Der Wildschütz (Lortzing) - München, Gärtnerplatztheater am 23.01.2018

  • Nachdem wir kurz nach Neujahr im wieder eröffneten Gärtnerplatz noch eine rundum beglückende Hänsel-und-Gretel-Aufführung erleben konnten, stand am 23. Januar die zweite Vorstellung des neuinszenierten Wildschützes auf unserem Programm... leider ein in großen Teilen verlorener Abend.


    Über quälende fast 3 Stunden (inkl. Pause) zog sich die Inszenierung von Georg Schmiedleitner, in einem Einheitsbühnenbild von Harald B. Thor, von dem die beiden Fotos ein anschaulichen Eindruck geben. Nach hinten wurde die Bühne im Halbrund von transparenten Kunststoffbahnen abgeschlossen (die unterschiedlich beleuchtet wurden), über der ansonsten leeren und grün ausgelegten Bühne schwebte nur eine übergroße Zielscheibe, mal senkrecht, mal wagerecht, mal angeschrägt. Die Kostüme - es versteht sich fast von selbst - Einheitsstil der Neuzeit.



    © Christian POGO Zach

    © Christian POGO Zach


    Da das Inszenierungsteam mit dem Stück wohl nicht viel anfangen konnte, beschränkte man sich auf die Inszenierung der gefühlte Metaebene: Aus der Lortzingschen Verwechslungkomödie wurde ein Spiel von sexuell obsessiv Getriebenen, gespickt mit Klamaukelementen, die zwischen zotig-pubertär und ganz einfach ordinär hin und her wechselten z.B.
    - die Baronin und ihre Zofe treten im Pelzmantel auf, ziehen diesen an der Rampe aus, die Baron singt im Unterrock ihre Arie und wird dabei von der Zofe in einen Jogging-Anzug gesteckt; nachdem auch die Zofe ihren Jogging-Anzug anhat, machen beide einen ordnenden Griff in den Schritt - also ins Leere - und um dies zu beheben - ein erster Höhepunkt an Witzigkeit wird erreicht - stecken sich beide nun eine Banane in den Hosenschritt, um die Verwandlung in einen Studenten zu verdeutlichen
    - wenn Baculus in der Billardszene, nachdem das Licht wieder angegangen ist, sein Gesicht in unverkennbarer Haltung im Schoße des Baron Kronthal wiederfindet oder
    - wenn Baron und Graf die übergroßen Billardqueues wie einen großen Phallus tragen und masturbierende Bewegungen daran ausführen.


    Ansonsten nur banaler Aktionismus gepaart mit sinnentleerten Stereotypen:
    - fast ständig liegt jemand auf dem Boden oder auf der Zielscheibe und wälzt sich umher;
    - im Finale wird ständig eine Schubkarre mit dampfendem Mist von links nach rechts und wieder zurück geschoben
    - zur Belebung des Stückes führt man zu Beginn des dritten Aktes ein Wischballett von fünf Herren im grauen Arbeitskittel mit Eimern und Mop auf
    - die Drehbühne ist fast ständig in Aktion, d.h. alle Akteure müssen dementsprechend laufen, um ihre Position zum Zuschauerraum zu behalten
    - die Hubpodien fahren rauf und runter, das es eine Freude ist
    - dazu viel Singen an der Rampe


    Unverständlicherweise gab es einen Schnitt mitten im 2. Akt mit eingefrorener Szene, die nach der Pause mit ein paar Takten Wiederholung fortgesetzt wurde...


    Auch musikalisch war dieser Abend leider kein besonderes Highlight. Oleg Ptashnikov dirigierte das Orchester des Gärtnerplatztheaters über weite Strecken souverän, zuweilen gab es aber Probleme mit der Synchronisaion zwischen Orchestergraben und Bühne. Sehr gut der Chor (Einstudierung Felix Meybier), nur leider entschied man sich, sowohl Chor, Extrachor und Kinderchor für diese Inszenierung aufzubieten. Dieser übermächtige Chor von bis zu 60 Personen ließ die ohnehin nicht sehr großen Stimmen der Solisten noch winziger erscheinen. Zudem sorgten die 120 Beine bei den ständigen Auf- und Abtritten und den sonstigen verordneten Bewegungen für eine permanente Lärmquelle.


    Die Rollen waren allesamt sehr jungen Sängern anvertraut:
    Graf von Eberbach - Liviu Holender
    Die Gräfin - Anna Agathonos
    Baron Kronthal - Alexandros Tsilogiannis
    Baronin Freimann - Sophie Mitterhuber
    Nanette - Valentina Stadler
    Baculus - Christoph Seidl
    Gretchen - Jasmina Sakr


    Aus den durchaus stimmschönen Darbietungen ragten am ehesten die von Sophie Mitterhuber und Liviu Holender heraus, die ihre Rollen auch für das Publikum hörbar gestalten konnten. (L. Holender mußte große Teile seiner Arie "Heiterkeit und Fröhlichkeit" nur mit grüner Unterhose und Socken bekleidet an der Rampe singen...) Anna Agathonos gab der überdrehten hysterischen Gräfin eine wohlkingende Mezzostimme. Den anderen Solisten fehlte zum Großteil schlicht das Volumen und die Tragfähigkeit der Stimme, um über das ohnehin nicht große Orchester zu kommen.
    Da dieser Abend das Rollendebüt für alle Solisten war, bleibt zu wünschen, das sich dies in den weiteren Aufführungen bessert und jeder einen individuellen Zugang zu seiner Rolle findet, in diese hineinwächst und sein Potential entfalten kann - auch wenn diese Inszenierung es ihnen nicht leicht machen dürfte...

    ... in diesem Sinne beste Grüße von orsini


    „Das Denken ist zwar allen Menschen erlaubt, aber vielen bleibt es erspart.“
    Curt Goetz

  • Lieber Orsini,


    vielen Dank für Deinen Bericht. Gerne hätte ich den Wildschütz auch wieder einmal gesehen, schließlich war es diese Oper, die ich als 5. oder 6. Oper überhaupt sah, und das vor rund 60 Jahren.


    Aber so wie in Deinem Bericht wünsche ich sie mir natürlich nicht.


    Es hat schon seinen Grund, warum ich es zukünftig ablehne, mir Karten für irgendeine Premiere an irgendeinem deutschen Theater zu bestellen. So möchte ich nicht enttäuscht werden und das Gefühl bekommen, mein Geld verschwendet zu haben. Ich bin glücklich darüber, daß ich meine Premierenkarten für das Chemnitzer Rheingold am 3.2.2018 wieder losbekommen habe, denn ich weiß nicht, was mich erwartet. Eigentlich hatte ich mich darauf gefreut. Nun werde ich, um Wut und Zorn und Geld zu sparen, vor jedem Opernbesuch auf einen Trailer warten und dann erst entscheiden, ob das etwas für mich wäre oder nicht.


    Dieser Wildschütz hätte mich gewaltig in Rage gebracht. Wohl gemerkt - mich - und jeder, den Dein Bericht neugierig gemacht hat, sollte ihn sich ansehen.


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • - im Finale wird ständig eine Schubkarre mit dampfendem Mist von links nach rechts und wieder zurück geschoben


    Das ist derzeit in Mode. In der zusammengekürzten "Ring-Trilogie" (richtig gelesen) des Theaters an der Wien gab es ebenfalls viel kotig-schlammigen Unrat, der einen angewidert zurückließ. Ich habe es mir erspart, meine Eindrücke dieser Produktion hier im Forum zu schildern; dazu war mir meine Zeit eigentlich zu schade. Viel Lärm um nichts, wie leider so oft.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hallo, Orsini
    Vielen Dank für Deinen ausführlichen, anschaulich geschilderten Bericht. Wenn man dann in Deiner Beschreibung (auszugsweise) liest...

    Da das Inszenierungsteam mit dem Stück wohl nicht viel anfangen konnte, beschränkte man sich auf die Inszenierung der gefühlte Metaebene: Aus der Lortzingschen Verwechslungkomödie wurde ein Spiel von sexuell obsessiv Getriebenen, gespickt mit Klamaukelementen, die zwischen zotig-pubertär und ganz einfach ordinär hin und her wechselten z.B.
    - die Baronin und ihre Zofe treten im Pelzmantel auf, ziehen diesen an der Rampe aus, die Baron singt im Unterrock ihre Arie und wird dabei von der Zofe in einen Jogging-Anzug gesteckt; nachdem auch die Zofe ihren Jogging-Anzug anhat, machen beide einen ordnenden Griff in den Schritt - also ins Leere - und um dies zu beheben - ein erster Höhepunkt an Witzigkeit wird erreicht - stecken sich beide nun eine Banane in den Hosenschritt, um die Verwandlung in einen Studenten zu verdeutlichen
    - wenn Baculus in der Billardszene, nachdem das Licht wieder angegangen ist, sein Gesicht in unverkennbarer Haltung im Schoße des Baron Kronthal wiederfindet oder
    - wenn Baron und Graf die übergroßen Billardqueues wie einen großen Phallus tragen und masturbierende Bewegungen daran ausführen.

    ... dann fehlen einem eigentlich fast die Worte. D. h., sie fehlen mir natürlich nicht, aber um solch abartige Verunstaltungen zu kommentieren, ist tatsächlich jedes Wort zu schade.
    Und deshalb nur kurz, aber treffend zusammengefaßt - Man kann sich nur an den A... fassen, der Kopf ist zu schade dafür!!!
    Und es überkommt einen das Gefühl des "Fremdschämens". Aber unlängst wurde ja hier im Forum geäußert - man kann alles auf die Opernbühne bringen.
    Es sei diesen Interessenten und Konsumenten solcher "Hochkultur" unbenommen. Und wer`s halt braucht...


    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Zitat

    Zitat von La Roche: Dieser Wildschütz hätte mich gewaltig in Rage gebracht.

    Lieber LaRoche,


    mich auch. Und für so etwas ist mir mein Geld, das ich für und beide für Opernbesuche einplanen kann, wirklich zu schade. Wie du schon sagst: Es hat weder eine Zweck, sich ein Abonnement, wie ich es mir pro Saison für 5 bis 6 Vorstellungen im Jahr leisten konnte, zuzulegen und schon garnicht, eine Premiere zu buchen. Ein Opernhaus betrete ich nur dann noch, wenn ich mich nach eingehenden Informationen überzeugt habe, dass ich es - ohne mich solchem Ärger auszusetzen - wagen kann. Und das war in den letzten Jahren in meiner Nähe nur einmal der Fall, wo ich dann leider aus anderen Gründen verhindert war. Und weite Fahrten ins Ausland zu unternehmen, wo es noch gescheite Inszenierungen gibt, dazu fehlen mir die Mittel. Glücklicher Chrissy, der es wenigstens nicht ganz soweit nach Liberec hat!
    Jedenfalls vielen Dank an Orsini für den drastischen Bericht und die Bilder, der hoffentlich damit einige Leute warnen konnte. Wie schon richtig erkannt, konnte das Regieteam - wie leider heute viele - mit dem Stoff wieder einmal nichts anfangen.


    Liebe Grüße

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Wenn ich mir einige Bemerkungen der Regie-Theater-Befürworter in den jeweiligen Threads ins Gedächtnis rufe, kann ich mir vorstellen, daß diese sich durch solch einen Blödsinn noch angezogen fühlen. Nur sollten diese und mit ähnlichem Klamauk behaftete "Werke" in Irrenanstalten aufgeführt werden.

    W.S.

  • Mir ist es grundsätzlich schnurzpiepegal, was ein Regisseur macht. Was mich aber inzwischen nur noch nervt, ist dieser aufdringliche Sexismus, wie er in orsinis Besprechung ziemlich drastisch geschildert wird. Beispielsweise Banen im Schritt zweier vermeintlicher Studenten, die in Wirklichkeit Frauen sind, ist eine ganz alte abgeschmackte Altmännernummer, die riecht. Ich kann immer besser verstehen, warum sich Frauen gegen ihre billige Vereinnahmung wehren.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Dieses verkürzte Zitat, lieber Wollfgang, gibt allerdings nicht das wieder, was mir wichtig ist.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Da das Inszenierungsteam mit dem Stück wohl nicht viel anfangen konnte, beschränkte man sich auf die Inszenierung der gefühlte Metaebene: Aus der Lortzingschen Verwechslungkomödie wurde ein Spiel von sexuell obsessiv Getriebenen, gespickt mit Klamaukelementen, die zwischen zotig-pubertär und ganz einfach ordinär hin und her wechselten

    Lieber Orsini,
    danke für Deinen Bericht und die Deutlichkeit Deiner Aussagen. Der Kernpunkt, den Du richtiger Weise auch anführst ist, dass offensichtlich die Vielzahl der heutigen Regisseure nicht in der Lage sind, Spielopern zu inszenieren. Sie können mit der Natürlichkeit, Stimmung und Romantik dieser Stoffe wenig anfangen. Werden in diese Handlungen dann provozierende Szenen wie Sex, Gewalt, Verhöhnung, Nazisymbole usw. eingeführt, ist die Spieloper und sogar ein auch heute noch so ergiebiger, wirkungsvoller Ideen geradezu herausfordernder Handlungsrahmen, wie er im "Wildschütz" gegeben ist, tot. Damit werden die musikalischen Schätze, die gerade in diesen Opern liegen, durch Unfähigkeit der Inszenierenden verschüttet. Einzige Hoffnung, dass diese Ohrwürmer noch in den Konzertsälen und in den Wunschkonzerten weiterleben. Einmal sind die unsäglichen Inszenierungsexzesse, die kritiklos auf alle Opern übertragen werden, ausgereizt und es wird zumindest zu einer dem jeweiligen Werk angepassten Bühnenadaption kommen. Es gibt auch schon fabelhafte Ansätze, wie z. B. das von Otto Schenk wundervoll, märchenhaft in Szene gesetzte "Schlaue Füchslein" in Wien. Auch Opernstudios und Ensembles an Muskihochschulen und Nachwuchsregisseure sollten sich noch mehr diesen in den meisten Fällen für sie machbaren Opern zuwenden. Die Regisseurin Gudrun Hartmann hat in ihrer erfolgreichen Arbeit als Leiterin des renommierten Opernstudios in Zürich viel beachtete Aufführungen in dieser Richtung gemacht. Die sogar vom anspruchsvollen Züricher Publikum gut aufgenommen und in der Regel ausverkauft waren und deshalb wiederholt wurden. Wir sind mehrfach nach Zürich gefahren, um diese frischen vor Spielfreude überbordenden Ereignisse auf der Bühne oder in halbszenischen Konzerten zu erleben. Solche bemerkenswerte Ergebnisse gibt es, wenn junge Sängerinnen und Sänger nicht durch Regiezwang in ihrer Spielfreude gebremst werden und die Inszenierung werkgerecht und für alle Mitwirkenden motivierend gestaltet ist. :jubel:


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

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