Der Musiker Gräber

  • Lieber Stimmenliebhaber,
    hab´ besten Dank für Deine ins Detail gehenden Ergänzungen, die sicher auch für Mitlesende interessant sind. Du hast natürlich schon seit Jahren den Vorteil ganz nahe an diesen Geschehnissen dran zu sein, aber diese exakten Daten und Fakten wollen ja auch erst einmal festgehalten werden, nun hast Du mal wieder eine Bestätigung, dass so etwas ab und an auch seine praktische Anwendung findet und verwendet werden kann.


  • Zum heutigen Todestag von Wilhelm Kempff



    Wilhelm Friedrich Walter Kempff wurde als viertes Kind seiner Eltern im Brandenburgischen Jüterbog geboren, das etwa hundert Kilometer südlich von Berlin liegt; damals ein Ort von etwas mehr als siebentausend Einwohnern.
    Wilhelm Kempff ist der Sohn einer Bauerntochter, die einen Organisten geheiratet hatte, die Eltern wohnten in einem früheren Franziskanerkloster.
    1899 zog die Familie von Jüterbog nach der preußischen Residenzstadt Potsdam, wo Vater Kempff an die Nikolaikirche als Organist und Kantor berufen wurde. Natürlich war der Bub ständig von Musik umgeben; der Vater notierte den ersten Kompositionsversuch seines Sprösslings, da zähltr der Knabe gerade mal fünfeinhalb Lenze.
    Nach dem ersten väterlichen Klavierunterricht übernahm dann eine erfahrene Klavierpädagogin den weiteren Klavierunterricht des Jungen. Im Alter von sechs Jahren gab das »Wunderkind« sein erstes öffentliches Konzert; er führte Mozarts C-Dur-Sonate auf.
    Neben der Begabung für das Klavier besaß er auch einen schönen Knabensopran, sodass er zusammen mit seinem älteren Bruder Mitglied des liturgischen Chores wurde und lernte auf diese Weise auch die alten Meister wie zum Beispiel Orlando die Lasso kennen.
    Bald weihte ihn sein Vater auch ins Orgelspiel ein, wo Kempff Junior erstmals im Alter von neun Jahren öffentlich in Erscheinung trat.
    Als sich die ersten Kompositionen des Sohnes erweitert hatten, nahm der Vater Kontakt mit der Berliner Singakademie auf, wo der Direktor vom Leistungsvermögendes Kleinen so beeindruckt war, dass er sich bereit erklärte, ihm den Weg zur Musikhochschule zu ebnen. Dort erklärte der große Joachim, Direktor des Instituts, dass man an der Hochschule keine Kinder aufnehmen wolle, aber es fand sich ein Weg den hochbegabten Jung-Musikus privat zu unterrichten, eine wohlhabende jüdische Familie kam für die Kosten der Ausbildung auf. Von Robert Kahn wurde er in Komposition unterrichtet, für den Klavierunterricht war Heinrich Barth zuständig. Letzterer nahm die pianistische Ausbildung so wichtig, dass er darauf drängte, die gymnasiale Ausbildung zugunsten des Klavierspiels aufzugeben und stellte dem Vater das Ultimatum: »Pianist oder Gymnasiast!
    Man trennte sich schweren Herzens; der schulischen Ausbildung wurde Priorität eingeräumt, aber man verlor natürlich die musikalischen Aspekte nicht aus den Augen und besuchte viele Konzerte hervorragender Interpreten, zum Beispiel eines von Eugen d´Albert im Februar1912, das in dem jungen Kempff ein nie mehr erlöschendes Feuer entfachte.
    In dieser Zeit kam auch ein Kontakt mit Busoni zustande, was bedeutet, dass Vater Kempff mit Professor Busoni einen Vorspieltermin für seinen Sohn vereinbarte.


    Im Frühjahr 1914 legte Wilhelm Kempff sein Abitur ab, wobei das Procedere den Schönheitsfehler hatte, dass der Prüfling im Fach Mathematik ein leeres Blatt abgab, weil er keine Lösungsmöglichkeit sah. Aber das Lehrerkollegium fand in Anbetracht seiner außerordentlichen musikalischen Leistungen, die er während seiner Gymnasialzeit erbrachte, eine Möglichkeit ihm die Reife zu bestätigen.
    Also stand einer Anmeldung an der Berliner Musikhochschule nichts mehr im Wege, wo es zu einer Weiterentwicklung des durch die Gymnasialzeit unterbrochenen Unterrichts bei Heinrich Barth kam. Zu dieser Zeit saß auch der sechzehnjährige Geiger Georg Kuhlenkampff im Schulorchester, schon dort spielten die beiden Jungmusiker Schuberts Phantasie op. 159.
    Inzwischen waren Kriegszeiten angebrochen und Kempff und Kuhlenkampff begaben sich zur Westfront, um dort in Kathedralen - das erste Konzert war in Laon - aber auch in Theatern, Kinos und sogar Scheunen zu spielen.


    So ganz allmählich machte sich der junge Kempff auch außerhalb der Hochschule einen Namen, den man an den Anschlagsäulen lesen konnte und der aufstrebende Pianist konnte in der Presse häufig positive Kritiken seiner Konzerte lesen; im Dezember 1916 hatte er seinen ersten Auftritt in der Reihe »Populäre Konzerte« in der Philharmonie mit dem Philharmonischen Orchester.


    Noch bevor Kempff sein Musikstudium beendet hatte, musste er im Januar 1917 als Landsturmmann seinen Militärdienst antreten.
    In dieser Zeit erreichte ihn an seinem Dienstort ein Telegramm, welches ankündigte, dass sein Vorspiel zu Kleists »Hermannsschlacht« im Berliner Beethovensaal uraufgeführt werden soll.
    Dabei kam es jedoch zu einigen Querelen, weil man von Kempff verlangte, sich an den Konzertkosten zu beteiligen, was dieser ablehnte. Es gab einiges Hin und Her, aber am 13. Januar 1917 konnte das Werk dann doch, zusammen mit Werken anderer junger Komponisten, aus der Taufe gehoben werden. Während die Komponisten-Kollegen zumindest einen Achtungserfolg verbuchen konnten, fiel Kempffs Werk mit Pauken und Trompeten durch; es gab da einige Missgeschicke, die dafür sorgten, dass die Aufführung zwar ein außergewöhnlicher Heiterkeitserfolg wurde, aber auf breiter Linie hat man das Werk als Komposition nicht anerkannt und Heinrich Barth schimpfte, weil sein ehemaliger Zögling nicht konsequent den Weg eines Klaviervirtuosen verfolgte. Barth meinte:


    »Warum musst du solch scheußliche Musik schreiben, wo du doch ganz passabel Klavier spielst? Überhaupt diese ewige Irrlichterei von einem zum anderen, vom Klavier zur Orgel und in einem Satz womöglich mit fliegenden Frackschwänzen zum Dirigentenpult; pass bloß auf, dass du nicht ein zweiter Bülow wirst!«


    Als Soldat taugte Kempff nicht viel; als man das bemerkte, wurde er zum Postdienst versetzt, und weil die Pferde im Krieg gebraucht wurden, musste der verhinderte Held den Postwagen durch Berlin ziehen. Aber immer wieder ergaben sich Gelegenheiten des Musizierens.
    In den letzten Wochen der Kriegswirren wurde dem Berliner Domchor zum dritten Male die Erlaubnis erteilt mit dem Solisten Wilhelm Kempff eine Tournee durch Schweden zu machen, noch am 29. September 1918 spielte er an der großen Domorgel in Uppsala, als in anderen Gegenden Europas der Krieg tobte. Mitte Oktober bestritt Kempff in Berlin zum ersten Mal einen Bach-Abend als Pianist und Organist.
    1919 folgte seine vierte Skandinavienreise, diesmal ohne Domchor, aber mit seinem Vater. Elly Ney, die auch hier weilte, schrieb nach Hause: »Einer namens Kempff hat alles ausverkauft«, das klingt so als sei ihr der Name damals noch nicht geläufig gewesen.
    Aber dieser machte schon 1920 seine ersten Schallplattenaufnahmen bei Polydor, denen dann noch viele in den nächsten sechs Jahrzehnten folgten; Kempffs letzte Schallplattenaufnahme entsteht 1980mit Praeludien und Fugen aus Bachs »Wohltemperiertes Klavier« I und II.


    1924 übernahm Kempff die Leitung der Stuttgarter Musikhochschule; die Stuttgarter wollten nicht nur einen lehrenden Professor haben, sondern jemanden der noch aktuell auf internationalen Konzertpodien agiert und sich dort beweisen muss. Bei seiner Berufung war Kempff 28 Jahre alt und demnach der jüngste Hochschuldirektor in Deutschland. Er hatte hier nur an zwei Tagen Unterrichtsverpflichtungen, so dass ihm noch ausreichend Zeit blieb seiner Konzerttätigkeit nachzugehen. Nach fünf Jahren wollte Kempff seine Stuttgarter Tätigkeit aufgeben; man bot ihm traumhafte Konditionen, aber er strebte nach voller Freiheit, verließ Stuttgart in aller Freundschaft und ging nach Potsdam zurück.


    1926 hatte Wilhelm Kempff seine Klavierschülerin Helene Freiin Hiller von Gertringen geheiratet, die Hochzeit fand im Berliner Dom statt. Die junge Familie wohnte in Stuttgart, Kräherwald.
    Dem Paar wurden zwei Söhne und fünf Töchter geboren und man konnte noch die Goldene Hochzeit feiern.
    Als im Februar 1945 immer klarer wurde, dass es mit dem propagierten »Endsieg« wohl nichts mehr werden wird, verließ die Familie Kempff Potsdam in Richtung Oberfranken, wo sie im Schloss Thurnau Unterschlupf fand; es war das Schloss der Familie seiner Frau, nun hatte man für etwas mehr als zehn Jahre hier seinen Wohnsitz.
    Im Dezember 1955 bezog die Familie Kempff ihr eigenes Heim in Ammerland am Starnberger See, es war ein Isartaler Haus.


    Wenn man sagt, dass Wilhelm Kempff soundso lang irgendwo wohnte, dann kann das nicht die ganze Wahrheit sein; zählt man nämlich die Anzahl seiner Auftritte zusammen und verfolgt seine Konzertreisen auf einem Globus, wird klar, dass dieser Mann eher selten zu Hause anzutreffen war.
    Kempff war schon in seinen jungen Jahren ein gefragter Mann, bereits 1927 traf er sich in der Türkei mit Staatspräsident Atatürk, um die türkische Regierung zu beraten, welche Musiker an die neugegründete Musikhochschule nach Ankara berufen werden sollen; man gab zu Ehren Kempffs in der Präsidentenvilla ein Abendessen das bis 23 Uhr dauerte. Nachdem alle anderen Gäste das Haus verlassen hatten, bat Atatürk den deutschen Gast in sein Arbeitszimmer. Bei dem Gespräch legte Atatürk seine Meinung dar, dass bei der Modernisierung der Türkei die westliche Musik eine wesentliche Rolle spielen müsse, da sonst die übrigen Reformen nicht vollständig sein könnten. Konkret fragte der Staatspräsident:
    »Wie können wir die klassische Musik verbreiten? Welche Schulen oder Institutionen müssen wir gründen? Welche bedeutenden Künstler und Musikwissenschaftler sollen eingeladen werden, um dazu die Grundsteine zu legen?«
    Das Gespräch dauerte immerhin bis morgens vier Uhr. Kempff empfahl zunächst, dass man Furtwängler mit dieser Entwicklungsarbeit betraut, aber der konnte aus Zeitgründen diesen Job nicht annehmen, so dass Paul Hindemith letztendlich in dieser Sache tätig wurde.
    Wilhelm Kempff weilte insgesamt fünfmal in verschiedenen Jahren in der Türkei, letztmals 1950.


    Seine erste Konzertreise nach Südamerika - das war 1934 - unternimmt Kempff als Ehrengast von Hugo Eckner mit dem Luftschiff »Graf Zeppelin«; er konzertiert in Argentinien, Uruguay und Brasilien - 1951 findet man in seinem Terminkalender die fünfte Südamerikareise und 1964 gibt er Konzerte in Mexiko und am Teatro Colón in Buenos Aires. Erstaunlicherweise gibt er erst 1964 sein Debüt in den USA bei einem Konzert in der Carnegie Hall New York.


    Die erste Japanreise absolvierte Kempff bereits 1936 und seine Reisetätigkeit in das Land der aufgehenden Sonne endet erst 1979 mit seiner zehnten Reise die er nach Japan macht.
    Als Kempff zum ersten Mal nach Japan kam, waren seine Beethoven-Schallplatteneinspielungen schon so weit im Land verbreitet, dass man ihm einen begeisterten Empfang bereitete; auf der Woge dieser Begeisterung erhielt sogar eine kleine Insel den Namen »Kempu-san«.
    Im Zusammenhang mit Kempffs Reisen ist noch zu erwähnen, dass er immer leidenschaftlich fotografierte, wenn er unterwegs war.
    Als 1945 die GIs nach Schloss Thurnau kamen und ihm eröffneten, dass er von jetzt an das Verbot habe öffentlich Klavier zu spielen (Kempff war kein Parteimitglied gewesen), antwortete Kempff: »In diesem Fall werde ich fotografieren und davon leben, weil ich ein ausgezeichneter Fotograf bin.«


    Es ist in diesem Rahmen einfach nicht möglich, auf alle Aktivitäten Kempffs einzugehen; er war auf fast allen bedeutenden Festivals und den bedeutenden Musikzentren der Welt zu hören, aber zum Beispiel auch an Orten wie dem Kloster Alpirsbach, wo er mir Albert Schweitzer musizierte. Seine Konzertpartner sind Legende ...
    Wenn der Name Wilhelm Kempff erwähnt wird, assoziiert man in aller Regel den Begriff Pianist, aber neben all diesen überaus zahlreichen weltweiten Konzertauftritten entstanden noch eine Menge Kompositionen. Das waren Opern, Lieder, Orchesterwerke, Kammermusik und natürlich auch Klaviermusik.


    Noch mit 85 Jahren absolvierte Kempff öffentliche Konzerte. Die in Bielefeld erscheinende »Neue Westfälische« schrieb damals:


    »Für den hochbetagten Pianisten war offensichtlich das Klavier ein Jungbrunnen ... und nun ist auch Wilhelm Kempff 85 Jahre alt und spielt noch immer. Sein Gang zum Flügel ist nicht mehr ganz so schwebend und schnell. Aber wie eh und je genügen wenige Sekunden der Konzentration. Die Faszination des Hörers fängt schon bei den ersten Takten an. Kempff spielt sich nicht ein. Er beginnt jetzt noch jedes Konzert so gelöst, als spiele er für sich selber. Im Schwung der Emotion geht ihm nun etwas öfter die Perfektion der Technik verloren - es gibt brillantere Klavierspieler - , aber Noten waren für ihn immer nur ärmliche Behelfszeichen, die gar nicht in der Lage sind, das auszudrücken, was Beethoven erlebt hat. Die Partitur ist für Kempff nichts Absolutes. Kempf hat kleine, zarte Hände, und so verbietet sich physisch das Tastendonnern. Die leisen Töne vor allem sind sein Feld, ohne das geringste Zugeständnis an den Effekt.«


    Eine ganz bedeutende Sache im Leben des Wilhelm Kempff waren die Meisterkurse im italienischen Positano. Bereits auf seiner Hochzeitsreise nach Sorrent hatte Kempff diesen Ort kennen gelernt; nun kam es etwas mehr als drei Jahrzehnten später hier 1957 zur Gründung der »Fondazione Culturale Orfeo«, einer Schweizer Stiftung, die für den Erhalt der »Casa Orfeo« sorgte und die alljährliche Durchführung der Beethoven-Kurse organisierte.
    Kempff hatte hier eine schon in seiner Potsdamer Zeit verwirklichte Idee wieder aufleben lassen, denn schon dort hatte er einen kleinen Kreis von ausgewählten jungen Pianisten unterrichtet, und schon dort gab es - wie in Positano auch - einen wunderschönen Garten.
    Die »Fondazione Culturale Orfeo« stiftete einen Preis, der es zwei Wochen lang jungen Pianisten ermöglichte, kostenlos an den Beethoven-Interpretationskursen teilzunehmen. Lediglich die Kosten für Anreise und Unterkunft mussten die Teilnehmer selbst tragen.
    Jeder konnte da nicht kommen; die Teilnehmerzahl war auf 15 begrenzt und für die Bewerber bestand die Bedingung, dass sie schon in eigenen Klavierabenden aufgetreten waren und einige Klaviersonaten aus den drei Schaffensperioden Beethovens beherrschen.
    Im Juni 1984 hat in Positano Kempffs letzter Kurs stattgefunden; im Januar 1986 übersiedelte Kempff auf Anraten seiner Ärzte ganz nach Positano, einen Monat später starb seine Frau Helene in einer Klinik am Starnberger See.
    In den Nachmittagsstunden des 23. Mai 1991 starb Wilhelm Kempf in der »Casa Orfeo«; unmittelbar nach seinem Tod trat er seine letzte Reise nach Schloss Wernstein in Oberfranken an, wo er in der Halle der Burg aufgebahrt wurde. In der Nähe des Schlosses hat die Familie der Freiherren von Künssberg einen privaten Waldfriedhof, auf dem auch Wilhelm Kempffs Mutter und seine Frau ihre letzte Ruhe gefunden hatten - hier ruht nun auch einer der letzten Vertreter der Musiktradition des ausgehenden 19. Jahrhunderts.


    Praktische Hinweise:
    Schloss Wernstein liegt in 95336 Markt Mainleus, es handelt sich hier um den Zusammenschluss vieler früher selbständiger Gemeinden.
    Der private Waldfriedhof befindet sich in einiger Entfernung vom Schloss. Der Weg dorthin führt vom Schlosseingang aus nach links Richtung Schmeilsdorf (Fahrstraße). Als Fußgänger folgt man dieser Straße etwa 150 Meter und nimmt dann den nächstmöglichen Feldweg, der nach rechts in den Wald führt.



    Ein des Weges kommender Wanderer vermutet hinter dieser Einzäunung wohl kaum einen Friedhof ...



    Teilansicht von Schloss Wernstein


  • Zum heutigen Todestag von Paul Sacher



    Paul kam zwei Monate zu früh zur Welt und beinahe wäre aus dem Frühstarter ein Kurt geworden, denn diesen Namen hatte seine Mutter für ihren Erstgeborenen ausgesucht, aber dem Kindesvater klang dieser Name zu Deutsch, auf dem Weg zum Standesamt beschloss er eigenmächtig seinen Sohn als Paul Oswald Sacher eintragen zu lassen, weil er zu der Ansicht gelangt war, dass Paul sich in Französisch und Englisch besser aussprechen lässt.
    Dieser Vorgang ist unter dem Aspekt besonders beachtlich, dass Anny Sacher in dieser Ehe »die Hosen anhatte«, wie man landläufig zu sagen pflegt.
    Anny Sacher hatte das Schneiderhandwerk erlernt und nahm gezielt eine Stelle in Fribourg an, um dort ordentlich Französisch zu lernen, danach ging sie für einige Zeit als Kindermädchen nach England. Krankheitsbedingt kehrte sie in die Schweiz zurück, wo sie Oswald August Sacher, Pauls Vater, kennen lernte, was bei Annys Vater keine Freude auslöste denn der tobte:
    »Bisch e schöni Chueh! Jetz bisch achtezwanzig und hesch de Ärmschti gnoh.« (Du bist eine schöne Kuh! Jetzt bist du achtundzwanzig und hast die den Ärmsten ausgesucht).
    Pauls Vater war Speditionskaufmann und hatte durchaus Anlagen etwas in seinem Beruf zu werden, aber absolut keinen Ehrgeiz. Vorerst trug Anny Sacher mit ihrem eigenen Schneideratelier zum Familieneinkommen bei. Anny war äußerst geschäftstüchtig und hatte inzwischen einige Näherinnen angestellt, aber für den kleinen Paul hatte sie kaum Zeit.
    1912 kam Pauls Schwesterchen Nelly zur Welt, was für Paul bedeutete, dass sich seine Großmutter nun verstärkt der Kleinen zuwandte und seine Mutter hatte nach wie vor keine Zeit, aber sie bot ihm die bestmöglichen Bedingungen, dass er lernen konnte.
    Paul zog sich zurück und erschuf sich seine eigene Welt, er war sechs Jahre alt und hatte zur Musik noch keinerlei Bezug, denn seine Eltern verfügten weder über Radio noch Grammophon; sie gingen auch nicht in Konzerte; die Kammermusiksoirées gehörten nicht zum Arbeiterklassenleben der Sachers. Der erwachsene Paul Sacher sagte einmal ironisch: »Es gab keine erbliche Belastung«.


    Dennoch hatte er einmal die Bach-Passionen im Basler Münster gehört, die ihn beeindruckten und irgendwie sehnte sich das Kind nach Musik und es entstand der Wunsch nach einer Geige, die er zu seinem sechsten Geburtstag erhielt; eine wohlhabende Tante bezahlte den Geigenunterricht, der bei einem Violinisten aus dem städtischen Symphonieorchester stattfand.
    Paul fand den Klang des Instruments faszinierend, aber schon im Kindesalter war ihm klar geworden, dass er nie ein Violinvirtuose werden wird. Mit sechs Jahren wurde er eingeschult, die Mitschüler waren schon sieben und die Klassenstärke betrug so um die fünfzig Schüler.
    Als Paul lesen konnte, tat sich für ihn eine neue Welt auf; wie er sich erinnerte, störten jetzt die Erwachsenen nur noch.
    Dann störte der Beginn des Ersten Weltkriegs, von Basel aus konnte man sehen und hören wie sich Deutsche und Franzosen bekriegten; da war auch die Lebensqualität der Schweizer erheblich eingeschränkt, aber Anny sorgte stets dafür, dass ihre Familie nicht hungern musste.
    Einen tiefen Einschnitt in die familiären Verhältnisse gab es, als Pauls Vater - praktisch über Nacht - urplötzlich religiös wurde und niemand wusste, was der Auslöser dazu war; er sprach nun stundenlange Tischgebete; der Erwachsene Paul Sacher vermutete bei der Sacher-Linie einen Hang zur Depression.


    Nachdem Paul im Frühjahr 1916 die Primarschule verlassen hatte, musste entschieden werden, welche weiterführende Schule er nun besucht. Die Mutter befürchtete, dass ihr Sohn danach strebt Geiger zu werden, was sie für brotlose Kunst hielt und als Paul sagte, dass er eigentlich eher daran denke Dirigent zu werden, war Anny eher noch mehr beunruhigt.


    Für Paul gab es da keine Wahlmöglichkeiten aus den drei angebotenen Schultypen etwas herauszusuchen, das entschied nämlich Anny; es war die von ihm am wenigsten geliebte auf Naturwissenschaften und Mathematik spezialisierte Realschule, die von Jungs besucht wurde, die Ingenieure und Wissenschaftler werden wollten.
    Paul Sacher war ein erfolgreicher Schüler und brachte überdurchschnittlich gute Zeugnisse nach Hause, erhielt aber von seiner Mutter deswegen kein Lob, sie meinte, dass man seine Sache gut macht sei selbstverständlich.
    Seinen täglichen schulischen Pflichten entledigte er sich möglichst rasch, um sich noch der Geige zuzuwenden und pro Tag ein Buch zu lesen.


    Nelly, Pauls Schwester, bekam, als der Krieg zu Ende war, ein Klavier, aber Paul dachte nicht daran auch darauf zu spielen. Er empfand das Klavier als ein schreckliches Instrument, weil es aus seiner Sicht keinen noblen und schönen Klang hat - viel schöner empfand er Orgel oder Cembalo. Ihm war bewusst, dass ein Dirigent eigentlich Klavierspielen können muss; er hätte ja ohne diese Kenntnisse an keinem Theater arbeiten können, aber Sacher fand einen Weg ...


    Als Sechzehnjähriger konnte er seinen Wunsch klar artikulieren; er wollte Dirigent werden. Während seiner Schulzeit hatte er nur wenig Musik gehört, weil diese damals ja nicht so einfach zugänglich war, wie das heute der Fall ist. Deshalb machte er sich zwei Jahre vor seinem gymnasialen Abschluss auf die Suche nach jemand, der ihm weiterhelfen konnte. Sacher wandte sich an den Basler Komponisten und Lehrer für Musiktheorie Rudolf Moser.
    Zwei Jahre lang erteilte ihm Moser Unterricht, trainierte sein musikalisches Gehör und unterwies ihn in Kontrapunkt und Harmonielehre. Ganz billig waren Mosers Stunden nicht zu haben, also betätigte sich Paul Sacher ebenfalls pädagogisch und erteilte Nachhilfeunterricht.


    Im Frühjahr 1924 wurde bei Sacher Tuberkulose festgestellt, während seiner gesamten Kindheit hatte er an Atemwegserkrankungen gelitten; ein Kuraufenthalt in Arosa wurde notwendig. Das Heimleiter-Ehepaar hatte drei Töchter, prompt verliebte er sich in Lili ... und binnen kurzer Zeit wurde er zum Mittelpunkt. Er hielt Lesungen bei Kerzenschein und gründete ein kleines Orchester.
    Auch an seiner Schule gründete er zwei Jahre vor der Matura ein Orchester; schlagartig war sein Name an der Schule ein Begriff. Im Herbst 1922 begannen die Proben; am 10. November war das erste Konzert mit anspruchsvollem Programm. Wer im eleganten Saal des Restaurants »Zur Post« dabei sein wollte, musste 1,10 Franken berappen, das war der doppelte Preis einer Kinokarte. Das Konzert war ausverkauft. Es gab danach noch zwei Konzerte. Irgendjemandem war es gelungen sogar einen Kritiker der weitverbreiteten »Neuen Basler Zeitung« zu einem dieser Konzerte zu locken - dieser schrieb:


    »Herr Sacher ist mit Ernst bei seiner Aufgabe und hat seine Spieler fest in der Hand. Die Disziplin war gut, die Intonation rein, und aus allem spürte man das rassige, frische Temperament des Dirigenten.«


    1924 hatte Paul Sacher seine Matura in der Tasche und konnte sich an der Basler Universität einschreiben. Die Grundlage seiner Studien bildete zwar die Musikwissenschaft, aber der junge Student belegte dazu noch viele andere Fächer und besuchte auch Vorlesungen in Geschichte, Nationalökonomie und Jura. Er studierte sein Hauptfach durchaus mit Interesse, machte aber nie einen Abschluss.
    Zur Begründung gab er an, dass dies am Dissertationsthema lag, das ihm sein Professor gegeben hatte: »Das oder jenes über Beethoven«; das Thema der Dissertation berührte in einfach nicht.
    Sacher hatte sich gleichzeitig am Basler Konservatorium eingeschrieben und spielte dort im Schülerorchester Geige.


