Der Musiker Gräber


  • Zum heutigen Todestag des Sängers Alfred von Bary


    Der kleine Alfred wurde auf Malta als Sohn deutscher Eltern geboren, war aber mit seinem Geburtstag britischer Staatsbürger geworden, worüber er später schrieb - da war er schon 39 Jahre alt - »Es wundert mich nicht, dass dieser selbstbewusste Nation ohne Weiteres von meiner Persönlichkeit Besitz ergriff, mir einen englischen Taufschein ausstellte und mich darin ausdrücklich als englischen Untertan bezeichnete.«
    Seine Eltern waren bezüglich des Alters ein ungleiches Paar; Dr. Erwin von Bary war bei der Hochzeit 23 Jahre alt, während seine Braut, Anna Gramich, schon auf 35 Lebensjahre zurückblicken konnte. Anna Gramich war eine intellektuell gebildete Frau. Die von Barys entstammten uraltem Adel und der Clan hatte sich in ganz Mitteleuropa verbreitet.
    Dr. Erwin von Bary war Arzt, allerdings kein Arzt, wie man sich einen Hausarzt vorstellt, Erwin von Bary arbeitete wissenschaftlich, aber nicht auf dem Gebiet der Medizin, sondern der Geographie und begab sich als Mitglied der Geographischen Gesellschaft München auf abenteuerliche Expeditionsreisen. Schon im August 1872 war die junge Familie - ein Söhnchen war 1870 geboren worden - nach Valetta gekommen; Erwin von Bary wollte sich hier zunächst eine Arztpraxis aufbauen, um die finanzielle Basis für eine Expedition nach Afrika zu schaffen, Malta war als Sprungbrett nach Afrika gedacht, er wollte die Sahara erforschen.
    In der südlybischen Karawanenstadt Ghat erfuhr er noch brieflich vom Tod seines erstgeborenen Sohnrs, ein tückisches Fieber hatte den Siebenjährigen dahingerafft. Kurz danach war dann auch die Lebensreise des erst 31-jährigen Erwin von Bary zu Ende; er starb am 2. Oktober 1877.


    Alfred von Bary hatte seinen Vater letztmals 1876 gesehen, er konnte sich später nicht mehr an ihn erinnern. Anna von Bary mochte nach dem Tod ihres Mannes mit ihrem Söhnchen nicht länger in Malta bleiben; sie hatte eine in guten Verhältnissen lebende Schwester in Leipzig, die ihr in dieser schweren Zeit beistand. So erlebte der kleine Alfred seine ersten Schuljahre ohne große Begeisterung in Leipzig, an keinem der Schulfächer konnte er Gefallen finden und die deutsche Disziplin behagte ihm überhaupt nicht.
    1882 verließ die Mutter Leipzig zunächst in Richtung Würzburg, um von dort aus nach München zu ziehen.
    Für Alfred brachen schwere Zeiten an, denn man bestimmte für ihn das alte Max-Gymnasium in München als neuen Lernort, wo er sich humanistische Bildung aneignen sollte. Die Aufnahmeprüfung bestand er nur mit »Ach und Krach«, und im Folgenden wurde es auch keine Erfolgsgeschichte. Mutter Anna war entsetzt, als ihr ein Lehrer Alfreds erklärte: »Nehmen sie ihren Jungen aus dem Gymnasium; er ist so faul und unbegabt, dass er absolut nicht zum Studium passt, lassen Sie ihn Schuster oder Schneider werden.«
    Schneider und Schuster waren damals zwar gefragte und ehrenwerte Berufe, aber im Dunstkreis der von Barys dachte man in anderen Kategorien, immerhin war Alfreds Vater Akademiker gewesen und Mutter Anna hatte Dantes »Göttliche Komödie« im Originaltext gelesen.
    Diese Mitteilung des Schulmeisters traf Frau von Bary schmerzlich. Die Mutter hatte sich ohnehin in ihrer Persönlichkeit verändert, denn durch den Einfluss ihres streng katholischen nahen Umfeldes entwickelten sich bei ihr Schuldgefühle, weil sie ihre protestantische Eheschließung nun als Verirrung sah und glaubte, dass ihr der Verlust von Mann und Kind als Sühne auferlegt wurde.


    Nachdem man Alfred nun nachdrücklich aufforderte etwas in der Schule zu tun, hatte er auch das Quäntchen Glück, dass seine Musikalität und Stimme positiv wahrgenommen wurde. Obwohl der Chorleiter zuweilen seine Schüler mit dem Fiedelbogen traktierte, betrachtete es Alfred von Bary in der Rückschau als bleibenden Gewinn für sein weiteres Leben.
    Auf dem Gymnasium hasste er Homer und Horaz; die deutsche Literatur, und später auch Shakespeare, standen ihm näher - seine Leistungen im deutschen Aufsatz wurden in seinem Abschlusszeugnis besonders vermerkt. Als er 1892 die Reifeprüfung bestand, war er entschlossen, Schauspieler zu werden.


    Annas Bruder, ein Generalleutnant, war Alfreds Vormund und ob dieses Berufswunsches entsetzt, das familiäre Umfeld ebenfalls. Alfred belegte nun auf der Münchner Universität Philosophie, aber weit mehr interessierte ihn was um den Hofschauspieler und Regisseur Wilhelm Schneider herum so alles vor sich ging. Man glaubt, dass er von Schneider die Textbehandlung lernte, die später bei dem Sänger Alfred von Bary so gelobt wurde.


    Um seiner immer trübsinniger werdende Mutter aus den Augen zu kommen, gab er zunächst seine künstlerischen Ambitionen auf und begann im Sommersemester 1893 mit dem Medizinstudium in Leipzig, kehrte dann aber zum Wintersemester wieder nach München zurück. Aber auch während seines Medizinstudiums schielte er immer noch zur Bühne. In München hatte er einen Gesangspädagogen gefunden - es war Professor Anton Dreßler -, der glaubte, dass die Stimme einer Ausbildung wert sei.
    Barys Interessen waren damals dreigeteilt, da waren: das Medizinstudium, seine Gesangsausbildung und der ständige Besuch des Münchner Hoftheaters, wo sehr viele Werke Wagners über die Bühne gingen. Die Vernachlässigung des vorher üblichen Belcanto zugunsten eines Sprechgesangs, gepaart mit voluminöser Stimmführung und dramatischer Ausdruckskraft, kamen den Vorstellungen Alfred von Barys sehr entgegen.
    Während seines Medizinstudiums sang er einmal der Sopranistin Hanna Borchers, die am Münchner Hoftheater beschäftigt war, zur Begutachtung seiner Stimme vor. Zwei Fragen interessierten ihn besonders: War er Tenor oder Bariton? Sollte er das Medizinstudium für eine Opernausbildung aufgeben?
    Dazu stellte die Dame fest, dass er ein lyrischer Bariton sei, und riet dazu, sein Medizinstudium nicht aufzugeben, sondern zu Ende zu führen. Er befolgte diesen Ratschlag und wurde 1896 zum Doktor der Medizin promoviert und bestand 1898 das Staatsexamen. Seine erste Anstellung als Arzt erhielt er als zweiter Assistenzarzt an der Kuranstalt für Gemüts- und Nervenkranke in Ahrweiler, einem Städtchen zwischen Koblenz und Bonn.
    Nach etwa einem Jahr wechselte Dr. von Bary zu einer wissenschaftlichen Ausbildung auf dem Gebiet der Psychiatrie an die Universität Leipzig. Damit war er auch wieder in einer Stadt gelandet, die auf musikalischem Sektor einiges zu bieten hatte.
    Obwohl er seinen Beruf mit allem gebotenen Ernst ausübte, vernachlässigte er auch in Leipzig seine Stimme nicht und war in Kontakt mit dem Konzertsänger und Pädagogen Gustav Borchers, der in Leipzig ein Seminar für Gesangslehrer gegründet hatte. Zu seinem Professor in Leipzig hatte der junge Arzt ein gutes Verhältnis, so dass er auch bei Gesellschaften in dessen Haus zugegen war, wo er dann schon mal in diesem privaten Rahmen um Kostproben seines sängerischen Könnens gebeten wurde.
    Als er einmal sonntags seinen Chef zur Villa eines Rechtsanwalts begleiten sollte, tat er das etwas missmutig, wollte aber seinen Professor nicht vergraulen. Barys Laune wurde schlagartig besser, als er unter den Gästen auch Arthur Nikisch, den Dirigenten der Gewandhauskonzerte erblickte, der eine stadtbekannte Persönlichkeit war. Es wurde viel musiziert und Bary konnte der Dame des Hauses ihren Wunsch nach einem musikalischen Beitrag nicht abschlagen. Alfred von Bary sang: Schumanns »Du meine Seele, Du mein Herz« und »Ich grolle nicht« und schließlich noch Wagners »Winterstürme«
    Während seines Vortrags hörte Nikisch - in einer Ecke lehnend - zu und glaubte einen neuen Wagner-Sänger zu erkennen. Als Bary seinen Vortrag beendet hatte, trat Nikisch auf ihn zu und sagte:
    »Wie können Sie mit dieser Stimme Arzt sein? Sie sind ja der geborene Tristan und Siegfried!« Das war nun ein ernstzunehmendes Urteil eines anerkannten Dirigenten. Die Sachlage war zu diesem Zeitpunkt so, dass sich Alfred von Bary zwar seit dem Alter von vierzehn Jahren sehnlichst gewünscht hatte Schauspieler zu werden und zunächst nur durch Liebe zu seiner Mutter ein Arztstudium absolvierte, aber inzwischen hatte er seine Tätigkeit als Arzt nicht etwa als notwendiges Übel angesehen, sondern war ein Nervenarzt geworden, der in seinem Beruf aufging. Aber Nikisch bedrängte den jungen Arzt regelrecht und lockte ihn mit dem Argument, dass Bary mit dieser Stimme an jeder großen Bühne auftreten könne. Nun war ja Arthur Nikisch nicht irgendwer, sondern so eine Art Leipziger Musikpapst.
    Um ihn herum applaudierte die Gesellschaft heftig, und auch Alfreds Mutter war unter den Applaudierenden. Alfred von Bary war von Grund auf skeptisch, weil er schon mehrfach in ähnlichen Szenen mit reichem Beifall und Lob bedacht wurde, aber sich danach nie ein Ansatz zu einer Sängerkarriere ergab. Also widmete er sich wieder seinen Patienten und war dann plötzlich überrascht, als ihn ein Brief des Dresdner Generalmusikdirektors Ernst von Schuch erreichte, der sich auf Nikisch berief und anfragte, wann er in Dresden vorsingen wollte.
    Barys beruflichen Pflichten war es geschuldet, dass er sich nicht unverzüglich um Schuchs Schreiben kümmerte. Nun kam ein Staatstelegramm vom Dresdner Intendanten Graf Seebach, das Bary mit Nachdruck davon überzeugte, dass man an diesem renommierten Haus ganz ernsthaft an ihm interessiert war.
    Es kam in einem Saal der Dresdner Oper zu einem Vorsingen vor Schuch und einigen anderen Herren. Als von Bary seine bewährten »Winterstürme« beendet hatte, stellte er bei den Herren eine gewisse Aufgeregtheit fest - man war der Ansicht, dass man den Grafen holen müsse, damit er die Stimme des Neusängers selbst hören könne. Das Folgende muss man nicht im Detail schildern; nachmittags um vier verließ Alfred von Bary das Haus und hatte einen Vertrag in der Tasche.
    Das gestaltete sich nun aber nicht so, dass der junge Tenor gleich als Lohengrin oder Tristan auf der Bühne stand, von Bary musste erst ein Ausbildungsjahr durchlaufen; danach sollte ein sechsjähriger Vertrag in Kraft treten.
    Im November 1900 übersiedelte er nach Dresden, wo er alleine eine Wohnung in der Reichenbachstraße bezog und sich intensiv den notwendigen Studien widmete; seine Mutter wohnte in Striesen bei Dresden.


    Während er in seiner Münchner Universitätszeit drei Jahre lang von dem Gesangslehrer Professor Dreßler als Bassbariton behandelt worden war, machte man in Dresden einen Heldentenor aus ihm, der auch die hohen Lagen problemlos bewältigen konnte.
    Alfred von Bary brachte zu diesem Zeitpunkt schon einiges an Lebenserfahrung mit. Deshalb knüpfte er schon in seinem sängerischen Ausbildungsjahr Fäden nach Bayreuth, denn der dort für die Stimmbildung zuständige Julius Kniese hatte einen Sohn der an Erregungszuständen litt und in der Bayreuther Heilanstalt untergebracht war. Bary war an Bayreuth interessiert und Kniese an ärztlichem Rat.


    Einerseits war es eine tolle Sache, an einer Bühne von solchem Ruf debütieren zu dürfen - die Dresdner Oper war eines der führenden Häuser in Deutschland - andererseits ist es für einen beginnenden Sänger einfacher sich nach und nach durch Leistungen an kleineren Theatern zu bewähren und sich dann erst den größeren Häusern zu nähern.
    Bary wusste schon lange im Voraus, dass er als Lohengrin debütieren wird und konnte während des Probejahres reichlich üben. Endlich, am 2. November 1901 war es soweit, das Haus war voll besetzt.
    Die Resonanz bei Publikum und Kritik war gut, man bescheinigte der Dresdner Oper eine »beneidenswerte Acquisition« und die »Dresdner Zeitung« betonte, dass man die Schlussworte an den Schwan im letzten Akt wohl selten so schön gehört habe wie an diesem Abend.
    In der Rückschau erinnerte sich der Sänger, dass Seebach in der ersten Pause etwas unzufrieden in seine Garderobe kam, um ihm zu sagen, dass er nun aber »richtig« loslegen soll.
    Offenbar hatte der Debütant losgelegt, denn das Opernpublikum sparte nicht mit Beifall und die Kritiken konnten sich auch sehen lassen; die Intendanz verbuchte das als vollen Erfolg.
    Bary selbst war da bezüglich seiner Leistung kritischer; er bat beim Intendanten um ein Gespräch und legte diesem dar, dass er den Lohengrin für ein Jahr lieber nicht mehr singen wollte, weil er es besser fände in der nächsten Zeit kleinere Rollen zu übernehmen, um auf diese Weise noch Erfahrung zu sammeln.
    Aber Graf Seebach mochte das nicht einsehen und packte eine alte Reiterweisheit aus, die besagt, dass man einen Anfänger auf dem Pferd, der im Galopp nicht herunterfällt, ruhig weiterreiten lassen könne.
    Als man Alfred Bary die nächste Rolle zuteilte, war er darüber nicht besonders glücklich, »Die Afrikanerin« stand auf dem Programm, was bedeutete, dass Bary das »O Paradiso« darzubieten hatte, was ihm zwar vom Singen her keine Schwierigkeiten bereitete, aber als begeisterter Wagner-Anhänger, war ihm Meyerbeers Opernpomp nicht gerade sympathisch.
    In der Spielzeit 1902/03 ergab es sich, dass er für drei Wagner-Rollen vorgesehen war, nämlich als Erik, Tannhäuser und Siegmund in der »Walküre«.
    Um sein finanzielles Budget etwas aufzubessern tourte der Tenor der renommierten Dresdner Bühne durch die Lande und gab in kleineren Städten, in der Provinz, wie man zu sagen pflegt, Konzerte, wobei Bary - damals durchaus üblich - einen gemischten Abend mit Liedern von Schubert, Schumann, Wolf, aber auch seine Wagner-Prunkstücke im Angebot hatte.


    Sein erlernter Beruf als Arzt, der ihn nicht ganz losließ; trieb ihn dazu Essays über künstlerische und psychologische Fragen des Theaters zu schreiben, die in Zeitungen und Magazinen Verbreitung fanden.1905 wurde Bary dann auch Mitglied des Aufsichtsrats der Deutschen Bühnengenossenschaft.


    In der Opernszene war Alfred von Bary schon etwas bekannt, so dass auch Cosima Wagner von dem neuen Dresdner Wagnertenor wusste, von dem ihr durch ihre Bekannte, das war die Amerikanerin Mrs. Schirmer, berichtet wurde, dass Bary eine »sehr kleine lyrische Stimme« habe. Dessen ungeachtet hatte aber der Bayreuther Stimmenorganisator, Professor Julius Kniese, schon etwas voraus gedacht und stellte Bary aus einem Stipendienfonds Eintrittskarten und Reisekosten für die Festspiele 1902 zur Verfügung. Obwohl Bary Wagners Musik von seiner täglichen Arbeit recht gut kannte, war er nun in Bayreuth von dem für ihn völlig neuen Klangwunder überrascht.
    Über die Berufung der Sänger entschieden in Bayreuth stets der Solorepetitor Kniese und Cosima Wagner gemeinsam; zu diesem Zeitpunkt hatte Frau Wagner in Bayreuth schon fünfzehn Jahre lang erfolgreiche Arbeit geleistet und achtete streng darauf, dass absolute musikalische Qualität produziert und abgeliefert wurde. Alfred von Bary war von Bayreuth aufgefordert worden für die Festspiele 1904 den »Parsifal« zu studieren und für »Tannhäuser« zur Verfügung stehen.
    Zu ersten »Parsifal«-Proben war der Dreißigjährige schon im Sommer 1903 zu Frau Cosima nach Wahnfried bestellt, wo der promovierte Aspirant dann mit einiger Beklemmung der hohen Frau im schwarzen Witwenkleid gegenüber stand. Mit der Zeit fand Frau Cosima Gefallen an der Zusammenarbeit mit dem jungen Sänger, als sie mit ihm »Parsifal« erarbeitete; von »Tannhäuser« hatte man inzwischen Abstand genommen, Barys zweite Rolle in Bayreuth sollte Siegmund werden.
    Bei »Parsifal« hatte Bary noch mit einem außermusikalischen Problem zu kämpfen, denn er war extrem kurzsichtig und fürchtete deshalb Schwierigkeiten beim Fangen des Speers. Die Vorstellungen mit Bary als Parsifal wurden sowohl von der Presse als auch von Cosima Wagner zwiespältig gesehen, es gab Lob und Tadel. Ganz anders dagegen sein Siegmund in »Walküre«, da gab es einhelliges Lob von allen Seiten und es wurden sogar Schallplatten davon gemacht, das war ja in dieser Zeit etwas ganz Außergewöhnliches.
    Große Ereignisse warfen ihre Schatten voraus, die Herrin von Bayreuth sah ihrem 70. Geburtstag entgegen und wollte nach den Festspielen 1906 ihre Regietätigkeit beenden, aber vordem noch ein Großereignis starten. Seit 1896 hatte man »Tristan und Isolde« nicht mehr am Festspielort aufgeführt, weil man dafür keinen geeigneten Tristan fand; nun glaubte man einen zur Verfügung zu haben. Die organisatorischen Hürden in der Vorbereitung waren den musikalischen Schwierigkeiten des Stücks ebenbürtig. Schließlich reiste Julius Kniese für einige Zeit nach Dresden, um dort mit Bary den Tristan musikalisch einzustudieren; dass Kniese Bayreuth nie wieder sehen sollte, ahnte niemand. Während einer abendlichen Zusammenkunft starb Kniese in den Armen Barys an einem Herzinfarkt.


    Am Dresdner Haus fühlte sich Bary nicht mehr besonders wohl, seit er mit Bayreuth enger verbunden war, aber Cosima Wagner war immer bestrebt zwischen der Dresdner Theaterleitung und ihrem jungen Sänger zu vermitteln. Barys Frust kam in einem Brief an seine Freundin Erna Wessels zum Ausdruck, wo er schrieb: »Die Art und Weise, wie man mir speziell seiner Zeit das Tristan-Studium in jeder Weise erschwerte und nicht nur unfreundlich, sondern gehässig und hinterlistig wegen meiner Erfolge in Bayreuth gegen mich operierte, all das kann ich wohl verzeihen, aber nicht gut vergessen.«
    In Bayreuth rückte die Tristan-Aufführung immer näher heran, Cosima Wagner war für das Gelingen der Aufführung sogar über ihren Schatten gesprungen und hatte Felix Mottl, der damals als bester Tristan-Dirigent galt, wieder nach Bayreuth zurück geholt. Am 23. Juli 1906 ging seit vielen Jahren hier wieder eine »Tristan«-Aufführung über die Bühne. Es muss eine großartige Aufführung gewesen sein, Alfred von Bary wurde von allen Seiten, also auch der Presse, mit Lob geradezu überschüttet. Der Festspielsommer 1906 bedeutete das dreißigjährige Jubiläum und war mit großem Glanz über die Bühne gegangen, aber es war auch der Abschied von Cosima Wagner; nach schwerer Krankheit zog sie sich zurück.


    Aus den triumphalen Auftritten in Bayreuth ergab sich für Bary in Dresden eine völlig neue Situation; plötzlich wurde er dort hofiert, denn sein Dresdner Vertrag endete 1907, man hätte den nun so attraktiv gewordenen Sänger gerne weiter im Ensemble gehabt. Aber Bary hatte Kontakte nach München geknüpft und mit Mottl, der dort wirkte, verstand er sich auch recht gut. Allerdings war bei dem ins Auge gefassten Transfer ein Bündel von Gegebenheiten zu berücksichtigen. Schließlich verlängerte er dann doch sein Engagement in Dresden, weil der neue Vertrag äußerst lukrativ ausgestattet war; neben einer erheblichen finanziellen Verbesserung waren auch seine Urlaubsbedingungen verbessert und zudem winkte ab 1912 eine Pension, auf die der Sänger nicht verzichten wollte.


    Bereits1903 hatte Bary in Dresden den »Club der Namenlosen« gegründet; führende Persönlichkeiten des Dresdner Kulturlebens trafen sich zwanglos in einem intimen Kreis.
    Die Krankenschwester Thekla Olivia Koch, ein recht hübsches Frauenzimmer, passte zu solchen Leuten in keiner Weise; sie war Mutter dreier Söhne, der Vater dieser Söhne war Alfred von Bary. Als Arzt hatte er sie schon 1900 in der Leipziger Nervenklinik kennengelernt 1908 ließ er sich von ihr scheiden, weil er in Dresden eine Bildhauerin mit französischen Wurzeln kennenlernte, die er dann 1909 heiratete. Jenny Bary-Doussin war autodidaktisch zur Bildhauerei gekommen, ihre Spezialität waren Tierplastiken; dem Rat ihres Mannes folgend, fertigte sie dann auch Skulpturen des Sängers in Bronze und Marmor, aber auch Büsten von Generalmusikdirektor Ernst von Schuch, Bruno Walter... und vielen anderen Persönlichkeiten an, sie war zu einer gefragten Künstlerin aufgestiegen.
    Der Sänger wurde mit Auftrittsangeboten geradezu überschwemmt, aber bei voll erhaltenem Glanz seiner Stimme, wurden seine Bühnenaktivitäten wegen des schwindenden Augenlichts immer mühsamer, seine Frau war dann zur Orientierungshilfe oft versteckt mit auf der Bühne, in Bayreuth setzte man beim Zweikampf mit Hunding einen Mann ähnlicher Statur ein, während Bary dicht dran in der Kulisse sang.
    Neben seinem Augenleiden, war Bary noch durch einen doppelten Leistenbruch gehandikapt, was der Grund war, dass er seine Gastspiel-Reisetätigkeiten auf Mitteleuropa beschränkte. Anfang 1911 verschlechterte sich sein Sehvermögen so sehr, dass Bary, nachdem der Arzt eine Aderhautverletzung festgestellt hatte, sechs Wochen pausieren musste, danach ging es wieder für ihn weiter, aber es zeichnete sich ab, dass er von Dresden zu Mottl nach München wechseln wird. Aus der erneuten Zusammenarbeit mit Mottl wurde nichts; während der Probearbeit in Bayreuth erfuhr Bary vom Tod Mottls. In Bayreuth war die Stimmung etwas getrübt, weil man Barys Kontakte zu München nicht gerne sah. Barys Bayreuther Rollendebüt als Siegfried tat das keinen Abbruch, Richard Strauss dirigierte; Presse und Publikum waren begeistert.
    In Dresden war die Situation so, dass Barys Vertrag am 31. Dezember 1911 endete, aber seine Verpflichtungen in München erst mit dem 1. Oktober 1912 begannen. In Dresden waren nun die Tenöre knapp geworden und man vereinbarte, dass Bary bis Mai noch pro Monat fünf Vorstellungen in Dresden singt, pro Abend gab es fünfhundert Mark.
    Im April 1912 kehrte Bary wieder mit festem Wohnsitz nach München zurück, wo er einst seine Schul- und Studentenzeit verbracht hatte, er ließ sich mit seiner Frau in Schwabing nieder. Da bei all seinen musikalischen Aktivitäten auch Administratives zu erledigen war, stellte er einen Sekretär an.
    In München erlebte der erfolgsgewohnte Sänger ein neues Publikum, das ihn nicht so feierte, wie er es auf dem grünen Hügel in der Regel erlebte, auch die Kritik mäkelte an seinen Darbietungen im Wagner-Fach herum. Bessere Kritiken gab es bei der Münchner »Salome« im Oktober 1913, wo sein Herodes große Anerkennung fand.
    Die Härte des Sängerberufs brachte es mit sich, dass auch Bary ein Schwinden seiner physischen Kräfte feststellen musste und so besann er sich auf seinen Beruf als Arzt. In Münchner Zeitungen kündigte er an, dass er jede Woche zweimal eine Sprechstunde als Nervenarzt abhalten wird. Aus Bayreuth bekam er 1913 dennoch eine Einladung, bei den kommenden Festspielen sollte er beide Siegfriede singen.


    1914 hatte Bary keine große Freude mehr mit Bruno Walter, der im Januar 1913 nach München gekommen war; die Herren verstanden sich künstlerisch nicht.
    In Bayreuth lief es aus ganz anderen Gründen nicht gut, zunächst konnte Bary aus gesundheitlichen Gründen nicht auftreten, aber dann kam vom Arzt die Erlaubnis; am 29. Juli 1914 sang er in der »Götterdämmerung« den Siegfried, die Kritik schrieb vom »unversehrten Metallglanz seines männlichen Tenorbaritons.«
    Nach nur acht Vorstellungen verfügte die Bayreuther Theaterleitung das Ende der Festspiele, die politischen Verhältnisse ließen das nicht mehr zu.


    In München-Bogenhausen waren Bauarbeiten im Gange, Erna Wessel, die dem Tenor sehr zugetan war, hatte eine Villa gebaut und Jenny ein Atelierhäuschen.
    Kriegsbedingt waren viele Einnahmequellen versiegt; wegen des Krieges kürzte die Theaterleitung Gage und Spielgeld, die bisher gewohnte Lebensweise konnte nicht mehr aufrecht erhalten werden.
    Das Vertragsende an der Münchner Oper nahte; zum 1. Oktober 1918 teilte man dem Heldentenor Alfred von Bary mit, dass sein Vertrag auf Grund der hochgradigen Kurzsichtigkeit nicht verlängert werden kann. Inwieweit das ersungene Vermögen gerettet werden kann, war unklar, die Inflation nahm Fahrt auf, Erspartes wurde immer wertloser und bei Jenny hatten die Ärzte Krebs diagnostiziert, sie starb am 16. August 1922.
    In den Jahren 1929 bis 1925 belegte Bary an der Universität München zehn Semester katholische Theologie und strebte eifrig bei Wind und Wetter zu seinem Studienplatz.


    Alfred von Barys Singstimme war fortan nur noch in der Bogenhausner St. Georg Kirche zu hören.
    Erna Alexandra Wessels aus Bremen hatte das Ehepaar Bary schon 1912 kennengelernt, als sie von Jenny Plastiken erwerben wollte; hieraus entwickelte sich dann eine viele Jahre währende Freundschaft. Als nun Jenny nicht mehr war, machte sich Erna Wessels Hoffnung auf eine Eheschließung, aber der nun praktisch blinde Sänger lebte bereits in einer geistig anderen Welt und hatte daran kein Interesse.
    Im Dezember 1925 erlitt er einen ersten Schlaganfall und wurde bettlägerig; erst am 13. September 1926 wurde er von seinen Leiden erlöst.


    Praktischer Hinweis:
    Das Grab der Familie von Bary befindet sich auf dem Waldfriedhof, alter Teil, in München, Fürstenrieder Straße 288.
    Man geht durch den Haupteingang und wendet sich nach etwa hundert Metern nach rechts, wo man ca. hundert weiteren Metern zum Gräberfeld 7 gelangt.

  • Im Beitrag Nr.429 vom 20. Januar 2017 teilte Siegfried den Tod von Eva Wunderlich mit, die unter ihrem Mädchennamen - Eva Jungnitsch - Harfenistin im Stuttgarter Staatsopernorcheser war.


    Siegfried hatte damals darum gebeten ein aktuelles Foto vom Grab einzustellen, was im Beitrag Nr. 450 dann am 28. März 2017 geschah.

    Der heutige Tag bietet sich für eine weitere Aktualisierung an - so sah das Grab von Fritz Wunderlich und seiner Frau Anfang August 2018 aus.




  • Zum heutigen Geburtstag von Spas Wenkoff



    Um es gleich vorweg zu nehmen, es gab auch den Tenor Wenko Wenkoff, das war sein um sieben Jahre älterer Bruder, eine Schwester gab es auch noch.
    Bei den Eltern von Spas Wenkoff war der Altersunterschied bemerkenswert, denn sein Vater war 23 Jahre älter als die Mutter. Der Vater war ein tüchtiger Mann, der ein Geschäft für Konfektionsware und Stoffe betrieb; die Familie verfügte über einen gewissen Wohlstand. Wer nach der Quelle der musikalischen Begabung sucht, wird beim Großvater fündig, der ein bekannter Volkssänger war.
    Bruder Wenko brachte Spas schon recht zeitig das Lesen bei, man erzählte, dass er schon im Alter von vier Jahren vor Vaters Laden saß und zur Ergötzung der Leute die Zeitung vorlas. Auf dem Hausboden seiner Tante stöberte er eine demolierte Geige auf, die er reparierte. Nun brachte er sich selbst nach Gehör das Geigenspiel bei, wobei er sich allerdings bei einigen Geigern Tipps holte.
    Als Heranwachsender galten seine Hauptinteressen dem Lesen, dem Sport und dem Schachspiel, denn sein Vater war ein leidenschaftlicher Schachspieler, der sogar bei dieser Tätigkeit starb.
    Die Schule besuchte Spas elf Jahre, das war die in Bulgarien maximal mögliche Zeit. Nach Beendigung seiner Schulzeit hätte Spas das Geigenspiel gerne beruflich betrieben, aber der Vater riet zum Jurastudium, also studierte der folgsame Sohn für vier Jahre in Sofia Jura. Während seiner Studienzeit betrieb er in seiner freien Zeit recht intensiv Basketball, wo er sogar eine Trainerfunktion ausübte und Schach; da spielte er in der bulgarischen Studentenauswahl.
    Aber er sang auch im Universitätschor, war Stimmführer der Tenöre, trat jedoch solistisch nicht in Erscheinung.
    Vor dem Staatsexamen musste der Armeedienst geleistet werden, den Spas als Bausoldat absolvierte. Nach dem Staatsexamen war er als Justitiar für alle Handelsbetriebe der Stadt Tirnovo tätig, wo er für die nächsten fünf Jahre erfolgreich arbeitete.
    In Tirnovo spielte er in einem Laienorchester Geige. Dieses Orchester begleitete eine Operettengruppe, und dieser Truppe kam der Tenor abhanden ...
    Operette ohne Tenor, das konnte nicht funktionieren; im Zuge der folgenden Beratungen meinte Spas Wenkoff: »so gut war der nicht, was der kann, kann ich auch.«
    Und er bewies überzeugend, dass er das konnte und war auf diese Weise zum Gesangssolisten geworden. Ein kurzer Versuch mit einem Gesangslehrer misslang, also versuchte es Spas autodidaktisch. Vom Geigenspiel her hatte er ein Gefühl für Legato und Phrasierung und er besorgte sich Literatur der alten Italiener und übte nach deren Methoden. Er hörte auch Schallplatten bekannter Sänger, um sich daran zu orientieren; besonders das Legato des armenischen Bariton Pavel Lisitsian hatte es ihm angetan.
    In dem armen Bulgarien wurde damals Kultur großgeschrieben, 1960 leistete man sich in Tirnovo ein neues staatliches Theater und die Leute aus der Laientruppe sollten staatlich angestellte Berufskünstler werden. Man bat Spas Wenkoff mit Nachdruck seine Arbeit als Justitiar zu beenden und für das neu gegründete »Operetten-Theater Tirnovo« einen Tenor-Vertrag zu unterschreiben. Das nachvollziehbare Argument der drängenden Genossen war: »Als Justitiar können wir Sie hier ersetzen, als Tenor aber nicht.« Er unterschrieb diesen Vertrag, obwohl das zunächst ein finanzieller Abstieg war.
    Musikalisch hatte Wenkoff keinerlei Probleme, durch sein Geigenspiel war er ein perfekter Blattsänger. Mit Hilfe einer kleinen Stimmpfeife gab er sich das A und konnte dann die Noten absingen, ein Repetitor hätte ihn nur gestört; später brauchte er dann auch keine Souffleurhilfe. Das war harte Arbeit für ihn, denn er hatte Dienstag, Mittwoch, Donnerstag und Freitag zu singen, manchmal sogar zwei Vorstellungen am Tag. Wenkoff war der einzige Tenor im Ensemble, hatte also immer zu tun, während sich die beiden Soprane abwechseln konnten. Trotzdem hatte er Spaß an dem Ganzen. Nun sollte eine Operette gegeben werden, bei der keine Tenorrolle vorgesehen war sondern ein Bariton - Wenkoff freute sich darauf endlich mal ausspannen zu können, aber der Direktor machte ihm klar, dass er natürlich auch diese Rolle übernehmen könne, da er über die nötige Tiefe seiner baritonalen Tenorstimme verfüge. Es kam zum Disput - Du singst, ich singe nicht - Spas Wenkoff war Jurist und wusste, dass er mit dem Theater einen Vertrag als Tenor, jedoch nicht als Bariton hatte, nahm ein Blatt Papier vom Schreibtisch des Direktors und schrieb ad hoc seine Kündigung. Sein Direktor telefonierte im ganzen Land herum, um herauszubekommen an welchem Theater er angeheuert habe - aber da war nichts, es war eine spontane Reaktion gewesen,


    Spas Wenkoff hing mehr oder weniger zu Hause herum. Ein Bekannter - es war ein Sänger der Staatsoper Rousse - besuchte ihn und sprach Spas auf seine Kündigung an. »Warum kommst Du nicht nach Rousse?« fragte dieser, als er hörte, dass Spas kein Anschlussengagement hatte. Wenkoff wusste, dass dort mit die besten Stimmen des Landes versammelt waren, wie er meinte, noch bessere als in Sofia; und er dachte, dass er da nicht hin gehöre. Aber der Bekannte drängte und drängte, dass er sich einem Vorsingen in Rousse stellen sollte.
    Die Mitteilung, dass er ab dem Sommer 1962 einen Vertrag mit dem Opernhaus Rousse hatte, bedeutet, dass sein Vorsingen erfolgreich war.
    Zum Beginn der Spielzeit teilte man ihm mit, dass er sich auf Octavio in »Don Giovanni« vorbereiten solle, die Premiere war in acht Monaten angesetzt. Er glaubte, dass man mit ihm einen Scherz macht, denn er war ja an ein ganz anderes Arbeitspensum gewöhnt. Wenkhoff wurde beim Intendanten vorstellig, um ihm zu schildern, dass er an intensiver Arbeit auf der Bühne gewohnt sei und ihm Nichtstun ein Gräuel sei. Der Intendant war erheitert, weil ihm eine solche Gier nach Arbeit bisher noch nicht begegnet war; ganz im Gegenteil, seine Gesangssolisten meckerten schon, wenn sie mehr als zweimal im Monat singen sollten.
    Wenkoff gab den Erpresser: »Entweder Sie geben mir Arbeit oder ich verschwinde!« Die Drohung verfehlte ihre Wirkung nicht, da am Hause gerade die »Czárdásfürstin« lief, sollte er hier in einem Monat als Edwin einsteigen. In einem Monat? »Wenn Sie Mut haben, lassen Sie mich in zwei Tagen den Edwin singen«, meinte der neue Angestellte. Der Intendant hatte Mut. In diesem Stile ging es dann drei Jahre lang mit einer Reihe bekannter Opern weiter, zum Ende der dritten Spielzeit war Spas Wenkoff der meistbeschäftigte Tenor am Haus - am Ende wieder mit Vorstellungen an drei Abenden hintereinander, der Sänger hatte sich seinen Urlaub in Varna redlich verdient.


    Aber es sollte ganz anders kommen. Ein Bassist der Oper Rousse klopfte in aller Herrgottsfrühe an die Tür und meinte: »Komm, wir fahren nach Sofia, da ist ein Vorsingen für die DDR angesetzt.« Spas wollte nicht, er war schon in Ferienstimmung. Schließlich gelang es dem Bassisten seinen Kollegen mit dem Argument zu überreden, dass Spas ja etwas Deutsch kenne. In der Tat hatte der kleine Wenkoff einen deutschsprachigen Kindergarten besucht. Am Ende war der Bassist mit seiner Überredungskunst erfolgreich und die beiden Sänger reisten nach Sofia. Dort wurden die Künstler von Vertretern der staatlichen Theateragentur der Deutschen Demokratischen Republik begutachtet. Aus bulgarischer Sicht waren das Abgesandte aus einem »gelobten Land«.
    Erst als Wenkoff an seinem Urlaubsort war, erfuhr er über Umwege davon, dass man ihn mit noch fünf anderen Künstlern zum »Import« nach Deutschland ausgewählt hatte. Zunächst erklärte er seiner Mutter, dass er nicht nach Deutschland gehen werde, der ganze Papierkram mit den Passformalitäten war ihm zuwider. Die Mutter wollte für ihren Sohn nur das Beste und wies darauf hin, dass sein Bruder Wenko ja schon seit 1942 in Wien sei und dort an der Staatsoper eine erfolgreiche Sängerkarriere hatte; in den 1950er Jahren war Wenko auch in Italien tätig, wo die junge Callas dann schon mal seine Partnerin war.


    Im Oktober 1965 fuhr Spas Wenkoff in den Osten Deutschlands. Dort teilte ihm die staatliche Bühnenagentur in Berlin mit, dass er für das Kreistheater in Döbeln vorgesehen sei, weil man dort einen jugendlichen dramatischen Tenor benötige. Wo ist Döbeln? Eine Weltstadt war das nicht; man sagte ihm, dass das eine Stadt zwischen Dresden und Leipzig sei. Herr Wenkoff kam immerhin aus dem zweitgrößten Opernhaus Bulgariens, nun war er an einem der kleinsten Theater des Landes gelandet, aber es war ein Mehrspartenhaus mit Oper, Operette, Musical, Schauspiel und Ballett. Der neue Tenor sollte vom Rudolf bis Othello alles singen können.
    Seine erste Rolle in Döbeln war der Marquis von Chateauneuf in »Zar und Zimmermann«; das nach neun Tagen in deutscher Sprache zu singen erzeugte mehr als gewöhnliches Lampenfieber ... seine nächste Rolle war, bei einem Gastspiel in Colditz, der Cavaradossi, natürlich auch das in deutscher Sprache, im Döbelener Theater gab man ihm die weit bescheidenere Rolle des Spoletta. Nach »Tosca« folgten noch fast ein Dutzend Premieren, das waren Opern wie »Manon Lescaut«, »Rusalka«, »Maskenball«, »Bajazzo«... aber auch schon »Freischütz« und »Othello«. Natürlich versuchte man in Döbeln gutes Theater zu machen, aber Wenkoff wusste sehr wohl, dass das Theater in Döbeln nicht zu den ersten Adressen gehörte, also legte er sich eine Schreibmaschine zu, um darauf Bewerbungen zu tippen, ein des Deutschen mächtiger Kollege leistete Hilfestellung. Die beiden waren realistisch und schrieben nicht die ersten Häuser an, die Post ging an Intendanzen mittlerer und kleiner Häuser, aber die Resonanz war dürftig.


    Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei, so steht es geschrieben - die Chorsängerin Hanne war in das Leben von Spas Wenkoff getreten und dieser Hanne gelang der Sprung ins Opernhaus Leipzig; das Paar heiratete 1967 und legten ihren Wohnsitz in Leipzig fest. Dort beobachtete Wenkoff, dass er eigentlich auf gleichem Niveau singen könnte, aber es tat sich keine Chance auf, um von Döbeln wegzukommen.
    Durch einen Freund, der ihn wärmstens empfahl, kam dann aber sogar ein Kontakt zur Staatsoper Berlin zustande, aber nach dem Vorsingen winkte der dort Verantwortliche, es war der Dramaturg, ab und betonte mit Nachdruck, dass das hier schließlich die DEUTSCHE STAATSOPER (!) sei und nicht die Provinz.
    Wenn auch nicht auf Anhieb der ganz große Sprung zur Staatsoper gelang, in der dritten Spielzeit erhielt er ein Engagement in Magdeburg; Frau Wenkoff traf in der Leipziger Theaterkantine einen Tenor, der vom Magdeburger Haus kam. Im Oktober 1967 sang er in Magdeburg vor, vertraglich war er nun ab dem 1. September 1968 dort.


    Spas Wenkoff war als jugendlich-dramatischer Operntenor bei der Städtischen Bühne Magdeburg engagiert, was für ihn bedeutete, dass er zum Beispiel keine Operetten oder »Bunte Abende« singen musste. Ein weiterer Vorteil war, dass an diesem Haus ein breiteres Ensemble zur Verfügung stand, woraus resultierte, dass er auf der Bühne nicht so oft gebraucht wurde, als dies in Döbeln der Fall war. Die nun zur Verfügung stehende Zeit nutzte er als frischgebackener Vater - Sohn Christian war inzwischen geboren worden - zum Babysitten, denn die Mutter musste ja als Chorsängerin viel öfter auf der Bühne präsent sein.
    Aber Wenkoff vertrödelte nichts, sondern nutzte die Zeit, wo er nicht auf der Bühne zu singen hatte, zum intensiven Selbststudium weiterer Partien. Das Arbeitsprinzip des vorausschauenden Studiums von Fachpartien machte er über viele Jahre zu seinem Credo.


    Anfang 1969 hatte er seinen ersten Magdeburger Auftritt in »Carmen«, mit dem Wenkoff zwar nicht ganz zufrieden war, aber dann lief es immer besser. Eine neue Situation tat sich in Magdeburg für ihn dergestalt auf, dass er nun von anderen Bühnen angefordert wurde, wenn dort Not am Mann war; als er noch in Döbeln tätig war, wurde er nie angefordert ...
    Mit der Zeit waren diese »Blitzgastspiele« zu einer Art Spezialität für Spas Wenkoff geworden, es hatte sich in Theaterkreisen herumgesprochen, dass da in Magdeburg ein an sich zuverlässiger Tenor war, der durchaus zufriedenstellende Leistungen ablieferte; sein damals schon breites Rollenspektrum war ein weiterer Vorteil für ihn. So rettete er einmal eine »Turandot«-Vorstellung in Erfurt, weil er sich den Kalaf im Selbststudium beigebracht hatte und diese Rolle im Angebot hatte. Auch auf die Bühne des Leipziger Opernhauses kam er in »Die verkaufte Braut« im Juni 1970. Neben solchen spontanen Einsätzen als Einspringer, wurden ihm aber auch schon verschiedentlich Gastverträge angeboten.


    Spas Wenkoff brauchte dringend ein Auto, für den Normalbürger bedeutete dies eine Wartezeit von fünfzehn Jahren. Also übernahm er von einem Kollegen einen alten VW-Käfer; an Ersatzteile zu kommen bereitete stets große Schwierigkeiten.
    Im Herbst 1970 hatte der Magdeburger Intendant die Idee Wenkoffs Gage zu reduzieren, weil er in der ganzen Republik gastierte und dadurch recht viel Geld zu seiner Gage am Haus verdiente.


    Da schaute Wenkoff mal beim Landestheater in Halle vorbei und fragte einfach, ob man hier einen wir ihn braucht. Wie sich nach einem intensiven Vorsingen von einer Stunde Dauer ergab, brauchte man ihn in Halle.
    Der Wechsel dauerte etwas, in Magdeburg war man gerade dabei einen »Tannhäuser« neu zu erarbeiten, aber Der Dirigent Roland Wambeck wollte die Titelrolle zunächst nicht mit Wenkoff besetzen, der Tenor wusste nicht so recht ob der Dirigent befürchtete ihn mit dieser typisch deutschen Rolle zu überfordern, weil Wenkoff Südländer war. Aber Wenkoff blieb hartnäckig dran, gab nicht auf und bat darum, dass Wambeck mit ihm diese Rolle mal privat probiert, was dieser dann - nach Wenkoffs Aussage - erst zögerlich, skeptisch und dann begeistert tat.
    Auf dem Theaterzettel der Städtischen Bühnen Magdeburg war bei der »Tannhäuser«-Premiere am 20.03.1971 zu lesen, dass Spas Wenkoff die Titelrolle singt.
    Die Vorstellung kam bei der Kritik sehr gut an; als ein Kritiker schrieb: »Der Tenor hat die schwierige Partie mühelos bewältigt«, war der Sänger deshalb verwundert, weil aus seiner Sicht die Partie nicht besonders schwer war.
    Jetzt sang Wenkoff auch öfters an der Leipziger Oper, allerdings nur, wenn besondere Situationen das erforderlich machten. Er hatte sein Interesse an Wagner entdeckt und dazu kam seine Entdeckung in einem Leipziger Musikfachgeschäft - ein Klavierauszug von »Tristan und Isolde«, der mit russischem Text unterlegt war. Spas kaufte den Auszug unter dem Protest seiner Frau Hilde, die ihm klarzumachen versuchte, dass er diese Rolle hier nirgendwo singen könne. Ein Kollege vertrat die gleiche Ansicht, aber im Selbststudium hatte sich Wenkoff für die nächsten eineinhalb Jahre an »Tristan« regelrecht festgebissen.


    Agenturen im westlichen Sinne, die ihn vermarkten konnten, gab es in der DDR nicht, so musste er sich selbst anbieten, wie saures Bier und er schrieb auch die Staatsopern in Berlin und Dresden an, denen er seine »Tannhäuser«-Termine nannte. Den Tannhäuser sang er in Magdeburg jetzt als Gast aus Halle. In seiner Hallenser Zeit hatte er etwa fünfzehn Partien bereit, die er von Mittag auf Abend singen konnte, sowohl in Deutsch als auch in Originalsprache.
    Endlich rief die Berliner Staatsoper an, ein Italiener, der dort den Rudolf in »La Bohéme« singen sollte, hatte angedeutet, dass es eventuell am Abend nicht geht, aber die Berliner warteten solange, bis sie den Krankenschein ihres Tenors auf dem Schreibtisch hatten - und dann musste alles sehr, sehr schnell gehen, mit dem Taxi nach Berlin. In Berlin hatte man den Vorstellungsbeginn um eine halbe Stunde verschoben.
    Jedes Mal, wenn Rudolf die Szene verließ, stand sein Taxifahrer in den Kulissen und fragte: »Fahren Sie wieder zurück nach Leipzig? Wer bezahlt die Fahrt?«
    Man bedankte sich bei Wenkoff überschwänglich für seine Rettungstat, der verlangte das normale Honorar, aber äußerte den Wunsch, hier einmal unter normalen Umständen singen zu dürfen, was man versprach, aber darauf wartete er vergeblich.


    Nun hatten Harry Kupfer und Herbert Blomstedt am Staatstheater Dresden eine Aufführung von »Tristan und Isolde« ins Auge gefasst und Spas Wenkoff erfuhr in Halle von diesen Dresdner Aktivitäten und wandte sich an den in Dresden wirkenden Gesangspädagogen Johannes Kempter, der zuerst misstrauisch reagierte - ein Südländer als Tristan? - Man hatte noch Mario del Monacos Siegmund-Versuche im Kopf.
    Kempter hatte erkannt, dass das mit Wenkoff eine ernstzunehmende Sache ist und es kam zu einem umfangreichen und erfolgreichen Vorsingen an der Dresdner Oper, aber dennoch war es dann nicht sicher, ob der Tenor das ganze Stück auch durchsingen kann. Also wurde nochmal ein Termin anberaumt, in dessen Verlauf Wenkoff dann den gesamten zweiten und dritten Akt ohne Pause auf der Bühne stand. Die Premiere fand am 12. Oktober 1975 statt, seine Isolde war Ingeborg Zobel, Theo Adam gab den König Marke ...
    Man könnte nun hier eine Menge hervorragender Kritiken zitieren; zusammenfassend sei gesagt, dass nach dieser Dresdner Aufführung Spas Wenkoff schlagartig in den Blickpunkt der internationalen Musikszene gerückt war, dies auch unter dem Aspekt, dass Wolfgang Windgassen ein Jahr vorher gestorben war. Es wurden Bestrebungen bekannt Wenkoff in den Westen zu holen, was dann endlich für die Berliner Staatsoper das Signal war, Wenkoff nach Berlin einzuladen. Schon zwölf Tage nach seiner glanzvollen »Tristan«-Premiere sang er an der Deutschen Staatsoper Berlin den Rudolfo in italienischer Sprache, am 12. November in »Cavalleria rusticana« und am 26. November gab er den Othello.
    In Bayreuth machte man sich Gedanken über die Gestaltung der 100-Jahr-Feier und es gab Schwierigkeiten einen geeigneten Tristan zu finden, es fehlte der Partner für Catarina Ligendza.
    Die Everding-Inszenierung war längst erprobt und mit Carlos Kleiber hatte man einen ausgezeichneten Dirigenten. Everding kam nach München, hörte sich Wenkoffs Tristan an und empfahl ihn nach Bayreuth.
    Das Singen war im Prinzip kein großes Problem, aber das Vorsingen fand im Februar statt, im Festspielhaus war es so kalt, dass man den Atem sichtbar im eiskalten Raum sehen konnte. Mit seinem bulgarischen Pass waren ihm nur Arbeit und Aufenthalt in der DDR gestattet, also musste das Vorsingen mit einem Tagesvisum erledigt werden.


    Halle gab seinen nun berühmten Sänger frei; Seit dem 1. Februar1976 war Spas Wenkoff fest an der Deutschen Staatsoper Berlin. Auslandsgastspielen standen Passschwierigkeiten entgegen, nach hartem Ringen erweiterte man seinen Pass für Europa. Während eines »Fidelio«-Gastspiels in Schwerin teilt ihm am 18. März 1976 seine Frau per Telegramm mit, dass Bayreuth zugesagt hat. Diese Dresdner »Tristan«-Premiere hatte es in sich, aus fast allen Ecken der Welt flatterten Angebote ins Haus, so auch aus Amerika; ein Visum musste her, so etwas durchzufechten war strapaziöser als eine »Tristan«-Aufführung. Auf den allerletzten Drücker ging´s zum Flughafen Tegel. Der unerfahrene Langstreckenflieger war todmüde in der Neuen Welt angekommen, alles wunderbar, aber er wollte nur noch schlafen. Der konzertante »Tristan« fand in einem riesigen Raum mit 4.000 Plätzen statt. Die Amerikaner ließen nichts anbrennen, auf meterlangen Spruchbändern stand »Tristan - Spas Wenkoff - Europas bester Tristan«.
    Es kam zu kuriosen Szenen; mit seinem Auto - das war inzwischen ein Wartburg - fuhr er im Juni 1976 zu zwei Operngastspielen nach Lausanne, wo Birgit Nilsson seine Isolde war. An Bord des Wartburg war Wenkoffs Zelt, um Geld zu sparen nächtigte er spartanisch.
    Später fuhr er dann mit dem neuesten Mercedes-Modell in Bayreuth vor, sein Agent hatte ihm dazu geraten. Auch die Übernachtungen im Zelt gab es nicht mehr, Wenkoff erledigte seine Gastspielreisen in Europa mit Caravans, die im Laufe der Jahre immer größer und komfortabler wurden. Er parkte neben den Opernhäusern und fand es bequem.
    Sein größter künstlerischer Erfolg dürfte gewesen sein, dass die große Nilsson seine Leistung voll anerkannte und neben ihr zu bestehen, war kein Pappenstiel.
    Dann kam Bayreuth, die alten Hasen dort kannten sich, dann kreuzte der neue Tristan mit seinem Wartburg auf, ein Bulgare aus der DDR, das hatte schon was Exotisches ...
    Carlos Kleiber hatte die musikalische Leitung, die Isolde sang Catarina Ligendza, diese Vorstellungen können als gelungen bezeichnet werden, auch die im folgenden Jahr, aber für 1978 waren »Tristan«-Aufführungen in Bayreuth nicht mehr vorgesehen, Auguren glaubten zu wissen, dass man Everding von Bayreuth fernhalten wollte.
    An der Deutschen Staatsoper Berlin hatte Wenkoff recht gute Arbeitsbedingungen - inzwischen sang auch seine Frau im Staatsopernchor - und seine internationalen Gastspiele wurden großzügig genehmigt.


    Großzügig bekamen die Wenkoffs 1977 auch eine Dreizimmerwohnung mit Balkon im Neubaugebiet von Berlin-Lichtenberg zugewiesen, einschließlich Laternengarage für den Wartburg. Im gleichen Jahr dekorierte man den nun populären Tenor mit dem Titel Kammersänger, den ihm das DDR-Ministerium verlieh.
    Am 25. September 1977 trat Wenkoff erstmals an der Wiener Staatsoper auf, als Max in »Der Freischütz«; bis1991 war er an der WSO 58 Mal zu hören, er sang hier acht Rollen, am häufigsten gab er den Tannhäuser, und eine familiäre Besonderheit gab es auch noch, sein Bruder Wenko Wenkoff saß im Publikum, der in diesem Hause früher als Spinto-Tenor gesungen hatte.
    In diesem Jahr hatte sich für Wenkoff viel ereignet, auch seine ersten Schallplattenaufnahmen wurden im Oktober 1977 produziert.


    Unmittelbar vor der 1978er Festspiel-Wiederaufnahme des »Tannhäuser«, wurde die erste Verfilmung einer Festspielaufführung gemacht, auch das war Neuland für Spas Wenkoff.
    In den Jahren 1976 / 77 / 82 / 83 sang er in Bayreuth »Tristan« und 1978 »Tannhäuser«.


    Ansonsten sang er an allen bedeutenden Opernhäusern in Europa und Amerika. Er hätte auch am Opernhaus Adelaide gesungen, wenn nicht riesige Buschbrände dies verhindert hätten, das wäre dann eine Sängerkarriere auf fünf Kontinenten geworden.
    Nicht ganz so einfach war es, im Westen der Stadt Berlin zu singen. In einer neu erarbeiteten »Tristan«-Inszenierung von Götz Friedrich und dem Dirigat von Daniel Barenboim sollte er aber genau dies tun, also Probenarbeit mit einer Serie von Auftritten. Zuerst rieten ihm die Genossen von diesem Vorhaben ab, aber schließlich erhielt er doch die Erlaubnis die Grenze zu passieren, wann immer es berufsbedingt nötig war; der Kontrast in diesen beiden Stadtteilen war Wenkoff hier stets krasser bewusst, als sonst bei Gastspielen im Westen.
    Natürlich sang Spas Wenkoff auch an der New Yorker »Met«, wo er zum Beispiel mit Gwyneth Jones am 1. September 1981 als Tristan auf der Bühne stand.


    An seiner Heimatbühne war ein Intendantenwechsel erfolgt, woraus sich für Wenkoff einige Unannehmlichkeiten ergaben, wie zum Beispiel die, dass er in einer »Lohengrin«-Neuinszenierung nicht mitbesetzt wurde, er trauerte seinem alten Intendanten Pischner nach.
    Der Kontrast zwischen dem Leben in Ost und West war für den Sänger nicht das ganz große Thema, weil er sich stets voll auf seine berufliche Arbeit konzentrieren musste. Aus einer ganz anderen Perspektive sahen das die oft mitreisende Frau und der inzwischen groß gewordene Sohn. Nach einer erfolgreichen Vorstellung überraschte Frau Wenkoff in einem New Yorker Hotelzimmer ihren Mann mit dem Vorschlag die Seiten zu wechseln, also im Westen zu bleiben.
    Der gelernte Jurist Wenkoff versuchte eine legale Lösung; er selbst war ja außen vor, aber für Gattin und Sohn war es Republikflucht. Die Ostbürokratie sah keine Möglichkeit das legal zu erledigen -1984 ließen sich die Wenkoffs im österreichischen Bad Ischl nieder; Spas Wenkoff erhielt den österreichischen Kammersänger-Titel und zu seiner bulgarischen Staatsbürgerschaft war er nun auch Österreicher geworden.
    Im »Opernglas« war 1991 - als er in einer Woche an der WSO drei Mal in einer Woche den »Tristan« gesungen hatte - zu lesen:


    »Mühelos bewältigte er die mörderische Partie, zeigte dort, wo sie seinem baritonal gefärbten Timbre besonders entgegenkommt, sehr viel an eigenständiger und gesanglich differenzierter Gestaltung, hatte seine Stimme aber auch an den exponierten Stellen so weit im Griff, dass keinerlei Abstriche seine imposante Leistung beeinträchtigten.«


    Als Spas Wenkoff 1975 seinen ersten Tristan sang war er 47 Jahre alt, insgesamt 226 Mal hat er diese Riesenpartie bewältigt; letztmals als 63-Jähriger.
    Seinen Lebensabend verbrachte er in Bad Ischl am Ufer der Traun, am Traunkai 12b; ganz in der Nähe hatten früher einmal Richard Tauber und Franz Lehár gewohnt und zu Sissis Schlösschen ist es auch nicht weit. Spas Wenkoff starb im 85. Lebensjahr.



    Der Eingang zum Friedhof Bad Ischl


    Praktischer Hinweis:
    Der Friedhof in 4820 Bad Ischl liegt an der Grazer Straße.
    Vom Eingang aus geht man geradeaus bis zum Ende des Friedhofs und findet dann rechts die Urnenwand.


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  • Zum heutigen Geburtstag von Heinrich Werner



    Noch zu Lebzeiten Goethes hatte Heinrich Werner das Gedicht »Heidenröslein« in seiner wohl populärsten Form vertont; Werners Komposition wurde am 20. Januar 1829 in seiner Liedfassung erstmals im Konzert der Braunschweiger Liedertafel unter dem Dirigat von Heinrich Werner vorgetragen.
    Franz Schubert war mit seiner Komposition früher dran, er hatte sich der Vertonung bereits im Sommer 1815 angenommen, die Veröffentlichung erfolgte aber erst im Mai 1812.
    Der Text basiert auf einem Lied aus dem 16. Jahrhundert und wurde von Goethe während seines Studienaufenthaltes in Straßburg um 1770 verfasst. Zu dieser Zeit hatte der junge Goethe eine kurze, aber heftige Liebschaft mit der elsässischen Pfarrerstochter Friederike Brion, an die das Gedicht gerichtet war. Gemeinsam mit anderen an Brion gerichteten Gedichte und Liedern, wird das »Heidenröslein« zur Gruppe der »Sesenheimer Lieder« gezählt.


    In der Literatur werden bezüglich der Anzahl von Vertonungen des »Heidenröslein« die unterschiedlichsten Zahlen genannt; eine entfernte Verwandte von Werner gibt über 200 an, andere schreiben, dass es etwa hundert Melodien zu »Sah ein Knab´ ein Röslein stehn« gibt, und jemand hat scheinbar ganz genau nachgezählt und kam auf 86 Vertonungen. Man liegt wohl richtig, wenn man feststellt, dass Goethes Text sehr oft mit Noten versehen wurde ...
    Es sind so bekannte und unterschiedliche Komponisten drunter, dass man sich manchmal wundert; als die Operette als Musikgattung noch populär war, kannte man das Lied aus Franz Lehárs »Friederike«, aber dass es auch eine Vertonung von Robert Schumann gibt ist nicht so geläufig - Romanzen und Balladen. Op. 67, Nr. 3. Auch Brahms hat es 1857 in Musik gesetzt und den Kindern von Clara und Robert Schumann gewidmet.


    Aber was weiß man von dem Komponisten Heinrich Werner? Er wurde in der Schulmeisterwohnung des alten Dorfschulhauses geboren. Sein Vater war der Dorfschulmeister und Kantor Simon Werner. Die Mutter hatte für zwei Töchter und drei Söhne zu sorgen. Dass in diesem Hause musiziert wurde, versteht sich von selbst. Der kleine Heinrich interessierte sich schon im Alter von vier Jahren für das Tun seiner beiden älteren Geschwister, wenn diese auf dem Hammerklavier, das zum Haushalt gehörte, übten. Als der Vater bemerkte, wie der Knirps mühsam nach den Tönen suchte, die er vorher gehört hatte, unterstützte er diese Bestrebungen seines Söhnchens. Später bildete dann der Vater mit seinen drei Söhnen ein Quartett für den Hausgebrauch.


    Den ersten öffentlichen Auftritt hatte Heinrich Werner mit elf Jahren, als er in der Kirchohmfelder Kirche alleine die Orgel während eines Gottesdienstes spielte. Vier Jahre später wurde Heinrich Werner in den Chor und sogleich auch in die Lateinschule der Kirche zu St. Andreasberg aufgenommen. Hier erhielten die Chorschüler eine fundierte musikalische Ausbildung und wurden gleichzeitig auf die Oberklassen des Gymnasiums vorbereitet. In dieser Schule gab Heinrich den »Streber«, was bei seinen Mitschülern mit wenig Begeisterung gesehen wurde; als er dann auch noch für Solostellen ausgesucht wurde, war auch das suspekt.


    Als Heinrich Werner 17 Jahre alt war, fuhr er mit der Kutsche nach Braunschweig, um sich dort am Gymnasium auf den Lehrerberuf vorzubereiten. Dort erwartete ihn sein Bruder Fritz, der schon einige Jahre in Braunschweig lebte und sich dort in gehobenen Kreisen sicher bewegte, was den jüngeren Heinrich beeindruckte; auch die pulsierende Stadt stand im Kontrast zu seinem Herkunftsort Kirchohmfeld. Als Heinrich sein Abitur abgelegt hatte, leistete er in Erfurt seinen Militärdienst ab; obwohl der Rekrut erheblich kurzsichtig war und das Schwarze in der Schießscheibe auf hundert Schritte nicht erkennen konnte, hatte man ihn genommen.
    Im Frühjahr 1822 meldete er sich zum Schulamtskandidaten-Examen an und bestand die Prüfung. Nun kehrte er wieder ins Elternhaus mit der Absicht zurück, in seiner Heimat das Amt eines Schulmeisters und Kantors zu übernehmen, aber alle Stellen waren besetzt.


    Also kehrte er wieder in das etwa 130 Kilometer entfernte Braunschweig zurück, sein Vater würde ihm schon Bescheid geben, wenn eine entsprechende Stelle im Umkreis von Kirchohmfeld frei würde.


    Braunschweig hat eine alte Theatertradition, die bis ins Jahr 1690 reicht, aber seit 1818 gab es in Braunschweig ein Nationaltheater, das jedoch ab 1826 als »Herzogliches Hoftheater« benannt wurde. Es war ein kleines Theater, erlebte aber zum Beispiel 1820 die deutsche Erstaufführung von Rossinis «Der Barbier von Sevilla«. An diesem Theater eröffnete sich für den jungen Schulmeister eine völlig neue Welt, denn es entwickelte sich ein reger Kontakt zu den dort agierenden Künstlern.
    Seine ursprüngliche Absicht den Aufenthalt in Braunschweig nur als Warteposition zu sehen, hatte er inzwischen längst aufgegeben; als ihm der Vater mitteilte, dass im etwa zehn Kilometer von Kirchohmfeld entfernten Wehnde eine Schulmeisterstelle frei sei, lehnte er dies so ab:


    »Vor Jahren würde ich mich in diesem Fach vielleicht glücklich gefühlt haben, jetzt schwerlich; die Zeit verändert uns und wir die Zeiten.«


    Heinrich Werner hatte sich in Braunschweig seinen Lebensunterhalt als Privatmusiklehrer verdient. Der um fast zwanzig Jahre ältere Braunschweiger Musikdirektor Gottlob Wiedebein, der wie Heinrich einer Kantorenfamilie entstammte, beriet den Jüngeren in musikalischen Fragen. Wiedebein beriet aber nicht nur Heinrich Werner, sondern auch den damals 18-jährigen Robert Schumann, der bei ihm um Rat nachgefragte. Schumann hatte dem Braunschweiger Kapellmeister drei Gedichte, die er nach Texten von Justinus Kerner vertont hatte, geschickt. Wiedebein erkannte Schumanns Talent auf Anhieb und schrieb zurück:


    »Sie haben viel, sehr viel von der Natur empfangen, nützen Sie es, und die Achtung der Welt wird Ihnen nicht entgehen.«


    Wiedebein kannte die Musikszene in Rom, Venedig, München, Dresden und Wien, wo er mit Beethoven zusammentraf und der junge Heinrich Werner hatte hier eine reichhaltige Quelle, aus der er schöpfen konnte. Als Bruder Fritz 1825 nach Berlin ging, um dort an einem Gymnasium die Stelle eines Musiklehrers anzutreten, übernahm Heinrich dessen Stelle als Chorpräfekt an der Oper. Einige Bewerbungen auf eine Musiklehrerstelle an Gymnasien brachten keinen Erfolg, aber er war auch sehr wählerisch und schlug beispielsweise 1830 eine Organistenstelle in Holzminden aus, weil diese Stelle an die Bedingung geknüpft war auch am Gymnasium als Musiklehrer tätig zu sein.
    Nun intensivierte er seine Arbeit an eigenen Kompositionen, befasste sich mit Musikgeschichte und schrieb Rezensionen. Mit Gleichgesinnten gründet er den »Cäcilienclub«, wo eigene Kompositionen aufgeführt wurden und man gemeinsam musizierte.
    So ideal wie sich Heinrich Werner eine Anstellung vorstellte, die er bisher nicht bekommen konnte, meinte er auch, dass seine zukünftige Frau nur die allerbesten Eigenschaften in sich vereinen sollte. Als er Marie Conrad, die eigentlich von Wiedebein ihre Stimme ausbilden ließ, einige Male aushilfsweise unterrichtete, wenn dieser verhindert war, glaubte Heinrich Werner diese ideale Frau gefunden zu haben, aber schließlich heiratete die Dame einen reichen Kaufmann. In dieser depressiven Stimmung fiel ihm Goethes Text in die Hände und so entstand diese berühmte Melodie.


    Schnell verbreitete sich Werners Melodie in Braunschweig und darüber hinaus. Eine zweite große Liebe bahnte sich an, denn viele junge Damen nahmen bei Herrn Werner Klavier- oder Gesangsunterricht, ein gewisses »Reservoir« war stets vorhanden. So traf er auch wieder mit einer ehemaligen Schülerin zusammen, die er vor drei Jahren zum letzten Mal gesehen hatte und die in der Zwischenzeit zu einer stattlichen Frau herangewachsen war; Heinrich Werner verliebte sich wieder. Er war 32 Jahre alt und Charlotte Bruckmeyer 19; die Verlobung erfolgte heimlich, weil Charlottes Vater diese Verbindung nicht wollte. Aber das Liebesglück währte nicht lange. Im Herbst 1832 war Heinrich Werner an Lungentuberkulose erkrankt und wurde bettlägerig; am 3. Mai 1833 stirbt Heinrich Werner. Heute ist der Musiker Werner auch in Braunschweig weitgehend vergessen. Als 1994 einmal eine japanische Delegation von Schülern am Grab des Komponisten »Heidenröslein« singen wollte, war die Verwirrung bei den Offiziellen der Stadt groß, man musste erst Leute losschicken, die nach dem Grab suchen.


    Praktischer Hinweis:
    Das Grab befindet sich in Braunschweig auf dem alten Brüdern-Friedhof, der kein Friedhof mehr im üblichen Sinne ist, sondern eine öffentliche Grünanlage, auf der noch einige alte Grabmale stehen. Das Gelände liegt an der Broitzemer Straße. Bei der Grabsuche muss man etwas aufpassen, weil zwei ähnliche Grünflächen eng beieinander liegen. Auf einer braunen Hinweistafel ist das Grab mit 3 Heinrich Werner (1800-1833) und dem Zusatz: Gedenkstein wurde 1914 zu Ehren gesetzt, bezeichnet.


  • Zum heutigen Geburtstag von Camille Saint-Saëns




    Ein Blick ins Innere des Grabhäuschens


    Charles Camille Saint-Saëns, wie er mit seinem vollen Namen heißt, wird praktisch schon als Wunderkind geboren; er war es eigentlich schon vor seiner Geburt, wenn man die Beschreibung von Otto Neitzel zugrunde legt, der meint, dass es ein heißer Herzenswunsch der Mutter gewesen sei, welchen sie schon weit vor der Geburt ihres Sohnes gehabt habe, dass aus dem Entstehenden einmal ein großer Musiker werden sollte.
    Camilles Vater, erst 37 Jahre alt, ein Beamter, starb schon drei Monate nach der Geburt des Kindes an Schwindsucht; um Camilles Erziehung kümmerten sich seine Mutter und eine Großtante, die über ein außergewöhnliches Musikverständnis verfügt haben soll. Um das Gehör des Jungen zu bilden, stellte die Mutter die Uhren in der Wohnung so, dass das Schlagwerk der einen das der nächsten ablöste. Camille lauschte - und eilte dann zum Klavier, um diese Töne nachzutippen. Als er zwei und ein halbes Jahr alt war, erhielt er regelmäßig Unterricht am Klavier. Beide Frauen behandelten den Jungen wie ein rohes Ei. So hochbegabt er in der Musik war, so schwächlich war seine körperliche Konstitution.
    Bewundert wurde, dass der Knabe schon mit drei Jahren Noten lesen und schreiben lernte. Seine ersten Kompositionsversuche soll er bereits als Fünfjähriger gemacht haben. Wie gut er tatsächlich lesen konnte und von welcher Qualität diese kindlichen Übungen waren, ist heute schwer einzuschätzen.
    Dass der Junge aber 1846 - da war er zehneinhalb Jahre alt - sein erstes öffentliches Konzert in der Pariser Salle Pleyel gab, ist eindeutig ein Beweis von frühem Können, dem man den Status eines Wunderkindes zuerkennen kann, er spielte damals Klavierkonzerte von Mozart und Beethoven. Seine ersten Unterweisungen auf der Orgel erhielt er im Winter 1847 von Alexandre- Pierre Boëly, dem Organisten an der Kirche Saint-Germaine-l’Auxerrois, der als »Bach Frankreichs« bekannt war, weil er sich intensiv mit dem Werk des deutschen Meisters auseinandersetzte.
    Seine »Sinfonie A-Dur« war die erste ernstzunehmende Komposition des jungen Saint-Saëns, da war er 15 Jahre alt und Fachleute glauben in diesem Erstling Einflüsse von Mozart und Beethoven herauszuhören; es folgten noch vier weitere Sinfonien, aber eigentlich hat in der heutigen Musikwelt nur noch seine 3. Sinfonie Bedeutung, die unter der Bezeichnung »Orgelsinfonie« zum Begriff wurde.


    Im Alter von 16 Jahren begann er sein Studium am Pariser Konservatorium. Klavier studierte er bei Camille Stamaty, Orgel bei François Benoist und Komposition bei Jacques Fromental Halevy. 1851 konnte Saint-Saëns, drei Jahre nach seinem Studienbeginn, den Premier prix im Fach Orgel gewinnen.
    Von einem bedeutenden französischen Musiker erwartete man, dass er den begehrten Rompreis erringt, also bewarb sich der Musikstudent 1852 um dieses begehrte Stipendium, das neben Ruhm und Ehre auch ein paar sorgenfreie Jahre gewährleistete. Aber Saint-Saëns vermochte den gestrengen Prüfern nicht zu gefallen; Berlioz - einer der Prüfer - meinte: »il manque de mélodie!« Berlioz selbst war ja bei seinem ersten Anlauf 1826 gescheitert und konnte den Rompreis erst 1830 beim zweiten Versuch ergattern.
    Saint-Saëns verzichtete jedoch auf eine zweite Bewerbung in dieser Sache und wurde Organist. Seine berufliche Laufbahn als Organist begann 1853, als er an die Kirche Saint Severin in Paris berufen wurde. Einige Monate später nahm er eine ähnliche Berufung an die Kirche von Saint-Merri an, an der er am 3. Dezember 1857 anlässlich der Weihe der neu restaurierten Orgel die Uraufführung seines ersten veröffentlichten Orgelwerkes spielte, der Fantasie Es-Dur. Vier Tage darauf, am 7. Dezember, wurde Saint-Saëns zum Organisten der Kirche Madeleine ernannt, an der er bis 1877 blieb. Neben seiner Organistentätigkeit erteilte Saint-Saëns zeitweilig auch noch am Niedermeyer´schen Clavierinstitut Unterricht, wo Gabriel Fauré zu seinen Schülern gehörte.


    In Paris hatte Saint-Saëns auch den um einiges älteren Franz Liszt kennengelernt, der ihm wichtige Impulse geben konnte und später dann auch Saint-Saëns massiv bearbeitete, damit dieser seine heute bekannteste Oper »Samson und Dalila« überhaupt fertigstellte. In Frankreich gelangten zwar immer mal wieder Fragmente des Stückes an die engere Öffentlichkeit, aber letztendlich lehnte man das Werk mit der Begründung ab, dass eine Oper mit biblischem Charakter nicht auf die Opernbühne gehört. So gelangte das Werk in einer deutschen Übersetzung 1877 am Weimarer Hoftheater unter dem Dirigat von Eduard Lassen zur Uraufführung; nach dem großen Erfolg in Deutschland war die Oper dann erst dreizehn Jahre später auch in Frankreich zu hören.


    Zu manchen seiner Komponisten-Kollegen hatte Saint-Saëns ein zwiespältiges Verhältnis; der junge Claude Debussy war zum Beispiel ein Bewunderer von Meister Saint-Saëns, rückte aber später von ihm ab, weil er ihm zu wenig fortschrittlich schien. Beim Verhältnis zu Wagner war anfangs helle Begeisterung, die jedoch in Frankreich, insbesondere nach der Niederlage gegen Preußen, nicht besonders gut ankam. Die Herren waren sich ja schon 1859 begegnet. Später war es ja wohl keine persönliche Aversion gegen Wagner und seine Musik, aber er bekämpfte dann vehement den Einfluss, den Wagners Musik auf die französische Musik nahm.


    Nach dem Deutsch-Französischen Krieg machte sich 1871 Saint-Saëns für eine nationale französische Musik stark und gründete zusammen mit dem Bariton Romain Bussine die »Société Nationale Musique«, zu der noch weitere bekannte Namen wie zum Beispiel César Franck, Jules Massenet, Gabriel Fauré, Henri Duparc ... hinzukamen. Das Ziel dieser Neugründung war, vornehmlich Werke französischer Provenienz zu fördern.


    Seinen Zeitgenossen muss Saint-Saëns geradezu unheimlich gewesen sein, weil er so eine Art Universalgenie war, denn er wirkte nicht nur als Komponist, sondern auch als Organist, Professor und Musikkritiker. Zudem beschäftigte er sich mit historischen Instrumenten, Astronomie, Archäologie und Philosophie. Von Hector Berlioz ist der Ausspruch überliefert:
    »Er weiß alles, ihm fehlt nur die Unerfahrenheit.«


    Über Saint-Saëns´ Lebensanfang, praktisch ohne Vater, wurde bereits berichtet; im Februar1875 trat der 39-Jährige in den Stand der Ehe, seine Angetraute war Marie-Laure Truffot, eine junge Frau von 19 Jahren. In dieser Zeit entstand das auch heute noch viel beachtete Klavierquartett B-Dur op. 41.
    Dieser Verbindung war kein Glück beschieden, die Ehe scheiterte tragisch; drei Jahre nach der Heirat kamen innerhalb weniger Wochen die beiden Söhnchen des Paares durch Unfall und Krankheit ums Leben, der verzweifelte Vater gab der Mutter die Schuld; der Komponist verließ seine Frau, er soll lediglich auf einen Zettel geschrieben haben: »Ich bin weg«. Die Ehe wurde aber nie geschieden.


    Einige Werke werden wohl seinen Namen vor dem Vergessen bewahren, darunter die Oper »Samson et Dalila«, die dritte, sogenannte »Orgel-Symphonie«, die symphonische Dichtung »Danse macabre«, das zweite und vierte Klavierkonzert, »Introduction et Rondo capriccioso«, die »Havanaise« und das dritte Konzert für Violine und Orchester, das erste Cellokonzert, die »Étude en forme de valse« für Klavier und die große zoologische Fantasie »Le Carnaval des animaux.«...


    Eine lange Freundschaft bestand zwischen Saint-Saëns und dem spanischen Violinvirtuosen Pablo de Sarasate, der im Rahmen von Privatkonzerten mehrfach in Saint-Saëns´ Salon auftrat. Saint-Saëns widmete ihm fast alle seine großen Violinwerke, darunter auch das Konzert Nr. 3 h-moll für Violine und Orchester op. 61, das Sarasate 1880 zur Uraufführung brachte; durch den intensiven Kontakt mit dem Virtuosen kannte der Komponist natürlich auch die feinsten Nuancen, die das Instrument hergab.


    Im Frühjahr 1877 kam es an der Madeleine zu Meinungsverschiedenheiten mit dem Vorstand in deren Verlauf Saint-Saëns zurücktrat. Seine Improvisationen an der großartigen Cavaille-Coll-Orgel dieser Kirche hatten Musikkenner aufhorchen lassen, hier kam er als Organist zu einer gewissen Berühmtheit.


