Was macht ein Dirigat "spannend?"

  • Um diese Frage zu bentworten, sollte man sich vorerst die Frage stellen, ob es überhaupt ein vorzugsweises Ziel der "klassischen Musik" sein, "spannend " zu sein.
    Diese Frage haben wir uns jedoch schon in diesem Thread gestellt:


    Muß klassische Musik "spannend" sein ??


    Eine endgültige Antwort auf diese Frage kann es naturgemäß nicht geben, gehen wir aber mal davon aus, jemand hätte die Frage für sich mit "JA" beantwortet.


    Dann kommen wir wieder zurück zur Ausgangsfrage unseres Threads - wobei wir wieder davon ausgehen können, daß nicht jeder Dirigent mit diesem "JA" einverstanden ist.
    Wir splitten also erneut und kümmern uns lediglich um jene Dirigenten, die eine spannende Lesart jener Werke abliefern möchten, von denen sie meinen, daß sie hiefür geeignet seien........


    Welches sind aber nun die Parameter, die beim Zuhörer "Spannung" erzeugen ?
    Viele Dirgenten, aber auch Hörer, und vor allem Musikkritiker meinen, "Spannung" habe in erster Linie etwas mit Geschwindigkeit zu tun - eine Ansicht, der ich mich nicht anschließen kann und will...


    Es ließe sich anhand etlicher Klangbeispiele belegen, daß dies mit Sicherheit nicht funktioniert.
    Aber was ist es dann ?
    Wahrscheinlich weiß jemand von Euch mehr...


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Alfred,


    mit deiner Frage reissen wir noch ein weiteres Thema an; nämlich ob "die Interpretation eines Werkes Geschmackssache ist" ?


    Sicher ist der Hörergeschmack auch entscheidend, nämlich ob einer ein Werk lieber beseelt und ruhig oder emotional und aufgewühlt hören möchte.


    Aber was nützt ein Dirigat, das dazu führt den Hörer für das Werk nicht anzusprechen. ? Die Geschmacksfrage bleibt für mich spätestens an diesem Punkt außen vor.



    :angel: Hier ein passendes Beispiel, wie ich es kaum jemals eindrucksvoller erfahren habe:


    Der Sinfonie "Die Harmonie der Welt"(1951) von Paul Hindemith, habe ich zunächst nie so große Bedeutung beigemessen. Ganz nett, mal gehört --- das war es zunächst. Meine bewust erlebte Erstaufnahme war mit Gerd Albrecht (CPO, 1989, DDD).
    Albrecht bietet ein Dirigat, das die emotionale Größe dieses Werkes absolut außen vor läßt und total unspannend ist ..... leider. Er buchstabiert das Werk nach dem Notentext und läßt es eindruckslos zurück.


    **** Durch eine Besprechnung und Empfehlung unseres Ex-Tamino-Mitgliedes Michael kam ich auf die Mrawinsky - Aufnahme (Melodiya, 1965, ADD).
    Mrawinsky selber hatte 1964 die russische Erstaufführung geleitet. Er hat das Werk in unzähligen Proben mit den Musikern durchexerziert um als Ergebnis zu einer "Befreiung vom Notentext" zu kommen. Die Musiker der Leningrader PH beherrschten das Werk wie aus dem ff ( :D und in <ff) und musizieren aus dem Geist de Musik in einer exakten Ausführung des Notentextes.
    In seiner Interpretation ist kein Hauch von stilistischer Altertümlichkeit zu spüren. Die Musiker sind derart angespornt und geben alles, dass es schon vom ersten Takt des Werkes zu einer unglaublichen Hochspannung kommt.


    Erst jetzt wird erkennbar welches Meisterwerk Hindemith schuf !



    Die auf der Melodiya - CD befindliche Honegger - Sinfonie Nr.3 ist mit Mrawinsky von ähnlichem megaspannenden Niveau.
    Mir fallen wenige Klassik-CD´s ein, bei denen man das Thema "spannendes Dirigat" besser darstellen könnte, als hier ...... bitte hören und "vom Hocker fallen".

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Auf die Frage muss klassische Musik spannend sein sage ich mit voller Überzeugung "JA"! Das Gegenteil wäre langweilig und das ist der Tod jeglicher Muisikwiedergabe.
    Nun zur Aufgangsfrage von Alfred: "Was macht ein Dirigat spannend"?
    Dazu eine bewußt vereinfachende Antwort, dass der Dirigent eine schlüssige, erkennbare Konzeption zur Interpretation des Werkes hat und diese auf die Musiker übertragen kann. Dazu ein Beispiel: Meine Frau und ich waren vor nicht allzu langer Zeit in der Provinz bei einer Aufführung von Beethovens 9. Sinfonie. Der Dirgent legte in seiner Interpretation nicht auf die höchste Steigerung im Schlusssatz Wert. Er gab besonders dem 1. Satz besondere Wucht. Ein ungewohnte Auffassung, die aber sehr spannend war. Meine Frau und ich diskutierten noch lange über dieses Konzertereignis. Da es einen Live-Mitschnitt gab konnten wir wiederholt und satzweise hören. Genau das ist es was ein Dirigat spannend macht. Die Aufführung muß packen, ergreifen, Nachdenken und Dikussionen auslösen. Ein Feuer im Innern des Höres auslösen das nachbrennt und nachwirkt.
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Klassische Musik muss immer Leben enthalten, und dazu gehört wie beim Atmen oder beim Herzschlag Spannung und Entspannung.
    Da gibt es noch mehr Parallen zur Natur: Tag und Nacht, Ebbe und Flut, Sturm und Idylle, Wellenberg und Wellental, die Gebirge mit ihren Tälern und Gipfeln, bei den Farben gibt es warm/kalt, beruhigend/grell.....


    Gerade die Barockmusik, aber auch die Wiener Klassik und die Romantik ist so aufgebaut, dass sie vom ständigen Spiel der Parameter Spannung und Entspannung lebt.
    Das gilt für den kleinen Bereich der Phrasen und Figuren ( vom Barock herkommend), für grössere Melodiebögen, für harmonische Progressionen ( Spannung=Dissonanz, Entspannung= die Auflösung in konsonante Harmonik). für die Rhythmik (Ausatmen= schwerer Taktteil, Einatmen= leichter Taktteil und ruhige gleichmässige Rythmen vs. Synkopen) und für die sehr grossen Spannungsbögen, die gute Interpreten über ganze Sätze, wenn nicht gleich über gesamte Werke ( wie eine Symphonie) ziehen können ( eine der Stärken Karajans)


    Übrigens, auch Karl Böhm waren diese Dinge natürlich bewusst, und auch er hat die klassische Musik in diesem Sinne ganz selbstverständlich spannungsvoll musizieren lassen.
    Alles andere wäre ja komplett unmusikalisch gewesen und die Berliner oder Wiener Philharmoniker hätten sich nie von dem dirigieren lassen.
    Wenn man einfach nur korrekt und nüchtern Notenköpfe abspielt, dann ist das keine wirkliche Musik.
    Hätte er nur nach dem Wohlfühl- und Entspannungsprinzip dirigiert, wäre er nicht weit gekommen und hätte eine Karriere als Jurist gemacht.
    Niemand von uns würde ihn heute kennen.


    Es ist eben eine Frage des individuellen Geschmacks, ob einem diese klassisch-appollinischen Balance zusagt, oder ob man sich in beiden Richtungen (lieblich, sensibel, zerbrechlich, idyllisch entspannt <---> dramatisch, zupackend, aufgewühlt, Spannung, Horror, Abgründe) mehr Ausschläge wünscht oder nicht. Ich meine, dass in Mozarts Musik alle Aspekte enthalten sind, weshalb man sie auch spielen und hören sollte, was nicht heisst, das es im Einzelfall nicht auch einmal Böhms Aufnahme eines bestimmten Stücks sein kann, die mich gerade hier besonders überzeugt.


    Was macht aber nun das Dirigat spannend?


    Wenn der Dirigent die von mir beschriebenen musikalischen Parameter empfindet und sowohl das Handwerk als auch die Persönlichkeit hat, diese Spannungs- und Entspannungselemente so auf die Musiker zu übertragen, dass sie nicht nur das spielen, was er sich vorgestellt hat, sondern darüber hinaus auch im Rahmen der Gesamtinterpretation sich engagieren und überzeugt einbringen können. Wenn sie nur als Dienstleister, als gehorsame Ausführer eines Fremdwillens agieren, dann kommt bestensfalls Kunsthandwerk heraus, aber der -eigentlich unerklärliche- musikalische Funke wird nicht überspringen.
    Es gibt ja noch mehr, weniger handwerkliche Aspekte: die geistliche ( Bach) oder auch die geistige Dimension ( Beethoven, seine Begeisterung für bestimmte politisch-geistige Umbrüche etc.)
    Wenn auch dies beim Hörer ankommt, dann liegt es wahrscheinlich auch an einem hervorragenden Dirigat.


    Zum Thema Persönlichkeit:
    Furtwängler hatte so eine starke Persönlichkeit, dass ein Orchester durch seine blosse Anwesenheit in der Tür des Probenraumes schon spannungsvoller und besser klang, selbst wenn er nicht dirigierte, sondern rein zufällig in die Probe eines Gastdirigenten hineinkam.
    In seinen Konzerten konnte er manchmal so viel Spannung aufbauen, dass die Leute es nicht schafften, bis zum Ende des Stückes sitzenzubleiben und schon vorher aufstanden.
    Das waren die Momenten, in denen kein Auge trocken blieb.
    Ich mag insbesondere diejenigen Dirigenten, die diesen unerklärlichen furtwänglerischen Funken haben (das sind nicht so viele...)


    Für mich sind das nämlich diejenigen, die wirklich Spannung auslösen und das Publikum in die Phasen der Spannung und Entspannung mitnehmen können.
    Bei denen wird in Wahrheit musiziert.


    Gruss :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Es dürfte schwierig sein, ohne ziemlich detaillierte Analysen zu erhellen, warum genau eine bestimmte Interpretation als "spannend" und eine andere eher als langweilig empfunden wird. Das Tempo ist nur ein Parameter unter vielen, es ist aber oft schwerer, bei einem breiteren Tempo die Spannung zu halten. Ebenso gibt es eine schwierige Balance zwischen Hervorheben von Details und übergreifendem Schwung. Differenziertes Ausmusizieren von Details wird oft langsame Tempi lebhafter erscheinen lassen, kann aber auch "künstlich" oder manieriert wirken und den Zusammenhang gefährden.


    Beispiele:
    Harnoncourt ist mir in den Kopfsätzen von Beethovens 2. u. 4. Sinfonie eigentlich einen Tick zu langsam (das Tempo ist immer noch recht zügig, aber ich bevorzuge hier schneller). Aber Kontraste, Nebenstimmen, die oft etwas untergehen, werden hier so gut herausgearbeitet, Sforzati deutlich betont usw., so daß die Stücke einen nervös aufgeladenen Charakter erhalten und spannungsreicher wirken als wenn sie schnell und glatt runtergezockt werden.


    Noch extremer sind die Kopfsätze der "Prager" und der "Jupiter" in seiner Interpretation. Wobei ich diesen Ansatz bei KV 551 nicht ganz überzeugend finde. Der Satz droht mir hier zu zerfallen, auch wenn einzelne Ereignisse so dramatisch hervorgekehrt werden wie selten, bevorzuge ich eine geradlinigere Lesart und ein zügigeres Tempo.


    Aber wie gesagt, müßte man hier die Dinge beinahe taktweise durchgehen oder jedenfalls auf viele Stellen eindeutig hinweisen, um nicht bei vagen, oft nicht gut nachvollziehbaren Anmerkungen zu bleiben.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Also ich persönlich würde nie behaupten, Karl Böhms Interpretation sein "nicht spannend" - im Gegenteil.
    Die Frage ist nur, wie er diese Spannung erzeugt - und wie er sie wieder zurücknimmt - um sie anschliessend noch intensiver erneut aufzubauen. Das war - so glaube ich - überhaupt das Rezept dieses großartigen Dirigenten,. dieses Austarieren der Binnenverhälltnisse zueinander.
    Aber es gbt natürlich noch weitere Parameter als das Tempo, bzw kann auch ein extrem langsames Tempi Spannung hervorbringen, evenso wie extrem leise oder laute stellen. Die Kunst besteht hier jedoch meiner Meinung nach darin, diese Spannung zwar hörbar zu machen, das Konstruktionsprinzip jedoch zu verschleiern, soll heißen auf alle - oder zumindest viele aufgesetzten Effekte zu verzichten, oder sie so einzusetzen, daß sie den musikalischen Fluß nicht zerstören.........


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat


    Original von Alfred Schmidt
    Also ich persönlich würde nie behaupten, Karl Böhms Interpretation sein "nicht spannend" - im Gegenteil. Die Frage ist nur, wie er diese Spannung erzeugt - und wie er sie wieder zurücknimmt - um sie anschliessend noch intensiver erneut aufzubauen. Das war - so glaube ich - überhaupt das Rezept dieses großartigen Dirigenten,. dieses Austarieren der Binnenverhälltnisse zueinander. Aber es gbt natürlich noch weitere Parameter als das Tempo, bzw kann auch ein extrem langsames Tempi Spannung hervorbringen, evenso wie extrem leise oder laute stellen.


    Über die Notwendigkeit, Spannung in der Musik zu erzeugen ( und wohl auch über die dazugehörenden Entspannungen) besteht also Einigkeit, wenn ich das richtig lese.
    Das heisst also, wenn jemand spannend dirigieren kann, dann ist das grundsätzlich sehr positiv.


    Ansonsten stimme ich mit der obigen Beschreibung der Böhmschen Stilistik 100%ig überein. Bei seinen guten Aufnahmen (die eben auch spannend klingen) hört es sich so an. Ich kenne jedoch auch Einiges, das mich einfach langweilt. Es ist da keine innewohnende Energie, die zwischen den Polen der ausbalancierten Gestaltungsmittel lodert, sondern es kommt mir irgendwie leblos vor - langweilig eben.
    Dass ein Dirigent immer nur Hervorragendes abliefert, kann einfach nicht sein.
    Ein gewisses Standardniveau wird immer erreicht, aber wir, Snobs wie wir wahrscheinlich sind, springen als CD-Hörer ja gerne von einem absoluten Highlight zum nächsten und überspringen dabei oft Jahrzehnte.


    Zitat

    Die Kunst besteht hier jedoch meiner Meinung nach darin, diese Spannung zwar hörbar zu machen, das Konstruktionsprinzip jedoch zu verschleiern, soll heißen auf alle - oder zumindest viele aufgesetzten Effekte zu verzichten, oder sie so einzusetzen, daß sie den musikalischen Fluß nicht zerstören.........


    Das ist jetzt eine Frage der zu Grunde liegenden Ästhetik.
    Ich stimme darin voll überein, dass Böhm entlang dieser Ästhetik arbeitete.
    Der musikalische Fluss hatte eine sehr hohe Priorität. Vom Ganzen sollte man nicht durch allzu deutliche "Effekte" abgelenkt werden soll.


    Es fragt sich nur, was denn der Komponist eigentlich wollte und was er als selbstverständliche Lesart voraussetzte. Wenn ein Franzose eine Text schreibt, dann erwartet er eine gewisse Aussprache entlang den Parametern der französischen Sprache, was für uns nicht immer leicht ist.
    Bei z.B. Mozart oder Haydn ( und allen Barockmeistern) ist das auch so.


    Der eigene ästhetische Standpunkt bestimmt, ob man bestimmte Dinge wie eine sprachähnliche Detail-Artikulation, Klein- und Grossdynamik, Phrasierung im dazu passenden Tempo etc. als zur Ausdrucksunterstützung des Affekts dienende Mittel ansieht, oder ob man eher aufgesetzten Effekten spricht.


    Handelt es sich nun um das normale musikalische Handwerkszeug, mit dem ein Komponist dieser Zeit arbeitete und es -wie Mozart- genial einzusetzen verstand?
    Oder sind diese ganzen kleinen und grossen Akzente, dieses Stossen und Binden einfach nur die absonderlichen Einfälle eines merkwürdigen Dirigenten, der uns irgendwas "weismachen" will?
    Soll man nun das (relativ wenige), was in der Partitur an "Effekten" steht,
    im von Alfred beschriebenen Sinne ganz beiläufig und unauffällig zu Gunsten des musikalischen Flusses spielen, oder soll man es so deutlich hörbar machen, wie es da steht?


    Eine bestimmte Herangehensweise wird der Eine als etwas völlig Natürliches ansehen. Ihm springen bestimmte Elemente der Interpretation Partitur sozusagen aus der Partitur im Bewusstsein der Musiziergewohnheiten der Entstehungszeit entgegen.


    Ein Anderer wird darüber nur verständnislos den Kopf schütteln. Er ist nicht bereit einzusehen, warum man denn hier und da...und dann wieder hier....und schon wieder da....einen Effekt machen muss.
    Für ihn ist ein ausbalancierter Stil die stilistische Richtschnur, während für den Ersten so eine Interpretation wichtige emotionale und intellektuelle Aspekte des Werkes zu Gunsten einer leichten Konsumierbarkeit negiert.


    Beide können - von ihrem Standpunkt aus- mit Recht voneinander behaupten, der jeweils andere hätte sich mit beim Hören seiner Lieblings- Interpretationen "die Ohren verdorben".
    Wenn es sich um Musike handelt, dann wird jeder für sich in Anspruch nehmen, auf der ästhetischen Basis des jeweiligen Komponisten zu spielen und genau dies dem anderen Interpreten absprechen.


    Der Eine hört vielleicht die Schönheit der ausbalancierten Gestaltungsmittel , aber die ständige Harmonie empfindet er auf die Dauer als langweilig.
    Für den Anderenhört sich die deutlich formulierte und leidenschaftlich gespielte Klangrede wie ein schlimmer Dialekt an, so als ob man Goethes Faust von einem bayrischen Volkstheater aufführen liesse ( oder auf Plattdeutsch...)
    Der Dissenz besteht eben darin, was denn der Standard für die Wiener Klassiker wäre. In der deutschen Sprache ist es klar, dass Hannoveranisch der Standard und ein bayrisches Bauerntheater Mundart ist.


    In der Welt der Musik wird da mehr gestritten, ohne das man zu mathematisch ein-eindeutigen Lösungen kommt.


    Ach ja, wir sind wieder einmal wieder am Punkt.... :pfeif:



    Von der appolinischen Richtschnur ausgehend kann man als fähiger Dirigent für bestimmte Stücke durchaus sehr überzeugende Ergebnisse erzielen.
    Es kann im Einzelfall sogar besser klingen als bei jemanden, der nach dem Prinzip von Klangrede und Dialog vorgeht.
    Trotzdem halte ich diese der Sprache und Rhetorik angelehnte und vom Barock herkommene Ästhetik für grundsätzlich richtig/werkdienlich, etc. , und ich kenne auch viele Beispiele, die mich in jedem Takt und Ton begründbar mehr überzeugen als jene Interpretationen, die sich dem klassischen Ebenmass verpflichtet fühlen.


    Es muss ja auch nicht sein, dass das Eine immer das Andere ausschliesst. Als heutiger Musiker wird man versuchen, auch scheinbar gegensätzliche Aspekte zu vereinen, sie "unter einen Hut zu bringen".


    Wenn z.B. Frau Uchida ausnahmsweise einmal nicht nur Klavier spielt, sondern gleichzeitig auch noch die Camerata Salzburg dirigiert, dann kommt mir das als eine in diesem Sinne sehr gelungene Symbiose vor.
    Es fliesst, es spricht und es hat Spannung, um zum Titel zurückzukommen.
    Für mich klingt es sehr "mozartisch", was da gemacht wurde.


    Ich wünschte mir mehr davon...


    Gruss :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Lieber Glockenton, es war eine sehr interessante Analyse, die Du da erstellt hast, das erkenne ich neidlos an, wenngleich ich vielm nicht beipflichten kann, weil meine Toleranz gegenüber anderen geschmäckern sehr eng definiert ist.


    Zitat

    Oder sind diese ganzen kleinen und grossen Akzente, dieses Stossen und Binden einfach nur die absonderlichen Einfälle eines merkwürdigen Dirigenten, der uns irgendwas "weismachen" will?


    Ja durchaus - diesen Standpunkt vertrete ich.
    Kann man das beweisen ?
    Nicht direkt - aber diese These wird dadurch untermauert, daß jeder Dirigrnt EIGENE Akzente setzt, solche die eineander oft diametral gegenüberstehen, einander widersprechen bzw ausschließen.


    Die "konventionelle" Lesart (natürlich schon auch mit subtil eingesetzten persönlichen Akzenten) hingegen war dereinst weitgehend deckungsgleich, zumindest gab es keine Stellen die verstörten, bei aller Inividualität des Dirigats. Es gab also so etwas wie einen "Grundkonsens" - etwas das heute verloren gegangen ist.


    Wie sind nun Werke der "Wiener Klassik" letztich zu spielen ?
    genau weiß das natürlich niemand, aber wenn wir uns höfische Malerei der entsprechenden Zeit ansehen, denn sollte man nach realtiv kurzer Zeit herausbekommen, wie Werke der Wiener Klassik KEINESFALLS gespielt werden sollten.....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo, liebe Analysten,


    ich habe jetzt nicht alle Beiträge gelesen, sondern nur das eine oder andere überflogen, aber ich habe mich entschlossen, einige Sätze dazu zu schreiben, weil das Adjektiv spannend und das Nomen Spannung auch in unserer täglichen Chorarbeit allgegenwärtig sind.
    Natürlich muss Musik spannend sein, sonst ginge keiner hin, denn das Gegenteil von spannend ist langweilig. Natürlich zeichnet sich eine gute Komposition dadurch aus, dass ein stetiger Wechsel von Spannung und Entspannung stattfindet, wobei uns unser Chorleiter aber immer einbleut, dass wir an bestimmten Stellen, z.B. bei fallenden Tönen, nicht zu entspannt sein sollen, weil sonst der Ton tiefer fällt, als er darf. Und so ist es sicherlich auch bei Orchester-Musikern. Und ich denke, dass der Dirigent, der "spannend" dirigiert, also ruhig etwas extrovertiert ist (siehe Bernstein) , nicht nur seine Musiker, sondern auch das Publikum stärker motiviert. Wenn das Stück dann noch von spannenden Stellen, wie großformatigen Steigerungen nur so strotzt (ich denke dabei z.B. an die Symphonien Bruckners), dann springt natürlich bei einem spannenden Dirigat nicht nur der Funke besser über, sondern wird, so denke ich, auch die Intention des Komponisten besser erfüllt.


    Wenn ich jetzt ein Beispiel aus meiner eigenen (Kirchen-)chorpraxis nennen soll, denke ich an eines der schönsten Konzerte, die ich je mitgesungen habe, Mozarts Requiem, das ist von vorne bis hinten spannend, denken wir nur an das Kyrie oder das Lacrimosa.
    In einem Beitrag habe ich auch den Namen Karl Böhms gelesen. Da fiel mir angesichts des Themas sofort die Aufnahme der Neunten Beethovens aus den 70er-Jahren ein mit Jessye Norman und Placido Domingo. Das Stück dauert bei Böhm über 75 Minuten, aber wie genial hält er im musikalischen Fluss die Spannung aufrecht, eine tolle Aufnahme.
    Auch die Bruckner-Aufnahmen Celis mit den Münchenern gehören zu dieser Gruppe. Statt dauernd auf die Uhr zu schauen, sollte der hörer manchmal sich einfach fallen lassen und die Musik genießen.


    Liebe Grüße


    Willi

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Was macht ein Dirigat ...


    Der Dirigierstil bestimmt nicht. Böhm und Richard Strauß haben sich vor dem Orchester kaum bewegt mit ihrem Taktstock. Karajan dirigierte mit geschlossenen Augen. Bei Bernstein und Carlos Kleiber ging es richtig zur Sache. Aber entscheidend ist doch, was dabei rauskommt. Und Gott sei Dank kam bei Böhm viel raus,sowohl live (ich war dabei) als auch auf Tonträger (CD/DVD). Ich habe immerhin 125 Aufnahmen mit ihm.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


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  • In Düsseldorf sitze ich immer oben im 3. Rang linke Seite weil zum einen die Akkustik dort am besten ist und zum anderen kann man dort wunderbar in den Orchestergraben schauen und die Dirgenten beobachten. Ein spannendes DIrigat ist für mich , wenn man sieht das sich Orchester und Dirgent blind vertrauen können. Ich habe in einer Düsseldorfer Don Giovanni Aufführung, die sehr langsam von Hans Wallat dirigiert worden ist und fast 10 Minuten länger gedauert hat als üblich sehen können, wie Hans Wallat auf einmal mitten des 1. Akts den Taktstolk zur Seite glegt hat, um sich ein Taschentuch aus seiner Fracktasche zu holen. Das dauerete ungefähr 5 Minuten. In dieser Zeit hat das Orchester ohne Dirigent gespielt und die SÄnger haben auch fehlerfrei gesung. Dann nahm er den Taktstock wiederin die Hand und es ging ganz normal weiter. Ich habe mich mal genau über dieses Thema mit einem Dirigenten ünterhalten der meinte , das man diese Frage schlecht beantworten kann da jeder Zuhörer bzw Zuschauer eine andere Aiuffassung davon hat.

  • Zitat

    Original von rodolfo39
    In Düsseldorf sitze ich immer oben im 3. Rang linke Seite


    Da müßten wir uns eigentlich kennen.
    Ich hatte jahrelang Abo-Plätze 3. Rang Mitte 1.Reihe. An diesen "Don Giovanni" erinnere ich mich auch.
    Aber Hans Wallat konnte sich das erlauben, die Musiker liegen ihm zu Füßen. Nicht umsonst ist der 80jährige Ehrendirigent der Symphoniker.
    Trotz seines Alters und seiner Gebrechlichkeit hat er das Orchester voll im Griff. Im letzten Jahr hat er z.B. bei der Übernahme von "Tiefland" von DU nach Ddf die musikalische Einstudierung von Anbeginn an persönlich geleitet (andere Pultstars überlassen das ihren Assistenten), obwohl es ihm gesundheitlich schwerfiel.


    LG


    :hello:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Ich muss zugeben, dass mich diese Sitzposition mitunter etwas verstört hat. Insbesondere das Kommen und Gehen im Orchestergraben während der Aufführungen fand ich ausgesprochen beunruhigend.


    Ein Freund von mir, inzwischen Profi-Hornist, hatte mal eine Hornstimme einer mir nicht mehr erinnerlichen Oper, in der mit Bleistift bei einer längeren Pause stand: "Zeit für ein kleines Bier"...


    Ausserdem sollte man dort schwindelfrei sein... :D Aber ansonsten habt Ihr recht: ich sitze immer gerne so, dass man das Orchester sehen kann.


    Deshalb sitzen wir auch in der Tonhalle, wenn wir mal hingehen, immer im Rang mitte.