    Felix Weingartner, Liszt-Schüler und der Nachfolger Gustav Mahlers an der Wiener Hofoper, kreuzte nun auf seine alten Tage in Basel auf. Wenn er Meisterkurse gab, kamen die Leute aus der ganzen Welt, um daran teilzunehmen. Einer der Teilnehmer war natürlich der »dirigiersüchtige« Sacher. Aber so einfach war das nicht zu bewältigen, denn wer an diesen Kursen teilnahm musste Klavier spielen können. Auf die Problematik wurde schon hingewiesen; so gesehen musste Sacher eigentlich außen vor bleiben, denn die Kursteilnehmer mussten aus der Partitur spielen können. Aber Weingartner hatte von den Bemühungen des jungen Mannes um die moderne Musik gehört und ließ ihn deshalb seinen Dirigentenkursen beiwohnen. Leute, die Sacher näher kannten, glaubten, dass er sich da einiges bei Weingartner abgeschaut hat, was Sacher jedoch nicht gelten lassen wollte.


    Mit einem großen Orchester konnte Sacher eigentlich nichts Rechtes anfangen, er brauchte ein intimeres Orchester in der Größe, für die Paul Hindemith und Arnold Schönberg schon Sachen komponiert hatten. Heute ist das eine ganz andere Musiklandschaft als damals, unsere Zeit kennt eine Vielzahl von Kammerorchestern, das gab es so nicht und Sacher war zu der Ansicht gelangt, dass man so etwas neu erschaffen müsse.
    Zwar hatte sich sein Klassenorchester am Ende der Schulzeit aufgelöst, aber einige seiner Ehemaligen waren durchaus gewillt unter seinem Dirigat weiterzumachen. Auf der Suche nach zusätzlichen Instrumentalisten lernte er Annie Tschopp kennen, die nur wenige Monate jünger war als Paul Sacher. Die junge Dame hatte auf der Töchterschule in Basel ebenfalls ein Klassenorchester geleitet und wollte dieses erhalten.
    Ende August 1925 konstituierte sich das Orchester junger Basler als Verein. Annie Tschopp hatte einen anderen familiären Hintergrund als Sacher, sie bewohnte in ihrem Elternhaus, das fünf Stockwerke hoch war, eigene Räume. Familie Tschopp verkehrte in einem gehobenen Milieu, was Annie, die ebenfalls der zeitgenössischen Musik nahe stand, die Möglichkeit gab in diesen Kreisen entsprechend zu werben.
    Der 4. November 1926 war das Gründungsdatum des Basler Kammerorchesters. Die Sache war gründlich vorbereitet, der Presse wurden entsprechende Informationen anhand gegeben.
    Das Orchester hatte sich gegründet, um zeitgenössische und frühe Musik aufzuführen.
    Aber wenn Bach, Mozart, Haydn oder Händel auf dem Programm standen, hat Sacher immer unbekannte Sachen dieser Komponisten ausgewählt, er suchte stets die vergessenen Stücke.
    Sacher sah, dass die Konzentration der üblichen Orchesterprogramme auf die Musik des 19. Jahrhunderts den Komponisten seiner Ära nur wenige Chancen boten aufgeführt zu werden.
    Im Januar 1927 trat das Basler Kammerorchester in der Martinskirche zu Basel erstmals vor die Öffentlichkeit. Der erste Programmteil war den unbekannten Stücken einiger Klassiker vorbehalten, im zweiten Teil erfolgte eine Weltpremiere, es war die »Suite für Violoncello und Kammerorchester« op. 35; der Komponist dieses Werks war Paul Sachers Lehrer Rudolf Moser. Alle Kritiken zu diesem Konzert waren positiv ausgefallen.


    Paul Sacher stand nun selbständig im Leben, aber so ganz doch nicht, denn seine Mutter beklagte sich, dass er sich zuhause wie ein Hotelbesucher verhalte.
    Als Musiker des BKO war man arm dran, alle Musiker einschließlich des Dirigenten verrichteten ihren Dienst fast zehn Jahre lang ohne Bezahlung. Aber auch wenn die Musiker kein Geld bekamen, entstanden dem Orchester Kosten. Sacher gelang es aber Leute in die Vorstandschaft zu bringen, die Geld hatten und sich großzügig zeigten.


    Aber auch der noch arme Sacher vergab schon Aufträge an Komponisten, deren Lohn bestand darin, dass das BKO die komponierten Stücke an die Öffentlichkeit brachte. Zuerst waren das nur Schweizer Komponisten, aber allmählich kamen auch Werke Fortners und Hindemiths in Basel zur Aufführung, so zum Beispiel Paul Hindemiths »Das Marienleben« und wenig später noch weitere Werke von Hindemith, bei denen dieser selbst als Bratschensolist tätig wurde.
    Zeitgenossen Sachers berichten, dass rhythmische Elemente eine ganz besondere Vorliebe Sachers waren. Dirigierte er alte Musik, so konnte man schon mal Stimmen hören, die von »eiskalt« sprachen und Sacher nur zugestanden, dass er »nichts weiter als ein Organisator« sei.
    1929 brachte Sacher zum ersten Mal Arthur Honeggers »König David« in Basel zur Aufführung, ein Riesending, bei dessen Bewältigung auch Organisationstalent gefragt war.


    Aus Gründen der Geldknappheit wurde Sacher 1925 Chordirigent; aus seiner damaligen Perspektive war die Bezahlung fürstlich, aber die Tätigkeit war ihm ein Gräuel, er fand es langweilig, mit einem Laienchor etwas einzustudieren.
    Ende der 1920er Jahre weitete das BKO seine Aktivitäten aus und konzertierte auch außerhalb der Schweizer Grenze und Sacher dirigierte 1930 das Orchestre Chambre de Lausanne in der Schweiz und das Göteborger Symphonieorchester in Schweden.


    Die Frau von Felix Weingartner hatte Paul Sacher im Sommer 1930 darum gebeten, dass das BKO auf der Geburtstagsparty ihres Mannes spielen möge. Beim Geburtstagsmenü nach dem Konzert hatte Frau Weingartner Paul Sacher so platziert, dass die Frau von Dr. Emanuel Hoffmann, Maja Hoffmann-Stehlin, zu seiner Rechten saß.
    Maja war Bildhauerin und sammelte zeitgenössische Kunst: Marc Chagall, Max Ernst, Pablo Picasso ... man kam gut ins Gespräch und es entwickelte sich eine Freundschaft zwischen Paul Sacher und den Hoffmanns, der bald regelmäßiger Gast im Lilienhof, dem feudalen Wohnsitz der Hoffmanns, war.
    Am Abend des 3. Oktober 1932 verunglückte Emanuel Hoffmann-Stehlin beim Überqueren eines Bahnübergangs tödlich, ein Zug hatte sein Auto erfasst. Als Sacher am nächsten Tag von dem Geschehen erfuhr, ging er unverzüglich zu Maja, um der Witwe beizustehen, die im Folgenden noch mehr zu ertragen hatte, nur wenige Monate nach dem Unglück erkrankte ihr dreizehnjähriger Sohn an Leukämie und starb ein Jahr nach seinem Vater.
    Im Juni 1934 heiraten Paul Sacher und Maja Hoffmann-Stehlin. Er war achtundzwanzig, sie achtunddreißig. Freunde des Paares erhielten erst kurz vor der Hochzeit eine Nachricht.
    Unmittelbar nach der Hochzeit unternahm Paul Sacher mit seiner Frau eine fast einjährige Reise, die sie um die halbe Welt führte.


    Für einige Damen in Paul Sachers bisherigem Leben war diese Nachricht eine unangenehme Überraschung, für manche sogar ein Schock. Eine ganz wichtige Person auf diesem unmusikalischen Gebiet war Romana Segantini, eine Enkelin des Schweizer Malers Giovanni Segantini. Sacher hatte Romana im Sommer 1925 kennen gelernt; er war neunzehn, sie zwei Jahre jünger. Diese Freundschaft endete erst mit Romanas Tod 1992. Bei ihrer Beerdigung wurde in der Kirche in Maloja ein riesiges Gebinde blassrosa Rosen abgegeben; daran steckte eine Karte auf der nur der Name Paul Sacher stand. Keiner in ihrer Familie hatte jemals gehört, dass sie diesen Namen aussprach.


    Natürlich traten nach dieser Eheschließung Neider mit entsprechend gehässigen Kommentaren auf den Plan, aber da waren kaum Musiker dabei, denn diese konnten am besten einschätzen, was der Dirigent vor seiner reichen Heirat alles ohne einen solchen monetären Hintergrund geschaffen hatte.


    Nun konnte Sacher dank seines neuen Vermögens seine Kompositionsaufträge ordentlich bezahlen und es war jetzt auch nicht mehr notwendig, dass die Musiker nur aus Freude an der Musik spielten - zumindest meinte das Annie Tschopp, wogegen Sacher von Bezahlung nichts wissen wollte. Mit einem großen Knall trat Anni Tschopp aus dem Orchester aus. Erst viele, viele Jahre später näherte man sich wieder etwas an; spät in seinem Leben gab Sacher an, dass er ihr gegenüber ein schlechtes Gewissen habe. Die Musiker bekamen nun zwar etwas Geld, aber diesbezüglich darf man Sacher als knausrig bezeichnen.


    Mit der Schola Cantorum Basilensis gründete Sacher 1933 ein privates Lehr- und Forschungsinstitut für alte Musik. Eine beachtliche Sammlung alter, gepflegter Musikinstrumente wurde dem Institut leihweise zur Verfügung gestellt.


    1936 hatten sich Sacher mit seiner Frau, in deren Adern Architektenblut floss, ein neues Haus erbauen lassen, das keine Wünsche offen ließ, auch Paul Sachers Eltern wurden nicht vergessen, sie verfügten jetzt über ein eigenes Haus mit Dienstpersonal.


    In den 1950ger, sechziger und siebziger Jahren war Sacher in vielen europäischen Ländern als Gastdirigent gefragt und er arbeitete mit bedeutenden Orchestern wie dem Royal Philharmonie Orchestra in London oder dem Mozarteum Orchester in Salzburg. In seinen Programmen erschienen immer wieder Werke, die er selbst in Auftrag gegeben hatte. Zum einen liebte er es, Werke zu dirigieren, bei denen er die Autorität des Komponisten hinter sich hatte, und zum anderen wich er damit elegant der Gefahr aus, zu seinen Ungunsten mit Vorgängern wie Weingartner oder Zeitgenossen wie Herbert von Karajan oder Sergiu Celebidache verglichen zu werden. Sacher hatte sich einen Ruf erworben, der namhafte Komponisten veranlasste ihm die neu geschaffenen Kompositionen anzuvertrauen.
    Eine fruchtbare Zusammenarbeit ergab sich mit Strawinsky, den er schon 1930 kennenlernte und Béla Bartók. Letzterer reiste als Gast der Sachers an, um an der beauftragten Komposition zu arbeiten. Seit Jahren mietete Maja Sacher in den Sommermonaten in den Berner Alpen ein Chalet, in dem nun Bartók im Sommer 1939 arbeitete, zu diesem Zweck, hatte man aus Bern ein Klavier ins Chalet bringen lassen.
    Andere Komponisten kamen nach Schönenberg; Arthur Honegger wohnte zum Beispiel mit seiner Familie fast ein ganzes Jahr dort und jahrelang hieß eines der Zimmer im Haupthaus »Pierres Zimmer«, weil Pierre Boulez dort so häufig übernachtete.


    Aber die Musik spielte auch in der Firma - im Mai 1938 trat Paul Sacher in den Verwaltungsrat des pharmazeutischen Unternehmens F. Hoffmann-La Roche ein. Und er tat das nicht etwa widerwillig, sondern war von dieser ganz anderen Welt fasziniert.
    1944 erfolgte dann eine ganz andere Berufung, die von der Schweizer Regierung ausging, Sacher wurde in die Kulturstiftung Pro Helvetia berufen, wo er fünfzehn Jahre mitwirkte und einen enormen Einfluss ausübte; seine Dominanz in diesem Gremium war nicht zu übersehen. Selbstverständlich nutzte er seine wachsende Autorität, um die Arbeit seiner Komponistenfreunde zu fördern. Aber er förderte auch Strauss - der natürlich überhaupt nicht zum Kreis der von Sacher favorisierten Musiker passte - als dieser mittellos in der Schweiz auftauchte. Auf der Bettkante von Frau Strauss sitzend, wurde das Werk »Metamorphosen« von Sacher in Auftrag gegeben. Es kostete fünftausend Franken, für den gleichen Betrag erwarb Sacher dann sukzessive noch das von Strauss eigenhändig abgeschriebene Manuskript und etwas später auch noch das Original, also summa summarum 15. 000 CHF.


    »Sie war ein faszinierendes Weibsbild: schön, rassig, feingliedrig, gescheit, gebildet, musikalisch begabt - eine außergewöhnliche Frau.« So beschreibt Paul Sacher Nina von Faber-Castell; seine Affäre mit ihr dauerte immerhin drei Jahrzehnte und die Dame war verheiratet und hatte Kinder, denen Onkel Paul ganz sympathisch war.
    In dieser Beziehung wurde auch Paul Sacher Vater, Maja blieb diese Beziehung über Jahre hinweg verborgen.


    In den 1960er Jahren und danach hatte das Wirken Sachers eine weltweite Bedeutung erlangt, weil er bei einer Menge zeitgenössischer Werke Pate war. Persönlich hatte er so um die hundert Musikstücke in Auftrag gegeben und bis auf wenige Ausnahmen, auch selbst uraufgeführt.
    Dank seiner finanziellen Ressourcen konnte man bei Sacher mitunter auch Arroganz und Selbstherrlichkeit bemerken und zum Teil hatte man Angst vor ihm. So wurde schon mal ein kritisch gehaltener Zeitungsartikel nicht gedruckt oder eine geplante Radiosendung nicht ausgestrahlt.


    Die Paul Sacher Stiftung wurde 1973 zunächst mit dem Ziel der Bewahrung der musikalischen Bibliothek von Paul Sacher gegründet. Mit der einige Zeit später einsetzenden systematischen Erweiterung der Bestände wandelte sich diese Aufgabe. Mit rund hundert Nachlässen und Sammlungen von bedeutenden Komponisten und Interpreten bildet die Stiftung heute ein internationales Forschungszentrum für die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts.


    Im privaten Bereich hatte sich die Beziehung zu Nina stark eingetrübt.1974 lernte Sacher eine Ärztin aus Norddeutschland kennen, die als Assistenzärztin an ein Krankenhaus in Basel gekommen war; sie war 33 Jahre alt und hieß Irma, hatte rotblondes Haar und grüne Augen; Sachers Interesse war geweckt. Es war wieder einmal der Beginn einer heimlichen Affäre, die auch dem engen Umfeld über Jahre verborgen blieb. Und Irma wollte unbedingt ein Kind, wogegen sich der inzwischen 75-jährige Sacher vehement wehrte, auch mit dem Argument, dass er bereits zwei Töchter habe, die nicht seinen Namen tragen. Irma hielt an ihrem Kinderwunsch fest, 1981 wurde Paul Sacher Vater eines Sohnes.
    Zu keinem Zeitpunkt hatte Paul Sacher die Absicht sich von Maja scheiden zu lassen. Irma erkrankte schwer und hatte keine Überlebenschance und mit Nina und Maja stand es auch nicht zum Besten; Paul Sacher, dem in seinem Leben so viel gelungen ist, war stark angeschlagen und zog sich immer mehr aus der Öffentlichkeit zurück. Nach sechzig Jahren hatte er dann den Entschluss gefasst sein Orchester aufzulösen.
    Irma begleitete ihren Paul im Juni 1988 nach Oxford, wo er mit Doktorwürden ausgezeichnet wurde, es war der letzte gemeinsame öffentliche Auftritt der beiden; Irma starb Anfang November 1988. Maja Sacher-Hoffmannstarb am 8. August 1989. Nina, mit der er in den letzten Jahren keinen regelmäßigen Kontakt mehr hatte, starb 1994.


    Es war angedacht, dass Jean Tinguely, ein von Maja seit langem verehrter Künstler, der später auch mit Paul Sacher befreundet war, eine Skulptur für Irmas Grabstätte schaffen sollte, und diese Grabstätte war auch für Paul Sacher vorgesehen. Tinguely hatte an etwas Bewegliches gedacht, aber Sacher wollte weder Bewegung noch Geräusche an seinem Grab; er meinte: »nach dem Tod ist alles still, nichts bewegt sich.« Jean Tinguely starb 1991, man konnte die Diskussion nicht mehr zu Ende führen ...


    Es kam dann ganz anders, plötzlich teilte Paul Sacher seinem Sohn mit, dass er sich eine Grabstätte auf einem anderen Friedhof gekauft hat. Dort ruht er nun alleine, unweit des Familiengrabes der Hoffmanns, in dem auch Maja Sacher begraben ist.


    Praktische Hinweise:
    Das Grab befindet sich im Gräberfeld 11
    Am besten benutzt man den Eingang am Grenzacherweg, von dort aus geht man etwa 250 Meter nach links



    Der Haupteingang des Friedhofs am Hörnli in Basel - von hier aus muss man zum Grab nach ganz hinten laufen und dann nach rechts.




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  • Zum heutigen Geburtstag von Karl Liebl



    Mitte Dezember 1959 sang Birgit Nilsson an der »Met« erstmals die Isolde. Zehn Tage nach diesem Debüt stand wieder »Tristan und Isolde« auf dem Spielplan, und die Erinnerung an diese denkwürdige Aufführung währt bis heute.
    Die Zeitungen schrieben: »Schwedische Isolde verbraucht pro Akt einen Tristan« - einer davon war Karl Liebl, die beiden anderen Ramón Vinay und Albert da Costa.
    Der Tristan für Akt I war Ramón Vinay; für Akt II, Karl Liebl; und für Akt III, Albert da Costa.
    In der Literatur ist überliefert, dass sich alle drei Tenöre aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage gesehen hätten die drei Akte durchzustehen. In dieser Situation soll Rudolf Bing, der legendäre Chef der »Met«, die drei Tenöre dazu überredet haben, dass jeder der Herren einen Akt übernimmt. Karl Liebl selbst vermutete später, dass das auch ein wohlinszenierter PR-Gag von Direktor Bing gewesen sein könnte.
    Insgesamt 57 Vorstellungen sang Karl Liebl in New York und 27 an der Wiener Staatsoper. Er gastierte unter anderem in München, Hamburg, Stuttgart, Berlin, London, Brüssel, Bordeaux, Chicago, Baltimore, Toronto, Rom und Venedig, vorwiegend mit Wagner-Partien.
    Seine Stimme ist auf Schallplatten und CDs noch zu hören.


    Geboren wurde Karl Liebl in einem kleinen Ort im Chiemgau. Als der Zweite Weltkrieg beendet war, ließ sich Karl Liebl zunächst zum Volksschullehrer ausbilden und übte diese Tätigkeit dann auch in seiner bayrischen Heimat aus. Da er im Besitz einer überdurchschnittlichen Singstimme war, konnte er sich auch vorstellen diese Anlagen zu entwickeln und studierte neben seiner pädagogischen Tätigkeit bei dem bekannten Bassisten Paul Bender Gesang. In seiner Soldatenzeit hatte Liebl nämlich den Sohn von Paul Bender kennengelernt.
    Weitere Studien betrieb er bei Franz Hallasch in München und Albert Mayer in Augsburg. Auch Karl Liebl hatte der Krieg viel Zeit geraubt, sodass er erst mit 35 Jahren auf der Bühne stand; in seinem Falle war das die Bühne des Stadttheaters in Regensburg. Aber dort sang er dann nicht etwa zwei Sätze als dritter Geharnischter, sondern den Radames in »Aida« und Riccardo im »Maskenball«. Nach Verdi näherte er sich dann schon Wagner und sang den Siegmund in der »Walküre« - an etwa fünfzig Abenden stand er in Regensburg auf der Bühne.


    1951 kam dann schon ein großer Sprung ans Staatstheater nach Wiesbaden, wo er ein wichtiges Ensemblemitglied war und fast vierhundert Mal auf der Bühne stand. In den Jahren 1956 bis1959 war er am Kölner Opernhaus zu hören wo am 18. Mai 1957 das neue Riphan-Opernhaus mit Carl Maria von Webers »Oberon« eröffnet wurde. Karl Liebl sang den Hüon und Leonie Rysanek wird überraschend seine Bühnenpartnerin.


    Liebls Stimme entwickelte sich immer mehr in Richtung Heldentenor, der ganz besonders im Wagner-Fach gefragt ist. An der Wiener Staatsoper sang er von1956 bis 1960 Stolzing, Siegmund, Tannhäuser und Tristan, aber auch Florestan in »Fidelio« und »Palestrina«.
    Unter dem Dirigat von Karl Böhm singt Liebl an der WSO am 17. Mai 1958 in der Erstaufführung von Hindemiths »Mathis der Maler« die Rolle des Albrecht von Brandenburg.


    Wer an der Wiener Staatsoper erfolgreich sang, hatte schon immer auch in New York seine Chance, so auch Karl Liebl, natürlich im deutschen Fach. Seine Debütrolle an der »Met« war der Lohengrin.
    Bis 1968 ist er dort in Partien wie dem Tristan, dem Walther von Stolzing in den »Meistersingern«, dem Erik im »Fliegenden Holländer«, dem Loge, dem Siegmund und dem Siegfried im Nibelungenring, dem Parsifal und dem Herodes in »Salome« von Richard Strauss aufgetreten.


    Ab 1967 übernahm Karl Liebl am Peter-Cornelius-Konservatorium Mainz die Gesangsklasse Ewald Böhmer. 1969 wechselte er als Dozent für Musikerziehung ans Hochschulinstitut für Musik der Johann-Gutenberg-Universität Mainz. Im Oktober 1978 wurde er zum Professor ernannt.


    Praktischer Hinweis:
    Das Grab befindet sich in Wiesbaden auf dem Friedhof Sonnenberg, Flandernstraße 10
    Man geht vom Eingang aus etwa 40 Meter zum Gebäude, dann wendet man sich 50 Meter nach rechts und findet das Grab im Gräberfeld 10


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    Einen besonderen Hörgenuss darf man von dieser CD nicht erwarten, es klingt so als hätte man einfach ein Mikrofon vom Schnürboden herunter in die Szenen gehängt, man bekommt das ganze Bühnengepolter mit.
    Aber - man kann auch heraushören, dass das wahrscheinlich das Publikum begeisternde Abende in den 1960er Jahren am Staatstheater Wiesbaden waren, denn eine hörenswerte Stimme war da, das ist unverkennbar.

  • Er gastierte unter anderem in

    Berlin


    An der Staatsoper Berlin gastierte Karl Liebl:
    - 2x als Siegfried (im "Siegfried") am 9. Oktober 1957 und am 18. November 1959 (unter der Musikalischen Leitung von Franz Konwitschny bzw. Hans Knappertsbusch neben Gertrude Grob-Prandl bzw. Helena Braun als Brünnhilde, Margarete Klose bzw. Maria von Ilosvay als Erda, Ina Faßbaender bzw. Jutta Vulpius als Waldvogel, Gerhard Stolze als Mime, Rudolf Gonszar als Wanderer, Frans Andersson als Alberich und Gerhard Frei als Fafner)
    - 3x als Lohengrin am 25. Oktober 1959, 22. Mai 1960 und 16. April 1961 (unter der Musikalischen Leitung von Horst Stein neben Ruth Keplinger bzw. 2x Brünnhild Friedland als Elsa, Irmgard Klein bzw. 2x Sigrid Ekkehard als Ortrud, Frans Andersson als Telramund und Theo Adam als König Heinrich)
    - 1x als Tristan am 19. Feburar 1966 (unter der Musikalischen Leitung von Otmar Suitner neben Ludmila Dvorakova als Isolde, Annelies Burmeister als Brangäne, Theo Adam als König Marke und Antonin Svorc als Kurwenal)
    - 2x als Tannhäuser am 8. April und 4. September 1966 (unter der Musikalischen Leitung von Heinz Fricke neben Elisabeth Rose als Elisabeth, Ludmila Dvorakova bzw. Ingrid Steger als Venus, Robert Lauhöfer bzw. Rudolf Jedlicka als Wolfram und Gerhard Frei bzw. Theo Adam als Landgraf).

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Eine schöne detaillierte Ergänzung, die natürlich nur ein Berliner Insider liefern kann - merci beaucoup!

  • Zum 200. Geburtstag von Charles Gounod




    Charles Gounod ist heute vor allem als Komponist der Opern »Faust« und »Roméo et Juliette« sowie des sehr bekannten, als »Ave Maria« bearbeiteten Méditation sur le 1er prélude de piano de Johann Sebastian Bach bekannt. Die Tatsache, dass Gounod vor allem als Komponist dieser drei populären Stücke Berühmtheit erlangte, drängen sein umfangreiches Œuvre, das er in allen Gattungen erarbeitet hat, leider etwas in den Hintergrund. Den eigentlich zentralen Schwerpunkt im Schaffen Gounods bilden seine kirchenmusikalischen Werke, deren Umfang die aller anderen französischen Komponisten des 19. Jahrhunderts weit übertrifft.


    In Charles Gounods Adern floss reinstes Künstlerblut; sein Vater war Maler, die Mutter Pianistin. Charles Mutter musste nach dem frühen Tod ihres Mannes die Kinder alleine durchbringen. Obwohl er schon recht früh von seiner Mutter in Musik unterwiesen wurde, war es nicht ausgemacht, dass er einmal ein berühmter Komponist werden wird.
    Als Charles' Schuldirektor die Mutter auf das außergewöhnliche musikalische Talent ihres Sohnes ausdrücklich hinwies, war sie einverstanden, dass er nicht, wie sie es erhofft hatte, die Juristenlaufbahn einschlug, sondern die Aufnahmeprüfung für das Konservatorium absolvierte.