    Zu diesem Zeitpunkt hatte Saint-Saëns noch nicht einmal die Hälfte seines langen Lebens hinter sich gebracht, er war gerade mal 41 Jahre alt. Da er nun an der Orgel nicht mehr gefordert war, widmete er sich der Komposition neuer Werke, wobei man einflechten muss, dass ihm der Vorwurf gemacht wurde, dass er sich in seinen Kompositionen nicht nach vorwärts bewegt.
    Wenn man Saint-Saëns Tun in seiner zweiten Lebenshälfte betrachtet, war da zumindest aus geografischer Sicht eine Menge an Vorwärtsbewegung zu sehen. Er war nun als reisender Virtuose unterwegs und wurde vielfach geehrt, so erhielt er zum Beispiel 1893 die Ehrendoktorwürde der Universität von Cambridge.
    Ausgedehnte Reisen brachten ihn nach Singapur, Saigon und Südamerika. Auch die neue Welt lernte der Hochbetagte noch kennen - 1906 begab er sich auf eine erste Konzertreise in die USA und brach 1915, anlässlich der Weltausstellung in San Francisco, nochmal zu einer Amerikareise auf, Frankreich hatte sich trotz Weltkrieg daran beteiligt. Der 83-Jährige komponierte bei dieser Gelegenheit unter anderem die Hymne »Hail! California« für Orgel, Orchester, Militärkapelle und Chor - mit Einflechtungen der Marseillaise. Man muss dieses Stück nicht unbedingt kennen (kann es aber bei YouTube hören); es wird hier aufgezeigt, damit man sehen kann, was ein lebenslang gesundheitlich Schwächelnder noch im hohen Alter leisten kann.
    Wenn man bedenkt, dass Saint-Saëns ein Zeitgenosse von Bruch, Bizet, Tschaikowski ... war, ist es erstaunlich, dass er noch in die neue Zeit hineingewirkt und beim Film mitgemischt hat. Der erste Film, für den eine eigene Musik komponiert wurde, war der französische Streifen »Die Ermordung des Herzogs von Guise«. Er wurde am 17. November 1908 uraufgeführt. Der Komponist dieses ersten Soundtracks war kein Geringerer als Camille Saint-Saëns.


    Michael Stegemann meinte in seiner Biografie:


    »Wäre Saint-Saëns nur 70 oder 75 Jahre alt geworden, so hätte die Musikgeschichte ihm zweifellos den Rang "eines der größten Meister der französischen Musik nach Berlioz" eingeräumt, der ihm noch 1907 zugestanden wurde. Dass er aber erst 1921 - mehr als dreieinhalb Jahre nach Debussy - starb, wurde ihm zum Verhängnis.«


    Über weite Strecken seines Lebens hielt sich der Komponist bevorzugt in Ägypten und Algerien auf, er hatte diesbezüglich den Rhythmus der Schwalben, wenn es in Europa ungemütlich wurde, zog er gen Süden.
    Nach kurzer Krankheit starb Saint-Saëns am 16. Dezember 1921 im Hotel de l’Oasis in seinem geliebten Algier. Bei seinem Begräbnis auf dem Friedhof Montparnasse, am 24. Dezember, sprach der Organist Charles-Marie Widor als Sekretär der Académie des Beaux Arts, im Namen des Institut de France die Worte:


    »Sein Vorbild und sein Werk bleiben bestehen. Der Mann ist nicht mehr, aber sein Geist schwebt über der Welt, lebendig und strahlend und wird so lange schweben, wie wir Instrumente und Orchester haben.«


    Praktische Hinweise:
    Der Cimetiére Montparnasse liegt in unmittelbarer Nähe des mit 210 Metern zweithöchsten Hauses in Paris (Tour Montparnasse). Mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist der Friedhof über den Fernbahnhof Montparnasse oder mit der Metrolinie 6 zu erreichen, die günstigste Aussteigestation ist Edgar Quinet. Der Friedhofseingang befindet sich 3 Boulevard Edgar Quinet.
    Man geht vom Haupteingang geradeaus und passiert zur Linken die Gräberfelder 21und 18, danach folgt das Feld 13, wo sich ziemlich mittig das Grabhäuschen von Camille Saint-Saëns befindet.

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  • Welch hoch erfreuliche Überraschung!
    Seit langer Zeit schon kommt es immer wieder einmal - ja eigentlich häufig - vor, dass ein klassisches Musikstück von mir regelrecht Besitz ergreift, so dass es mich unablässig beschäftigt, ich es mir immer wieder anhöre und Passagen davon mir ständig gleichsam impressionistisch durch den Kopf gehen. Dabei hüte ich mich davor, ihm reflexiv-analytisch zu Leibe zu rücken und mich näher über seine kompositorische Faktur zu informieren. Ich genieße es einfach, und manchmal verliebe ich mich gar in es.
    Seit drei Tagen ist es, ganz zufällig zustande gekommen, die "Rhapsodie d´Auvergne" von Camille Saint-Saens.
    Und was finde eben ich hier vor?: Einen Blick auf seine Grabstätte, verbunden mit einer ausführlichen Information über sein Leben und sein kompositorisches Schaffen.
    Etwas Schöneres hätte mir heute gar nicht passieren können.
    Dem lieben hart sei Dank, - wieder einmal!

  • Ja, Helmut! Das sehe ich genauso. Ich schaue nie ins Forum, ohne hier mit großem Interesse gelesen zu haben. Einer der interessantesten Threads überhaupt. Man kann "hart" nicht genug danken für seine Mühe!


    Liebe Grüße Wolfgang

    W.S.


  • Zum heutigen Geburtstag von Endrik Wottrich




    Am südlichen Tor zur Lüneburger Heide, im niedersächsischen Celle, wurde Endrik Wottrich geboren. Von hier aus zog er in die Welt, um Musiker zu werden; seine außergewöhnliche Stimme und Kenntnisse im Violinspiel sollten das Rüstzeug für den Musikerberuf sein.


    Zunächst studierte er Violine an der Hochschule für Musik Würzburg und schloss dieses Studium auch ab. Kammersängerin Prof. Ingeborg Hallstein entdeckte hier sein stimmliches Potenzial, gab ihm ersten Unterricht und förderte den jungen Sänger. Als Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes konnte er seine Studien an der Juilliard School in New York fortsetzen, wo er sich bei dem Bass-Bariton Daniel Ferro seinen Feinschliff holte.


    1992 debütierte er am Staatstheater Wiesbaden als Cassio in »Otello«. Daniel Barenboim brachte den jungen Sänger an die Staatsoper Unter den Linden in Berlin, wo er zwischen 1993 und 1999 sang. 1994 gastierte er als Steuermann in »Der fliegende Holländer« an der Wiener Staatsoper, in späteren Jahren dann auch als Erik; 2012 auch als Florestan an der WSO.


    1996 hatte Wottrich sein Debüt bei den Bayreuther Festspielen; er sang den David in einer Neuinszenierung »Die Meistersinger von Nürnberg«; in den Jahren 2001 und 2002 wurde ihm die Rolle des Walther von Stolzing anvertraut. In Jürgen Flimms »Ring«-Produktion war er von 2000 bis 2004 als Froh in »Rheingold« zu hören. In Dorsts »Ring«-Interpretation war Wottrich ab 2006 als Siegmund in »Die Walküre« auf der Bayreuther Bühne zu hören. In der Neuinszenierung von Claus Guths »Der fliegende Holländer« sang er den Erik.
    Mit Schlingensiefs Neudeutung des »Parsifal« von 2004 war Endrik Wottrich überhaupt nicht einverstanden und hielt mit seiner Meinung nicht hinterm Berg. Die Streitgespräche zwischen Sänger und Regisseur erreichten auch Presseorgane, die normalerweise mit klassischer Musik nichts am Hut haben. Als weitere Zugabe konnte die Presse mitteilen, dass der Bayreuther Tenor mit Katharina Wagner liiert ist, die zu dieser Zeit Schlingensiefs Regieassistentin war. Wottrich durfte nur 52 Jahre alt werden, sein Kontrahent aus gemeinsamer Bayreuther Zeit erreichte noch nicht einmal die 50.


    An der Berliner Staatsoper Unter den Linden sang Wottrich Mozartrollen wie Tamino oder Pedrillo, auch den Chateauneuf in »Zar und Zimmermann« oder Beethovens Jaquino, bewegte sich also im deutschen Fach.
    Auch Nikolaus Harnoncourt war auf den Sänger aufmerksam geworden und setzte ihn in Zwischenfachpartien wie Max im »Freischütz« oder der wenig verbreiteten Schubert-Oper »Alfonso und Estrella« ein, wo er die Rolle des Alfonso sang.


    Endrik Wottrich war an vielen Fronten ein engagierter Diskussionspartner, der mit Sicherheit etwas von Musik verstand und nicht wahrhaben mochte, dass ihn manchmal Leute zum Narren machen wollten, die bei weitem an seinen Kenntnisstand nicht heranreichten. Einmal erklärte er einem Journalisten, dass das hohe C ein absurder Fetisch ist und in unserer Zeit zu einem C plus wurde. »Die Stimmung ist heute höher als zu der Zeit, als die Musik komponiert wurde«, meinte der Sänger, der ab dem Wintersemester 2002 eine Professur an der Hochschule für Musik in Würzburg hatte. In einem Nachruf bezeichnete die Hochschule ihren Lehrer als engagierten Dozenten und streitbare Geist der Opernszene.


    Steil war die Sängerkarriere von Endrik Wottrich nach oben gegangen; Gastspiele führten ihn unter anderem an die Opernhäuser von Dresden, Stuttgart, Amsterdam, Paris, London, Chicago, New York, Mailand, Madrid, Wien ..., sowie zu den Festspielen in Bayreuth und Salzburg.
    Er fand es an der Zeit sich den Charakterrollen zuzuwenden; an der Wiener Volksoper sang Endrik Wottrich zuletzt die männliche Hauptrolle in Alfredo Catalanis Oper »La Wally«.
    Überraschend kam die Nachricht aus Berlin, dass Endrik Wottrich dort am Nachmittag des 26. April an Herzversagen gestorben ist, am 19. Mai 2017 fand die Beisetzung auf dem Celler Stadtfriedhof statt.



    Man geht an der Frontseite dieser Friedhofskapelle den Weg weiter geradeaus und wendet sich beim nächsten Gräberfeld nach links.

    Praktischer Hinweis:

    Der Friedhof liegt an der Lüneburger Heerstraße 20 in 29223 Celle. Wenn man an der sich auf der linken Seite des Weges befindenden Friedhofskapelle vorbei geht, wendet man sich nach links, wo sich das Grab mit der amtlichen Bezeichnung 1W 2/229 befindet.


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  • Wenn man sich am »Großen Sängerlexikon« orientiert, dann wurde der Sänger Richard Mayr am 18.11.1877 in Henndorf bei Salzburg geboren. Dieser Darstellung widerspricht jedoch eine Gedenktafel, die an einem Salzburger Gasthaus in der Linzer Gasse 9 angebracht ist. Dort wurde in Stein gemeißelt, dass Richard Mayr in diesem Hause am 18. Oktober 1877 geboren ist, der Ort Henndorf hatte im Leben des Sängers eine andere Bedeutung ..., aber sein Geburtsort war es nicht, allerdings stammte seine musikalische Mutter, eine geborene Moser, von dort.



    Gedenktafel am Geburtshaus von Richard Mayr in Salzburg



    Eingang zum historischen Friedhof


    Richard war das jüngste von insgesamt sieben Kindern und wurde als Sohn einer traditionsreichen Wirtsfamilie geboren; das Gablerbräu war in Salzburg ein Begriff. Richard hatte vier Brüder; Franz und Fritz Mayr, die den väterlichen Betrieb in eine Blütezeit führten und Carl, der zwar an der Kunstgewerbeschule Wien studiert hatte, aber dann zusammen mit seinem Bruder Richard vom Onkel dessen Gaststätte in Henndorf erbte. Der um zwei Jahre ältere Carl führte diese Gaststätte weiter und Richard fand über den Umweg einers begonnenen Medizinstudiums zur Opernbühne.


    Nachdem Richard das k.k.Staatsgymnasium in Salzburg besucht hatte, begann er 1897 ein Studium der Medizin und wurde auch Mitglied in der Wiener Akademischen Burschenschaft Libertas, wo die Geselligkeit eine nicht unwichtige Rolle spielte. Natürlich war er bei den üblichen Gesängen mit seiner Stimme aufgefallen, so dass er bei der Aufführung einer sogenannten »Bieroper« - das Werk hieß »Dalibor und der Boehme« - als Darsteller im November 1898 erfolgreich in Erscheinung trat. Schon während seiner Studienzeit konnte er erfolgreich öffentliche Auftritte verbuchen; so konnte er 1900 bei einer Aufführung von Beethovens »Missa solemnis« in Bozen durch seine sängerische Leistung überzeugen. Der Violinist Karl Prill, der bei den Bayreuther Festspielen mitwirkte, hörte Richard Mayr in Antonín Dvořáks Requiem und empfahl ihn Cosima Wagner. In einigen Publikationen wird gesagt, dass Mayr bei dem Bariton und Gesangspädagogen Johannes Ress studiert haben soll, aber in dessen Schülerliste sucht man den Namen Mayr vergeblich ...


    Ab 1902 besuchte Mayr nun die Stimmbildungsschule in Bayreuth, wo ihn der erfahrene Julius Kniese ausbildete. Am 28. Juli 1902 ist es endlich so weit, er hat seinen ersten Opernauftritt als Hagen bei den Bayreuther Festspielen.
    Am 2. Oktober 1902 stand Mayr dann zusammen mit Selma Kurz und Leo Slezak auf der Bühne der Wiener Hofoper (die ab 1920 Staatsoper heißt); man hatte dem Debütanten die Rolle des Don Silva in Verdis Oper »Ernani« anvertraut. Operndirektor ist in dieser Zeit Gustav Mahler. Mit Richard Mayrs Karriere geht es an diesem renommierten Haus steil aufwärts, bereits in seinem ersten Jahr sang er dort 16 Opernrollen und schon 1905 ernannte man ihn zum Kammersänger. Nach 33-jähriger Tätigkeit an der Wiener Staatsoper hatte es Richard Mayr hier fast auf hundert Rollen gebracht, mal werden 97 und dann wieder »nur« 95 angegeben, das war eine großartige Leistung, egal welche Zahl man nimmt. Geradezu legendär waren seine Auftritte als Baron Ochs auf Lerchenau im »Rosenkavalier«; das Archiv der Staatsoper sagt, dass er den Ochs 158 Mal am Hause verkörpert hat.
    Über viele Jahre war Mayr in Bayreuth zu hören; nach seinem Debüt 1902 nochmals 1904, 1908 und 1924 in der gleichen Rolle. Er sang dort auch den Pogner in den »Meistersingern« und 1910-14 den Gurnemanz im »Parsifal«.
    Auch bei den Salzburger Festspielen war der Bassist Dauergast; man konnte ihn ja schon bereits beim Mozartfest von 1906 - das auf Initiative von Lilli Lehmann entstand und als Vorläufer der Salzburger Festspiele gilt - in Salzburg erleben. Ab 1922, dem eigentlichen Beginn der musikalischen Festivitäten - wo Mayr zusammen mit Richard Tauber in »Don Giovanni« auf der Bühne stand und den Leporello gab - war Richard Mayr in Salzburg bis zum Ende seiner Sängerkarriere zu hören. Er gab auch 1925 den ersten Liederabend überhaupt, der im Rahmen der Salzburger Festspiele stattfand, wobei fünf Lieder von Franz Schubert und acht von Hugo Wolf auf dem Programm standen. Wenn er als Konzertsänger auftrat, wurde er in der Regel von Ferdinand Foll, dem Korrepetitor der Wiener Staatsoper, begleitet.
    In den Jahren 1924-31 gastierte Mayr an der Covent Garden Oper London in Opernrollen von Mozart, Wagner und Strauss.
    Sein Ruf war bis Amerika gedrungen, auch die Metropolitan Oper New York wollte sich diese Stimme nicht entgehen lassen, er debütierte dort 1927 als Pogner in den »Meistersingern« und war an der »Met« in den Jahren bis 1930 auch als Landgraf im »Tannhäuser«, als Hunding in der »Walküre« und vor allem als Baron Ochs auf Lerchenau zu hören.


    Wer den Namen Richard Mayr zum Beispiel in Jens Malte Fischers Buch »Große Stimmen« nachschlägt, ist da schon etwas überrascht zu lesen, dass der Autor den berühmten Bassisten als »durchaus provinziellen Sänger« bezeichnet und hinzufügt, dass man es schonungsvoller nicht ausdrücken kann.
    Wien, Salzburg, London und New York rechnet man ja normalerweise nicht zur musikalischen Provinz ...
    Bei Jürgen Kesting kommt Richard Mayr auch nicht groß heraus, dieser meint: »In seinen jungen Jahren besaß Mayr eine gut und charakteristisch timbrierte hohe Bassstimme von mittlerem Volumen. Weder Tonqualität noch Farbspektrum waren reich. Die hohen Töne über dem D machten ihm Mühe; die F´s des Figaro bildete er mit klanglich reduzierter, kopfiger Stimme, musikalisch geschickt, vokal unzureichend.«


    Der einflussreich amerikanische Musikkritiker Irving Kolodin sieht das etwas anders und gibt uns folgende Auskunft:
    »In seiner berühmtesten Partie war Mayr der beste Ochs, den New York erlebt hatte, obwohl er längst nicht mehr im Vollbesitz seiner bemerkenswerten Stimme war.« Diese Feststellung stammt aus dem Jahr 1927, da war Richard Mayr fünfzig Jahre alt.


    Es kann ja einfach nicht sein, dass da jemand 33 Jahre lang an der Wiener Staatsoper gesungen hat, der das eigentlich gar nicht konnte. Eine Opernfigur besteht schließlich nicht nur aus Stimme. Zu Mayrs Zeit wurden schließlich Opern noch so gespielt, dass es der Vorstellung des Komponisten so weit als möglich nahe kam. In diesem Idealfall lebte der Komponist des »Rosenkavalier« noch und war durchaus angetan, von dem was da auf der Wiener Opernbühne dargestellt wurde. Erstmals sang Mayr am 8. April 1911 am Wiener Opernhaus den Baron Ochs auf Lerchenau, zum letzten Male kreierte er seine Glanzrolle an der Wiener Staatsoper am 1. Januar 1935.
    Noch im gleichen Jahr starb der Sänger nach langer qualvoller Krankheit in Wien. Es fanden Trauerakte in der Karlskirche und vor der Staatsoper statt. Bundeskanzler Schuschnigg und große Teile der Wiener Kunstwelt nahmen daran teil. Die Beisetzung fand am 4. Dezember in der Familiengruft auf dem Friedhof St. Peter statt.







    Praktischer Hinweis:

    Das Grab befindet sich auf dem Petersfriedhof in der Salzburger Altstadt, in unmittelbarer Nähe des Friedhofs ist die goldene »Mozartkugel« mit einem Durchmesser von fünf Metern nicht zu übersehen und kann der Orientierung dienen. Der Friedhof selbst ist überschaubar klein.
    Am Friedhofstor wendet man sich nach links, wo sich die Familiengruft in den Arkaden befindet, die mit römischen Zahlen gekennzeichnet sind; die Gruft der Familie Mayr findet man unter XXXIII.


  • Zum heutigen Todestag von Robert Franz



    Die Halloren in Halle waren mit der Salzgewinnung befasst und diese Tätigkeit war in unterschiedliche Arbeitsstufen eingeteilt, Roberts Vater war in diesem Bereich »Güterfrächter« und der ursprüngliche Familienname war Knauth.
    Dieser Name war in Halle weit verbreitet und zudem war Roberts Onkel im gleichen Geschäftsbereich tätig wie Christoph Krauth, Roberts Vater. Es kam bei der Geschäftspost oft zu Unstimmigkeiten, weshalb Roberts Vater beschloss seinen Familiennamen zu ändern, um Verwechslungen zu vermeiden. Der 1815 geborene Sohn wurde auf den Namen Robert Franz getauft, aber erst später wurde die Führung des Namens beim König von Preußen beantragt und durch Kabinettsbeschluss akzeptiert. Vom Geburtshaus des Komponisten, Brunos Warte 13, existiert noch ein Foto aus dem Jahre 1952 in den 1960er Jahren hat man das Haus abgerissen.


    Christoph Franz hielt nicht viel von brotloser Kunst und war eher ein Feind nutzloser Dinge, zu denen für ihn auch künstlerische Aktivitäten zählten. Von dieser Seite durfte Robert zunächst keine Unterstützung für seine künstlerischen Ambitionen erwarten. Aber zur Ehrenrettung von Vater Christoph soll nicht unterschlagen werden, dass der Knabe erste musikalische Eindrücke vom Vater erhielt, als dieser seinen Kindern eine Reihe schöner Choräle vorsang.
    Als Robert ab 1828 die altehrwürdige Lateinschule der Franckelschen Stiftungen besuchte, kam er dort mit dem deutschen Volkslied und den Werken von Bach, sowie denen des 130 Jahre früher in Halle geborenen Georg Friedrich Händel in Berührung. An der Lateinschule unterrichtete der Kantor der Marktkirche, Carl Gottlob Abela, an dessen Unterricht sich Robert Franz noch viele Jahre später dankbar so erinnerte:


    »Mozart- und Haydnsche Kantaten, Händelsche Oratorien und Psalmen konzentrierten meine auseinanderfahrenden Interessen und bildeten einen haltbaren Kern für ein zukünftiges Wachstum. Zwar blieb ich nach wie vor Autodidakt, aber doch jetzt in einer Form, die mich vor einem lächerlichen Ende bewahren musste.«


    Als der Vierzehnjährige bei Verwandten ein uraltes Pataleon fand, war seine Begeisterung groß; mit Fürsprache seiner Mutter ließ sich der Vater nach einigem Widerstand erweichen das Instrument zu kaufen. Zunächst bemühte sich der Junge alleine hinter die Geheimnisse der Notenschrift zu kommen, dann fand sich im Verwandtenkreis ein einigermaßen Musikkundiger, der etwas weiter helfen konnte. Bald vermochte dieser dem überdurchschnittlich begabten Jungen nichts mehr beizubringen und es wird berichtet, dass Robert innerhalb von vier Jahren von sämtlichen Musikmeistern in Halle unterrichtet worden sei.


    Da er nun die Musik dieser großen Meister gehört hatte, regte ihn das zu eigenen Tonschöpfungen an und er fertigte Kompositionen ohne dass ihm ein Lehrer oder Berater zur Seite stand; in der Rückschau sah der erfahrene Komponist das natürlich äußerst selbstkritisch:


    »Meine Kompositionsversuche trugen alle Mängel der törichten Selbsthilfe, verrieten weder formales Talent, noch idealen Gehalt. Stellte sich mir heute ein junger Mensch, der das nämliche leistete, was ich damals vermochte, mit dem Wunsche vor, dass ich ein entscheidendes Wort über seine Zukunft spräche, ich würde ihm eher zu allem anderen raten, als zu einem künstlerischen Beruf.«


    Es war ein harter und lange währender Kampf bis die Eltern endlich einwilligten, dass der nun zwanzigjährige Sohn das Gymnasium und seine Vaterstadt verlassen durfte, um im fünfzig Kilometer entfernten Dessau bei dem überregional bekannten Friedrich Schneider, einem Organisten, Hofkapellmeister und Komponisten zu studieren, der 1829 in Dessau eine Musikschule gegründet hatte. Schneiders Oratorium »Das Weltgericht« war eines der bedeutendsten Werke dieser Gattung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts; man darf vermuten, dass dieser Mann eine entsprechende Autorität hatte. Robert Franz fühlte sich als Schüler Schneiders nicht so recht wohl, weil man ihm in Dessau die Regeln und Theorien in recht trockener Weise vermittelte, was nicht nach seinem Geschmack war; sein Phantasie- und Empfindungsleben kamen zu kurz. Gewinn zog er durch den Umgang mit seinen Kommilitonen, wo ihm so mancher begabte Jungmusiker wichtige Impulse gab. Die bei Schneider erlernten kontrapunktischen und harmonischen Weisheiten lernte Franz erst viel später zu würdigen.


    Nach zweijährigem Aufenthalt in Dessau kehrte er 1837 wieder ins Elternhaus nach Halle zurück. Dort bemerkte man freilich, dass seine Dessauer Studien scheinbar keinerlei Früchte trugen; in Roberts nächsten Umgebung wuchsen die Zweifel an seiner künstlerischen Begabung und man warf ihm vor, dass das bisher eigentlich nichts gebracht hat. Aber der junge Mann war eben eine Künstlernatur und konnte sich nicht vorstellen irgendeiner Tätigkeit zum Broterwerb nachzugehen. Im Familienkreis galt er als verlorener Sohn oder schwarzes Schaf, allein seine Mutter stützte ihn in dieser für ihn schweren Zeit, wo er auch an sich selbst zweifelte.
    Ab 1841 hatte er zumindest ein stellvertretendes Organistenamt und verkehrte in gebildeten Bürgerfamilien der Stadt, wo er auch Gesangsunterricht gab.


    In einen Zeitraum von etwa fünf Jahren enthielt sich Robert Franz des Schaffens von Kompositionen - die Musikwissenschaftlerin Marie Lipsius übermittelt uns: »Keine Note ward von ihm geschrieben« - um sich der allgemeinen Bildung zu widmen, wozu es in der Universitätsstadt Halle vielfältige Möglichkeiten gab. Hier kam er in Kontakt mit dem Philosophen Rudolf Haym, dem Dichter Karl Wilhelm Osterwald, dem Musiker Julius Schäffer ...1841 wurde Robert Franz Organist an der Ulrichskirche und 1842 Dirigent der Singakademie.


    Für sich selbst schrieb er, ausgelöst durch eine leidenschaftliche »erste Herzensneigung«, wie er es formulierte, seine ersten Lieder, wobei er nicht daran dachte diese etwa zu veröffentlichen, weil darin seine Gefühle zum Ausdruck kamen und sie ihm zu persönlich erschienen.
    Diese »erste Herzensneigung« war seine 18-jährige Gesangsschülerin Luise Gutike, die Tochter eines hochangesehenen und wohlhabenden Arztes. Sie soll über einen betörenden Mezzosopran verfügt haben - Robert Franz sagte, dass er auch noch in späteren Kompositionen in diesem Sinne, ihrer Stimme gedenkend, komponiert habe.
    So entstand also Opus 1, »Zwölf Gesänge«, wobei er Texte von Robert Burns (3), Emanuel Geibel (3), Joseph von Eichendorff (2), Ida Hahn-Hahn (1), Hoffmann von Fallersleben (2) und Ludwig Tieck (1) vertonte. Diese zwölf Gesänge sind Fräulein Luise Gutike zugeeignet.


    Erst nachdem ihn seine Freunde bestärkten und bedrängten diese Lieder nicht im stillen Kämmerlein zu lassen, sandte er seine ersten Liedkompositionen an Robert Schumann, der sich dann auch lebhaft dafür interessierte und in der Neuen Zeitschrift für Musik einen grundsätzlichen Artikel über das »Liedermachen« schrieb. In diesem Artikel heißt es unter anderem:

    »Vergleicht man z. B. an den vorliegenden Liedern den Fleiß der Auffassung, der den Gedanken des Gedichtes bis auf das Wort wiedergeben möchte, mit der Nachlässigkeit der älteren Behandlung, wo das Gedicht nur eben so nebenherlief, den ganzen harmonischen Ausbau dort mit den schlotternden Begleitungsformeln, wie sie die frühere Zeit nicht loswerden konnte, so kann nur Borniertheit das Gegenteil sehen. Mit dem Vorigen ist schon das Charakteristische der Lieder von R. Franz angesprochen; er will uns das Gedicht in seiner leibhaftigen Tiefe wiedergeben [...]. Zum Vortrag der Lieder gehören Sänger, Dichter, Menschen; allein lassen sie sich am besten singen, und dann etwa zur Abendstunde.«


    Robert Schumann war mit seiner Wertschätzung von Robert Franz nicht alleine, auch andere berühmte Komponisten wie Felix Mendelssohn Bartholdy, Franz Liszt und Richard Wagner teilten diese Wertschätzung. Herrn Dr. Robert Schumann widmete er Opus 2, Lenaus Schilflieder und Opus 3, sechs Gesänge, waren Herrn General-Musikdirektor Dr. Felix Mendelssohn Bartholdy zugeeignet.


    Ende 1843 erschienen diese ersten Lieder von Robert Franz beim Verlag Whistling in Leipzig, der auch Werke von Robert Schumann herausgab.
    Robert Franz´ Schaffen galt vornehmlich dem Lied; bezüglich der Anzahl werden in der Literatur verschiedene Zahlen genannt, 279 Lieder, die zu seiner Lebenszeit veröffentlicht wurden, dürfte richtig sein. Sein bevorzugter Textdichter war Heinrich Heine, von dem 67 Gedichte vertont sind; dann folgt Wilhelm Osterwald mit 53 Liedern; der um fünf Jahre jüngere Osterwald war mit Robert Franz befreundet.
    Nikolaus Lenau, Eichendorff, Geibel, und Mörike ... können noch genannt werden ... Robert Burns wurde bereits bei den ersten Liedern erwähnt, von ihm haben immerhin 15 Gedichte Eingang in das Franzsche Œuvre gefunden. - es macht hier wenig Sinn eine exakte Auflistung darzustellen, natürlich würde dann auch der Name Goethe auftauchen ... aber es ist vielleicht interessant, dem Komponisten mal bei seinen frühen Vertonungen in die Werkstatt zu schauen.
    Zu den 19 Lenau-Liedern soll noch gesagt werden, dass Franz bereits 1844 Lenaus »Schilflieder« vertonte, die als op. 2 erschienen sind, wobei zu erwähnen ist, dass der Komponist die von Lenau vorgegebene Reihenfolge der fünf Gedichte veränderte, was er seinem Schüler, Arnold Freiherr Senfft von Pilsach, dessen erster Lehrer immerhin Carl Loewe war und der auch bei dem berühmten Julius Stockhausen Gesang studierte, ausführlich darlegte und begründete - hier ein Einblick, wie die Kommunikation konkret aussah:

    »Wie Sie gewiss schon bemerkten, tauchen in den Schilfliedern allerhand Naturlaute auf: flimmernde Sterne, zuckende Blitze, unheimliches Unkengetön u. s .w. Durch sämmtliche Nummern zieht sich aber wie ein rother Faden: "Der Wind, der Wind, das himmliche Kind". Vom leisesten Flüstern weinender Klage erhebt er sich bis zum wildesten Brausen verzweifelnder Leidenschaft, um dann wieder auf seinen Ausgangspunkt, jedoch jetzt still resignierend, zurückzusinken. Dieses An- und Abschwellen der Grundstimmung würde nun verloren gegangen sein, wenn ich Lenau´s Anordnung, die mir keine zwingende Nothwendigkeit zu haben scheint, gefolgt wäre; versetzen Sie die Nummer: »Auf geheimem Waldpfade« in die Mitte - sofort ist jeder Zusammenhang gestört. Ob Sie diese Rechtfertigung passiren lassen werden?«


    Nun wird von Liedexperten mitunter angeführt, dass beim Liedschaffen von Robert Franz keine Entwicklung stattgefunden habe, eine Parallele hat man bei seinem knapp zwanzig Jahre älteren Kollegen Carl Loewe. Robert Franz war sich dessen allerdings voll bewusst, denn er gab zu Protokoll: »Aus den von mir veröffentlichten Liederheften meine künstlerische Entwicklung zu konstruieren, wird ein vergebliches Bemühen sein.« An Franz Liszt schrieb er 1872: »Meine Musik ist ohne ein genauer Eingehen in die Schwesterkunst gar nicht zu verstehen: sie illustriert nur die Worte, für sich allein will sie wenig sein.«
    Seine »Schilflieder« schätzte Franz selbst qualitativ sehr hoch ein, obwohl diese fünf Lieder nur eine Aufführungsdauer von gut zehn Minuten haben. Es fällt überhaupt auf, dass bei seinen Liedkompositonen sehr viele Miniaturen mit einer Spieldauer unter zwei Minuten dabei sind;
    bei der im Anhang gezeigten CD ist das immerhin bei 23 Liedern von insgesamt 35 Stücken der Fall.


    Überblickt man das musikalische Schaffen von Robert Franz, dann waren das einmal seine Schöpfungen im deutschen Lied und seine Bearbeitungen alter Meisterwerke, namentlich der Bachs und Händels. In den 1850/60er Jahren gab es in Deutschland um die Bearbeitungen, die Robert Franz den großen Vokalwerken dieser Komponisten angedeihen ließ, indem er sie für den modernen Konzertsaal einrichtete, einen gewaltigen Streit, der als die »Spitta-Schäffer-Kontroverse« in die Musikgeschichte einging. Philologen wie Friedrich Chrysander oder Philipp Spitta erhoben gegen diese Bearbeitungen massiven Einspruch. Hieraus resultierten eine Reihe von Editionen und Gegeneditionen derselben Werke bei verschiedenen Verlagen. In der »Allgemeinen musikalischen Zeitung« und im »Musikalischen Wochenblatt« kam es zu einem sogenannten Federkrieg, es entbrannte eine Debatte in Form offener Briefe und polemischer Rezensionen. Robert Franz schrieb einmal dazu: »Die Ausgabe der Bach-Gesellschaft hat Stellen, bei denen man sich die Ohren zuhalten möchte ...«
    An den Kritiker Eduard Hanslick schrieb Robert Franz einen recht umfangreichen offenen Brief, in dem der musikalische Sachverstand des Komponisten deutlich zur Geltung kommt.


    Aus der ersten Liebe zu seiner Gesangsschülerin Luise Gutike resultierte keine Ehe. Robert Franz heiratete 1848 die Professorentochter Marie Hinrichs, die selbst auch imstande war Lieder zu komponieren. 1859 stieg er zum Universitätsmusikdirektor auf. Schon mit dem Erscheinen seiner ersten Lieder hatte er Hörprobleme bei sich festgestellt, die sich später drastisch verstärkten, 1867 wurde er wegen seines Gehör- und Nervenleidens beurlaubt; er musste also alle seine Ämter abgeben. in der Literatur werden als Ursache des Gehörschadens sowohl eine Erkältung als auch der Pfiff einer Lokomotive angegeben; aus seinen Briefen weiß man, dass er pfeifende Lokomotiven so fürchtete, dass er umständlichere Reiserouten in Kauf nahm, um solchen Pfiffen zu entgehen.


    Nach seiner durch Krankheit erzwungenen Frühpensionierung wurde es bei Familie Franz finanziell eng, denn die Einkünfte aus den Veröffentlichungen seiner Lieder reichten nicht aus, um den Lebensunterhalt zu sichern. Aus monetären Gründen kam es zu mehrmaligen Wohnungswechseln. Vorübergehend half ein staatlicher Ehrensold für die Verdienste um das Hallische Musikleben, aber es waren Widersacher am Werk, die dafür sorgten, dass ihm dieses Privileg nach einigen Jahren wieder entzogen wurde. Nun sprangen jedoch private Freunde und namhafte Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft ein.
    Der bereits erwähnte Schüler war nicht irgendein nur musikalisch ausgerichteter Sänger. Dr. Arnold Freiherr Senfft von Pilsach war einer der Direktoren der Berliner Lebensversicherungsgesellschaft; wenn so jemand die Sammelbüchse zur Hand nimmt, kommt ganz schön was zusammen ... natürlich wurde da kein Kleingeld eingeworfen; Senfft machte seinen ganzen Einfluss geltend und initiierte einen »Ehrenfonds«, den Franz Liszt in besonderem Maße unterstützte.
    Zu seinem 58. Geburtstag konnten dem Jubilar 30 000 Taler überreicht werden, die sachkundig in Aktienwerten angelegt wurden und so viel Rendite abwarfen, dass der Lebensunterhalt der Familie sichergestellt war. Zu seinem 70. Geburtstag wurde er Ehrenbürger der Stadt Halle, im selben Jahr hatte man dort auch den 200. Geburtstag Händels gefeiert.


    Als Robert Franz am 24. Oktober 1892 starb, war er ein geachteter Mann und wurde auf dem Stadtgottesacker beigesetzt, wobei Halloren den mit Blumen geschmückten Sarg trugen.
    Seit 1903 wird er in der Stadt durch ein Denkmal geehrt, eine Straße ist nach ihm benannt und die Singakademie trägt seinen Namen.



    Eingang zum Friedhof



    Praktischer Hinweis:
    Der Friedhofseingang ist an der Gottesackerstraße 7
    Gleich nach dem Eingang geht es links zwölf Stufen empor. Links sind Arkaden und parallel dazu verläuft ein Weg, den man etwa 70 Meter entlang geht, dann findet man rechts des Weges das Grab von Robert Franz.
    Im Schaukasten des Friedhofs hängt ein Friedhofsplan, der das Grab in der Abteilung II und der Nr. 25 bezeichnet.


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  • Zum heutigen Geburtstag von Eugen Jochum




    Im Hause Jochum spielte Musik eine außergewöhnliche Rolle; Eugens Vater war katholischer Lehrer und Leiter mehrerer örtlicher Orchester und Chöre. Eugen Jochum erhielt, wie seine Geschwister Otto (*1898), Mathilde (*1900) und Georg Ludwig (*1909), früh Musikunterricht.
    Mit vier Jahren bekam Eugen den ersten Klavierunterricht und wurde als Sechsjähriger an die Orgel herangeführt. Mit neun Jahren war der Junge bereits soweit, dass er in den Kirchen seiner Heimat schon mal aushelfen konnte, wenn Not am Mann war.


    Eugen wohnte im schwäbischen Bayern, in Babenhausen, das etwa 65 Kilometer von Augsburg entfernt liegt. 1914 muss der Junge sein Elternhaus verlassen, um in das stark musisch geprägte Internat des Benediktiner-Gymnasium St. Stephan in Augsburg einzutreten.
    Zusätzlich erhält der Gymnasiast - neben seiner schulischen Ausbildung - in den Fächern Klavier, Orgel und Kontrapunkt auch noch Unterricht am Augsburger Leopold-Mozart-Konservatorium. Sein ganzes bisheriges Leben ist von der katholischen Kirche und den Gotteshäusern geprägt, was lag näher als Kirchenmusiker zu werden?
    Aber die Entfernung von Augsburg nach München war nur geringfügig weiter als die Strecke Babenhausen-Augsburg, also kam der junge Jochum in München auch mit weltlicher Musik in Berührung, mit Opernmusik, und begann sich nun auch für dieses Genre zu interessieren. Im Rahmen der Opernfestspiele in München horchte er besonders bei den Werken Wagners auf; »Tristan und Isolde« hatte ihn so gepackt, dass er sich den Klavierauszug besorgte; eine längere Krankheitsphase gab den Rahmen dazu her, das Werk auswendig zu lernen, in ihm reift der Gedanke Theaterkapellmeister zu werden.


    1922 ein Studium aufzunehmen war nicht so einfach, für die Jochums schon gar nicht, weil die Inflation auf ihrem Höhepunkt angekommen war; eigentlich war für sie ein Studium nicht finanzierbar. Aber es fügte sich, dass ein Großonkel aus Amerika helfend eingreifen konnte, Eugen Jochum war es so möglich mit seinem Studium an der Münchner Akademie für Tonkunst - wie die heutige Hochschule für Musik und Theater damals noch hieß - zu beginnen. Zunächst studierte er bei Joseph Haas und Hermann von Waltershausen Komposition, Emanuel Gatscher übernahm die Orgelstudien.
    Siegmund von Hausegger war damals Chefdirigent der Münchner Philharmoniker und Präsident der Akademie. Bevor Jochum in die Meisterklasse für Dirigieren bei Hausegger aufgenommen werden konnte, war ein Probedirigat mit dem Orchester der Akademie zu absolvieren, das dann kein Hindernis für die Dirigentenlaufbahn Jochums war.
    Nach dem Studium betätigte sich Jochum 1924/25 als Korrepetitor am Nationaltheater München, wo in dieser Zeit Hans Knappertsbusch dirigierte, der 1922 als Nachfolger von Bruno Walter an die Münchner Oper gekommen war; von dem großen »Kna« war einiges zu lernen.
    In den folgenden Jahren ist Jochum an verschiedenen deutschen Städten tätig: Mönchengladbach, Kiel und Lübeck, sind die Stationen seines Wirkens, wo er sich ein Repertoire von mehr als 50 Opern erarbeitete, in Lübeck übernimmt er zusätzlich noch die Leitung der Symphoniekonzerte. 1929/30 ist Jochum auch am Nationaltheater Mannheim tätig.


    Das Dirigentendebüt von Eugen Jochum fand am 16. März 1926 statt, wo er die Münchner Philharmoniker dirigierte; auf dem Programm stand unter anderem auch die Siebte Sinfonie von Anton Bruckner. Die Reaktion der Presse hätte positiver kaum sein können. Dieser Termin war die Geburtsstunde des Bruckner-Dirigenten Eugen Jochum; es sei hier schon darauf hingewiesen, dass Jochum im Laufe seiner Dirigentenlaufbahn insgesamt 670 Aufführungen von Bruckner-Sinfonien zu verzeichnen hatte. Unverkennbar scheint die Wesensverwandtschaft, der beiden Musiker, die tiefe katholische Religiosität und das Instrument Orgel. Solange Hausegger lebte - er starb 1948 - begleitete dieser Jochums Bruckner-Interpretationen durch sachkundigen Rat.


    Dirigenten haben auch ein Privatleben; 1925 begegnet Eugen Jochum Maria Montz, die nur acht Monate älter war und in einem Ort bei Essen geboren wurde. Fräulein Montz hatte sich schon als Schülerin der katholischen Jugendbewegung des Quickborn angeschlossen, war literarisch interessiert und hatte eine Ausbildung als Buchhändlerin absolviert. Im Umfeld der fränkischen Burg Rothenfels kam sie mit Intellektuellen wie zum Beispiel Walter Dirks und Romano Guardini in Kontakt, darüber hinaus korrespondierte sie mit Schriftstellern wie Stefan Zweig und Hans Carossa. Dass sich Maria Montz und Eugen Jochum trafen war nicht der ganz große Zufall, denn in diesem Kreis kamen Menschen zusammen, die in wesentlichen Lebensfragen übereinstimmten. So ist es auch kein Wunder, dass man 1927 heiratete und eine Familie gründete; ihnen wurden zwei Töchter und ein Sohn geboren.


    Nach seiner Tätigkeit in Mannheim ist es dann soweit, Jochum tritt seine erste Stelle als Generalmusikdirektor bei den Duisburger Sinfonikern am Theater Duisburg an, wo er von 1930 bis 1932 dirigierte. In den Jahren 1932 bis 1934 war er Dirigent des Funkorchesters der »Funkstunde Berlin«
    Seine Tätigkeit in Hamburg war dann von längerer Dauer; 1934 wurde Jochum Generalmusikdirektor des Stadttheaters Hamburg und des Philharmonischen Orchesters Hamburg, wobei eine Fusion der beiden Klangkörper erfolgte. In dieser Position blieb Jochum dann auch über die Kriegsjahre bis zum Jahr 1949.


    Jochum hatte während der politisch brisanten Zeit, in welcher er in Hamburg während des Krieges tätig war, eine so starke Position, dass er sich aus künstlerischer Überzeugung traute auch Werke von Hindemith, Bartók und Strawinsky auf seine Programme zu setzten, dem Vernehmen nach soll es zwar deswegen zu einem Verweis gekommen sein, aber dessen ungeachtet interessierte er sich sogar für die Musik von Günter Raphael, was von der damaligen Kulturbürokratie, die den Komponisten nach ihrem Sprachgebrauch als »Halbjuden« einstufte, nicht gerne gesehen wurde.


    Als bekennender Katholik kann er kein Freund des Nationalsozialismus sein und ist damals der großen Volkspartei nicht beigetreten; die Reglementierung der Kunst war Jochums Sache nicht, aber er wollte mit seinem Orchester musizieren und hatte auch Aufgaben zu erfüllen, die dem Staat dienten, der bei aller Kulturlosigkeit stolz darauf war vorzuzeigen, was Deutschland an Musikkultur so zu bieten hat. Als das Philharmonische Staatsorchester Hamburg 1933 zu Hitlers Geburtstag aufspielte, war dieser neue Staat ja noch sehr jung, schon ein Jahr später intonierte das Orchester bei einem Besuch Hitlers in Hamburg das unchristliche Kampflied »Volk ans Gewehr«, das war die Einstimmung auf das was kommen sollte. 1936 ernannte Hitler Eugen Jochum zum Staatskapellmeister und 1944 wurde sein Name in die sogenannte »Gottbegnadeten-Liste« aufgenommen.


    Am 1. Juli 1949 gründete sich das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, dem Eugen Jochum vorsteht und als Chefdirigent zu hohem Ansehen bringt; seine Arbeitsbedingungen waren dort hervorragend, wie es die Formulierung im Gründungsvertrag deutlich macht, wo es zur Position des Dirigenten heißt:

    »Er ist befugt, die Maßnahmen zu ergreifen, die er für den Ausbau und die Erziehung des Orchesters für erforderlich erachtet. Die Verpflichtung von ständigen Dirigenten, Gastdirigenten, und Musikern für dieses Orchester erfolgt ausschließlich durch Herrn Professor Jochum im Einvernehmen mit dem Intendanten.«


    Von dieser verbrieften Kompetenz machte Jochum Gebrauch und besetzte zum Beispiel die ersten Pulte des neu formierten Orchesters mit Mitgliedern des Koeckert- und Freund-Quartetts


    Von Karl Amadeus Hartmann übernimmt er die bereits 1945 gegründete Reihe »musica viva«, für zeitgenössische Musik. Er leitet das Orchester bis 1960.


    Die Presse schrieb 1953 von einer »Dirigentenkriese in Bayreuth« - Der erfahrene, aber oft schnoddrige Wagner-Dirigent Hans Knappertsbusch hatte als Platzhirsch die jüngeren und gleichaltrigen Nachrücker Keilberth und Karajan nicht gerne gesehen und fragte an, wann in Bayreuth wieder die Pimpfe den Ton angäben, und für Eugen Jochum hatte er sich den Ersatznamen »Rosenkranzkavalier« ausgedacht. Keilberth wiederum stellte Assoziationen zu Jochums katholischer Religiosität her; in einem Brief an Wagner heißt es:
    »Ich sehe ein, dass sich Jochum nicht vermeiden lässt. Anstatt eines kühlen Tag-Tristans werden Sie jetzt einen fromm-temperierten vorgesetzt bekommen. Da Tristan und Isolde kein Kind bekommen, wird er wohl vorher in Rom anfragen müssen, wie weit er in der Erhitzung gehen darf. Mindestens wird dem armen Tristan wenigstens musikalisch die letzte Ölung gegeben ...« In ähnlichem Stil schreibt Keilberth an Helmut Grohe: »Froh bin ich darüber, dass Jochum nicht zum Parsifal kam. Da hätte man den entfachten Weihrauch bis zur Bürgerreuth hinauf in der Nase gehabt«.
    Soweit ein kleiner Einblick in die Gedankenwelt der damaligen Bayreuther Akteure. In dieser Atmosphäre gab Eugen Jochum 1953 dort sein Debüt mit »Tristan und Isolde«, 1954 folgte »Lohengrin« und »Tannhäuser«, 1971/72/73 »Parsifal«.


    Nachdem Eduard van Beinum 1959 während einer Probe von Brahms 1. Sinfonie mit dem Concertgebouw-Orchester gestorben war, trat Jochum dort zusammen mit Bernard Haitink die Nachfolge an; ganz neu war das Terrain für Jochum nicht, 1941 hatte er schon einmal in Amsterdam dirigiert. Jochums enge Zusammenarbeit mit dem Orchester währte von 1960 bis 1964, in den folgenden Jahren ist er aber dort immer noch als Gastdirigent beschäftigt. So zum Beispiel 1968 und 1986, als er mit dem Orchester zu einer Tournee nach Japan reist.


    Nach seinem festen Engagement in Amsterdam ist Eugen Jochum als freier Dirigent auf vielen Bühnen weltweit zuhause. Dazu zählen neben Orchestern wie den Berliner Philharmonikern, der Staatskapelle Dresden und dem London Philharmonic Orchestra, auch wieder die großen Opernhäuser: die Deutsche Oper Berlin, die Wiener sowie die Münchner Staatsoper verpflichten Jochum regelmäßig.


    Schon 1968, als Keilberth überraschend starb, der den Bamberger Symphonikern seit 1950 vorstand, hatte Jochum als künstlerischer Berater Einfluss auf das Orchester, 1971 wurde er dann als Nachfolger Keilberths zum Chefdirigenten ernannt und leitete das Orchester bis 1973.


    1975 bis1978 gibt Jochum viele Konzerte mit dem London Philharmonic Orchestra, das ihn mit dem »Conductor Laureate« auszeichnet.


    Eugen Jochum erfuhr im Laufe seines Lebens eine Menge an Auszeichnungen und sein Wirken ist auch vielfältig auf Tonträgern dokumentiert. Seitdem er am 16. März 1926 mit den Münchner Philharmonikern Bruckners 7. Symphonie aufgeführt hatte, wuchs sein Ruhm als Bruckner-Interpret ständig. Jochum war der erste Dirigent, der alle neun Symphonien Bruckners von 1958 bis 1967 auf Tonträger gebracht hat; allerdings mit zwei verschiedenen Orchestern; mit den Berliner Philharmonikern die Symphonien Nr. 1 / 4 / 7 / 8 / 9 und dem Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks Nr. 2 / 3 / 5 / 6.
    Darüber hinaus ist zu erwähnen, dass sich Eugen Jochum auch auf andere Weise mit Bruckners Werk auseinandergesetzt hat, wie kein Dirigent vor ihm. In diversen Schriften befasste sich Jochum auch theoretisch mit Bruckners Schaffen.


    1955 war in der Familie der Tod des Sohnes Andreas zu beklagen, im Mai 1984 starb Jochums Frau Maria. Am 14. Januar 1987 gab Eugen Jochum sein letztes Konzert mit den Münchner Philharmonikern. Nach einem erfüllten Leben starb Eugen Jochum am 26. März 1987; von den großen deutschen Dirigenten alter Tradition war er wohl der letzte.

    Praktischer Hinweis:

    Das Grab befindet sich in München auf dem kleinen Nymphenburger Friedhof, der an der Maria-Ward-Straße liegt; man findet es vorne, gleich links vom Eingang.



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  • Lieber hart,
    Deine Beiträge zu den letzten Ruhestätten bekannter und weniger bekannter Musiker sind eine Fundgrube für jeden an biographischen Daten interssierten Tamino und für jeden Gastleser. Für Deine umfangreiche Fleißarbeit und die daraus entstandenen Beiträge möchte ich mich hiermit ausdrücklich bedanken. Sie sind eine Bereicherung des Forums.


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Zitat von hart

    Zum heutigen Todestag von Eugen Jochum


    Heute ist sein Geburtstag, nicht sein Todestag.

    Es wird immer weitergehn, Musik als Träger von Ideen.

    Kraftwerk

  • Zum heutigen Todestag der Sängerin Sophie Cruvelli


    Im Großen Sängerlexikon heißt es: »die Sängerin, die eigentlich Johanne Sophie Charlotte Crüwell hieß und Tochter eines protestantischen Pfarrers war ...«


    Nach anderen Quellen ist der Sachverhalt so nicht richtig dargestellt. Die Mutter der später unter dem Namen Cruvelli bekannten Sängerin, Charlotte Crüwell, war die Tochter eines in St. Marien tätigen Superintendenten. Von der Mutter ist überliefert, dass sie eine schöne Altstimme besaß, aber Sophie Cruvellis Vater war der bekannte Bielefelder Tabakfabrikant Gottlieb Heinrich Crüwell. Erst 1983 wurde die Fabrikation aufgegeben, aber ein Rauchtabakfachgeschäft im historischen Crüwell-Haus existiert immer noch.



    Wie in gutbürgerlichen Familien damals nicht unüblich, gab es im Hause Crüwell Hauskonzerte, die sich hören lassen konnten. Auf Mutter Crüwells außergewöhnliche Stimme wurde bereits hingewiesen, ihre drei Töchter hatten von der Mutter all das schöne »Material« geerbt - das ist keine Vermutung, denn es existiert ein Konzertprogramm vom Mittwoch den 15. August 1866, wo es heißt, dass Frau Baronin Vigier, geb. Sophie Cruvelli im Verein mit ihren Schwestern Frau von Ising und Fräulein Marie Cruvelli ein »Concert« gibt.
    Das war ein öffentlicher Konzertauftritt im ostwestfälischen Bielefeld - »zum Besten der Wittwen und Waisen unserer Krieger«. Das Programm soll hier nur in den wichtigsten Punkten dargestellt werden, damit man einen kleinen Einblick hat:
    Unter anderem sang Frau Baronin Vigier eine von Pianoforte und Cello begleitete Romanze, dann folgte eine ihrer Schwestern - Frau von Ilg - mit einer Arie von Louis Spohr. Auch ein Duett aus Rossinis »Semiramis« wurde geboten, gesungen von Frau Baronin Vigier und Fräulein Marie Cruvelli (das war die Schwester von Sophie, die sich inzwischen auch diesen Künstlernamen zugelegt hatte).
    Baronin Vigier sang Schuberts Lied »Am Meer« und Fräulein Marie Cruvelli Schuberts »Kriegers Ahnung«. Im Terzett aus Spohrs »Des Heilands letzte Stunden« waren dann alle drei Schwestern zu hören.


    Das oben dargestellte Programm wurde von der damals vierzigjährigen Sängerin mit bestritten, die der Opernbühne längst ade gesagt hatte und öffentlich nur noch im Sinne der Wohltätigkeit sang. Im Folgenden soll ihr langes Leben von den Bielefelder Hauskonzerten bis zu den Musikzentren Europas beschrieben werden.


    Die Hauskonzerte der Familie Crüwell fanden zwar im intimeren Rahmen der Familie statt, aber man darf sich vorstellen, dass die musikalischen Darbietungen in der Stadt schon einen gewissen Bekanntheitsgrad hatten. Zu den Stimmen gesellte sich der Hausherr mit seiner Posaune hinzu. Johanna Sophie Charlotte Crüwell, wie sie von Geburt hieß, hatte noch fünf Geschwister, sie war die jüngste Tochter.
    Damals wurde auf die berufliche Ausbildung eines Mädchens kein übersteigerter Wert gelegt, dennoch verließ Sophie mit ihrer Schwester Marie die Familie in Bielefeld, um sich knappe 150 Kilometer entfernt bei dem berühmten Geiger und Komponisten Louis Spohr, der am Kassler Theater als Generalmusikdirektor wirkte, im Gesang professionell ausbilden zu lassen; dann ging die Reise weiter nach Paris, um sich zunächst von Francesco Piermarini und auch bei dem berühmten Tenor Marco Bordogni, der einen guten Ruf als Gesangslehrer hatte, weiter ausbilden zu lassen.
    Wie berichtet wird, soll die Gesangsschülerin bei Bordogni zwei Jahre lang nur Tonleitern geübt und Seiten aus einem Gesangsübungsbuch, das er extra für sie entworfen hatte, zum Vortrag gebracht haben. Der Mutter im fernen Bielefeld missfiel diese Art der Ausbildung und sie meinte, wenn es so schwierig sei eine gute Sängerin zu werden, dann täte ihre Tochter besser daran ans Heiraten zu denken. Das redete Bordogni der Mutter aus und man schickte das Mädchen nach Mailand, wo sie sich bei Francesco Lamperti, dessen Schülerliste beeindruckend ist, noch den letzten Schliff holte.


    1847 erfolgte ihr Debüt auf der Opernbühne in Venedig, (in der Literatur ist man sich nicht einig, ob das am Teatro Fenice oder am Teatro Apollo war), wo sie als Odabella in »Attila« von Verdi und als Elvira in »I Puritani« von Bellini sang. Anschließend hörte man sie am Teatro Nobile in Udine in »I due Foscari« von Verdi.
    Karrierefördernd erschien sie 1848 unter dem italienisch modifizierten Namen Sophia Cruvelli, denn die deutsche Sprache war aus politischen Gründen damals in Italien nicht besonders beliebt. Die Erfolge der Cruvelli hatten sich natürlich in der italienischen Musikszene herumgesprochen und Sophie Cruvelli wurde von Benjamin Lumley, Impresario des Her Majesy´s Theatre in London entdeckt und gleich in die Spielzeit 1848 aufgenommen. Nachdem Lumley nun 1851 auch Impresario des inzwischen weltbekannten Théâtre-Italien geworden war, verpflichtete sie der clevere Impresario sowohl für Paris als auch London.


    Mit ihrem neuen Namen Cruvelli trat sie dann auch am Her Majesty's Theatre London als Abigaille in Verdis »Nabucco« und als Elvira in dessen »Ernani« auf. An der Berliner Hofoper gastierte sie 1848 in Donizettis Opern »Norma« und »Lucrezia Borgia« . Zwei Jahre später sang sie eine Reihe von Rollen an der Mailänder Scala: in Verdi-Opern als Odabella in »Atilla«, als Elvira in »Ernani«, und Abigaille in »Nabucco«; aber auch als Rosina im »Barbier von Sevilla«, als Norma ...- sie war begehrt.
    Im Folgenden hörte man sie in Genua, Frankfurt am Main, Madrid ... und ihre Gagen wurden immer üppiger; Sophie Cruvelli war ein vielbeachteter Star geworden. Als man für die Uraufführung von »Rigoletto« 1851die Rolle der Gilda zu besetzen hatte, schlug man Verdi einige Sängerinnen vor, darunter war auch Sophie Cruvelli, die ihm aber als zu exzentrisch beschrieben wurde und für ihren Auftritt das Doppelte forderte, was das Theaterbudget hergab. In einem Brief schrieb Verdi dazu: »Ich sage Dir ganz ehrlich, dass ich diese Karikaturen der Malibran nicht liebe, die nur deren Allüren, aber nichts von ihrem Genie haben.« Etwas später, als sich Guiseppe Verdi für mehr als zwei Jahre in Frankreich aufhielt, wurde er auf ganz dramatische Weise mit den Besonderheiten um Sophie Cruvelli konfrontiert, er schrieb jetzt extra für ihre Stimme! Diese soll einen Tonumfang vom dreigestrichenen »d« zum »f« hinunter gehabt haben, man ist hier auf das fachkundige Urteil von Zeitgenossen angewiesen ...
    In den Jahren 1851 bis 1853 hatte sie sehr große Erfolge am Théâtre-Italien in Paris, wo die Cruvelli das Publikum als Norma, als Titelheldin in Rossinis »Semiramis«, als Leonore im »Fidelio« und wiederum als Elvira in »Ernani« zu begeistern wusste.
    Die Gesangskarriere der Sophie Cruvelli war relativ kurz und erreichte ihren Höhepunkt in den Jahren 1854 bis1856, das war die Zeit als sie dem Ensemble der Grand Opéra angehörte und man ihr ein Jahresgehalt von 100000 Francs zahlte. Ihre größten Erfolge feierte sie dort als Valentine in »Les Huguenots« von Meyerbeer, als Rachel in »La Juive« von Halévy, als Giulia in »La Vestale« von Spontini sowie am 13. Juni 1855 in der Uraufführung von Verdis Oper »Les Vêpres Siciliennes« (»I Vespri Siciliani«).


    Maestro Verdi hatte schon im Februar 1852 mit dem Pariser Opernhaus vereinbart eine neue Oper für Paris zu schreiben. Also brach er im Oktober des Jahres zu seinem längsten Frankreichaufenthalt auf. Schließlich hatte er sich endlich mit Meyerbeers Librettisten Eugéne Scribe auf einen Stoff aus der italienischen Geschichte geeinigt. Erstmals schuf Verdi hier eine französischsprachige Oper; wie manche vermuten, um Meyerbeer zu zeigen, dass er auch in dem an sich von Meyerbeer beherrschten Gebiet bestehen kann.
    Aber bevor Verdis neue Oper am 13. Juni 1855 in französischer Sprache am Théatre Impérial de L’Opéra im Rahmen der Pariser Weltausstellung aufgeführt werden konnte, gab es einen Riesenskandal. Demoiselle Cruvelli, für die Rolle der Hélène (Elena) vorgesehen - Verdi hatte die äußerst schwierige Rolle der Herzogin Elena extra für die Primadonna komponiert - war Anfang Oktober 1854 weder zu den Proben einer Meyerbeer-Aufführung, noch zu den Proben von Verdis neuer Oper erschienen, die Primadonna war unauffindbar. Auch mit dem Vielschreiber Scribe kam Verdi nicht zurecht, er wollte abreisen.
    In der aufgebrachten Presse war zu lesen, dass vom Ministerium des Kaiserlichen Hauses ein Antrag auf Beschlagnahme des von Demoiselle Cruvelli in ihrer Wohnung zurückgelassenen Mobiliars als Deckung für den angerichteten Schaden gestellt wurde.


    Zum plötzlichen Verschwinden von Sophie Cruvelli bietet die Literatur verschiedene Storys an:


    Der Pariser Gesellschaft war nicht entgangen, dass sich die Sängerin und der Vicomte Georges Vigier in der letzten Zeit näher gekommen waren, und somit vorgezogene Flitterwochen der Grund für das urplötzliche Verschwinden war.


    Eine andere Version der Geschichte sagt, dass es zu einem Konflikt mit Archille Fould - seinerzeit der mächtigste Finanz- und Staatsmann des Landes - gekommen sei, der die immense Gage, die ihr zugesichert worden war, nicht aus der Staatskasse freigeben wollte. Dass Sophie Cruvelli die Lieblingssängerin von Napoleon III. war, sei am Rande erwähnt.


    Und es steht noch eine weitere Version zur Verfügung, die sich auf Brief-Fragmente stützt und zu dem Schluss kommt, dass der Direktor der Pariser Oper von ihr verlangte, auch im Privatleben eine gewisse Rolle zu spielen, wobei die Nachwelt an die Rolle der Valentine dachte, eine junge Frau, die ihr Verlöbnis mit einem Grafen löst, weil sie in Liebe zu einem anderen Mann entbrannt ist.


    Aber schließlich taucht Sophie Cruvelli Anfang November dann genau so plötzlich wieder auf, wie sie verschwunden war. Unverzüglich war sie wieder Publikumsliebling und erfüllte ihre vertraglichen Verpflichtungen. Die Uraufführung der neuen Verdi-Oper wurde für den Komponisten und die Sängerin ein großer Erfolg.
    Etwa ein Jahr später verließ Sophie Cruvelli offiziell die Opernbühne, um den Vicomte George Vigier, einen Enkel des Marschalls Davoust, der als einer der besten Generäle Napoleons galt, zu heiraten.



    Der Familienname VIGIER ist im Giebelbereich des Grabmals zu erkennen




    Auf dieser Tafel im Innenraum des Grabmals findet man noch die Lebensdaten der einst berühmten Sängerin


    Die Sommer verbrachten die Eheleute auf ihrem Gut in der Normandie; im Frühling und Herbst lebte man in Nizza und in der »Saison« ließ man sich in Paris sehen.
    Frau Baronin Vigier ließ auch noch ihre schöne Stimme im Rahmen von Wohltätigkeitskonzerten hören. Für ihre beispielhafte Wohltätigkeit verlieh ihr Papst Pius IX. im Jahre 1874 die Goldene Tugendrose mit einer persönlichen Widmung - das war immerhin eine Auszeichnung für eine Protestantin.
    Sie war auch eine Unterstützerin von Richard Wagner, indem sie schon 1881- im Rahmen einer Benefiz-Aufführung - praktisch die erste Aufführung seines »Lohengrin« in Frankreich organisierte, im Cercle de la Méditerranée Salon in Nizza stellte sie sich selbst als Elsa zur Verfügung.


    Als Vicomte George Vigier 1882 starb, zog sich Sophie Cruvelli ganz nach Nizza zurück. Nach einem Besuch der Opéra de Monaco starb Sophie Cruvelli im Alter von 81 Jahren am 6. November 1907 im Hôtel de Paris in Monte Carlo

    Praktische Hinweise:

    Das Grabmal von Madame Jeanne Sophie Charlotte Cruwell Vicomtesse Vigier befindet sich auf dem Pariser Friedhof Cimetière du Père-Lachaise / Division 38. Man geht vom Haupteingang auf der Avenue Principale eine kurze Strecke geradeaus, biegt dann rechts in die Avenue du Puits ab, um von dort (WC) der etwas aufsteigenden Avenue Casimir Périer zu folgen, bis man zu einem Kreisel mit Denkmal kommt. Dort geht man auf der Avenue des Acacias weiter bis man direkt am Weg das denkmalartige Grab des berühmten Librettisten Eugén Scribe sieht, schräg gegenüber ist das etwas in die Jahre gekommene Haus der Sängerin aus Bielefeld, die sich Cruvelli nannte.



    Die letzte Ruhestätte von Sophie Cruvelli


    Gegenüber des Weges kann das Grabdenkmal von Eugéne Scribe, der ja viele Verbindungen zur Oper hatte, als Orientierung dienen, denn die Sängerin ist weder unter »Cruvelli« noch »Vigier« im aktuellen Friedhofsplan zu finden.



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  • Zum heutigen Geburtstag von Lawrence Winters



    Lawrence wurde eigentlich mit dem Namen Lawrence Whisonant geboren; seine Startbedingungen ins Leben waren alles andere als optimal, denn sein von Farbigen geprägtes Umfeld zählte zur Unterschicht. Man hatte zwar die Rassengesetze fünfzig Jahre vor seiner Geburt aufgehoben, aber dabei handelte es sich um offizielle Verlautbarungen, welche im praktischen Leben konterkariert wurden.


    Lawrences Eltern waren Baumwollpflücker; er wurde auf einer Baumwollfarm geboren und hatte noch fünf Geschwister. Wie er einmal sagte, konnten alle Kinder der Familie singen, aber er hätte die lauteste Stimme gehabt. Es waren uralte Lieder, die da gesungen wurden, Spirituals.
    In Schulen und Kirchengemeinden konnte sich manches Kind aus dieser Gesellschaft mit besonders auffallenden Leistungen hervortun. Lawrence sang bei vielen Anlässen wie zum Beispiel Hochzeiten und Beerdigungen.


    In diesem Milieu entwickelte beispielsweise die1897 geborene Marian Anderson ihre ersten musikalischen Gehversuche, als weiteres Beispiel kann einige Jahre später Leontyne Price, Jahrgang 1927 gelten - Anderson sang als Sechsjährige im baptistischen Kirchenchor von Philadelphia und Leontyne Price im Chor einer Methodisten-Kirche.
    So fiel auch der Knaben-Alto des jungen Lawrence auf. Hatten Kinder mit besonderen Begabungen auf sich aufmerksam gemacht, konnten sie weiterempfohlen und entsprechend gefördert werden.


    Als der junge Mann achtzehn war begann er eine typische amerikanische Karriere, so wie man sich das als Mitteleuropäer immer vorstellte: Lawrence war Bote in einem Drugstore und Liftboy in einem Hotel, danach drei Jahre Chor-Singer in dem berühmten »Eva Jessye Chor« mit dem er Reisen quer durch Amerika macht.
    Für Lawrence Whisonant ergab sich die Möglichkeit ein Stipendium zu bekommen. Er begann sein Gesangstudium in Salisbury (North Carolina) und besuchte seit 1941 die private historische afroamerikanische Howard University in Washington D.C., wo er auch Schüler des farbigen Baritons Robert Todd Duncan war, der sich als Uraufführungssänger von Gershwins »Porgy and Bess« besondere Meriten erworben hatte.
    Der nächste Lehrer von Lawrence Winters war Lawrence Tibbett, ein Bariton von Weltruf, der insgesamt 25 Jahre lang an der Metropolitan Opera New York gesungen hatte. Es war schon etwas Besonderes, von einer solchen Bühnengröße auf den Beruf eines Opernsängers vorbereitet zu werden, und Tibbetts Name spielte bei der Vermittlung von Engagements auch eine nicht unwesentliche Rolle.
    Lawrence Winters (wann die Namensänderung erfolgte ist nicht bekannt) war für drei Monate der Singer im Café »Society Nightclub« in New York, wo er das Lied »Ol´ Man River« zum Besten gab. Danach kam die Broadway-Show »Porgy and Bess«, die ihn für acht Monate beschäftigte.
    Es war Krieg; und da war auch für Lawrence Winters Verwendung bei der US-Army, der er vier Jahre diente; als Corporal, Sergeant und schließlich Lieutenant; wie Publikationen berichten, soll er Military Music Director gewesen sein.
    Als der große Krieg 1945 zu Ende gegangen war, trat er in New York in der Broadway-Show »Call me Mister« auf, wo er das Lied »Red Ball Express« zwei Jahre lang sang. Als die Broadway-Show durch war, wurde Lawrence Winters Konzertsänger.
    In seiner Rückschau zählt er die Orte seiner Tätigkeiten auf: Westindien, Jamaika, Trinidat, Panama, Aruba und Curaçao ...
    Seine Konzerte waren offenbar so erfolgreich, dass es zu einem Vorsingen an der New Yorker City Center Opera kam, das erfolgreich verlief; 1948 gab er sein Opern-Debüt als Amonasro in »Aida«; danach war er in Rollen wie beispielsweise als Escamillo in »Carmen und Tonio in »Plagliacci« zu hören. 1950 wirkte er bei der amerikanischen Uraufführung von Carl Orffs »Die Kluge« mit, wo er den König sang. Er blieb dem Haus bis 1956 verbunden, also noch dann, als er längst schon in Europa künstlerisch wirkte.


    Als Lawrence Winters 1949 nach Deutschland kam, sah er ein ziemlich ramponiertes Land, aber er wusste auch, dass hier allerhand musikalische Kultur zu Hause war - Schuberts »Der Lindenbaum« war eines seiner Lieblingsstücke, denn seine erste Lehrerin in Amerika, die lange in Deutschland lebte, hatte ihn auf dieses Lied aufmerksam gemacht und der Junge buchstabierte den Namen des Komponisten, einen Lindenbaum hatte Lawrence bis dahin noch nie gesehen.


    Nun traf Lawrence Winters im zerstörten Berlin mit dem außerordentlich erfahrenen Liedbegleiter Michael Raucheisen zusammen, Lawrence Winters berichtet von diesem Abend so:


    »Hier gab ich mein erstes Konzert in Berlin und sang natürlich den Lindenbaum als Anfang des Programms. Das zweite Lied war Schuberts Atlas. Kein schwerer Gesang, aber ich hatte so viel Angst, dass ich Melodie und Worte auf einmal ganz vergaß. Und ich sagte zum Publikum: ›Entschulde!‹ Und mein Begleiter Michael Raucheisen sagte: ›So, fangen wir noch einmal an!‹ Und noch einmal. Und noch einmal. Ja, ich muss sagen: viermal. Das war schrecklich, so ging ich zum Piano und guckte in die Noten und ich sang: ›Ach, ich unglückseliger Atlas.‹ Und das Publikum war so begeistert über die Sache und hat Beifall geklatscht. Das war meine Introduktion in Deutschland.»


    Mit dem Bariton Jeames Pease, der schon 1948 nach Europa gekommen war, und in den Jahren 1952 bis 1958 an der Staatsoper Hamburg sang, war Winters befreundet, denn sie hatten zusammen an der City Oper in New York gesungen. Pease stellte die Verbindung zum Hamburger Opernhaus her. Ganz hochkarätige Verbindungen konnte Winters in der Freimaurer-Loge »Die Brückenbauer« knüpfen, wo neben Axel Springer noch einiges an einflussreicher Prominenz vertreten war.
    Winters ist jedoch in Hamburg nicht gleich von der Opernbühne aus gestartet, sondern hatte zuerst für den Funk mit Harry Hermann und dem Hamburger Rundfunkorchester gearbeitet.


    Das »Hamburger Abendblatt« berichtete am 19. Dezember 1955:


    »Mit Spannung erwartete man in der ausverkauften ›Aida‹ -Aufführung den amerikanischen Bariton Lawrence Winters als Amonasro. Er überraschte insofern, als man keineswegs einen Ausländer verspürte, sondern ihn ebensogut für einen erstrangigen deutschen Sänger halten konnte. Vor allem deshalb, weil dieser hellfarbig kräftige, manchmal fast herbe Bariton, der die deutsche Sprache gut beherrscht, nicht eigentlich vom italienischen Belkanto aus singt. Das klangliche Format, das er besitzt, und die Intensität des Spiels, die er dem Äthiopierfürsten gebührend mitgab, sicherten ihm Sonderbeifall ...«


    Winters sang in Hamburg unter anderem auch in »Nabucco« und den Germont-père in »La Traviata« von Verdi. 1957 bis 1961 war er Mitglied der Städtischen Oper Berlin. Er gastierte 1950 bis 1951 an der Königlichen Oper Stockholm; seit 1958 war er an der Oper von San Francisco zu hören und an der Staatsoper Wien sang er 1963 auch einmal den Holländer.
    Rolf Liebermann erteilte dem Sänger noch den Auftrag ein Ensemble für »Porgy and Bess« zusammenzustellen, aber dazu reichte es dann nicht mehr.


    Thomas Quasthoff hört und kommentiert mitunter CDs von Kollegen, ohne dass er erfährt, wer singt - als man Quasthoff »Wer weiß. ob das alles so war« vorspielte, wehrte er entsetzt ab:


    » Oh nein, bitte ausmachen! Das ist Roberto Blanco, das kann ich nicht ertragen. Ist es nicht? Also, man hört an der Stimme, dass sie nicht nur klassisch ausgebildet ist. Sie ist etwas unausgeglichen, er singt die unterschiedlichen Lagen mit verschiedenen Stimmen. Das ist ausdrucksstark, aber eher Musical. Lawrence Winters? Ach, du lieber Gott, 50er Jahre! Der konnte schon singen, er sollte diese Stücke aber lieber auf Englisch singen, man hört zu sehr, dass es nicht seine Sprache ist. Ich habe nie Porgy and Bess gesungen, öffentlich dürfen das auch nur Schwarze singen, das hat die Gershwin-Familie so festgelegt. Das finde ich auch gut, das ist ein schwarzes Stück, für Afroamerikaner. Die haben es ja schwer genug, in andere Opern reinzukommen, da gibt es nur wenige Sänger, die das geschafft haben.«


    Ende der 1950er Jahre war Lawrence Winters in Deutschland breiten Bevölkerungsschichten durch »leichtere Sachen« bekannt geworden, wie etwa »Drei Münzen im Brunnen« oder »Miteinander füreinander«, die dann doch sehr weit entfernt vom »Lindenbaum» oder dem Amonasro waren.


    Anfang der 1950er Jahre hatte das »Hamburger Abendblatt« berichtet, es war genau am 4. Juni 1951:


    »Lawrence Winters ist nicht nur ein großer Künstler, sondern auch ein Sprachgenie. Er sang an seinem ersten Liederabend in der Hamburger Musikhalle in vier Sprachen, den ganzen ersten Teil des Programms in Deutsch. Intuitiv erfasst er die jeweiligen Stimmungswerte der musikalischen Texte, denen er charakteristische, ausdrucksechte Prägung zu geben weiß (selbst der deutschen Romantik!). Technisch erwies der Sänger trotz leichter Indisposition völlige Ausgeglichenheit weit entfernter Klangregionen. Die herrliche Stimme gewann in den als Zugaben eingestreuten Arien (des Jago und Escamillo) immer mehr Leuchtkraft und Klangvolumen und steigerte sich schließlich in den Spirituals zu glühender Inbrunst. Das Publikum, gerührt und fasziniert zugleich, erlebte einen großen Abend ...«


    Bei seinem letzten großen Opernauftritt zu Beginn des Jahres 1965 in Hamburg sang er noch vier Partien in »Hoffmanns Erzählungen«, aber eine schwere Krankheit zwang ihn, sich zurückzuziehen. Seine letzte Rolle gab er übrigens nicht auf der Opernbühne, sondern als Debütant des Sprechtheaters, in O´Neills »Kaiser Jones«.


    Am Abend des 24. September 1965 starb Lawrence Winters im Elisabeth-Krankenhaus in Hamburg; am 12. November des Jahres wäre er fünfzig Jahre alt geworden ...


    Praktischer Hinweis:
    Friedhof Ohlsdorf - Fuhlsbüttler Straße 756, 22337 Hamburg
    Auf dem Friedhofsplan findet man das Grab unter P8, das ist etwa 200 Meter vom Haupteingang entfernt und links der Cordesallee. In unmittelbarer Nachbarschaft ist das Grab von Inge Meysel.



    Links von Lawrence Winters Grabstein ist die Grabplatte von Inge Meysel zu sehen.

  • Hallo, Hart!


    Toll, dass Du an Lawrence Winters erinnerst! Sein großer Stimmumfang ließ es zu, dass er beide Partien in "Nabucco" singen konnte, den Nabucco selbst und den Zacharias.

    W.S.


  • Zum heutigen Geburtstag von Rudolphe Kreutzer



    Conradin Kreutzer, der Komponist der Oper »Das Nachtlager von Granada« ist erst vierzehn Jahre später als Rudolphe Kreutzer geboren, soweit bekannt, bestehen keine verwandtschaftlichen Verhältnisse. Man sollte das voranstellen, dem im Deutschlandfunk-Archiv ist zu lesen: »Der Widmungsträger Conradin Kreutzer, als Geiger eine Berühmtheit damals, hat das Werk nie aufgeführt ...«


    Der Vater von Rudolphe, Jean-Jacob Kreutzer, war in Breslau geboren, zog aber 1762 nach Frankreich, um dort Musik zu unterrichten. Rudolphe zeigte schon früh musikalische Interessen und wurde von seinem Vater ab 1771 im Geigenspiel unterrichtet, was aussagt, dass der Knabe bereits mit fünf Jahren dieses Instrument kennenlernte. Von dieser Grundlage aus studierte er dann bei dem Violinisten Anton Stamitz weiter und trat als Zwölfjähriger bereits öffentlich in Erscheinung.
    In einem »Concerts spirituels« - das war eine französische Veranstaltungsspezialität - trat er 1780 zusammen mit seinem Lehrer Stamitz auf und versetzte das Publikum in Staunen. Ab 1782 war auch Giovanni Battista Viotti, der als einer der Väter moderner Violintechnik gilt, in dieser Konzertreihe in Paris zu hören, was den jungen Kreutzer sehr beeindruckte.
    Königin Marie Antoinette selbst soll dafür gesorgt haben, dass Rudolphe Kreutzer als erster Geiger im königlichen Orchester von Ludwig XVI in Versailles musizieren durfte, manche Quellen sagen, dass er auch von Viotti empfohlen wurde.
    Schon in jungen Jahren befasste sich Rudolphe Kreutzer auch mit Kompositionen; er schrieb eine Reihe von Violinkonzerten und führte sein erstes 1784 auf, dem noch achtzehn Kompositionen dieser Art folgen sollten.


    Dann kam für den jungen Mann eine persönlich schlimme Zeit, er hatte den Tod seiner Eltern zu verkraften, sein Vater starb im November 1784 und die Mutter im Januar 1785, der Achtzehnjährige hatte nun die Sorge für die Familie.


    Kreutzer war nicht nur als Violinvirtuose erfolgreich, sondern hat auch sehr viel komponiert; neben seinen 19 Violinkonzerten sind eine Orchestersinfonie, ein Oboenkonzert, Konzertante Sinfonien, Kammermusik, Etuden, Ballettmusik ... und immerhin 40 Opern verzeichnet, darunter »Jeanne d´Arc á Orléans«, ein Werk, das am 10. Mai 1790 seine Uraufführung in der Comédie-Italienne zu Paris erlebte.


    Nachhaltiger als seine Opern, war sein pädagogisches Wirken; 1795 wurde er Lehrer am neugegründeten Pariser Conservatoire und übte diese Tätigkeit bis 1826 aus. Ab 1801war er Soloviolonist an der Opéra. Kreutzer gilt auch heute noch zusammen mit Giovanni Battista Viotti, Pierre Rode und Pierre Baillot als Mitbegründer der französischen Violinschule, wobei Baillot hier eine kleine Vorrangstellung gebührt, aber wohl jeder Geiger kennt Kreutzers »42 Etuden und Capricen« als Standard-Schulwerk der violinistischen Ausbildung.
    Rudolphe Kreutzer begab sich auf ausgedehnte Konzertreisen, die ihn bis nach Italien führten. So kam er auch 1798 nach Wien, wo er Beethoven kennenlernte, der den Kollegen Kreutzer wohl recht sympathisch fand, wie aus einem Brief an Beethovens Verleger Simrock hervorgeht, wo es heißt:


    »... werde ich Ihnen sogleich alsdann ein Blättchen an Kreutzer schicken, welches Sie ihm bei Übersendung eines Exemplars so gütig sein werden, beizulegen - dieser Kreutzer ist ein lieber guter Mensch, der mir bei seinem hiesigen Aufenthalte sehr viel Vergnügen gemacht; seine Anspruchslosigkeit und Natürlichkeit ist mir lieber als alles Exterieur oder Interieur der meisten Virtuosen – da die Sonate für einen tüchtigen Geiger geschrieben ist, umso passender die Dedication.«


    In einer politisch angespannten Lage war Kreutzer damals nach Wien gekommen und konnte dort künstlerisch überzeugen, obwohl er Franzose war und es damals auf der politischen Schiene zwischen Österreich und Frankreich nicht besonders gut lief.


    1803 war nun der Engländer George Bridgetower, ein Geiger, der in Diensten des Prince of Wales stand, nach Wien gekommen. Dieser Geigenvirtuose war ein damals 24-jähriger Mann afro-europäischer Abstammung, der als überaus exzentrisch beschrieben wird und die Sensation der Wiener Salons gewesen sein soll. Bridgetower lernte Beethoven kennen und bat diesen um ein Werk für sich. Beethoven komponierte daraufhin für Bridgetower die Violinsonate A-Dur op. 47. Die Uraufführung fand am 24. Mai 1803 - mit Beethoven am Klavier - in einem Konzert im Wiener Augarten statt.


    Das Werk kam etwas hektisch zustande, denn Bridgetower war ja erst in Wien angekommen, hatte mit Beethoven einige schöne Tage verbracht und in den einschlägigen Wiener Salons mächtig Furore gemacht; das Werk, das man später als »Kreutzer-Sonate» kennenlernte, soll in nur vier Tagen entstanden sein, die Geigenstimme sei erst morgens um acht Uhr am Tage der Uraufführung fertig geworden und Beethoven soll aus einem fragmentarischen Klaviermanuskript gespielt haben, weil die Zeit zum Ausschreiben des vollständigen Klavierparts nicht gereicht hatte.
    Der Beethoven-Schüler Ferdinand Ries berichtet, dass ihn Beethoven kurz vor dem Konzert um fünf in der Frühe rufen ließ, damit er die Violinstimme des ersten Satzes schnell ausschreibe, aber Bridgetower habe den zweiten Satz aus Beethovens Handschrift spielen müssen, weil zur Abschrift der Violinstimme keine Zeit mehr war. Die Entstehungsgeschichte dieses Werkes wird in einigen Modifikationen erzählt ...
    Bei der Aufführung des Konzerts soll es zu einer spontanen Umarmung gekommen sein, wobei Beethoven den Geiger um ein spontanes da capo gebeten hat. Auf der heute verschollenen Originalpartitur - ein Fragment tauchte erst1965 auf - ist oben auf der ersten Notenseite die Widmung «Sonata mulattica Composta per il Mulatto Brischdauer gran pazzo e compositore mulattico» zu lesen, dass dieser Text in der Literatur in Nuancen unterschiedlich zitiert wird, ist nachvollziehbar ...



    Diese Widmung kam jedoch nicht richtig zum Tragen, weil sich die Stimmung zwischen Beethoven und Bridgetower nach der Uraufführung des Werkes mächtig eintrübte. Chronisten berichten, dass man nach dem Konzert beim Wein zusammensaß und sich die Köpfe heiß redete, unter anderem soll es zum Disput über eine Frau gekommen sein; Beethoven und Bridgetower trennten sich für immer.
    Eigenartig ist es nun, dass Kreutzer, zumindest soweit bekannt, dieses ihm gewidmete Stück nie aufführte und zudem noch recht negativ beurteilte, indem er die Sonate als eine Tortur für das Instrument bezeichnete. Aber dieses Stück war ja wirklich etwas ganz Neues, denn die Voiline wurde bei diesem Stück nicht mehr als Begleitinstrument behandelt, sondern gleichrangig zum Klavier gesehen - »Sonate für Klavier und obligate Violine, geschrieben in einem äußert konzertanten Stil, quasi wie ein Konzert.«
    Beethovens Zeitgenossen mussten sich an diesen neuen Stil erst gewöhnen und selbst der Rezensent der »Allgemeinen musikalischen Zeitung« sprach1805 von einem »seltsamen Werk« und meinte, dass man einem »ästhetischen oder artistischen Terrorismus« anhängen müsse, um die Sonate genießen zu können.


    Rudolphe Kreutzer war in seiner Zeit einer der besten Violinisten und deshalb ist es nicht abwegig zu glauben, dass Beethoven ihm das Werk widmete, weil natürlich eine Aufführung in Paris für den Komponisten eine feine Sache gewesen wäre, eine geplante Paris-Reise Beethovens kam nicht zustande, aber er beobachtete schon von Wien aus, was da vor sich ging; schließlich hatte man im November 1801 bei einem Konzert der Société des Concerts Francais seine 1. Sinfonie aufgeführt. Simrocks Bruder eröffnete 1802 in Paris eine Filiale und hatte für den französischen Markt mehrere Klaviersonaten und Kammermusikwerke herausgegeben, um sich einem breiten Publikum bekannt zu machen. Schließlich war Beethoven dort so bekannt, dass ihm das Haus Erard im August 1803 einen wunderbaren Flügel schenkte und Beethoven vermutete vielleicht, dass dabei der Geiger Kreutzer seine Hand im Spiel gehabt haben könnte. Schließlich war Beethoven nicht entgangen, dass Kreutzer in seiner Eigenschaft als Professor am Conservatoire und Konzertmeister an der Oper einer der wichtigsten Meinungsführer der Pariser Musikszene war.


    Erstaunlich scheint, dass Rudolphe Kreutzer die etwa zehn Revolutionsjahre unbeschadet überstanden hat. In all den französischen Revolutionswirren entwickelte er als Orchestergeiger, Violinvirtuose, Musikprofessor, Komponist und Dirigent in Paris seine Karriere. Obwohl ihn dort zuerst Marie-Antoinette, die Gemahlin von König Ludwig XVI, protegiert hatte und die Revolution nicht überlebte.
    Ende August 1788 heiratete er in Versailles Adélaide-Charlotte Foucard, es soll eine gute Partie gewesen sein, Madame Kreutzer soll immerhin die stolze Summe von 250 000 Livres mitgebracht haben, ein Sitzplatz in der der Opera kostete damals so um die 3 Livre, das entsprach etwa dem Tageslohn eines Arbeiters.
    Adélaïde-Charlotte war die Tochter des »Valet de Chambre« des Comte d'Artois, des Bruders des Königs und später des Königs selbst.
    Auch zu der etwas schillernden, aber sehr einflussreichen Madame Thérésia de Cabarrus, die auf Schloss Chimay residierte, hatte Rodolphe Kreutzer guten Kontakt; diese Dame unterstütze übrigens auch Musikschaffende wie Daniel Auber, Charles de Bériot, Luigi Cherubini und die Sängerin Maria Malibran.


    Zehn Jahre vor seinem Tod gab es eine Zäsur im Leben des Rudolphe Kreutzer, 1821 brach er sich auf einer Reise in Südfrankreich den Arm, es war ihm dann nicht mehr möglich virtuos Geige zu spielen.


    In den meisten Publikationen über Rudolphe Kreutzer wird zu seinem Tod lapidar erklärt:
    »Seine sterblichen Überreste fanden ihre letzte Ruhestätte auf dem Friedhof Père Lachaise (Division 13)«. Auch wenn das sehr oft zu lesen ist, muss das nicht unbedingt stimmen.
    1831 erschienen nämlich in verschiedenen Publikationen - zum Beispiel: Münchener Conversations-Blatt / Bayer´sche Landsboetin / Allgemeiner Musikalischer Anzeiger Nr. 7 - fast gleichlautende Texte, wobei überall das Geburtsjahr wohl falsch angegeben ist, aber man darf vermuten, dass der Text das Ereignis im Wesentlichen richtig darstellt.


    »Der berühmte Komponist und Violinspieler, Rudolph Kreutzer (Verfasser der Opern Paul und Virginie, Lodoiska etc.) ist vor wenig Tagen an einem Schlaganfall in Genf gestorben. Er war zu Versailles im Jahr 1767 geboren. Seiner Beerdigung, welche (wegen einiger von der Geistlichkeit erhobenen Hindernisse hinsichtlich seiner Zulassung auf dem kathol. Kirchhof) auf dem protestantischen Leichenacker statt fand, wohnten alle Künstler und Musiker des Genfer Theaters, viele Mitglieder der Genfer Musikgesellschaft, und eine Deputation des schweizerischen musikalischen Vereins bei. Die Genfer wollen ihm ein Denkmal errichten.«


    Vermutlich handelt es sich also bei der Säule auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise um ein Kenotaph, also um ein Scheingrab, ein Ehrenzeichen, das der Erinnerung dient.



    Links im Bild die Säule von Ignaz Pleyel (Beitrag Nr. 500 auf Seite 17), rechts die von Rudolphe Kreutzer, beide im Gräberfeld (Division) 13


    Wahrscheinlicher ist, dass Rudolphe Kreutzer auf dem Cimetière des Rois - Friedhof der Könige oder Königsfriedhof im Stadtteil Plainpalais der Schweizer Stadt Genf seine letzte Ruhe fand. Eine entsprechende Anfrage in Genf brachte bisher noch keine Klärung ...


    Praktischer Hinweis:
    Das Grabdenkmal oder auch Kenotaph von Rudolphe Kreutzer befindet sich auf dem Pariser Cimetière du Père-Lachaise, 16, rue du Repos - erreichbar mit den Metro-Linien 2 oder 3


    Man geht vom Haupteingang aus die Avenue Principale geradeaus, die sich dann gabelt, wobei Treppen weiter nach oben führen. Bei Chapelle biegt man nach rechts ab und gelangt zur Division 13. Es gibt auch einen geringfügig kürzeren Weg, aber der ist schwieriger zu beschreiben.


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  • Zum heutigen Geburtstag von Géza Anda



    Ein Wunderkind war Géza nicht, aber als Sohn eines Lehrers ist er in ein Milieu hineingeboren worden, wo Begabungen erkannt und gefördert wurden. Géza soll ein schweigsames Kind gewesen sein, er war auch das einzige Kind seiner Eltern. Der Vater, noch ein Lehrer des alten Schlages, der in allen Fächern unterrichtete und selbstverständlich das Geigenspiel beherrschte, und in der Gemeinde für den musikalischen Kirchendienst zuständig war; genoss damals großes Ansehen bei seinen Mitbürgern. Gézas Mutter konnte Klavier spielen, man kann davon ausgehen, dass das Kind schon sehr früh seinen ersten Klavierton produzierte; die Geige des Vaters reizte ihn nicht, er fühlte sich eher zum Klavier hingezogen, das Wichtigste war wohl, dass für den Jungen selbstgemachte Musik selbstverständlich war.
    Den ersten Klavierunterricht bekommt er mit sechs Jahren von einer Korrepetitorin, aber bei diesem Unterricht blieb das Musikinstrument erst mal außen vor, der Kleine lernte zuerst Noten lesen und Rhythmusklatschen. Er musste den Violin- und den Bassschlüssel lesen und bis zu 32stel Rhythmen klatschen.
    Mit sieben war er zumindest so selbstbewusst, dass Géza der festen Überzeugung war »der größte Pianist der Welt« zu werden; als er dann im Alter von acht Jahren Ernst von Dohnányi in einem Klavierrecital hörte, stand sein Entschluss Pianist zu werden endgültig fest.
    Als ersten Erfolg auf dem Weg zur Weltkarriere kann der Junge einen 4. Platz verbuchen, den er in einem Wettbewerb erzielte, den ein Budapester Verlag ausgeschrieben hatte, da war Géza zwölf Jahre alt.


    Géza Anda bereitete sich auf väterliches Geheiß - so etwas gab es damals noch - auf den Lehrerberuf vor. Der Vater meinte: »Klavierspielen ist eine hübsche Sache, aber der Mensch muss einen anständigen Beruf haben.«; also absolvierte der folgsame Sohn neben seinem Musikstudium die Budapester Lehrerbildungsanstalt und schließt diese Ausbildung mit dem Diplom eines Königlich-Ungarischen Volksschullehrers ab; seine Mutter erwähnte später gern, dass der Sohn eine Ausbildung als Volksschullehrer hatte.
    Es war später viel Lobendes über die Art seiner Meisterkurse zu hören, man darf vermuten, dass er seine erlernte Pädagogik auch in der Vermittlung von musikalischen Dingen anwenden konnte, denn es ist ja allgemein bekannt, dass nicht jeder große Künstler auch automatisch ein guter Lehrer ist.


    1934 schreibt sich Géza Anda an der Franz-Liszt-Musikakademie in Budapest als Student ein. Seine ersten Akademielehrer sind die Professoren Imre Stefániai und Kéri Száno; Kompositionslehrer ist Professor Zoltán Kodály und Professor Leo Weiner ist für die Kammermusik zuständig. Über seine Studienzeit in Budapest sagte Anda 1968 einmal in einem Rundfunkinterview:


    »Ich habe sehr früh angefangen und bin an der Budapester Musikhochschule von Anfang an mit allem vertraut gemacht worden, was ein Musiker wissen muss. Es war nicht nur mein Klavierlehrer Ernst von Dohnányi, bei dem ich studiert habe. In Budapest herrschte damals eine musikalische Atmosphäre, wie man sie wohl heute nirgendwo mehr antrifft. Die Professoren waren nicht durchwegs große Genies oder weltberühmte Musiker, aber sie waren Musiker, die wussten, wo der liebe Gott wohnt ... Zu Leo Weiner ging ich in die Kammermusikstunde; ich kann behaupten, dass alle aus meiner Generation, ob Geiger, Bratscher, Violoncellisten oder Pianisten, von ihm am meisten gelernt haben. Dieser Mann wusste, wie man eine Phrase aufbaut, und zwar nicht nur vom Instrumentaltechnischen, sondern vom rein musikalischen her. Das Instrument war ihm völlig gleichgültig. Bei Weiner lernten wir nicht ein Instrument spielen, sondern die Musik begreifen. Und wenn man wusste, was eine musikalische Phrase bedeutet, gab es für den Zugang zur Musik keinen Unterschied mehr zwischen Mozart und Bartók«.


    Sein insgesamt sechsjähriges Studium finanziert er als Harmoniumspieler und Mitwirkender beim Radioorchester, zudem gibt er in den höheren Semestern dann auch noch Klavierstunden.
    1938 spielt Wilhelm Backhaus in der ungarischen Metropole und Anda nutzt eine günstige Gelegenheit, um diesem Großen vorzuspielen. Backhaus rät dem jungen Pianisten sich um eine Ausbildung bei Ernst von Dohnányi zu bemühen - und nach einem eigens arrangierten Schülervorspiel nimmt Dohnányi ihn tatsächlich in seinen kleinen Schülerkreis auf.
    Ernst von Dohnányi, ein Schüler Eugen d´Alberts, leitete ab 1934 die Franz-Liszt-Musikakademie.
    Nachdem Anda, wie bereits erwähnt, als Zwölfjähriger in Budapest einen vierten Wettbewerbsplatz erringen konnte, war nun etwas Hochkarätiges angesagt - im Alter von 18 Jahren gewann Anda zunächst den Franz-Liszt-Preis der Stadt Budapest und in den beiden darauffolgenden Jahren, den Preis der Franz-Liszt-Gesellschaft. Im Juni 1941 erhielt Anda dann sein Konzertdiplom.
    In den Monaten danach, vor allem im November und Dezember, gibt der diplomierte Berufsmusiker einige erfolgreiche Konzerte, die von Publikum und Presse gleichermaßen bejubelt werden. Mit diesen Auftritten konnte es aber bald ein Ende haben, weil man auch von einem hochqualifizierten Pianisten letztendlich verlangte, dass er seinen staatsbürgerlichen Pflichten nachkommt; anstatt Scarlatti-Sonaten wäre dann Militärmusik angesagt gewesen, denn eine Musterungskommission hatte ihn für kriegstauglich erklärt.
    Von Dohnányi gab dem Kriegsaspiranten den Tipp, sich an Kodály zu wenden, der Präsident der Stipendienkommission war. Die Sache klappte und Anda konnte sogar zwischen Rom oder Berlin wählen. Zu Weihnachten 1941 reiste der Stipendiat nach Berlin und blieb auf diese Weise vom Wehrdienst befreit. Man bringt ihn im »Collegium Hungarricum« in der Dorotheenstraße unter. Feste Verpflichtungen gibt es für ihn dort eigentlich nicht; ihm steht ein prächtiger Ballsaal zur Verfügung, in welchem er jeden Tag so zwischen acht und zehn Stunden übt.


    Recht bald kommt der Stipendiat wieder für einen Konzertabstecher nach Budapest; am 14. Februar 1942 konzertiert er im Ungarischen Kulturhaus Budapest, wo ihn das Hauptstädtische Orchester beim Klavierkonzert Nr. 2 B-Dur von Johannes Brahms begleitet, Dirigent ist Willem Mengelberg. Zwei Tage nach dem Konzert kann man in der Presse lesen:


    »Dieser junge Künstler ist eines der ausgewählten Pianistentalente ... das meisterhafte Können, das poetische und dennoch individuelle Durchleben eines Instrumentes treffen nur selten in so glücklichem Zusammenklang aufeinander wie in den pianistischen Darbietungen Géza Andas, denen ein vollbesetzter Saal der ›Magyar Müvelödés Háza‹ begeisterten Beifall zollte. Der weltberühmte Dirigent, in sichtlicher Ergriffenheit, schlug dem am Beginn einer blendenden Laufbahn stehenden jungen Künstler an diesem Abend gleichsam zum Ritter der ungarischen Pianistengarde.«


    Ähnlich erfolgreich musiziert Anda im Jahresverlauf in Berlin und anderen deutschen Städten, aber auch in Amsterdam und Den Haag. In Berlin traf er damals auch den um vier Jahre älteren dänischen Pianisten Egil Harder, der bei Anda Unterricht nimmt und in späteren Jahren sein wichtiger Assistent bei den Meisterkursen wird.
    Natürlich sind auch die Damen Berlins von dem ungarischen Pianisten begeistert - »wer Klavier spielt hat Glück bei den Frau´n« bekommt hier einen ernsten Hintergrund - und Anda kommt mit Zitla Furtwängler in Kontakt, das war die erste Frau des berühmten Dirigenten, und der aufstrebende Pianist bekam so Gelegenheit Wilhelm Furtwängler Chopins b-Moll-Sonate vorzuspielen, wobei das etwas holprig gewesen sein muss, denn Anda selbst meinte später: »... da war ungefähr alles daneben, was daneben sein kann.« Dessen ungeachtet engagiert Furtwängler den jungen Mann; am 10. Januar 1943 spielt Géza Anda mit dem Berliner Philharmonischen Orchester unter Wilhelm Furtwängler die »Variations symphoniques« von César Franck. Furtwängler war von Andas Spiel so beeindruckt, dass er ihn als «Troubadour am Klavier» bezeichnete.
    Auch in Breslau spielt Anda mit Erfolg und zudem kommt es sogar zu einem Vertrag mit der DGG über einen Zeitraum vom März 1943 bis März 1944. Das wäre ja alles schön und gut gewesen, aber das Klima wurde in Deutschland immer rauer; als die Schlacht um Stalingrad zu Anfang des Jahres 1943 verloren war, sahen wohl die meisten Beobachter, dass der Anfang vom Ende gekommen war.
    Das sahen auch der Schweizer Legationsrat Ochsenbein und seine Frau Hilde, die es durch allerlei Tricks zu Wege brachten, dass Anda dem kommenden Desaster entgehen konnte. Beziehungen sind alles ... urplötzlich lag ein ärztliches Attest vor, das beim Pianisten eine Lungenschwäche diagnostizierte - ein Genesungsurlaub in der Schweiz war unbedingt notwendig. Als ein Paket mit Zigaretten, Kaffee und Schokolade den Besitzer gewechselt hatte, kam die dringende Aufforderung: »Reisen Sie noch heute Abend ab!«


    Wie man am Beispiel des Tenors Joseph Schmidt sieht, der vier vergebliche Versuche machte, die Schweizer Grenze zu überwinden - erst beim fünften Versuch war es ihm gelungen - musste man damals einiges Glück haben in das neutrale Land zu gelangen. Anda ließ sich in Genf nieder, aber was heißt hier »niederlassen«, er wohnte in einer »winzigen Bude« in der Grand´Rue 38, aber immerhin gegenüber dem Atelier von Ferdinand Hodler. Anda blieb bis 1945 in Genf, wie er sagte, hatte er einfach vergessen nach Deutschland zurückzukehren ...
    Für Anda war das eine schwierige Zeit, aber Joseph Schmidt hatte es härter getroffen, dieser starb schon 1942 im schweizerischen Internierungslager Gyrenbad.
    Andas Karrierebeginn war in Ungarn und Deutschland fulminant gewesen; daran gemessen ist es nun ruhig geworden, dennoch wird auch 1944 in Europa musiziert, da sind Termine in Holland, Spanien und Portugal und auch in der Schweiz, wo Anda mit Hermann Scherchen musiziert. Schließlich bemüht sich ein Kreis von Freunden, wenn es finanziell eng wird; eine Spendenaktion bringt 2.600 Franken in Andas Kasse. Aber immer wieder muss er kleinliche Kontrollmechanismen über sich ergehen lassen. 1945 bekommt er nur eine vorübergehende Wohnbewilligung für Zürich, Zeltweg 13 und die Fremdenpolizei weist in einem Schreiben an Frau Heny Winterstein-Bossart auf die Besonderheiten des Aufenthaltes hin:
    »Wir machen ausdrücklich darauf aufmerksam, dass eine Übernahme des Genannten hinsichtlich Wohnsitz nicht in Frage kommt. Herr Anda hat die Schweiz nach wie vor als Durchgangsland zu betrachten. Die Ausübung einer Gewerbstätigkeit sowie ein Stellenantritt sind ohne behördliche Bewilligung untersagt.«


    Von dem Dirigenten Paul Sacher ist eine Schilderung aus dieser Zeit erhalten, der Géza Anda so sah:


    »Da kommt herein der junge Géza. Ein schöner junger Mann, sehr eingenommen von sich, mit großem Selbstverständnis, wer er ist und was er ist. Sieht eben gut aus und hat ein bisschen etwas Aggressives, Arrogantes. Aber so ein Blutjunger darf das haben, nicht wahr?«


    1944 lernt der so Beschriebene die um 15 Jahre ältere Helene Winterstein-Bossart kennen, die sich zunächst als Managerin seiner Konzerte auszeichnet. Sie arbeitet als seine Sekretärin, korrespondiert mit Agenturen und ist Reisebegleiterin. Man kam sich auch menschlich näher, 1948 teilt Géza einem Freund brieflich mit, dass er sich mit einer Schweizerin verlobt hat; 1953 wird geheiratet. In diesen Jahren nimmt die Karriere von Géza Anda mächtig Fahrt auf, er arbeitet praktisch mit allen namhaften Dirigenten dieser Zeit und ist fast überall in der Welt unterwegs und seine künstlerische Produktion wird auf Schallplatten festgehalten, wobei er die Labels mehrfach wechselt. Die Zeiten mickriger Erlöse sind vorbei; um den Begriff »mickrig« zu konkretisieren, sei eine Abrechnung der DGG für den Zeitraum vom 10. Oktober 1949 bis zum 31 Dezember 1949 angeführt, Anda konnte für diese Zeitspanne exakt DM 76,02 verbuchen.


    Diese mageren Zeiten sind ab 1950 überwunden und im Juli 1955 erhält Anda das Bürgerrecht der Stadt Zürich, wo er schon seit1945 seinen Wohnsitz hatte und wird endlich - nach nunmehr zwölfjähriger Verunsicherung - Schweizer Staatsbürger. Es ist in diesem Rahmen unmöglich auf alle wichtigen Ereignisse im Leben eines so gefragten Künstlers einzugehen; dennoch sollen einige Höhepunkte gestreift werden ...
    1945 kommt Anda erstmals für einige Monate nach Paris; das sind für ihn prägende Begegnungen mit Pierre Souvtchinsky, dem Freund und künstlerischen Berater Strawinskys und er schließt Freundschaft mit dem um vier Jahre jüngeren Pierre Boulez. Für eine in Paris entstandene Aufnahme der Intermezzi op. 117 von Brahms erhält Anda 1948 erstmals einen «Grand Prix du Disque», wobei zu erwähnen ist, dass Andas Aufnahme mit 300 Platten in Konkurrenz stand und er von insgesamt 20 Kritiker-Stimmen 17 für sich verbuchen konnte.


    Ein großes Ereignis von künstlerischem Wert fand am 26. April 1957 im Münchner Herkules-Saal statt; unter Begleitung von Ernest Bour mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks führte Géza Anda an diesem Abend alle drei Bartók-Konzerte auf, das war eine Herkulesarbeit im Herkules-Saal.
    Auch dass die rumänisch-schweizerische Pianistin Clara Haskil in Géza Anda ihren bevorzugten Duo-Partner für Aufführungen des Konzerts für zwei Klaviere Es-Dur KV 365 von Mozart sah, ist einer Erwähnung wert; sicher erinnern sich noch einige wenige an den Sonntagmorgen des 4. August 1957 im Mozarteum zu Salzburg. Frau Haskil führte ihn eigentlich erst hin zu Mozart und entfachte die Begeisterung, die schließlich dazu führte, dass Anda zwischen 1961 und 1969 als erster Pianist der Schallplattengeschichte in Personalunion von Solist und Dirigent sämtliche 25 Solo-Konzerte Mozarts zusammen mit der Camerata Salzburg aufnimmt.


    1952 hatte Anda in Salzburg debütiert, allerdings nicht mit Mozart, sondern mit einem Stück der klassischen Moderne - Béla Bartók stand auf dem Programm. Mit dem Kölner Rundfunkorchester unter Leitung von Ferenc Fricsay spielte Géza Anda das Klavierkonzert Nr. 2.
    Bis 1974 wird Anda jährlich bei den Festspielen auftreten und damit zum am häufigsten verpflichteten Interpreten in Salzburg.


    Géza Anda war ein gefragter Künstler und seine Karriere hatte nur eine Richtung - aufwärts. Wenn Anfragen von Kammermusikern kommen, drückt er stets sein Bedauern aus, denn er ist Größeres gewöhnt. Schon seit einigen Jahren hatte er von Auftritten in Amerika geträumt, 1955 war es dann endlich soweit, von Oktober bis November absolviert er in den USA 18 Konzerte und Eugene Ormandy, mit dem er in Philadelphia das 2. Klavierkonzert von Brahms gespielt hatte, berichtet, dass Anda hier einen guten Eindruck hinterlassen hatte und neben dem vorher am gleichen Ort umjubelten Emil Giles bestehen konnte.


    Ein neues Kapitel schlug Géza Anda 1960 auf; als Edwin Fischer gestorben war, übernahm er dessen Meisterkurse für Klavier bei den Luzerner Festwochen. Ein alter Bekannter von früher wird mit ins Boot genommen, Egil Harder wird ab 1961 sein Assistent bei den Meisterkursen.
    Eine erhebliche Trübung des Verhältnisses zur Camerata Academica in Salzburg zeigte sich schon 1959 und weitet sich aus, weil Anda Bernhard Paumgartner, den Gründer des Ganzen, zur Seite schieben möchte.


    Ein wichtiger privater Termin steht am 22. September 1964 in Andas Kalender, man hat sich auseinandergelebt und lässt sich scheiden. Zum Einzelgänger wird der Pianist jedoch nicht, denn schon Mitte Dezember des gleichen Jahres heiratet er Hortense Bührle, die Tochter eines wohlhabenden Industriellen; Zeitungsberichte sagen, dass sie einmal als die reichste Frau der Schweiz galt. Aber diese Frau hatte nicht nur Geld, sondern auch eine Menge Kunstverstand. Emil Bührle, ihr Vater, hatte eine beachtenswerte Kunstsammlung zusammengetragen. 1967 wurde dem Paar ein Sohn geboren, der nicht lange lebte, 1969 kommt, rechtzeitig zu Weihnachten, am 22. Dezember der zweite Sohn Gratian zur Welt.
    Aber gleich muss der frischgebackene Vater wieder weg; Anda bricht zu seiner fünfzehnten Tournee nach Amerika und Kanada auf, am 19. Februar 1970 ist das erste Konzert in Chicago.


    Der Zwist mit Camerata Academica hatte sich inzwischen negativ entwickelt, eine über viele Jahre gedeihliche Zusammenarbeit hatte ihr unrühmliches Ende genommen.
    Das Sekretariat des Orchesters schrieb an Anda:
    »... ich darf Sie daher in aller Freundschaft ersuchen, künftig gegenüber Konzertveranstaltern, die Sie mit der Camerata verpflichten möchten, Ihre Absage so zu formulieren, dass diese für das Orchester keine nachteiligen Folgen haben.«


    Anda antwortet:
    »Ich behalte mir das Recht vor, mit dem Orchester zu musizieren, welches am meisten kann und musikalische Reife mitbringt. Es tut mir leid, dass die Camerata nicht zu diesen gehört. Deswegen von Geschäftsschädigung zu sprechen, ist unrichtig. Ich hätte großes Interesse an der Camerata. Vorbedingung dazu aber ist, dass das Orchester auf professionelle Basis gestellt wird.«


    Also geht Anda in seiner Doppelrolle als Solist und Dirigent mit dem Winterthurer Kammerorchester auf eine Tournee durch Frankreich, eine Veranstaltungsreihe in Deutschland schließt sich an. Als Solist ist er 1972, 1974 und auch 1975 in Südafrika zu hören, wo er mit Ferdinand Leitner zusammenarbeitet. Zum April des Jahres folgt eine Konzertreihe durch mehrere englische Städte. In einem Interview über die Klavierpädagogik an Hochschulen sagt er Dinge, die nicht allen gefallen und auch am Geschäftsgebaren der DDG hat er wieder mal etwas auszusetzen.
    In all diese Geschäftigkeit hinein platzt die Diagnose Speiseröhrenkrebs. Ab dem 18. Mai ist Anda arbeitsunfähig, sein voller Terminkalender ist bedeutungslos geworden. Am 10. Juni versucht man im Brompton Hospital zu London in einer 13-stündigen Operation etwas gegen die Krankheit zu tun. Tatsächlich kann er nach dem Eingriff Genesungsglückwünsche empfangen; zwar entwickelt sich der Heilungsprozess langsam, aber so, dass am 24. Oktober Eurodisk wegen Aufnahmen von Chopin-Walzern und Intermezzi beziehungsweise Rhapsodien von Brahms anfragt.
    Die Chopin-Walzer werden dann tatsächlich am 5. Dezember 1975 in der Siemens-Villa zu Berlin gemacht, es sind definitiv die letzten Einspielungen von Géza Anda.
    Bei einem Abendessen sagt er: »Ich glaube es ist gelungen, es wird alles wieder gut.«


    Schon lange trägt er den Wunsch mit sich herum, einmal eine Oper zu dirigieren, die »Tosca« hatte es ihm besonders angetan. Wie er sagte, war er eigentlich nicht am Dirigieren interessiert, sondern an Werken, die er nicht am Klavier spielen konnte. Sogar Liedbegleitung hatte er angedacht, als Gwyneth Jones als Studentin bei den Andas wohnte.


    Am 11. Juni 1976 begibt sich Géza Anda nochmal zu einer Nachuntersuchung nach London und kehrt optimistisch zurück. Am 12. Juni besucht er mit seiner Frau und dem Ehepaar Leitner eine »Fidelio«-Aufführung im Zürcher Opernhaus. Am 13. Juni stirbt Géza Anda an einem Blutsturz - seine achtzehnte Amerika-Tournee und viele andere Termine mussten abgesagt werden.


    Praktischer Hinweis:
    Das Grab befindet sich auf dem Friedhof von 8803 Rüschlikon (Schweiz), Langhaldenstraße 62. Rüschlikon ist etwa 15 Autominuten von Zürich entfernt. Auf dem Friedhof ist das Grab leicht zu finden; man geht auf die Kapelle zu und wendet sich dort einige Schritte nach links.



    Bei dieser Kapelle geht man links ab und steht nach wenigen Schritten vor dem Grab


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    Eine frühe Aufnahme

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  • Zum heutigen Geburtstag des Dirigenten Ernst von Schuch



    Geboren wurde er als Ernest Gottfried Schuch, die Veredelung erfolgte erst 52 Jahre nach seiner Geburt, als er 1898 vom österreichischen Kaiser in den erblichen Adelsstand erhoben wurde.


    Ernst war der zweite Sohn, er hatte noch einen um sieben Jahre älteren Bruder. Seine Eltern besaßen außerhalb von Graz ein Gut, auf das sich die Mutter mit zunehmender Entfremdung von ihrem Ehemann zurückzog. Seine Schulzeit absolvierte Ernst in Graz und Marburg an der Drau. Er widmete sich neben seinen schulischen Aufgaben dem Klavierspiel, bekam aber zusätzlich im »Steiermärkischen Musikverein« in Graz auch Geigenunterricht und wurde schon früh als Wunderkind betrachtet, weil er schon seit seinem siebten Lebensjahr in öffentlichen Konzerten auftrat.


    Als Ernst elf Jahre alt war, starb sein Vater. Nach Beendigung seiner Gymnasialzeit studierte er zunächst - so wie es die Eltern für ihn vorgesehen hatten - Rechtswissenschaften in Breslau, Graz und Wien; in der Literatur heißt es etwas nebulös, dass er das Studium 1867 mit dem Referendariat abgeschlossen haben soll. Während seines Studiums nahm er aber auch noch musiktheoretischen Unterricht und ließ sich in Graz von dem Kapellmeister Eduard Stolz in die Kunst des Dirigierens einweisen.
    In Wien ergänzte er seine Dirigierstudien bei Felix Otto Dessoff, einem damals sehr bedeutenden Dirigenten. In dieser Zeit kam aber auch seine Violine wieder zum Einsatz, denn er durfte gelegentlich Johann Strauß als Geiger vertreten und machte hier sogar eine Vertretung als Dirigent.
    Schuch leitete in Graz auch den »Deutschen Akademischen Gesangverein« und hatte im März 1868 sein allererstes öffentliches Dirigieren in Graz und in der Presse war zu lesen, dass er durch »jugendlichen Elan« Eindruck gemacht hatte.
    Als er während eines Aufenthalts in Wien eine junge Sängerin, die in einem Gasthaus die bekannte Arie der Rezia aus »Oberon« sang, am Klavier begleitete, hatte das zufälligerweise ein Operndirektor aus Breslau mitbekommen und war von der Leistung des jungen Mannes so angetan, dass er ihm anbot ans Breslauer Theater zu kommen. Schuch nahm diese Chance unverzüglich wahr und verabschiedete sich noch nicht einmal von seiner Mutter, was ihm im Nachhinein leid getan haben mag, denn er sollte sie nie wieder sehen; nach ihrem Tod trug er bei Dirigaten stets ein Taschentuch von ihr im Frack.
    Zum 1. September 1868 wurde er für eine Monatsgage von 30 Talern als Chor- und zweiter Musikdirektor engagiert; allerdings war unentgeltlich eine Probezeit von sechs Wochen abzuleisten. Schon 1869 schwang er für 50 Gulden pro Monat in Eger-Franzensbad den Taktstock und bekam noch zusätzlich das Geld für die Anreisekosten aus Wien erstattet. Am Palmsonntag 1870 begann sein Engagement am Theater in seiner Heimatstadt, wo man ihm schon ein Salär von 70 Gulden im Monat gab. Die Agenturen vermittelten ihn von Engagement zu Engagement, weil sie an diesen Wechseln verdienten und Schuch hangelte sich so von Gehaltserhöhung zu Gehaltserhöhung. Wiesbaden, Baden-Baden, Prag und Würzburg waren weitere Stationen seines Wirkens.
    Ab Oktober 1871 ließ er sich für monatlich immerhin 200 Francs über den Zeitraum von neun Monaten nach Basel verpflichten. Als er dort noch beim Dirigieren war, erinnerte sich Direktor Lobe in Breslau wieder an den ehemaligen Anfänger und wollte ihn engagieren, aber der agile Pollini, der mit einer Theatergruppe durch Europa tourte, hatte ein für Schuch verlockenderes Angebot, denn mit Pollini reiste Désirée Artôt de Padilla, die Primadonna der Truppe ...
    Zwischen Pollini und dem Basler Direktor kam es zu einem mächtigen Tauziehen und es wurden Telegramme hin-und hergeschickt; letztendlich begeisterte Schuch in Dresden sowohl die offizielle Musikszene als auch das Publikum, man hätte ihn gerne da behalten, aber Schuch zog zunächst mit der Pollini-Truppe weiter. Es gab eine Menge Hintergrundgespräche. Graf Julius von Platen-Hallermund, der Intendant des Hoftheaters und der Hofkapelle in Dresden, war an Schuch hochinteressiert und so unterschrieb Schuch im Juni 1872 einen Vertrag als Musikdirektor, der mit 1.500 Talern Jahresgehalt verbunden war. In Dresden gab es unterschiedliche Kompetenzen für Kirchenmusik, Oper, Ballett, Chor ... und zwei Kollegen waren alteingesessen und sahen sich nun dem jugendlich dynamischen Schuch gegenüber. Der aufstrebende Dirigent war auch sehr an Novitäten interessiert und brachte Musik nach Dresden, die andernorts schon Erfolg hatte, aber in Dresden noch ungehört war. Das waren dann beispielsweise Felix Draesekes 1. Symphonie, aber auch Franz Schuberts Oper »Der häusliche Krieg«. Und er dirigierte auch »Rienzi« unter der Anwesenheit des Komponisten, Richard Wagner soll zufrieden gewesen sein.


    Zehn Monate nach Dienstantritt in Dresden erfolgte Schuchs Ernennung zum Königlichen Kapellmeister, was bedeutete, dass er eine weitere Stufe nach oben genommen hatte und es war offensichtlich, dass er zum Intendanten von Platen einen guten Draht hatte. Platen begab sich auf eine Dienstreise nach Wien, um dort Ausschau nach Sängernachwuchs zu halten; Kapellmeister Schuch begleitete ihn. Die Herren wurden am Konservatorium fündig; die junge Sängerin Clementine Prohaska, die sich als Künstlerin dann Proska nannte, hatte gerade ihre Ausbildung als Koloratursopranistin abgeschlossen und schon eine Menge Auszeichnungen gesammelt, hatte sich also schon als Schülerin eine Sonderstellung erworben. Es kam zu einem erfolgreichen Gastspiel in Dresden, aus dem ein Fünf-Jahres Vertrag resultierte. Schon mit ihrem Rollendebüt als Lucia in »Lucia die Lammermoor« begeisterte sie das Dresdner Publikum und weitere Glanzrollen folgten.
    Ernst Schuch war nicht weniger erfolgreich, bereits 1875 erhielt er den ersten Orden für seine Verdienste um die Kunst, noch 24 sollten folgen ...
    Die beiden Erfolgreichen kamen sich menschlich näher und am 15. September 1875 zeigten Ernst Schuch und Clementine Proska ihre Verlobung an. Am 23. November 1875, es war der 29. Geburtstag des Bräutigams, wurde geheiratet. Im Juni 1876 kam Stammhalter Ernst zur Welt, auf Wunsch seines Vaters sollte er Offizier werden und so geschah es dann auch.


    Singen, Kinder erziehen und Haushaltsführung ist alleine nicht zu bewältigen; die Schuchs übernahmen die Haushälterin von Johann Strauß, die dann lebenslang bei ihnen blieb. Auch am Theater ergab sich Neues, im September 1877 starb der erste Kapellmeister Julius Rietz, der stets gegen Schuch gearbeitet hatte, aber Schuch konnte nicht, wie insgeheim erhofft, an dessen Stelle treten, diese Position vergab man an Fritz Wüllner, der andernorts auch sehr erfolgreich war, aber als etwas zu verbiestert und pedantisch galt.
    Am 2. Februar 1878 war in Dresden ein ganz großer Tag, die Bretterbude des 1869 errichteten Interimstheaters war Geschichte, das neue Sempersche Hoftheater wurde eingeweiht. Aufgrund personeller Veränderungen war Schuch näher an Wüllner herangerückt, aber es war ein permanenter Prestigekampf zwischen den beiden Dirigenten. Die Einstellung eines neuen Opernregisseurs sah Schuch auch eher kritisch. Dennoch gelang es Schuch so ganz allmählich bei Publikum, Orchester und Königshaus Punkte zu sammeln, Wüllner geriet dagegen etwas ins Hintertreffen. Auch als Vater war Ernst Schuch wieder erfolgreich, im Januar 1882 wurde der zweite Sohn geboren und nur wenige Wochen später ernannte man Vater Schuch zum Hofrat, was bedeutete, dass er nun Zugang zum Königshof hatte und das war eine prestigeträchtige Sache. Als Hofrat war er alleiniger Direktor der Hofoper mit sehr weitreichenden Befugnissen.


    Es gab im Opernhaus täglich Vorstellungen. Unter seinem Dirigat gingen 45 Ur- und deutsche Erstaufführungen zeitgenössischer Komponisten über die Dresdner Opernbühne. Schuch brachte es in seiner ganzen Dienstzeit auf 79 Dresdner Erstaufführungen. Wenn es heißt, dass er viel für zeitgenössische Komponisten übrig hatte, muss man bedenken, dass hier Guiseppe Verdi, Giacomo Puccini, Pietro Mascagni, Georges Bizet, Hector Berlioz, Eugen d´Albert ... gemeint sind.


    In den Wintermonaten lebte Familie Schuch in der Königstraße 2 in Dresden; für die Sommermonate hatte man sich in der Niederlößnitz ein Sommerrefugium bauen lassen. Das Grundstück lag am Weintraubenweg, aber der selbstbewusste Anrainer stellte den Antrag, dass der Weg in Schuchstraße umbenannt wird. Gattin Clementine setzte in der Oper höchste künstlerische Maßstäbe und der Gatte auch und zudem verkehrte der Dirigent jetzt in allerhöchsten Kreisen, da konnte man nicht am Weintraubenweg wohnen. Ein besonderes Privileg war auch, dass die Staatseisenbahnen ihre Zugfahrzeiten von Klötzchenbroda nach Dresden mit den Probezeiten an der Dresdner Oper abstimmten. Weniger Fortune hatte der Dirigent, als er seinen Arbeitgeber um einen Kredit von 15.000 Mark für den umfangreichen Umbau seines Hauses bat, dies wurde abgelehnt. In späteren Jahren hatte er mehr Glück, 1903 gewährte man ihm ein Darlehen von 25.000 Mark von der königlichen Privat-Vermögensverwaltung, allerdings musste er das Grundstück verpfänden.


    Seit Richard Wagner 1883 gestorben war, nahm sich Schuch dessen Gesamtwerk besonders an. Bezüglich der Interpretation kam es zwar zu Verstimmungen mit der Gralshüterin in Bayreuth, aber ab 1884 arbeitete Schuch intensiv an Wagners Werken. Aus dem privaten Bereich ist zu vermelden dass am 18. März 1885 Töchterchen Katharina die Familie vergrößerte, im Juni 1886 kam noch Sohn Hans dazu, Familie Schuch hatte nun vier Kinder.


    Es war ein besonderes Ereignis, als in einem Sonderkonzert am 10. März 1886 Johannes Brahms unter der Leitung von Ernst Schuch sein eigenes Konzert Nr. 2 B-Dur mit Klavier und Orchester aufführte.
    Schuch stieg immer höher empor; 1889 veranlasste König Albert von Sachsen per Dekret, dass sich Schuch mit dem Titel »General-Musikdirektor der musikalischen Kapelle« schmücken konnte, nun war er praktisch für alles verantwortlich zuständig, was mit der Oper zusammenhing: Opernspielplan, Inszenierungen, Sängerbesetzung und Ballett - es war die Position des alleinigen musikalischen Leiters, er unterstand nur noch dem Intendanten der königlichen Hofoper.
    In Dresden gingen Gerüchte um, dass sich zwischen der Sängerin Irene von Chavanne und Ernst Schuch eine Beziehung entwickelt habe, die über die künstlerische Arbeit hinausging; er soll seine Frau Clementine sogar um die »Freilassung aus der Ehe« gebeten haben, aber die Ehefrau lehnte dies ab. So kam im Dezember 1891 noch das fünfte Kind, die Tochter Elisabeth zur Welt.


    1897 befasste sich Schuch mit Werken von César Franck, Richard Strauss und Gustav Mahler.
    Mit dem Ende der Spielzeit 1898 verließ Clementine Schuch die Bühne, wo sie 25 Jahre lang Überdurchschnittliches geleistet hatte.
    Am 9. Januar 1899 erhielt Ernst von Schuch von König Albert von Sachsen die Bestätigung des erworbenen Adelstitels und damit durfte er diesen nun auch in Sachsen führen.
    Schuch gab zwar gelegentlich Gastspiele in Berlin, Wien, München ... New York und dirigierte auch mal in Italien oder Russland, aber ihn deshalb als Reisedirigenten zu bezeichnen, wäre deshalb nicht zutreffend, dafür war er in Dresden zu sehr verankert, was letztendlich auch an den ständigen Erweiterungsbauten in Lößnitz ablesbar ist, wo sich Richard Strauss, renommierte Gesangskünstler und sogar Karl May Lustbarkeiten verschiedenster Art hingaben.


    Aber schließlich wagte er dann doch noch den Sprung über den großen Teich. Er nahm ein Angebot der Metropolitan Opera in New York an, um im April 1900 acht Konzerte zu dirigieren. Mit dem Dampfer »Maria Theresia« stach er im März in See. Wie berichtet wird, sei das Publikum zunächst etwas reserviert gewesen, aber zum Ende des Konzerts soll es dann doch Beifallsstürme gegeben haben. Zu einer Wiederholung einer Amerikareise kam es nicht mehr, auch weil Schuchs Gesundheitszustand dies in Frage stellte; es ist sogar von einem Unfall die Rede, der jedoch nirgendwo näher erläutert wird.


    Mit dem Wagner-Konkurrenten Bungert lag der Neuerer Schuch daneben, August Bungerts Werk war auf Dauer kein Erfolg beschieden. Weit Nachhaltiger waren die Dresdner Uraufführungen von Opern des aufstrebenden Richard Strauss. Zwischen 1903 und 1905 brachte Schuch zehn neue Opern auf die Bühne, die er selbst leitete; absolut erwähnenswert: »Salome« von Richard Strauss, ein Paukenschlag, am 9. Dezember 1905 mit Irene von Chavanne als Herodias. »Elektra« folgte 1909. Der Uraufführung von »Der Rosenkavalier« ging ein zähes Ringen zwischen dem Komponisten und Dirigenten voraus, aber schließlich wurde dann am 26. Januar 1911 in Dresden ein epochales Werk aus der Taufe gehoben. Robert Sterl hat das in einem wunderbaren Gemälde festgehalten.


    Ausgerechnet 1912 - Schuchs Jubiläumsjahr - kam es am Dresdner Opernhaus zu ernsthaften Verstimmungen; Ernst von Schuch und Intendant Seebach gerieten aneinander, weil sowohl der Intendant als auch das Königshaus beabsichtigten, den Orchestergraben nach dem Beispiel von Bayreuth umzubauen. Ernst von Schuch widersprach diesen Plänen heftig, weil er für sich eine unzumutbare Einengung sah. Das Ganze ging so weit, dass Schuch ganz ernsthaft in Erwägung zog nach München oder Wien zu gehen. Aber schließlich war in diesem Jahr Schuchs 40. Dienstjubiläum, das mit allergrößtem künstlerischen Aufwand zwei Tage lang gefeiert wurde. Neben einer Menge von Geschenken vielfältiger Art, waren auch Geldgeschenke von 40.000 Mark zusammen gekommen.


    Seine letzte Opernaufführung leitete Schuch am 23. April 1914 - »Der Barbier von Sevilla«, seine Tochter Liesel sang in dieser Aufführung die Rosine.
    Am 10. Mai 1914 starb Ernst von Schuch an den Folgen eines Schlaganfalls in seinem Haus in Kötzchenbroda. Am 14. Mai gab es dort eine große Beerdigung; beim Gang zum Grab wurde der Trauermarsch aus »Götterdämmerung« gespielt.


    Clementine von Schuch überlebte ihren Mann um viele Jahre und wurde 82 Jahre alt.


    Praktischer Hinweis:
    Das Grab von Ernst und Clementine von Schuch befindet sich auf dem Friedhof Radebeul-West, Kötzschenbrodaer Straße. Die Grabstätte befindet sich dort im Feld K.
    Eine genauere Wegbeschreibung auf dem Friedhof kann nicht gegeben werden, weil zurzeit der Fotoaufnahme der Friedhof nur durch den Hintereingang betreten werden konnte, denn infolge des Hochwassers 2013 war die Friedhofsmauer - ganz in der Nähe des Schuch-Grabes - eingestürzt.

  • Nikolaus Harnoncourt - * 6. Dezember 1929 Berlin - † 5. März 2016 St. Georgen im Attergau

    Der kleine Nikolaus betrat die Welt mit einem außergewöhnlich langen Namen, der sich in seiner vollen Länge so darstellt: Johann Nicolaus Graf de la Fontaine und d’Harnoncourt-Unverzagt.


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    Zum heutigen Geburtstag von Nikolaus Harnoncourt


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    Wenn man am Nikolaustag zur Welt kommt, ist es naheliegend sich dieses berühmten Vornamens zu bedienen. Die Länge des Namens erklärt sich daraus, dass beide Eltern adeliger Herkunft waren und da einiges an Familientradition unterzubringen war.

    Nikolaus Harnoncourt hatte zwei ältere Geschwister, die sein Vater Eberhard de la Fontaine Graf d´Harnoncourt-Unverzagt, in die neue Ehe mit der Gräfin von Meran und Freiin von Brandhofen eingebracht hatte; die erste Frau seines Vaters war gestorben. Letztendlich war Nikolaus von zwei Schwestern und vier Brüdern umgeben; nach eigenen Angaben war er der Zornigste.


    1931 zog die Familie von Berlin nach Graz, in den Nordflügel des Palais Meran - seit 1963 Sitz der Grazer Universität für Musik und darstellende Kunst - wo man immerhin über Grammophon und Radio verfügte. Vater Eberhard kann eine gute Stellung in der Steierschen Landesregierung bekommen, aber dazu reicht seine berufliche Qualifikation als Bauingenieur nicht aus, neben seinen beruflichen Pflichten muss der Vater nun noch, zu seiner Arbeit am Bau, ein Jurastudium absolvieren, um eine sichere Position in der Baurechtsabteilung begleiten zu können.

    Vater Eberhard war ein dynamischer Mensch und musikalisch war er auch, diese beiden Eigenschaften kamen zum Tragen, als er sich im ersten Weltkrieg, wo er gleich nach seiner Schulzeit als Navigationsoffizier bei der Marine war, ein zusammengestutztes Klavier aufs Torpedo-Boot schaffen ließ, um neben den kriegerischen Aktivitäten auch Operetten zu komponieren.

    Dass er sich zur Marine gemeldet hatte, lag darin begründet, dass es in diesem Bereich die meisten Musiker gab. Der Vater war mit Nikolaus´Mutter auch schon weit vor der Heirat bekannt, die Familien kannten sich und er hatte Ladislaja Gräfin von Meran, Freiin von Brandhofen oft am Klavier begleitet, wenn sie gesungen hat; Nikolaus Harnoncourt beschreibt seinen Vater als genialen Pianisten. Eberhard schreibt sogar in den 1930er Jahren eine Violinsonate, die mit einem Komponistenpreis ausgezeichnet wurde. Natürlich sorgt der Vater dafür, dass seine Kinder frühzeitig ein Instrument erlernen, und er selbst komponiert Sonaten und Kammermusikstücke, die dem jeweiligen Können der Kinder entsprechen.


    Wie Nikolaus Harnoncourt berichtet, entstand so ein Quartett auf respektablem Niveau: der Papa am Klavier, René und Philipp auf der Geige und Nikolaus, genannt »Niki«, auf dem Cello. Was die wirtschaftlichen Verhältnisse von Nikolaus´ Eltern betrifft, sagt er: »Meine Mutter hat von relativem Überfluss in relative Armut geheiratet. Wir haben den Eindruck gehabt, dass beide Eltern bis an die Grenze ihrer Kraft arbeiten«.

    Eberhard d´Harnoncourt ist es nicht vergönnt den Erfolg seines Sohnes auf dessen Höhepunkt zu erleben; Eberhard stirbt 1970 - in bester körperlicher Verfassung - an einem Herzschlag, er war gerade unterwegs zu einer Sitzung des Musikvereins Steiermark. Die Mutter starb 1997 im Alter von 98 Jahren.


    Nikolaus besucht den englischsprachigen Kindergarten, den seine Tante eingerichtet hatte; danach besucht er die Volksschule und beginnt mit dem Cellounterricht bei einem angesehenen Grazer Musiklehrer.

    Kurz bevor der Knabe neun Jahre alt war, wurde das Palais Meran zwangsverkauft, die Familie musste in eine Mietwohnung des Nachbarbezirks umziehen und die politisch bedingten Veränderungen trafen auch den Jungen hart. Aber bei seinem Eintritt ins Deutsche Jungvolk wird er zur »Führerausbildung« abkommandiert und kommt als Zehnjähriger in ein Lager, wo er mit Stahlhelm und Gewehr zugange ist. Eine große Karriere macht er in den folgenden Jahren bei der HJ nicht, aber Vater und Sohn waren zum Kriegsende hin stark gefährdet noch verheizt zu werden; zu Weihnachten 1944 beschließt die Familie die Übersiedlung nach Grundlsee, allerdings nur die Mutter mit den fünf Kindern, der Vater blieb in der Stadt und kam nur ab und an zu Besuch, was äußerst schwierig war. Bei einem seiner Besuche überträgt er Nikolaus die Sorge für die Familie, falls ihm etwas zustoßen sollte - eine schwere Bürde für einen so jungen Mann.


    Nikolaus interessiert sich aber nicht nur für Musik; schon im Alter von dreizehn oder vierzehn Jahren liest er Friedells »Kulturgeschichte der Neuzeit«, das er im Bücherschrank seines Vaters entdeckt hatte, und ist begeistert. Vater und Sohn diskutieren viel miteinander, der Vater ist »allwissend», aber ein schlechter Pädagoge, und sie arbeiten beide sehr viel mit Holz, wobei der Vater sein ganzes Ingenieurwissen und Können einbringt.

    In der Musik ist es so, dass Nikolaus schon sehr früh die Gambensonaten von Bach spielt, während sein Vater mit barocker Polyphonie nicht viel anfangen kann. Der Sohn dagegen bewunderte die pianistischen Fähigkeiten seines Vaters und meinte: »Wenn ich das könnte, was er gekonnt hat, dann wäre ich ja Komponist geworden. Ich habe ihn um sein Klavierspielen beneidet und um die Art seiner Musikalität.«


    In den Wirren des Endkampfes, als die Russen vor der Tür standen, waren einige bekannte Künstler in die abgelegenen Ecken des Salzkammerguts geflüchtet, so auch Paul Grümmer. Dieser Name war Nikolaus damals völlig unbekannt, aber man sagte ihm, dass das ein hervorragender Cellist des bekannten Busch-Quartetts sei. Bei strömendem Regen lief Nikolaus mit seinem nur in einen Sack gehüllten Cello die sechs Kilometer von Grundlsee nach Aussee, wo Grümmer auf der Eselbachfarm oberhalb von Aussee als Flüchtling lebte. Dort angekommen, stellte man fest, dass das durchnässte mitgebrachte Instrument nicht mehr spieltauglich war. Paul Grümmer stellte zum Vorspiel sein Cello zur Verfügung, nahm in zu seinen insgesamt fünf Schülern und verlangte dafür nichts.


    Als Fünfzehnjähriger war sich Nikolaus noch nicht sicher, was er mal beruflich machen wollte, dass er Berufsmusiker werden würde stand da nicht fest. Das Marionettentheater faszinierte ihn; noch vor der Übersiedlung nach Grundlsee schuf er eine Menge Figuren für dieses Genre, aber auch in Aussee vergrößerte sich das hölzerne Ensemble immens und sogar Johannes Heesters, der auch in diese Gegend geflüchtet war, gab Hinweise zu Regie und Sprechtechnik. Es kam zu erfolgreichen öffentlichen Aufführungen.

    Was sollte er werden? Bildhauer?, Bühnenbildner? Schauspieler? Es kam sogar zum Vorsprechen beim Leiter des Wiener Reinhardt-Seminars, der auch in Aussee weilte. Während all dieser Überlegungen geht er dennoch eifrig auch zu Grümmer, welcher dann zwar nach Zürich geht, aber immer mal wieder nach Aussee kommt. Inzwischen ist Nikolaus Mitglied in drei Streichquartetten und befasst sich intensiv mit Musik, aber das Marionettentheater lässt ihn nicht los, es wird mit größter Ernsthaftigkeit betrieben, ein Stück, das sich an Doktor Faust orientiert, der Vater schrieb die Bühnenmusik, es sollte kein Kinderspiel sein, die Probezeit erstreckte sich über Monate, günstig war, dass im Winter der Unterricht wegen Kohlemangel ausfiel. Das Stück war erfolgreich und brachte es auf zwanzig Aufführungen, aber das Tückische bei der Sache ist, dass sich die Zuschauerzahl auch bei größtem Interesse nicht steigern lässt. Als Nikolaus die Sache ernsthaft durchkalkuliert, bemerkt er, dass das eigentlich auf Dauer nicht machbar ist.


    Als Nikolaus in seinem letzten Schuljahr im Herbst 1947 krank zu Bett liegt, hört er im Radio unter dem Dirigat von Wilhelm Furtwängler Beethovens siebente Sinfonie und dabei wird ihm dann schlagartig bewusst, dass er eine eigentlich immer naheliegende Möglichkeit der Berufswahl glatt übersehen hatte; nun war für ihn klar, dass er Musiker werden wird.

    Im Herbst 1948 zieht er ohne größeres finanzielles Polster zum Studium nach Wien; seine Unterkunft war mehr als bescheiden, aber er war ja entsprechend groß geworden und strebte auch später nie nach Luxus. Als es allerdings bei ihm wegen Vitaminmangel zu gesundheitlichen Schäden kommt, muss eine wohlhabende Tante eingreifen. Als seine Schwester beruflich nach Wien kam, steckte sie ihm einen größeren Schilling-Betrag zu, damit er sich ein Cello von 1848 kaufen konnte, das ihn durch seine gesamte Cellistenlaufbahn begleitete. An der Akademie hatte er sich für den Cellolehrer Emanuel Brabec entschieden, der einer der Solocellisten der Philharmoniker war; nach einem Streichquartettkonzert in Graz hatte er diesen einfach gefragt ob er kommen könne. An der Akademie waren normalerweise sechs Jahrgänge zu absolvieren, aber Nikolaus Harnoncourt glaubte selbstbewusst, dass er mit seinen Vorkenntnissen mindestens im vierten beginnen könnte, aber sein Lehrer hat ihm dann eine Menge Mängel aufgezeigt, also hieß es hier zunächst kleine Brötchen backen und vorne anzufangen.

    An der Akademie unterrichtet auch Professor Mertin, sein Fach ist Aufführungspraxis für Alte Musik. Harnoncourts Interesse war geweckt, denn er wusste schließlich, dass die besten Streichinstrumente schon einige hundert Jahre alt sind. Von der Sammlung alter Instrumente im Kunsthistorischen Museum war er fasziniert. Aber es interessierten ihn auch die Blasinstrumente mit den seltsamen Namen wie Dulzian, Pommer, Zink.

    An der Akademie fand NIkolaus dann Zugang zu einem exklusiven Kreis von Studenten, die er schon lange beäugt hatte, da war er dann mächtig stolz, dass diese ihn akzeptierten. Er schließt hier Freundschaft mit dem um ein Jahr älteren Eduard Melkus, der als rechte Hand des organisatorisch überforderten Josef Mertin gilt. Es ist das entscheidende Stadium, wo Nikis obsessive Beschäftigung mit der alten Musik beginnt. Zu dieser Zeit sind übrigens Zubin Mehta und Claudio Abbado auch ein paarmal gekommen, dann haben sie gesehen, das ist mehr skurril, und sind weggeblieben, aber später beriefen sie sich wieder darauf, auch dabei gewesen zu sein.


    Im hohen Alter beschreibt er das, was er da getrieben hat, als »Instrumentenwahn« und eine »Wahnsinnige« stieß noch dazu, das war die Geigerin Alice Hoffelner, die bald darauf Harnoncourt hieß; Niki hatte das Mädchen seinem Freund ausgespannt, um es salopp auszudrücken.

    Es ist in diesem Rahmen nicht zu schildern und schier unglaublich, was die beiden - bei äußerst bescheidenem Lebensstil - alles bewältigten, um an alte Instrumente heranzukommen und diese zu erwerben.

    Nikolaus´ Eltern hatten dafür absolut kein Verständnis, weil sie sahen, dass der Junge dringend Schuhe gebraucht hätte.

    Diesen alten Instrumenten entströmten in der Regel nicht die edelsten Töne, das war mitunter doch sehr gewöhnungsbedürftig. Es bildete sich ein Gamben-Quartett, bei dem auch Alice Hoffelner eifrig bei der Sache war. Das Wiener Gamben-Quartett hat 1950 ein paar Auftritte, wobei unterschiedliche Erfolge erzielt werden. Alice Hoffelner geht nun aber nach Paris, um ihr Stipendium anzutreten und es entsteht die Situation, dass Alices Eltern hoffen, dass ihre Tochter dort den armen Grafen Niki vergisst, während Nikis Eltern erleichtert sind, dass sich durch Alices Weggang nach Paris das Thema Gamben-Quartett von selbst erledigt hat.


    Die Eltern Harnoncourt sind sich mit ihrem Sohn darin einig, dass nun zeitnah eine sichere Existenzgrundlage geschaffen werden muss. Ein ganz kleiner Schritt wurde gemacht, als er seinen Lehrer Emanuel Brabec als Substitut im Staatsopernorchester bei einer »Salome«-Aufführung unter Karl Böhm vertreten durfte. Harnoncourt verbuchte es als Erfolg, dass ihn Böhm nicht böse angeschaut hat.

    Danach findet er sich über die Sommermonate im Kurorchester von Bad Gastein wieder. 1950 hat er auch erstmals Einblicke in die Arbeit von Plattenstudios und verbessert seine wirtschaftliche Situation. Die meisten Nebenfächer des Studiums interessieren ihn nicht und er fragt sich, wozu er Klavier spielen können muss. In den letzten beiden Studienjahren konzentriert er sich aufs Geldverdienen und sammelt dabei Erfahrungen für seinen Beruf als Orchestermusiker. Ausgedehnte Konzertreisen führen ihn nach Deutschland, Holland, Spanien, Italien Frankreich ... eine willkommene Gelegenheit Alice Hoffelner in Paris zu besuchen.


    Der Versuch zusammen mit Alice in Innsbruck ein gemeinsames Engagement zu bekommen scheitert, aber bei den Wiener Symphonikern müssen zwei Positionen am letzten Cellopult nachbesetzt werden; Herbert von Karajan engagiert im Herbst 1952 Nikolaus Harnoncourt. Obwohl Alices Eltern für ihre Tochter »etwas Besseres« im Auge hatten, feierten die jungen Leute im Sommer 1951 offiziell ihre Verlobung in Dorfgastein. Die standesamtliche Trauung absolviert der Bräutigam leger im karierten Hemd, die kirchliche Trauung im Grazer Dom hatte da anderes Format; das weiße Taftkleid der Braut wurde durch Blütenkranz und langem Schleier ergänzt, den Nikolaus selbst entworfen hatte. Im Mai 1954 kommt Tochter Elisabeth zur Welt, im September 1955 Sohn Philipp. Während sich Alice mit Lust voll in ihre Aufgabe als Mutter und Hausfrau stürzt, interveniert ihr Gatte und macht klar,dass er schließlich eine hochklassige Musikerin mit absolutem Gehör geheiratet hat und die Kinder nicht unbedingt immer im Mittelpunkt stehen müssten. Als die Kinder noch klein waren, brechen die Eheleute allein zu einer langen Bergtour auf; später gehen die Kinder dann mit in die Berge, jeden Sommer mindestens zwei Wochen, wo die Eltern dann schon mal auch den dritten Schwierigkeitsgrad bewältigen; Getränke muss man nicht unbedingt mitschleppen, denn man weiß wo Quellen sind ...

    Auch 1957, bei dem offiziellen Debüt des »Concentus Musicus« im Palais Schwarzenberg - die Gründung erfolgte ja bereits im Herbst 1953 - ist Alice Harnoncourt als Konzertmeisterin in zwei verschiedenen, sehr umfangreichen Programmen, auf der Gambe und auf der Geige mit dabei; sieben Wochen nach der Entbindung vom dritten Kind, das vierte Kind kommt dann 1961 zur Welt.

    Das »Concentus Musicus« macht immer mehr von sich Reden, die erste Auslandsreise führte 1960 nach Rom, 1961 trat man erstmals im Wiener Konzerthaus auf, 1965 wurde die erste Johannes-Passion für die Schallplatte eingespielt,1966 absolvierte das Kammermusik-Ensemble seine erste Amerika-Tournee, es sollten noch einige folgen, 1970 die erste Aufnahme von Bachs Matthäus-Passion - die Fülle der Aktivitäten ist hier nicht darstellbar ...

    Bezüglich der Interpretation von Bach-Werken sagte Harnoncourt einmal: »Ich will nicht sagen, dass wir bei Bach den Originalklang erreichen, aber wir sind am nächsten dran.«


    Bis zum Jahr 1969 wirkt Harnoncourt als Cellist bei den Wiener Philharmonikern mit, wo er 1952 begonnen hatte.»Nikolaus Harnoncourt, Meister am Violoncello, will nicht Dirigent werden«, heißt es 1969 im Untertitel zu einem Porträt in einer deutschen Zeitung. »Dirigent ist ein Antiberuf«, antwortet Harnoncourt da kurz und bündig. Und noch im November 1971 beantwortet er die Journalistenfrage nach Dirigierambitionen mit einem klaren Nein.


    Seine Dirigentenlaufbahn startete Nikolaus Harnoncourt 1972 dann doch; als sein Debut gilt ein Auftritt an der Mailänder Scala, wo er Monteverdis »Il ritorno d’Ulisse in patria« an der Piccola Scala dirigierte. In den folgenden Jahrzehnten erwarb er sich den Ruf eines wegweisenden Neuerers am Pult, der mit seiner geschichtlichen Sensibilität unser modernes Hörgefühl maßgeblich geprägt hat.

    1973 wird Harnoncourt pädagogisch ganz offiziell an der Hochschule Mozarteum Salzburg tätig, wo er »Theorie und Praxis der Alten Musik« lehrt, wobei er allerdings großen Wert darauf legt, dass die »Alte Musik« Werke bis 1900 einschließt. Zwanzig Jahre lang unterrichtet Nikolaus Harnoncourt dort jeden Montag und Dienstag.


    1975 beginnt die Zusammenarbeit mit dem Concertgebouw Orchest, wobei er in Amsterdam bis 1990 oft Bach-Passionen aufführt. Die Zusammenarbeit war dort vom ersten Tag an gut und ist es auch geblieben; bei den Amsterdamern gab es nicht die Anreden »Maestro« oder »Herr Professor«; er ist schlicht »de heer Harnoncourt«.

    Mehr als fünfzig Opernaufführungen hat Harnoncourt mit dem Concertgebouw Orkest bestritten, ehe seine Arbeit dort ein Ende fand.


    Aber Harnoncourt hat auch in der Schweiz zu tun; Die erste Premiere des Zürcher Monteverdi-Zyklus ist am 20. Dezember 1975. Im Orchestergraben des Opernhauses hat das neue Zürcher Monteverdi-Orchester platzgenommen und wird von Alice Harnoncourt angeführt.

    Zürich ist sein Opern-Zuhause geworden; während der Direktionszeit von Claus Helmut Drese erlebt Harnoncourt dort elf Premieren. Wegen der häufigen Anwesenheit in Zürich, schaffen sich die Harnoncourts einen zweiten Wohnsitz nur zwanzig Autominuten vom Opernhaus entfernt. Ab 1982 arbeitet er zwar auch an anderen Opernbühnen, nämlich in Amsterdam, Hamburg, Wien und in Salzburg.


    Schon immer hat Harnoncourts Wirken nicht nur Begeisterung entfacht, aber besonders seine Mozart-Interpretationen lösen Widerspruch an vielen Fronten aus. Da war im Februar 1987 das Debüt mit »Idomeneo« an der Wiener Staatsoper; dem folgen »Die Zauberflöte« 1988, »Die Entführung aus dem Serail« im Mai 1989 und schließlich »Cosi fan tutte« am 15. Dezember 1989 - in diesem Zusammenhang kann man auch noch einen »Don Giovanni« in Amsterdam erwähnen.

    »Mir liegt seine Art, Mozart zu misshandeln, nicht«, meinte der greise Karl Böhm in seinem letzten, großen Interview. »Ich könnte ihm beweisen, dass seine Interpretationen mit Mozart nur wenig zu tun haben. Ich lehne ihn ab.«

    Wiener Kritiker werden nicht müde, Harnoncourts Verstöße gegen den »Wiener Mozart-Stil« zu registrieren, fehlenden »Charme« und Wohlklang zu bekritteln

    Klaus Umbach schrieb damals im SPIEGEL:

    »Gegen Karajans ›Zauberflöte‹ aus Zuckerrohr und Lorin Maazels musikalisch entmannten ›Don Giovanni‹ ist sein Mozart ein romantischer Extremist und jede der Amsterdamer Aufnahmen ein diskographisches Pamphlet.«


    Harnoncourts Debüt bei den Salzburger Festspielen erfolgt erst mit Beethovens »Missa solemnis«, wobei er das Chamber Orchestra of Europe leitet. Es wurde viel darüber spekuliert dass Harnoncourt in Salzburg so lange nicht zur Kenntnis genommen wurde, das war für die Presse immer einmal wieder ein Thema; oft wurde kolportiert, dass Karajan seinen Cellisten von einst nicht dulden wollte, man war von außen schon bestrebt eine Gegnerschaft herbei zuschreiben, die nach Harnoncourts Darstellung so nicht bestand. Harnoncourt sagt in einem Interview mit dem Kurier im Dezember 1987 »Es gab absolut nie einen Streit mit Karajan.« Herbert von Karajan zählt zu jenen Dirigenten, deren Arbeit Harnoncourt mit wachsender Erfahrung immer mehr schätzen gelernt hat, zumindest was die künstlerischen Resultate betrifft.


    In einem Vorgespräch zu einem im Jahre1970 geplanten »Spiegel«-Gespräch - das dann wegen politischer Großereignisse (Suezkrise) nicht zustande kam - sorgten Gesprächsnotizen für Irritationen. Es gab nun ersatzweise doch einen Artikel im »Spiegel«, wo Harnoncourt Sätze in den Mund gelegt wurden, die er so nie gesagt hatte. Einer davon lautete: »Ich betrachte Karajan als Genie – im Autofahren.« Tatsächlich hatte Harnoncourt von gemeinsamen Tourneen und von Karajans Auto-Leidenschaft erzählt. Harnoncourt hatte von da an das Gefühl, dass Karajan wohl unversöhnlich wütend auf ihn war – was nach und nach allgemein bekannt wurde. Er schrieb ihm auf Wunsch der Salzburger Festspiele einen Brief und versuchte, die Sache richtig zu stellen. Karajan hatte dann sehr nett geantwortet: Dass er keine Zeitungen liest und dass er Harnoncourt sehr schätzt und seine Arbeit mit großem Interesse verfolgt. Als man bei der nächsten Sitzung der Festspiele eine Opernproduktion mit Harnoncourt vorschlug, soll Karajan gesagt haben: »Solange ich lebe, kommt mir der Mann nicht zu den Festspielen!«


    Harnoncourt wurde ja immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, dass er in diesem Metier ein Dilettant sei, aber dazu meinte er, dass das ja aus seiner Biografie hervorgeht und bemerkte: »Kritiker sehen mich nur von hinten.« Der erste Auftritt als Dirigent in Österreich erfolgte 1980 im Rahmen der Salzburger Mozartwoche mit dem Concertgebouw Orkest Amsterdam.


    Im Jahr 1985 wurde in Graz das Festival styriarte gegründet. Die Grazer hatten schon lange überlegt, wie sie den berühmten Sohn der Stadt in das Grazer Kulturleben einbinden könnten. Als Herbert von Karajan1989 gestorben ist, war für Harnoncourt der Weg zu den Salzburger Festspielen frei. Die Salzburger Nachrichten bekunden ihre Genugtuung, dass Harnoncourt »nun endlich auch als Operndirigent in Salzburg in Erscheinung treten darf«, und vermelden einen »Jubelorkan, wie er selbst über Karajan nur in außergewöhnlichen Momenten hereingebrochen war«.

    1990 starb der 1957 geborene Sohn Eberhard Harnoncourt plötzlich und unerwartet infolge eines Verkehrsunfalls und Ende 1995 wird für Nikolaus Harnoncourt ein längerer Krankenhausaufenthalt notwendig, er überdenkt seine steten Verpflichtungen. Am 14. November 1995 schreibt der gefragte Dirigent einen ausführlichen Brief an Gérard Mortier, in dem er mitteilt, dass er sich von den Salzburger Festspielen zurückzieht.

    Dann kam es zum Comeback; sieben Jahre Abwesenheit schienen ihm eine angemessene Frist, um nach der »Scheidung« einen Neubeginn zu wagen. Mit jeweils vierzehn Aufführungen 2003 und 2004 sowie fünfzehn Terminen 2006 war Harnoncourt bei den Festspielen drei Sommer hindurch der am meisten präsente Dirigent. Erstmals ist ein Auftritt von ihm 1992 mit dem »Chamber Orchestra of Europe« notiert, letztmals 2015 mit dem »Concentus Musicus«


    Schon 2005 unterrichtet er seine langjährigen Kooperationspartner wie das Opernhaus Zürich und die Salzburger Festspiele über seine Absicht, mit seinen Kräften künftig besser haushalten zu wollen, er wird sich als Operndirigent zurücknehmen, eine für 2010 geplante »Lulu«-Aufführung kann mit ihm nicht mehr realisiert werden.

    Im Herbst 2009 musste er sich erneut einer Operation unterziehen. Zu seinem 80. Geburtstag wird er mit Aufmerksamkeiten vielfältigster Art bedacht. Und natürlich arbeitet er weiter, in der Zeitung ist zu lesen: »Nikolaus Harnoncourt verbringt seinen 85. Geburtstag am Dirigentenpult« und in einem Zeitungsinterview sagte er:

    »Jetzt werde ich dauernd für mein Lebenswerk lobgestrudelt. Furchtbar. Das klingt so abgeschlossen. Ich bin doch noch nicht fertig! Oder wollt Ihr, dass ich alter Trottel aufhör’?«


    »Meine körperlichen Kräfte gebieten eine Absage meiner weiteren Pläne«, begann der kurze, offene und handgeschriebene Brief von Nikolaus Harnoncourt, der am Samstagabend - also am Vorabend seines 86. Geburtstages - als Faksimile dem Programmheft im Wiener Musikverein beilag.

    Ursprünglich hätte der österreichische Dirigent am 5. und 6. Dezember noch den »Concentus Musicu«s zu einem Bach-Programm dirigieren sollen. Dass er die Konzerte nicht leiten würde, war bereits im Vorfeld bekannt geworden.


    Praktischer Hinweis:

    Man orientiert sich am besten an diesem nicht zu übersehenden Kirchturm, der auf dem Friedhofsgelände steht. Von der Kirche aus gesehen, befindet sich das Grab im hinteren Friedhofsteil.


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    Hier ist der Eingang zum Friedhof



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  • Peter Roth-Ehrang - *8. Juni 1925 Ehrang - † 28. Dezember 1966 Hamburg

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    Zum heutigen Todestag von Peter Roth-Ehrang

    Im Großen Sängerlexikon und demnach auch in anderen Publikationen, wird als Geburtsjahr zwar 1920 angegeben, aber die Grabinschrift zeigt eindeutig das Jahr1925 an; dass er seinen Familiennamen ganz offiziell mit dem Namen des Ortes verband, in dem er geboren wurde, zeugt von der Heimatverbundenheit des Sängers.

    Die Eingemeindung von Ehrang nach Trier fand erst drei Jahre nach seinem Tode statt. Ehrang/Quint ist heute einer von 19 Ortsbezirken der in Rheinland-Pfalz gelegenen alten Römerstadt Trier, und es ist der flächenmäßig größte Stadtteil im Nordosten der Stadt.


    Dort wurde Peter in einer soliden Handwerkerfamilie geboren; sein Vater war Buchdruckermeister und Sohn Peter dachte zunächst nicht daran einen künstlerischen Beruf zu ergreifen, sondern wurde Vermessungstechniker bei der Stadt.

    In der Schule bemerkten die Lehrer zwar, dass sich der Junge für Gedichte interessierte, aber durch besondere Gesangsleistungen ist er da nicht aufgefallen, der »Roths Pitt« habe nur gebrummt, so die Überlieferung aus dieser Zeit. Da in den Jahren 1939 bis 1945 Soldaten gebraucht wurden, musste auch Peter Roth das Kriegshandwerk erlernen und geriet in französische Kriegsgefangenschaft.

    Im Trierer Biografischen Lexikon findet man zu Peter Roth-Ehrang - neben dem falschen Geburtsjahr 1920 - folgenden Eintrag:

    »Gemeinsam mit dem Sänger Josef Traxel unterhielt er seine Mitgefangenen durch seine Sangeskunst. Nach Rückkehr nach Trier übernahm der Trierer Opernsänger Kurt Prasse die weitere gesangl. Ausbildung. R. studierte in Wiesbaden und legte 1951 das Examen als Opernsänger ab.

    Im Großen Sängerlexikon heißt es dagegen:
    »Er wurde an der Berliner Musikhochschule Schüler von Paul Lohmann und Kurt Prasse.«

    Wer die Verhältnisse nach dem Zweiten Weltkrieg kennt,
    kann sich gut vorstellen, dass seine wohltönende Bassstimme schon im Männerchor
    und damit auch einer breiteren Öffentlichkeit aufgefallen war, denn in dieser
    Zeit gab es noch gesellige Abende, wo man solche Darbietungen schätzte.
    Glaubhaft klingen Berichte, die schildern, dass der Wunsch Berufssänger zu
    werden in der Kriegsgefangenschaft reifte. Peter Roth kehrte erst 1948, also
    drei Jahre nach Kriegsende, aus französischer Gefangenschaft in seine Heimatstadt
    zurück. Seine erste Frau berichtete, dass Peter Roths Ziel Sänger zu werden ab
    1948 »unumstößlich« gewesen sei. Aber dass man ihm am Theater nur einen Job als
    Chorsänger anbot, war für Roth enttäuschend, weil er sich richtigerweise real einschätzte
    und doch eher als Solist sah.
    Der »Trierische Volksfreund« berichtete den Berufsanfang des Sängers folgendermaßen:

    »... zu wenig für einen, der spürte, was in ihm steckte. So ließ man ihn ziehen, ein betrübliches Kapitel Trierer Talentpflege, über das spätere Biographen den Mantel des Schweigens breiteten. In Wiesbaden holte der 25-Jährige nach, was ihm fehlte: Er legte das Sänger-Examen ab, ohne je eine Musikhochschule besucht zu haben. Seine Frau half bei der Finanzierung der Ausbildung, indem sie Naturalien von der ländlichen Verwandtschaft als Tauschobjekte für Unterrichtsstunden organisierte.«

    Um seine solistische Sängerkarriere anzukurbeln, scheute er auch nicht davor zurück in den Osten des Landes zu wechseln, was damals eher unüblich war. Folgt man dem Sängerlexikon Kutsch/Riemens, dann sahen die Anfangsjahre von Peter Roth so aus:

    »Bühnendebüt 1950 am Stadttheater von Trier als Eremit im ›Freischütz‹. 1952-55 wirkte er am Opernhaus von Leipzig und war in der Spielzeit 1952-53 gleichzeitig in Dessau engagiert. 1953 wirkte er in Leipzig in der Uraufführung der Oper ›Wat Tyler‹ von Alan Bush mit.«


    Seine Auftrittsorte wurden nun immer bedeutender und er ersang sich an der Städtischen Oper Berlin etwas Musikgeschichte, als er1960 in der Uraufführung der Oper »Rosamunde Floris« von Boris Blacher mitwirkte, wobei ein Kritiker seinerzeit bemerkte: »Blacher wollte offenbar dem Drama dienen, die Worte nur mehr betonen..., nicht aber sie vertonen. Das ist offenbar zu wenig für die Oper.« Wenn auch hier nicht übermäßig »Stimme« gefragt war, im Wagner-Fach konnte Peter Roth schon etwas anbieten, in den Jahren 1960 bis 1964 hatte ihn Wieland Wagner zu den Bayreuther Festspielen für den Fafner im Ring-Zyklus geholt.

    Peter Roth war sehr heimatverbunden und wurde in seiner Heimatgemeinde geradezu vergöttert; man war dort mächtig stolz darauf, dass es der »Roths Pitt« an die großen Opernhäuser geschafft hatte; war er mal zu Hause, musizierte er mit alten Freunden. Seine Heimatverbundenheit kommt im besonderen Maße zum Ausdruck als er im April 1965 berichten konnte, dass der Senat endlich den Anhang »Ehrang« als amtlichen Familiennamen anerkannt habe. Zu erheblichen familiären Missstimmungen kam es allerdings, als er sich scheiden ließ, was seine gut katholischen Eltern nicht akzeptierten.


    Seit 1961 war der Sänger Mitglied der Staatsoper Hamburg und von dort führten ihn Gastspiele auch an andere bedeutende Häuser wie zum Beispiel der Wiener Staatsoper, wo er unter Karajan vor allem als Fafner in »Das Rheingold« in den Jahren 1960 bis 1963 auftrat. Er sang auch 1963 an der Grand Opéra Paris, an der Oper von Lyon und hatte auch Auftritte in England.

    Ganz bedeutende Verdienste erwarb sich Roth-Ehrang um einen Nachwuchssänger, der später zu einer bekannten Sängerpersönlichkeit werden sollte; der junge Mann hieß Franz Grundheber. Der 18-Jährige Grundheber erlebte den Sänger Peter Roth bei einem Trierer Gastspiel in der Rolle des Sarastro in Mozarts Oper »Die Zauberflöte« und war von der Kraft dieser Serastro-Stimme so gebannt, dass er - nach eigener Aussage - eine Gänsehaut nach der anderen bekam. Nach diesem tiefgreifenden Erlebnis ergab sich ein Kontakt, der bewirkte, dass der junge Grundheber, bis dato sportbegeisterter Handballer, mit dem Fahrrad zum Vorsingen zu Roth fuhr und Roth zu Grundhebers Mentor wurde. Peter Roth wirbt bei Grundhebers Eltern brieflich darum, dass sie ihrem Sohn ein Gesangsstudium ermöglichen sollten.


    Peter Roth-Ehrangs Sängerkarriere befand sich auf dem besten Wege; er war erst 41 Jahre alt, hatte sogar in dem Fernsehfilm »Schwarzer Peter« - Märchenoper für kleine und große Leute - zusammen mit Toni Blankenheim in diesem Genre gewirkt und wäre mit einem Gastspielvertrag zu Auftritten an der Metropolitan Opera New York gekommen. Er verstarb aber überraschend an einem Herzinfarkt kurz nach den Weihnachtsfeiertagen 1966.


    Bei der Totenfeier sagte Rolf Liebermann, der damalige Intendant des Hamburger Stammhauses Roth-Ehrangs: »Du hast Dich ganz und gar für das Theater ausgegeben.«

    An seinem Geburtsort gibt es zum Zeichen der Erinnerung einen Peter-Rot-Platz mit Brunnen und einer Gedenktafel.


    Praktischer Hinweis:

    Friedhof Ohlsdorf, Fuhlsbüttler Straße 756, 22337 Hamburg

    Das Grab befindet sich in der Nähe des Bestattungsforums, also links vom Haupteingang. Man geht auf der Nebenallee etwa 300 Meter geradeaus und biegt dann nach links ab, wo sich etwa nach weiteren 250 Metern das Grab befindet. Wenn man sich am Friedhofsplan orientiert, findet man die Grabstätte in Y10.

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    Diese Aufnahme zeigt, in welcher künstlerischen Umgebung sich Peter Roth-Ehrang bewegte.









  • Corona Schröter - *14. Januar 1751 Guben (Niederlausitz) - † 23. August 1802 Ilmenau


    Ihr vollständiger Taufname war Corona Elisabeth Wilhelmine Schröter und sie war das erste Kind ihrer Eltern, drei Geschwister folgten ihr nach. Der Vater war Oboist im Graf Brühlschen Regiment, und dessen Gattin die Tochter eines Schuhmachermeisters. Ihre frühe Kindheit verbrachte Corona in ihrer Geburtsstadt Guben, wo man ihrer noch lange gedachte und sogar im Mai 1905 ein 4,50 hohes Denkmal errichtete. Eine Säule aus rotem schwedischem Granit, die eine von Karl Donndorf geschaffene Bronzebüste trug und Corona Schröter als reife, selbstbewusste Frau zeigt, die ihren Blick auf den Eingang des Theaters richtet. In den Kriegswirren des Zweiten Weltkriegs wurde auch das Denkmal zerstört und danach hatte man andere Sorgen ... Die Neiße wurde zum Grenzfluss und das Denkmal stand in Flussmitte. Heute ist es unter Beibehaltung der Kriegsschäden zumindest wieder mit lesbaren Inschriften versehen.


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    Zum heutigen Geburtstag von Corona Schröter


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    Dieses Schild steht nur wenige Meter vom Grab entfernt


    Der ehrgeizige Vater erteilte seiner überdurchschnittlich begabten Tochter den ersten Gesangs- und Instrumentalunterricht. Später, als Coronas Stimme relativ früh an Brillanz verlor, glaubte man, dass dies auf die zu frühe Belastung der Stimme zurückzuführen sei, was wohl auch stimmte.

    Natürlich gibt es aus dieser Zeit keine Tondokumente, so dass man auf die überlieferten Darstellungen von Zeitgenossen angewiesen ist. Folgt man diesen historischen Quellen, war Corona Schröter eine Frau mit weitverzweigten Begabungen, die neben der außergewöhnlichen Stimme noch das Metier der Komposition sowie der Zeichen- und Malkunst umfassten und die Sprachen: Polnisch, Englisch, Französisch und Italienisch sollen ihr auch geläufig gewesen sein. Die Beherrschung von vier Fremdsprachen ist darauf zurückzuführen, dass die Familie Schröter während des Siebenjährigen Krieges in der deutschen Kolonie am polnischen Königshof in Warschau lebte, wo die in diesem Alter aufnahmefähigen Kinder tagtäglich in der Atmosphäre der Musik und des Theaters mit all seiner Internationalität in Berührung kamen. Nach 1763 zogen die Schröters dann nach Leipzig, wo sie Freunde und Verwandte hatten.


    Johann Adam Hiller war damals im Leipziger Musikleben ein bedeutender Mann; der sich als Komponist, Kapellmeister und Musikschriftsteller betätigte und 1759 die erste deutsche Musikzeitschrift gründete. Hillers Frau stammte aus Guben und war Corona Schröders Taufpatin. Hiller eröffnete 1771 eine Singschule und es lag nahe, dass er Corona, die ja einiges an Vorwissen und Können mitbrachte, auch ausbildete; Hiller brachte aus seiner Singschule Stimmen heraus, die später sehr erfolgreich waren. Hiller betreute auch Gertrud Elisabeth Schmehling als Sängerin, die dann mächtig Furore machte und sich neben Corona etablierte. Die Neue war zwei Jahre älter als Corona, schon als Zehnjährige trat das Mädchen mit der Geige in Wien und in London auf wo sie auch eine Gesangsausbildung erhalten hatte - sie legte sich den Künstlernamen »La Mara« zu und war zu einer Konkurrentin von Corona Schröter geworden, die vordem als unangefochtener Gesangsstar der Stadt galt.


    Die 13-jährige Corona Schröter debütierte 1764 als Sängerin in einem großen, von Hiller geleitetem Konzert in Leipzig, bei dem auch Goethe zugegen war, der dort studierte. Die Bekanntschaft blieb jedoch nicht nur auf dieses Konzert beschränkt, die beiden begegneten sich in vielen Situationen; Goethe traf sie bei Malübungen bei ihrem Lehrer Adam Friedrich Oeser, und Im Haus des Musikverlegers Breitkopf spielte er mit ihr gemeinsam Liebhabertheater; das war also keine flüchtige Bekanntschaft und Goethe war Feuer und Flamme, wie andere Männer auch, zum Beispiel Johann Friedrich Reichardt, der ein Jahr jünger war als Corona. Der stark entflammte Reichardt musizierte eifrig mit der attraktiven jungen Dame, wobei nicht nur musikalisches Interesse im Spiel war. Reichardt komponierte für sie italienische Arien, aber Corona ließ sich auf nichts Weitergehendes ein; auch den Ratsherren und späteren mehrfachen Bürgermeister von Leipzig, Dr. Carl Wilhelm Müller, ließ die stolze Corona Schröter - neben einigen anderen Interessierten - abblitzen, aber Müller gab 1787 bei dem damals bedeutenden Porträtisten Anton Graff ein Gemälde von Corona Schröter in Auftrag, das heute noch erhalten ist.


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    Corona Schröter - Gemälde von Anton Graff


    Als Goethe 1776 in Weimar das herzogliche Liebhabertheater zu neuem Leben erweckte - er war ja erst im November 1775 in die Stadt eingezogen - und das dilettantische Spiel der Hofdamen und -Herren im Niveau etwas anheben wollte, erinnert er sich seiner Leipziger Bekanntschaft. Herzogin Anna Amalia beauftragt nun Goethe damit, der Dame in Leipzig den Weimarer Hof schmackhaft zu machen und so erscheint Corona Schröter im November 1776 in Weimar - also ein Jahr nach Goethe - und fand im Haus des einflussreichen Friedrich Justin Bertuch eine Bleibe. Bereits am 23. November gab sie ihr erstes Konzert am Weimarer Hof.


    Im März 1777 sang sie die Elmire in der Uraufführung des Singspiels »Erwin und Elmire« nach einem Text von Goethe in der Vertonung durch die kunstsinnige Herzogin Anna Amalie von Weimar.


    Corona Schröter war mit reichlich künstlerischer Erfahrung nach Weimar gekommen, denn sie hatte auf dem Höhepunkt ihrer stimmlichen Potenz mit ihrem Vater und den Geschwistern - Bruder Johann Samuel war Klaviervirtuose, Maria Henriette Sängerin - einige erfolgreiche Konzertreisen hinter sich gebracht, die sie sogar nach Holland und England führten, was aber auch die Stimme der noch jungen Frau strapaziert hatte. Manche Berichte sagen zwar, dass in Weimar ein nachlassender Stimmumfang feststellbar war, es ist sogar zu lesen, dass sie schon im Alter von zwanzig Jahren »fast ohne Singstimme« gewesen sei. Dieser Aussage stehen aber Überlieferungen entgegen, wonach sie noch 1782 bis 1784 zusammen mit ihrem Bruder Johann Samuel in Leipzig umjubelte Konzerte gab.


    Der Ruf nach Weimar war für Corona Schröter ein Glücksfall; bald war sie der vergötterte Mittelpunkt des Liebhabertheaters, immerhin war sie die einzige Berufskünstlerin dieser Theaterform. Nachdem 1774 der Opernsaal des Schlosses abgebrannt war, gründete Herzogin Anna Amalia ein Liebhabertheater, das einen Kreis adeliger und bürgerlicher Laien zusammenbrachte, die Stücke an verschiedenen Orten wie im Redoutenhaus oder an den Schloss- und Naturbühnen von Ettersburg und Tiefurt aufführten. Corona Schröter genoss den Vorteil, dass das Weimarer Orchester eher dünn besetzt war, was ihrer Singstimme zuträglich war.

    Da Corona Schröter auch Zugang zu der Tafelrunde von Herzogin Anna Amalia hatte, ergab sich für sie die Gelegenheit mit erstrangigen Künstlern und Gelehrten zu verkehren. Sie hätte jederzeit die Möglichkeit gehabt den Konzertsaal mit der Bühne zu tauschen, aber sie wies den Gedanken eine berufsmäßige Komödiantin zu werden weit von sich und wollte nie dem Bühnenvolk angehören, weil ihr durchaus bewusst war, dass eine erste Schauspielerin in der Regel auch die Rolle der Geliebten des Landesherren zu spielen hatte. In Weimar war es nun so, dass sowohl Goethe als auch der Herzog an der Vieltalentierten reges Interesse zeigten, weshalb es zu Unstimmigkeiten zwischen Carl August und Goethe kam. Zumindest Goethes Gefühle zu »Cronen«, wie er sie in seinem Tagebuch nannte, sind schriftlich überliefert: »Bis 10 Uhr bei Cronen, nicht geschlafen. Herzklopfen und fliegende Hitze« - ist hier am 6. Januar 1778 notiert.
    Eine genaue Auflistung all derer, die ihr gerne näher getreten wären, würde eine beachtliche Länge erreichen. Zur Abwehr von Männern brachte Corona ihre kaum von der Seite weichende Freundin Wilhelmine Probst in Stellung, die in der Literatur als optisch unvorteilhaft aussehende Person beschrieben wird, also als krasses Gegenstück zur Sängerin, die vom Herzog als »marmorschön und marmorkalt« bezeichnet wurde. Dietrich Fischer-Dieskau schreibt über das kontrastierende Paar:


    »Als Corona in Weimar eintraf, hatte sie mit vagen Eheversprechen eines sächsischen Grafen Erfahrung gesammelt, die bewirkten, dass sie fortan nur noch in Begleitung ihrer abstoßend dicken Gesellschafterin Minna Probst ausging. Stolz, kühl und abweisend blieb sie gegen die Annäherung aller, so auch gegen die Goethes, der sie um so mehr umgarnte, sie gleich mit kostbaren Geschenken empfing und mit einem teuren Kleid oder holländischen Taschentüchern bedachte.«


    Ihr schauspielerisches Talent brachte Corona Schröter zum Blühen, als sie an Goethes Seite, der den Orest gab, am 16. April 1779 bei der Prosafassung der »Iphigenie auf Tauris« in der Titelrolle auftrat. Dass Corona Schröter nicht nur Singen, Schauspielern und Malen konnte, sondern auch komponierte, beweist die Herausgabe selbst komponierter Lieder, schließlich stammt die erste Vertonung des »Erlkönig« von ihr. 1786 und 1794 gab sie Liedersammlungen nach Texten von Goethe, Klopstock, Matthisson, Schiller ... heraus.
    Als das Liebhabertheater in den 1780er Jahren aufgelöst wurde, zog sich Corona Schröter von der Bühne zurück und arbeitete als Kammersängerin.


    Als sich Goethe 1786 ohne Abschiedsverlautbarungen nach Ialien auf den Weg machte und erst zwei Jahre später nach Weimar zurückkehrte, konnte Corona auch ihre anderen Talente ausleben. Sie gab Unterricht in Gesang und Schauspiel, komponierte und malte. Sie schuf Selbstporträts in Pastell und Öl und widmete sich nach ihrem Abschied von der Bühne immerhin so intensiv der Malerei, dass sie mit ihren Werken 1787 in Weimar eine vielbeachtete Ausstellung bestücken konnte. Während Goethes Abwesenheit kam es auch zu weit mehr Kontakten mit Friedrich Hildebrand von Einsiedeln, als dies die Jahre vorher der Fall war.

    Man könnte heute viel mehr über das Leben dieser Frau wissen, aber ihre autobiografischen Aufzeichnungen, die sie Goethe 1778 übergab, sind verschollen und es gibt Vermutungen, dass der Meister dieses Dokument verschwinden ließ.


    Der Rest ihres Lebens wird meist so dargestellt, dass es heißt sie sei - der besseren Luft wegen - mit ihrer Gesellschafterin und Freundin Minna Probst nach Ilmenau übersiedelt, weil Corona Schröter an Tuberkulose erkrankt war, damals nannte man die weit verbreitete Krankheit »Auszehrung«. Man hatte zwar lange angenommen, dass die Sängerin ihre letzten Jahre in Ilmenau verbracht hatte, aber belegen lässt sich das nicht.

    Goethe setzte Corona Schröter 1782 mit einigen Zeilen in seiner Elegie »Auf Miedings Tod« ein kleines Denkmal und ließ Charlotte von Stein wissen: »Ich habe der Schrötern zu Ehren zwölf Verse drinnen.« Mieding war Goethes umtriebiger und einfallsreicher Bühnenbildner, dessen er dankbar gedachte und dies in einem mehrseitigen Text zum Ausdruck brachte. Dort heißt es:


    »Ihr kennt sie wohl; sie ists, die stets gefällt:

    Als eine Blume zeigt sie sich der Welt,

    Zum Muster wuchs das schöne Bild empor,

    Vollendet nun, sie ists und stellt sich vor.

    Es gönnten ihr die Musen jede Gunst.

    Und die Natur erschuf in ihr die Kunst.

    So häuft sie willig jeden Reiz auf sich,

    Und selbst dein Name ziert, Corona, dich.«


    Corona Schröters Grab ist seit 1802 so manches widerfahren. Es wird berichtet, dass die ursprünglich aufwendig gestaltete Grabplatte zerstört wurde, Gründe werden jedoch nicht genannt. Danach kam aber eine gusseiserne Abdeckung auf das Grab, wobei dem Gestalter der Fehler unterlief, dass bei der Inschrift »SCHRÖDER« anstatt »SCHRÖTER« zu lesen war. Weitere Unruhen um das Grab ergaben sich. als Corona Schröters Ruhestätte wegen einer Straßenerweiterung versetzt werden musste.

    Nach einem Diebstahl erhielt - es klingt unglaublich, wird aber von kompetenten Leuten so berichtet - das Grab wieder eine Abdeckung bei der die Schreibweise des Namens wiederum falsch war. Die im Bild zu sehende Grabplatte wurde anlässlich des 100. Geburtstags der Sängerin angefertigt.


    Praktischer Hinweis:

    Friedhof 98693 Ilmenau, Erfurter Straße. Als Orientierungspunkt kann die Friedhofskirche dienen; ein Parkplatz befindet sich gegenüber der Kirche auf der anderen Straßenseite.


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    Auch die in der Nähe des Grabes stehende Kirche ist ein Orientierungspunkt


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  • Heinz Marten - * 17. Januar 1908 Schleswig - † 26. November 1991 Viersen


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    Zum heutigen Geburtstag von Heinz Marten

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    Heinz Marten wurde fast ganz im Norden von Deutschland geboren, von Schleswig aus ist es nur eine halbe Autostunde bis zur dänischen Grenze. Den ersten Zugang zum Gesang bekam Heinz durch seine in einem Chor

    singenden Eltern; also sang auch Heinz - im Domchor, denn Schleswig hat einen wunderschönen Dom.


    Der Vater war Handwerker, Kunsttischler von Beruf. Wie viele Väter dieser Zeit, war auch Vater Marten der Ansicht, dass zuerst eine wirtschaftliche Lebensgrundlage geschaffen werden sollte, bevor man sich künstlerischem Tun zuwendet. Also verließ Heinz Marten die Schule mit dem Zeugnis der »Mittleren Reife« und trat in die Fußstapfen seines Vaters, er wurde Kunsttischler.


    Nachdem einige Fachleute festgestellt hatten, dass die Stimme des jungen Mannes ausbildungsfähig ist, ging er zum Studium nach Berlin, wo Marten bei so gestandenen Sängern wie Albert Fischer, dem Bassisten Hermann Schey und Oscar Rees eine fundierte Ausbildung erhielt.


    Zu Heinz Marten gibt es kaum schriftliche Veröffentlichungen oder Tondokumente. Der 2012 verstorbene Musikwissenschaftler Dr. Wilfried Brennecke hat aber einiges zusammengetragen, von dem man annehmen darf, dass die genannten Fakten stimmen.

    Demnach soll der Sänger nach seiner Solisten-Ausbildung erstmals an Weihnachten 1927 im Schleswiger Dom öffentlich aufgetreten sein und kurz danach im Dom auch in Händels »Messias« gesungen haben. 1929 wird ein erster Auftritt in Berlin vermeldet; ein Rundfunk-Archiv notiert: »Heinz Marten, dem man als Tenor zeitweilig bei Sendungen von Bach-Kantaten begegnete, singt sonst hauptsächlich am Reichssender Berlin.«

    1934 sang er unter dem Dirigat von Karl Straube erstmals den Evangelisten in der »Matthäuspassion« und trat dann auch häufig mit dem Thomanerchor auf.


    Für die Dauer von drei Jahren unterrichtete er an der Spandauer Kirchenmusikschule, konnte aber wegen seiner zahlreicher werdenden Konzertverpflichtungen diese Tätigkeit nicht weiter fortsetzen. Schließlich gab er 1937 in der altehrwürdigen Berliner Singakademie sein offizielles Debüt als Liedsänger, wie es heißt, soll ihn die Presse überschwänglich gefeiert haben und ein Jahr später wurde Marten mit dem Berliner Musikpreis bedacht. Durch die sich immer mehr zuspitzenden Kriegsereignisse wurden 1944 auch der preisgekrönte Sänger eingezogen.


    Nach Kriegsende, wo Marten wieder in seiner Heimatstadt lebte, nahm er zwar seine Konzerttätigkeit wieder auf, aber in diesen Jahren waren die Reisemöglichkeiten mitunter erheblich eingeschränkt und ins europäische Ausland um so mehr. Immerhin hatte Heinz Marten schon 1936 unter Herbert von Karajan in Brüssel gesungen, war in Wien und 1942 beim Maggio musicale Florenz.


    Nicht ganz kongruent sind die Texte von Wikipedia und dem Großen Sängerlexikon. Während das Lexikon schreibt: »Der namentlich als Bach-Interpret geschätzte Künstler betrat nur ein einziges Mal, und zwar 1953 in Bielefeld, die Bühne.« Dagegen steht bei Wikipedia - das den Text von Brennecke übernommen hat -, dass Marten 1952 in Bielefeld neunmal den Belmonte in Mozarts »Entführung aus dem Serail« sang und später in konzertanten Aufführungen Carl Orffs Monteverdi-Bearbeitung des »L´Órfeo«.

    Heinz Marten arbeitete mit vielen namhaften Dirigenten zusammen und es sind etwa an die 1800 Konzertauftritte gezählt worden; als Evangelist in Bachs »Matthäus-Passion« soll er 270 Mal gehört worden sein. Sein Schwerpunkt lag bei den kirchlichen Werken, aber er widmete sich auch dem Kunstlied, wo er zusammen mit seinen hauptsächlichen Pianisten Rolf Albes und Hans-Martin Theopold durchweg gute Kritiken erhielt, wie man heute noch nachlesen kann.


    Zusammen mit seinem Pianisten Hans Martin Theopold gestaltete Heinz Marten 1951 auch in Duisburg die Uraufführung der »Lieder eines Lumpen« des zeitgenössischen Komponisten Kurt Hessenberg.


    Eine Zeitungskritik von 1952 gibt einen kleinen Einblick in welcher Situation damals Liederabende durchgeführt wurden; da es vermutlich als Liedplatte nur »Die Schöne Müllerin«, die Heinz Marten mit Rolf Albes aufgenommen hat, gibt, kann dieser Beitrag den Liedersänger Marten vielleicht etwas näher bringen.


    Die Zeitung »Schwäbisches Tageblatt« druckte unter dem Autorennamen Weinreich am 1. Februar 1952 folgenden Konzertbericht:

    »Unbegreiflich, daß an einem Ort wie Tübingen, der dank des unermüdlichen Wirkens von Emil Kauffmann eine der ersten Pflegestätten Wolfscher Kunst gewesen war, in der Universitätsstadt, wo noch bis in die 30er Jahre Wolf-Abende Tradition waren, im Schwabenland, wo Lieder Wolfs wie die Schuberts zur gepflegten Hausmusik gehörten, heute offenbar dieser Meister nicht mehr ›zieht‹. Geht die Abneigung der Jugend gegen die »Neuromantik« soweit, daß sie den erst gar nicht kennen zu lernen versucht, den sie verdammt? Dabei steht er doch selbst in der modernismusfreundlichsten Fachliteratur unentthront in hohen Ehren!«


    Nach dieser kulturellen Situationsbeleuchtung der Universitätsstadt Tübingen im Jahr 1952, werden einige saaltechnische und schlechte akustische Bedingungen moniert, dann kommt der Rezensent auf die musikalische Bewertung des Abends zu sprechen:

    »Zum Glück haben Heinz Marten und Prof. Hans Martin Theopold - auch er kein Fremder für uns - die widrigen Umstände mit überlegenem Großmut hingenommen, haben Schönheit in verschwenderischer Fülle ausgestreut und ein an sich schon umfängliches Programm mit Zugaben über Zugaben bereichert. Man braucht es nur zu lesen, um zu erkennen, mit welch feinem Kunstverstand es aufgebaut war, nach musikalischen Affinitäten, nach Kongruenzen oder spannenden Kontrastwirkungen der Dichtertexte. Außer Eichendorffund den ›Liedern nach verschiedenen Dichtern‹ war jede der großen Werkeinheiten Hugo Wolfs repräsentativ vertreten, und zumeist mit nicht gerade den üblichsten Stücken. Gleich in den geistlichen Gesängen aus dem Spanischen Liederbuch zeigte sich die Gestaltungskraft der Interpreten auf bewundernswerter Höhe. Und welche Anforderungen sowohl technischer wie seelischer Art stellt die herbe Inbrunst dieser Lieder voll verzehrender Jesusminne, Ekstase und schlichter Frömmigkeit, dornenvoller Leidenswonne und betäubend duftender Blumenkränze, Lebensqual und Sehnsucht nach der unio mystica! So eindringlich erfaßt konnte man sie kaum in jenen Zeiten hören, als an Meistern des Konzertgesangs noch kein Mangel war. Als zweite Gruppe kamen die Italiener: Lauter kleine Kostbarkeiten. ›Denn auch kleine Dinge können uns entzücken‹, wie es im Eröffnungslied heißt: ein Motto fürs Ganze, in dem heitere, gelöste, liebesselige, farbenfrohe, humorgewürzte Anmut erblüht und selbst die Frömmigkeit Weltfreude atmet. Hier lacht die Sonne, in den Spanischen brennt sie. Auf den romanischen Teil folgte der deutsche mit (nur weltlichen) Mörikes und den nun wieder ganz im eigenen, unverwechselbaren Ton gehaltenen Goetheliedern. Hier standen neben feiner Kleinkunst und dem genialen ›Rattenfänger‹ der humorige ›Schäfer‹ und der ›Ganymed‹, der den Schubertschen zwar nirgends übertrifft, ihn aber in dem - freilich völlig anders aufgefaßten - visionär verklärenden Schlußteil erreicht.

    Soviel die Künstler der hingerissenen Hörerschaft auch zugaben, man hätte ihnen noch stundenlang lauschen mögen, so in jedem Betracht vollendet und beglückend war ihre Leistung. In dioskurenhafter Einstimmung wirkten Marten und Theopold zusammen, jeder höchste Ansprüche erfüllend und in einer solchen Geschlossenheit des musikalisch-seelischen Ausdrucks, daß Hugo Wolf zu der Größe Aufwuchs, die ihm, als dem Zweiten nach Schubert, gebührt. Herrlich!«

    Heinz Marten gab etwa bis 1962 öffentliche Konzerte, siedelte, nachdem er fünf Jahre in Bielefeld gewohnt hatte, nach Köln um, wo er ein Angebot der Musikhochschule annahm und ab 1957 als Professor einer eigenen Gesangsklasse bis 1973 wirkte. Auch nach seiner Pensionierung, als er ab 1976 seinen Wohnsitz in Viersen hatte, dachte er noch nicht an Ruhestand, sondern gab Privatunterricht und konnte sich noch 1984 begeistert über eine Aufführung der »Matthäus-Passion« wie folgt äußern:

    »In meiner Zeit als Konzertsänger durfte ich einige hundert Male in diesem grandiosen Werk mitwirken. Ich sage das nicht, um damit zu imponieren, sondern um darzulegen, dass ich Vergleichsmöglichkeiten hatte und habe. Und damit bin ich bereits am Kernpunkt meines Schreibens. Keine, wirklich keine der erlebten Aufführungen reicht an Ihre gestrige heran! Ihre geradezu aufregende Intensität, Ihr großes Können, Ihr Bach-Verständnis, Ihre künstlerische Überlegenheit und Überlegung, gleichzeitig dieses Ringen um die Dinge! Und – endlich mal wieder, und stets im Rahmen bleibend, ein Gefühl, das menschliche Gefühl für das erschütternde Geschehen! (Harnoncourt würde sich die Haare raufen – soll er!) Wie groß dieses Werk ist, Sie haben es gezeigt!


    Ich bin im Allgemeinen ein schlechter Zuhörer und fast alle Konzerte sind mir zu lang, aber diese 3 ½ Stunden vergingen wie in einer einzigen Spannung und werden noch lange nachwirken. Es war alles aus einem Guss. Möge der Himmel Sie noch lange mit dieser Schaffenskraft segnen!«


    Der Arzt und Psychotherapeut Dr. Wilhelm Rotthaus hatte in Köln auch Musik studiert und bei Heinz Marten private Gesangsstunden bekommen; die beiden waren bis Martens Tod befreundet. In einem Gespräch berichtet der Gesangsschüler, dass Marten einmal zu ihm sagte: »Wenn du singen willst, musst du dich vorne quasi mit Badehose hinstellen und sagen: Hier bin ich!«


    Praktischer Hinweis:

    41747 Viersen - Friedhof Löh, Feld 16

    Vom Parkplatz aus geht man den Weg rauf zur unteren Ebene der nicht zu übersehenden Friedhofshalle. Links neben der Halle führen Stufen zur oberen Ebene.


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    Der Friedhofseingang


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    Ganz in der Nähe dieser Friedhofshalle befindet sich das Grab


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    Eines der wenigen verfügbaren Tondokumente





  • Anna von Mildenburg - * 29. November 1872 Wien - † 27. Januar 1947 Wien


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    Zum heutigen Todestag von Anna Bahr Mildenburg

    Links am Grab steht ein Schildchen mit der Aufschrift Ehrengrab.


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    Ein fehlender Buchstabe und eine Zahl verändern hier Name und Lebensdaten
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    Hier stimmt alles

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    Der Fotograf schaut hier Richtung Ausgang


    Sie war eine große Sängerin in des Wortes doppelter Bedeutung; mit großer Stimme und übergroßer, stattlicher Figur. Annas Vater wird in der Literatur mal als Major, aber auch als Offizier tituliert, das hat musikgeschichtlich jedoch keine große Bedeutung. Die Familie lebte zunächst in Wien, verzog dann aber nach Klagenfurt und von da aus weiter nach Görz, in der Nähe von Triest. Annas musikalische Begabung soll schon recht früh aufgefallen sein; vom siebten Lebensjahr an erhielt sie zunächst Klavierunterricht, etwas später, noch in Klagenfurt, kam Gesang hinzu und in Görz, das sie eigentlich als ihre Heimat betrachtete, war Helene Rieckhoff-Pessiack ihre Gesangslehrerin. Die Familienchronik sagt, dass Annas Großvater mütterlicherseits ein international bekannter Sänger war; wie sie in ihrer Autobiografie darstellt, habe sie das so beeindruckt, dass in ihr der Wunsch erwachte Künstlerin zu werden. Die Gesangsübungen waren so weit gediehen, dass die 19-jährige Marie Anna Wilhelmine Elisabeth Bellschan von Mildenburg - so ihr vollständiger Name nach dem Taufregister - sich ein Vorsingen an der Wiener Hofoper zutraute. So wurde Anna von Mildenburg zur ersten Privatschülerin der berühmten Altistin Rosa Papier-Paumgartner, welche der jungen Schülerin auch zur Umgestaltung ihres Namens riet; bis zu ihrer Verheiratung 1909 trat sie im Folgenden mit dem Namen Anna von Mildenburg auf. Aber noch war es nicht so weit, noch musste geübt und gelernt werden, was ihr an der renommierten Opernschule des Konservatoriums der Gesellschaft der Musikfreunde ermöglicht wurde.


    Der gut ausgebildeten Sängerin eröffnete sich schon im ersten Studienjahr die Chance entweder in Leipzig oder Hamburg im Engagement die Opernbühne zu betreten. Zunächst sang sie dem Leipziger Operndirektor Max Staegemann vor, der sie engagierte. Aber die einflussreiche Rosa Papier-Paumgartner, also ihre Wiener Gesangslehrerin, konnte es einrichten, dass sie auch in Hamburg vorsingen konnte. Dort wirkte Bernhard Pollini - der seinen Namen italienisch modifiziert hatte und eigentlich Baruch Pohl hieß - als Operndirektor. Pollini war ein erfahrener Sänger und geradezu ein Genie, wenn es galt hervorragende Kräfte zu entdecken; er war in seiner Epoche einer der erfolgreichsten Theaterleiter. Mit feinem Gespür und Gehör hatte er bemerkt, welch ein Fang ihm da gelungen war, sie dem Leipziger Kollegen abzuluchsen war für den agilen Pollini dann kein Problem, so was hatte er drauf.

    Die Konditionen waren in Hamburg besser als in Leipzig, aber vielleicht auch nur scheinbar besser, weil Bernhard Pollini sein Opernpersonal nicht nur förderte und forderte, sondern eindeutig überforderte, was auch bei Gustav Mahler der Fall war, der am Gründonnerstag 1891 erstmals nach Hamburg gekommen war. Schon zum Ende der vollen ersten Spielzeit in Hamburg hatten sich die Verhältnisse so entwickelt, dass von einer guten Zusammenarbeit zwischen dem Dirigenten Mahler und Operndirektor Pollini keine Rede sein konnte; in einem privaten Brief schrieb Mahler damals: »Der Kerl ärgert mich so, dass ich nicht dafür stehen kann, dass ich ihm über kurz oder lang einen in der Nähe befindlichen Gegenstand von Holz oder Pappe an den Schädel schmeiße ...«

    In dieses reale Szenario trat nun die gerade mal 23 Jahre alte Nachwuchssängerin ein, die zu diesem Zeitpunkt noch über keine praktische Bühnenerfahrung verfügte. Und Pollini ließ da nichts anbrennen und kündigte die aus Wien kommende Dame als Sensation an, das wissen wir von Anna von Mildenburg selbst, die schrieb: »Pollini hatte mich zum Wundertier hinauf renommiert.«

    Die »Sensation« fand am 11. September 1895 statt; Fräulein Anna von Mildenburg hatte ihren ersten Hamburger Auftritt in »Die Walküre« von Richard Wagner. Da stand sie nun als Anfängerin mit den ersten Kräften des Hauses und machte ihre Sache recht gut, wie man in alten Presseberichten noch nachlesen kann - im »Hamburger Fremdenblatt« war zu lesen:


    »Frl. von Mildenburg verdient ein rückhaltloses Wort des Lobes, ja, man darf wohl sagen, der Bewunderung. Soll damit auch nicht gesagt sein, daß ihre Brünnhilde schon auf der Höhe einer vollkommenen Kunstleistung stand (dazu fehlt vor allem noch die Ruhe und Ausgeglichenheit in der Bewegung), so ist die Leistung in Anbetracht der ungeheuren Größe und Schwierigkeit der Aufgabe und der Anfängerschaft der jungen Künstlerin doch immerhin erstaunlich zu nennen ...«


    Das war also nicht nur ein Erfolg für die Debütantin, sondern auch ein Riesending für Pollini, der Morgenluft witterte und seinem Jungstar offerierte, praktisch das gesamte dramatische Fach am Hause zu singen; aus heutiger Sicht eine Unmöglichkeit, die natürlich auch damals der Stimme nicht zuträglich war. Aber man hatte in Hamburg auch insofern eine Notsituation, dass Katharina Klafsky, welche für diese Rollen bisher zuständig war, vertragsbrüchig wurde und sich zusammen mit ihrem dritten Ehegatten nach Amerika aufmachte, um dort das große Geld zu verdienen.


    Aus dieser Situation heraus ergab es sich dann, dass Fräulein von Mildenburg binnen weniger Monate neben der Brünnhilde auch die Leonore in »Fidelio«, die Elisabeth in »Tannhäuser« und die Senta in »Der fliegende Holländer« sang. Aber auch als Aida, Rezia in »Oberon« und als Gräfin in »Le nozze die Figaro« war sie gefordert.

    Es war also vorprogrammiert, dass dies alles, bei fast täglichen Auftritten, der Stimme Schaden zufügt. Somit war es nicht verwunderlich, dass die Kritik - erstaunlicherweise erst nach etwa einem Dutzend von Jahren - von einer verbrauchten Stimme sprach, sogar der Begriff »Stimmruine« ist überliefert.


    Von all dem war 1895 noch keine Rede. Es dauerte nicht lange, bis Anna von Mildenburgs Zusammenarbeit mit ihrem Dirigenten sich so intensiv gestaltete, dass diese Liebesbeziehung sowohl im Theater selbst als auch der theaterinteressierten Öffentlichkeit bekannt wurde. Unter Mahlers Anleitung war von dem anfangs noch etwas ungelenken Spiel bald nichts mehr zu sehen und die junge Frau entwickelte sich recht schnell zu einem Star.

    Der Anfang war nicht leicht, von der ersten Klavierprobe an hatte sie den Genauigkeitsfanatismus Mahlers kennenlernen müssen, was der Anfängerin ganz schön zusetzte, das waren spannungsgeladene Proben in Hamburg in deren Verlauf auch Tränen flossen, da waren Gefühle die vom Zorn des Meisters bis zu seinen Tröstungen reichten, aber im Nachhinein sah sie die künstlerische Zusammenarbeit als segensreich und äußerte dies nach Mahlers Tod so:


    »Daß Mahler mir in den ersten Jahren meiner Bühnenlaufbahn zur Seite war, ist mir für alle Zeit segensvoll geworden, und je mehr ich wuchs, je reifer ich wurde, desto stärker ward auch diese Erkenntnis in mir ...›Korrektheit ist die Seele einer Kunstleistung‹, sagte Mahler damals in der ersten Probe zu mir, und heute weiß ich, dass es ein Segensspruch für mein ganzes Leben war.«


    Gustav Mahler und Cosima Wagner prägten die Künstlerin Anna von Mildenburg in ganz besonderer Weise, wobei Mahler einiges tat, damit sie nach Bayreuth kam, er sich allerdings auch sicher sein konnte, dass sie alles hatte, was dort gebraucht wurde.

    Als es um Annas Vorsingen in Bayreuth geht, schreibt er ihr ermutigend: »Du trittst Deinen Weg gerüstet an wie selten Eine! « Das war wohl wahr, denn sie hatte in Hamburg eine Menge Rollen des dramatischen Fachs gesungen. So trat sie also 1897 zum ersten Male in Bayreuth als Kundry auf und studierte dann bei Cosima Wagner, die sie in die authentische Interpretation von Wagners Musikdramen einführte. Sie gab dieses Wissen später weiter - was nicht immer unumstritten war - und hatte schon zu Mahlers Zeiten in Hamburg die Position einer »Hilfsregisseurin« inne, denn bereits in der Spielzeit 1900/01 war ihr von Mahler ein Teil der szenischen Proben mit ihren Kolleginnen übertragen worden.


    Als Gustav Mahler Hamburg verließ und 1897 Operndirektor in Wien wurde, war abzusehen, dass sich auch Anna von Mildenburg wieder in Richtung ihrer alten Heimat orientieren würde, wobei jedoch zu bemerken ist, dass das private Verhältnis der beiden merklich abgekühlt war und Mahler dies in Wien nicht fortsetzen mochte; ab Ende August 1898 ist das bisher vertrauliche »Du« in den Briefen Mahlers an die Sängerin verschwunden. Die Nachwelt ist diesbezüglich recht gut informiert, weil Anna von Mildenburg alle an sie gerichteten Briefe, Postkarten und Telegramme so wie eigentlich belanglose Mitteilungen Mahlers sorgfältig aufgehoben hatte.


    Auf Mahlers Fürsprache wurde die Mildenburg zwar als Ensemblemitglied an die Wiener Hofoper verpflichtet, aber Mahler bestand auf entsprechendem Abstand, denn er schrieb ihr, dass, sollte sie an die Hofoper nach Wien kommen, es durchaus nötig wäre »dass wir dann unseren persönlichen Verkehr auf das Weitgehendste einschränken, um nicht uns Beiden das Leben wieder zur Pein zu gestalten«.

    Bereits im Dezember 1997 hatte Mildenburg ein Gastspiel in Wien gegeben; ab dem 1. Juni 1898 war sie für zunächst fünf Jahre an die Hofoper verpflichtet und schon im Juni 1901 konnte sie sich mit dem Titel »Kammersängerin« schmücken. Mit schon in Hamburg einstudierten Wagnerrollen wie Ortrud im »Lohengrin«, Venus im »Tannhäuser« und der Senta im »Fliegenden Holländer« und durch ein Rollenstudium bei Cosima Wagner in Bayreuth vorbereitet, sang sie bereits am 13. Februar 1900 - Richard Wagners Todestag gedenkend - ihre erste Isolde, mit der sie Operngeschichte schrieb; als herausragende Rolle sollte später noch die Klytämnestra in Strauss´ »Elektra« hinzukommen. Aber eine so außergewöhnlich strapazierte Stimme fordert auch ihren Tribut; nicht gerade selten musste sie an die Direktoren Mahler - und später Weingärtner - schreiben, dass sie erkältet ist, dennoch war sie eine europaweit gefeierte Diva, die 1905 und 1906 mit Gastspielen als Isolde in Prag und London so große Erfolge hatte, dass ihr auch die Metropolitan Opera in New York einen Gastspielvertrag anbot, wovon sie allerdings keinen Gebrauch machte. In den Jahren 1911 bis 1914 stand sie abermals als Kundry auf der Festspielbühne in Bayreuth.


    1909 hatte eine Zäsur im Leben der Sängerin stattgefunden; schon 1904 lernte sie den bekannten Schriftsteller, Literatur- und Theaterkritiker Hermann Bahr kennen, der um knapp zehn Jahre älter und verheiratet war. Fortan nannte sich die Sängerin Bahr Mildenburg und das Paar verließ 1912 Wien und wohnte bis 1922 auf Schloss Arenberg bei Salzburg. Anna Bahr Mildenburg gastierte weiterhin in großen Rollen an bedeutenden Häusern und keineswegs nur in Wagner-Rollen - auch als Leonore »Fidelio«, Donna Anna »Don Giovanni«, Rezia »Oberon«, um Beispiele zu nennen.

    Eine für sie ganz ungewöhnliche, aber lebensnahe Rolle spielte sie im Laufe des Ersten Weltkrieges, wo sie freiwillig im Hospital als Krankenschwester aushalf, wenn sie teilweise keine Theaterverpflichtungen hatte.


    Durch die lange Zusammenarbeit mit Cosima Wagner hatte sie Wagners Ideal des »deutschen Belcanto« verinnerlicht und lehrte mit der damals völlig neuen Methode der dramatischen Bühnendarstellung, die sie mit der Gesangstechnik verband. Allerdings werden ihre mitunter dogmatisch anmutenden Regieanweisungen auch kritisch betrachtet, weil sie glaubte auch noch die kleinste Regung minutiös festlegen zu müssen, womit den Bühnendarstellern kaum Gelegenheit gegeben wurde noch eigene Nuancen einzubringen.

    Ab Februar 1920 war sie an der Akademie für Tonkunst, der späteren Musikhochschule, in München als Lehrerin für Darstellung tätig und ein gutes Jahr später dann als ordentliche Professorin. Diese Tätigkeit übte sie bis zu ihrer Pensionierung im Jahr 1937 aus. In diese Zeitspanne fallen jedoch noch andere Tätigkeiten. So war sie beispielsweise auch Spielleiterin an der Münchner Staatsoper.

    Als hier 1922 Hans Knappertsbusch als Nachfolger von Bruno Walter erschien, hatten die beiden offensichtlich unterschiedliche Auffassungen, denn sie schrieb an Knappertsbusch: »... für Aufführungen, die ich vor meinem künstlerischen Gewissen nicht verantworten kann, will ich auf gar keinen Fall meinen Namen hergeben«.

    Sie hatte schon 1920 an den Berliner Kammerspielen »Der Unmensch«, ein Stück ihres Gatten, in Szene gesetzt und auch schon viel früher intensiv mit Cosima Wagner an szenischen Problemen gefeilt; da war durchaus auch ein Selbstbewusstsein jenseits ihres Stimmeneinsatzes als Sängerin gewachsen. Ohne Singstimme ging es auch bei Hofmannsthals Schauspiel »Das Salzburger große Welttheater« bei den Salzburger Festspielen 1922, wo sie von Max Reinhardt eingeladen war, um die »Welt« darzustellen.

    Aber auch große Sängerkarrieren gehen einmal zu Ende; mit ihrer Paraderolle der Klytämnestra nahm sie bei den Augsburger Opernfestspielen 1931 ihren offiziellen Abschied von der Opernbühne.

    Von beruflichem Rückzug war bei dieser so vielseitige Interessen verfolgenden Frau keine Rede; sie befasste sich intensiv mit Regiearbeiten, arbeitete als Gesangslehrerin, war Feuilletonistin, Schriftstellerin und einiges mehr ... Als Hermann Bahr 1934 starb, investierte sie als Witwe sehr viel Zeit und Kraft in die Ordnung des Nachlasses.


    Anna Bahr Mildenburg gehörte zu dem Personenkreis, der unter zwei Weltkriegen zu leiden hatte; auch bekam sie es noch ganz offiziell mit dem neuen Reich zu tun, denn sie arbeitete 1943 und 1944 als Dozentin an der Reichshochschule Mozarteum in Salzburg; 1939 hatte man dem Konservatorium einen neuen Namen gegeben. Auch sie, die ihre Meriten noch zu Zeiten der Hofopern erwarb, hatte mit den Neuen, die ans Ruder gekommen waren, zu tun. So wurde ihr anlässlich ihres 70. Geburtstages die »großdeutsche Goethe-Medaille für Kunst und Wissenschaft« verliehen. Nach ihrem runden Geburtstag siedelte sie von München, wo sie in Nymphenburg wohnte, nach Wien um.


    Einerseits wurde sie im »Stürmer« wegen ihrer Verbindung mit dem Juden Mahler und anderer Dinge angegriffen, andererseits gab sie Bekenntnisse zum »Führer« ab, es ist nicht so einfach ein langes Leben mit all seinen gesellschaftlichen Imponderabilien weitgehend in der Öffentlichkeit absolut fehlerfrei zu verbringen; unterm Strich steht bei Anna Bahr Mildenburg eine übergroße künstlerische Lebensleistung. Gewiss war Gustav Mahler ihr prominentester und auch ein durchaus sachverständiger Zuhörer, aber auch viele andere erstrangige Musikkenner bestätigten ihre herausragenden Leistungen. Nur ein einziges Tondokument ist heute noch hörbar, es ist das Rezitativ der Arie »Ozean du Ungeheuer« aus Carl Maria von Webers Oper »Oberon«; die Aufnahme stammt von 1904!


    Am 27. Januar 1947 ist sie einfach nicht mehr erwacht, der Tod hatte sie in ihrer Wohnung im Schlaf überrascht, sie wohnte in der Gumpendorfer Straße 25, das ist im sechsten Wiener Gemeindebezirk, gerade mal 700 Meter vom Sterbehaus Schuberts entfernt, und sie starb an Mozarts Geburtstag.


    Die Trauerfeier und Aufbahrung fand im unzerstörten Teil der Wiener Staatsoper statt; dann trat sie ihre letzte Reise nach Salzburg an, wo sie neben ihrem Mann auf dem Kommunalfriedhof beigesetzt wurde.


    Praktischer Hinweis:

    5020 Salzburg, Haupteingang Gneiser Straße 10. Vom Haupteingang aus wendet man sich etwa 80 Meter nach rechts und biegt beim Schild »Gruppe 19« nach links ab und kommt dann nach etwa 200 Metern zum Grab, links des Weges (an einer Wegkreuzung gelegen). Das Grab befindet sich im Gräberfeld 22.


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    Das Gebäude der Friedhofsverwaltung

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    Im Bereich dieser Gebäude befindet sich der Friedhofseingang















  • André-Ernest-Modeste Grétry - *8. Februar 1741 Lüttich - † 24. September 1813 Montmorency bei Paris


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    Eine historische Grafik von Grétrys Grab


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    So sieht es der Besucher des Friedhofs heute

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    André hatte noch fünf Geschwister und er war das zweite Kind in der Familie. Sein Vater François soll in der Lütticher Stiftskirche die erste Geige gespielt haben und unterrichtete auch. So ergab es sich, dass François Grétry eine seiner Schülerinnen, die aus besseren Kreisen stammte, geheiratet hat. Unter diesem Hintergrund ist es auch nicht verwunderlich, dass André schon sehr früh mit Musik in Berührung kam und schließlich auch 1750 in Saint-Denis Chorknabe wurde. Eine rundum schöne Zeit war das für den Knaben nicht, wie er später n seinen Memoiren berichtete, waren Misshandlungen durch den amtierenden Chorleiter in den ersten drei Jahren an der Tagesordnung, danach hatte André einen humaneren Lehrer. In der Kirche trat er als Gesangssolist auf; mit dem unvermeidlichen Stimmwechsel setzte er seine Studien mit der Geige fort. Schon recht früh scheint der junge Grétry mit dem Komponieren begonnen zu haben. Sein Vater sorgte dafür, dass sich der Sohn an verschiedenen Instrumenten ausbilden ließ. Durch eine italienische Theatergroppe kam er in Berührung mit italienischen Werken von Giovanni Battista Pergolesi, Baldassare Galuppi und anderen.

    Nachdem er eine Motette, eine Messe und andere Stücke komponiert hatte, erhielt er ein Stipendium, damit er seine musikalischen Kenntnisse in Rom perfektionieren konnte; 1760, noch keine zwanzig Jahre alt, trat er seine Reise nach Rom zu Fuß an.


    Dort lief es für ihn zunächst nicht so gut, weil er erkrankte und von seinem ersten Lehrer, einem Organisten, war er auch enttäuscht; aber wechselte dann zum Kapellmeister der Lateranbasilika; das war Giovanni Battista Casali, der dort mehr als drei Jahrzehnte wirkte. Bei Casali musste er zwar praktisch wieder von ganz vorne anfangen, aber Grétry hatte keine Mühe diesen Lehrer zu akzeptieren. Casali beschäftigte ihn bloß mit Fugen von zwei, drei bis vier Stimmen und verbot ihm jede minder ernsthafte Komposition.

    »Ich sehe wohl«, sagte er, »Sie haben Ideen, die Sie quälen, und Sie brennen vor Begierde, sie auszuführen: aber, wenn Ihnen unglücklicher Weise eine Szene gerät, so wird man Ihnen Beifall zuklatschen, und Sie werden nie wieder zu den langweiligen Fugen zurückkehren«.

    Zwei Jahre blieb er bei Casali, der den Fugen die Motetten folgen ließ und ihn schließlich dann ermahnte, dass er nun für sich arbeiten solle. Einige Jahre später wurde er in die Akademie der Philharmoniker in Bologna aufgenommen.

    Die Eltern wollten André wieder zurück haben, aber dieser hatte einen Engländer kennengelernt, der mit einem Flötenmeister unterwegs war und Grétry animierte mit nach Genf zu reisen - immerhin war das zumindest die Richtung zur Heimat. André hatte vor in Genf seine Kasse etwas aufzubessern. Am 1. Januar 1767 verließ er Rom und bekam dann in Genf sehr viele Schülerinnen, die im Gesang ausgebildet sein wollten. In Genf erlebte er auch seine erste Opernaufführung in französischer Sprache.

    Er selbst hatte dann nach einigem Suchen mit »Le Huron« eine Oper geschaffen, die mit großem Erfolg am 20. August 1768 in Paris erstmals aufgeführt wurde. Auch das Stück »Oú peut on être mieux qu´au sein de sa famille«, das am 5. Januar 1769 an der Comédie Italienne in Paris aufgeführt wurde, förderte die Popularität des aufstrebenden Komponisten und wurde Jahrzehnte später so eine Art Ersatzhymne der Franzosen. Auch »Richard Cœur de Lion«, eine Opéra-Comique, die ihre UA 1784 in Paris erlebte, war ein mächtig Furore machendes Werk, bei dessen spektakulären Aufführungen schon mal 14 lebende Pferde auf der Bühne standen.


    André-Ernest-Modeste Grétry war ein so produktiver Komponist, dass es in diesem Rahmen nur möglich ist sporadisch etwas auszustreuen. Dieser in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wichtigste französische Komponist schuf etwa 70 Bühnenwerke und es kamen eine Menge Kompositionen aus anderen Genres hinzu.


    Es ist nicht gut für den Menschen, dass er alleine sei ... so steht es geschrieben, in den 1770er Jahren verliebte sich Grétry in Jeanette Grandon aus Lyon; der Start in die Ehe verlief etwas holprig, denn die Braut musste erst die Zustimmung ihrer Mutter abwarten, welche erst 1771 erfolgte. Dem Paar wurden drei Töchter geboren, von denen jedoch keine das zwanzigste Lebensjahr erreichen sollte. Aber 1771 hatte Grétry mit seinem Comédie-Ballet »Zémire et Azor« einen außergewöhnlich großen Erfolg, das knapp zweistündige Werk brachte ihm nicht nur Anerkennung ein, Ludwig der XV spendierte dem Komponisten eine Pension von 1200 Livres nebst einer Gratifikation von 1000 Livres. Der Nachruhm war auch gesichert, denn 1820 wurde die Königliche Oper der Wallonie in Lüttich mit diesem Stück eröffnet.

    Zum Hof hatte Grétry beste Kontakte - Marie-Antoinette nahm bei Grétry Musikunterricht, sie gilt ja immer noch in Musikerkreisen als hervorragende Harfenistin.

    Die Zeit der großen Revolution brachte natürlich auch gewaltige Veränderungen für den Komponisten und seine Familie; die Geldquellen bei Hofe waren versiegt. Das führte dazu, dass der Komponist sein Klavier und den Schmuck der Gattin verkaufen musste; Ehefrau Jeanette, die eine begabte Malerin war, trug durch das Malen von Bildern zum Lebensunterhalt bei. Die Sommer 1789 und 1790 verbrachten sie - weit ab vom ereignisreichen Paris - in Lyon, der Heimatstadt der Frau. 1795 wurde Grétry zum Inspektor des Konservatoriums ernannt und übernimmt auch am Institut de France die Abteilung Musik.


    André-Ernest-Modeste Grétry war ein Bewunderer Rousseaus, aber die in Grétys »Mémoires, ou essai sur la musique« recht blumig geschilderte Begegnung in Genf wird von Rousseau-Spezialisten in dieser Darstellung nicht akzeptiert. Unbestreitbare Tatsache ist jedoch, dass Grétry 1798 für 10.000 Livres die Eremitage - eine Einsiedelei - von Montmorency erwarb, wo der Philosoph einige Jahrzehnte zuvor gewohnt hatte; nun verbrachte der Komponist seine Sommermonate dort. In diesem Domizil entstanden seine letzten Bühnenwerke.

    In Meyers Konversationslexikon (Auflage 1885-1892) steht:

    »Gretrys meist für die Opéra-Comique geschriebenen Kompositionen zeichnen sich durch Wahrheit des musikalischen Ausdrucks und Melodienreichtum vorteilhaft aus und haben auf die Bildung des musikalischen Geschmacks großen Einfluss geübt«


    Seine Schülerin Sophie de Bawr beschrieb ihren Lehrer als träumerischen Menschen mit Takt- und Feingefühl und berichtet, dass breiteste Bevölkerungsschichten Gérys Arien auswendig kannten, wie sie meinte, »vom Marschall bis zum Lumpensammler«.


    Als Grétry in seiner Eremitage stirbt, ist das für Paris ein Großereignis. Wie überliefert ist, soll sich halb Paris an den Beisetzungsfeierlichkeiten beteiligt haben, der musikalische Aufwand war beträchtlich - vor dem Théâtre Feydeau (das heute nicht mehr steht) ließen versteckte Bläser das Terzett Ah! laissez-moi, laissez-moi, la pleurer aus »Zémire et Azor« erklingen. Die Trauerrede hielt der um 22 Jahre jüngere Etienne-Nicolas Méhul, der André-Ernest-Modeste Grétry einen »Moliére der Comédie lyrique« nannte.

    So hatte man also den allseits geachteten und betrauerten André-Ernest-Modeste Grétry auf dem Le Cimetiére du Pére Lachaise zur vermeintlich letzten Ruhe gebracht.


    Wie trügerisch diese Ruhe war, findet man in der Zeitschrift »Bohemia«, einem Unterhaltungsblatt für gebildete Stände - Verlag und Redaktion waren in Prag ansässig - wo in Nro. 21. vom 18. Februar 1831 unter der Überschrift »Gretrys Herz« folgendes zu lesen ist:


    »Die Versiegelung eines todten Herzens dürfte bei uns von Gerichtspersonen selten vorgenommen worden seyn. Ein Deutscher hat in der neuesten Zeit einer solchen Versiegelung in Frankreich beigewohnt. Die Eremitage in der Nähe von Paris, früher von Rousseau bewohnt, kam später in den Besitz des berühmten Tondichters Gretry. Er lebte viele Jahre und starb daselbst. Im Garten liegt sein Herz unter einer gestutzten Marmorsäule begraben, die seine Büste trägt, und die Inschrift:

    Grétry ton génie est partout, mais ton coeur n´est qu´ici.

    Am 17. Mai 1822 kamen abends drei Gerichtspersonen aus Paris, und veranstalteten die Versiegelung der Marmorsäule. Es war der letzte Akt eines Prozesses, dessen Kosten sich auf 10,000 Franken belaufen sollten. Gretry starb am 24. September 1813 in der Eremitage, und wurde, seiner testamentarischen Verfügung gemäß, in Paris auf dem Kirchhofe des Pére Lachaise begraben. Vor dessen Beerdigung machte Herr Flammand , der Gemahl einer Nichte Gretry´s, als Familienoberhaupt und Mann von Gefühl, den Antrag, man sollte das Herz des Verstorbenen herausnehmen und einbalsamieren; aber einige Glieder der Familie widersetzten sich dem. Die Leiche wurde in ein vorläufiges Grab gesenkt, bis das Gewölbe, das sie aufnehmen sollte, fertig seyn werde. Nach zwei Monaten, als dieses Gewölbe fertig war, wurde Gretry´s Leiche wieder ausgegraben. Diesen Umstand benützte Herr Flammand, und ließ das Herz in Geheim, damit es die übrigen Glieder der Familie nicht erfahren, jedoch mit höherer Bewilligung, herausnehmen, einbalsamieren, und in eine zinnerne Büchse legen, die er in Verwahrung nahm.

    Darauf schrieb er der Stadt Lüttich, wo Gretry geboren war, dieser habe bei seinem Leben den Wunsch geäußert, dass sein Herz in seinem Geburtsorte ruhen möchte, und dieses Wunsches gedenkend, sey er bereit, das Herz auszuliefern. Der Maire jener Stadt schrieb zurück: Er nehme das Geschenk an, und man solle es mit dem nächsten Postwagen schicken.

    Eingetretene Umstände änderten indessen den Entschluss des Herrn Flammand. Erstens hatte er unterdessen die Eremitage an sich gekauft, wozu früher keine Hoffnung war, dort war also der angemessene Platzfür Gretry´s Herz. Zweitens war Lüttich von Frankreich abgerissen worden, und an das Königreich der Niederlande gekommen. Er ließ also im Garten der Eremitage ein Denkmal setzen. worunter das Herz gelegt werden sollte. Ehe dies ausgeführt werden konnte, kamen die verbündeten Heere zum zweiten Male nach Paris, und breiteten sich in der Umgegend aus. Herr Flammand flüchtete sich und sein Herz vom flachen, offenen Lande in die sichere Stadt. Da wurde ihm nach einiger Zeit gemeldet, die deutschen Truppen, die in der Gegend von Montmorenccy lagerten, hätten die Eremitage, aus Ehrfurcht vor dem Genius zwei großer Männer, mit Schonung behandelt, und gegen jede Zerstörung bewacht und geschützt. Er eilte froh mit seinem Herzen hinaus, und dieses wurde endlich am 15. Juli 1816 in der Eremitage beigesetzt.

    Die Stadt Lüttich schien ihre alten Ansprüche aufgegeben zu haben, und ließ sich mehrere Jahre nicht weiter vernehmen. Erst im Jahre 1820 brachte sie die Sache wieder in Anregung, unf forderte von H. Flammand das Herz. Dieser beantwortete den Brief nicht. Darauf verklagte die Stadt Lüttich den Herrn Flammand bei den französischen Gerichten, und verlor den Prozeß in der ersten Instanz. Sie appellirte und gewann ihn definitiv. Zwar hat sich Herr Flammand an das Cassations-Gericht gewendet, doch es erfolgte kein verändertes Urtheil. Glücklich Diejenigen, deren Herz erst nach dem Tode beunruhigt wird, gleich dem des guten Gretry! Dieses hatte vor zehn Jahren aufgehört zu schlagen; zwei Monate lag es in Paris begraben, in seinem Körper, dann wurde der Körper, und ihm das Herz herausgezogen; dann machte es einige Jahre oft den Weg von Paris nach Montmorenccy und zurück, und dann, nachdem es sieben Jahre in der Eremitage gelegen, musste es seine Ruhestätte verlassen, um nach den Niederlanden zu wandern.«


    Praktische Hinweise:

    Das Grabmal von André-Ernest-Modeste Grétry befindet sich auf dem Pariser Friedhof Cimetière du Père-Lachaise / Division 14. Man geht vom Haupteingang etwa 100 Meter auf der Avenue Principale eine kurze Strecke geradeaus, biegt dann rechts in die Avenue du Puits ab, um von dort etwas der aufsteigenden Avenue Casimir Périer zu folgen, die Gesamtstrecke vom Eingang bie zum Gräberfeld 14 beträgt etwa 300 Meter.

  • Wilhelm Rode - *17. Februar 1887 Hannover - † 2. September 1959 München


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    Erst beim genauen Hinsehen nimmt man die Plastik mit Inschrift wahr.

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    Wilhelm Rode kam - wie so viele seiner Kollegen dieser Zeit (Karl Erb, Heinrich Schlusnus, Heinrich Rehkemper, Franz Völker ... ) aus einem »normalen« Beruf heraus zum professionellen Singen zur Bühne. Rode war Versicherungsangestellter und saß im Büro der Deutschen Militär-Versicherungsanstalt in Hannover. Offenbar hatte sich sein sängerisches Talent auf Büroebene herumgesprochen, denn wenn bei den Herren Direktoren Festlichkeiten ins Haus standen, wurde er schon mal aufgefordert seine außergewöhnliche Stimme hören zu lassen.

    Der heiße Tipp kam von Rodes Chef, welcher dezidiert der Ansicht war, dass diese Stimme ausgebildet werden sollte. Nach eigenen Angaben Rodes meldete er bei seinem Direktor jedoch Bedenken dergestalt an, dass er deswegen erst seine Mutter fragen müsse, aber Rodes Chef gab forsch zu verstehen, dass man da nicht erst seine Eltern fragt.


    Eines Tages putzte sich Wilhelm Rode fein heraus, um den am Opernhaus Hannover beliebten Kammersänger Rudolf Moest, der in einem Vorort wohnte, zu besuchen. Nachdem Moest von dem jungen Mann »Wer ein Liebchen hat gefunden ...« gehört hatte, erklärte er: »Sie sind kein Bassist, sondern ein Bariton! Ich bin im Übrigen bereit, Ihnen Unterricht zu geben«. Nach drei Jahren war Rode dann zur Bühnenreife gelangt und hatte 1909 n Erfurt sein Debüt als Heerrufer in »Lohengrin«. Seine nächste Station war Bremerhaven, von wo aus er 1914 ans Opernhaus Breslau wechselte und dort bis 1921 auf der Bühne stand. Er war auch als Gast-Sänger gefragt, denn bereits 1928 sang er an der Covent Garden Oper London den Wotan. 1929-1932 ist seine Mitwirkung bei den Salzburger Festspielen dokumentiert, wo er Auftritte als Pizarro in »Fidelio« und als Graf in »Figaros Hochzeit« hatte. Der 1930 gestorbene Komponist und Sohn Richard Wagners, Siegfried Wagner, hielt Wilhelm Rode für den besten Bariton seiner Zeit. Aber Siegfried Wagner konnte ihn nicht nach Bayreuth verpflichten, weil hier das Bayreuther Hausgesetz beachtet werden musste,

    wonach ein Sänger, der an den Münchner Opernfestspielen mitwirkt, nicht nach Bayreuth verpflichtet werden kann.


    Aber Rode trat schon relativ früh, da war er 39 Jahre alt, an der Wiener Staatsoper auf; erstmals stand er dort zusammen mit dem berühmten Richard Mayr in »Der fliegende Holländer« auf der Bühne, Mayer als Daland, Rode gab den Holländer; das war Rodes Wiener Debüt am 10. November 1926, danach folgten in dieser Rolle noch zehn Auftritte an der WSO.

    Insgesamt stand Wilhelm Rode 92 Mal in 14 Rollen auf den Brettern der Wiener Staatsoper; am häufigsten als Simone Boccanegra, nämlich 18 Mal, aber als Rigoletto nur ein Mal. Auch bei seinem letzten Auftritt hier - am Freitag, 6. Januar 1939 - stand Rode nochmals als Holländer auf der Bühne, diesmal zusammen mit Josef von Manowarda, der den Daland gab.


    Bis dahin war das ein beeindruckender Karriereverlauf; wenn ich dann in einem Klassik-Forum bezüglich dieser Person lese: »Wenn ein Künstler aber praktisch bedeutungslos ist und es nur durch seine NS-Nähe zu einer kleinen, wenngleich wenig liebenswürdigen Privatkarriere brachte ...«, dann möchte ich nachfragen dürfen, ab wann die Bedeutung eines Künstlers beginnt; nach meinen Vorstellungen war Wilhelm Rode alles Mögliche, aber ein bedeutungsloser Künstler war er nicht.


    Ganz anders verhält es sich allerdings mit dem letzten Satzteil »wenig liebenswürdigen Privatkarriere«, das lässt sich sogar noch dahingehend erweitern, dass diese Karriere nicht nur wenig liebenswürdig, sondern auch fachlich erfolglos war.

    Rode war 1933 einer damals sehr beliebten Partei beigetreten, was nach Lage der Dinge als karrierefördernd gelten kann, wobei zu bemerken ist, dass die wesentlichen großen Bühnenerfolge des Sängers deutlich vor 1933 lagen. Wollte man jedoch eine administrative Spitzenposition anstreben, konnte so ein Parteibuch als hilfreiches Accessoire angesehen werden. Eine solche Spitzenposition war die Leitung der Städtischen Oper Berlin, wo Rode schon seit 1926 als Heldenbariton auf der Bühne stand und nun Chancen hatte hier Chef zu werden. Aus dieser Zeit ist ein Schriftstück folgenden Inhalts erhalten geblieben:


    »Es ist uns Vertretern des Personals der Städtischen Oper ein Herzensbedürfnis, auf diesem Wege zu erklären, dass wir es freudig begrüßen würden, wenn zu diesem Amte Kammersänger Wilhelm Rode berufen würde, der uns allen als berufsernster Vertreter echter deutscher Kunst bekannt ist, dem wir unbedingte Führerqualitäten zuerkennen und hinter dem sich das gesamte Personal zu begeisterter Mitarbeit am Theater des neuen Deutschland sammeln würde. Wir brauchen zum Aufbau unseres Theaters einen Mann in der Vollkraft seines Lebens, einen deutschen Künstler, der gleicherweise künstlerisch wie in seiner rein deutschen Gesinnung an allererster Stelle steht; einen Opernfachmann, der in der schwierigen Materie der Oper von Kindheit an zu Hause ist; einen Mann mit starker und eigenwilliger Persönlichkeit, der imstande ist, durch seinen eisernen Willen der gesamten Arbeit des Hauses ein Gesicht, und zwar das Gesicht unserer Zeit zu geben und somit ein Vorkämpfer des Nationalsozialismus auf dem sehr wichtigen Gebiete der Kunst zu sein«.


    Nachdem Max von Schillings 1933 gestorben war, konnte Rode hier dann ab 1934 als Künstler-Intendant im größten Berliner Opernhaus wirken, denn er hatte Hans Pfitzner, der sich ebenfalls Hoffnungen gemacht hatte - dank besserer Beziehungen nach oben - ausgestochen. Rode stand auch in dieser Zeit immer noch auch als Sänger auf der Bühne, was übrigens in einem Streifen der Deutschen Wochenschau festgehalten wurde, die Hans Sachs mit großem Pathos und erhobener Rechten gestikulierend zeigt.


    Im November 1935 verfügte das Haus - nun als DEUTSCHES OPERNHAUS firmierend - nach einem Umbau, bei welchen auch eine Führerloge integriert werden konnte, über mehr als 2000 Plätze; der oberste Chef war Joseph Goebbels, sein Gegenspeiler war Hermann Göring, der für die Staatsoper zuständig war. Die Minister wollten ihrem »Führer« nur das Beste bieten, die Rivalität der beiden Häuser war enorm!

    Politisch hatte Goebbels am Intendanten nichts auszusetzen, aber an Rodes Haus war einiges an künstlerischer Qualität zu bemängeln, weil dort Leute zur Bühne drängten, die da eigentlich nicht hingehörten; Vetternwirtschaft gehörte zum Tagesgeschäft an der Bismarckstraße. Dem Propagandaminister war »seine« Oper wichtig, da kümmerte er sich höchstselbst drum; in seinem Tagebuch findet sich der Eintrag: »Nun fahre ich aber dazwischen«! 1938 heißt es:»Gegen Rode im Deutschen Opernhaus werden schwere Vorwürfe erhoben. Aber das sind alles alte Sachen. Ich werde sie nochmals nachprüfen lassen, dann aber auch Rode unter meinen Schutz stellen. Sonst kann er sein Haus nicht mehr leiten«.

    Der singende Intendant leitete zwar das Haus dann noch fünf Jahre, bekam jedoch mitten im Zweiten Weltkrieg, im Sommer1943, den sehr erfolgreichen Hamburger Dirigenten Hans Schmidt-Isserstedt zur Seite gestellt, irgendwo wurde das Verhältnis der beiden mit »Eiseskühle« beschrieben. Etwas später hatte es sich hier ohnehin ausgefiedelt, weil das Haus in der Nacht vom 22. auf den 23. November 1943 zerbombt wurde. Man spielte danach zwar noch im Admiralspalast weiter, aber bald darauf fiel der Vorhang an allen deutschen Theatern.

    Nachschlagewerke erwähnen, dass Wilhelm Rode 1949 bis 1951 noch am Stadttheater in Regensburg in einigen seiner Glanzrollen Gastspiele gab, danach verliert sich seine Spur ...


    Ein Zufall führte mich an sein Grab. Im Speckgürtel von München lebten viele Künstler und starben dann auch dort, zum Beispiel in neuerer Zeit Hermann Prey in Krailling oder Josef Metternich in Feldafing; da macht man dann als Alpenfreund auf der Fahrt nach Garmisch-Partenkirchen schon mal einen Grabbesuch. Dieses Mal wollte ich Kammersängerin Luise Willer auf dem Friedhof in Icking, einer kleinen Gemeinde von knapp 4.000 Einwohnen, etwa 30 Kilometer von München entfernt, besuchen (siehe Beitrag 460 auf Seite 16). Anhand der Einwohnerzahl kann man sich vorstellen, dass der Friedhof überschaubar ist ...

    Bei meinem kleinen Rundgang auf dem Areal war das Erstaunen dann groß, hier noch einen zweiten Kammersänger und Opernintendanten zu finden, der Name war mir bis dahin noch nicht begegnet; ganz anders sah es an der nächsten Ecke aus,
    da ruht Gert Fröbe.


    Praktischer Hinweis:

    Waldfriedhof Waldhauser Straße

    82057 Icking


















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