Robert Schumann: Sinfonie Nr. 2 C-Dur – Musik, Krankheit und Politik

  • Vielen Dank, lieber Wolfgang, für Deine Eindrück von dieser Sinopoli-Scheibe (DG). Ich hatte kürzlich im Rahmen des hier im Forum ausgebrochenen "Schumann-Fiebers" via Spotify auch kurz hineingehört und kann Deine Eindrücke im Großen und Ganzen bestätigen: gut, aber nicht unbedingt herausragend. Besser scheint mir Sinopolis später entstandene Einspielung im Rahmen der Gesamtaufnahme mit der Staatskapelle Dresden geraten zu sein, ohne dass ich jetzt sagen würde, dass das die von Sawallisch mit demselben Orchester überträfe.


    Ich will eine weitere Aufnahme ins Spiel bringen, auf die ich auch erst vor wenigen Tagen eher zufällig stieß:



    Ernest Ansermet würde man jetzt nicht unbedingt mit Schumann in Verbindung bringen, auch wenn er alle vier Symphonien mehrfach im Konzert dirigierte und zumindest die 1. und die 2. für Decca einspielte. Diese Doppel-CD umfasst Aufnahmen zwischen 1950 und 1965. Der Fokus liegt auf den in Stereo eingespielten Werken: der 2. Symphonie, der "Manfred"-Ouvertüre (beide 1965) sowie "Adagio und Allegro" in einer Orchesterfassung von Ansermet selbst (1957). Der Rest (Klavierkonzert 1950, 1. Symphonie 1951, Cellokonzert 1953) liegt leider nur in Mono vor, so dass die Decca-Vorteile des ausgezeichneten Klangs bereits in den frühen Tagen der Stereophonie dort nicht zum Tragen kommen. Angesichts des günstigen Preises der Doppel-CD ist dies aber zu verschmerzen.


    Zunächst zu den Spielzeiten: 12:33 - 6:57 - 9:17 - 8:59. Die Einleitung des Kopfsatzes gelingt außergewöhnlich verinnerlicht. Die nachfolgende Klimax weiß Ansermet spannungsvoll aufzubauen. Das Scherzo erinnert stellenweise tatsächlich an Mendelssohn (worauf auch Raymond Tuttle im Einführungstext verweist). Im langsamen Satz vermeidet Ansermet Kitsch und zuviel Sentimentalität. War die Aufnahme bis dahin wirklich schon sehr gelungen, folgt im schwierigen Finalsatz tatsächlich nochmal eine Steigerung. Ansermet gelingt es, jeden Anflug von Monotonie im Ansatz zu unterbinden. So detailreich und klangschön hört man das selten. Ein echter Aha-Effekt erfolgt in der Coda, wenn der Paukist zur Höchstform aufläuft und knallhart auf sein Instrument eindrischt. Wow. In solcher Intensität meine ich das noch nie vernommen zu haben. Die Schläge klingen auch überhaupt nicht pauschal, sondern sehr ausdrucksstark. Ähnlich Bernstein (besonders in der New Yorker Aufnahme) verlangsamt Ansermet dazu in den letzten Takten das Tempo und erzielt so einen Gänsehautmoment. Das zuweilen kritisierte Orchestre de la Suisse Romande brilliert zumindest hier ohne Fehl und Tadel.


    Ich muss sagen, dass ich diese Aufnahme nun tatsächlich gleichberechtigt neben Bernstein (New York und Wien) sowie Klemperer (live) stellen würde. Die während derselben Aufnahmesitzung eingespielte "Manfred"-Ouvertüre (11:59) ist ebenfalls oberste Liga. Allein diese beiden Werke rechtfertigen die Anschaffung dieser durch die australische Decca Eloquence erstmals auf CD herausgebrachten Einspielungen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ich besaß eine weitere Aufnahme von Schumanns Zweiter mit Leonard Bernstein auf LP, damals in Deutschland herausgegeben von der Deutschen Grammophon:

    mit dem "The Stadium Concerts Symphony Orchestra New York", aus dem Jahr 1953. Die DGG gab in den 1950er Jahren Aufnahmen der amerikanischen DECCA in Lizenz heraus. Mir ist die Einspielung in bester Erinnerung, es war meine erste Bekanntschaft mit dem Werk. Leider besitze ich die Platte nicht mehr, und auf CD gibt es sie anscheinend nicht (mehr). Allerdings war der Klang nicht optimal, eben Mono. Das Orchester ist identisch mit den New Yorker Philharmonikern, die für die Open Air-Konzerte im Sommer unter diesem Namen firmierten.
    Kennt jemand aus dem Forum diese alte Aufnahme?

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Kennt jemand aus dem Forum diese alte Aufnahme?


    "Kennen" wäre übertrieben, aber ich habe die CD-Ausgabe gefunden:


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Danke, Joseph II., für den Tip!
    Leider ist die Ausgabe z.Zt. ziemlich teuer, habe sie aber gleich auf meine Wunschliste gesetzt.


    LG, Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Als erster CD-Neuzugang 2018 ist die Aufnahme mit Sinopoli / Wiener PH (DG) bei mir eingegangen.


    @ Wolfgang aus Bonn: Ich dachte lange, dieser Name käme bei Dir nicht ins Regal … :stumm:
    Wie kommt diese Sinnesänderung?

    Einer der erhabensten Zwecke der Tonkunst ist die Ausbreitung der Religion und die Beförderung und Erbauung unsterblicher Seelen. (Carl Philipp Emanuel Bach)

  • Ich dachte lange, dieser Name käme bei Dir nicht ins Regal …
    Wie kommt diese Sinnesänderung?


    Hallo Maurice,


    offenbar kennst Du meine Story :D , die aber letztendlich einen Totalauschluss unsinnig machen würde ! (Ich sage nur: Bademeister - FZ-Bad -Siegburg - Zeithstrasse)
    Aber ich hatte mich von Agons Beurteilung verführen lassen, dann von der interssanten amazon-Kritik (bei der ich etwas zwischen Zeilen gelesen habe, was die Vermutung aufkommen lies, dass da was abgeht, was mir liegen könnte); und dann war der Preis im Centbereich.
    8-) Also ausprobiert und doch nicht so begeistert gewesen ... war kein Volltreffer.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang


  • Bei YouTube kann man seit einigen Tagen eine packende Darbietung der 2. Symphonie von Schumann als HD-Video anschauen (vor allem sehr guter Klang). Es handelt sich um den letzten Auftritt von Leonard Bernstein in Japan und wohl das letzte gefilmte Konzert unter seiner Stabführung. Er leitete das Orchester des von ihm selbst begründeten Pacific Music Festival in Sapporo, Japan, das sich aus talentierten jungen Musikern aus aller Welt zusammensetzt und seither alljährlich unter der künstlerischen Leitung eines berühmten Dirigenten auftritt. Es ist sicherlich kein Zufall, dass der bereits todkranke Bernstein seine Lieblingssymphonie aufs Programm setzte. Neben der eigentlichen Aufführung (ab etwa 1:06:20) sind auch die hochinteressanten Proben enthalten (ab etwa 26:00). Die Qualität des Orchesters ist durchaus ansprechend. Man kann das alle erfassende Engagement, das durch die Präsenz des großen Maestros sicherlich noch befeuert wurde, nachvollziehen. Am Ende meint man in seinem Gesicht zu erkennen, dass er wusste, dass er dieses geliebte Werk nie mehr wieder dirigieren würde. Das Konzert fand am 3. Juli 1990 statt. Bernstein dirigierte noch am 19. August 1990 beim Tanglewood Festival seine berühmte "letzte Aufnahme" (Beethovens 7. Symphonie mit dem Boston Symphony Orchestra, bei DG erschienen). Danach konnte er aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr auftreten. Am 14. Oktober 1990 starb er im Alter von 72 Jahren. Eine schöne Erinnerung an ihn, der 2018 hundert Jahre alt geworden wäre.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Lieber Joseph,


    vielen Dank für den Hinweis auf dieses Video. Ich habe es auf meine Festplatte geladen und werden es mir bei nächster Gelegenheit anschauen - eine wertvolle Ergänzung der von Bernstein existierenden Konzert- und Proben-Mitschnitte.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Es mag an die zwanzig Jahre her sein, daß ich Schumanns 2. nicht gehört habe. Das gilt auch für die anderen Schumann Sinfonien, wobei die Sinfonie Nr 1 "Frühlingssinfonie" eine Ausnahme macht. Sie wurde unlängst hier im Forum in den Focus gesetzt, und bei dieser Gelegenheit habe ich sie erneut gehört und bewertet. Ich war damals überrascht und hingerissen, konnte meine einstige Ablehnung nicht verstehen. Ein Einzelfall ? Oder würde sich dieses Wunder bei den anderen Sinfonien wiederholen ? Ich habe mich übrigens oft gefragt, warum Karl Böhm Schumanns Sinfonien ausgewichen ist und auch Johchum. Von Wand ist die Abneigung gegenüber der Zweiten bekannt
    Meine Schumann Sinfonien Sammlung ist geradezu winzig, die Zweite besitze ich 2 mal, beide Male unter Kubelik.
    Durch diesen Thread angeregt habe ich sie soeben gehört in der Version mit dem SO des Bayrischen Rundfunks (in anderer Verpackung). Und das Wunder ereignete sich ein zweites Mal: Ich war wieder voll begeistert. Ich kenne keine Vergleichsaufnamen, diese aber emfand ich als mitreissend und feurig, Beethoven schimmert stellenweise durch, ebenso wie Schuberts große C-Dur Sinfonie, die Schumann gekannt hat und von der er tief beeindruckt war. Die strahlenden Fanfaren geben dem Werk IMO die richtige Würze. Gegenüber einigen Hörproben, die ich mir inzwischen ähh "reingezogen" habe wirkt diese Aufnahme Kubeliks aus dem Jahre 1979 stellenweise gradezu rasant und überbrilliant. Ich bin inzwischen "angefixt" und werde meine Schumann-Sinfonien Sammlung erweitern.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !