Mich beindruckt die Interpretation Fischer-Dieskaus neben dem von La Roche eingestellten Beispiel von Franz Völker und dem von Peter Anders ganz besonders, weil er die von La Roche genannten Passagen "Gib mir nur einen deiner süßen Blicke" und "Komm an mein Herz, dass ich dich wiederhabe" so anrührend und überzeugend wiedergibt, noch dazu ein vergleichsweise exzellenter Tonqualität, wie ich es von ihm in vielen Liedinterpretationen gewohnt bin. Seine Art des Pianogesangs und des ansatzlosen Tonartwechsels sowie des organischen Forcierens (im zweiten Beispiel) überzeugt mich am meisten von allen, die ich durchgehört habe. Und ich muss sagen, dass mich auch das Hörbispiel von Lotte Lehmann überzeugt hat, trotz der schlechten Tonqualität und der ungewohnten Orchesterbegleitung.
Lieber Willi,
schön, dass Du endlich auch "Fidi" einstellst. Ich empfinde ihn als Wohltat, weil er zeigt: Auch das hier ist ein wirkliches Kunstlied, und kein Herz-Schmerz-Schmachtfetzen. Aber das "Bedürfnis" danach ist offenbar doch zu stark, so dass Fidi wie auch etwa die großartige Irmgard Seefried hier keine Beachtung finden. Wenn ich Lotte Lehmann und Elly Ameling nacheinander gehört habe, dann habe ich mir dieses Lied leid gehört und denke: nicht nochmal bitte, es reicht! Wenn ich dann Fidi und Seefried höre, bin ich wieder versöhnt und denke: So kannst Du Dir das auch nochmals und immer wieder anhören. Ich überlege, ob ich mir die Fidi-Box auch noch auf meine Bestell-Liste setze für eine spätere intensivere Beschäftigung mit Strauss-Liedern. Ich hoffe nur nicht, dass mich dann meine Gattin steinigt von wegen so vieler CDs ...
Man kann aus solchen Hörerfahrungen lernen, daß dem Wesen der modernen Liedinterpretation, repräsentiert etwa durch Dietrich Fischer-Dieskau, ein Moment von Distanz innewohnt. Einen Text in all seinen vokalen Nuancen vorzutragen, oder dem Menschlichen dahinter Gestalt zu geben, ist nicht ganz dasselbe. (Farinelli-Zitat)
Hier ist aber dann doch die Frage, was man unter "Menschlichkeit" versteht. Das "Moment der Distanz" ist der Verzicht auf Wirkungsrhetorik, auf Affektiertheit, die den Hörer unmittelbar berührt im Sinne von "Anmachen", "auf die Tränendrüse drücken" ".... ach was für eine zärtlich dahinschmachtende Stimme". Für mich liegt genau hier der Unterschied von "Pop" und "Kunst". Das Kunstlied soll mich nicht "anmachen", sich bei mir nicht einschmeicheln. Ich möchte keinen Eros Ramazotti (das Paradebeispiel für einen sogenannten "Schmusesänger") bei diesem Lied hören, wo mit dem was er vom Ans-Herz-drücken singt der Sänger sich mir, dem Hörer, gleich mit ans Herz drückt. So was kann ich nicht ausstehen. Kunstlied bedeutet für mich die "harte" Abstraktion, dass ich nur ein Ausdruckserlebnis habe. Das ist für mich die wahre Humanität - weil damit nämlich die Unterscheidung von Wahrheit und Lüge (Ausdruck nur vortäuschen durch bloße Wirkungsrhetorik) gegeben ist. Wenn "Allerseelen" von Fidi und auch der Seefried so völlig kitschfrei und pursitisch gesungen wird, dann ist das für mich wahrhaftig - und das und nur das beeindruckt mich wirklich nachhaltig. Alles Andere - sage ich etwas überspitzt - ist nicht Kunst, sondern Kitsch. Wohlgemerkt, auch für mich darf ein Sänger eine schöne, sogar verführerisch schöne Stimme haben, er darf sich damit bei mir nur nicht anbiedern und eben die Grenze von Kunst und Kitsch nivellieren wollen. Aber dahinter steht vielleicht auch meine musikalische Erziehung. In meiner Jugend ist mein Geschmack ausschließlich mit Insrtumantalmusik gebildet worden - unter völliger Quarantäne gegenüber jeglicher Sänger-Geschmacklosigkeit. Deshalb riecht mein Geschmack Sänger-Kitsch zehn Meilen gegen den Wind. Mein Lieblingszitat in diesem Zusammenhang ist: Musik, besonder Gesang, soll nicht zum "Anreißer auf einer Jahrmarktbude" werden. Ich bin eben ein unverbesserlicher Purist.
Einen schönen Sonntag wünscht
Holger