Joseph Keilberth: "Sein echter Ruhm, der still und mit der Zeit sich um ihn legte wie ein Feierkleid"

  • die Rivalität Kna - Keilberth


    Ich weiß nicht recht, ob das nicht vielfach einfach so behauptet wurde und wieviel wirklich dran war. Keilberth wurde gern zum jüngeren und moderneren Antipoden in Sachen Wagner stilisiert.


    Mein Eindruck war immer, dass sich die beiden trotz des unterschiedlichen Stiles doch auf fachlicher Ebene als Kollegen ehrlich schätzten. So soll es einer von Wolfgang Wagner berichteten Anekdote zufolge sogar mal zu einer Art Verbrüderung gekommen sein, als die beiden bei den Bayreuther Festspielen gemeinsam ins Büro des Co-Chefs marschierten und dann schlicht und ergreifend erklärten, wie sie sich die Festspiel-Dirigate im nächsten Jahr aufteilen wollten – angeblich um einen nicht genannten Dritten zu verdrängen. Wolfgang Wagner betonte, dass der alles überragende "Kna" bei diesem Vorstoß natürlich vorne stand und der Keilberth, deutlich kleiner und gedrungener, dahinter.


    Im "Spiegel" vom 11. August 1954 liest man Folgendes:


    Joseph Keilberth, 46, Dirigent, leitete sechs von den acht Juli-Aufführungen der Bayreuther Festspiele und blies an einem weiteren Aufführungs-Abend zum Zeichen seiner Verbundenheit mit dem Orchester eine Trompetenstimme im "Parsifal", während sein Kollege Hans Knappertsbusch, 66, den Stab führte. Frankreichs Star-Kritiker Feschotte kommentierte: "C'est Bayreuth."


    Das klingt nicht unbedingt so, als hätten sich die beiden nicht ausstehen können.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • o soll es einer von Wolfgang Wagner berichteten Anekdote zufolge sogar mal zu einer Art Verbrüderung gekommen sein, als die beiden bei den Bayreuther Festspielen gemeinsam ins Büro des Co-Chefs marschierten und dann schlicht und ergreifend erklärten, wie sie sich die Festspiel-Dirigate im nächsten Jahr aufteilen wollten – angeblich um einen nicht genannten Dritten zu verdrängen. Wolfgang Wagner betonte, dass der alles überragende "Kna" bei diesem Vorstoß natürlich vorne stand und der Keilberth, deutlich kleiner und gedrungener, dahinter.

    Eine sehr schöne Geschichte, die allerdings ganz klar belegt, welcher Dirigent damals in der Bayreuth-Hierarchie die Nummer 1 war und welcher nicht. Ich könnte mir vorstellen, dass Keilberth eben irgendwann nicht mehr hinter einem anderen stehen wollte, sondern selbst die Nummer 1 sein - in München wurde er das ja dann mit seiner Chefposition, da war die Hierarchie dann eine andere.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Liebe Taminos!


    Zusätzlich zu den von "Rheingold1876" (Beiträge Nrn. 38 und 39) genannten TV-Sendungen mit Joseph Keilberth gab es noch zwei weitere Opern-Übertragungen aus dem Nationaltheater in München, u. z.:


    "Die Meistersinger von Nürnberg" (3. Akt): Hans Sachs - Otto Wiener / Veit Pogner - Hans Hotter / Sixtus Beckmesser - Benno Kusche / Fritz Kothner - Josef Metternich / Walther von Stoltzing - Jess Thomas / David - Friedrich Lenz / Eva - Claire Watson / Magdalene - Lilian Benningsen u. a. / Der Chor der Bayerischen Staatsoper München / Chorltg.: Wolfgang Baumgart / Das Bayerische Staatsorchester München / Dirigent: Joseph Keilberth / Bühnenbild: Helmut Jürgens / Kostüme: Sophia Schröck / Inszenierung: Rudolf Hartmann / TV-Regie: Karlheinz Hundorf / Aufzeichnung der Generalprobe, gesendet im ZDF am Samstag, den 23. 11. 1963, während der 'öffentlichen' Eröffnungsvorstellung im neuen Münchner Nationaltheater.


