugen und im Dolce wieder in beseligendem Gesang aufzugehen. Die Richtigkeit des Lill*schen und einiger Anderer Tempi geht einem erst so recht in diesem Dolce auf, wo die Melodielinien sich wie herrliche Rosen entfalten. Organisches Wachstum braucht halt seine Zeit.
    Über den hochdynamischen Schlussabschnitt, beginnend mit dem Rinforzando in Takt 194, kann es m. E. sowieso keine zwei Meinungen geben, jedenfalls nicht in dieser Interpretation.
    Die 1. Phase der Coda ist unglaublich, beginnend mit einem massiven ffp-Schlag, sich dann langsam in tiefstes Pianissimo versenkend und ganz präzise die letzten vier Takte zu glissandieren, dann in Takt 232 auf der Eins mit einem moderaten fp-Akkord enden, letztlich auch der Kurzkadenz ein eigenes Gesicht verleihend durch temporale und dynamische Akzente- das muss man sich eigentlich selbst anhören.
    Auch sein zögernder dynamischer Einstieg in die 2. Codaphase ist singulär. So habe ich das noch nicht gehört: langsamer dynamsicher Aufbau, dann rasche Entfaltung auf der Sforzandokette und erlösendes Ende in der Hochdynamik-Sequenz- Welch ein herausragender Satz!!


    Auch im Adagio trifft John Lill, wie ich finde, das richtige Tempo. Hier kann sich das Thema in seinen verschiedenen Bausteinen so richtig entfalten. Rhythmisch umschifft er auch die engen Staccato/non-Staccato-Klippen in den Takten 1, 2, 5 und 6 ins einer typischen britischen Gewissenhaftigkeit.
    Erst in Teil b wird der Effekt der richtigen Tempowahl wunderbar deutlich: vollkommene Ruhe liegt über der Entfaltung dieses Satzes, die Sechzehntel-Abstiege und später die Seufzer treten so wunderbar in der Vordergrund. Ich bin der Meinung, dass niemand den Interpreten zwingen kann, das schnell zu spielen, und wenn er es ohne Not zu schnell spielt, dann hat er es nicht verstanden.
    John Lills Seufzersequenz klingt unglaublich, und seine Dynamikwechsel sind eine pure Offenbarung: so klingt p-ff! Es ist das Beste, was ich an dieser Stelle bisher gehört habe!
    Auch der reprisenförmige Teil A' mit integriertem Teil b mit dem "Doppeltakt der Wahrheit" (53/54) könnte als modellhaft bezeichnet werden. So etwas hätte Friedrich Gulda nie zustande gebracht.
    Auch im reprisenförmigen Teil b setzt sich das schlüssige Spielt Lills unvermindert fort. Auch der Übergang in die Vorschlagsnotensequenz ist seiner Klarheit unbeschreiblich, desgleichen die Sequenz selbst. Wie eine letzte Rückschau ertönt noch einmal das Fortissimo- und die Portato-Coda- wie von einem anderen Stern!


    Im Scherzo bleibt John Lill bei seinem diesseitigen und klaren, transparenten Spiel, Auch hier erreicht er eine perfekte Balance von Rhythmus und Dynamik. Temporal gehört er mit etwas über 3 Minuten zu den Schnelleren. Auch das Trio spielt er m. E. vorbildlich und spielt dann das Scherzo Da Capo.
    Nach dem bemerkenswerten Übergang zur Coda führt er diese ebenfalls in einen morendoartigen Schluss.


    Im Finale gehört er zu den Langsameren, aber nicht zu den langweiligen. Wieder liegt er m. E. mit der Tempowahl richtig, denn "assai" heißt lediglich "ziemlich" (schnell), und die Musik fließt denn auch munter und spielfreudig dahin.
    Im Seitensatz steigert er den Fluss noch. In der Rückleitung erhöht er den dynamischen Impetus wieder, wie es gehört, und gestaltet den synkopischen Rhythmus ganz organisch.
    Im Dolce-Mittelteil ertönt berührender Gesang, und er strahlt in diesem moderaten Tempo auch eine große Ruhe aus, eine grandiose Atempause in diesem spielfreudigen Finale.
    Es ist selten, aber, wie ich finde, bei Beethoven nicht ungewöhnlich (denken wir nur an die erste Sonate), wo im Finale statt des Seitenthemas eine "seitenthemaartige" Durchführung von lauterster Schönheit auftaucht, dass solche "Atempausen" organisch in den Ablauf eingebunden werden, und John Lill ist auch der Pianist, der dieses Procedere in diesem Tempo spannungsvoll zu Ende musizieren kann. Deshalb kann auch keine Frage aufkommen, ob das zu langsam sei, jedenfalls nicht bei mir, und so geht es in die Reprise über. Auch in seinem Tempo sind die Sechzehntel in der Reprise im Diskant brillant und mitreißend, fließt das Seitenthema munter voran, schlängeln sich die Achtel durch die Oktaven der Coda zu, die man nicht nur im Höchsttempo grandios spielen kann.
    John Lill tut es hier in diesem Tempo ebenfalls und gestaltet eine hinreißende Coda mit atemberaubendem Calando und Rallentando am Schluss.


    Eine herausragende Aufnahme!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Beethoven, Sonate Nr. 3 C-dur op. 2 Nr. 3
    Yves Nat, Klavier
    AD: 1. 9. 1955
    Spielzeiten: 10:04-5:27-3:04-4:48 --- 23:13 min.;


    Yves Nat ist im Kopfsatz etwas schneller als John Lill und Paul Lewis. Der Klang dieser 61 Jahre alten Aufnahme ist erstaunlich gut und transparent. In der ff-Passage ab Takt 13 erreicht er am Ende in Takt 25/26 ein sattes Fortissimo.
    Im Seitenthema spielt er das erste Viertel mit stärkerem melancholischen Ausdruck, als ich es schon verschiedentlich gehört habe, und im zweiten Viertel geht er in ein gesundes Forte über, um am Ende den Triller-Legatobogen zum Dolce zu schlagen, das er in einen wohlklingenden Gesang verwandelt.
    Das letzte Viertel ist dann auch bei ihm der Hochdynamik vorbehalten, einschließlich der kontrastreichen Schlussgruppe. Natürlich wiederholt auch Yves Nat die Exposition.
    Die Durchführung gestaltet er nach tastendem Beginn im 1. Zentrum mit kraftvollen Glockenschlägen und endet mit einem bezaubernden Calando. Das 2. Zentrum spielt er so kraftvoll und rhythmisch so eckig, wie es die Partitur gebietet und endet die überleitende Endphase der Durchführung mit einer alerten Sforzandokette.
    In der Reprise gelingt ihm die Synkopensequenz sowohl in der Pianohälfte als auch in der Fortehälfte zuerst locker swingend und dann kraftvoll voraneilend, einschließlich der überleitenden Sechzehntel. Das Seitenthema spielt er adäquat zur Exposition, mit einem berührenden Gesang in der Dolcesequenz und hochdynamischem Impetus im letzten Viertel und in der Schlussgruppe.
    In der ersten Codahälfte beginnt und endet er mit kraftvollen Akkorden, geht zwischendurch dynamisch sehr weit zurück und setzt auch das Crescendo/Accelerando in den letzten vier Takten sehr genau.
    In der Kurzkadenz (Takt 232) kontrastiert er temporal bei niedriger Dynamik, und endet mit einer hochdynamischen und rhythmisch eckigen 2. Codaphase.
    Ein großartig musizierter Kopfsatz!


    Das kann man leider vom Adagio (das keines ist), nicht sagen. Er ist nochmals gut 10 Sekunden schneller als Friedrich Gulda 1967. Das wird vor allem in Teil b deutlich, den man so nur als "flüchtig" bezeichnen kann. Daran ändern auch die kraftvollen Dynamikwechsel (ab Takt 26) nichts. Hinzu kommt, dass er die Bassfigur in Takt 35 entgegen der Partitur auf Mezzoforte anhebt. Man könnte auch sagen: die Musik atmet hier nicht, sondern sie hechelt. Der ganze Satz ist um 7 /14 Minuten schneller als der Glenn Goulds, und was hat dieser in genialer Langsamkeit für ein überragendes Adagio gespielt.
    In der Vorschlagsnotensequenz (ab Takt 69 mit Auftakt) kann man die vorgeschlagenen Vierundsechzigstel sozusagen nicht unterscheiden, und die anschließende Portatocoda klingt fast wie eine Staccatocoda.


    Beim Scherzo verhält es sich mit der Beurteilung der Interpretation wieder ähnlich wie beim Kopfsatz. Hier stimmen wieder Tempo, Rhythmus und die dynamische Linie. Besonders die Staccati gefallen mir ausnehmend.
    Leider begeht Nat im Trio auch den Tempofehler, indem er dieses verlangsamt, zwar nicht so stark wie Josef Hofmann, aber doch so, dass man nicht mehr von einer vorgesehenen zeitlichen Einheit sprechen kann.
    Das Scherzo Da Capo und die Coda sind dann wieder in Ordnung.


    Im Finale gehört Nat auch zu den Schnelleren. Rhythmisch ist das Ganze wiederum begeisternd, und auch dynamisch schiebt er die >Kontraste wo weit auseinander, wie es die Partitur ermöglicht. Das Seitenthema eilt agil dahin. Allerdings sind in diesem Tempo die einzelnen Sechzehntel in Takt 30, 32, 41, 43 u. a. im Diskant nicht mehr klar zu trennen, sondern nur noch als Triller spielbar. In der Rückleitung spielt Nat auch sehr hochdynamisch und zeichnet den hochvirtuosen Rhythmus aufmerksam nach.
    Im Dolce-Mttelteil, den er auch zum Singen bringt, meine ich den einen oder anderen Verspieler erkannt zu haben.
    Im reprisenförmigen Hauptsatz steigert er, wie ich meine, die Dynamik noch um ein Weiteres nach oben. Auch mit der Trillercoda hat er Mühe, b ringt sie aber anständig hinter sich einschließlich eines bezaubernden Calandos und Rallentandos.


    Eine Interpretation mit Licht und Schatten, wobei der Schatten hauptsächlich auf die Binnensätze fällt.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Beethoven, Sonate Nr. 3 C-dur p. 2 Nr. 3
    Anne Øland, Klavier
    AD: 1999
    Spielzeiten: 9:57- 8:14-3:30-5:34- --- 27:05 min.;


    Ich weiß nicht, ob ich es schon irgendwo erwähnt habe, aber Anne Øland ist im September letzten Jahres gestorben, worüber ich sehr traurig war. sie war eine prachtvolle Beethovenpianistin, und, wie ich annehme, sicherlich auch ein wunderbarer Mensch.


    Anne Øland beginnt im Kopfsatz mit klarem Ton, aber dynamisch verhalten, auch in den Sforzandi Takt 6 bis 12, aber vielleicht gerade deswegen, um einen gehörigen dynamischen Kontrast zum ff in takt 13 aufzubauen, der objektiv auch moderat ist. So hat sie auf dynamisch etwas niedrigerem Niveau einen größeren Kontrast. Temporal ist sie in der Mitte, etwa auf er Höhe von Yves Nat und etwas schneller als John Lill und rhythmisch wie eh und je außerordentlich.
    Das Seitenthema spielt sie auch verhalten, mit einem moderaten melancholischen Überzug und den Forte-Übergang ab Takt t39 ebenfalls moderat, und im Dolce stimmt sie einen intimen Gesang an, erst am Ende des letzten Viertels des Seitenthemas erreicht sie am Übergang zur Schlussgruppe das Fortissimo- welch ein kunstvoll geschaffener dynamsicher Bogen!
    Auch die Schlussgruppe gestaltet sie in ihrem Kontrastreichtum dynamisch genau unter diesem Bogen und wiederholt selbstverständlich die Exposition, wobei ich ab er meine, dass sie da den dynamischen Bogen genauso ausführt wie in der Exposition.
    In der Einleitung erlebe ich am Übergang zum 1. Zentrum zum ersten Male ein Ritartando, was einen überraschenden, zauberhaften Effekt macht, und die Glockenschläge im ersten Zentrum sind herzhaft, auslaufend in einem schönen Calando. Im 2. Zentrum legt sie dynamisch kräftig zu und schärft auch die rhythmischen Verläufe, während sie in der Endphase der Durchführung den dynamischen Bogen wieder in eine moderate Mittelstellung senkt.
    In der Reprise ist ihre zweiteilige Synkopensequenz rhythmisch herausragend und dynamisch wunderbar eingepasst in ihr Gesamtkonzept. Das Seitenthema gestaltet sie entsprechend der Exposition, ebenso die Schlussgruppe, die diesmal zur Coda überleitet. Diese spielt sie entsprechend aus einem hörbaren Fortissimo sanft ins tiefe Pianissimo und dann in der zweiten Hälfte sehr schön die Glissandi, beendet mit einem etwas leiseren fp-Akkord, und in der Kurzkadenz keinen überdrehten Kontrast, was ihre moderate temporale Vorgehensweise voll bestätigt.
    Auch in der 2. Codaphase zeigt sie, dass das ausufernd Dynamische ihre Sache nicht ist. Jedenfalls klingt ihr Kopfsatz ganz großartig.


    Auch im Adagio wählt Anne Øland ein moderates Tempo, das ohne Weiteres als Adagio-Tempo zu bezeichnen ist. Auch hier setzt sie ihren gesamtdynamischen Bogen fort. Gerade der kritische Teil b fließt hier in richtig ruhigem Tempo dahin, dass man sofort die Richtigkeit der Interpretation erkennt.
    Das spielt sie so wunderbar, wie ich es noch nicht oft gehört habe, und wie es Note für Note in der Partitur steht, so dass man sich unwillkürlich fragt, warum es nicht alle Pianisten so offensichtlich spielen. Die Seufzer-Sequenz spielt sie überragend. Die ff-Takte spielt sie markant, ohne den p-Takten in irgendeiner Weise zu widersprechen. In diesem moderaten Tempo kann man das eben wunderbar gestalten, was sie auch tut. Wunderbar zurückhalten integriert sie auch im Bass den Takt 35 in das Piano, was beileibe nicht alle tun. Und wie schön endet der Teil b in dem ominösen Doppeltakt 41/42.
    Wenn man dieses tiefgreifende beseligende Spiel von Anne Øland hört, dann fragt am sich unwillkürlich, warum das nicht alle Pianisten so spielen können. Es steht doch so in der Partitur.
    Bei Anne Ølands organischem dynamischen Konzept fragt sich auch keiner, warum jetzt im Doppeltakt 53/54 das Fortissimo erreicht wird, das ist einfach so. Ihre große Kunst besteht darin, dass sie diesen fantastischen Satz auf dieser moderaten dynamischen Stufe spielt, ohne ihre dynamischen Gesamtkonzeption auch nur für einen Augenblick zu verlassen.
    Und Anne Øland spielt die Vorschlagsnotensequenz herausragend. Auch der letzte Fortissimotakt passt sich hervorragend ein, und die Coda ist einfach nur atemberaubend.


    Im Scherzo bleibt Anne Øland bei ihrem moderaten Tempo und bei ihrer Dynamik. Ds ist kein Sturm und Drang, aber das ist trotzdem Beethoven. Auch im Trio trägt sie dieses Tempo weiter und zeigt hier ihr Bild von Beethoven. Wie wir schon öfter lesen konnten, lassen solche Sonaten wie dir Nr. 3 unterschiedliche Deutungen zu. Nach dem Scherzo Da Capo versinkt auch Anne Øland in der wundersamen Coda im Morendo .


    Auch im Finale bleibt sie ihrem moderaten Tempo treu, mit dem sie auch dynamisch eine Einheit bildet. In ihrem Tempo lässt sie das Thema schön fließen, durch die Achtel durch die Oktaven getragen. Leicht trägt sie die Überleitung zur Rückleitung hin, in der sie das Fort erreicht, das Fortissimo aber nicht anstrebt, was in ihrem dynamischen Gesamtkonzept durchaus schlüssig ist.
    Die an und für sich häufig sehr rasch gehörte Sequenz spielt sie mit aller Ruhe und kommt adäquat zum wunderbaren Mittelteil, dem Dolce, in dem sich Wechselintervalle und Oktavläufe fröhliche Urständ liefern.
    Den Mittelteil spielt sie überragend, in einer sanften dynamischen Bewegung, hier auch klar demonstrierend, dass dieses Tempo genau das Richtige ist. Dieser richtige Tempoeindruck verfestigt sich auch im vorübergehenden Moll-Teil, der bei ihr auch nur moderat ist.
    Auch in der Reprise verbleibt sie in dieser wunderbaren dynamischen Bewegung, die sie von Beginn der Sonate an verfolgt hat. Die weiteren Verläufe spielt sie adäquat zur Exposition. Und dann kommt es zur wunderbaren Coda, die sie auch ohne druckvolles Tempo, aber mit wunderbarer Eleganz spielt.


    Eine wirklich großartige Interpretation!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose

  • Beethoven, Sonate Nr. 3 C-dur op. 2 Nr. 3
    Gerhard Oppitz, Klavier
    AD: 11/2004
    Spielzeiten: 10:16-8:05-3:08-5:06 --- 26:35 min.;


    Gerhard Oppitz eröffnet den Kopfsatz mit seinem bekannt hellen, aber gleichsam warmen Klavierton den Kopfsatz, schlägt ein "klassisches" Tempo der Mitte an, zeichnet dynamische Bögen mit Entwicklung nach oben und beachtet von Anfang an die rhythmischen Verläufe sehr exakt.
    Im ersten Teil des Seitenthemas bleibt er bei seiner hellen, ich möchte beinahe sagen, kristallinen Tongebung und steigert im zweiten Teil zu einem fortenahen Dynamiklevel.
    Das Dolce ist ein faszinierend entspannter, pastoraler Gesang in ruhiger Gangart und mündet nach einer moderaten Steigerung In Takt 59/60 in ein dynamisch gesteigertes letztes Viertel (mf/f). In der Schlussgruppe verfährt er desgleichen, es bleibt immer noch etwas (dynamische) Luft nach oben.
    Selbstverständlich wiederholt auch er die Exposition.
    In der ersten Hälfte der Coda gestaltet er nach der Einleitung diesen Teil in der bisher bekannten hellen transparenten Tongebung in kraftvollen, aber nicht überbordenden Glockenschlägen und endet mit einem schönen Calando. Im 2. Zentrum steigert er den dynamischen Level und spielt die rhythmischen Verläufe schön eckig. Auch die Endphase der Durchführung verbleibt in diesem insgesamt dynamisch moderaten Bogen bei exzellenter Rhythmik und sehr transparentem Klang.
    Zu Beginn der Reprise spielt Gerhard Oppitz eine zauberhafte Synkopensequenz in beiden dynamischen Hälften (T. 147 bis 150 und T. 151 bis 154). Ansonsten spielt er die Reprise vergleichbar der Exposition.
    Das Seitenthema klingt in der höheren Lage noch eine Spur kristalliner und bezaubernder, und das Dolce genauso berührend wie in der Exposition.
    Im letzten Viertel und in der Schlussgruppe legt er dynamisch noch einmal zu und zeichnet so eine aufstrebende dynamische Linie von Beginn an- großartig!
    Die 1. Codaphase beginnt er wie viele, mit einem kraftvollen ff-Akkord, gleitet dann unnachahmlich in tiefe pp/ppp-Regionen, spielt anschließende wunderbare Arpeggien (Takt 228/232) und endet mit einem nur marginal verminderten f-Akkord in Takt 232 auf der Eins.
    In der Kurzkaden setzt er das Tempo nicht überbordend ein, sondern variiert es etwas, setzt aber hauptsächlich auf große Transparenz.
    Wie einige seiner Kollegen und Kolleginnen zeichnet er den dynamischen bogen in der 2. Codaphase noch einmal leicht aufwärts- ein überzeugendes dynamische Konzept eines Pianisten der "klassischen Mitte", und, wie ich finde, eines der führenden gegenwärtigen Beethovenpianisten, und ein wirklich großartige gespielter Kopfsatz!


    Im Adagio zeigt Gerhard Oppitz einmal mehr seine großen lyrischen Fähigkeiten, mit denen er hier zu großer Ausdruckstiefe gelangt. Inzwischen bin ich in dieser meiner 39. Rezension dieser Sonate zu der Überzeugung gelangt, dass man schon in den ersten Takten genau spürt, wer dieses Adagio verstanden hat. Das ist gar nicht so schwierig, weder bei Mozart oder Beethoven, man muss nur die Satzbezeichnung genau übersetzen: und "Adagio" heißt: "langsam". und das macht Oppitz, er spielt langsam, nicht zu sehr , und er vergisst darob nicht der dynamischen Bewegung.
    Auch in den p-ff-Wechseln bleibt er bei seinem moderaten dynamischen Gesamtkonzept, und selbstverständlich spielt er den ominösen Takt 35 im Takt korrekt im Piano und drückt nicht, wie manche andere Pianisten, auf die dynamische Tube. Überragend auch der Abschluss in Takt 41/42.
    Auch der reprisenförmige Teil a' mit integriertem Teil b ist von der gleichen von innen her leuchtenden Schönheit wie der Teil a. Wenn ein Pianist die Partitur ernst nimmt und das auch umsetzen kann, dann kommt so eine überragend Deutung heraus wie hier bei Gerhard Oppitz.
    Faszinierend ist auch seine Lesart des ff-Doppeltaktes 53/54; Klangvoll, klar und in wunderbarer Übereinstimmung mit dem dynamischen Gesamtkonzept.
    Auch der integrierte Teil b ist wieder wunderbar gespielt, mit organisch eingefügten dynamischen Verläufen, die die Struktur gliedern und die Spannung erhalten.
    Die Krönung dieses Satzes liefert uns Oppitz im Übergang zur Coda und in dieser kurzen Coda selbst:
    eine Vorschlagsnotensequenz wie aus dem Lehrbuch, mit großer musikalischer Tiefe gespielt, ein wunderbarer letzter ff-Einschub (Takt 71 auf der Zwei und Takt 72 auf der Eins), wunderbare Triller und ein letzter atemberaubender Oktavgang und zum Schluss eine Coda, wie man sie nur selten hört. Mit solchen Leistungen spielt sich Gerhard Oppitz in die erste Reihe der Beethoven-Pianisten.
    Welch ein grandioses Adagio!!!


    Im Scherzo das gleiche Bild: klare Kante, transparenter Klang, hervorragender Rhythmus und wunderbare dynamische Kontraste! Und im Scherzo legt er noch etwas an dynamischer Stärke zu. Einzig im Trio vermeine ich etwas zu wenig Tempo zu spüren. das ist zwar nicht so krass wie bei anderen, aber spürbar.
    nach dem Scherzo Da Capo sind Übergang und Morendo-Coda wieder vom Feinsten.


    Das Finale zeugt auch von großer Spielfreude, und auch hier gelangt er zu einem großen Einklang von tempo, Dynamik und Rhythmus. Im Seitenthema unterstreicht er wieder seine großen Legatofähigkeiten, und im Übergang zur Rückleitung und im Thema derselben sein exzellentes Rhythmusgefühl. Kaum merklich, auch aufgrund des transparenten Klangs, erhöht er in der ff-Sequenz ab Takt 81 noch einmal die Dynamik. Das geschieht alles so organisch, dass nirgendwo ein Bruch festzustellen ist, und die Oktavgänge und anschließenden Intervalle spielt er mit großer virtuoser Meisterschaft, ohne dies in den Vordergrund zu stellen. Das ist die herausragende Eigenschaft einiger bescheidener Pianisten wie eben Gerhard Oppitz, Alfredo Perl und John Lill, um nur Einige zu nennen. Sie machen nichts aus sich, und das macht sehr viel aus ihnen.
    Der durchführende Dolce-Mittelteil ist ein beredtes Beispiel für das, was ich gerade sagte. Er spielt das so selbstverständlich vorwärts und so ganz unaffektiert, dass man sofort spürt: hier meint es einer ehrlich! Und nebenbei kann man bei seiner überragend transparenten Spielweise auch die ganze Struktur mühelos in sich aufnehmen. Und wie selbstverständlich die sogenannte "Mollsequenz" (ab Takt 147) in das Geschehen einfließt- wunderbar!
    Nach dieser wunderbaren spielfreudigen Durchführung kommt wieder der reprisenförmige Hauptsatz ganz nonchalant daher, indem er auch wieder die dynamische Stimme vernehmlich erhebt. In dieser höheren Lage spielt er auch die Sechzehntelsequenz sehr berührend, und geht dann mit hörbar gesteigerter Dynamik auf den Seitensatz zu, den er wieder mit spürbarer Spielfreude spielt, und in einer letzten Bewegung gleiten die Achtel durch die Oktaven, der wundersamen Trillercoda zu:
    Und auch diese spielt er grandios, technisch ohne die geringsten Schwierigkeiten und mit herausragendem Calando und Rallentando sowie Tempo I am Schluss.


    Eine referenzwürdige Einspielung!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Hallo Willi,


    Sehr interessanter Bericht über GERHARD OPPITZ!! Deckt sich ganz mit meinen Eindrücken über sein phänomenales BEETHOVEN-Spiel. Ich hörte ihn vor einigen Jahren in Málaga mit Liszt. Unglaublich und unvergeßlich sein souveränes Spiel! ! Auch MICHAEL KORSTICK ist einer meiner Favoriten, und auch wenn BACKHAUS bei Dir nicht so gut wegkommt, so ist er doch für mich stets ein kompetenter und unbestechlicher Maßstab dafür, wie BEETHOVEN auf dem Klavier erklingen sollte.


    Viele Grüße
    wok

  • Lieber wok,


    Backhaus kommt hauptsächlich bei mir "nicht so gut weg", weil er grundsätzlich die Expositionen nicht wiederholt, und ab und zu, z. B. in dieser Sonate, ist seine Tempowahl in langsamen Sätzen zumindest fragwürdig. Backhaus hat diese Sonate ja drei Monate vor seinem Tod, also mit 85 Jahren, eingespielt. Wenn du die Tempi mit denen von Arraus später Einspielung (Arrau war da 83) vergleichst, wirst du sehen, dass Arraus Aufnahme über 9 1/2 Minuten länger dauert.


    Dass Backhaus auch ganz anders kann, habe ich z. B. hier dokumentiert: Beethoven: Klaviersonate Nr. 26 op. 81a „Les Adieux“ - CD-Rezensionen und Vergleiche (2014


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Zitat

    William B.A.:
    Backhaus kommt hauptsächlich bei mir "nicht so gut weg", weil er grundsätzlich die Expositionen nicht wiederholt, und ab und zu, z. B. in dieser Sonate, ist seine Tempowahl in langsamen Sätzen zumindest fragwürdig. Backhaus hat diese Sonate ja drei Monate vor seinem Tod, also mit 85 Jahren, eingespielt. Wenn du die Tempi mit denen von Arraus später Einspielung (Arrau war da 83) vergleichst, wirst du sehen, dass Arraus Aufnahme über 9 1/2 Minuten länger dauert.

    Hallo Willi,


    Ich weiß schon, daß Du das Weglassen der Expositionen einem Pianisten kaum verzeihst, wenn dies in der Partitur so vorgesehen ist. Und auch für mich ist Partiturentreue ganz wichtig. Allerdings hatten in dieser Beziehung auch andere große Pianisten wie JOSEF HOFMANN oder WALTER GIESEKING ihre eigenen Vorstellungen. Und sie müssen dafür ja wohl auch gute Gründe gehabt haben, denn gerade BACKHAUS hat sich mit BEETHOVEN und seinem Werk so intensiv beschäftigt, und dieses so häufig und brilliant interpretiert wie kaum ein anderer. Er ist bekannt dafür, daß er - ungeachtet all seiner sonst praktizierten Werktreue - weniger kleiinere Details und gedruckte Vorschriften einer Partitur im Blickpunkt seiner Interpretation hatte, sondern für seinen musikalischer Instinkt und sein spezifisches, kenntnisreiches BEETHOVEN-Bild stets der Gesamteindruck einer Sonate das primordiale Interpretationsziel war. Ich habe eigentlich bisher von keinem der bekannten Musikkritiker und Schriftsteller, wie z. B. Joachim Kaiser, gehört oder gelesen, daß diese die Unterlassung der Expositionen kritisch vermerkt oder überhaupt thematisiert hätten. Wenn Du darüber in dieser Richtung gelesen hast, so würde mich dies sehr interessieren. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß ein WILHELM BACKHAUS diese Unterlassung aus reiner Bequemlichket oder gar Unwissenheit begangen haben könnte, sondern dieses Verhalten muß für ihn mit Sicherheit ganz fundierte Gründe der Überzeugung gehabt haben.


    Das hohe Alter kann dafür aber auch keine Erklärung geben, denn gerade in seinen letzten Lebensjahren, ja -monaten. spielte er so fast unfehlbar. und durch seine Schlichtheit und Reinheit der Darstellung so beeindruckend, und selbst in seinem letzten Konzert vor seinem Tod war die Zuhörerschaft von seinem Spiel - trotz einiger physischer Schwächeanfälle so ergriffen wie kaum jemals zuvor. Wenn ich BACKHAUS spielen sehe oder höre, dann ist es so, als wenn der leibhaftige BEETHOVEN da spiele. Auch bei ELLY NEY erging mir dies ähnlich, nur war diese wohl technisch nicht so unfehlbar wie WILHELM BACKHAUS. Ich glaube, man kann in die BEETHOVEN-Sonaten auch zuviel Gefühl und Differenzierungsabsichten hineininterpretieren und sich in Details verlieren, daß die Sonate als Gesamtwerk sogar an Wirkung verlieren kann, und sich damit am Ende vielleicht von der eher unwirschen Persönlichkeit und gewiß nicht überzärtlichen und wenig verspielten Natur BEETHOVENs und dessen Intentionen mehr entfernen als mit der eher zu einer sachlichen, reinen, mitunter kühl, ja oft minimalistisch erscheinenden Spielweise eines BACHKAUS. Dies ist meine persönlilche subjektive Meinung, obwohl ich natürlich auch die großartigen, von Dir so ausführlich und treffend geschilderten Attribute einiger anderer BEETHOVEN-Interpreten sehr schätze und an deren Darstellung meine Freude habe.


    Gruß
    wok

  • Er ist bekannt dafür, daß er - ungeachtet all seiner sonst praktizierten Werktreue - weniger kleiinere Details und gedruckte Vorschriften einer Partitur im Blickpunkt seiner Interpretation hatte, sondern für seinen musikalischer Instinkt und sein spezifisches, kenntnisreiches BEETHOVEN-Bild stets der Gesamteindruck einer Sonate das primordiale Interpretationsziel war.

    Das ist sehr treffend formuliert, lieber Wok. Backhaus war unbestreitbar einer der großen, prägenden Beethoven-Interpreten seiner Zeit. Beethoven nicht als Romantiker, sondern als Klassiker. Sein Spiel war in vielerlei Hinsicht sehr "modern".


    Ich habe eigentlich bisher von keinem der bekannten Musikkritiker und Schriftsteller, wie z. B. Joachim Kaiser, gehört oder gelesen, daß diese die Unterlassung der Expositionen kritisch vermerkt oder überhaupt thematisiert hätten.

    Darüber gibt es auch in der Musikwissenschaft wie ich es kenne keine wirklich einheitliche Meinung. Einige halten die Expositionswiederholung für eine bloße Konvention, wieder andere für ein historisches Relikt. Wenn es schon die Musikwissenschaftler nicht können, sie für unverzichtbar zu erklären, warum sollen sie dann die Musiker für unverzichtbar halten? Bei alten Aufnahmen ist für die Auslassungen natürlich auch oft schlicht die Aufnahmetechnik verantwortlich. Aber: Selbst ein Alfred Brendel läßt in seiner letzten (!) digitalen Philips-Aufnahme der Mozart-Sonaten die Expositionswiederholungen komplett weg! ;)


    Schöne Grüße
    Holger

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Alfred Brendel hat sich aber an anderer Stelle dezidiert zu Beethovens Sonaten sinngemäß so geäußert, dass sich dort jede einzelne Note aus sich selbst heraus rechtfertige und damit auch das Gewicht der Beethovenschen Wiederholungsvorschriften bestätigt. Dies sagte er auch im Hinblick auf die Schubertsonaten, zu denen er eine andere Meinung hatte.
    Ich muss jetzt meine Reisevorbereitungen abschließen, möchte aber am ende bemerken, dass man sich vielleicht einmal in einem eigenen Thread Gedanken über die Fragen der Wiederholungen in Beethovensonaten machen könnte, wozu ich auch die bisher gemachten Feststellungen in den schon besprochenen Sonaten hinzuziehen könnte.


    Liebe Grüße


    Willi :)


    P. S. Bei Claudio Arrau z. B. stellt sich diese Frage überhaupt nicht.

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Zitat

    Dr. Holger Kaletha:
    Darüber gibt es auch in der Musikwissenschaft wie ich es kenne keine wirklich einheitliche Meinung. Einige halten die Expositionswiederholung für eine bloße Konvention, wieder andere für ein historisches Relikt. Wenn es schon die Musikwissenschaftler nicht können, sie für unverzichtbar zu erklären, warum sollen sie dann die Musiker für unverzichtbar halten? Bei alten Aufnahmen ist für die Auslassungen natürlich auch oft schlicht die Aufnahmetechnik verantwortlich. Aber: Selbst ein Alfred Brendel läßt in seiner letzten (!) digitalen Philips-Aufnahme der Mozart-Sonaten die Expositionswiederholungen komplett weg! ;)

    Hallo Dr. Kaletha,


    Vielen Dank für Deine Einschätzung zu diesem strittigem Thema. Auch Dir als großen Kenner der Klaviermusik ist also auch kein Spruch irgend einer höheren Instanz bekannt, die für die Wiedergabe von Klaviersonaten imperativ die Wiederholung der Exposition als unumstößliches "Gesetz" erklärte. So sei dann auch den großen Pianisten die Freiheit gelassen, selbst zu entscheiden - vielleicht auch von Fall zu Fall - wie sie es mit dieser Praxis zu halten gedenken.


    Viele Grüße
    wok

  • Da erst in einer knappen Stunde mein Taxi kommt, will ich mich noch einmal äußern.

    Zitat

    wok:
    Hallo Willi,
    Ich weiß schon, daß Du das Weglassen der Expositionen einem Pianisten kaum verzeihst, wenn dies in der Partitur so vorgesehen ist


    So stimmt das ja auch nicht, lieber wok, kein Pianist lässt die Expositionen weg, nur lassen manche die Wiederholung weg, obwohl sie von Beethoven so vorgeschrieben ist. Das ist keinesfalls nur eine Empfehlung Beethovens. Und dass Josef Hofmann und Walter Gieseking zu diesen "Manchen" gehören, ist mir auch schon längst aufgefallen, und ich habe das auch stets in den Rezensionen vermerkt. Von Josef Hofmann habe ich ja nur die jetzt in diesem Thread besprochenen 3. Sonate, aber von Gieseking habe ich auch die Gesamtaufnahme. Und dass Elly Ney in den bis jetzt von mir besprochenen Sonaten irgendetwas weggelassen hätte ist mir jetzt nicht bekannt, desgleichen Jakob Lateiner.
    Und ich glaube, das größte und beste Beispiel für Partiturtreue ist der große Claudio Arrau, in meinen Augen einer der absolut größten Beethovenpianistan aller Zeiten. Von ihm habe ich ebenso wie von Brendel und jetzt auch von Buchbinder und Barenboim drei Gesamtaufnahmen und von der Appassionata habe ich mittlerweile 10 verschiedene Aufnahmen Arraus. In all diesen vielen Werkeinspielungen Arraus fehlt m. E. nicht eine Note. Und ich finde, am besten kann man eine Aufnahme beurteilen, wenn sie komplett ist, mit allen Wiederholungen. Dann ergibt sich m. E. der beste Gesamteindruck, und ideal ist es, wenn auch die vorgeschriebenen Tempi und dynamischen Verläufe optimal getroffen sind. Erst dann kommt m. E. der Interpret zur größten Annäherung an den musikalischen Kern des Werkes.
    Und bei der Beurteilung der Aufnahmen und ihrem Vergleich mit anderen Aufnahmen ist es schwierig, komplette mit nicht kompletten zu vergleichen. Deswegen habe ich meistens zwei Gruppen, die ich untereinander vergleiche, einmal die mit allen Wiederholungen, die Gott sei Dank in der Mehrzahl sind, und dann die ohne Wiederholungen. Das ist zwar alles eine Heidenarbeit, aber ich mache sie mit großer Begeisterung und ich hoffe, dass ich sie zu Ende führen kann, denn es liegen zwar schon 717 Rezensionen hinter mir, aber zum jetzigen Zeitpunkt auch noch 913 vor mir, und jede einzelne ist wichtig und soll mit der gleichen Akribie geschrieben werden, das bin ich all diesen großartigen Beethovenpianistinnen und -pianisten schuldig.
    Du sprachst auch Kaiser an, lieber wok, von dem ich leider über diese wichtige Sache auch noch nichts gelesen habe, aber dafür kommt er manchmal auf viel kleinere Details zu sprechen. Z. B. mokiert er sich darüber, dass Daniel Barenboim und Swjatoslaw Richter im Teil a des Adagios der Sonate Nr. 3 in den Sechzehntelfiguren im Diskant die Stakkatovorschrift Beethovens in der dritten und vierten Sechzehntel in Takt 1, 2, 5 und 6 und dementsprechend in Takt 43, 44, 47 und 48 (am Beginn der Reprise) missachten. Viele andere wiederum spielen diese Stellen korrekt.
    Wenn du zu Hause die Noten hast, lieber wok, kannst dur dir das ja mal zu Gemüte führen.


    So jetzt geht es gleich mit Taxi und Zug via Dülmen und Düsseldorf mit dem Flieger nach Teneriffa, endlich in die Wärme, die du ja täglich genißen kannst.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • So stimmt das ja auch nicht, lieber wok, kein Pianist lässt die Expositionen weg, nur lassen manche die Wiederholung weg, obwohl sie von Beethoven so vorgeschrieben ist. Das ist keinesfalls nur eine Empfehlung Beethovens. Und dass Josef Hofmann und Walter Gieseking zu diesen "Manchen" gehören, ist mir auch schon längst aufgefallen, und ich habe das auch stets in den Rezensionen vermerkt.

    Llieber Willi,


    es ist aber letztlich zu bedenken, dass nicht alles, was in einer Partitur aufgeschrieben steht, im selben Sinne "Werk"-Charakter besitzt. Nicht alles wird in derselben Weise streng behandelt - dynamische Bezeichnungen z.B. sind in ihrer Realisierung in gewisser Weise vom verwendeten Instrument, von der Räumlichkeit usw. abhängig. Bei Wiederholungszeichen kann es sich eben um den Niederschlag lediglich einer üblichen Aufführungspraxis handeln, deren Befolgung also kein unbedingtes "Müssen" darstellt. Es ist in der Tat auch nachweisbar, dass Komponisten sich von der Konvention, die Exposition zu wiederholen, emanzipiert haben, sie also zunächst selber als eine Regel mehr mechanisch befolgten, bevor sie sie endlich aufgaben. Beispiel: Alexander Scriabin. In der 2. Sonate notiert Scriabin noch eine Expositionswiederholung, in der 3. Sonate gibt es dann schon keine mehr im Notentext, obwohl auch das noch ein Sonatensatz ist. Wenn Ashkenazy dann in der 2. Sonate die Expositionswiederholung wegläßt, muss ich ihm da Recht geben: Ohne klingt es besser, woran man sieht, dass Scriabin bereits hier nur noch nach einer Konvention gehandelt hat, die er dann in der folgenden Sonate bewußt hinter sich läßt. Hier muss man letztlich im Einzelfall entscheiden, finde ich. Wenn die Expositionswiederholung von den Proportionen des Satzes her allerdings Sinn macht, sollte man sie natürlich besser nicht weglassen.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Ich [...] möchte aber am ende bemerken, dass man sich vielleicht einmal in einem eigenen Thread Gedanken über die Fragen der Wiederholungen in Beethovensonaten machen könnte, wozu ich auch die bisher gemachten Feststellungen in den schon besprochenen Sonaten hinzuziehen könnte.

    Dann würden mich auch Deine Argumente interessieren (die ich in Beitrag 138, kurz vor dem Aufbruch zur Reise eingestellt, noch vermisse). Und gleichzeitig wage ich es, Dir noch mehr Arbeit vorzuschlagen, indem ich mitteile, was ich bisher vermisse (oder vielleicht auch nur übersehen habe), nämlich Besprechungen von Einspielungen auf dem Fortepiano.

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Zitat

    William B.A.:
    So stimmt das ja auch nicht, lieber wok, kein Pianist lässt die Expositionen weg, nur lassen manche die Wiederholung weg, obwohl sie von
    Beethoven so vorgeschrieben ist

    Hallo Willi,


    Ich beziehe mich natürlich auf die Wiederholung der Expositionen, habe dies nur verkürzt geschrieben.


    Zitat

    Und dass Elly Ney in den bis jetzt von mir besprochenen Sonaten irgendetwas weggelassen hätte ist mir jetzt nicht bekannt, desgleichen Jakob Lateiner. Und ich glaube, das größte und beste Beispiel für Partiturtreue ist der große Claudio Arrau, in meinen Augen einer der absolut größten
    Beethovenpianistan aller Zeiten. Von ihm habe ich ebenso wie von Brendel und jetzt auch von Buchbinder und Barenboim drei Gesamtaufnahmen und von der Appassionata habe ich mittlerweile 10 verschiedene Aufnahmen Arraus. In all diesen vielen Werkeinspielungen Arraus fehlt m. E. nicht
    eine Note. Und ich finde, am besten kann man eine Aufnahme beurteilen, wenn sie komplett ist, mit allen Wiederholungen. Dann ergibt sich m. E.
    der beste Gesamteindruck, und ideal ist es, wenn auch die vorgeschriebenen Tempi und dynamischen Verläufe optimal getroffen sind. Erst dann kommt m. E. der Interpret zur größten Annäherung an den musikalischen Kern des Werkes.


    Mir ist gewiß auch bekannt, daß die weitaus meisten Pianisten die Expositionen wiederholen, auch die von mir für BEETHOVEN sehr geschätzte ELLY NEY und JACOB LATEINER, und ich will ja nun auch nicht dem Weglassen der Wiederholung explizit das Wort reden und habe überhaupt nichts dagegen einzuwenden. Nur frage ich mich eben immer wieder, warum ein so ausgewiesener BEETHOVEN-Spieler und hervorragender Kenner des gesamten BEETHOVEN- klavierwerks wie WILHELM BACKHAUS so konsequent die Wiederholung wegläßt. Schade, daß wir ihn nicht mehr danach fragen können, so daß dies wohl nie geklärt werden kann, da ich auch keine Äußerungen von ihm oder Kollegen zu dieser Frage kenne. Ich bin einfach so überzeugt von seinen Interpretationen, und habe bisher stets auf seine Werktreue vertrauen können, daß ich absolut davon überzeugt bin, daß er uns dafür einen guten Grund nennen könnte. Jedenfalls kann man diese Praxis in seinem Fall ganz bestimmt nicht auf die Aufnahmetechnik oder mangelndes Fassungsvemögen der LP zurückführen. Aber Dr. Kaletha nannte dafür ja schon einige plausible Gründe.


    Viele Grüße, und hoffentlich hast Du das Taxi nicht verpaßt! Ich wünsche Dir viel Sonne und Wärme in Teneriffa. Heute ist es plötzlich auch in Málaga recht kalt geworden und wir frieren in der ungeheizten Wohnung!


    wok


  • Beethoven, Sonate Nr. 3 C-dur op. 2, Nr. 3
    Murray Perahia, Klavier
    AD: 2010?
    Spielzeiten: 9:37-7:56-3:11-4:59 --- 25:43 min.;


    Da meine hartnäckige Infektion langsam nachlässt, kann ich auch wieder in die Beethoven-Rezeption einsteigen.


    Wie immer, spielt Murray Perahia mit größter Klarheit und Transparenz, rhythmisch überragend und mit einem sensiblen Anschlag- welch ein großartiger Pianist, der sich hier im Hauptsatz der Exposition dynamisch noch etwas Luft nach oben lässt.
    Schon im ersten Teil des Seitenthemas merkt man dieser Interpretation die mozartinische Erfahrung an, und im Dolce entfaltet er ein heiter-gelassenes Spiel, das im letzten Viertel in ein fröhliches, dynamisch Gesteigertes übergeht, und in der Schlussgruppe arbeitet er die dynamischen Kontraste sorgfältig heraus, ohne an die Grenzen zu gehen. Selbstverständlich wiederholt er die Exposition.
    In der Einleitung der Durchführung drückt er das zögerliche Momentum besonders akzentuiert aus, und das 1. Zentrum durchmisst er mit hellem, kraftvollem Klang in raschen Schritten und endet in einem überragenden Calando.
    Im 2. Zentrum, dem Rhythmischen Höhepunkt dieses Satzes, stellt er seines diesbezüglichen Fähigkeiten nachdrücklich unter Beweis- welch eindrucksvolle rhythmische Kontraste. Auch die Endphase der Durchführung passt sich wunderbar ein.
    In der Reprise spielt er zu Beginne eine geniale Synkopensequenz mit wunderbar integrierten dynamischen Wellenbewegungen. Auch das Seitenthema, nun in einer etwas höheren Lage (um eine Quart), ist wieder vom Feinsten und das Dolce wieder reiner, beseligender Gesang. Im letzten Viertel erhöht er wieder den rhythmisch-dynamischen Impetus, womit aber nicht das Ende, sondern erst mal die wundersame Coda erreicht ist.
    Die erste Phase der Coda habe ich so noch nicht gehört, zwar genauso tief im pp-Keller, aber innerhalb der Glissando-Sequenz in den letzten vier Takten nicht nur einen Tempo-, sondern auch einen Rhythmuswechsel- frappierend!
    Auch die Kurzkadenz ist nicht alltäglich, zwar temporal mit einem großen Kontrast, aber auch der einen oder anderen Tempomodifkation- das hat was.
    Die 2. Codaphase eröffnet er mit einem kleinschrittigen Crescendo, das dann zu einem am Ende kraftvollen Fortissimo führt- ein grandioser Kopfsatz!!!


    Im Adagio gehört Murray Perahia zur temporal mittleren Gruppe. Von Anfang an strahlt seine Lesart eine tiefe Ruhe aus, im Teil b in seiner verhaltenen und sehr zurückgenommenen Lautstärke sehr geheimnisvoll wirkend. Der Wechsel in die hohe Oktav wirkt hier sehr luzide. Das ist einfach herausragend gespielt. Auch die Seufzersequenz ist derart entspannt musiziert, dass es eine Art ist.
    Auch im Wechsel zum ff ist nicht zu erwarten, dass nun alle Dämme reißen, was ja auch nicht der Fall ist, sondern das ist alles im dynamischen Rahmen.
    Auch den letzten Abschnitt von Teil b spielt er mit größter innerer Ruhe und schließt mit einem wunderbaren Doppeltakt 41/42 ab. Man braucht sich m. e. eigentlich auf keine unliebsamen Überraschungen bei Perahia gefasst zu machen.
    Im reprisenförmigen Teil a' mit integriertem Teil b beginnt Perahia, da keine anderen Partiturvorgaben bestehen, mit einem zarten, intimen Pianissimo. Seinem eigenen dynamischen Konzept zu Folge erreicht er dann im Doppeltakt 53/54 die dynamische Spitze, von der aus es dann in sanften Wellenbewegungen wieder abwärts geht. Im weiteren Verlauf der Seufzersequenz schreitet Perahia voran in wunderbar sanften dynamischen Kurven und mündet in eine berührende Vorschlagsnotensequenz, beschlossen von einem letzten hochdynamischen Doppeltakt 71/72 und einer herausragenden Coda.


    Im Scherzo wechselt Perahia nahtlos vom intimen, jenseitigen Ton zum diesseitigen hellen und natürlich frisch ausschreitenden Ton. Dennoch gehört er hier nicht zu den Schnellsten, aber rhythmisch ist er wiederum einer der Größten. Auch hier merkt man mit jedem Ton die große Erfahrung, die Perahia mit den Werken Mozarts und Bachs gesammelt hat. Auch im Trio verlässt ihn sein Tempo- und Rhythmusgefühl zu keiner Sekunde und setzt er den musikalischen Fluss ungebrochen fort.
    Nach dem Scherzo Da Capo gestaltet er einen wunderbaren Übergang und eine veritable Coda morendo- herausragend!!


    Das finale Allegro assai spielt er spielt er in einem, wie ich meine, Tempo der klassischen Mitte, wiederum mit größter rhythmischer Aufmerksamkeit. Aus Perahias Spiel spricht die große Spielfreude, die diesem Satz innewohnt, und die Leichtigkeit, mit dem er die Oktaven durchmisst.
    Im Übergang zur Rückleitung legt er seine große rhythmische Gestaltungskraft wiederum an den Tag.
    Einer der rhythmische Höhepunkte dieser ganzen Sonate ist die Rückleitung mit den Oktavwechseln und den wechselnden Intervallen, die Perahia mit einer überragenden Leichtigkeit spielt.
    Auch der Dolce-Mittelteil ist wiederum reiner, elysischer Gesang, und der melancholische Überzug in den Takten 147 ff. ist bei Perahia gar nicht so ernst, höchstens eine leichte Eintrübung. Und so setzt sich das Geschehen munter in den reprisenförmigen Hauptsatz fort, in dem die sechzehntel in der oberen Oktaven wieder das Kommando übernehmen.
    Hurtig schließt Perahia den Seitensatz (ab Takt 218) an. Auch in seinem präzisen Spiel kann man die Sechzehntel im Diskant ab Takt 219, 221 usw. wunderbar unterscheiden, und schließlich gelangen wir an die "Wundercoda", wie ich sie endlich einmal nennen will.
    Perahia spielt sie rhythmisch herausragend und schließt sie mit einem wunderbaren Calando und Rallentando ab.


    Eine herausragende Interpretation, in der Perahia, wie ich finde, zwischen Mozart und Beethoven einen eigenen Weg gefunden hat!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi,


    schön, dass Du wieder weiter machst! :) Den Perahia habe ich wohl und kann mir sehr gut vorstellen, dass ihm genau diese Sonate sehr gut liegt. Mit der Balance von Beethoben und Mozart hast Du glaube ich die Sache auf den Punkt gebracht, das werde ich natürlich nachhören, nur nicht mehr heute. Für heute Abend hatte ich Entenbraten gemacht mit selbstgemachtem Rotkohl und Semmelknödeln mit einem wirklich ganz tollen spanischen Rotwein. (Meine Frau meint, sie will in kein Restaurant mehr gehen - selber Schuld! :D ) Das ist natürlich genug "Musik" für heute! :D :D :D


    Herzliche Grüße zum Advent
    Holger

  • Ich hatte heute Abend irisches Beefsteak, was mir auch sehr gut geschmeckt hat, und anschließend habe ich auf 3sat eine Folge von "Mythos Beethoven" gehört und gesehen, wo es um die Zeit nach seiner Ertaubung ging und immer wieder im Mittelpunkt die Hammerklaviersonate stand, interpretiert von Rudolf Buchbinder. Da ich mir dessen neue Gesamtaufnahme auf Blu Ray vor einigen Monaten angeschafft habe, werde ich mir genau sie (op. 106) gleich anhören und ansehen. Mit meinem Blu-Ray Equipment wird das sicherlich eine schöne Sache. Ich kann allerdings die beiden Gesamtaufnahmen auf Blu Ray von Barenboim und Buchbinder erst ganz am Schluss der "Beethoven Journey" (* entlehnt bei Leif Ove Andsnes) vergleichend hören, weil ich nicht ständig zwischen Arbeitszimmer und Wohnzimmer hin- und her springen möchte.


    Ich werde aber nach dieser Hörsitzung noch ein kurzes Feedback hier einstellen.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ich werde morgen im bestehenden Thread der Hammerklaviersonate ein kurzes Statement zu der Aufnahme Buchbinders geben.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Hallo Willi!


    Ich habe eben diese Aufnahme aus dem Jahr 2006 von Maurizio Pollini gehört und bin schon gespannt auf Deine Besprechung zu gegebener Zeit.



    Gruß WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • Lieber Wolfgang,


    sie ist in den nächsten Tagen nach Alfredo Perls Aufnahme an der Reihe.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ich hatte heute Abend irisches Beefsteak, was mir auch sehr gut geschmeckt hat, und anschließend habe ich auf 3sat eine Folge von "Mythos Beethoven" gehört und gesehen, wo es um die Zeit nach seiner Ertaubung ging und immer wieder im Mittelpunkt die Hammerklaviersonate stand, interpretiert von Rudolf Buchbinder.

    Lieber Willi,


    auch sehr lecker! :) Die Beethoven-Sendung ist mir doch glatt entgangen, ich hoffe, sie wird nochmals irgendwann wiederholt, dann nehme ich sie auf. Die Hammerklaviersonate ist auch so etwas, was liegen geblieben ist bei mir. Berman und Sokolov muss ich immer noch hören.


    Herzlich grüßend
    Holger

  • "anschließend habe ich auf 3sat eine Folge von "Mythos Beethoven" gehört und gesehen!"


    Das habe ich auch, lieber Willi, - und war durchaus beeindruckt. Nicht so sehr von dem, was ich da über Beethoven erfahren habe. Da war weniges neu für mich.
    Nein, beeindruckt haben mich die Interpretationen der Klaviersonaten durch Rudolf Buchbinder, und dies vor allem deshalb, weil mir darin - wieder einmal - das musikalisch schlechterdings Ungeheuerliche hörbar und bewusst wurde, das diesen Sonaten, den späten vor allem, innewohnt.
    Wie schön, dass Du dich dieser Musik hier in so engagierter und intensiver Weise widmest!


    Und noch etwas habe ich erfahren. Als eine Passage aus einer Sonate auf einem Piano gespielt wurde, das Beethoven damals benutzte, sah ich mich in dem bestätigt, was ich immer schon in vielfacher Weise erlebte: Diese Musik kommt erst auf einem modernen Flügel zu dem, was sie ist. Ich kann einfach nicht begreifen, was man an Aufnahmen dieser Sonaten mit alten Flügeln so beeindruckend und musikalisch aufschlussreich findet.


    Buchbinder hat übrigens zu diesem alten Klavier nur anzumerken gewusst, dass man auf ihm ein Glissando spielen kann, ohne sich blutige Finger zu holen. Darin sehe ich auch seinen einzigen Vorzug.

  • Ich fand die Aussagen von Buchbinder sehr interessant, welche Schwierigkeiten doch in diesen Beethoven – Sonaten stecken würden und ein wenig sah man ihm dies bei der Interpretation auch an. Natürlich kann er die Sonaten spielen, ist aber technisch allem Anschein nach gefordert. Ganz anders, wenn man bei YouTube sieht, wie Yuja Wang die Hammerklaviersonate spielt, für sie offensichtlich keine technische Herausforderung.

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose