Ludwig van Beethoven: Sinfonien Nr 1-9 Vol II- Welcher Zyklus ist der Beste mit modernem Orchester - ab 2000

  • Meine Lieben


    Seit August 2004 läuft nun der Thread mit der Nummer 125


    Ludwig van Beethoven: Sinfonien Nr 1-9 Welcher Zyklus ist der Beste ?


    Generationen von Tamino-Mitgliedern haben sich bemüht die Frage zu beantworten - aber allmählich ist der Thread doch ein wenig unübersichtlich geworden. Er wird weiterhin zur Verfügung stegen - sowohl zum Lesen - als auch zum Schreiben - dennoch möchte ich parallell dazu ein neues Angebot zur Verfügung stellen.


    Zunächst möchte ich die Durchmischung von HIP und die ja der nicht gerade der Übersichtlichkeit dient - vermeiden.
    Dann möchte ich "historische" Stereoaufnahmen von heutigen (ab 2000) trennen, damit vermeiden wir, daß die heutigen Aufnahmen stets als zweitklassikg gegenüber den Referenzaufnahmen der 60iger Jahre gehandelt werden.


    Auch diese Referenzaufnahmen der historischen Stereo-Ära werden - so Interesse besteht - einen eigenen Thread bekommen.


    Was soll das bringen ?


    Ich erwarte mit eine andere Sicht auf all diese bereits vor Jahren beurteilten Zyklen. Einerseits sind neue Mitglieder hier im Forum - andrerseits hat sich der Zeitgeschmack in 7 Jahren doch merklich gewandelt....


    Gerade in den letzten 10 Jahren sind eine Menge an Neuerscheinungen auf den Markt gekommen, welche seinerzeit von der einschlägigien Presse stets als Wuinder gepriesen wurden. Einige sind heute etabliert, andere haben an Glanz verloren oder sind völlig verschwunden. Einige stehen in den Startlöchern - bereit sich den Herausforderungen der Zeit und dem Publikum von heute zu stellen......


    mit freundlichen Grüßen aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Da sollte man zunächst vielleicht mal eine Auflistung der Beethoven-Zyklen auf modernen Instrumenten seit dem Jahre 2000 machen.


    Was fällt mir spontan ein? Thielemann, Chailly, Abbado (BPO und BPO live), Rattle, Pletnev, Mackerras II, Norrington II. Hatten Zinman und Järvi historische Instrumente oder moderne? Bin mir da nicht ganz sicher.


    Aber die Idee eines solchen Threads begrüße ich!

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Was machen wir mit den ganzen Aufnahmen, die Naturtrompeten aber moderne Streicher und Holzbläser verwenden?
    Was machen wir mit den ganzen Aufnahmen, die eindeutig HIP sind, aber modernes Orchester verwenden (Harnoncourt,Herreweghe z. B.)
    Warum die älteren Aufnahmen, die nicht von historischer Klangqualität sind von den neueren trennen. Die sollten doch gerade mit den Neueren verglichen werden? Jedenfalls gibt es da keine Referenzaufnahme, die über allen anderen stehen würde und konkurrenzlos wäre!
    Fragen über Fragen??!!!


    Da fällt mir noch ein: Müßte man den Schnitt nicht um 1990 machen,zu dem Zeitpunkt, als HIP auch endgültig bei Beethoven Einzug hielt. Ich meine das wäre doch die große Interpretatorische Zäsur?

  • Ich räume ein, daß die Sache nicht ganz einfach ist, deshalb bleibt ja der alte Thread aufrecht, wo in letzter Hinsicht alles mit allem verglichen werden kann. Hier sollen hingegen vorzugsweise die sogenannten "modernen" oder aber auch "konventionellen" Aufnahmen miteinander verglichen oder auch nur beschrieben werden. Meiner Einschätzung nach hätte sonst keine Neuaufnahme gegen die "grossen Alten" auch nur die geringste Chance. Ich habe das gesehen als Chailliys Aufnahme vor einigen Tagen quasi "vernichtet" wurde - noch dazu im Vergleich mit einer HIP-Einspielung, wobei ich meine, dies wäre nur schwer vergleichbar.


    Zitat

    Was machen wir mit den ganzen Aufnahmen, die eindeutig HIP sind, aber modernes Orchester verwenden (Harnoncourt,Herreweghe z. B.)

    Ich weiß, warum ich derlei nicht hören mag - nicht Fisch, nicht Fleisch, historisch uninteressant und nirgendwohin passend.
    Ich würde vorschlagen, daß derjenige, der eine solche Aufnahme beschreibt, die Wahl selber trifft.


    Zitat

    Warum die älteren Aufnahmen, die nicht von historischer Klangqualität sind von den neueren trennen. Die sollten doch gerade mit den Neueren verglichen werden?

    Auf Wunsch kann hier der alte Thread weitergeführt werden. Er hat inzwischen jedoch 470 Beiträge - und ich habe so meine Zweifel ob sich da noch wer zurechtfindet, bzw zurechtfinden will. Ich bin zudem der Überzeugung, daß hier die neuen Aufnahmen den älteren gegenüber keine faire Chance hätten. Karajans Flair ist ungebrochen, und wer ihn ablehnt, der greift zu Klemperer oder Böhm, Fricsay oder Bernstein. Da kommt keine heutige Aufnahme dagegen an, vor allem deshalb, weil die in Frage kommenden Interpreten noch leben....
    Mir geht es also bei DIESEM Thread vor allem um den Vergleich non HIPper Aufnahmen mit modernem, konventionellen Orchester seit 2000.
    Die HIP-Aufnahmen bekommen einen eigenen Thread - der dann ab 1990 gelten soll.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Absolut "Non-HIP" ist von den bisher genannten Aufnahmen ab 2000 m. E. nur Thielemann. Das erinnert in seinen Dimensionen ja noch fast an Furtwängler. Abbado ist doch auch zumindest von HIP leicht beeinflußt, habe vorhin mal in diese Berliner Aufnahmen reingehört. Das klingt schon sehr viel schlanker als beim selben Orchester unter Karajan kaum 20 Jahre davor. Rattles Aufnahmen mit den Wienern klingen auch nicht ganz so "voll" wie Thielemann. Pletnev etwa ist auch eher HIP-artig auf modernen Instrumenten.


    Sollte ich aus den relativ wenigen Beethoven-Zyklen ab 2000 einen Favoriten auswählen, so fällt mir das ziemlich schwer. Bei allen Vorbehalten, aber letztlich würde ich dann ja beinahe zu Thielemann tendieren. Obschon m. M. n. chancenlos gegen die "großen Alten", hat er zumindest für Aufnahmen aus dem 21. Jh. eine Referenz geschaffen, was Non-HIP mit modernem Orchester anbelangt. Ich füge allerdings hinzu, daß ich Chailly nicht kenne. Mein Freund hat ihn mit der 2., 4., 5. und 6. live in Wien gehört und war sehr angetan. Chailly ist metronomnah, das unterscheidet ihn von Thielemann. Insofern ist Thielemann wohl wirklich der allerletzte Dinosaurier, der noch völlig in der Tradition des 19. Jhs. steht.

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    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ich möchte an dieser Stelle nur kurz einwerfen, daß ich persönlich der Auffassung bin, daß nicht alles was "schlanker", "rhythmischer" und "spritziger" interpretiert wurde als HIP zu bewerten ist. Eher habe ich den Eindruck, daß man HIP dazu benutzte, dem Klassikhörer eine neue Klangphilosophie aufzuzwingen. Klassik klingt seither wie Pop - oder wie Musik des 20. Jahrhunderts. Dieser Trend ist meines Erachtens ein zeitbedingter und hat mit HIP nur bedingt zu tun.
    Schlankerer Klang - diese Tendenz gab es schon um 1970 mit Neville Marriner - war aber damals natürlich nicht vom HIP Gedanken infiziert, sondern von der Tatsache, daß ein Kammerorchester - noch dazu eines aus England - wesentlich billiger war, als beispielsweise die Wiener Philharmoniker. Dazu kam ein betörender Klang.. Die heutige Tendenz - ich glaube sie ist bereits wieder im Abflauen -sich auch bei Aufnahmen mit modernem Orchester ein wenig an HIP zu orientieren - mag derm Wunsch geschuldet sein, an die "Originalklang-Orchester" verlorenes Terrain wieder zurückzuerobern. Die neuesten Aufnahmen scheinen allerdings noch einen Schritt weiter in Richtung NON-HIP zu gehen. Ob das nun wirklich so ist - und warum - könnte beispielsweise hier besprochen werden. Auch ich muß - um hier mitreden zu können vorerst meine Bestände auffrischen, wobei Thielemann und Chailly sicher interessante Kandidaten sind.....


    Zitat

    Insofern ist Thielemann wohl wirklich der allerletzte Dinosaurier, der noch völlig in der Tradition des 19. Jhs. steht.

    So liest sich das eher negativ. Ich würde aber sagen, Thielemann rettet ein Stück romantische Beethovenauffassung in unsere Zeit und spricht damit eine ansonst vernachlässigte Teilgruppe des Publikums an.


    mit freundlichen GRüßen aus Wien
    Alfred Schmidt

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Ich möchte an dieser Stelle nur kurz einwerfen, daß ich persönlich der Auffassung bin, daß nicht alles was "schlanker", "rhythmischer" und "spritziger" interpretiert wurde als HIP zu bewerten ist.


    Das ist absolut richtig!


    Zitat

    Eher habe ich den Eindruck, daß man HIP dazu benutzte, dem Klassikhörer eine neue Klangphilosophie aufzuzwingen. Klassik klingt seither wie Pop - oder wie Musik des 20. Jahrhunderts


    So wie das absolut falsch ist!
    Für die Abteilung Pop in Klassik sind ja eher die Hern Rieu etc. Zuständig sowie irgendwelche Diven oder Tenöre, die sich mit glamouröser Aufmachung und wenig künstlerischer Substanz in Recitals auf dem Markt zeigen. Das alles ist jedenfalls definitiv weit von HIP weg.


    Zitat

    Ich bin zudem der Überzeugung, daß hier die neuen Aufnahmen den älteren gegenüber keine faire Chance hätten. Karajans Flair ist ungebrochen, und wer ihn ablehnt, der greift zu Klemperer oder Böhm. Fricsay oder Bernstein


    Nun ja, das trifft nun nicht auf alle Musikhörer zu, ist wohl eher persönlicher Geschmack denn Referenz.
    Also ich lehne Karajan ab und greife auch nicht zu Böhm oder Bernstein. Aus diese Zeit höchstens zu Szell. stattdessen greife ich halt viel lieber zu Harnoncourt, Brüggen oder Järvi. Da hat nun weder Karajan noch Bernstein noch Böhm eine faire Chance


    So, nach den grundsätzlichen Bedenken, mag nun wirklich Beethoven im Mittelpunkt stehen.

  • Es ist schwer, sich generell über ganze Zyklen zu äussern. Es kann sein, dass man einen Satz oder eine Symphonie überzeugend findet, dann den nächsten Satz oder die nächste Symphonie vom gleichen Dirigenten interpretiert wieder nicht so recht.
    Die Aufnahmen, die ich - auch sehr nach einzelnen Symphonien unterschieden- wirklich liebe, sind alle vor dem Jahr 2000 entstanden.
    Hier wären aus meiner Sicht die Namen Karajan (3, 5, 9), Harnoncourt (1,2,4,8 ), Furtwängler (6), Guilini (6, Satz 1und 2 ) und C.Kleiber (7) zu nennen.
    Wenn es dann aber unbedingt die CD-Box mit dem Zyklus aller 9 Symphonien sein muss (für mich muss es das nicht), dann fiele ja z.B. Kleiber schon wieder aus dieser Liste heraus.


    Ich habe immer einmal wieder in Aufnahmen länger oder kürzer hineingehört, die ab dem Jahre 2000 entstanden.
    Mit dem Vorbehalt, dass ich die Tonträger nicht habe, sondern sie entweder im Netz (youtube etc.) bei Freunden oder bei TV-Sendungen kennengelernt habe, ergibt sich folgendes Meinungsbild:



    Thielemanns Beethovenzyklus ist vom Bild-und Tonträger her konkurrenzlos, weil er ja als einziger in Blueray-Bild- und Tonqualität vorgelegt wird.
    Ein Preis von z.Zt. 99 EUR ist allerdings auch schon eine Investition.
    Ich habe Einiges aus dem Zyklus gehört. Vieles hat mir gut gefallen, interessanterweise die 9. weniger, weil dort der Versuch der gedehnten Furtwänglerübergänge einfach nicht funktioniert und man zum Schluss statt eines Werkes eine Ansammlung von Episoden hört. Auch die Tatsache, dass die Solisten unter ff erst gar nicht anfangen (salopp gesagt) spricht m.E. nicht besonders für diese Aufnahme. Trotzdem, wenn ich die Euros übrig hätte, fiele meine Wahl wohl auf diese Aufnahme (die 1. und 2. finde ich - unerwartet- ziemlich gut)


    Ausser diesen Bluerays kämen für mich auf CD noch in Frage:



    und



    wobei ich in manchen Details eher der einen, dann wieder der anderen Aufnahme zustimme. Insgesamt mag ich wohl aber Abbados Version etwas lieber. Obgleich ich Rattles Ideenreichtum schätze und ich finde, dass er Richtiges erkannt hat, beurteile ich eher kritisch, wenn die Umsetzung der gestisch-rhetorischen Erkenntnisse an manchen Stellen nicht ohne Anziehen des Tempos und dergleichen mehr auskommt.
    Der Klang des Berliner Orchester ist hier grösser, dunkler und wärmer, was ich als angenehm empfinde.


    Zum Kauf einer HIP-Aufnahme könnte ich mich nach dem, was ich da hörte nicht durchringen, obwohl ich sie geschenkt gerne annähme.
    Bei Herreweghe bekommt man die gute Aufnahmequalität der Pentatone-Techniker gleich mit. Vor allem wer seine Hifi-Anlage auf Surround ausgebaut hat, kann davon profitieren.




    Bei allen Vorzügen wie z.B. Transparenz, uneitler Gesamtansatz und schöner Details vermisse ich hier aber eine wichtige menschliche Komponente:
    Ich finde es einfach schade, wenn auf emotional wichtigen Tönen (z.B bedeutsame melodische Zieltöne, die man im rhythmischen, harmonischen und satztechnischen Kontext leicht erkennen und empfinden kann) das Ausdrucksmittel des Vibratos ausbleibt.
    Eigentlich höre ich da nur Non-Vibrato (kenne aber jetzt nicht jeden Takt aus diesem Zyklus), was meiner Erkenntnis nach sowohl gegen den Vorsatz verstösst, historisch informiert sein zu wollen, als mir auch einfach ungesanglich und damit unmenschlich klingt.
    Zudem empfinde ich sein rasendes Tempo beim ersten Satz der 6. nur noch als schlechten Witz. Dieser Satz stellt m.E. aber einen Ausreisser innerhalb des Herreweghe-Zyklus dar. Selbst wenn Beethoven selbst meinte, er hätte es so gewollt, widerspräche ich sogar ihm glatt. Auf eine freundliche Konversation mit dem Menschen Beethoven würde man- nach dem wie sein Wesen beschrieben wird- bei aller enormen Liebe zu seiner Musik wohl ohnehin vergeblich hoffen.
    Sollte Beethoven tatsächlich dieses Tempo notiert haben, unterstelle ich aus dem Verständnis des musikalischen Zusammenhangs heraus, dass er sich einfach vertan haben muss, bzw im Kopf etwas anderes hörte, als wie es in der klingenden Realität tatsächlich wirkt.


    Das heisst aber nicht, dass ich nun alles aus dem Hause Herreweghe eher nicht mag, ganz im Gegenteil.
    Als Renaissance oder Barockinterpreten schätze ich ihn überaus.
    Seine zweite neue Aufnahme der Bach-Motetten ist wohl die beste Aufführung, die je aufgenommen wurde; vieles von Schütz oder Hassler ist wahnsinnig gut und kultiviert gemacht, auch so manche Bach-Kantate.
    Lieber als Järvis Beethovensicht ist mir aber Herreweghes Beethoven-Ansatz schon noch, glaube ich.


    :hello:


    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)


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    RSO Stuttgart, Norrington


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    Ensmble Orchestral de Paris, Nelson


    Swedish Chamber Orchestra Örebro, Dausgard



    Ich hoffe, ich habe alle gefunden. Ansonsten bitte ergänzen!




    :hello: LT

  • Eher habe ich den Eindruck, daß man HIP dazu benutzte, dem Klassikhörer eine neue Klangphilosophie aufzuzwingen. Klassik klingt seither wie Pop - oder wie Musik des 20. Jahrhunderts. Dieser Trend ist meines Erachtens ein zeitbedingter und hat mit HIP nur bedingt zu tun.


    Lieber Alfred,


    über diese Frage werden wir uns in diesem Leben wohl nicht mehr einigen. :hello:


    Natürlich wird dem Hörer keine neue Klangphilosophie aufgezwungen. Er kann ja ebenso gut ablehnen (z. B. hat sich ja elektroakustische Musik auch nicht wirklich eine nennenswerte Hörerschaft gewonnen). Das ist aber nicht geschehen - im Gegenteil, große Teile der Hörerschaft haben die Lesarten von Norrington, Goodman und Hogwood sowie später Harnoncourt und Gardiner et al. begrüßt.


    Dass Klassik seitdem wie Pop klingt, ist natürlich <zensiert>. Übrigens, welche Art von Pop meintest Du?


    Dass es zeitbedingten Musikgeschmack geben mag, der spartenübergreifend (Rock, Pop, Klassik, Jazz, ... ) Interpreten wie Hörer prägt, könnte ja sein.


    Wenn überhaupt, dann würde ich formulieren: Seit Norrington klingt Beethoven nicht mehr nach Reichsparteitag - was ja historisch auch falsch war.

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    :hello: LT

  • Zitat

    über diese Frage werden wir uns in diesem Leben wohl nicht mehr einigen


    ..mit Sicherheit nicht... :hello:


    Aber das ist ja auch nicht so wichtig.


    Zitat

    Wenn überhaupt, dann würde ich formulieren: Seit Norrington klingt Beethoven nicht mehr nach Reichsparteitag - was ja historisch auch falsch war.


    Na ja - ich weiß nicht ob diese Aussage das erreicht, was offensichtlich bezweckt war, sondern ich halte sie durchaus für kontraproduktiv. Du weckst dadurch bei einer nicht abschätzbaren Mengen an Mitlesern nostalgische Gefühle, wie die Beliebtheit von Furtwänglers Aufnahmen ja so trefflich belegt - und das bei - milde gesprochen - historischer Klangqualität.


    Zitat

    Übrigens, welche Art von Pop meintest Du?


    Musik wo der Rhythmus der Melodie voangestellt ist - ich weiß dafür gibt es heute fachlich spezielle Bezeichnungen - aber ich habe diesen Bereich der Musik allgemein so verachtet, daß ich mich mit den speziellen termini technici gar nicht auseinandergesetzt habe.


    Zitat

    Dass es zeitbedingten Musikgeschmack geben mag, der spartenübergreifend (Rock, Pop, Klassik, Jazz, ... ) Interpreten wie Hörer prägt, könnte ja sein


    Mit dieser Definition kann ich prinzipiell leben, jedoch ist Klassik bis vor einigen Jahren von diesen modischen Einflüssen verschon geblieben - man hatte als Klassikfreund seinen Elfenbeinturm in den man sich flüchtete - und von wo man auf alles andere herabschaute. Ich spreche hier weniger für mich - denn als Betreiber eines Klassikforums wird man mit vielerlei Unangenehmen konfrontiert, da hält man das auch noch aus. Aber der nostalgische Winkel der Klassik wurde zerstört - oder besser gesagt temporär beschädigt - denn mit Thielemann kehrt die Vergangenheit wieder zurück. Und ich bin gespannt welche Auswirkungen auf zukünftige Aufnahmen das haben wird.


    Aber - damit keine Mißverständnisse entstehen: Ich halte einen "deutschen" Beethoven für eine wichtige Bereicherung der Beethoven-Interpretationen, aber nicht für die einzige.
    Ich besitze einige Aufnahmen aus beiden Norrington Zyklen - und finde sie - trotz einiger Schwächen durchaus für interessant - MEIN Beethovenbild sieht indes anders aus.
    Aber VORERST sollten wir hier den Platz für Rattle, Abbado, Thielemann und Chailly reservieren.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien


    Alfred Schmidt

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Mit dieser Definition kann ich prinzipiell leben, jedoch ist Klassik bis vor einigen Jahren von diesen modischen Einflüssen verschon geblieben - man hatte als Klassikfreund seinen Elfenbeinturm in den man sich flüchtete - und von wo man auf alles andere herabschaute.


    Hallo Alfred,


    auf der anderen Seite wird hier eine Hitparaden-Mentalität gepflegt. Was ist denn nun der "Beste"? Wollen wir ein TED starten? Naserümpfend schauen wir auf den Sumpf, in die Niederungen der Musik, Pop, igitt, benutzen aber deren Mechanismen.


    Gerade hier im Forum sollten wir differenziert vorgehen. Zur Zeit beeindruckt mich der Zyklus von Krivine, zu gegebener Zeit werde ich näher auf die GA eingehen.

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    Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, P.Järvi (DVD)


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    Wiener Philharmoniker, Thielemann (CD) und (DVD)


    HR SO, Hugh Wolff


    Royal Flamish Philharmonic, Herreweghe


    Scottish Chamber Orchestra, Mackerras


    RSO Saarbrücken, Skrowaszewski


    London Symhony Orchestra, Haitink


    Tschaikowsky Symphony Orchestra, Fedossejew


    Russian National Orchestra, Pletnev


    HR SO, Wolff


    Württembergisches Kammerorchester Heilbronn, Gazarian


    Orchestre de la Francophonie, Tremblay

    RSO Stuttgart, Norrington


    RSO Saarbrücken, Skrowaszewski


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    :hello: LT

  • Musik wo der Rhythmus der Melodie voangestellt ist - ich weiß dafür gibt es heute fachlich spezielle Bezeichnungen - aber ich habe diesen Bereich der Musik allgemein so verachtet, daß ich mich mit den speziellen termini technici gar nicht auseinandergesetzt habe


    Na ja, nimm doch mal den Anfang der Waldsteinsonate - das ist fast reiner Rhythmus, so gut wie keine Melodie. Oder große Teile des Sacre du printemps. Oder das Präludium C-dur aus dem WK I. - Gerade bei Beethoven spielt der Rhythmus eine unglaublich wichtige Rolle, beginnt sich von Melodie und Harmonik zu emanzipieren. - Ist das Popmusik?


    Mit dieser Definition kann ich prinzipiell leben, jedoch ist Klassik bis vor einigen Jahren von diesen modischen Einflüssen verschon geblieben - man hatte als Klassikfreund seinen Elfenbeinturm in den man sich flüchtete - und von wo man auf alles andere herabschaute.


    "Klassik" war nie von modischen Einflüssen verschont. Telemann, J. Chr. Bach, Salieri, Beethoven, Mendelssohn, Wagner, Bruckner, Mahler, Schönberg, Webern, sie alle waren zu ihrer Zeit ultramodern. - Walter, Toscanini, Karajan (der frühe), von Dohnanyi, Rattle übrigens auch. - Natürlich gab es auch die andere Seite: J. S. Bach, Brahms, Strauss, Pfitzner sehen wir eher als konservativ an, dito Weingartner, Furtwängler, Böhm.


    Aber die einseitige Darstellung, Klassik wäre von modernen Einflüssen verschont geblieben - ich bitte Dich ... die ganze Musik- und Interpretationsgeschichte ist eine Geschichte der Neuerungen.


    Nur, wenn man die zehn bis zwanzig Jahre seiner Jugend unbewusst mit einem "So war es immer" gleichsetzt (was falsch ist), mag man Deiner Illusion erliegen.

  • Aber der nostalgische Winkel der Klassik wurde zerstört - oder besser gesagt temporär beschädigt - denn mit Thielemann kehrt die Vergangenheit wieder zurück. Und ich bin gespannt welche Auswirkungen auf zukünftige Aufnahmen das haben wird.

    Soll das nun heißen, mit Thielemann ist alles wieder im Lot, oder wie ist das zu verstehen. Wer hat Beethoven temporär beschädigt, Norrington, Hogwood, Järvi, Herreweghe, Brüggen, Goodman, Krivine oder wer? Die Blutauffrischung tat doch mal dringend Not und ich sehe das als eine Bereicherung an. Dass Böhm meine GA-Lieblingseinspielung bleibt, seht auf einem ganz anderen Blatt.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Hört man in die Thielemann-Aufnahmen hinein (problemlos via YouTube und Todopera möglich), fällt auf, daß man die Pauken stellenweise kaum hören kann. Mein Klangideal ist das zumindest nicht. Ein etwas schwammiger Mischklang, wo manches untergeht. Auch wenn er durchaus tolle Stellen zu bieten hat (Scherzo der 9. mit Ritardandi etwa).


    Aber letztlich würde gar keinen Zyklus ab 2000 wirklich empfehlen. Da ist man mit Klemperer, Bernstein, Karajan, Wand, Reiner, Szell, Kempe, Cluytens, Leibowitz, Konwitschny u. v. a. (ich nannte absichtlich nur mindestens ADD-Stereo-Aufnahmen) weitaus besser bedient. Was spricht für einen Non-HIP Zyklus auf modernen Instrumenten ab 2000 denn überhaupt? Die vielleicht etwas bessere Klangqualität als bei den Aufnahmen der 70er und 80er Jahre? Das allein ist für mich kein Grund, einen zu empfehlen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

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    – Luís de Camões

  • Zitat

    Was spricht für einen Non-HIP Zyklus auf modernen Instrumenten ab 2000 denn überhaupt?


    Eine gute Frage die jeder Klassikliebhaber für sich beantworten muß. Aber ich will versuchen sie zumindest partiell zu beantworten.
    Wenn wir wollen, daß es in Zukunft noch non Hip-Aufführungen geben soll, dann ist es unabdingbar, daß es auch Aufnahmen davon gibt. Denn die Welt hat sich umgekehrt: Einst machte ein Dirigent im Konzertsaal Karriere - dann bekam er die Angebote der Tonträgerindustrie - denn jeder wollte den "berühmten Mann" daheim in seiner Sammlung wissen. Heute ist es eher umgekehrt: Wer von der Tonträgerindustrie gepusht wird - dessen Konzerte sind bald weltweit ausverkauft.
    Denn ein Dirigent XY, der nicht auf Tonträger vertreten ist - und das idealerweise bei einem prominenten Label - der mag es vielleicht zum Lokalmatador einer Kleinstadt oder eines Landkreises schaffen -im Ausland wir kaum Notiz von ihm genommen.


    Zitat

    Die vielleicht etwas bessere Klangqualität als bei den Aufnahmen der 70er und 80er Jahre?


    Klangqualität ist ein wichtiger Faktor, es gibt Musikfreunde, die weichen jeder Mono Aufnahme aus, empfinden Schellackplatten als quäkig, und zucken selbst beim analogen Hintergrundrauschen von Stereoplatten aus den sechziger Jahren zusammen,
    Das allein rechtfertigt schon Neuaufnahmen.
    Auch ich bin einer von jenen, der meint, die alten Aufnahmen seien unerreichbar - aber vielleicht empfinden die nächsten Generationen dies anders.
    Man sollte nicht von der Annahme ausgehen, HIP-Aufnahmen seien nun für alle Ewigkeiten Standard und von allen Hörern geliebt. Roger Norrington beispielsweise ist in Deutschland - so glaube ich wenigstens - anerkannt und beliebt.
    Im englischsprachigen Raun ist er es - soweit ich es mitbekommen habe - jedoch nicht.
    Als vor einigen Jahren der Vertreter (Presseprecher ? PR-Manager? etc) in einem internationalen (also englischsprachigen) Forum die Frage stellte, ab es dort Interesse an einer allfälligen Veröffentlichung von Mitschnitten der Beethoven-Sinfonien mit dem RSO Stuttgart unter Norrington gäbe - da schallte ihm von allen Seiten ein unfreundliches "NO" - entgegen.
    Glücklicherweise hat sich Hänssler davon nicht abhalten lassen.


    Aber es ist nicht zu übersehen, daß es eine Bewegung in Richtung "romantischer Beethoven" gibt - einfach weil das Publikum danach verlangt.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Alfred,


    ich wollte damit keineswegs in Frage stellen, daß auch heute solche Zyklen mit modernen Instrumenten in Non-HIP ihre Berechtigung hätten. Ich begrüße es im Grunde sogar, daß es wieder eine solche Entwicklung gibt. Um 1990 hätte das vielleicht keiner geglaubt. Da hat Solti gerade seinen zweiten (digitalen) Zyklus für Decca beendet gehabt. Karajans 80er-Zyklus war einige Jahre alt, er selbst bereits tot. Bernstein starb ebenfalls in der Zeit. Auch sein letzter kompletter Zyklus mit den Wienern war bereits über ein Jahrzehnt alt. Böhms Zyklus war damals schon fast 20 Jahre alt, er selbst knapp ein Jahrzehnt tot. Celibidache hat m. W. nie einen kompletten Zyklus aufgenommen. Die Live-Aufnahmen, die EMI veröffentlichte, sind m. W. aus den frühen 90ern. Was gab es danach noch groß in dieser Tradition? Da ist eine Lücke bis Thielemann, glaub ich.


    Thielemann könnte nun der "Erlöser" sein für all jene, die sich einen Beethoven in dieser Tradition gewünscht haben. Das erklärt sicherlich den immensen Medienrummel um diese Aufnahmen mit den Wiener Philharmonikern. Und für sich genommen klingen die ja auch nicht schlecht. Wie könnten sie auch schlechter als "gut" sein, bei diesem Orchester? Aber höre ich dann mal vergleichend mit den oben genannten Dirigenten, dann empfinde ich unweigerlich, daß Dr. Th. (seit kurzem ja offiziell) nicht diese Klasse hat. Es fehlt das gewisse Etwas, zumindest für mich. Seine "Eroica" etwa, sicherlich eine gute Aufnahme. Prof. Kaiser hat sie in den Himmel gelobt. Dachte wohl an seine Hausgötter Furtwängler und Knappertsbusch zurück (laut ihm wahrhaft große Beethoven-Dirigenten), an die er sich erinnert fühlte. Hatte vermutlich nicht zu hoffen gewagt, daß er noch einen Dirigenten erleben würde, der es in dieser Manier aufzieht. Äußerlich lebt da das alte Beethoven-Ideal des Wilhelm Furtwängler ja wieder auf. Aber auch innerlich? Hört mal in Furtwänglers "Eroica", egal, in welche! Das ist Genie! Thielemann ist dagegen Routine. Er steht vor dem vielleicht besten Orchester der Welt und liefert was Solides ab. Im Konzertsaal tut das seine Wirkung bei den konservativen "Altbeethovenianern", die Fu, Kna und Klemp im Ohr haben. Da hat man ja auch keinen direkten Vergleich. Den habe ich aber daheim sehr wohl. Und da verliert Herr Dr. Thielemann mit den Wienern gegen Herrn Dr. Furtwängler mit denselben, aber auch gegen Knappertsbusch oder Lenny Bernstein mit den Wienern. Zumindest für meine Begriffe.


    Es gibt die Tradition des späten 19. und frühen 20. Jhs. wieder in der Beethoven-Interpretation, ja. Die gab es von ca. 1990 bis 2010 nicht mehr (gefühlt zumindest). Aber es ist nur eine versuchte Neuauflage, keine Renaissance.

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    – Luís de Camões

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  • Zitat

    Aber höre ich dann mal vergleichend mit den oben genannten Dirigenten, dann empfinde ich unweigerlich, daß Dr. Th. (seit kurzem ja offiziell) nicht diese Klasse hat. Es fehlt das gewisse Etwas, zumindest für mich.


    Wie vielleicht einige von Euch wissen liest Herr Thielemann hier im Forum mit und hat mir über eine Person seines Vertrauens einiges Ausrichten lassen. Man sollte vorsichtig sein, mit dem was aus zweiter Hand kommt, aber wenn ich das was mir übermittelt wurde richtig verstanden habe, so sieht sich Herr Dr. Thielemann nicht als Reinkarnation oder Statthalter Furtwänglers.


    Zitat

    Äußerlich lebt da das alte Beethoven-Ideal des Wilhelm Furtwängler ja wieder auf. Aber auch innerlich?


    Und damit ist diese Frage auch schon beantwortet - und zwar mit NEIN


    Herr Thielemann strebt nicht an, ein Furtwängler-Abklatsch zu sein - derlei wurde von Freunden (und Feinden ?) ganz bewusst hinenprojiziert - vermutlich um ihm zu schaden. Aber die Zeit ist ein seltsam Ding - wahrscheinlich hat es ihm mehr Sympathien eingebracht als gekostet. Wenn er also jetzt die Situation ausnützt um CDs- zu verkaufen -wer wollte es ihm verdenken ?
    Aber ich glaube, daß der Vergleich mit Furtwängler ein eher oberflächlicher ist - und daß Thielemann selber nicht weiß ob er darüber glücklich oder unglücklich sein soll.
    Vermutlich ist Thielemann lediglich ein Vertreter des romantischen Beethoven- Bilds - des Giganten, den auch Klemperer und Celibidache zeichneten - mit Pseudo Ideologien von Publikum und Kritikern überfrachtet.
    Das was Joseph II als "Routine" bezeichnet, ist die Färbung des 21. Jahrhunderts, welche trotz aller Romantik-Affinität natürlich nicht wegzuleugnen ist.....


    Ich gehe davon aus, daß diese Beethoven Aufnahmen einen ähnlichen Wirbel erzeugen werden, wie einst die 1962er Veröffentlichung unter Karajan...........


    Und das ist gut so - die Klassikszene bedarf solcher Sensationen


    mit freundlichen Grüßen aus Wien


    Alfred Schmidt

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Thielemann war nie eine Sensation. - Und er wird auch keine mehr...


    Er ist höchstens eine hochgepushte Sensation, was ja durchaus etwas anderes ist.


    Und warum nicht?


    Thielemann läuft (im übertragenen Sinne) in ausgelatschten Schuhen. Er käut (in moderner Technikummantelung) ewig Gestriges wieder. Konnte man beispielsweise bei C. Kleiber noch den frischen Wind spüren, den seine Interpretationen mit sich brachten, dessen Neuausleuchten des jeweiligen Werkes nie punktuell, sondern stets gesamtstrukturell waren. Solche Herangehensweise führte dazu, dass seine Aufführungen und Aufnahmen so legendär und sensationell waren.


    Davon ist Thielemann meilenweit entfernt. Auch wenn die Platten- und Kritikerbranche uns etwas anderes suggerieren will.


    Thielemanns Interpretationen neígen immer dazu krampfig zu sein. Dadurch fließt die Musik nie richtig. Sie wird irgendwie bei Atem gehalten, aber das ist nicht das gleiche. Was allerdings noch viel schlimmer ist, in einem anderen Thread habe ich das schon einmal angesprochen, ist der Umstand, dass er punktuelle Tempo- und Akzentverschiebungen (ähnlich wie bei Harnoncourt seit etwa 5 Jahren) dazu benutzt, uns neue Sichtweisen auf das jeweilige Werk anzudrehen.


    Seit 1962 sind viele Jahre vergangen, die Anzahl der Gesamtaufnahmen des Sinfonien-Zyklus ist kaum noch überschaubar, daneben noch die unzähligen Einzelaufnahmen. Dazu kommt noch das immer besser geschulte Ohr dank über 50jähriger stereofoner Technik mit ganz ausgezeichneten Klangeindrücken.


    "Ich bau' auf Gott und meine Euryanth'" - dass viele klassikkundige Menschen einen großen Bogen um den Thielemann-Zyklus machen. Sollte ich doch jemanden antreffen, der mit ihm im Handel zugange ist, dann kommt mir bestimmt ein "Hilf Samiel!" still über die Lippen, in der Hoffnung, den potentiellen Käufer dann doch noch vor dem Kauf und so vor einen großen Irrtum zu bewahren!




    :hello: LT

  • Warst du eigentlich schon mal in einem Thielemann-Konzert, Liebestraum?


    Wie man (nicht nur in diesem Thread) lesen kann, hat Samiel schon geholfen in dem Sinne, dass (Gott sei Dank) nicht alle so denken wie du. Ich halte das nicht für einen großen Irrtum, diesen Zyklus anzuschaffen. Ich habe Thielmann schon vor 8 Jahren live gesehen und war damals (in Berlin, Schöpfung) begeistert und jetzt vor einigen Wochen in Essen (Bruckners Achte) wieder. Und seinen Beethoven-Zyklus habe ich ausgiebig auf Classica gehört und gesehen.


    Aber auch die Zyklen von Abbado, Mackerras und Järvi, die ich ebenfalls in meiner Sammlung habe, finde ich sehr gelungen. Von den anderen Zyklen, die in letzter Zeit neu auf den Markt gekommen sind, konnte ich mir noch kein Bild machen, bis auf Krivine, den ich zwar bestellt hatte, den die Post (DHL) mir aber nicht liefern konnte, und so warte ich halt noch etwas zu.


    Viele Grüße


    Willi :D

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Zitat

    Thielemann läuft (im übertragenen Sinne) in ausgelatschten Schuhen. Er käut (in moderner Technikummantelung) ewig Gestriges wieder.


    Das ist meiner Meinung nach doch sehr tendenziös formuliert.... ;)
    Vielleicht ist es aber so, daß ein Gutteil der Klassikhörer UND Kritiker sich nach dem angeblig ewig Gestrigem sehnt, bzw es hören will - in superber Tontechnik natürlich.


    Ich könnte mit vorstellen, einem Massenpublikum, das einen Dirigenten forciert, kritisch gegenüberzustehen.
    Ich könnte mit vorstellen einer Kritikerriege, die einen Dirigenten allzu positiv rezensiert, näher unter die Lupe zu nehmen..
    Ich kann mir allerdings NICHT vorstellen, den Spitzenrang eines Dirigenten, der ein ausgesprochener Liebling der Wiener Philharmoniker ist ("die Zusammenarbeit mit TH war schlechthin ideal") in Zweifel zu ziehen.


    mit freundlichen Grüßen
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Willi,


    ich bin ein Berliner, habe Thielemann sehr oft live an der DOB erlebt, als er dort noch GMD war. Es war alles sehr schön, was ich dort erlebt habe. Sehr gut alltagstauglich halt, aber nicht wirklich bedeutsam und schon gar nicht herausragend.


    Er will immer alles gut machen, aber wenn er dann am Pult steht, bemerkt man gleich wieder seine krampfige Anspannung. Wie sagte ich zu meinen Mitbesuchern regelmäßig? Thielemann ist heute wieder Hollreiser-mäßig drauf: sehr gut aber natürlich überhaupt nicht konkurrenzmäßig plattenfähig.


    Wer Richard Strauss unter Reiner, Kempe, Solti, Böhm und Karajan gehört hat, für den mag Thielemann ein sehr gutes Live-Erlebnis geschaffen haben, aber als aufhebenswert in einer CD-Sammlung ist es halt nur zweite Garnitur. Und das hat überhaupt nichts mit Geschmackssache zu tun: entweder diese Musikfreunde haben nie zuvor Reiner, Kempe, Solti, Böhm und Karajan gehört oder diese Menschen haben etwas an den Ohren.


    Auch sein Bruckner ist verglichen mit Wand nicht wirklich überzeugend, wenn man die Aufnahmen vergleicht. Thielemann gelingt es nie, die Brucknerschen Klangmassen so zu bewältigen, wie es Furtwängler, Karajan, Böhm, Jochum, Celibidache, Wand noch beschieden war.


    Thielemann ist praktisch ein Notnagel, hochgepusht, weil es derzeit keinen wirklich großen deutschen Dirigenten um die 50 gibt. So soll Thielemann die Lücke schließen, was er allerdings nicht kann.



    :hello: LT

  • Ich hoffe, ich habe alle gefunden. Ansonsten bitte ergänzen!


    Ich finde es amüsant, dass trotz der mehrfachen Ergänzung noch immer der zur Zeit offenbar meistdiskutierte Zyklus fehlt. Ich schnappe von verschiedenen Seiten die Meinung auf, dass fast alles, was Järvi so gut machte, Emmanuel Krivine mit seinem Chambre Philharmonique noch besser hingekriegt haben soll. Es haben einige Mitglieder im Forum diesen Zyklus bereits, aber eine wirkliche Aussage darüber ist mir noch nicht untergekommen.


    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • fast alles, was Järvi so gut machte, Emmanuel Krivine mit seinem Chambre Philharmonique noch besser hingekriegt haben soll.

    Lieber Theophilus,


    fast alles, was Järvi so gut machte, hat Emmanuel Krivine mit seinem Chambre Philharmonique noch besser hingekriegt.


    Ich habe zwar von Järvi überhaupt nur eine Einzel-CD gehört (ich glaube, mit der Sechsten), und an die kann ich mich gar nicht mehr so richtig erinnern. Von daher ist der Järvi-Hype fast schmerzfrei an mir vorbeigeglitten. Und den Krivine-Zyklus habe ich noch nicht durch, aber was ich dann schon gehört habe: es ist so kraftvoll, da gibt es nichts Hageres, Dünnes, wie er z. B die Dritte nimmt, für mich die beeindruckendste Marcia funebre, die ich in einer Dritten überhaupt gehört habe. Den Charakter der Zweiten setzt er sehr deutlich vom Charakter der Ersten ab, da ist ein deutlicher Schritt voran zu spüren. Trotzdem bin ich nicht mit allem einverstanden, beispielsweise grenzen die Dynamikumfänge teilweise an Karikatur, wenn die Schläge in der Zweiten gegen die leisen Partien abgegrenzt werden.


    Ich höre das noch weiter.


    Aber sag an, ist die Frage an dieser Stelle nach der von der Forenleitung selbst gewählten Systematik nicht ein wenig OT?

  • Hallo Theophilus,


    Krivine wurde auf keinen Fall vergessen: er lässt auf historischen Instrumenten spielen, findet daher in dem anderen Thread Erwähnung. Und im ursprünglichen Thread habe ich Krivines Zyklus mit dem Chaillys verglichen.


    :hello: LT

  • Von Claudio Abbado gibt es bekanntlich drei komplette Beethoven-Zyklen: Einen mit den Wiener Philharmonikern [Wien 1985–1988] sowie zwei kurz nacheinander entstandene mit den Berliner Philharmonikern [Berlin 2000 und Rom 2001]. In diesem Thread soll nur von den beiden letzteren die Rede sein, da der Wiener Zyklus bereits in den 80er Jahren entstand.



    Abbado entschloß sich nur ein knappes Jahr nachdem er seinen Zyklus mit "seinen" Berlinern eingespielt hatte zu einer Neuaufnahme der Symphonien Nr. 1–8 (die 9. ist in beiden Boxen identisch, in der neueren allerdings neu editiert).
    Der Dirigent hat das selbst mit folgenden Worten begründet: "Es sprechen viele Gründe dafür, diese neue Edition zu veröffentlichen, vor allem der musikalische. Nach zahlreichen Aufführungen des Zyklus ist unsere interpretatorische Sicht gereift, ist natürlicher geworden, ein gemeinschaftliches Erlebnis. Die Konzerte in Rom brachten entscheidende Fortschritte in Stil, im Temperament, in der Technik."
    Im direkten Vergleich wird deutlich, daß sich die Tempi ein wenig verändert haben: So ist er etwa in der Neuaufnahme der "Eroica" etwa knapp 3 Minuten langsamer (46 zu 49 Min.), was dem Werk zugute kommt. Der berühmte Kopfsatz der Vierten ist ca. eine halbe Minute langsamer (11:34), aber irgendwie ungleich intensiver musiziert. Das Orchester scheint in Rom in der Tat das "definitive" Konzept Abbados gefunden zu haben. Alles wirkt spotaner, organischer, in sich stimmiger. Die Steigerungen sind, vielleicht wegen der Live-Situation, mitreißender.
    Abbado gelingt m. E. die Synthese zwischen klassischer und romantischer Auffassung der Werke vorbildlich. Es klingt nicht nach "Beethoven Light", einer Art ganz später Haydn, aber auch nicht nach dem (etwas künstlich) aufgeblähten spätromantischen Titanen eines Klemperer oder Furtwängler. Abbado selbst formulierte es dergestalt: "Wenn man versucht, Beethovens Welt objektiv zu betrachten, dann ist eine Interpretation à la Haydn ebenso falsch wie eine Interpretation à la Wagner." Und man merkt tatsächlich, daß er genau diese Balance zu wahren versuchte. Mit Erfolg. In der älteren Wiener Gesamtaufnahme ist Beethoven bei Abbado noch viel "traditioneller" dargeboten, aber ebenfalls auf höchstem Niveau (eindeutig den neueren Aufnahmen unter Rattle und Thielemann vorzuziehen) und schon etwas "schlanker" als noch in den Aufnahmen der Wiener mit Böhm oder Bernstein.
    Ich war wirklich positiv überrascht beim Hören dieser Aufnahmen (2001). Es ist nur billig und recht, daß das Bessere des Guten Feind ist und die DG daher die ältere Box durch die neuere nach und nach komplett ersetzen will. Derzeit sind noch beide erhältlich. Abbado III ist für mich auf dem Treppchen der besten Beethoven-Zyklen mit modernem Orchester ab 2000.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões


  • Hiervon habe ich die Serie 1 -8 Mitschnitte aus der Accademia Nazionale di Santa Cecilia
    in Rom & Berliner Philharmonie (Nr. 9) auf DVD.


    1 - 8 gefallen mir ausnahmslos sehr gut. Wusste nicht, dass es die auch auf CD gibt.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


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