    Dass es sich nicht um eine Live-Übertragung des ZDF handelte, geht aus zwei Details hervor. Die TV-Sendung des 3. Aktes (Schusterstube und Festwiese) begann um 20.20 Uhr, während im Rundfunk noch live die Pause zum 3. Akt mit Pausengesprächen überbrückt wurde. Außerdem gab es in der Aufführung am 23. 11. während des "Preisliedes" im 3. Akt einen Zwischenfall: für 20 Sekunden fiel die Hauptsicherung der Beleuchtung aus, nur die Notbeleuchtung war aktiviert! Jess Thomas hatte gerade die 2. Strophe beendet, das Orchester unter Joseph Keilberths Leitung spielte im Dunklen weiter. Sofort wurde das Publikum unruhig, denn einen Tag vorher war J. F. Kennedy ermordet worden - man hatte zu seinem Gedächtnis vor dieser "Meistersinger"-Vorstellung die amerikanische National-Hymne gespielt. (Was die Zuschauer nicht ahnten: am Vormittag hatte es sogar eine Bombendrohung gegen diese Festaufführung gegeben!) Ich habe auf Video den Mitschnitt dieses "Preisliedes" - von einem Lichtausfall ist nichts zu sehen! Auch die von 'Eurodisc' noch zu Weihnachten 1963 herausgegebene Schallplatten-Aufnahme ist de facto der Mitschnitt der Generalprobe, wurde aber als Mitschnitt der Eröffnungsvorstellung vom 23. 11. beworben. (Übrigens war auch der 2. Akt aus "Die Frau ohne Schatten", der am 21. 11. 1963 in der ARD gezeigt wurde, eine Aufzeichnung der Generalprobe und keine Live-Sendung.)


    Im Übrigen war es 'damals' eine gängige Praxis, Opern- und Theater-Aufführungen "kalt", d. h. ohne Publikum, aufzuzeichnen. Den Zuschauern, die ja Eintritt bezahlt hatten, war es nicht zuzumuten, während der Aufführung die damals noch auf Gestellen fahrenden großen TV-Kameras auf der Bühne oder im Parkett herumfahren zu sehen. Außerdem musste die Bühne für das Fernsehen heller ausgeleuchtet werden und es wurde kein Bühnen-Makeup verwendet. Lediglich der Auftritts- und Schlussbeifall wurde live gesendet; es kam aber auch vor, dass die 'Verbeugungstour' vorab aufgezeichnet wurde und dann nicht mehr mit dem tatsächlichen Live-Applaus überein stimmte..


    "Der Rosenkavalier" (2. Akt): Sophie - Ingeborg Hallstein / Octavian - Hertha Töpper / Annina - Brigitte Fassbaender / Marianne Leitmetzerin - Annelie Waas / Baron Ochs - Kurt Böhme / Herr von Faninal - Otto Wiener / Valzacchi - Paul Kuen / Ein Notar - Josef Knapp / Der Haushofmeister bei Faninal - Karl Ostertag / Leupold - Helmut Neufeld / Mitglieder des Chors der Bayerischen Staatsoper München / Chorltg.: Wolfgang Baumgart / Das Bayerische Staatsorchester München / Dirigent: Joseph Keilberth / Bühnenbild: Helmut Jürgens / Kostüme: Sophia Schröck / Inszenierung: Rudolf Hartmann / TV-Regie: Karheinz Hundorf / Eine Aufzeichnung des Bayerischen Rundfunks aus dem Münchner Nationaltheater vom 10. 6. 1966 als Abschlussveranstaltung des 2. "Prix Jeunesse International" (Fernsehwettbewerb für Kinder- und Jugendprogramme). Von dieser Sendung habe ich eine DVD.


    Von Joseph Keilberth habe ich auch ein kleines Video-Portrait (30 Min.) von 1960, in dem zu sehen ist, wie er am Klavier mit Hertha Töpper die Habanera aus "Carmen" einstudiert. Auch wird er kurz zusammen mit seiner Frau und seinen beiden Kindern gezeigt.


    Viele Grüße!