    Nach dem häuslichen Unterricht studierte er zunächst privat, bei Anton Reicha, einem Musiker, der immerhin schon zusammen mit Beethoven in einem Orchester gespielt hatte.
    Ab 1835 - manche Quellen nennen 1836 - ist er dann ordentlicher Student am Pariser Conservbatoire, wo er von Jacques Fromental Halévy in Kontrapunkt und Jean-François Lesueur in Komposition unterrichtet wird; als Lesueur dann 1837 stirbt, studiert Gounod noch für kurze Zeit bei Ferdinando Paër.
    In den meisten Darstellungen von Gounods Werdegang heißt es lapidar »1839 erhielt er den Prix de Rome«; dazu sei ergänzt, dass es dazu dreier Anläufe bedurfte, aber so außergewöhnlich ist das nun wieder auch nicht. Auch Debussy errang - gute vier Jahrzehnte später - erst nach aufreibendem Procedere diesen Preis und war da gar nicht glücklich darüber und empfand den Aufenthalt in der Villa Medici als »Zwangsarbeit«. Nach zwei Jahren brach Debussy diese Exkursion vorzeitig ab. Dieses Rom-Stipendium war ja keine rein touristische Veranstaltung, die Stipendiaten sollten in der Villa frei arbeiten können und etwas Vorzeigbares nach Hause bringen.
    So gesehen war Gounod ein Musterstipendiat. In Rom besuchte er regelmäßig die Sixtinische Kapelle, wo er mit der Musik Palestrinas und Bachs vertraut wurde.
    Und er traf die Hensels, wobei sich Gounod auch etwas in die musikalisch versierte Fanny verguckt hatte, die wenig von der italienischen Musik hielt. Fanny Hensel musiziert und diskutiert stundenlang mit Gounod und Georges Bousequet. Fanny spielt Bach rauf und runter, auswendig, denn sie hat keine Noten dabei. Sie spielt auch Beethoven, »Fidelio« und »Waldsteinsonate« - für die Franzosen eine ganz neue Musik; und Fanny berichtet:
    »Gounod ist auf eine Weise leidenschaftlich über Musik entzückt, wie ich es nicht leicht gesehen. Mein kleines venezianisches Stück gefällt ihm außerordentlich.«
    Auf jeden Fall hat Gounod das C-dur Präludium von Bach durch Fanny kennen gelernt ...Seine tiefe Religiosität fand in vielen kirchenmusikalischen Werken Ausdruck, wenn auch deren Erfolg insgesamt hinter dem seiner Bühnenwerke zurücksteht.


    Beinahe wäre Charles Gounod katholischer Pfarrer geworden, aber die Tochter eines Klavierprofessors am Conservatoire hatte ihn offensichtlich auf andere Gedanken gebracht, 1852 heiratete er Anne Zimmerman.
    Noch vor seiner Heirat war Charles Gounod als Opernkomponist in Erscheinung getreten; am 16. April 1851 wurde sein Erstlingswerk »Sapho« in Paris aufgeführt. Die berühmte Sängerin Pauline Viardot hatte Gounod dazu gedrängt eine Oper zu schreiben und zog dann auch alle Register, damit daraus auch etwas werde, aber da waren dann letztendlich so viele Imponderabilien, dass man unterm Strich sagen muss, dass dieser ersten Oper Gounods, der dann noch elf folgen sollten, kein Erfolg beschieden war.
    Pierre-Joseph-Guillaume Zimmerman, der Schwiegervater Gounods, ließ seine Beziehungen spielen, damit sein Schwiegersohn Leiter des »Orphéon de la Ville de Paris«, des größten Männerchores der Stadt, werden konnte; er war auch für den Vokalunterricht an den öffentlichen Pariser Schulen zuständig. Diese Tätigkeit übte Gounod bis 1860 aus und bewertete diese Arbeit in seinem Rückblick als sehr positiv für seine weitere musikalische Entwicklung.


    Vermutlich hatte sich Gounod schon 1849 mit seinem bedeutendsten Werk, der »Messe solennelle zu Ehren der Hl. Cäcilie« befasst und es kam in den folgenden Jahren erst einmal zu der Aufführung von Fragmenten, so zum Beispiel im Januar 1951 in der Londoner St. Martins Hall.
    Im September 1855 war die Messe fast fertiggestellt, es fehlte lediglich noch das »Domine, salvum fac«. Am 29. November 1855 gelangte die »Cäcilienmesse« in Saint-Eustache zu Paris zur Erstaufführung.
    In der »Messe Solennelle« verbindet Gounod die Tiefe seines Glaubens mit der musikalischen Ausdruckskraft der Oper. So schreibt er nicht nur drei Gesangssolisten neben dem Chor vor, sondern auch eine derart große und umfangreiche Orchesterbesetzung mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Instrumenten wie sie seinerzeit nur in der Oper zu finden war. Mit dieser Messe fand Gounod allgemeine Anerkennung als Komponist.



    Zur weltberühmten Bekanntheit verhalf ihm seine Oper »Faust«, die am 19. März 1859 im Pariser Theater Lyrique erstmals aufgeführt wurde. Der Erfolg hing am seidenen Faden, denn der Kartenvorverkauf lief schleppend. In dieser Situation verschenkte der Impresario die freien Plätze an Leute, die außerhalb der Stadt wohnten, dann ließ er durch die Pariser Zeitungen verbreiten, dass für die ersten Vorstellungen keine Eintrittskarten mehr erhältlich sind. Das Interesse der Pariser Operngänger war geweckt und die Oper trat ihren Siegeszug um die Welt an.
    In Deutschland fanden Aufführungen unter dem Operntitel »Margarethe« statt, was der Handlung nach eigentlich auch nachvollziehbar ist. In Deutschland wurde das Werk erstmals am 17. Februar 1861 am Hoftheater in Darmstadt aufgeführt; der Komponist war anwesend und bekam dann wenige Tage nach der Aufführung vom Großherzog Ludwig III. eine goldene Verdienstmedaille für sein musikalisches Schaffen.
    Aber das sah man nicht überall in Deutschland so, denn als die Oper auch an anderen Häusern gespielt wurde, traten tatsächlich Kritiker auf den Plan, die eine Ausschließung dieser Oper von deutschen Bühnen forderten, weil sie in dem Werk des Franzosen eine ehrenrührige Parodie des Goethe´schen Faust sahen.
    All das konnte den Siegeszug dieser Oper nicht aufhalten; als am 22. Oktober 1883 die Metropolitan Opera in New York eröffnet wurde, stand »Faust« auf dem Programm.


    Nach diesem ersten großen Opernerfolg mit »Faust« griff Gounod erneut zu einem großen Stück der Weltliteratur. Bereits 1839 hatte er als 21-jähriger Student in Paris Hector Berlioz´ dramatische Symphonie »Roméo et Juliette« gehört und sah in Italien Bellinis »I Capuleti e i Montecchi«. Schließlich war Wagners Musikdrama »Tristan und Isolde« gerade 1865 entstanden, die Zeit war nun reif, dass Gounod dem Musiktheater wieder ein bedeutendes Werk aus seiner Feder schenkte - zudem war zum Jahr 1867 mal wieder eine Weltausstellung in Paris geplant.
    Er wandte sich an seine bewährten Librettisten Jules Barbier und Michel Carré, die den Text bereits im Frühjahr 1865 fertig hatten, der ihm sofort zusagte, weil er sich weitgehend an der literarischen Vorlage orientierte. Noch im April des Jahres verließ er Paris in Richtung Côte d'Azur, wo er sich unverzüglich an die Arbeit machte und das Stück in atemberaubender Geschwindigkeit vertonte; schon innerhalb eines Monats hatte er wesentliche Teile seiner Oper fertiggestellt. Das blieb nicht ohne Folgen, er erlitt einen Nervenzusammenbruch, der eine Arbeitspause von vierzehn Tagen erforderlich machte. Dennoch konnte Gounod bereits im August 1866 dem Theaterleiter des Théâtre Lyrique, Léon Carvalho, die fertige Partitur zukommen lassen; aber was heißt hier fertige Partitur?
    Der erfahrene Theatermann Carvalho redigierte das Werk so, dass es Gounod Angst und Bange wurde; er musste Rezitative hinzufügen und auch die später so berühmte Walzer-Arie »Je veux vivre dans le rêve« ist eine solche Hinzufügung.
    Aber der »Karten-Trick«, welcher noch bei der Uraufführung des »Faust« zum Tragen kam, musste diesmal nicht angewendet werden, es ergab sich eine andere wohlüberlegte Möglichkeit.
    Die Aktivitäten der Weltausstellung waren bereits angelaufen und es ergab sich, dass am Tag der Uraufführung - das war der 27. April 1867 - auch ein großer Staatsball mit allem Drum und Dran in Szene gesetzt wurde. Die von der Uraufführung begeisterten Besucher eilten nach der Opernaufführung zum Staatsball und machten die neue Oper »Roméo et Juliette« zum Tagesgespräch der besseren Gesellschaft.


    Und der Erfolg war nachhaltig, denn bereits in der ersten Saison wurde das Werk mehr als hundert Mal gespielt und hatte - wie »Faust« auch - weltweiten Erfolg. In den 30 Jahren nach der Uraufführung soll es alleine in Paris etwa 500 Aufführungen des Werkes gegeben haben.
    Noch vor Ablauf des Jahres der Uraufführung fanden Inszenierungen in London, Mailand, Brüssel und Dresden statt.
    Juliettes Walzer-Arie »Je veux vivre« und gleich vier große Duette der beiden Liebenden stehen für die musikalische Qualität, die dem Werk zu seiner Beliebtheit verholfen haben. Musikalisch begeistert die Oper mit einer Fülle an bezaubernden Melodien, wobei neben den Titelfiguren auch die kleineren Partien mit wunderbaren Arien bedacht sind.


    Auch wenn »Faust« heute unter verschiedenen Aspekten eine höhere Stellung einnimmt als »Roméo et Juliette«; zu Lebzeiten des Komponisten war »Roméo et Juliette« sein größter Erfolg.


    Die Jahre 1870 bis 1874 verbrachte Gounod wegen des Deutsch-Französischen Krieges in England. Das Angebot, Nachfolger von Daniel-François-Esprit Auber - der 1971 starb - am Pariser Conservatoire zu werden, lehnte Gounod ab.
    In London zeigte man durchaus großes Interesse an seiner Musik, wie zum Beispiel dem Oratorium »La returnation und Mors et vita«; zu den vielen, die Gounods musikalisches Schaffen bewunderten, gehörte auch Königin Victoria.
    Etwas schwieriger war eine Bewunderin Gounodscher Musik, die mit einem Leutnant der königlichen Husaren verheiratet war, das war Georgina Weldon. Diese Dame hatte sängerische Ambitionen, auch eine ansprechende Stimme, die jedoch eher amateurhaft einzustufen war.
    Der Herr Leutnant machte von seiner starken Position als Ehemann Gebrauch und verbot seiner Gattin sich als professionelle Sängerin auf Londons Bühnen zu zeigen; wenn sie sie schon singen wollte, sollte sie dies in Kirchenversammlungen oder Wohltätigkeitsveranstaltungen tun.
    Gounod war ja zu dieser Zeit schon ein sehr bekannter Komponist und Mrs. Weldon sah hier eine Chance in der Nähe dieses großen Namens auch etwas Glanz abzubekommen.
    Anna Gounod glaubte eine Verliebtheit ihres Gatten bemerkt zu haben, packte ihre Koffer und kehrte nach Paris zurück.
    Währenddessen zog Charles Gounod im November 1871in das Tavistock House, den ehelichen Wohnsitz von Georgina und William Henry Weldon, wo er ein kleines Zimmer bewohnte. Dort soll Georgina täglich gesehen worden sein ... Sie soll ihn dazu verleitet haben, immer mehr für sie zu komponieren.
    Georgina Weldon engagierte sich sehr für Waisenkinder und führte Erlöse, die sie mit dem Vortrag von Gounods Kompositionen erwirtschaftet hatte, einem Waisenhaus zu.


    Mrs. Weldon konnte sich nun aber auch der Hoffnung hingeben endlich als Opernsängerin groß ins Rampenlicht zu treten; in der Literatur heißt es:
    »In einem Moment der begeisterten Leidenschaft versprach Gounod Georgina sogar die Titelrolle in seiner neuen Oper "Polyeucte", basierend auf einem Drama von Pierre Corneille«


    Allmählich wurde dem Komponisten dieses englische Abenteuer unangenehm und er kehrte 1874 - hastig, wie es heißt - zu seiner Frau nach Paris zurück.
    Nun begann ein heftiges Gerangel um die Partitur von »Polyeucte«, Georgina beanspruchte das Eigentum an dieser Komposition und unterstrich diesen Anspruch optisch, indem sie mit blauer Kreide auf jede Seite diagonal ihren Namen schrieb.
    Gounod war nun gezwungen die Partitur aus dem Gedächtnis zu rekonstruieren. Eduard Hanslick schrieb einmal zu diesem Stück: »... ist das Werk eine Mischung von weltlicher und geistlicher Oper geworden und konnte nach keiner Seite befriedigen.«
    Die Uraufführung fand 1878 mit großem Aufwand in Paris statt, aber ein Erfolg wurde es nicht, nach nur 29 Wiederholungen verschwand es vom Spielplan - Gounod bezeichnete es als »Die Trauer meines Lebens«.


    Seinem letzten Werk, dem »Requiem in C«, liegt ein trauriges Ereignis zugrunde; Gounods Enkel Maurice, noch keine fünf Jahre alt, war gestorben. Das Werk liegt in eine für ein Requiem eher ungewöhnlichen Grundtonart C-Dur vor.


    Das Requiem erklang in eindrucksvoller Darbietung anlässlich des ersten Todestags des Komponisten in der Pariser Kirche Sainte-Madeleine unter der Leitung von Gabriel Fauré und die zeitgenössische Presse war von dieser Aufführung tief beeindruckt.


    Die nationale Trauerfeier für Charles Gounod fand in der Madeleine statt, wo, seinem Wunsch entsprechend, eine Gregoreanische Messe gesungen wurde.


    Charles Gounod hatte 12 Opern, eine Fülle von Liedern, Symphonien, Streichquartetten, Klavier- und Kammermusiken hinterlassen; er komponierte als zutiefst gläubiger Katholik in seinen letzten Lebensjahren fast nur noch Kirchenmusik.



    Im Innern des Grabmals findet man die Lebensdaten der hier Bestatteten, die auch zeigen, dass in diesem Falle der Name Zimmerman nur mit einem »N« geschrieben ist, in der Literatur wird das nämlich unterschiedlich gehandhabt.





    Praktische Hinweise:

    Man findet das Grab auf dem Friedhof Cimetiére d´ Auteuil, ein kleiner Friedhof, der von hohen Wohnhäusern umgeben ist, in der 57 Rue Claude Lorrain, 75016 Paris.
    Vom Friedhofseingang aus geht man nur etwa 25 Schritte geradeaus und steht rechts des Weges vor Gounods Häuschen.
    Die Metro-Linie 9 führt dorthin, die nächstgelegene Station zum Friedhof heißt Exelmans.j

  • Sehr schön, lieber hart,


    dass du auch an den heutigen Ehrentag von Charles Gounod gedacht hast. und das wie immer in einem sehr gekonnten und umfassenden Artikel zum Ausdruck gebracht hast.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Auch ihr späterer Ehemann, der Hofoperndirektor Felix von Weingartner, wusste nicht genau wann seine Frau, die eigentlich als Lucille Wasself geboren wurde, Geburtstag hat; wie er selbst einmal erklärte, sei es damals in den USA nicht üblich gewesen im Besitz einer Geburtsurkunde zu sein.




    Zum heutigen Todestag von Lucille Weingartner - Marcel


    Weingartner hatte 1908 von Gustav Mahler das Direktorat der Wiener Hofoper übernommen und begleitete dieses Amt für drei Jahre. In dieser Zeit sollte an der Hofoper »Elektra«, eine neue Oper von Richard Strauss, aufgeführt werden und man war auf der Suche nach einer Sängerin der Titelpartie. In dieser Situation kam ein Telegramm eines Pariser Freundes von Richard Strauss, der auf eine Sopranistin mit dem Namen Lucille Marcel aufmerksam machte, die in Paris bei Jean de Reszke studiert hatte. Reszke war immerhin einer der bedeutendsten Tenöre des 19. Jahrhunderts.
    Wie mitgeteilt wurde, sei die Dame - gegen Erstattung der Kosten - bereit zum Vorsingen nach Wien zu kommen. Der große Name ihres Lehrers beeindruckte Weingartner, der die Sängerin willkommen hieß; am 31. Dezember 1908 gab Lucille Marcel eine Probe ihres Könnens, das Weingartner so schildert:


    »Eine zunächst nicht besonders auffallende jugendliche Erscheinung betrat die Bühne des halbverdunkelten Opernhauses, auf der ein Klavier stand und begann »Ritorna vincitor«, die erste Arie der »Aida« zu singen. Eine Stimme von seltener Kraft und Schönheit, kultiviert und ausgeglichen in allen Lagen, drang zu mir und ließ mich und meine Begleiter aufhorchen. Alle fühlten wir sofort, dass hier etwas Ungewöhnliches erschienen war«


    Leider stellte sich nach dem so beeindruckenden Vortrag heraus, dass sie sich in der deutschen Sprache nur radebrechend bewegen konnte. Ihr eine große deutsche Rolle anzuvertrauen schien äußerst riskant. Weingartner beauftragte nun Kapellmeister Reichenberger damit, herauszufinden, welche Chancen bestehen, dass sie diese Rolle lernen kann.
    Als Direktor Weingartner nach einigen Tagen mal im Probezimmer vorbeischaute, strahlte sie ihn - den Klavierauszug der »Elektra« in der Hand - an und rief: »Mon Dieu, quel rôle!


    Bis hierher hatte man sie für eine Französin gehalten, aber nun stellte sich heraus, dass sie Amerikanerin war, »a real Newyorkgirl«, wie sie sagte. Weingartners letzte Zweifel zerstreute sie mit einem selbstbewussten »Ja, ja, wird gehen!«
    Man vereinbarte, dass Lucille Marcel nach Paris zurückkehrt, um dort mit einem erfahrenen Musiker die Rolle einzustudieren und steckte dafür einen Zeitrahmen von etwa sechs Wochen ab. Es kam zu einem Vertrag, der die Sängerin verpflichtete für die kommende Saison die Rolle der »Elektra« zu übernehmen.
    Als Lucille Marcel wieder in Wien erschien, zeigte es sich bei der ersten Probe, dass sie ihre Rolle schon zum größten Teil beherrschte und die Worte gut und deutlich aussprach, obwohl sie oft nicht verstand, was sie sang und die Laute dem Gehör nach imitierte.
    Nun konnte sie sich auch insoweit in deutscher Sprache verständigen, dass eine bescheidene Konversation möglich war.
    Als Richard Strauss zu den Proben in Wien eintraf war er erstaunt, dass eine ausländische Anfängerin ihrer Aufgabe in solcher Weise gerecht werden konnte. Die Premiere verlief gut, es war ein großer Erfolg, den sogar der gefürchtete Dr. Korngold anerkannte.
    Auch Jean de Reszke war zur Premiere von Paris herüber gekommen, um das Debüt seiner Schülerin mitzuerleben. Man bot ihr den am Hause üblichen sechsjährigen Vertrag an, den sie freudig akzeptierte.


    Bei all der intensiven Zusammenarbeit bemerkte der Herr Hofoperndirektor, dass sein Interesse inzwischen nicht nur der Stimme seiner Angestellten galt. Er versuchte zwar alle Kontakte so geschäftsmäßig wie möglich ablaufen zu lassen, aber man kam sich näher und näher. Lucille hatte die dreißig gerade überschritten, er war um fünfzehn Jahre älter. Als beide wussten, dass da mehr als nur berufliches Interesse war, versuchten sie dies vor der Öffentlichkeit zu verbergen, was sie so übertrieben gestalteten, dass sie auf einer Einladung, bei der sie Tischnachbarn waren, kein Wort miteinander sprachen.
    Im Zustand der Verliebtheit wuchsen dem Komponisten - der ja hauptsächlich als Dirigent wahrgenommen wurde - neue Kräfte zu und er komponierte einige Lieder, aber auch seine dritte Sinfonie, die 1910 erstmals aufgeführt wurde.


    Natürlich blieb es trotz distanziertem Getue am Theater auf Dauer kein Geheimnis, dass die beiden Künstler mehr verband als ihre gemeinsamen Liederabende. Auf der Opernbühne sang Lucille Marcel unter Weingartners Leitung sehr erfolgreich die Eva in den »Meistersingern«, bei einem Gastspiel in Prag war sogar der große Wagner-Spezialist Angelo Neumann beeindruckt.
    Weingartner war klar, dass er sich dem Vorwurf der Protektion aussetzen würde, wenn Lucille und er gleichzeitig an der Hofoper wirkten und sagte ihr, dass sie ihre Entlassung einreichen muss. Die Situation war etwas grotesk - als Tosca hatte sie im zweiten Akt einen Beifallssturm entfesselt, aber die Kritik mäkelte so herum, dass sie nun selbst nicht mehr am Theater bleiben mochte; sie begründete ihr Entlassungsgesuch damit, dass sie sich künftig nur noch dem Konzertgesang widmen wolle. Am Pfingstmontag 1910 erklang ihr Stimme letztmals an der Wiener Hofoper.


    Noch war Weingartner Wiener Hofkapellmeister, aber zum Saisonende wusste er, dass er auch nicht bleiben wird. Das immer noch unverheiratete Paar ging nach Paris, wo es ein herzliches Wiedersehen mit Jean de Reszke und seiner Familie gab.
    Lucille war als blutjunges armes Mädchen nach Europa gekommen und hatte zuerst bei Professor Emmerich in Berlin studiert. Dann tauchte sie mit wenig Geld in der Tasche in Paris auf, um dem berühmten Reszke vorzusingen. Dieser fand an ihrer Stimme so viel Gefallen, dass er sie über mehrere Jahre nicht nur kostenlos ausbildete, sondern ihr und einer alten Frau, die sie stets begleitete, auch Mittel zur Verfügung stellte, die es ermöglichten auf bescheidene Weise in Paris zu leben.


    Im Moment war es für den erholungsbedürftigen Weingartner in Paris zu umtriebig, sodass man die Ferienzeit in der Schweiz verbrachte. Im Anschluss folgten Konzertauftritte in Russland, danach waren sie nach Rom engagiert. Als Lucille in Paris einen Liederabend mit Kompositionen Weingartners gab, war auch Henry Russell, der Direktor der Boston-Opera im Publikum. Sie wurden zum nächsten Winter in die USA eingeladen.


    Dr. Löwenfeld, der neue Direktor des Hamburger Stadttheaters, lud sie zu einem vier Monate währenden Gastspiel nach Hamburg ein.
    Für Boston musste Lucille die »Aida« in Italienisch neu lernen und für Hamburg in Deutsch; »Tosca« und »Margarethe« waren für Boston italienisch und französisch, also in den Originalsprachen, vorzubereiten.


    Nach den Erfolgen in Amerika und anderswo kamen beide wieder musizierend nach Wien, denn Weingartner hatte zwar seinen Chefposten an der Oper aufgegeben, aber immer noch seine Verpflichtungen bei den Wiener philharmonischen Konzerten, die für ihn eine Herzenssache waren. Gleichzeitig sang auch Lucille Marcel wieder mit großem Erfolg in Wien.
    Als schließlich der damals schon berühmte Caruso an der Hamburger Oper ein Gastspiel gab, sang Lucille die Aida und Weingartner gab den Ton an.


    Im Frühjahr 1912 bezog das Paar sein neues Haus in St. Sulpice bei Genf, es sollte auch einmal als Alterssitz dienen, mit dem Ersten Weltkrieg zerstob dieser Traum, der Besitz musste verkauft werden - Weingartner sagte, dass der frevelhafte Krieg sie zwang, ihr »Fairy-Home« aufzuessen.


    Als sie 1912 das Haus erworben hatten, schien es auch an der Zeit diese nun schon seit Jahren gelebte Zweisamkeit zu »legalisieren«; sie wollten in Österreich oder Deutschland heiraten.
    Aber hier türmten sich nun ungeahnte bürokratische Hürden auf. Man forderte Papiere aus Amerika zu beschaffen, die den dortigen Behörden überhaupt nicht bekannt waren.
    Nun aktivierte Weingartner einen amerikanischen Freund, der drüben alles vorbereitet; in ihrer gewohnten Umgebung hielten sie die bevorstehende Eheschließung geheim.
    In New York ging die Eheschließung ohne Komplikationen vonstatten, am 29. Januar 1913 forderte der amerikanische Standesbeamte Felix Weingartner auf: »Now kiss Your wife« und Lucille jubelte stolz und glücklich: »Jetzt bin ich Mrs. Weingartner!« Während man sich in Amerika an den neuen Namen der Sängerin rasch gewöhnte, blieb man in Wien beim traulichen »Die Marcel«.


    Die Kriegseinwirkungen hatten die Weingartners wieder nach Wien gebracht, wo auch sie von der herrschenden Not nicht verschont blieben. Im Frühjahr 1919 bot man Weingartner die Leitung der Wiener Volksoper an; Ende August gingen dann hier die »Meistersinger« über die Bühne, aber dann ordnete die Behörde an, dass alle Theater wegen der Kohlennot geschlossen werden.
    Eine weit bessere Lebensqualität - wenn man einmal von der Seekrankheit absieht - war auf der »Principessa Mafalda« geboten, ein Dampfer, der das Künstlerpaar nach Südamerika brachte.
    Auf dieser Schiffsreise war Lernen angesagt, Lucille musste die Sieglinde in italienischer Sprache zu Ende studieren und mit dem Neustudium der Elsa beginnen. Die Übungen gehen in gedämpften Piano vonstatten, damit keine neugierigen Zuhörer angelockt werden.


