Noch in der "alten" Ausgabe der 50ger Jahre des Kompendiums "Musik in Geschichte und Gegenwart" nimmt die Person und das Schaffen von Thomas Tallis (ca. 1505-1585) eine deutlich geringer bewertete Stellung ein, als die seiner Zeitgenossen William Byrd oder selst Christopher Tye. Spätestens jedoch seit Ralph Vaughan Williams "Fatasia on a Theme by Thomas Tallis" aus dem Jahr 1910 ist zumindest der Name des Komponisten wieder ein "Begriff".
Die biografischen Daten in sahen Thomas Tallis fliessen ausserordentlich spärlich; das Jahr seiner Geburt dürfte zwischen 1500 und 1510 anzusiedeln sein, die einen Quelklen geben die Grafschaft Kent, andere jedoch Leichester an. Weder über seinen Werdegang noch über seine Ausbildung liassen sich bis heute verwertbare Daten in Erfahrung bringen.
Jedenfalls ist sein Wirken als Organist an der Benediktiner-Abtei Waltham nördlich von London für die Jahre 1532 bis 1540, dem Jahr der Auflösung des Klosters durch Heinrich VIII., belegt. Nach einer kurzen Zeit an der Kathedrale von Canterbury wurde er zum “Gentleman of the Chapel Royal” - also zum “Gentleman” der Königlichen Kapelle ernannt; ein Amt – oder besser, eine Auszeichnung – das er die folgenden vierzig Jahre fortführte.
Bemerkenswert ist die Ausrichtung seiner geistlichen Kompositionen während und vor allem nach der Reformation. Hatte er zuvor lateinische Messen und Motetten geschaffen - also Werke für die katholische Liturgie, komponierte er nun zwar für den protestantischen Gottesdienst. Dennoch fuhr er fort, lateinische Motetten zu schreiben. Es scheint enfllussreiche Personen bei Hofe gegeben zu haben, die während einer Zeit forcierter Katholiken-Verfolgung in England erfolgreich ihre schützende Hand über den Komponisten hielten, der übrigens wie sein Freund William Byrd ein Leben lang Katholik blieb.
Spem in Alium
Das Werk, welches unmittelbar mit dem Namen Thomas Tallis verbunden ist, Spem in alium, ist eine Motette auf den Text des apokryphen Buches Judith. Nicht weniger als 40 selbständige notierte Vokal-Stimmen bilden ein Stimmgefüge, das in dieser Form einzigartig ist. Jeweils fünf verschiedene Stimmen erklingen in insgesamt acht Chören, die man sich, der zeitgenössischen Praxis entsprechend, an besonderen Positionen im Raum platziert vorstellen darf. Ort der ersten Aufführung dieser Komposition war möglicherweise Arundel House,ein noch heute erhaltener Landsitz des bedeutendsten katholischen Adelsgeschlechtes Arundel in der Nähe der Universitätsstadt Cambridge.
Allein diese Komposition dient bis auf den heutigen Tag als Grad- und Qualitästmesser für verschiedene Vokal und auch Instrumental-Ensembles. Die jüngste Einspielung liegt derzeit von den bekannten "King´s Singers" als Simultan-Aufnahme vor.
Der Komponist, der ein "stilles und zurückgezogenes" Temperament sein eigen nannte, starb am 23.12.1585 in Greenwich.
Seine Grablege blieb bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts erhalten.
FAZIT:
Der frühe Stil von Tallis ist durch großartig organisierte Imitations-Kontrapunktik und stellenweise geradezu ausufernde Chromatik gekennzeichnet.Bedeutende Beispiele dafür sind seine "Lamentationes Prophaetae Jeremiae", ein erschütterndes und noch heute tief bewegendes Meisterwerk, komponiert wahrscheinlich auf dem Höhepunkt der Katholiken-Verfolgung und zur Zeit der Zwangsauflösung der englischen Klöster unter Henry VIII. Auch viele seiner Motetten wie z.b. "In ienu fletu" huldigen diesem expressivem Stil. Ganz andes gestalten sich die meisten seiner Werke auf englische Texte, die sich bevorzugt an Textverständlichkeit orientieren und meistens in homophonem Stil verfasst sind, ohne jedoch dadurch eine Tendenz zum Verflachen aufzuweisen. Stücke wie "Ife ye love me" sind wichtiger Bestandteil vieler bedeutender Vokal-Ensebmles von den "King´s Singers" bis zum Ensemble "Amarcord". In einer Zeit des Umbruchs und ausgeprägter staatlicher Repressionen, darin durchaus der stalinistischen Epoche vergleichbar, war Thomas Tallis NICHT bereit, die kompositorischen und intellektuellen Errungenschaften seiner Zeit allein auf "Zuruf" preiszugeben, sondern dank einer für ihn gewiss nicht einfachen Gratwanderung gelang es ihm, diese auch für künftige generationen zu bewahren und fruchtbringend weiter zu reichen . Alleine dieses macht ihn zu einem würdigen Zeitgenossen seiner "kontinentalen Gegenspieler" Orlando di Lasso und Giovanni da Palestrina.
Dankenswerterweise ist die Diskographie mit Werken von Tallis derzeit hervorragend bestückt, so daß ich lediglich 2 in diesem Zusammenhang besonders hervorheben möchte:
Jedem, der sich mit dem Werk des Meisters zum "Kennelernen" intensiver beschäftigen möchte, sei die Einspielung unter
Andrew Parrott aus dem jahr 1986 empfohlen, die für wenig Geld im Handel erhältlich ist und bis heute nichts von ihrem Referenzcharakter eingebüsst hat. Sowohl von der Intensität der Interpretation wie auch von der Abbildung des englischen
"Cathedral Room" ist sie nach wie vor unerreicht.
Für alle, die sich mit dem Werk von Thomas Tallis intensiv beschäftigen wollen, empfehle ich die Box mit 9 CDs
"The complete Works" des Labels "Signum Records". Hier ist zwar nicht alles gleich gut und überzeugend gelungen,
(die hohen Stimmen sind an manchen Stellen "problematisch"; was jedoch überzeugt ist die Vollständigkeit der überlieferten Werke zum einen und ein sehr gutes Preis- Leistungsverhältnis zum anderen.
Quellen: MGG, Wikipedia
Shaftesbury, 11.02. 2006