    Carlo

  • Es ist traurig, zu kontastieren, dass der Bayerische Rundfunk all seine Schätze nicht freigiebt. Ich bin überzeugt, dass viele Opernfreunde auch heute bereit wären, für die DVDs etliche Euros aufzuwerfen!


  • Auf einen Aspekt möchte ich zurückkommen, den Stimmenliebhaber in Beitrag 55 ansprach. Die einschlägige Literatur gibt sich ziemlich schmallippig zu der Frage, warum Joseph Keilberth 1957 nach fünf erfolgereichen Festspielsommern nicht nach Bayreuth zurückgekehrt ist. Einiges ist schon gemußmaßt worden. In seiner launigen Art schildert Wolfgang Wagner in seinen Erinnerungen "Lebens-Akte" (mir liegt die Ausgabe von Knaus 1994 vor) einige erhebliche Zwistigkeiten mit Knappertbusch, der Keilberth stets "Herr Keilberg" nannte. Nach den Abendproben habe er, Wolfgang, manch nächtliche Stunde Keilberth widmen müssen, um ihm den "Knappertsbusch-Krampf" zu lösen. Dabei seien einmal sogar fünf Liter Wein geflossen mit dem Resultat, dass Keilberth sich gegen alle Widerstände ans Steuer seines Autos setzte, um noch in das berühmte Künstlerlokal "Die Eule" zu fahren. Nur die herbeigerufene Polizei habe schlimmes verhindern können. Als weniger dratische Quelle stellt sich die Wieland-Wagner-Biographie "Der Enkel" von Berndt W. Wessling (Tonger 1997 - die Abbildung ließ sich nicht größer ziehen) heraus. Keilberth sei Wieland zu wenig avantgardistisch gewesen. Seine Art zu musizieren habe ihm "überhaupt nicht zugesagt". Nach Wesslings Schilderungen "verfiel Wieland auf Adré Cluytens" und Keilberth sei "a weng" an die Seite geschoben worden", was dazu führte, dass der "Pepi" nach der Saison 1956 im Zorn vom Hügel schied und dem "Klütjens" (wie die Bayreuther den Konkurrenten nannten), das Feld überließ. "Aber auch Maestro André kam über den leicht aufbrausenden Enkel zu Fall, und so war die Dirigenten-Misere am Hügel über viiele Jahre ein Dauerzustand." Einzig "Kna" sei der "Fels in der Brandung" geblieben.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ich höre soeben Bruckners 9te mit Keilberth und stelle fest, dass das eine ganz hervorragende Aufnahme ist (auch klanglich)! Mit Sinn für die Zusammenhänge, mit großem Bogen, vor allem aber mit einer inneren Glut, die man so heute nicht mehr zu hören bekommt. Das Finale des ersten Satzes ist ein unvergleichlicher Rausch, dabei immer kontrolliert. Toll! Werde mir jetzt mehr von Keilberth besorgen müssen.
    Viele Grüße
    Christian

  • Eine weitere Zusammenfassung alter Aufnahmen von Keilberth hat Profil Edition Günter Hänssler für August angekündigt:



    Contents
    CD 1 [54.22]
    Carl Maria von WEBER (1786-1826)
    Overture - Der Freischütz
    Berliner Philharmoniker
    Recorded 1958
    Overture - Oberon
    Kölner Rundfunk-Sinfonieorchester
    Recorded 1953
    Wolfgang Amadeus MOZART (1756-1791)
    Overture - Die Zauberflöte
    Wiener Philharmoniker
    Recorded 1960 Live Salzburg
    Richard STRAUSS (1864-1949)
    Prelude - Ariadne auf Naxos
    Kölner Rundfunk-Sinfonieorchester
    Recorded 1954
    Ludwig van BEETHOVEN (1770-1827)
    Overture - Coriolan
    Overture - Fidelio
    Bamberger Symphoniker
    Recorded 1960
    Richard WAGNER (1813-1883)
    Der fliegende Holländer
    Orchester der Bayreuther Festspiele
    Recorded live 1955
    CD 2 [58.11]
    Franz SCHUBERT (1797-1828)
    Overture – Rosamunde
    Berliner Philharmoniker
    Recorded 1960 live Salzburg
    Symphony No. 8 ‘Unfinshed’
    Bamberger Symphoniker
    Recorded 1959
    Max BRUCH (1838-1920)
    Violin Concerto No. 1
    Georg Kulenkampf (violin)
    Berliner Philharmoniker
    Recorded 1941
    CD 3 [76.00]
    Max REGER (1873-1916)
    Variations and Fugue on a Theme by J.A. Hiller, Op. 100
    Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
    Recorded 1957
    4 Tone Poems after Arnold Böcklin, Op. 128
    Hugo WOLF (1860-1903)
    Serenade in G major (Italian Serenade) arranged Max Reger for chamber orchestra
    Deutsches Philharmonisches Orchester Prag
    Recorded 1940/42 (Reger & Wolf)
    CD 4 [64.19]
    Johannes BRAHMS (1833-1897)
    Symphony No. 2, Op. 73
    Berliner Philharmoniker
    Recorded 1962
    Academic Festival Overture, Op. 80
    Tragic Overture, Op. 81
    Bamberger Symphoniker
    Recorded 1952 (Op. 80) & 1957 (Op. 81)
    CD 5 [58.35]
    Robert SCHUMANN (1810-1856)
    Piano Concerto in A minor
    Anne Fischer (piano)
    Kölner Rundfunk-Sinfonieorchester
    Recorded live 1958
    Symphony No. 4, Op. 120
    Kölner Rundfunk-Sinfonieorchester
    Recorded live 1952
    CD 6 [72.24]
    Ludwig van BEETHOVEN (1770-1827)
    Symphony No. 6 ‘Pastoral’
    Bamberger Symphoniker
    Recorded 1960
    Max REGER (1873-1916)
    Variations and Fugue on a Theme by Mozart, Op. 132
    Bamberger Symphoniker
    Recorded 1957
    CD 7 [56.04]
    HANS PFITZNER (1869-1949)
    Act 1 Prelude – Palestrina
    Act 3 Prelude – Palestrina
    Deutsches Philharmonisches Orchester Prag
    Recorded 1940/42
    Piano Concerto in E flat major, Op. 31
    Rosl Schmid (piano)
    Kölner Rundfunk-Sinfonieorchester
    Recorded live 1951
    CD 8 [37.42]
    Hermann GOETZ (1840-1876)
    Overture - Der widerspenstigen Zahmung (The Taming of the Shrew)
    Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
    Recorded 1955
    Peter CORNELIUS (1824–1874)
    Overture: Der Barbier von Bagdad (The Barber of Baghdad)
    Kölner Rundfunk-Sinfonieorchester
    Recorded 1951
    Johannes BRAHMS (1833-1897)
    Hungarian Dance No. 3 in F major
    Hungarian Dance No. 10 in F major
    Hungarian Dance No. 1 in G minor
    Bamberger Symphoniker
    Recorded 1960
    Max REGER (1873-1916)
    Ballett-Suite, Op. 130
    Bamberger Symphoniker
    Recorded 1957
    CD 9 [71.26]
    Richard WAGNER (1813-1883)
    Act 1 Prelude - Lohengrin
    Act 3 Prelude - Lohengrin
    Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
    Recorded 1957
    Overture - Tannhäuser
    Act 3 Prelude – Tannhäuser
    Orchester der Bayreuther Festspiele
    Recorded live 1954
    Act 1, Prelude - Die Meistersinger von Nürnberg
    Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
    Recorded 1957
    Ride of the Valkyries - Die Walküre
    Act 1, Prelude – Siegfried
    Act 2, Prelude - Siegfried
    Siegfried’s Funeral March - Götterdämmerung
    Orchester der Bayreuther Festspiele
    Recorded live 1953
    CD 10 [60.21]
    Anton BRUCKNER (1824-1896)
    Symphony No. 9 [60.17]
    original version of 1894, edited Leopold Nowak (1951)
    Berliner Philharmoniker
    Recorded 1960 live Salzburg Festival