    In Südamerika wird eine ausgedehnte Konzertreise in diversen Ländern und Städten absolviert, natürlich gastiert man auch am Teatro Colón in Buenos Aires.
    Wieder zurück in Europa, gab Lucille Marcel in Rom ihren letzten Liederabend, gemeint ist der letzte überhaupt, was keiner in ihrer Umgebung, und sie selbst auch nicht, ahnen konnte. Auf dem Programm standen Lieder von Franz Schubert und einige der japanischen Lieder von Felix Weingartner. Das Paar reiste nach Neapel, weil Weingartner dort einige »Parsifal«-Vorstellungen zu dirigieren hatte. Nach einigen Tagen wurde Lucille unruhig und wollte nach Hause fahren. Sie erkrankte in Florenz, erholte sich aber wieder rasch und gelangte über Venedig wieder nach Wien. Als später dann beide wieder in Wien waren, zog Lucille alle Register, um am 2. Juni den 58. Geburtstag ihres Gatten mit einem Aufwand zu inszenieren, als sei es schon der 60.
    Es gab ein rauschendes Fest, dennoch schien Lucille in ihrem Wesen verändert. Am 15. Juni gab sie eine glanzlose »Tosca« und sagte nach dieser Vorstellung, dass sie müde sei, ein Zustand der anhielt; man konsultierte einen Professor, der zu einer Kur in Marienbad riet.


    Aber dazu sollte es nicht mehr kommen. Während sie am Vormittag des 19. Juni noch scheinbar ruhig in Karl Maria von Webers Biografie las, hörte ihr Mann während eines Telefonats plötzlich die erschreckte Stimme des Stubenmädchens aus dem Schlafzimmer, eilte hinzu und fand seine Frau röchelnd auf dem Boden. Die herbeigerufenen Ärzte diagnostizierten eine Nierenschrumpfung im höchsten Stadium und die Einlieferung in ein Sanatorium. Dort verweilte Weingartner die meiste Zeit, dirigierte aber am 20. Juni noch die Festvorstellung einer Strauß-Operette, weil er glaubte in Lucilles Sinn zu handeln.
    Am 22. Juni 1921, nachmittags, bat Weingartner darum, ihn mit der Sterbenden alleine zu lassen - kurz nach drei Uhr starb Lucille Marcel im Sanatorium.
    Weingartner bezeichnet es als glückliche Fügung, dass er auf dem alten Teil des Hietzinger Friedhofs noch ein Grab erwerben konnte, das man einfach vergessen hatte.
    Von dem Wiener Architekten Karl Jaray ließ er einen schlichten Grabstein entwerfen; Jaray hatte schon in früheren Jahren Lucilles Wohnung in der Bruckner Straße 4 eingerichtet.


    Praktischer Hinweis:
    Friedhof Hietzing, Maxingstraße 15 - 1130 Wien
    Man findet das ehrenhalber in Obhut genommene Grab in Gruppe 7
    Egal welches der drei Tore man von der Maxingstraße aus benutzt - am günstigsten ist Tor 3 - das Gräberfeld 7 befindet sich an der linken äußeren Ecke des Friedhofs.


    Anmerkung:
    Ganz rechts, an der dritten Backsteinreihe von unten, weist ein kleines grünes Schildchen das Grab als ein Ehrengrab der Stadt Wien aus.
    Die letzte Ruhestätte von Felix Weingartner hatte 60 Jahre als Privatgrab auf dem Friedhof Rosenberg in Winterthur bestand, war im heutigen Feld 114 und wurde im Jahr 2003 aufgehoben.



  • Zum heutigen Todestag von Johann Friedrich Reichardt




    Die Verhältnisse, in die der kleine Fritz - so sein Rufname - hinein geboren wurde, werden als ärmlich beschrieben; aber es wird auch darauf hingewiesen, dass er im Einflussbereich des aufgeklärten Hochadels zur Welt kam. Der Vater war Stadtmusikus und ein allseits geachteter Lautenlehrer; seine Mutter die Tochter eines Hutmachermeisters. Der Vater unterrichtete seinen Sohn im Violinspiel, im Klavierspiel ließ er ihn unterrichten. Als Achtjähriger soll er auf der Violine und am Klavier nicht ganz leichte Stücke rein und gut gespielt haben. Einige Zeit später erfand er schon eigene Melodien.


    Der Vater achtete sehr darauf, dass sein Sohn Unterricht bei wirklichen Könnern ihres Faches erhalten konnte. Ausbilder auf hohem Niveau waren der Violinist Franz Adam Veichtner, der aus Regensburg stammte und auf der Durchreise nach St. Petersburg auf dem Hin- und Rückweg für einige Zeit in Königsberg Station machte; der andere Carl Gottlob Richter, der ein Meister am Cembalo war. Durch kriegsbedingte Einflüsse nahm Fritz auch schon recht früh Melodien russischer Volkslieder und Haydnscher Musik in sich auf.
    Die gute Ausbildung trug Früchte; schon im Alter von zehn Jahren trug der Knabe Stücke von Johann Sebastian Bach in öffentlichen Konzerten vor. Eine Reise, die Fritz 1762 mit seinem Vater - im Gefolge des Grafen - nach Kurland unternahm, wurde auch dazu genutzt den Knaben als »Wunderkind« zu präsentieren.
    Der Ausbildung in Musik räumte man Priorität ein, von einer geregelten schulischen Ausbildung von Kindesbeinen an konnte bei Fritz keine Rede sein. Aber immerhin wird Reichardt ab 1768 für drei Jahre Student der Rechtswissenschaft und hört bei Immanuel Kant philosophische Vorlesungen an der Königsberger Albertina. Wie man nachlesen kann, soll der junge Mann in dieser Zeit nicht nur studiert, sondern auch ein recht lockeres Studentenleben geführt haben.


    Im Frühjahr 1771 strebte Reichardt aus Königsberg hinaus, seine Reisekasse war schlecht bestückt, zwei Dukaten mussten für die ersten Schritte reichen, aber was heißt hier Schritte, bis Danzig konnte er kostenlos und bequem mit der Kutsche des Fürsten reisen.
    In Danzig lernte er den um fünf Jahre älteren Musiker Johann Abraham Peter Schulz kennen, der in Lüneburg geboren war, aber von Berlin aus nach Danzig kam. Dieser Musiker mit dem Allerweltsnamen Schulz ist insoweit ein bedeutender Mann, weil er das zeitlose Lied »Der Mond ist aufgegangen« nach einem Text von Matthias Claudius vertonte.
    Beide tauchen nun bald in Berlin auf, wo der ältere Schulz seinen neuen Freund in die relevanten Künstlerkreise einführen konnte.
    Aber auch die Universität Leipzig zog ihn an, zumal da einige Kurländer und Livländer studierten, die er kannte. Dort wurde er in die Familie des alten Johann Adam Hiller aufgenommen, der sich damals sehr engagiert am Musikleben der Stadt beteiligte und auch seit 1771 eine Singschule betrieb, aus der berühmte Sängerinnen hervorgingen; in eine von diesen, Carona Schröter, war Reichardt bis über beide Ohren verliebt und kam natürlich sehr intensiv mit vokaler Musik in Berührung. In Leipzig schrieb er mehrere Violinkonzerte. Hiller, der auch als Gewandhaus-Kapellmeister wirkte, drängte Reichardt auch dazu sich mehr der Gesangsmusik und Werken fürs Theater zuzuwenden.


    Die nächste Station seiner Reise - es war Ostern 1772 - war Dresden; Hiller hatte dazu geraten, beim Dresdner Kreuzkirchen-Kantor seine Kenntnisse noch zu festigen.
    Aus einem Brief, den Reichardt im Februar 1973 aus Dresden schreibt, geht hervor, dass er bezüglich seiner Berufswahl noch unentschlossen ist. Als er dann Richtung Böhmen weiterreiste, hatte er zwar nur noch zwei Taler in der Tasche, aber er konnte immer mal wieder gegen Honorar Konzerte geben, die sogar so viel abwarfen, dass er sich eine Bäderkur in Karlsbad leisten konnte. Schließlich fand dann seine Reise in den Süden in Prag ein Ende; erstaunlicherweise bemühte er sich damals nicht nach Wien zu kommen; es geht wieder zurück nach Berlin, wo er Zugang zu einem Kreis von Musikern hat, so auch zur Familie des Hofviolinisten Franz Benda, wobei hier auch sein Interesse dessen jüngster Tochter Juliane - einer Sopranistin und Komponistin - galt, die Reichardt 1777 auch heiratete.
    In der Lindenoper hörte er sich kritisch Opern von Graun und Hasse an, bemerkte auch, dass anderswo die Orchester moderner spielten - und er schrieb dann auch über das Gehörte; im Verlaufe seines ganzen Lebens war Reichardt stets ein eifriger Schreiber.


    Reichert taucht in vielen Ländern, Städten, Höfen und Gesellschaften auf und kennt jede Menge wichtige und weniger wichtige Leute, er war ein echter »Hans Dampf in allen Gassen«
    Einer der wichtigen Leute, die er kannte, war gewiss Goethe, von dem er 142 Texte in seinen etwa 1500 Liedkompositionen vertonte.


    Johann Friedrich Reinhardt war Hofkapellmeister dreier Preußenkönige. Erstmals kam er 1775 etwas überraschend zu dieser Ehre, als ihn Friedrich der Große nach Berlin berief. Reichardt hatte in Litauen von einem Durchreisenden, der aus Berlin kam, eher beiläufig erfahren, dass in Berlin der Hofkomponist Agricola gestorben und die Stelle noch vakant sei. Längst hatte Reichardt in seiner Berliner Zeit eine Oper vorbereitet, die er flugs fertigstellte, um sie als eine Art Bewerbungsschreiben zu benutzen. Franz Benda hatte in Berlin gute Lobbyarbeit geleistet und gab Reichardt auch den Tipp, dass dieser einfließen lassen sollte, dass sich sein Opernschaffen am Stil von Hasse und Graun orientiert, was eigentlich nicht zutreffend war. Reichardt ließ seine Partitur binden und sandte sie direkt an den König:


    »Sire! Euer Königl. Majestät wage ich eine Oper zu überreichen, bei deren Bearbeitung mir Hasse und Graun Muster gewesen. Ein hoher Kennerblick wird entscheiden, ob der Componist derselben es verdient, die ehrenvolle Stelle eines Graun´s zu bekleiden. In tiefster Ehrfurcht ...
    Königsberg, den 26. Sept. 1775 J. F. Reichardt«


    Die Sache zog sich etwas hin, weil Majestät erkrankt war und als lange keine Reaktion aus Berlin kam, begann der Compositeur am Erfolg seiner Mission zu zweifeln. Endlich kam der Bescheid, dass der König Reichardt zu sehen wünscht.
    Bei der Audienz stellte sich heraus, dass der König sehr genaue Vorstellungen davon hatte, wie eine Oper nach seinem Geschmack zu konzipieren sei. Reichardt nahm seinen Dienst auf und hatte vor allem Schwierigkeiten mit dem Gesangsstar Gertrud Elisabeth Mara-Schmehling, die als beste deutsche Sängerin galt und eine von Reichardt komponierte Arie nicht singen wollte. Als man sie dennoch dazu zwang, interpretierte sie das Stück so, dass sie ihren Direktor Reichardt der Lächerlichkeit preis gab.
    Vergebens wartet Reichardt darauf, dass er aufgefordert wird eine neue Oper zu schreiben, aber er muss immer wieder nur das altbewährte Repertoire wiederholen oder modifizieren. Zudem schwand das Interesse des Königs an der Oper, weil er sich kriegerisch in Süddeutschland betätigte. In den folgenden Jahren zerfällt der Berliner Opernbetrieb immer mehr und Reichert hat mehr Zeit für Dinge, die in persönlich interessieren.
    Im privaten Bereich treffen ihn Schicksalsschläge, nach nur fünfjähriger Ehe starb Reichardts junge Frau am 5. Mai 1783; recht schnell, am 14. Dezember des gleichen Jahres, heiratet Reichardt zum zweiten Male, sein neues Eheweib ist die Witwe Johanna Dorothea Wilhelmina Alberti-Hensler, die drei Kinder aus ihrer ersten Ehe mitbringt, Reichardt hatte zwei Töchter; im Laufe der Jahre kommen noch fünf gemeinsame Kinder dazu.
    Im Jahr 1783 absolviert er auch seine erste Italienreise, wo er auf der Rückreise über Wien kommt und noch den greisen Christoph Willibald Gluck kennenlernt.
    Reichardt reist viel, 1785 erhält er vom König Urlaub für eine Reise nach London.
    Anfang 1786 bittet Reichardt den König um einen sechsmonatigen Urlaub, weil er in Paris seine Oper »Tamerlan« aufführen möchte. Als der Komponist am 23. März 1786 in der französischen Hauptstadt eintrifft, läuft dort einiges schief, der Unternehmung ist kein Erfolg beschieden; 1788 versucht er in der französischen Metropole nochmal sein Glück.
    In Hamburg erreicht Reichardt die Nachricht, dass sein König am 17. August starb; er eilt sofort nach Berlin und erhält von Friedrich Wilhelm II. sogleich den Auftrag eine Trauerkantate für das Leichenbegräbnis des Großen Friedrich zu komponieren.


    Ab diesem Zeitpunkt ist Reichardt Kapellmeister Friedrich Wilhelms II., der schriftlich darlegt:


    »Als mein Kapellmeister haben Sie die Direktion über alle meine Musici, Benda bleibt bei der ersten Violine, Duport beim ersten Violoncell, alle übrigen rangieren Sie nach Ihrem Talent.«


    Das Orchester der Hofoper und die kronprinzliche Kapelle wurden zusammengelegt; es entstand so ein respektabler Klangkörper.
    1787 erhielt Reichardt den Auftrag, seine erste große italienische Oper »Perseo e Andromeda« zu präsentieren. Der neue Herrscher ist für die neuen künstlerischen Kräfte seiner Zeit aufgeschlossen; Reichardt erhielt den Auftrag, jährlich eine Oper aus eigener Hand und eine Oper von einem anderen Komponisten aufzuführen.


    Aber Reichardt hat wirklich Großes als Liederkomponist geleistet; etwa 1500 von ihm komponierte Lieder sind entstanden, mit die bekanntesten sind so einfache Liedchen wie »Schlaf, Kindchen schlaf« oder »Wenn ich ein Vöglein wär« Reichardt meinte: »Das Lied soll der einfache musikalische Ausdruck einer bestimmten Empfindung sein, ein korrektes vollendetes Ganzes ... dessen eigentlicher Wert in der Einheit des Gesanges besteht ...«
    Durch seine Hinwendung zur Dichtung der Klassiker erhob Reichardt schon vor Schubert das Lied in den Bereich des anerkannten Kunstgesanges. Dabei differenzierte er durchaus Gesänge, die von allen Leuten gesungen werden konnten, und solchen, die nur von stimmlich ausgebildeten Künstlern vorzutragen waren.
    Reinhardt kämpfte auch um die Einrichtung öffentlicher Singschulen, die seine Lieder dem Publikum näher bringen sollten.


    Zu Goethe hat Reichardt einen guten Draht, gleich für elf Tage beherbergt der Dichter den Komponisten und findet die Gespräche mit ihm offenbar hochinteressant, weil er den Hofkapellmeister, der ja auch über immense Theatererfahrung verfügte, als einen Tonkünstler von hohem Rang sieht - Zelter lernte Goethe erst später kennen. Andere wiederum sahen Reichardt als zudringlich an, eine Ansicht die dann später auch Goethe anmerkte, als er von Reichardts politischer Haltung enttäuscht war. Auch in den gemeinsam mit Schiller verfassten »Xenien« wurde Reichardt gebeutelt.


    Aber wenn man in einem Brief, der 1802 an Schillers Frau Charlotte geschrieben wurde, nachliest, ist festgehalten, dass Goethe ständig in Giebichenstein logiert, wenn er administrativ in Lauchstädt zu tun hat. In der Korrespondenz der tratschenden Damen steht: »Sag mir nur, wie´s kommt, daß auf einmal der Goethe wieder so freund mit Reichardt ist?«


    1790 reist Reichardt nach Neapel und interessierte Kreise machen zuhause gegen ihn Stimmung. Man war darauf aufmerksam geworden, dass Reichardt mit den Ideen der Französischen Revolution sympathisierte, was zu einem königlichen Beamten nicht so recht passte.
    Also nahm Reichardt eine Auszeit, wie man heutzutage sagt, der König gewährte Reichardt 1791 einen Urlaub »zur Rekonvaleszenz«. Reichert begibt sich auf eine ausgedehnte Reise nach Frankreich.
    1793 lebt Reichardt in Hamburg, im September holt er seine Familie aus Giebichenstein, um sie in einem Gut in der Nähe von Eutin unterzubringen, das nun für zwei Jahre der Lebensmittelpunkt der Familie ist. Von ´dort aus unternimmt Reichardt Reisen nach Skandinavien.
    1794 wurde Reichardt als Revolutionssympathisant ohne Pension aus seinem Amt als Hofkapellmeister entlassen und lebte dann zunächst in Hamburg; 1796 wurde er begnadigt und zum Salinendirektor in Halle ernannt.


    Die demütigende Entlassung kam für Reichardt überraschend in Form einer Kabinettsordre vom 28. Oktober 1794 mit dem Wortlaut:


    »Se. Königliche Majestät von Preußen etc. Unser allergnädigster Herr: Erteilen hiermit dem Kapellmeister Reichardt den Abschied; dessen bekanntes Betragen, besonders in Hamburg ist die Haupt-Veranlassung dazu.«


    Reichardt setzte alle Hebel in Bewegung, um diese Entscheidung rückgängig zu machen; er beteuerte seine Unschuld und schrieb an den König und den Kronprinzen, aber all seine Bemühungen waren vergeblich.
    Ab 1796 entwickelt sich das Gut in Giebichenstein so richtig zur »Herberge der Romantik«. Als der Herr Kapellmeister im Jahre1802 abermals eine Paris-Reise unternimmt, ist seine vormals frankophile Begeisterung einer kritischen Betrachtung gewichen, Reichardt wird zum erbitterten Gegner Napoleons - das sollte für ihn schlimme Folgen haben.


    Als Napoleons Truppen 1806 vom Süden kommend gegen Mitteldeutschland zogen, bevorzugten die preußischen General bei der Quartiersuche das gepflegte Gut in Giebichenstein. Gespräche über Kunst waren nun nicht mehr angesagt, alles drehte sich um den immer erfolgreicher werdenden Napoleon Bonaparte, der dann auch im Herbst bei Jena und Auerstedt siegte. Nun wurde es für Reichardt und seine Familie brenzlig, denn es war öffentlich bekannt, dass Reichardt ein Gegner Napoleons war. Reichert verfügte zwar nicht über Truppen, aber als Vielschreibender, der sich zu allen möglichen Sachverhalten äußerte, hatte 1804 etwas mit einer Veröffentlichung zu tun, die Napoleon nicht gefallen konnte. Als nun der neue Herrscher in der Gegend war, ließ er nach dem »professeur de musique« fahnden und ordnete an dessen Gut zu verwüsten.
    Reichardt floh nach Danzig, wo er sich in der Form an der Verteidigung Danzigs beteiligte, dass er beim Generalfeldmarschall Graf von Kalckreuth den Dienst eines Sekretärs versah.
    Seine Familie hatte Reichardt vorher noch auf einem Gut in der Mark Brandenburg untergebracht.


    Als der Pulverdampf der Schlachten verflogen war, kehrten die Reichardts 1807 auf ihr verwüstetes Gut zurück und Luise versuchte, die Wohnung in Giebichenstein wieder notdürftig herzurichten, so dass man wohnen konnte. Die Familie war verarmt, an das Wiederherstellen der vorigen Situation war nicht zu denken.
    Der »professeur de musique« muss nun nicht mehr um sein Leben bangen, er wird in der politisch neu geordneten Landschaft unter König Jérôme Bonaparte, dem jüngsten Bruder Napoléons, Generaldirektor der Theater in Kassel. Allerdings wird er aus dieser Position schon nach knapp zehn Monaten mehr oder weniger elegant nach Wien abgeschoben; um ihn in Kassel los zu haben, gab man Reichardt den Auftrag in Süddeutschland und in Wien nach Sängerinnen und Sängern für die Oper in Kassel Ausschau zu halten.
    In dieser Zeit war waren in Wien viele Polizeispitzel unterwegs, die sich dann sogleich auch an Reichardts Fersen hefteten - in einem Polizeibericht wird Reichert so beschrieben:


    »Er verbindet Künstlertalent, einen bekannten Namen, Weltton, Gewandtheit und Dreistigkeit auf eine solche Art, die ihm überall Zutritt verschafft ...«


    Die Beobachter konnten Reichardts Tagesablauf so erleben: Morgens war er beim Komponieren, mittags machte er Besuche in großen Häusern, dann folgten Teegesellschaften und abends Konzert oder Theater. Bei all dem wusste er ja wie es zu Hause in Giebichenstein aussah, aber er vertraute darauf, dass die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm, so wie sein Schwiegersohn, sich um seine Familie kümmerten.
    In Wien hatte Reichardt auch mehrmals Kontakt mit Beethoven, wobei es auch schon mal zu Unstimmigkeiten kam, aber als Beethoven zu Silvester 1808 im Hause der Gräfin Marie Erdödy seine beiden Klaviertrios Opus 70 vorstellte, die er der Dame widmete, konnte Reichardt den Komponisten am Flügel erleben und war von den Werken hell begeistert.
    Reichardt selbst findet in Wien mit seinen Liedern, Balladen und Deklamationen positive Beachtung, sogar mit einer gewissen Nachhaltigkeit, denn noch zehn Jahre später werden seine Lieder im Kreis von Franz Schubert gesungen. Schubert soll sich auch Stücke aus Reichardts 1804 in Leipzig erschienenen »Lieder der Liebe und der Einsamkeit« kopiert haben.


    Reichert hatte Wien auf einigen eingeplanten Umwegen erreicht, auch bei seiner Heimreise 1809 hatte er es nicht eilig und schaute mal hier und dort hinein. Als er wieder in Giebichenstein eintraf, beeilte er sich seine »Reisebriefe aus Wien« herauszubringen, damit wieder einige Taler in die Familienkasse kamen. Aber diese Veröffentlichungen konnten nicht den Beifall Goethes finden und auch Beethoven in Wien war erbost.
    Im Mai 1909 brachte Reichardt nochmals eine umfangreiche Sammlung von Goethes Liedern, Oden, Balladen und Romanzen heraus, die er der Königin Luise widmete.
    Im April 1810 kommt Reichardt das letzte Mal nach Berlin; er ist müde und sowohl gesundheitlich als auch finanziell ziemlich am Ende. Dort nimmt ihn die Familie Beer mitleidig auf und auch Zelter kümmert sich in selbstloser Weise um ihn.
    Noch einmal, man schreibt das Jahr 1812, entwickelt Reichardt Pläne zu einer deutschen romantischen Oper, aber er kam über die Skizze der Ouvertüre nicht hinaus. 1813 übersiedelte seine Tochter Luise in das Haus einer Freundin nach Hamburg, wo sie dann auch den Rest ihres Lebens verbrachte und in der Breite lehrend wirkte - auch schrieb sie Lieder, die heute noch zu hören sind.
    Reichardt durfte noch im April 1814 die Abdankung Napoleons erleben, aber er war gesundheitlich bereits so geschwächt, dass Anfang Mai seine Tochter Luise aus Hamburg anreiste, weil sie sein baldiges Ende befürchtete, aber Reichardt starb dann erst am frühen Morgen des 27. Juni.
    Über seinen Nachlass wurde der Konkurs verhängt; 1817 wird sein Nachlass versteigert, darunter 2607 Bücher und 569 Musikalien.


    Die »Leipziger Allgemeine musikalische Zeitung« schrieb in einem Nachruf:


    »In alledem, wo Geist überhaupt und allgemeine Bildung in der Tonkunst entscheiden kann, möchte er schwerlich zu ersetzen sein.«


    Praktischer Hinweis:
    Das Grab befindet sich nicht auf dem Friedhof Giebichenstein.
    Nicht allzu weit von seinem berühmten Garten entfernt, wurde Johann Friedrich Reichardt auf dem Friedhof der St. Bartholomäuskirche bestattet. Der Haupteingang ist am Bartholomäusberg.



    Der Haupteingang zum Kirchhof - von hier aus gesehen befindet sich das Grab hinter der Kirche



    Die Umfassungsmauer des Kirchhofs sieht - aktuell April 2018 - so aus; unverkennbar hat auch in Giebichenstein eine neue Art von Kultur ihren Einzug gehalten.

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  • https://www.youtube.com/watch?v=NSWN9RBCrtk


    Lieber hart, mit einem musikalischen Beitrag möchte ich für das Gedenken an Johann Friedrich Reichardt danken. Die Altistin Käthe Röschke singt in einer Aufnahme aus Halle Bürgers Ballade "Lenore" in der Vertonung durch Reichardt. Nicht nur, dass ich diese Ballade, die tiefe Spuren hinterlassen hat, über die Maßen schätze. Mir ging auch dieses unerwartet Rendezvous mit der Sängerin bei YouTube nahe. Ihr habe ich meine Liebe zu Johann Sebastian Bach zu verdanken. In ganz jungen Jahren hörte ich in Kirchen die Passionen mit ihr. Sie öffnete mir die Ohren für diese Musik.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent



  • Zum heutigen Geburtstag von Joseph Beck



    Detail der Grabinschrift


    Wenn man das Geburtsdatum im Großen Sängerlexikon und in Wikipedia anschaut und dann mit den Angaben auf dem Grabstein vergleicht, weiß man, dass sich entweder die Lexikonschreiber oder der Bildhauer geirrt haben - in Lortzings Oper »Der Waffenschmied« wird es vom Knappen Georg gesungen: »Man wird ja einmal nur geboren«


    Der laut Grabinschrift 1849 Geborene, war der Sohn des Wiener Hofopernsängers Johann Nepomuk Beck. Man muss den alten Überlieferungen glauben, dass das herausragende Sänger ihrer Epoche waren, Tonaufnahmen gibt es nicht.


    Studiert man die Daten auf dem Grabstein genauer, bemerkt man, dass der Vater seinen Sohn überlebte. Johann Nepomuk Beck war einer der bedeutendsten Baritone seiner Zeit, der über mehr als drei Jahrzehnte eine glänzende Karriere an der Wiener Hofoper absolvierte.


    Joseph Beck hatte vom Vater reichlich Erbmasse übertragen bekommen und wurde folglich auch von ihm im Singen unterwiesen, hatte sich dann jedoch zunächst für den Beruf eines Lithografen entschieden, den er allerdings nicht lange ausgeübt haben kann; wenn das überlieferte Datum stimmt, dass er 1865 sein Bühnendebüt am Stadttheater von Olmütz gab. Hier und an seiner nächsten Station, dem Theater in Karlsbad, sang er noch Buffopartien.


    Joseph Beck ließ sich danach weiter in Wien ausbilden und nahm dann ein Engagement am Laibacher Opernhaus an, heute ist das die slowenische Stadt Ljubljana.
    Sein weiterer Weg führte ihn über die Opernhäuser Frankfurt am Main und Köln. Im Verlauf seiner weiteren Karriere hörte man Joseph Beck wieder in südlicheren Gefilden; in den Jahren 1872 bis 1874 sang er in Salzburg und danach für ein Jahr in Graz; seine nächste Station war die Hofoper in Berlin.
    Aus Berlin kam auch Richard Lucae, ein Architekt, der in Frankfurt am Main in siebenjähriger Bauzeit ein neues Opernhaus baute. Joseph Beck kam schon 1878 von Berlin nach Frankfurt und sang dort 1879 in der umjubelten Uraufführung von Albert Dietrichs Oper »Robin Hood« den Richard Löwenherz.
    Am 20. Oktober 1880 hatte Beck die große Ehre in der Titelrolle von Mozarts »Don Giovanni« das neu erbaute Opernhaus in Frankfurt am Main einzuweihen. An diesem Hause sang er auch in der Frankfurter Premiere den Hans Sachs in »Die Meistersinger von Nürnberg«.
    1885 wechselte Beck ans Deutsche Theater in Prag, wo Angelo Neumann als Theaterdirektor namhafte Künstler an diesem neuen Haus versammelte. Aber schon in der Saison 1887/88 war der so häufig wechselnde Sänger am Stadttheater Bremen engagiert.


    Die Metropolitan Oper New York hatte schon immer Bedarf an Sängern des deutschen Fachs, und so kam auch der Bariton Joseph Beck in den Blickwinkel der »Met«-Manager. Das Haus war gerade mal fünf Jahre alt, als Beck dort erstmals die Bühne als Heerrufer im »Lohengrin« betrat.
    Im Folgenden hörte man ihn in New York vor allem in Wagner-Partien: als Alberich in der amerikanischen Erstaufführung von »Rheingold«, als Wolfram in »Tannhäuser«, als Kurwenal in »Tristan und Isolde« und als Pogner in »Die Meistersinger von Nürnberg«
    Aber er trat auch als Pizarro in »Fidelio«, als Salomon in Goldmarks »Königin von Saba« und auch in Opern von Cornelius, Verdi, Rossini und Meyerbeer auf; insgesamt war er in den Jahren 1888 bis 1890 in 17 verschiedenen Rollen an der »Met« zu hören.
    Natürlich gastierte der Sänger auch noch an anderen Bühnen, wie zum Beispiel den Hoftheatern in Wien und Hannover ...


    Als Johann Nepomuk Beck, der sehr berühmte Vater von Joseph Beck, geisteskrank wurde, widmete sich der Sohn weitgehend der Betreuung seines Vaters, der zurückgezogen in Preßburg, dem heutigen Bratislava, lebte. In der Spielzeit 1895/96 war Joseph Beck dort noch als Sänger zu hören, aber auch als Regisseur tätig.
    Das Schicksal wollte es so, dass der Sohn vor dem Vater starb, nämlich am 15. Februar 1903 und der Vater am 9. April 1904.


    Praktischer Hinweis:
    Das Grab der Opernsänger Joseph Beck und Johann Nepomuk Beck befindet sich auf dem Wiener Zentralfriedhof - Gruppe 30E, das ist nicht weit vom Haupttor entfernt, gleich hinter den Alten Arkaden links.


  • Zum heutigen Geburtstag von Christa Maria Ziese


    Klaviermusik dürfte ihr vermutlich bereits im Säuglingsalter vertraut gewesen sein, denn sie wurde als Tochter einer Pianistin geboren, ihr Vater war Kaufmann. Tochter Christa Maria fand Gefallen am Klavierspiel der Mutter, die in Bad Dürrenberg als Klavierlehrerin bekannt war.
    So kam es dann, dass Christa Maria Ziese ab 1942 an der Hochschule für Musik in Leipzig im Hauptfach Klavier studierte.
    Bei musikalischen Aktivitäten in Bad Dürrenberg und auch im Umland war aufgefallen, dass Christa Maria Ziese nicht nur Klavier spielen konnte, sondern auch im Besitz einer wohlklingenden Stimme war, denn sie trat da in kleinerem Rahmen schon mal solistisch in Erscheinung. Einige Zeit leitete sie auch den Chor des Domgymnasiums im nahen Merseburg.


    Nachdem sie an der Hochschule in Leipzig zwei Jahre Gesang studiert hatte - ihre Lehrer waren Gottlieb Zeithammer und Josef-Maria Hauschild - bot ihr 1947 das Opernhaus Leipzig einen Vertrag als Altistin (!) an. Dort sang sie zunächst die typischen Anfängerpartien in diesem Stimmfach, aber konnte sich auch außerhalb des Hauses profilieren. Beim Carl-Maria-von-Weber-Wettbewerb in Dresden konnte sie sich auszeichnen und beim Internationalen Bach-Wettbewerb in Leipzig errang sie 1950 einen beachtlichen 3. Preis; beim Prager Frühling 1954 war sie dann schon Trägerin des ersten Preises.


    1951 war Frau Ziese im Ensemble des Deutschen Nationaltheaters in Weimar, wo sie mit größeren Rollen des jugendlich-dramatischen Soprans (!) betraut wurde. 1954 kehrte sie mit viel Bühnenerfahrung an das Leipziger Haus zurück. Sie war nun zwar zum Sopran avanciert, konnte aber dennoch auch mühelos Partien wie Carmen oder Octavian im »Rosenkavalier« bewältigen.


    Christa Maria Ziese war zwar von 1954 bis 1977 am Opernhaus in Leipzig engagiert, gastierte aber oft an der Staatsoper Berlin und auch an der Komischen Oper in Berlin, sowie an der Staatsoper in Dresden, zudem kamen Gastspiele am Moskauer Bolschoi-Theater und in Brno.
    Etwas Besonderes stellten damals Gastspiele in der westlichen Welt dar, da absolvierte sie Auftritte an der Deutschen Oper am Rhein, Hamburg, Hannover, Zürich und Nizza.


    Sie besaß eine große Stimme, von besonderer Ausdruckskraft und konnte diese am besten im hochdramatischen Fach zur Geltung bringen - als Venus in »Tannhäuser«, Leonore in »Fidelio« ... Senta, Isolde, Aida, Santuzza, Salome, Tosca, Turandot, Carmen ...


    Als sie 1977 ihre Bühnentätigkeit beendete, nahm sie noch pädagogische Aufgaben wahr. Später wohnte sie in Schönau, einem kleinen Odenwaldstädtchen, 20 Kilometer nordöstlich von Heidelberg; auch der heute bekannte Chorleiter Johannes Knecht pilgerte eine Zeit lang zweimal die Woche zu ihr und bezeichnete es als Glücksfall, dass sie sich seiner annahm.
    Später wohnte sie bei ihren Kindern in Karlsruhe und zuletzt im thüringischen Meiningen, wo sie in einer betreuten Wohnung lebte. Am Ende ihres Lebens gab es Probleme mit dem Sauerstoff, sie starb im Krankenhaus im Meiningen.
    Die Trauerfeier fand am 22. Februar 2012 in der Hauptkapelle auf dem Südfriedhof in Leipzig statt. Dort ruhen nun beide Künstler im gemeinsamen Grab, ihr Mann war bereits 2005 im Odenwald verstorben.


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    Rainer Lüdecke wurde in Essen geboren, wo er auch seine Ausbildung bei Professor Erwin Roettgen begann; im Anschluss daran wurde er in Leipzig von der nur um drei Jahre älteren Sängerin Christa Maria Ziese unterwiesen. Es muss eine ersprießliche Zusammenarbeit gewesen sein, denn Schüler und Lehrerin heirateten einander und aus der Ehe gingen ein Sohn und eine Tochter hervor.


    Sein Debüt gab der Bass-Bariton 1951 am Volkstheater Halberstadt in der Rolle des Komtur in »Don Giovanni«, und wechselte 1952 zum Sächsischen Landestheater Dresden-Radebeul, wo er bis 1955 blieb. Ab 1957 wurde er an das Opernhaus Leipzig verpflichtet, wo sich der Sänger zu einer wesentlichen Stütze des Ensembles entwickelte. Am Anfang der 1960er Jahre vollzog Lüdecke einen Fachwechsel hin zum Heldenbariton.
    Sein künstlerisches Wirken blieb nicht auf Leipzig beschränkt; er gab regelmäßig Gastspiele an den Staatsopern in Berlin und Dresden. Mit seinem umfangreichen Repertoire trat er auch international in Erscheinung und sang zum Beispiel auch am Bolschoi-Theater in Moskau, an der Nationaloper in Belgrad und an den Opernhäusern von Lodz und Brno.
    Sogar im Westen war Lüdecke zu hören; 1983 gastierte er beim Festival von Lausanne, wo er als König Marke in »Tristan und Isolde« auftrat. Als das Staatstheater Dessau im November 1990 ein Gastspiel in Ludwigshafen gab, stand Lüdecke in einer Inszenierung von Rüdiger Flohr als Ochs auf Lerchenau im »Rosenkavalier auf der Bühne.
    Auch heute noch ist seine Stimme auf einer außergewöhnlichen DVD zu hören, die als Kult-Verfilmung von »Der fliegende Holländer« im Jahre 1964 gilt; der renommierte Regisseur Joachim Herz hatte diese Oper nicht nur optisch, sondern auch dramaturgisch auf das Medium Film übertragen. Wie gesagt, hier ist die Stimme von Rainer Lüdecke in der Rolle des Holländer zu hören, zu sehen ist er nicht, denn die Sängerinnen und Sänger wurden durch Schauspieler gedoubelt, Rainer Lüdecke lieh seine Stimme dem Schauspieler Fred Düren.


    Im vorigen Text wurde nur das Opernschaffen der beiden Künstler dargestellt, es sei nachdrücklich darauf hingewiesen, dass sie sich auch auf den Konzertpodien sehr erfolgreich präsentierten.


    Für Leser, die bei Richard Wagner nicht so zuhause sind, noch der Hinweis zu dem Text »Der Vogel, der heut´ sang, dem war der Schnabel hold gewachsen ...« er bezieht sich auf Szene 3 im II. Akt der Oper »Die Meistersinger von Nürnberg«.


    Praktischer Hinweis:
    Das Grab befindet sich auf dem Südfriedhof in Leipzig; dort in der Abteilung II, nicht weit vom Eingang am Friedhofsweg 3 entfernt, der sich in der Nähe des Völkerschlacht-Denkmals befindet.
    Im gleichen Gräberfeld ist auch die letzte Ruhestätte der Kollegin Rosemarie Lang (siehe Beitrag Nr. 539)


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    Tondokumente mit Christa Maria Ziese

  • Christa Maria Ziese war zwar von 1954 bis 1977 am Opernhaus in Leipzig engagiert, gastierte aber oft an der Staatsoper Berlin

    Ihr Debüt an der Deutschen Staatsoper Berlin hatte sie am 27. April 1959 als Agathe im "Freischütz" (unter Arthur Apelt neben Ingeborg Wenglor als Ännchen, Günther Treptow als Max, Gerhard Frei als Kaspar und Manfred Krug als Samiel!!!).


    Die Agathe sang die Ziese an der Staatsoper Berlin auch am 28. Mai 1959 (neben Gerhard Stolze als Max) und am 5. Juni 1959 (unter Franz Konwitschny).


    Am 6. September 1961 sang sie die Aida neben Helge Rosvaenge unter Franz Konwitschny.


    Am 23.12.1961 und am 31.01.1962 gastierte sie als "Fidelio"-Leonore (neben Erich Witte als Florestan).


    Am 7. Juni 1964 sang sie die Carmen unter Heinz Fricke neben Martin Ritzmann als Don José.


    Ihren letzte Auftritt an der Staatsoper Berlin hatte sie am 1. Oktober 1965 (wieder) als Aida (neben Irina Archipowa als Amneris und Martin Ritzmann als Radames unter Heinz Rögner).


    Sie besaß eine große Stimme, von besonderer Ausdruckskraft und konnte diese am besten im hochdramatischen Fach zur Geltung bringen - als Venus in »Tannhäuser«, Leonore in »Fidelio« ... Senta, Isolde, Aida, Santuzza, Salome, Tosca, Turandot, Carmen ...

    In diesem (leider nur) Teilmitschnitt ist sie eine wirklich enorm gute Salome:



    https://www.youtube.com/watch?v=_Ehu1CTJZsU

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Banner Trailer Gelbe Rose

  • Es sei mir gestattet, den Gedenkfaden für Christa Maria Ziese noch etwas weiterzuspinnen. In meinen Beständen habe ich ein Foto einer Szene aus der Leipziger "Salome" gefunden, die dort im März 1956 Premiere hatte. Zu sehen sind die Ziese in der Titelrolle, rechts daneben Ferdinand Bürgmann als Herodes, dahinter stehend Elise Bey als Herodias. Die letztgenannte Sängerin scheint nur wenige Spuren hinterlassen zu haben. Ich fand keine biografischen Details, gehe aber davon aus, dass sie in der von Stimmenliebhaber verlinkte Szene ebenfalls die Herodias gibt.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Lieber Stimmenliebhaber,
    schön, dass mein »Berliner Büro« immer solche präzise Daten und Fakten ergänzend hinzu liefern kann ...


    Lieber Rheingold,
    auch dieser Beitrag macht Vergangenes wieder ein bisschen lebendig ...


  • Zum heutigen Geburtstag von Kurt Masur



    Wenn bei Masurs Familienfeste gefeiert wurden, musste keine Musikkapelle engagiert werden, in der zahlreichen Verwandtschaft gab es genug Leute, die eine musikalische Umrahmung zustande brachten.
    Kurts Vater war Elektroingenieur und betrieb ein Geschäft für Elektrowaren mit einer Installationswerkstatt, aber von blendenden Geschäften konnte keine Rede sein, der Verkauf einer Glühbirne für 75 Pfennige wurde mitunter zur Bereicherung des Abendbrots freudig registriert. Und dann gab es auch noch das Problem, dass der Vater dem Alkohol zusprach.
    Masur singt seiner Mutter eine Lobeshymne in den höchsten Tönen, sie sei die der Dreh- und Angelpunkt der Familie gewesen, bei all dem pries er ihre grenzenlose Geduld, Sanftmut und Güte. Kurt hatte noch zwei ältere Schwestern, mit denen er abends im Bett bis zur Ermüdung Volkslieder sang. Eine seiner Schwestern spielte gut Akkordeon und die andere mit mäßiger Begabung Klavier; als Fünfjähriger suchte er hier seine ersten Töne zusammen und einige Zeit später war dann seine Schwester sauer, weil Kurt sie an diesem Instrument locker überholt hatte.
    Kurts Vater war neben seinem Beruf auch bei der Feuerwehr, da gab es Freikarten fürs Theater und der Sohn durfte manchmal mitkommen. Das alles spielte sich in Brieg, einem Städtchen mit dreißigtausend Einwohnern ab, etwa dreißig Kilometer von Breslau entfernt.
    Im Grunde war Kurt ein schüchterner Junge, den seine Schwestern »das Brüderle« nannten; diese Bezeichnung übernahm dann auch sein Klassenlehrer und seine Klassenkameraden schlossen sich hänselnd an, er wurde nicht ernst genommen. Irgendwie war den Burschen aber bekannt geworden, dass das »Brüderle« Klavier spielen kann und die Klasse bedrängte ihn in der Schulpause, das mal zu zeigen. Es war sein erster durchschlagender Erfolg vor Publikum, er hatte sich beim Lehrer und seinen Mitschülern Anerkennung erworben.


    In der Oberschule fand der Musikunterricht auf einem besseren Niveau statt und Kurt hatte bei entsprechenden Feierstunden Gelegenheit sein Können einzubringen. Bei einer Familienfeier brillierte er mal wieder auf dem Klavier und ein Onkel, der Kapellmeister war, fragte den Jungen, wie lange er denn schon Unterricht habe. Als dem Kapellmeister gesagt wurde, dass bisher alles autodidaktisch erlernt wurde, intervenierte er, dass Kurt einen ordentlichen Unterricht bekommen müsse. Dem Vater gefiel diese Idee überhaupt nicht, weil der Sohn einmal das Geschäft weiterführen sollte, aber die Mutter meldete ihn unverzüglich bei der zweiten Organistin der Nikolaikirche an. Danach wurde es für Kurt am Klavier stressig, Katharina Hartmann, eine Klavierlehrerin mit festem Haarknoten und strengen Regeln, strebte einen ordentlichen Unterricht an. Kurt kannte zu diesem Zeitpunkt weder Fingersatz noch Handhaltung und eine Tonleiter konnte er auch nicht spielen. Das waren für Lehrerin und Schüler harte Stunden und der junge Masur hörte immer wieder:
    »Du hast wieder nicht das geübt, was du solltest. Du spielst immer nur auf dem Klavier, was du willst. Das nützt uns nichts. Schäm dich, geh nach Hause und sag deiner Mutter, sie hat das Geld für die Stunde umsonst bezahlt.«
    Es war ein hartes Ringen; bis zu seinem sechszehnten Lebensjahr - im Sommer 1943 - blieb er ihr Klavierschüler; als Katharina Hartmann 1997 hochbetagt starb, hatte der inzwischen weltberühmte Kurt Masur immer noch Kontakt zu ihr - Masur verdankte seiner Klavierlehrerin die wesentlichen Grundlagen seiner Dirigentenlaufbahn.


    Zunächst besuchte Masur regelmäßig die Musikschule in Breslau und machte dort weitere Fortschritte auf dem Klavier, wo Chopin-Etüden auf seinem Übungsplan standen, aber er nahm auch Cello-Unterricht, denn für ihn stand inzwischen fest, dass er Musiker werden würde, aus seiner damaligen Sicht entweder Pianist oder Organist.
    Als er erstmals in seinem Leben Beethovens Neunte Sinfonie live im Konzertsaal hörte, war er hin und weg, das Erlebnis war für ihn so tief gewesen, dass er nach eigenem Bekunden tagelang nicht ansprechbar war. Als er seiner Mutter eröffnete, dass er nun Dirigent werden wolle, lächelte diese milde, denn es war kaum vorstellbar, dass ihr scheuer introvertierter Sohn eine solche Aufgabe bewältigen konnte; allerdings hatte er in Brieg schon einen Schülerchor geleitet, aber ob das vergleichbar war?
    Der junge Masur sah selbst ganz klar, dass er Hemmungen überwinden musste und hangelte sich von einer Mutprobe zur anderen, um sein Selbstbewusstsein zu stärken. Seine musikalischen Kenntnisse erweiterte er durch die knisternden Wiedergaben von Konzerten aus dem »Volksempfänger«, hier hörte er auch erstmals die Berliner Philharmoniker unter Furtwängler.


    Nach der Schlacht von Stalingrad im Winter 1943 sagte Vater Masur: »Junge. den Krieg haben wir verloren!« Solches durfte man damals nicht laut sagen, denn die Regierenden waren davon überzeugt, dass da noch ein Endsieg zu erringen sei, jeder Mann zwischen sechzehn und sechzig wurde gebraucht, Kurt Masur war einer von ihnen. Schnell war der »Reifevermerk der Oberschule« erteilt und man eilte zu den Waffen. Die Verluste seines Jahrgangs waren groß; als der Pulverdampf verzogen war, fand er sich in einem britischen Internierungslager in Ostfriesland wieder, wo Musizieren möglich war und sonntags durfte er in den Kirchen der umliegenden Gemeinden sogar Orgel spielen.
    Irgendwie kam die Familie wieder in der sowjetischen Besatzungszone zusammen, das Wichtigste war, dass alle überlebt hatten. In Quedlinburg hätte sich Masur zum Schulmusiker ausbilden lassen können, aber er glaubte am berühmten Leipziger Konservatorium besser aufgehoben zu sein. Im Februar 1946 bestand er dort die Aufnahmeprüfung, in deren Verlauf er auch am Klavier Schumanns «Faschingsschwank« vortrug.
    Dort fand er ihn prägende Lehrer; durch Beeinträchtigung eines Fingers an Masurs Hand wurde das Klavierstudium dann nicht weiter verfolgt; seine eigentliche Dirigierausbildung begann bei Kurt Soldan, dann kam noch Heinz Bongartz als Lehrer hinzu.
    Neben seinem Studium half er schon mal als Pianist in einer Tanzschule aus oder musizierte mit Studienkollegen in Tanzsälen von Leipzig. Seine Liebe zum Jazz begleitete Masur ein Leben lang.


    Die Anfrage kam von einer ehemaligen Mitstudentin, die inzwischen Sängerin am Landestheater in Halle war: »Die suchen in Halle einen Korrepetitor, vielleicht hast du ja Lust da hinzugehen?«
    Halle war ja nur dreißig Kilometer von Leipzig entfernt; nach einigen Überlegungen stand sein Entschluss fest, den Studienabschluss sausen zu lassen und die Korrepetitorstelle mit Dirigierverpflichtung anzunehmen. Seine erste Einstudierung war »Der Rosenkavalier«. Sein Arbeitspensum war enorm; in seiner drei Jahre währenden Zeit in Halle studierte er etwa dreißig Opern ein.
    Das professionelle Klavierspielen fand unter diesen Umständen keinen Raum, aber auch durch das Handicap des Fingers war das dann ohnehin kein Thema mehr. Sein erstes offizielles Dirigat in Halle, war die Musik zum Märchenspiel »Die Prinzessin und der Schweinehirt« von Rudolf Neuhaus. Aber dann stand er auch am Pult, wenn »Othello« oder »Rigoletto« gegeben wurde.
    1951 dirigierte der erst dreiundzwanzigjährige Masur sein erstes Sinfoniekonzert mit dem renommierten Loh-Orchester Sondershausen.



    Aber auch privat tat sich etwas, inzwischen hatte Kurt Masur geheiratet. Brigitte Stütze, seine erste Liebe. Sie hatten sich bereits mit sechszehn in Brieg kennen gelernt, in einer Tanzgruppe, wo er seiner Cousine gelegentlich als zweiter Pianist aushalf. Für ihn war schnell klar, dass niemand anderes als dieses Mädchen seine Frau werden sollte. Während des Krieges verlor man sich aus den Augen. Doch Kurt Masur hatte Brigitte nicht vergessen. Er ließ sie über das Rote Kreuz suchen und erfuhr, dass sie nach der Flucht inzwischen in der Nähe vom Tegernsee in Schaftlach bei Riedern lebte und sich ihr Geld als Handweberin verdiente; sie war Absolventin der bekannten Kunsthandwerkschule in Giebichenstein.
    Die Liebe muss groß gewesen sein, denn immerhin war das für die Frau ein Wechsel vom Westen in den Osten des Landes. Als der erste Sohn, Michael, geboren wurde, bekam das Paar von der Stadt eine kleine Wohnung zugeteilt.
    Bald stand der nunmehr 24-Jährige vor der Wahl, entweder Chefdirigent in Stralsund oder Erster Kapellmeister in Erfurt zu werden. Ein Probedirigat an beiden Orten führte zu seiner Entscheidung nach Erfurt zu gehen, weil dort das Orchester die besseren Möglichkeiten bot.
    Auch die privaten Verhältnisse verbesserten sich in Erfurt, wohin die Familie mit dem Stellenwechsel gezogen war; die Oper hatte ihrem neuen Kapellmeister eine hübsche Wohnung vermittelt, was auch nötig war, denn Michael bekam noch ein Schwesterchen. Die finanzielle Situation der Familie hatte sich dergestalt verbessert, dass sich Masurs Gehalt im Vergleich zu seiner vorigen Position nahezu verdoppelt hatte.
    Auch in seiner Erfurter Zeit war er nebenher noch Konzertdirigent beim Loh-Orchester Sondershausen. Durch diese unterschiedlichen Tätigkeiten konnte er seinen künstlerisch-interpretatorischen Horizont wesentlich erweitern.


    Von seinen eigenen Einstudierungen in Erfurt war ihm Dvořáks »Rusalka« die liebste, aber ob das ausschließlich musikalische Gründe waren, ist nicht ganz sicher, denn der Dirigent verliebte sich Hals über Kopf in die Sängerin der Rusalka.
    Als 1953 Franz Jung, sein Erfurter Chef, nach Dresden wechselt, stellt Masur Überlegungen an, wie es für ihn weiter gehen sollte, denn inzwischen war man auch schon außerhalb Erfurts auf Masur aufmerksam geworden.
    Nun ergab es sich, dass Erich Kleiber in Berlin gerade »Rigoletto« und »Don Giovanni« dirigierte und Masur Gelegenheit hatte den beiden Aufführungen dieses Star-Dirigenten beizuwohnen; eine ehemalige Sekretärin des Theaters Erfurt, die zur Berliner Staatsoper gewechselt war, hatte nicht nur das zuwege gebracht, sondern sogar eine »Privataudienz« mit Kleiber arrangiert. Dabei kam es zum Fachgespräch über »Rusalka«, wobei der Jung-Dirigent von Kleiber darüber belehrt wurde, dass bei der Titelfigur nicht das »a«, sondern das »u« zu betonen sei.
    Etwa eine Woche später konnte besagte Sekretärin noch einmal segensreich wirken; sie rief Masur an und sagte: »Herr Professor Kleiber lädt Sie ein, fünfmal ›La Traviata‹ an der Berliner Staatsoper zu dirigieren!« Kurze Zeitspäter wurde Masur nach Leipzig eingeladen, um dort »Butterfly« und »Fidelio« zu dirigieren. Seine Dirigate hatten in Leipzig einen positiven Eindruck hinterlassen, und die Intendanz entschied sich für ein Engagement; Masur war nun in der Position eines koordinierten Ersten Kapellmeisters, da Heinz Fricke hier bereits am Pult stand.


    Kurz nach den Ereignissen des17. Juni 1953 trat Kurt Masur seine Stelle in Leipzig an; knapp zwei Jahre später sprach Masurs früherer Lehrer, Heinz Bongartz, der nun Chefdirigent der Dresdner Philharmoniker war, seinen ehemaligen Schüler an, ob er nicht auch Konzerte in Dresden dirigieren wollte. Er wollte, musste aber für diese auswärtigen Termine immer Urlaub beantragen und das Pendeln mit dem Zug kostete Zeit; das erste Auto wurde angeschafft, ein Gebrauchtwagen, Marke Auto-Union, Baujahr 1934.
    In Dresden hatte Bongartz in den vergangenen acht Jahren als Chefdirigent wertvolle Aufbauarbeit geleistet. Bongartz´ bisheriger »Zweiter Dirigent«, Heinz Jung, folgte einem Ruf an die Leipziger Musikhochschule, so war die Stelle für Masur frei geworden.
    Auch mit den Dresdner Philharmonikern verstand sich Masur gut. Mit diesem Orchester gab es auch viele Auslandsreisen, bevorzugt natürlich in Länder des Ostblocks, bei den selteneren Westreisen war die Nervosität groß, und groß war auch die Aufregung, als in den 1980er Jahren Zubin Mehta Masur einlud sein Israel Philharmonic Orchestra zu dirigieren. Solange Masur das Tor zur Welt offen stand und er reisen durfte, störte ihn das politische System der DDR nicht.


    Am 2. Januar 1958 war Kurt Masur zu einem Probedirigat ans Mecklenburgische Staatstheater Schwerin eingeladen, weil dort die Position des Musikalischen Oberleiters neu zu besetzen war.
    Man ahnt es - das Probedirigat war erfolgreich und Masur bekam den Chefposten, und er hatte gute Leute dort, zum Beispiel die später berühmte Hanne-Lore Kuhse, die schon 1952 nach Schwerin gekommen war.
    Die persönlichen Randbedingungen waren in Schwerin eher schlecht, die Familie war getrennt und der Herr Generalmusikdirektor hatte dort noch nicht einmal ein Zimmer, sondern schlief in seinem Büro auf einer Matte, die ihm der Intendant geliehen hatte.
    Zwei Jahre später tat sich für Masur die scheinbare Chance auf die Dresdner Staatskapelle zu übernehmen, aber als es dort in die entscheidende Phase ging, stach ihn der Österreicher Otmar Suitner aus. Trotzdem ging Masur dann von Schwerin weg und wandte sich nach Berlin.
    Als er in Berlin ein Rundfunkkonzert mit Beethovens »Fünfter« dirigierte, kam Walter Felsenstein auf ihn zu und erklärte, dass er daran interessiert sei, ihn als Chefdirigenten an der Komischen Oper zu haben. Also gab Masur am 3. Juli 1960 sein Abschiedskonzert in Schwerin.


    Kurt Masur mochte Felsensteins Stil grundsätzlich, aber in der täglichen Zusammenarbeit mochten sich die beiden mal mehr oder weniger, als es weniger wurde, und auch bei der Orchesterarbeit Misstöne aufkamen, trennte man sich, Anfang 1964 reichte Masur seine Kündigung zum Ende der Spielzeit ein. Wie es für ihn konkret weitergehen sollte, wusste er nicht.
    Auch mit der Ehe ging es nicht weiter, aber seine Frau hatte die Kinder all die Zeit alleine erzogen und lehnte die von ihm gewollte Scheidung ab. Masur hatte eine alte Liebe, es war die Tänzerin Irmgard Kaul, die er aus seiner Schweriner Zeit kannte und die nun an der Staatsoper tanzte, in Berlin wiederentdeckt. Masur war bereits zu Hause ausgezogen und konnte sich so ganz seiner neuen Liebe widmen.
    Weit schlechter waren dagegen die beruflichen Möglichkeiten geworden, denn Masur war nun ein Dirigent ohne Orchester und bald musste er bemerken, dass ihn Staatsführung und Presse immer weniger mochten. Er hätte zwar ausreichend Gelegenheit gehabt zu politischen Feierstunden zu dirigieren, fand dies jedoch als demütigend. Daneben tat sich eine finanziell schlechte Situation auf, Masur musste seinen Tatra 603, ein Fahrzeug der Luxusklasse, verkaufen. Wenn ein Künstler in Ungnade gefallen war, wurden die Mitarbeiter der Künstleragentur angewiesen, bei Anfragen aus dem Ausland zu antworten, dass der Künstler sehr beschäftigt ist und keine Zeit hat. Das kam einem »Auslandsverbot« gleich, obwohl dies nie ausgesprochen wurde. Als es um Kurt Masur sehr ruhig geworden war, kam die Wende durch Walter Felsenstein, der ihn 1965 bat ihren an der Komischen Oper gemeinsam erarbeiteten »Othello« bei einem anstehenden Moskau-Gastspiel zu dirigieren.


    Hieraus ergab sich ein Angebot aus Venedig, dort für einige Wochen »Lohengrin« einzustudieren. Als Masur für sich entschied das zu machen, kam es zu einem verbalen Gerangel im Ministerium; Masur setzte alles auf eine Karte und durfte fahren. Das Stück wurde italienisch gesungen, als Lohengrin stand Sándor Kónya zur Verfügung.
    1966 war ein wichtiges privates Ereignis, Carolin, die gemeinsame Tochter von Kurt Masur und Irmgard Kaul, wurde geboren; seine erste Ehe wurde erst 1970 geschieden; erst 1971 heiratet Masur Irmgard Kaul.


    Im Sommer 1967, als er sich intensiv mit Beethovens Neunter Sinfonie befasste, waren ihm Unstimmigkeiten beim Vergleich mit der Faksimileausgabe des Autographs aufgefallen, die er 1968 publizierte.
    In dieser Zeit hatten auch die Parteifunktionäre erkannt, dass Masur als kulturelles Aushängeschild zu gebrauchen war und sie konnten ziemlich sicher sein, dass er auch stets wieder zurückkehrt.


    Anfang September 1967 hört man in Dresden Beethovens »Neunte« mit der »Dresdner Philharmonie«; Masur war an seine alte Wirkungsstätte zurückgekehrt und hatte das Orchester übernommen und zu internationalen Erfolgen geführt. Mit der politischen Administration kam es zu Meinungsverschiedenheiten, der Übergang nach Leipzig vollzog sich fließend; bis 1972 war Masur Chefdirigent der »Dresdner Philharmonie«, aber seit 1970 auch Gewandhauskapellmeister in Leipzig, er leitete also für die Dauer von zwei Jahren beide Orchester gleichzeitig.
    Masurs Vorgänger war Václav Neumann, der 1968 unter Protest die DDR verlassen hatte, weil die Truppen des Warschauer Paktes seine Heimat besetzt hatten.
    Bei der feierlichen Bestallung als Gewandhauskapellmeister der Stadt Leipzig im August 1970 war Masur 43 Jahre alt. Durch ständige Gastdirigate in den Musikzentren der Welt, wurde Masur nun zum Pultstar.


    Am 26. April 1972, es war um 18:20 Uhr, befand sich Masur mit seiner Frau und der fünfjährigen Tochter Carolin auf der Fahrt von Berlin nach Leipzig und geriet in der Nähe von Brück mit seinem weißen Mercedes in einer leichten Rechtskurve auf die Gegenfahrbahn - die Autobahn hatte an dieser Stelle keine Leitplanke - und stieß mit einem Trabant, in dem zwei junge Männer saßen zusammen. Frau Masur und der Beifahrer des Trabants waren sofort tot, der Fahrer starb zwei Stunden später im Krankenhaus. Die Tochter blieb körperlich unverletzt.


    Nach der Wende - 1991 - befasste sich die Presse mit diesem Unfall und kam zu dem Schluss, dass damals staatliche Organe ihr kulturelles Aushängeschild davor geschützt haben, zur Verantwortung gezogen zu werden.
    DER SPIEGEL schrieb damals: »Der Dirigent muss wegen Wirbelsäulen-Prellung und einigen Rippenbrüchen kurzzeitig stationär behandelt werden«; in einer Biografie wird erklärt, dass Masur mehrere Wochen im Krankenhaus lag ...


    Der Schock saß tief, er fragte sich: Hat das Leben überhaupt noch einen Sinn? Nur noch einmal wollte er dirigieren - Bachs h-moll-Messe zum Gedenken an seine Frau. Anfang Juni setzte er das in die Tat um und stand wieder vor seinem Orchester.
    Und bei diesem einen Mal sollte es nicht bleiben, Masur dirigierte weiter - in Konzertsälen und Tonstudios


    Masur hatte in Leipzig eine Position, die man sich heute kaum noch vorstellen kann; die Abonnements für die Konzerte waren restlos vergeben und es gab lange Wartelisten, und Masur kreierte Mammutprogramme, wie zum Beispiel die komplette Präsentation der Sinfonien Schostakowitschs und Beethovens.
    Das Orchester unternahm ausgedehnte Reisen, war mehrmals in Japan und unternahm im Herbst 1974 seine erste große Tournee in die vereinigten Staaten, dortselbst waren dreizehntausend Kilometer zu bewältigen - da konnte man was erzählen, wenn man nach Hause kam! Aber für die Musiker war das so strapaziös, dass einige vorzeitig nach Hause wollten ... 1987 unternahm Masur mit dem Gewandhausorchester die bisher längste Konzertreise, es war bereits die fünfte US-Tournee, 1995 gab es dann die zehnte Tournee nach Amerika; siebenmal war man in Japan.


    Auch zu Hause tat sich Großes - 1977 hatte Kurt Masur den Grundstein für ein neues Gewandhaus gelegt, es war der erste und einzige Neubau einer reinen Konzerthalle in der DDR.
    Masur eröffnete das neue Haus am 8. Oktober 1981, auf dem Programm standen Siegfried Thieles »Gesänge an die Sonne« und Ludwig van Beethovens Sinfonie Nr. 9.
    Masur hatte sehr um seinen Konzertsaal gekämpft; er schrieb Honecker einen entscheidenden Brief, der das Ganze zum Entstehen brachte, und er organisierte dreihundert Paar neue Stiefel für die Arbeiter in der nassen Baugrube, das waren Aktivitäten, die eigentlich nicht zum Berufsbild eines Dirigenten gehören.


    Als Masur 1974 nach Brasilien kam, um dort das Orchester in Rio zu dirigieren, erregte die blutjunge Bratscherin Tomoko Sakurai sein Interesse, aber diese Dame war mit einem deutschen Bratscher verlobt. Dessen ungeachtet traf man sich ein Jahr später in London wieder, wo ihr Masur einen Heiratsantrag machte, den sie zunächst ablehnte, aber sie ließ sich darauf ein, das folgende Weihnachtsfest zusammen mit Masurs Mutter und Schwester im Erzgebirge zu verbringen. Tomoko Sakurai war zwar in einer anderen Kultur groß geworden, aber sie wurde christlich erzogen. Die junge Frau bemerkte, dass ihr Dirigent von Rio hier in seiner Heimat ein einflussreicher Mann war, man kam sich näher; am 15. Juli wurde geheiratet; im Mai 1977 wurde der gemeinsame Sohn Ken David geboren.


    Die Stimmung in der DDR veränderte sich; 1983 fand in der Leipziger Nikolaikirche das erste montägliche Friedensgebet statt. Gorbatschows neuer Kurs hatte auch die Leipziger ermutigt, am 13. März 1989 kam es zum ersten Schweigemarsch, in der Folgezeit schwollen die Protestmärsche lawinenartig an, sogar die Straßenmusiker muckten auf, die es hier nicht geben durfte und Masur stellte sich an ihre Seite.
    Als die Stimmung in der Bevölkerung und bei der Staatsmacht extrem explosiv geworden war - 70.000 Demonstranten verstopften die Innenstadt - taten sich ein paar vernünftige Leute zusammen und verfassten einen Text, der dringend zur Besonnenheit aufrief; dieser Text wurde in allen Kirchen verlesen und Kurt Masur wurde dazu auserkoren diesen Text auf Tonband zu sprechen, damit er dem Sender Leipzig und dem Stadtfunk zur Verfügung stand.


    »Unsere gemeinsame Sorge und Verantwortung haben uns heute zusammengeführt. Wir sind von der Entwicklung in unserer Stadt betroffen und suchen nach einer Lösung. Wir alle brauchen einen freien Meinungsaustausch über die Weiterführung des Sozialismus in unserem Land. Deshalb versprechen die Genannten heute allen Bürgern, ihre ganze Kraft und Autorität dafür einzusetzen, dass dieser Dialog nicht nur in Leipzig, sondern auch mit unserer Regierung geführt wird. Wir bitten Sie dringend um Besonnenheit, damit der friedliche Dialog möglich wird.«


    Zwei Tage später begab sich das Gewandhausorchester auf eine Konzertreise nach Russland, die Musiker mussten von zu Hause weg und mit der Ungewissheit leben, wie es in Leipzig weiter geht. Es ging gut und Masur war zur verehrungswürdigen Person geworden.


    Nach Karajans Tod wurde Masur die Gesamtleitung der Osterfestspiele 1990 in Salzburg übertragen. Noch während der Probearbeiten kündigten sich einige Herren aus New York an, die Masur, der ja in Amerika schon recht bekannt war, anboten die New Yorker Philharmoniker zu übernehmen, denn der bisherige Dirigent Zubin Mehta hatte dort seinen Vertrag gekündigt.
    Es kam ein Fünfjahresvertrag zustande; von 1992 bis 1997 waren pro Saison achtzehn Wochen Orchesterarbeit - vierzehn für die Abonnementkonzerte und vier für Gastspiele vorgesehen.
    Masur verkürzte seine Reisezeit nach New York dadurch, dass er darauf bestand, dass ihm die Flüge mit der Concorde bezahlt wurden.
    Auch Frau und Sohn waren in dieser Zeit in New York, bevor man ein eigenes Haus bezog, wohnte man in einem Apartment, das der Sängerin Lisa della Casa gehörte.


    Im Frühjahr 1993 gastierten die »New Yorker« - anlässlich einer Europa-Tournee - erstmals im Leipziger Gewandhaus. In New York wurde zwar die gleiche Musik gespielt wie in Leipzig, aber der finanzielle Hintergrund war in Amerika ganz anders, es kam dort hinter den Kulissen im Management zu Machtkämpfen, die auch an Masur nicht spurlos vorüber gingen, aber Masur blieb bis zum Ende seines Vertrages in New York, das war der Sommer 20002.


    In einem Gespräch mit der Londoner »Times« deutete Masur seinen möglichen Rücktritt als Chef des Gewandhausorchesters an; er war sich klar darüber, dass es einen Nachfolger geben muss. Nun waren den Spekulationen Tür und Tor geöffnet; Eifersüchteleien kamen auf, weil die Leipziger sich bei Schallplattenverträgen gegenüber den New Yorkern benachteiligt fühlten und einiges mehr.
    Tatsache war, dass Masurs Vertrag in Leipzig 1996 auslief, aber er strebte eine Verlängerung um zwei Jahre an, um einen reibungslosen Übergang zu ermöglichen. 1996 kam die Idee auf, dass das Gewandhaus in den nächsten drei Jahren zweieinhalb Millionen einsparen müsse.
    Ehe es sich Masur recht versah, hatten sich die Stadt und das Orchester darauf verständigt, dass Herbert Blomstedt der neue Dirigent des Gewandhausorchesters wird; den Noch-Chef hatte man darüber einen Tag vor der Bekanntgabe der Entscheidung informiert. Kurze Zeit danach löste er seinen Vertrag als Gewandhauskapellmeister auf, anderthalb Jahre früher als ursprünglich geplant. Dem Zürcher »Tages-Anzeiger« sagte er:
    »Da ich neuerdings nur gebraucht werde, um abzubauen, was ich aufgebaut habe, bin ich meiner Meinung nach nicht mehr richtig am Platz.« Am 27. Februar 1997 wurde er in einer Feierstunde im Alten Rathaus offiziell aus seinem Amt als Gewandhauskapellmeister verabschiedet.
    Elf Jahre waren es in New York geworden, wo es zum Ende hin dann auch einige Querelen gab, aber er hatte einen bis 2002 laufenden Vertrag ausgehandelt; schon seit Ende 1998 hatte Masur einen Fünfjahresvertrag als Chef des London Philharmonic Orchestra, beginnend mit der Spielzeit 2000/2001.


    In seinen letzten Jahren litt Masur unter Parkinson. Im Frühjahr 2012 brach er sich bei einem Auftritt in Paris das Schulterblatt. Ein Jahr später stürzte er in Tel Aviv und brach sich die Hüfte. Zuletzt dirigierte er im Rollstuhl sitzend. Er starb er im Alter von 88 Jahren in einem Krankenhaus in Greenwich im US-Bundesstaat Connecticut.






    Man kann einige Zeit hier verweilen und eine Menge von Texten studieren - hier nur ein Teilausschnitt eines Details der Grabumfassung.


    Praktischer Hinweis:
    Das Grab befindet sich auf dem Südfriedhof in Leipzig; dort in der Abteilung II, nicht weit vom Eingang am Friedhofsweg 3

  • Etwa eine Woche später konnte besagte Sekretärin noch einmal segensreich wirken; sie rief Masur an und sagte: »Herr Professor Kleiber lädt Sie ein, fünfmal ›La Traviata‹ an der Berliner Staatsoper zu dirigieren!«


    Real hat Kurt Masur dann folgende Opernvorstellungen im Berliner Admiralspalast, dem Ausweichquartier der Deutschen Staatsoper Berlin, dirigiert:
    - 24.01.1954 "La Traviata" (Verdi) mit Maria Corelli, Julius Katona und Hans Wocke
    - 20.05.1954 "La Traviata" (Verdi) mit Maria Corelli, Julius Katona und Kurt Rehm
    - 17.06.1954 "La Traviata" (Verdi) mit Maria Corelli, Julius Katona und Horst Günter (Hamburg)
    - 05.06.1955 "La Traviata" (Verdi) mit Maria Corelli, Julius Katona und Heinz Imdahl (Bremen)


    Eine fünfte "Traviata" unter seiner Leitung finde ich nicht, vielleicht kam sie aufgrund von Terminschwierigkeiten nicht zustande.

    Masurs Vorgänger war Václav Neumann, der 1968 unter Protest die DDR verlassen hatte, weil die Truppen des Warschauer Paktes seine Heimat besetzt hatten.

    Das ist die eine Version. Die andere, die mindestens ebenso zutrifft, ist, dass Vaclav Neumann pflichtschuldigst dem Ruf seines Heimatlandes folgte, nachdem Karel Ancerl aus Protest gegen die Niederschlagung des "Prager Frühlings" 1968 die CSSR in Richtung Westen (letztlich Kanada) verlassen hatte und somit die wichtigste künstlerische Leitungsposition des Landes, die Stelle des Chefdirigenten der Prager Philharmonie, vakant war und wiederbesetzt werden musste. Ein Dissident oder gar Widerstandskämpfer war Vaclav Neumann ganz sicher nicht.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"



  • Zum heutigen Geburtstag von Adolphe Adam


    Johann Ludwig Adam, 1758 im elsässischen Muttersholtz - etwa gute fünfzig Kilometer südlich von Straßburg gelegen - geboren, kam als 15-Jähriger nach Paris.
    Wie eine Zeitung von 1840 schreibt, hatte er bei einem Straßburger Organisten das Pianofortespiel und Komposition erlernt und machte sich in Paris als Pianoforte- und Harfenspieler, sowie Komponist einen Namen. Im Jahre1797 wurde Jan-Louis Adam, wie er sich in Paris nannte, als Lehrer für des Pianoforte an das neu errichtete Konservatorium der Musik berufen, wo er ab 1818 die Aufgabe übernahm weibliche Zöglinge - so die zeitgemäße Formulierung - auszubilden; aus seiner Schulung gingen viele Pianistinnen und Klavierlehrerinnen hervor. Jean-Louis Adam, war bis 1847 am Pariser Konservatorium angestellt.


    Adolpe Adam - genauer Adolphe Charles Adam -, der heute wohl weit bekanntere Komponist, war der Sohn des Vorgenannten. Adolphe Adam soll sich gegen den Willen seines Vaters 1817 in das Pariser Konservatorium eingeschrieben haben. Dort studierte er Klavier und ab 1821 auch Komposition bei François Boieldieu, Kontrapunkt lernte er in Anton Reichas Klasse.
    Seine Laufbahn als Komponist begann er mit Fantasien und Variationen über Opernmelodien, schrieb dann Arietten für die Vaudevilles kleiner Theater sowie Operetten.
    Mit Zahlen ist das so eine Sache ... laut Wikipedia soll er im Alter von 26 Jahren seinen ersten Einakter »Pierre et Cathérine« geschrieben haben, aber die Internetseite »Klassika« gibt an, dass Adams erste Oper »La baiser au porteur« war, die1824 im Pariser Théâtre Vaudeville zur Uraufführung kam. Diese unterschiedlichen Angaben resultieren wohl daher, dass der Begriff »Vaudevilles« etwas schillernd daher kommt, man unterscheidet zum Beispiel Untergattungen wie Drame-Vaudeville, Comédie-Vaudeville oder Folie-Vaudeville. Also werden bei »Klassika« 53 Bühnenwerke als Opern von Adolphe Adam bezeichnet.
    Der Vielschreiber Eugéne Scribe versorgte damals die Scene mit Texten, so auch Adolphe Adam, dem er den Text zu seiner wohl damals erfolgreichsten Oper »Le Chalet« lieferte, wobei er eine literarische Vorlage Goethes verwendete. Diese Oper wurde 1834 uraufgeführt und in den folgenden vier Jahrzehnten an der Opera-comique tausendmal gespielt.


    Aber das Libretto zu Adams heute eigentlich bekannteren Oper »Le Postillon de Lonjumeau« schrieben die Herren Adolphe de Leuven und Léon-Lévy Brunswick.
    Am 13. Oktober 1836 wurde dieses Werk in der Opera-comique zu Paris erstmals aufgeführt und bietet bis zum heutigen Tag einen Genuss für Freunde des Gesangs, wenn Stimmakrobaten wie Josef Traxel oder Nicolai Gedda die Arie des Chapelou mit dem hohen »D« singen. Schon bei der Uraufführung hatte der Tenor Jean-Babtiste Marie Chollet damit mächtig Furore gemacht.
    Dieses »Postillon-Lied« ist auch heute noch populär, obwohl die Spieloper weitgehend von den Spielplänen verschwunden ist.


    Théophile Gautier hatte für die Pariser Oper ein Ballett entworfen, zu dem er Adolphe Adam als Komponisten gewinnen konnte. Im Sommer 1841 wurde an der Pariser Oper das von Heinrich Heine inspirierte romantische Ballett »Giselle« - auch »Giselle ou les Wilis« genannt - erstmals aufgeführt, auch diese Musik Adams erfreut nach all den Jahren noch die Liebhaber dieses Genres und das Stück gehört immer noch zum Standardrepertoire fast aller bedeutender Ballettkompanien auf der ganzen Welt.


    Einen ebenfalls bis in unsere Zeit reichenden hohen Bekanntheitsgrad hat Adolphe Adams 1847 entstandener Weihnachtsgesang »Cantique de Noël«.
    In Frankreich ist das Lied unter dem Titel »Minuit, Chrétiens« und im englischen Sprachraum weithin als »O Holy Night« bekannt.


    Bei Vertretern der Kirche war das Stück ursprünglich nicht so gut gelitten, sie kritisierten einen Mangel an gutem Geschmack und das Fehlen von religiösem Empfinden; dessen ungeachtet, wurde es bisher von vielen erstklassigen Künstlern von Caruso bis Jonas Kaufmann gesungen.


    In Mainz und Umgebung feiert Adams Musik in jeder Fasnachts-Saison Triumphe. Adam schrieb den sogenannten »Narrhallamarsch« jedoch nicht für die Mainzer Lustbarkeiten; die Musik stammt aus seiner 1838 entstandenen Oper »Le Brasseur de Preston«. Ein österreichischer Regimentskapellmeister und Gründungsmitglied des Mainzer Carneval-Vereins hatte eine Anleihe bei Adolphe Adam gemacht und präsentierte die zündende Musik als »Jocus-Marsch«, das war 1840.


    Über Jahrzehnte war Adolphe Adam ein sehr erfolgreicher Komponist, aber natürlich verlief auch sein Leben nicht ohne Aufregungen. Es kam zu Streitigkeiten mit dem Direktor der Opéra comique; Adam eröffnete 1847 ein eigenes Theater.
    Adolphe Adam entwickelte die Idee ein Nationaltheater in Paris zu errichten; ihm schwebte ein Ort vor, an dem junge Schauspieler und Komponisten ihre Werke der Öffentlichkeit präsentieren können. Aber es war eine politisch turbulente Zeit. Die Februarrevolution 1848 in Frankreich hatte die Absetzung des Bürgerkönigs Louis-Philippe und Gründung der zweiten französischen Republik zur Folge.
    Adam finanzierte sein Theater in diesem ungünstigen Umfeld selbst und geriet dadurch in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten, das Theater musste geschlossen werden


    Er übernahm daraufhin die Professur seines verstorbenen Vaters am Konservatorium in Paris, wo er bis zu seinem Tod am 3. Mai 1856 tätig war.


    Praktische Hinweise:
    Montmartre-Friedhof, 20 Avenue Rachel, 75018 Paris
    Cimetière de Montmartre ist über die Metro-Station Blance mit der Linie 2 zu erreichen
    Das Grab befindet sich in der Division 5 an der Avenue de Montebello.



    So sind die Gräberfelder gekennzeichnet


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  • Foto: GFreihalter - aus Wikipedia entnommen


    Der Ort Longjumeau liegt etwa 25 Kilometer südlich von Paris an der Straße nach Orléans.

  • Lieber Hart,


    danke für die weiteren lehrreichen Ausführungen. Ich Schussel habe nach unserer schönen Begegnung in Ölbronn Deine Adresse verlegt. Deshalb auf diesem Weg: Willst und kannst Du zusammen mit Deiner lieben Frau am 13./14. Oktober 2017 beim Künstlertreffen mit dem Konzert unter dem Titel "Dies Bildnis ist beazaubernd schön" dabei sein? Ich lade Euch als Ehrengäste ein. Bitte kurze Nachricht ob es klappt.


    Ingrid und ich würden uns freuen, wenn Ihr bei sein könntet.


    herzlichst

    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!



  • Zum heutigen Todestag von Bernhard Paumgartner


    Der kleine Bernhard hatte eine sehr prominente Mutter; es war die Kammersängerin Rosa Papier, einst die berühmteste Carmen an der Wiener Hofoper und eine hochgebildete Frau, die auch maßgeblich daran beteiligt war, dass Gustav Mahler nach Wien kam.
    Rosa Pieper wurde am Wiener Konservatorium im Partiturspiel von Dr. Hans Paumgartner, unterrichtet, der Unterricht war so ersprießlich, dass beide1882 heirateten.
    Dr. Hans Paumgartner war nicht nur am Konservatorium tätig, sondern, neben Hanslick, ein bekannter Kritiker in Wien und sowohl mit Brahms als auch Bruckner gut bekannt, und Hugo Wolf kannte er auch gut; dieser machte Hans Paumgartner einmal auf Schumanns Lied »Mein Wagen rollet langsam« aufmerksam, spielte es ihm vor und meinte: »Sieh mal, wie charakteristisch das ist.«
    Das war also das kulturelle Milieu, in welchem Bernhard Paumgartner heranwuchs und natürlich praktisch nebenbei einiges mitbekam, was zwischen den Eltern und den prominenten Besuchern besprochen wurde.


    So ist es nicht verwunderlich, dass der junge Bernhard Paumgartner unter anderem auch bei Bruno Walter studierte - und sein einziger Student war -, aber er absolvierte an der Wiener Universität auch ein Studium der Rechtswissenschaft, das er 1911 mit der Promotion abschloss.


    Zunächst dachte er wohl an eine Dirigententätigkeit und war Solo-Korrepetitor an der Wiener Hofoper. Vom Elternhaus her war er in das Genre Operntheater auf ganz natürliche Weise hineingewachsen und mit der Thematik bestens vertraut.
    Einen speziellen Beruf kann man ihm eigentlich nicht zuordnen; Opernkapellmeister wurde er nicht, er fand es reizvoller sich verschiedene Interessenfelder zu erschließen; mal war er schöpferisch, mal forschend tätig, er war ein Gelehrter und Lehrer, betätigte sich zuweilen auch als Kritiker, wie sein Vater auch.


    1917 wurde Bernhard Paumgartner nach Salzburg berufen, wo er die Leitung des Konservatoriums Mozarteum übernahm, das unter seiner Ära zu einer Musikhochschule wurde. Nach dem sogenannten »Anschluss« Österreichs war Bernhard Paumgartner in dieser Position nicht mehr geduldet. Aber er konnte nach Italien ausweichen, nach Florenz, und hat dort in Archiven geforscht, komponiert und geschrieben, sein besonderes Interesse galt der Frühgeschichte der Oper.


    Zusammen mit Max Reinhardt war Bernhard Paumgartner einer der Mitbegründer der Salzburger Festspiele. Ohne Bernhardt Paumgartners intensivem Wirken in Salzburg, wäre vermutlich diese weltweite Ausstrahlung nicht in dem Maße entstanden, wie man es heute ganz selbstverständlich kennt.
    1949 wurde Bernhard Paumgartner als Professor an die Musikakademie in Wien berufen, wo er Musiktheorie und Musikgeschichte unterrichtete; einer seiner Schüler war Herbert von Karajan. Als der junge Karajan als Pianist am Mozarteum studierte, entdeckte Paumgartner dessen Talent zum Dirigieren.


    Paumgartner war auch der Begründer und Leiter der Internationalen Sommerkurse am Mozarteum und er gründete 1952 das »Camerata Academica des Mozarteums Salzburg«, ein Kammerorchester, das heute noch als »Camerata Salzburg« erfolgreich musiziert.


    Seine musikschriftstellerische Leistung fand viel Anerkennung, vor allem sein Mozart-Buch wurde oft aufgelegt, aber er schrieb auch über Bach und Schubert.
    Als Komponist verfasste er Opern, Kantaten, Lieder und Chöre, aber am meisten beeindruckt die Art, in der er vor allem das musikalische Profil der Stadt Salzburg in seiner Lebensspanne geprägt hat.


    Praktischer Hinweis:
    Das Grab befindet sich auf dem Petersfriedhof in der Salzburger Altstadt, in unmittelbarer Nähe des Friedhofs ist die goldenen »Mozartkugel« mit einem Durchmesser von fünf Metern nicht zu übersehen und kann der Orientierung dienen. Der Friedhof selbst ist überschaubar klein; Paumgartners Grab ist in der Nähe der Kapelle zu finden.




  • Zum heutigen Geburtstag von Karl Amadeus Hartmann


    Karl Amadeus war der vierte und jüngste Sohn seiner Eltern, sein Vater war Lehrer und die Familie wird als humanistisch und politisch links beschrieben. Der Vater, ein ernster Mann, malte - vorwiegend Blumen - und befasste sich mit der Literatur. Die Mutter war gegensätzlich - religiös gebunden und musisch interessiert; sie spielte gerne Theater und mochte die Musik Richard Wagners.
    Sein erstes Opernerlebnis hatte Karl Amadeus, als der Zehnjährige eine Aufführung von Webers »Freischütz« sah, die ihn zu ersten Kompositionsversuchen anregte.
    Auch Karl Amadeus sollte in die Fußstapfen seines Vaters treten; nach dem Besuch der Volksschule trat er mit elf Jahren in das Lehrerseminar in München Pasing ein, das er dann mit sechzehn Jahren ohne Abschluss verließ. Die folgende Zeit stellt sich etwas nebulös dar, Wolfgang Fortner vermutete, dass der junge Mann wahrscheinlich einige Zeit einer ungeliebten Bürotätigkeit nachging, weil er einmal darüber klagte, dass er Akten herumschleppen musste.


    Wolfgang Fortner, der ja zeitlich nahe dran war, schilderte Hartmanns Studienbeginn und Studienzeit einmal so:

    »Endlich scheint der Vater die Einwilligung zum Musikstudium gegeben zu haben, und er studierte an der Akademie in München Theorie und Komposition bei Josef Haas und im Privatunterricht Posaune. Letzteres war die gar nicht so unkluge Bedingung des Vaters für das Musikstudium, denn später noch wirkte der junge Hartmann als Posaunist gelegentlich im Opernorchester mit. So lernte er die Materie von Grund auf und auch die Mentalität des Orchestermusikers kennen, was für den späteren Komponisten großer Orchesterwerke sicher von Nutzen war. Hartmann verließ die Akademie nach zwei Jahren, wahrscheinlich aus Gründen ähnlicher innerer Unzufriedenheit wie vorher das Lehrerseminar.«


    Der Grund seiner Unzufriedenheit an der Akademie ist bekannt, er hatte ständig Auseinandersetzungen mit Joseph Haas, was 1929 zum Abbruch seines Kompositionsstudiums führte.


    Nach der offiziellen Biografie währte Hartmanns Studienzeit von 1924-31. In den späten 1920er und frühen 1930er Jahren leitete Hartmann im Rahmen der Münchner Künstlervereinigung »Die Juryfreien« eine Konzertreihe mit Werken junger Komponisten und feierte seine ersten Erfolge. 1931 lernte er anlässlich der III. Festwoche Neuer Musik in München Hermann Scherchen kennen, der in den folgenden Jahren zu Hartmanns wichtigstem Lehrer und Förderer werden sollte.
    1933 stand Karl Amadeus Hartmann unmittelbar vor einer vielversprechenden Karriere, aber der gewaltige politische Umbruch ließ das nicht mehr zu; Hartmann begab sich in die innere Emigration und komponierte für die Schublade; als der politische Spuk vorüber war und er sich des Schubladeninhalts hätte bedienen können, hinterfragte er seine Werke kritisch und stellte fest, dass sie eigentlich nur für die Zeit Bestand hatten, in der sie geschrieben wurden, aber Teile davon flossen natürlich in sein weiteres Schaffen ein.


    1934 heiratete Hartmann Elisabeth Reussmann, die er im Kreis der »Juryfreien« kennen gelernt hatte, im folgenden Jahr wurde ein Sohn geboren. Die Familie der Frau unterstützte Hartmann in der schweren Zeit, er lebte bei den Schwiegereltern am Starnberger See.


    Dennoch fand er auch bereits in diesen Jahren schon Anerkennung auch außerhalb Münchens, wie zum Beispiel 1933 bei der Uraufführung des Trompetenkonzerts im Rahmen einer von Hermann Schechen geleiteten musikalischen Arbeitstagung in Straßburg oder 1935 bei der Uraufführung von »Miserae« anlässlich des IGNM-Festes in Prag.
    1936, beim Kammermusikwettbewerb »Carillon« in Genf, wurde Hartmann für die Uraufführung des 1. Streichquartetts durch das Vegh-Quartett mit dem Ersten Preis bedacht.
    1937 folgte die Auszeichnung der Kantate »Anno 48 Friede« in Wien und 1938 wurde auf dem IGNM-Fest in London sein 1. Streichquartett aufgeführt.
    Die »Symphonie L'oeuvre« erlebte ihre Uraufführung 1939. In St. Gallen wurde 1940 die »Musik der Trauer« uraufgeführt, heute als »Concerto funebre« bekannt; zunächst hatte Hartmann geplant ein Requiem zu schreiben.


    1942 reist Hartmann nach Wien, genauer gesagt nach Maria Enzersdorf am Gebirge, um bei Anton Webern, der hier seit 1932 wohnte, für einige Wochen Unterricht zu nehmen.
    Im Rückblick schrieb Hartmann von diesem künstlerischen Ausflug:
    » Ich war in dieser Zeit sehr glücklich; trotz aller Isolierung hatte ich einen Gleichgesinnten als Lehrer und als Freund gefunden, sein Glaube an die Musik gab mir die Kraft weiterzuarbeiten.«
    Aber in einem Telegramm, in welchem er seiner Frau am 14. November 1942 die Rückkehr aus Wien avisiert, steht:
    »Heute geht der Kurs zu Ende; sehr interessant; aber mir fremd; kein Kontakt zu Webern«


    Erst nach 1945 konnte sich Karl Amadeus Hartmann frei entfalten, ein gutes Jahrzehnt war ihm verloren gegangen und er konnte nicht ahnen, dass ihm noch nicht einmal zwei Jahrzehnte bleiben würden.
    Obwohl er in vielen Musikgattungen arbeitete, erwarb er sich den Ruf eines großen Symphonikers, weil in kurzer Zeit seine ersten sechs Symphonien entstanden, wobei er natürlich zum Teil auf bereits Erarbeitetes zurückgreifen konnte.
    Bei all dem war auch seine bekannte Oper »Simplicius Simplicissimus« entstanden; er tat sich schwer mit Opern und hatte zwar in diesem Genre vieles skizzenhaft angedacht, aber dann doch wieder liegen lassen. Hermann Scherchen hatte dazu die Anregung gegeben. Das Werk wurde mehrmals modifiziert und erblickte das Licht der Welt unter dem sperrigen Titel: »Des Simplicius Simplicissimus Jugend«; beim Bayerischen Rundfunk wurde es im April 1948 konzertant aufgeführt.
    Die heute übliche zweite Fassung erlebte ihre Uraufführung am 9. Juli 1957 am Nationaltheater Mannheim. Die Vorgeschichte dazu ist recht abenteuerlich - Da Hartmann sein Werk unter kriegskritischen Aspekten schon in den Jahren 1934-36 verfasst hatte, versteckte er die Partitur sicherheitshalber in einem Zinkkasten seines Gartens.


    Seine Symphonien wurden in den großen Städten aufgeführt und man bedachte ihn mit vielen Preisen und Ehrentiteln; 1961 erhielt er den Kunstpreis der Stadt Berlin, wo man ihm anbot Direktor des Städtischen Konservatoriums zu werden, was er ablehnte.


    Karl Amadeus Hartmanns Lebenswerk weist, da er nur eine relativ kurze freie Arbeitsspanne haben durfte, ein eher schmales Œuvre auf, aber fast wichtiger ist Hartmann wegen seiner bis heute existierenden Münchner Konzertreihe »musica viva«, mit der er unmittelbar nach Kriegsende einen ästhetischen Neubeginn schuf.
    Seine in Bayern wirkenden Kollegen Carl Orff und Werner Egk hatten damals weit bessere Bedingungen für ihr Schaffen gehabt.


    Dass Hartmann stark von Mahler beeinflusst war, geht aus einem Brief hervor, den er einmal an dessen Ehefrau Alma schrieb - er habe Mahlers Werke immer und immer wieder studiert und aus ihnen in den furchtbaren Jahren des 1000-jährigen Reiches viel Trost - Kraft, Freude und Hoffnung geschöpft.
    Jeder, der seine Partituren ansieht könne - so meinte er - den Einfluss Mahlers immer und immer wieder entdecken.


    In einem Gespräch sagte er: »Wenn meine Grundstimmung depressiv erscheint, zuwenig hoffnungsfroh, den frag ich, wie ein Mensch meiner Generation seine Epoche anders reflektieren kann als mit einer gewissen schwermütigen Bedenklichkeit.«


    Sein Kollege Luigi Nono sagte einmal über Hartmann:
    »Hartmanns dringendstes Anliegen ist das Sich-Mitteilen, nicht unter Umschreibungen und Zuhilfenahme eines technisch-linguistischen Fetischs, sondern durch Miterleben und Darstellung der menschlichen Problematik in ihrer Tragik.«


    Und die Meinung von Hartmanns Enkel Matthias sei auch noch zitiert, auch er war aufmerksamer Konzerthörer der Werke seines Großvaters und brachte es auf den Punkt:
    »Einmal muss man sich die Ohren zuhalten, so laut ist alles, oder es ist so leise, dass man kaum etwas hört.«


    Vermutlich begann die Vorarbeit zu seinem Werk, das sein letztes werden sollte, bereits1961, denn in einem Brief schrieb er damals von einer Arie für Bariton und Orchester nach einem Text von Jean Giraudoux, die für Dietrich Fischer-Dieskau bestimmt war.
    Den Kompositionsauftrag dafür erhielt er im April 1962.
    Die »Gesangsszene für Bariton und Orchester« ist die letzte Komposition, an der Karl Amadeus Hartmann arbeitete, mit Takt 539 bricht die Niederschrift der Partitur ab, das Werk stand unmittelbar vor seinem Abschluss.


    Die Uraufführung fand am 12. November 1964 in Frankfurt am Main mit Dietrich Fischer-Dieskau statt. Im November 1963 musste sich der Komponist plötzlich wegen eines Magenkarzinoms in eine Klinik begeben und starb am 5. Dezember; das ist auch der Todestag von Wolfgang Amadeus Mozart. Die Lebensdaten sind seitlich am Stein angebracht und zeigen, dass Elisabeth Hartmann an einem 2. August starb.


    Praktischer Hinweis:
    Waldfriedhof München (Alter Teil)
    Fürstenrieder Straße 288
    Man geht den Weg vom Haupteingang aus etwa 300 Meter fast immer geradeaus bis zum Feld 131 (aus dem Friedhofsplan ersichtlich).


  • Zwanzig Jahre nach der Uraufführung in Frankfurt am Main sang Dietrich Fischer-Dieskau Hartmanns Schwanengesang bei den Salzburger Festspielen.



    Ruhmeshalle München: Foto: Dominik Hundhammer



    Hartmann-Büste in der Ruhmeshalle: Foto: Rufus46

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  • Heute vor einem Jahr starb der Komponist Wilhelm Killmayer


    Wilhelm Killmayer war der Sohn eines Bezirksoberlehrers, seinen Vater verlor das Kind schon mit vier Jahren. Die Kinderjahre verbrachte Wilhelm in Mitterndorf, einem Ort, der etwa einen Kilometer westlich von Dachau liegt.
    Ab 1932 lebte er in München, wo er zunächst die Volksschule und danach das humanistische Maximilians-Gymnasium besuchte; schon dem Sechsjährigen wurde Klavierunterricht erteilt.
    Kriegsbedingt kam er erst 1947 zum Abitur.
    Eine wesentliche musikalische Prägung erhielt Killmayer im Musikseminar von Hermann Wolfgang von Waltershausen, das er mit einer staatlichen Abschlussprüfung in den Hauptfächern Dirigieren und Komposition verließ.
    Von weiterer Bedeutung war sein Privatunterricht bei Carl Orff, der dazu führte, dass er anschließend in die Meisterklasse an der Staatlichen Hochschule für Musik in München aufgenommen wurde. Gleichzeitig begann er sein Universitätsstudium mit dem Hauptfach Musikwissenschaft und den Nebenfächern Germanistik und Italienisch.


    Später wirkte er am Trappschen Konservatorium in München als Kontrapunktlehrer. Zwischen 1961 und 1964 war Killmayer als Ballettdirigent an der Bayerischen Staatsoper - nach eigener Aussage hatte er schon im Alter von drei Jahren Dirigent werden wollen. Seit 1971 war er als Professor für Komposition an der Hochschule für Musik in München.


    Wilhelm Killmayer arbeitete in vielen Musikgattungen, sein Œuvre umfasst Kammermusik, Ballette, Opern, Symphonien, Chorstücke ... und über 200 Lieder, darunter die international viel beachteten drei Hölderlin-Liederzyklen. Bei seinen Kompositionen ließ er sich stark von Natur und Literatur inspirieren, so dass es wenig verwundert, wenn man sein großes Lied-Schaffen sieht.
    Killmayer galt als der große Außenseiter der Neuen Musik, wurde aber über viele Jahre hinweg zu den besten deutschen Tonsetzern gezählt und auch von Kollegen wie zum Beispiel Aribert Reimann, Helmut Lachenmann oder Wolfgang Rihm sehr geschätzt.
    Als er bei Carl Orff Schüler war, bekam er von diesem den Rat »nicht auf die anderen Leute zu hören« und dies beherzigte er weitgehend in seinem ganzen Schaffen; dem etablierten Musikbetrieb ging der große Einzelgänger stets aus dem Weg und es gibt genügend Äußerungen von ihm, welche seine Einstellung dokumentieren.


    In einem Interview sagte er einmal:
    »Das Musiktheoretische überlasse ich dabei gern anderen Komponisten, die das wollen und brauchen. Möglicherweise liegt auch meiner Musik eine Theorie zugrunde, aber wenn das wirklich so ist, dann weiß ich nichts davon. Ich frage mich: warum wollen die Leute immer eine Theorie haben?«


    Als man Killmayer einmal fragte, ob sich ein Komponist dem Fortschritt anpassen muss, gab er zur Antwort:
    »Der Mensch muss gar nichts außer sterben. Auch der Komponist muss gar nichts. Es ist deshalb ein so schöner Beruf, weil man nichts muss. Viele Menschen legen sich gerne Fesseln an. Musik aber muss gar nichts, nur sie selbst sein und Zeugnis ablegen von dem, der sie macht.«


    Der Mensch muss sterben, stellte Wilhelm Killmayer zutreffend fest, dass sein Leben aber einen Tag vor seinem 90. Geburtstag zu Ende ging, war eine Laune des Schicksals, die Lebensdaten fallen gleich ins Auge, wenn man vor seinem Grabstein auf dem kleinen Friedhof in München-Bogenhausen steht. Beachtenswert ist auch, dass das Nachbargrab rechts auch von einem bekannten Musiker belegt ist - hier hat man den Dirigenten Hans Knappertsbusch begraben - siehe Beitrag Nr. 303.



    Die beiden Gräber der großen Musiker



    Die Lebensdaten fallen ins Auge



    Die Katholische Filialkirche St. Georg ist die ehemalige Dorfkirche in Bogenhausen und steht auf dem Friedhof.


    Praktischer Hinweis:
    Man findet das Grab im Münchener Stadtteil Bogenhausen, Kirchplatz 1
    Wenn man sich vom Eingang aus nach links wendet, findet man das Grab an der Mauer, geht man vom Eingang aus rechts um die Kirche, sind es nur ein paar Schritte mehr.


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  • Zum heutigen Todestag von Arnold Rosé


    Arnold Rosé war über den Zeitraum eines guten halben Jahrhunderts einer der bedeutendsten ausführenden Musiker; er wurde mit dem Namen Arnold Josef Rosenblum im heutigen Rumänien geboren.


    Arnold war der dritte von vier Söhnen der jüdischen Eheleute Maria und Hermann Rosenblum. In den 1860er Jahren übersiedelte die Familie nach Wien, wo ihre Kinder eine umfassende Bildung - vor allem auf musischem Gebiet - erhielten. Alexander wurde Konzertunternehmer und Musikalienhändler, Eduard Cellist, Arnold Geiger und Berthold. Schauspieler. Arnold entschloss sich 1882 den Namen Rosenblum in Rosé umzuändern. Das von ihm im selben Jahr gegründete Streichquartett trug bereits den neuen Namen: Rosé-Quartett.


    In den Jahren von 1873 bis 1877 studierte Arnold Rosé bei Karl Heißler am Konservatorium der Musikfreunde Wien Violine. 1879 hatte er sein Debüt am Leipziger Gewandhaus und im Alter von 17 Jahren trat er bei den Wiener Philharmonikern als Solist in Goldmarks Violinkonzert auf.
    Recht schnell wurde er danach zunächst Mitglied des Hofopernorchesters, und dann Soloviolinist und Konzertmeister der Wiener Philharmoniker, denen er später auch vorstand und die ihn zum Ehrenmitglied wählten; schließlich ernannte man ihn sogar zum Hofrat.
    Das 1882 gegründete Rosé-Streichquartett machte den Namen Rosé weithin bekannt, Arnolds ältester Bruder spielte Violoncello, das erste Konzert fand am 22. Januar 1883 Bösendorfersaal in Wien statt. Bei wechselnder Besetzung über all die vielen Jahre des Bestehens, spielte Arnold Rosé stets die 1. Violine.
    Das Quartett war in einem Zeitraum von 54 Jahren aktiv, nämlich von 1882 bis 1936.
    Später - in den Jahren der Emigration - erfuhr das Rosé-Quartett 1939 eine Wiederbelebung in England; erst 1945 war endgültig Schluss - Arnold Rosé war nun 60 Jahre Primarius gewesen, eine bewundernswerte Lebensleistung.
    Springt man in der Betrachtung wieder zurück, ist zu berichten, dass Arnold Rosé in den Jahren 1893 bis 1901am Konservatorium der Musikfreunde Wien und 1908 bis 1929 an der Wiener Musikakademie lehrend tätig war.


    Seine künstlerische Tätigkeit beschränkte sich nicht nur auf Wien. In den Jahren zwischen 1888 und 1896 wirkte Rosé auch als Konzertmeister bei den Bayreuther Festspielen mit.
    Konzertreisen führte das Rosé-Quartett in viele Musikmetropolen Europas und 1928 sogar in die USA.
    Wenn Rosé mit seinem Quartett auftrat, spielten sie aber nicht etwa nur Werke der klassischen Wiener Tradition, da war dann auch schon einmal ein Stück von Zdeněk Fibich auf dem Programm, keine Selbstverständlichkeit in dieser Zeit.
    Für Arnold Schönberg setzte sich Rosé mit seinem Quartett ganz besonders ein, so auch an einem Dezemberabend des Jahres 1908, wo ein Skandal praktisch vorprogrammiert war; nur unter höchster Konzentration der Ausführenden - die Sopranistin Gutheil-Schoder, die einen Text von Stefan George vortrug, war noch mit dabei - konnte der Abend zu Ende gebracht werden. Es war das Streichquartett op. 10, in dem der Komponist erstmals ganz die Tonalität hinter sich lässt, und die Sopranstimme war in diesem Genre auch was Neues.
    Arnold Rosé konnte so etwas souverän angehen, wobei er deswegen natürlich auch angefeindet wurde, aber er hatte sich als Könner seines Fachs eine Menge Meriten erworben und war ein hochangesehener Mann.


    Auch im privaten Bereich hatte sich einiges getan; schon 1898 heiratete Arnolds ältester Bruder Eduard Gustav Mahlers Schwester Emma. Im März 1902 heiratete Gustav Mahler, der katholisch geworden war, Alma Schindler, eine der begehrtesten Frauen Wiens, und einen Tag später heiratete der zum Protestantismus konvertierte Arnold Rosé Mahlers Schwester Justine.


    Dem Ehepaar Rosé wurden zwei Kinder geboren; 1902 der Sohn Alfred und 1906 die Tochter Alma, benannt nach ihrer Tante. 1910 zog die Familie in den 19. Wiener Bezirk nach Döbling in die Pyrkergasse.


    Schönberg gratulierte 1923 nachträglich zu Rosés 60. Geburtstag und seiner Ernennung zum Hofrat mit »wärmster Dankbarkeit für viele schöne Stunden«, und mit der Hoffnung, dass es Rosé möglich sein möge, »noch viele Jahre so zu wirken, wie es uns bisher Freude bereitet und Achtung abgerungen hat« Ein schöner Wunsch, der aber nur noch für etwa ein gutes Jahrzehnt in Erfüllung ging.


    Als am 12. März 1938 deutsche Truppen in Österreich einmarschierten und von der Bevölkerung jubelnd empfangen wurden, brachen für die Familie Rosé schlimme Zeiten an.
    An diesem Märztag gab es an der Wiener Staatsoper »Tristan und Isolde«, Hans Knappertsbusch dirigierte - und Konzertmeister Hofrat Arnold Rosé spielte nach 57 Jahren zum letzten Male an der Wiener Staatsoper.
    Bereits einen Tag später wurde Rosé und die anderen jüdischen Mitglieder des Orchesters mit sofortiger Wirkung »beurlaubt«; eigentlich vorher Unvorstellbares war passiert. Dazu kam gleich noch ein Schicksalsschlag, Justine, seine Frau, war krank und starb im August 1938.


    Alma Rosé, seine Tochter, eine hochbegabte Geigerin, die einen ganz anderen künstlerischen Weg eingeschlagen hatte, schätzte die von der politischen Entwicklung her aufziehende Gefahr richtig ein (für ihre eigene Person hat sie diesbezüglich später kläglich versagt) und setzte einiges in Bewegung, um ihren Vater aus dem Machtbereich der nun in Wien Herrschenden herauszubekommen. Eine große Hilfe war dabei der Violinist Carl Flesch, der bereits 1935 nach England emigriert war. Nachdem man Arnold Rosé von Staatswegen kräftig zur Kasse gebeten hatte, konnte er über Berlin und Amsterdam ausreisen; der 75-jährige Musiker erreichte am 1. Mai 1939 London, wo er in finanziell schwierigen Verhältnissen lebte. Tochter Alma, Carl Flesch, Arturo Toscanini und Bruno Walter halfen, um nur einige zu nennen, halfen zwar, aber verglichen mit den glanzvollen Zeiten in Wien war der Lebensstandart bescheiden.


    In London ließ man dann das Rosé-Quartett noch einmal auferstehen, und trat in wechselnder Besetzung auf, oft war Tochter Alma und Friedrich Buxbaum mit dabei; nach Almas Weggang, was den Vater sehr schmerzte, sprang der englische Geiger Walter Price ein.
    Regelmäßige Auftritte - insgesamt 14 - gab es für das Quartett im Rahmen der enorm populären Lunch-Time-Concerts in der National Gallery, die am 29. August 1939 geschlossen wurde, und nun als Konzerthaus dienen konnte, weil die Bilder an geheime Orte ausgelagert wurden. Die Pianistin Myra Hess hatte diese Konzertreihe als treibende Kraft ins Leben gerufen. Allerdings bezogen die Musiker in dieser Veranstaltungsreihe ein reduziertes Honorar, der Rest ging an den »Musicians´ Benevolent Fund«.


    Als der Luftkrieg über London begann, ging in Rosés Wohnung nur eine Fensterscheibe zu Bruch; weit schlimmere Folgen hatten die militärischen Erfolge Hitlers in Europa. Alma Rose begab sich Ende 1939 aus der sicheren Position in London - sie hatte eine fünfmonatige Rückkehrgarantie - auf eine über mehrere Monate ausgelegte Konzertreise nach Holland, um so viel Geld zu verdienen, dass der Vater nicht weiter mit dem Gedanken spielte seine Stradivari zu verkaufen; immer wieder verschob sie ihre Rückkehr nach London. Inzwischen war Holland nicht mehr das was es einmal war, Holland hatte in wenigen Tagen kapituliert und die neuen Herren hatten dort das Sagen; Alma Rosé saß in der Falle.


    Zwar versuchte sie über Frankreich in die Schweiz zu fliehen, wurde aber im Dezember 1942 in Dijon festgenommen, ins Lager Drancy gebracht und im Juli 1943 nach Auschwitz deportiert. In Auschwitz-Birkenau leitete Alma das Orchester der weiblichen Gefangenen.


    Dass Arnold Rosé in London manchmal so depressiv und verzweifelt war, dass er sogar in Erwägung zog seine Stradivari zu verkaufen, wurde ja bereits erwähnt. Grandios war die Stimmung aber am 24. Oktober 1943; da feierte man Rosés 80. Geburtstag - der Vater hatte damals keine Ahnung vom Schicksal seiner Tochter und hoffte auf ein baldiges Wiedersehen - und deshalb gab es am 27. Oktober ein großes Konzert in der Wigmore Hall; in einem Brief an seinen in Kanada lebenden Sohn Alfred berichtete der Vater begeistert von einem total ausverkauften Saal und unaufhörlichen Ovationen, im weiteren Text wird deutlich, dass es ein rauschendes Fest gewesen sein muss ...


    Arnold Rosé erlebte noch das Kriegsende und damit auch die Gewissheit über das Schicksal von Bruder und Tochter. Eduard war im Januar 1943 in Theresienstadt gestorben, seine Tochter Alma starb in der Nacht vom 4. auf den 5. April 1944 in Auschwitz, die genauen Umstände ihres Todes sind nicht eindeutig geklärt, da sich Zeugenaussagen widersprechen.


    Erst Ende Juli 1945 Erfuhr Arnold Rosé vom Schicksal seiner Tochter Alma. Das war für den alten Mann eine niederschmetternde Nachricht, die eine Depression zur Folge hatte und seine Gesundheit verschlechterte sich zusehends; im Februar 1946 erlitt er einen schweren Herzanfall, von dem er sich nicht mehr erholte, er starb zwei Monate vor seinem 83. Geburtstag.
    Seine Urne wurde fünf Jahre später nach Wien gebracht und dort in einem Ehrengrab beigesetzt. Die Gräber von Gustav Mahler und Alma Mahler-Werfel sind in nächster Nähe vom Grab der Familie Rosé zu finden. '
    Seit 1976 befindet sich an der Hausfassade in der Pyrkergasse 23 eine kleine Gedenktafel mit der Aufschrift:


    IN DIESEM HAUSE WOHNTE
    VOM 18. APRIL 1911 BIS 2. MAI 1939
    ARNOLD ROSÉ
    UNVERGESSENER KONZERTMEISTER
    DER WIENER PHILHARMONIKER
    BEGNADETER GEIGER DER KAMMERMUSIK


    Die Pyrkergasse liegt vom Friedhof an den langen Lüssen gerademal zweieinhalb Kilometer entfernt.



    Detail der Grabinschrift


    Praktischer Hinweis:
    Das Grab befindet sich in Wien auf dem Grinzinger Friedhof; Gruppe 20, Reihe 5, Nr. 6.k


  • Zum heutigen Todestag von Keith Engen



    Keith Engen begann mit dem Singen zum frühestmöglichen Zeitpunkt, nämlich bereits im Mutterleib, wie er einmal in einem Rundfunkinterview sagte ...


    Um das zu verstehen, sollte man wissen, dass seine Mutter Sängerin war und an einer Musikschule unterrichtete. Sicher war es gentechnisch auch kein Nachteil, dass sein Großvater als Dirigent gewirkt hatte. In der Tat wollte er von Anbeginn nichts als singen; er sagte einmal, singen sei für ihn »Wunsch, Freude, Beruf und Leben. Solange der liebe Gott mir Atem gibt, werde ich singen.«
    Als er an der Universität in Berkely studierte, reizte ihn die Betriebswirtschaft nicht so besonders, aber das Singen hat er bei der von ihm bewunderten Mc Murray fünf Jahre lang intensiv betrieben, und zwar ausschließlich mit Liedern.
    Ein Stipendium erlaubte ihm für zwei Jahre nach Zürich zu gehen, wo er sich mit deutscher Literatur beschäftigte, zu der er eine tiefe Beziehung fand. In Sachen Oper war Keith Engen damals noch Neuling, nutzte aber jeden möglichen Abend, um auch dieses Metier aus der Perspektive des Stehplatzbesuchers kennenzulernen.
    Als die Zeit in Zürich um war, ging es zunächst wieder nach Amerika zurück, wo er seinen Lebensunterhalt auf recht unterschiedliche Weise verdiente, nämlich als Lagerarbeiter und in einem Hilfschor, der in einer Meistersinger-Aufführung gebraucht wurde. In besagter Aufführung sang damals Astrid Varnay das Evchen.
    Unter gänzlich anderen Verhältnissen traf man sich dann elf Jahre später wieder in Bayreuth - Frau Varnay als Ortrud und Keith Engen als König Heinrich in »Lohengrin«, das war 1958.


    Aber ganz so einfach kommt man nicht auf die Bayreuther Bühne, also musste an der Stimme weiter gefeilt werden. Hierfür war die Wiener Akademie für Musik und darstellende Kunst eine gute Adresse. Tino Pattiera, Pavel Ludikar, Paul Schöffler und Elisabeth Radó waren ausgezeichnete Vorbilder für den jungen Sänger. Insbesondere der tschechische Opernbass Pavel Ludikar war ihm nicht nur Lehrer, sondern auch Freund und Vorbild gewesen.
    Sein Debüt als Opernsänger hatte Keith Engen 1952 am Stadttheater Graz, wo er in der Rolle des Grafen Monterone in Verdis »Rigoletto« auf der Bühne stand. Zwei Jahre blieb er am Grazer Theater und hatte in dieser Zeit 21 Partien gesungen.
    Aber in Graz lernte er nicht nur neue Partien kennen, sondern auch die Frau fürs Leben, die Schauspielerin Erika Berghöfer.
    Am Grazer Theater war ein Intendantenwechsel, der auch andere Veränderungen nach sich zog; Keith Engen hätte ein Engagement nach Krefeld bekommen können, aber das war für ihn deshalb wenig attraktiv, weil Erika Berghöfer ans Burgtheater nach Wien wechselte. Da wollte er doch lieber in ihrer Nähe bleiben und ging mit nach Wien. Sein Geld verdiente er nun mit musikalisch leichteren Dingen; mit dem legendären Marcel Prawy tingelte er unter dem Motto »So singt Amerika« durch die Gegend.
    Für das Plattenlabel Polydor nahm Engen unter dem Pseudonym Stan Oliver Schlager wie zum Beispiel »Daddy, geh nicht fort von Alabama«, »Guter alter Mississippi«, »Das Geistertheater in Buffalo« ... auf; kaum ein Hörer dieser leichten Sachen ahnte wohl, dass diese Stimme einem ausgezeichneten Konzertsänger gehörte.


    1955 fand Keith Engen wieder den Weg zur Opernbühne, nicht etwa an ein kleineres Haus, sondern an die renommierte Bayerische Staatsoper in München. Dort benötigte Rudolf Hartmann für die Neuinszenierung von »Herzog Blaubarts Burg« einen Bassisten; eine große Stimme allein reichte in diesem Falle nicht aus, hier war auch Körpergröße gefragt, denn der Titelheld sollte größer sein als Herta Töpper, die Sängerin der Judith. Hier konnte Keith Engen mit seinem Gardemaß von 190 Zentimetern punkten; der Sänger erhielt einen Jahresvertrag ... letztendlich war er dann 42 Jahre an diesem Haus engagiert.


    Natürlich war der Sänger zuweilen auch in Form von Gastspielen an anderen Bühnen wie der Wiener Staatsoper, in Paris, Brüssel, London Buenos Aires ...
    Besondere Herausforderungen dieser Münchner Jahre waren die Mitwirkungen in mehreren Uraufführungen: 1957 in »Die Harmonie der Welt« von Paul  Hindemith, 1969 in »Das Spiel von Liebe und Tod« von Jan Cikker, 1986 in »Belshazar« von Volker David  Kirchner, 1991 in »Ubu Rex« von Krzysztof Penderecki.


    Schon zu Beginn seiner Münchner Zeit, im Sommer 1955, kam es zu Kontakten mit Karl Richter, der, aus dem Osten kommend, in München und Ansbach die Musik von Johann Sebastian Bach in großem Stil populär machte. In der Münchner Markuskirche sang er, von Richter an der Orgel begleitet, das Arioso »Am Abend da es kühle war« aus der »Matthäus-Passion« vor. Richter war mit Engens Vortrag sehr zufrieden und bot ihm an, im November zwei Kantaten in dieser Kirche zu singen; daraus entwickelte sich dann eine Zusammenarbeit von 25 Jahren. Engen war mit Richter und dem Bachchor in Russland und Amerika, manchmal kam es zu Schwierigkeiten mit der Staatsoper, bei der er ja fest angestellt war, einige Male musste er Richter absagen, weil er in der Oper gebraucht wurde.
    An der Bayerischen Staatsoper gestaltete Kieth Engen die großen klassischen Partien des Bassfaches: Herzog Blaubart, Don Alfonso, Don Giovanni, König Heinrich, König Phillip, Raimondo, Seneca, den Sprecher und Sarastro, Banquo, Zaccahria, Pater Guardiano, den Eremiten, Mephisto, Don Fernando, den Doktor in Wozzeck und natürlich seinen beliebten Grafen Almaviva in »Figaros Hochzeit« und La Roche in «Capriccio«.
    Er erhielt für seine Leistungen 1962 den Titel Bayerischer Kammersänger sowie den Bayerischen Verdienstorden. Dass ihn die Münchner 1963 zur Wiedereröffnung ihres Nationaltheaters nicht auf die Bühne baten, hat ihn verbittert, wie DER SPIEGEL in einem Nachruf vermerkte.


    Bis zu seinem Abschiedsauftritt als Gemeindevorsteher in Aribert Reimanns »Das Schloss« 1996, zählte man über 125 Partien und 2122 Vorstellungen.
    Seit 1972 hatte der Sänger seinen Wohnsitz im oberbayrischen Murnau am Staffelsee.



    Die Kirche St. Nikolaus kann zur Orientierung dienen


    Praktischer Hinweis:
    Der Friedhof befindet sich am Mayr-Graz-Weg 8 in 82418 Murnau am Staffelsee und ist leicht zu finden, weil das Gelände etwas erhöht liegt und die weithin sichtbare Kirche als Orientierung dienen kann. Das Grab ist - von der Kirche aus gesehen - am äußersten Rand des Friedhofs zu finden.


  • Zum heutigen Todestag von Erich Kunz



    Als Erich Kunz im 8. Wiener Bezirk geboren wurde, war er noch Untertan von Kaiser Franz Joseph. Erichs Vater war Diplomingenieur und arbeitete beim Elektrizitätswerk in Wien; aber zuhause ging das Familienoberhaupt musischen Tätigkeiten nach, der Vater musizierte, komponierte und dichtete. Sein Sohn absolvierte die nahegelegene Schule ohne ausgeprägte Begeisterung. Als der Vater ernsthaft erkrankte und lange Zeit in Erholungsheimen und Sanatorien zubringen musste, war der finanzielle Spielraum eng geworden und die Mutter hatte einiges zu tun, um die Familie durch diese schwere Zeit zu bringen.
    Nach dem Ersten Weltkrieg gab es viel Hunger und wenig Essen; Erich und seine ältere Schwester kamen im Zuge der »Kinderland-Verschickung« nach Dänemark. Dort musste der neunjährige Junge auf einem Bauernhof mächtig zulangen; Kühe betreuen und auch melken, sowie mit Pferden zum nahen Meer reiten.


    In Wien hatte Erich erste Einblicke in die Welt der Musik erhalten, im Hause Kunz wurde die Hausmusik gepflegt; die Mutter spielte ab und zu mal mit einer Freundin vierhändig Klavier und der Vater suchte nach Opernbesuchen auf dem Klavier die richtigen Töne zu finden.
    Erich selbst hätte auch gerne Klavierspielen gelernt, aber das war seiner Schwester vorbehalten, er musste sich mit der Geige begnügen.
    Seine Familie meinte, dass er an musikalischen Ereignissen in Wien keinen Anteil nahm, Kunz selbst erzählte aber, dass er mit Alfred Piccaver und Alfred Jerger unvergessliche Abende in der Oper hatte.


    Erich wunderte sich selbst, dass er irgendwie die Matura geschafft hatte und begann zunächst ein Studium an der Wiener Hochschule für Welthandel; seine Mutter war nämlich der Ansicht, dass das eine aussichtsreiche Sache sei. Aber auf Grund der schlechten Noten musste Mama Kunz einsehen, dass es mit einer Welthandelskarriere nichts wird. Sie ließ ihre Beziehungen spielen und brachte ihren Jungen bei einer Maybach-Vertretung unter; danach folgte ein Versuch bei einem Dentaldepot, wo Kunz Zahnarztbedarf verkaufen und ausliefern sollte, diese Karriere endete jedoch bald, weil der Besitzer starb. Als nächster Versuch kam die Tätigkeit in einer Metallwarenfabrik - seine nächste Station war dann eine Firma, die Scharniere verkaufte, und hier konnte man von einer Karriere sprechen, Kunz brachte es immerhin zum Prokuristen und die Besitzerin dachte, dass der tüchtige junge Mann die Firma einmal übernimmt, aber dann kam alles ganz anders ...


    Urplötzlich wurde in Seewalchen am Attersee, einem Ort im Salzkammergut, aus Erich Kunz ein Sänger. Junge Leute taten sich zusammen, um an hier eine Oper aufzuführen; das ging auch ohne Orchester; denn man hatte einen Pianisten. Leider ist nicht übermittelt, welches Werk aufgeführt wurde. Eine Dame aus dem Publikum muss wohl einen sachverständigen Eindruck gemacht haben, denn Erichs Mutter reagierte, als besagte Dame meinte, dass Erich Gold in der Kehle habe. Man konsultierte Filip Forstén, einen finnischen Bariton, der nicht irgendein Sänger war, sondern in Europa einen gewissen Bekanntheitsgrad hatte. Als auch diese Koryphäe der Meinung war, dass der junge Mann gut bei Stimme ist, beschloss man einen Gesangslehrer zu suchen, der Erichs Stimme ausbilden sollte, dass es mit einer Ausbildung bei dem damals sehr bekannten Dr. Theo Lierhammer klappte, war ein besonderer Glücksfall. Fünf Jahre dauerte die Ausbildung. Den anderen Schulungsteil übernahm Hans Duhan, der an der Wiener Opernschule dem Nachwuchs kompetent nahebringen konnte, was auf der Opernbühne neben dem Singen noch so gebraucht wird. Duhan war nicht nur ein erstklassiger Sänger, sondern auch ein guter Regisseur, und dirigieren konnte er auch. Mit Duhans Opernklasse gab es natürlich auch Akademieaufführungen, bei denen Kunz auch schon gute Kritiken bekam. 1934 hieß es da zum Beispiel: »Sehr beweglich und witzig Kunz als Papageno. Ein echtes Bühnentalent, mit einem angenehm klingenden, weichen Bariton behaftet.«
    Lierhammer hatte seinen Schüler zu einem Gesangswettbewerb in Wien angemeldet, wo sich Kunz über mehrere Durchgänge kämpfte und schließlich unter 150 Teilnehmern auf den 7. Platz kam. Nun meinte sein Lehrer, dass man das erste Engagement anstreben sollte; eine Agentur vermittelte den Berufsanfänger nach Troppau, einer Stadt in der Mährisch-Schlesischen Region, die damals fast dreißigtausend, vorwiegend deutsche Einwohner hatte. Das Theater in Troppau verfügte über etwa 800 Plätze.
    1935 debütierte Kunz dort als Osmin in der »Entführung aus dem Serail«. Sehr glücklich war der Neuling mit dieser Rolle nicht, denn ein tiefer schwarzer Bass war Kunz nie gewesen. Dennoch waren alle in der Gegend erscheinende Zeitungen voll des Lobes über die sängerische und darstellerische Leistung des Debütanten. Gerne hätte man Kunz dort noch behalten, aber da für die Agenten bei einem Wechsel etwas zu verdienen war, hörte man Erich Kunz bald in Plauen, das im Vergleich mit Troppau die doppelte Einwohnerzahl hatte und im Theater 1200 Personen Platz bot. Hier missriet sein Debüt gründlich; er musste den hammerschwingenden Donner in Wagners »Rheingold« geben, in den Proben fehlten die entscheidenden Requisiten und es wurde nur markiert, bei der Aufführung rächte sich das dann ...
    Nach seinem unglücklichen Einstand wurde er an diesem Haus kaum noch beschäftigt, als eine Anfrage aus Breslau kam, schaute er sich dort einmal um, sang vor und wurde zu besseren finanziellen Konditionen dort für drei Jahre engagiert. Breslau war damals eine Stadt mit etwa 600. 000 Einwohnern und besaß ein weit bedeutenderes Opernhaus als seine beiden vorigen Wirkungsstätten. Das Ensemble war dort breiter aufgestellt und das Theater verfügte über 1700 Sitzlätze.
    Als die Plauener Direktion davon erfuhr, dass ihr vernachlässigter Sänger in Breslau vorstellig geworden war ohne das in Plauen an die große Glocke zu hängen, war man zunächst erbost, wollte dann aber doch die noch verbleibende Zeit nutzen, um ihn in Lortzings »Wildschütz« und Mozarts »Don Giovanni« einzusetzen. Im Januar 1937 konnte er als Baculus nicht nur mit seiner Stimme, sondern auch mit seiner Geige punkten, Publikum und Presse waren begeistert.
    Als er dann im März noch einen Leporello in der gleichen hohen Qualität gab, war man sich in Plauen einig, dass man hier so etwas noch nie gesehen und gehört hatte.


    In seiner Breslauer Zeit erarbeitete er sich einen wesentlichen Teil seines Repertoires, zum Beispiel 1938 seinen ersten Mozart-Figaro und 1940 seinen ersten Papageno. Auch die Rolle des Beckmessers in den »Meistersingern« hatte er sich in Breslau erschlossen, und das sollte für ihn weitreichende Folgen haben.
    Ein Herr aus Wien war angereist, um einen Kollegen von Kunz zu hören, der Kollege hörte nichts mehr aus Wien, aber zwei Tage nach dieser Vorstellung fragte die Wiener Staatsoper bei Erich Kunz an, ob er im Oktober 1940 in Wien auf Engagement den Beckmesser singen könne und wolle. Was war das für eine Frage ... - klar wollte er ...
    Für Kunz war das Beckmesser-Gastspiel in Wien ein voller Erfolg; in einem zweiten Gastspiel kam er als Bartolo im »Barbier von Sevilla« an die Staatsoper.
    Und wenn man schon mal in Wien weilt, ist es nach Salzburg nicht allzu weit, im Sommer 1941 war Kunz in einer »Don Giovanni«-Aufführung zu hören - noch nicht als Leporello, sondern in der Partie das Masetto. In Wien konnte die Oper im Winter 1942/43 wegen Kohlemangels nicht spielen und nach der »Götterdämmerung« am 30. Juni 1944 blieb die Wiener Staatsoper, wie alle anderen Theater auch, geschlossen; am 12. März 1945 wurde das Haus durch einen Fliegerangriff zerstört. Zu erwähnen ist allerdings noch, dass Kunz bereits 1943 in Bayreuth den Beckmesser sang, was sich dann 1951 wiederholte, wo Kunz aber auch in Salzburg als Papageno gebraucht wurde, da gab es ein ständiges Pendeln zwischen den beiden Festspielstädten.


    An der Wiener Staatsoper hat Erich Kunz in 44 Opernsaisons unter 14 Direktoren gesungen und an diesem Haus einige Rekorde aufgestellt, die vermutlich Ewigkeitswert haben werden.
    Die diesbezüglich in der Literatur genannten Zahlen sind zwar unterschiedlich, aber ob Kunz nun den Figaro in »Die Hochzeit des Figaro« 333 oder 338 Mal sang ist wohl nicht ganz so wichtig, egal für welche Zahl man sich entscheidet, es ist beeindruckend! Den Papageno in »Die Zauberflöte« soll er in den Jahren von 1948 bis 1974 in 243 Vorstellungen dargeboten haben.
    Mozarts Opern waren die tragenden Säulen im Künstlerleben von Erich Kunz; nach dem Zweiten Weltkrieg gestaltete er auch 217 Mal die Rolle des Leporello in »Don Giovanni« und 107 Mal Guglielmo in »Cosi fan tutte«. Im legendären Wiener Mozartensemble galt Kunz als wesentlicher Protagonist. Insgesamt - er war ja schließlich weltweit tätig - soll Erich Kunz in mehr als 4000 Vorstellungen gesungen haben.


    Schon im Sommer 1936 sang er international, das war in Glyndebourne, damals allerdings noch im Chor und am gleichen Ort gab er auch den Selim Bassa in »Die Entführung aus dem Serail«, wobei natürlich seine sängerischen Qualitäten nicht zum Tragen kamen.
    Viel später, im Herbst 1947, sang er im Ensemble der Wiener Staatsoper in Covent Garden drei Mozartrollen: Figaro, Leporello und Gugliemo.


    Um nur einige wichtige Stationen seiner Auftritte zu nennen: Mailänder Scala, Teatro Comunale Florenz, Oper von Rom, Teatro San Carlo Neapel, Budapester Nationaloper, Oper von Monte Carlo, Teatro San Carlos Lissabon, Grand Opéra Paris, Théâtre de la Monnaie Brüssel, Covent Garden Oper London, Teatro Colón Buenos Aires, Metropolitan Oper New York ...
    Mit dem Ensemble der Wiener Staatsoper gab es1971 sogar ein Gastspiel in Moskau. Auch das Festival von Aix- en-Provence ist noch erwähnenswert; diese Aufzählung soll nur einen groben Einblick geben, in welchen Dimensionen der Sänger auch außerhalb der Wiener Staatsoper wirkte, und dass er über viele Jahre hinweg natürlich bei den Salzburger Festspielen mitwirkte, darf man als allgemein bekannt voraussetzen.


    Damals gab es noch nicht die heutige übliche »Inszenierungskunst«, die Darsteller konnten ihre künstlerische Individualität voll und ganz - sich selbst und dem Publikum zur Freude - entfalten.
    Kunz war einer jener Sänger, die ihre Arbeit genossen haben, und er konnte immer sein eigenes Vergnügen an das Publikum weitergeben. Hinzu kam noch das völlig aufeinander Abgestimmtsein im Ensemble, das Aufführungen von ganz besonderem Reiz ermöglichte.
    Zu den großen Baritonstimmen rechnet man Erich Kunz nicht, dennoch sang er - wie oben skizziert - an allen bedeutenden Häusern der Welt; obwohl Wiener Urgestein durch und durch, war er weltweit begehrt. Das Geheimnis seines Erfolges war auch, dass er seine Fachgrenze nie überschritt und stets den Bufforollen treu blieb.


    Recht früh arbeitete Kunz mit dem Rundfunk zusammen, später kam noch seine Filmtätigkeit hinzu, die seine Popularität erheblich steigerte. Von dieser Filmtätigkeit ist vor allem der 1955 entstandene Film »Mozart« zu erwähnen, der in Deutschland als »Reich mir die Hand mein Leben« präsentiert wurde. Erich Kunz ist in diesem Film als Papageno zu hören und er hatte auch die Rolle des Emanuel Schikaneder an der Seite von Oskar Werner übernommen.


    Zu weiterer Popularität verhalfen ihm seine Wiener Lieder - dem Kunstlied ging Kunz allerdings immer aus dem Wege.
    Seine unwahrscheinlich lange Sängerkarriere endete am 29. Dezember 1987; er sang an der Wiener Staatsoper die Rolle des Benoit in »La Boheme«, den Rudolfo sang Plácido Domingo.


    Der Vater von Erich Kunz durfte die Anfangserfolge seines Sohnes noch miterleben, zum Beispiel eine Rundfunkübertragung aus Breslau, die im Mai 1938 auch nach Wien übertragen wurde, aber er starb am Allerseelentag des gleichen Jahres.
    Verheiratet war der Opernsänger mit der Solotänzerin der Wiener Volksoper Winfried Kurzbauer. Beider Tochter, Nicolin Kunz, wechselte nach einer soliden bürgerlichen Ausbildung, auch zum Theater; sie verstarb völlig überraschend am Silvestertag 1997.


    Praktischer Hinweis:
    Das Grab befindet sich auf dem Wiener Zentralfriedhof, Gruppe 40, Nummer 174

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