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Auf einen Aspekt möchte ich zurückkommen, den Stimmenliebhaber in Beitrag 55 ansprach. Die einschlägige Literatur gibt sich ziemlich schmallippig zu der Frage, warum Joseph Keilberth 1957 nach fünf erfolgereichen Festspielsommern nicht nach Bayreuth zurückgekehrt ist. Einiges ist schon gemußmaßt worden. In seiner launigen Art schildert Wolfgang Wagner in seinen Erinnerungen "Lebens-Akte" (mir liegt die Ausgabe von Knaus 1994 vor) einige erhebliche Zwistigkeiten mit Knappertbusch, der Keilberth stets "Herr Keilberg" nannte. Nach den Abendproben habe er, Wolfgang, manch nächtliche Stunde Keilberth widmen müssen, um ihm den "Knappertsbusch-Krampf" zu lösen. Dabei seien einmal sogar fünf Liter Wein geflossen mit dem Resultat, dass Keilberth sich gegen alle Widerstände ans Steuer seines Autos setzte, um noch in das berühmte Künstlerlokal "Die Eule" zu fahren. Nur die herbeigerufene Polizei habe schlimmes verhindern können.


    Lieber "Rheingold1876",
    vielen herzichen Dank für diese umfassende Aufklärung, die meine Vermutung in der Tat bestätigt. Den anderen von dir geschilderten Grund erkenne ich natürlich ebenso an. :hello:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Vielen lieben Dank für die sehr erhellenden Ergänzungen, lieber Rheingold.


    Keilberth sei Wieland zu wenig avantgardistisch gewesen. Seine Art zu musizieren habe ihm "überhaupt nicht zugesagt".


    Das wundert mich gleichwohl doch ziemlich. Gerade läuft hier die stürmische Ouvertüre zum "Fliegenden Holländer" aus Bayreuth 1955 in Stereo. Was für ein Dirigat! Und Wieland sollte die Genialität Keilberths wirklich verborgen geblieben sein? Eigenartig. Für meinen Begriff belegen die Tondokumente das Gegenteil.


    Es bestätigt aber indirekt auch, wie schwierig Wieland Wagner gewesen sein muss. Selbst Kna, der "Fels in der Brandung", hätte ja beinahe einen endgültigen Rückzieher vom Grünen Hügel gemacht. Soviel ich bisher wusste, schätzte Wieland auch den Stil von Knappertsbusch nicht besonders, weil er ihm zu vorgestrig anmutete. Wieland war wohl schwer zufriedenzustellen.


    Zur Beziehung Keilberth-Knappertsbusch noch etwas: Als 1963 das Münchner Nationaltheater wiedereröffnet wurde, war sich Kna nicht zu schade, bloß die Beethoven-Ouvertüre "Die Weihe des Hauses" zu dirigieren, während Keilberth das "Meistersinger"-Dirigat überlassen werden musste, er war schließlich der neue GMD (auch wenn Kna eigentlich GMD "auf Lebenszeit" war).

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Das wundert mich gleichwohl doch ziemlich. Gerade läuft hier die stürmische Ouvertüre zum "Fliegenden Holländer" aus Bayreuth 1955 in Stereo. Was für ein Dirigat! Und Wieland sollte die Genialität Keilberths wirklich verborgen geblieben sein? Eigenartig. Für meinen Begriff belegen die Tondokumente das Gegenteil.


    Lieber Joseph, auch ich habe dieser Tage oft Wagner mit Keilberth gehört und bin ob der Dramatik und des Sogs seiner Interpretation ebenfalls völlig hingerissen. Er zieht einen wirklich mit Wucht hinein. Vielleicht ist es ja genau das, was Wieland irritierte - dieses Hingerissensein. Er wollte es wohl am Ende doch analytischer und etwas kühler. Deshalb hatte er sich ja auch viel von Cluytens und von Markewitsch, der nicht antreten konnte in Bayreuth, versprochen.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Sehr sympathisch: Joseph Keilberth kommt selbst zu Wort ("Das musikalische Selbstporträt", NDR 1963).


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ganz herzlichen Dank, lieber Joseph II., für das Keilberth-Video. Ich habe es mit großem Interesse angeschaut.


    Mir war zwar bekannt, daß Joseph Keilberth bis 1945 in Prag das Deutsche Philharmonische Orchester geleitet hat, aber die Umstände seiner Inhaftierung und Überstellung nach Sachsen waren mir nicht geläufig. Die NDR-Sendung von 1963, der das Video entnommen ist, habe ich wohl verpaßt, sonst wäre mir das bestimmt im Gedächtnis geblieben.
    Immerhin hatte der Dirigent das Glück, die meisten seiner ehemaligen Prager Musiker in Bamberg wiederzusehen und dort das neu gegründete Orchester der Bamberger Symphoniker zu leiten, das sich zum Großteil aus Mitgliedern der früheren Prager deutschen Philharmonie zusammensetzte. Seine Zeit in Dresden von 1945 bis 1950 hat er als prägend beschrieben, vor allem, daß er das Glück hatte, die berühmte Staatskapelle übernehmen zu dürfen.


    LG, Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Auch ich bin froh, dass Joseph dieses Dokument gefunden hat. Mir ist es von dieser wunderbaren Edition her seit Jahren bekannt, die eine Bonus-DVD enthält:



    Die Verbreitung auf YouTube bezieht sich darauf. Allerdings ist im Booklet 1968 als Aufnahmejahr dieses "Musikalischen Selbstportraits" beim NDR angegeben. Es ist Keilberths Sterbejahr. Die komplette Fassung kenne ich leider auch nicht. Ich habe zwar etliche dieser Sendungen beisammen, Keilberth ist nicht darunter.


    Die ersten fünfzig Teile dieser seinerzeit beliebten Sendereihe sind in diesem Buch vom Tonband zu Papier gebracht worden:



    Dennoch höre ich diese Portraits lieber als dass ich sie lesen, zumal in die originalen Sendungen auch reichlich Musik eingebaut war. Die Titel sind in dem Buch als Anhang genau aufgelistet. Erschienen ist es 1963 beim Nannen-Verlag Hamburg. Keilberth konnte also noch nicht dabei sein. Ich möchte das Buch, das es sehr günstig bei allen möglichen Abietern im Netz (ZVAB, Booklooker etc.) antiquarisch gibt, wärmstens empfehlen - auch ohne Keilberth.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Also schönen Dank für die Wiederbelebung dieses Threads. Joseph Keilberth war mir bisher nur dem Namen nach bekannt. Auch im Tamino-Dauerbrenner WHIGJ habe ich Keilberth bisher nicht wahrgenommen. Jetzt aber bin ich doch interessiert und habe mir in der jpc-portofrei Aktion erstmal das bestellt:

    Der Bruckner ist ja hier hoch gelobt worden. Da sollte ich nichts falsch gemacht haben.
    :hello:

    Wenn schon nicht HIP, dann wenigstens TOP

  • 22916594831.jpgDem guten Rat von Carlo folgend, habe ich mich zur Anschaffung des Buches "Joseph Keilberth - Ein Dirigentenleben im XX. Jahrhundert" entschlossen. Autor ist dessen Sohn Thomas Keilberth, der auf die persönlichen Tagebücher des Vaters zurückgreifen konnte. Erschienen ist das umfängliche Buch mit großem Apparat - darunter Phonographie, die seine amtlichen Rundfunkproduktionen auflistet, und Diskographie - bei Apollon Musikoffizin Austria. Es ist großformatig, mit vielen Bildern ausgestattet und umfasst 794 Seiten. Es ist seinen Preis mehr als wert. Ob ich das Buch jetzt von vorn bis hinten durchlese, weiß ich noch nicht. Es bietet sich aus meiner ersten Sicht als eine Dokumentation an, in der man nach Herzenlust oder ganz gezielt blättern und suchen kann. Dabei ist der erwähnte Apparat hilfreich und anregend zugleich. Der Hinweis im Untertitel auf das XX. Jahrhundert ist insofern gerechtfertigt, weil Keilberth nicht vereinzelt erscheint sondern als ein Akteur in einer musikalisch besonders fruchtbringenden Epoche. Zunächst habe ich mich heute, gleich nach Eintreffen des Buches, für drei Stunden darüber hergemacht. Es wird vorerst in Reichweie bleiben. Das Buch hatte der Threadstarter 2008 als Ausgangspunkt genommen. So lange ist es schon auf dem Markt.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent