Georg Friedrich Händel (1685-1759):
SOLOMON
Oratorium in drei Teilen für Soli (SSSSM/ATB, Chor (SSAATTBB) und Orchester, HWV 67
Der Verfasser des Librettos ist nicht mit letzter Sicherheit zu ermitteln
Uraufführung am 17. März 1749 im königlichen Theater Covent Garden
DRAMATIS PERSONAE
König Solomon (Mezzo oder Alt)
Seine Frau, Tochter des Pharao (Sopran)
Königin von Saba (Sopran)
Zadok, Hoher Priester (Tenor)
Ein Levit (Baß)
Erstes Weib (Sopran)
Zweites Weib (Sopran)
INHALTSANGABE
Bereits in der einleitenden dreisätzigen Sinfonia wird der musikalische Reichtum des Oratoriums erfahrbar; besonders auffällig gestaltet ist das majestätische Thema im Mittelteil, einer durch charakteristische Quintfälle bedeutsamen Fuge.
Erster Teil
Der Tempel zu Jerusalem, den König Salomo (nachfolgend wird die in Deuschland übliche Schreibweise verwendet) auf Geheiß seines Vaters David hat errichten lassen, ist endlich nach sieben Jahren Bauzeit fertig geworden. Die Zimmerer, Bauleute, Bildhauer und Maler haben die Baustelle verlassen und das Heiligtum öffnet die Tore für das Volk: „Your harps and Cymbals sound“ (Mit Harfen und Cymbeln singt) singt der Priesterchor zunächst einstimmig, was auf den Hörer wie ein antiker Tempelgesang wirkt. Händel weitet diesen Gesang dann aber zu einem Doppelchor von enormer Klangfülle, noch dazu mit reicher Kontrapunktik und mehrere Tonarten durchmessend (von d-Moll, c-Moll nach B-Dur). Die folgende Arie des Leviten preist den Allbarmherzigen für seine Güte.
Der König richtet ein Gebet an Gott und bittet ihn, in sein Heiligtum zu kommen,es zu segnen und einzunehmen. Da weist der Hohe Priester Zadok plötzlich auf eine von oben herab schwebende Flamme hin, die den Altar völlig einhüllt: Salomos Gebet wurde erhört, ruft Zadok aus und fügt hinzu, daß der Herr der Welt nahe ist. Von tiefer Ergriffenheit geprägt verkündet der Chor „Troughout the land Jehovahs praise record“ (Preist Jehovah, all ihr im Land) und Salomo bekennt mit der Arie „What though I trace each herb and flow'r“ (Wenn ich auch forschte Gras und Blumen), daß ihm ohne Gottes Hilfe weder sein Wissen, noch seine Weisheit von Nutzen wären.
Die vom König über alles geliebte Königin freut sich über sein Versprechen, als Zeichen seiner steten Liebe zu ihr einen Palast aus Zedernholz bauen zu lassen, der in seiner Pracht auf der Erde nicht seinesgleichen haben soll. Tief berührt lobt die Königin den Tag, an dem sie ihm angetraut wurde und beide versichern sich in einem Bekenntnis-Duett („Welcome as the dawn of day“- Willkommen, Pracht des Tages) ihrer gegenseitigen Zuneigung. Zadok gibt seiner Hoffnung Ausdruck, daß die Eheleute auch in Zukunft treu zueinander stehen werden.
Salomo ist ganz unruhig und drängt darauf, sich mit seiner Gemahlin im nahe gelegenen Zedernhain zu vereinen: „Haste to the cedar grove“ (Komme in den Zedernhain). Sie folgt ihm mit der abermalgen Versicherung ihrer tiefen Liebe, denn „dein treuer Arm hält mich, du bist mir Schutz und Schirm“. Und der Chor beendet den ersten Teil des Oratoriums mit dem bezaubernden Satz „May no rash intruder disturb their soft hours“ (Nie trübe Euch ein Unhold den Frieden der Nacht), in dem das Orchester mit zarten Tonmalereien den Duft der Blumen für das Nachtlager beschwört, um linde Zephyr-Winde bittet, und die Nachtigallen mit ihrem Flöten die Liebenden in den Schlummer singen mögen.
Zweiter Teil
Die Israeliten huldigen ihrem König mit einem festlichen Gesang, dessen Hauptteil, eine kunstvoll gestaltete Fuge, immer wieder von homophonen Einschüben unterbrochen wird: „From the censer curling rise“ (Vom Altar wehen Weihrauch-Wolken), dessen Thema Händel einer eigenen Violinsonate entlehnte. Glück und ewiges Leben wünschen ihm die Untertanen. Doch Salomo weiß um seine Unvollkommenheit; er sagt, daß sein Wissen, Reichtum und Glück nur der Gnade Jehovahs zu danken ist. Ein Levit findet diese demütige Haltung seines Königs eines großen Herrschers würdig, und nennt als wichtigste Eigenschaft eines Fürsten die Tugend, denn nur die mache ihn groß. In seiner Arie „Thrice bless'd that wise discerning king“ (Wie selig ist der weise Mann) zeigt er an, daß der König einer jener Weisen ist, die sich selbst bezwingen können.
Ein Palastdiener kündigt zwei streitbare Frauen an, die Salomos Rat und Urteil in einem heiklen Fall hören wollen. Sie werden nach seiner Aufforderung vorgelassen und die erste Frau berichtet rezitativisch („Thou son of David, hear a mothers grief“- Du Sohn Davids, höre einer Mutter Leid), daß sie und ihre Nachbarin mit einem Kind niederkamen. Dann aber sei das Kind der Nachbarin gestorben und in einer Nacht wurde ihr während des Tiefschlafs das Kind von eben jener Nachbarin geraubt, die ihr dafür den Leichnam ihres Kindes in die Wiege legte.
Dieser Behauptung widerspricht in einem Terzett (mit der ersten Frau und dem König) die Beklagte vehement: „Words are weak to paint my fears“ (Kein Wort kann meinen Schmerz ausdrücken). Salomo will von der zweiten Frau nun ihre Darstellung der Ereignisse hören, das sei „gute Ordnung“. Und so erfährt der König, daß die erhobenen Anschuldigungen falsch sind, denn sie sei die Mutter des lebenden Kindes, nicht die Nachbarin, weshalb der König und Richter es ihr zusprechen müsse.
Und Salomo entscheidet mit jenem Urteil, das für alle Zeiten den Beinamen „salomonisch“ behalten wird: Da beide Frauen vor ihm in durchaus überzeugender Weise dargelegt hätten, die richtige Mutter zu sein („Hear me, ye women, and the king regard“- Hört mich, ihr Frauen, was der König spricht), bleibe nur die Möglichkeit, das Kind in zwei Hälften zu teilen, wodurch dann jede den gleichen Anteil bekäme: „Quick, bring the faulchion, and the infant smite, nor further clamour for disputed right“- Los, bringt ein Schwert, teilt das Kind entzwei, damit der Streit geschlichtet sei.
Mit diesem grausamen Urteil, daß jedoch, wie wir wissen, nicht das letzte Wort Salomos bleiben wird, ist die zweite Frau sofort einverstanden: „Thy sentence, great king, is prudent and wise“ (Das Urteil, großer König, ist weise und klug). Aber die erste Frau ist entsetzt und schreit förmlich heraus, diesen schrecklichen Mord nicht vollziehen sehen zu wollen. Lieber will sie zugunsten der Nachbarin sofort verzichten: „Can I see my infant gor'd“ (Ich kann nicht seh'n mein Kind zerteilt). Salomo hat sein Ziel erreicht und beruhigt die Frau. Er sagt, daß sein Urteilsspruch nur an den Tag bringen sollte, wer die richtige Mutter sei: nur sie kann es sein, da sie das Kind lieber abgeben, als sterben sehen möchte. Er spricht ihr das Kind zu und weist die falsche Mutter mit deutlichen und zornigen Worten aus seinen Augen: „Hence from my sight, nor urge a further claim“ (Geh hinweg! Und fürchte mein Gericht). Vor dem fünfstimmigen Jubelgesang auf die Worte „Swell, swell the full chorus to Solomons praise“ (Singt laut, ihr Chöre, zu Salomos Preis) darf die glückliche Mutter ihren Dank noch pastoral-lieblich ausdrücken, dann endet der zweite Teil festlich-hymnisch.
Dritter Teil
Nach einer einleitenden Symfony, die uns die Ankunft der Königin von Saba erleben läßt, und die mitteilt, daß die Kunde von Salomos Weisheit bis in ihr Land gedrungen sei, heißt der König die Herrscherin herzlich willkommen. Als erstes zeigt er ihr den neuen Tempel Jehovahs, sodann den inzwischen fertigen Zedernpalast, in dem alles „Herrscherpracht atmet“.
Der freundliche Empfang, den sie hier genießen darf, läßt die Königin von Saba förmlich jubeln: „Ev'ry sight these eyes behold“ (Jeder Blick aus diesen Augen). Salomo antwortet mit der Aufforderung an seine Sänger und Musiker, dem hohen Gast aus Saba von den menschlichen Leidenschaften Zeugnis zu geben. Mehrere Chorsätze stellen genau diese menschlichen Regungen vor: von der gotteslästerlichen Angriffslust der Menschen („Now a diff'rent measure try“- Jetzt ein Gesang von and'rer Glut), dann von der Verzweiflung verschmähter Liebe („Draw the tear from hopeless love“- Singet von verschmähter Liebe), danach vom Aufruhr der Gefühle in den Zustand der Ruhe („Thus rolling surges rise“- Die rollende Woge steigt). Eine barocke Huldigung an die Musik, die als Lenkerin der menschlichen Seelenzustände gefeiert wird.
Die Königin bedankt sich für die musikalische Bereicherung und überreicht Salomo dann ihre mitgebrachten Geschenke, die auf dem Rücken unzähliger Kamele einer mächtigen Karawane aus ihrem Reich herbeigeschafft wurden: Reinstes „Gold aus dunkler Erde Schacht“, Gemmen, die „leuchten wie des Morgens Pracht“, und duftenden Balsam. Die Herscherin gibt aber überwältigt zu, daß ihre Gaben nichts sind im Vergleich zum Tempel, in dem des „Herrn im Himmelskreis“ gedacht werde.
Auch der Hohe Priester Zadok darf Salomos neuen Tempel Gottes in den höchsten Tönen loben: „Golden columns, fair and bright“ (Goldene Säulen in glänzender Pracht), in dem alles „kunstreich und tadellos“ ausgeführt sei und die „Cherubim, hehr und schön, die Arch' umstehn“.
Diesem Lob will das Volk keinesfalls nachstehen und bringt sich mit einem überwältigend reich instrumentierten Doppelchor auf Gott den Herrn ein. Wird zunächst abermals im Stil antiker Tempelgesänge intoniert, weitet sich zum Ende des Satzes die Musik zu enormer polyphoner Struktur. Salomo wird von dieser Hymne angeregt, die Schönheit seines Landes hervorzuheben und die Königin von Saba verabschiedet sich mit dem Versprechen, alle diese Schönheiten, allen Glanz, den sie sehen durfte, in ihrem Herzen bewahren zu wollen: „Will the sun forget to streak“ (Säumt der Sonne Morgenlicht). Ein letztes Duett der beiden gekrönten Häupter leitet über zum oratorischen Schlußgesang, der zunächst im doppelchörigen Wechsel, dann jedoch in einer breiten achtstimmigen Fülle ein moralisierendes Fazit zieht: „Der Name des Bösen wird sehr schnell vergehn, doch der Ruhm der Gerechten wird ewig bestehn“.
INFORMATIONEN ZUM WERK
SOLOMON entstand in der Zeit vom 3. Mai bis zum 13. Juni 1748. Diese sechs Wochen Kompositionsarbeit waren ein durchaus normales Arbeitstempo für Händel. Danach gönnte er sich nur eine kleine Pause und begann sofort mit der Vertonung des Librettos von „Susanna“- mit der Fertigstellung in der letzten August-Woche 1748. Überraschend kam dann „Susanna“ als erstes heraus, nämlich am 10. Februar 1749, SOLOMON erst am 17. März. Warum dieser Tausch erfolgte, ist bis heute ebensowenig geklärt, wie die Frage nach der Wirkung von SOLOMON - es fehlen jegliche Berichte. Angesichts der Tatsache, daß Händel nur zwei Wiederholungen von SOLOMON ansetzte (am 20. und 22. März 1749), muß man annehmen, daß die Begeisterung mehr als dürftig war. Dafür spricht auch, daß es zu Händels Lebzeiten außerhalb Londons keine Aufführungen von SOLOMON gab. Händel selbst hat sein Oratorium ganz anders eingeschätzt, denn schon vor der Premiere führte er Stücke daraus in einem der Wohltätigkeitskonzerte für das „Foundling Hospital“ auf.
Wie läßt sich dieser Widerspruch zwischen Händels Auffassung und der Meinung seines Publikums erklären? Es fällt zunächst einmal auf, daß SOLOMON ein Jahrzehnt lang in der Schublade verschwand, und erst im März 1759, wenige Wochen vor Händels Tod, noch einmal hervorgeholt wurde. Für eine Aufführung nahm er eine Reihe einschneidender inhaltlich-dramatischer Veränderungen vor: so strich er den gesamten ersten Teil (bis auf die Arie „Haste to the cedar grove“), dadurch wurde der ursprünglich zweite nun zum ersten Teil. Den ursprünglichen dritten Teil verteilte er auf die neuen Teile zwei und drei, erweiterte sie durch neue Sätze und die Arie „Haste to the cedar grove“ aus dem ehemals ersten Teil.
Es fällt zweitens auf, daß die erwähnten Veränderungen in erster Linie die Liebesszenen betrafen, was keinesfalls an der Musik gelegen haben kann, die gehört zu Händels besten Eingebungen. Auch der Handlungsablauf kann es nicht gewesen sein, denn es gibt in SOLOMON, bis auf die Gerichtsverhandlung im zweiten Teil, keinen dramatischen Zielpunkt, auf den alles zustreben würde und der einer Verbesserung bedurft hätte. Daran hatte sich übrigens auch nach der Umarbeitung nichts geändert. Waren es also tatsächlich die Liebesszenen, die das Londoner Publikum verstört haben? Das könnte ebenso zutreffen, wie die veröffentlichte Einschätzung in einschlägigen musikhistorischen Darstellungen. Dort wird nämlich argumentiert, Händel habe das Werk als Huldigung an seinen Gönner, König Georg II., komponiert und genau das, so die Schlußfolgerung, habe das Londoner Publikum nicht goutiert.
Ein weiteres Problem besteht darin, die Verfasserschaft der Texte von SOLOMON und „Susanna“ zu klären. Der Händel-Forscher Winton Dean vermutete einen versierten Dichter als Verfasser, da sich die Texte in Diktion und Auswahl vieler Metaphern sehr ähnlich seien. Der immer wieder ins Gespräch gebrachte Thomas Morell kommt nach Meinung von Dean und Baselt „aus stilistischen Gründen“ nicht in Betracht. Fest steht nur, welche Quellen der Librettist benutzte: Das Erste Buch der Könige (Kapitel 3-11) und das Erste (22, 28-29) und Zweite Buch der Chronik (1-9) sowie die „Jüdischen Altertümer“ des Flavius Josephus. Wer auch immer es war, er hat dem Komponisten eine Vorlage geliefert, die Händel zu einer wahrhaft inspirierten Musik anregte.
Ein interessantes Detail, das nichts mit SOLOMON zu tun hat, wohl aber mit den Oratorienaufführungen insgesamt, weiß Christopher Hogwood mitzuteilen. Er zitiert aus einem Schreiben einer gewissen Catherine Talbot, die im Dezember 1743 „Samson“ hörte und ihre Eindrücke mit den Worten beschrieb, daß „diese Form der Unterhaltung“ ganz sicher zur „Besserung oder Milderung der Leichtlebigkeit unserer Zeit beitragen“ könne.
Noch aufschlußreicher ist die ebenfalls von Hogwood mitgeteilte Meinung einer Lady Eliza Heywood, die meinte, daß „solche Konzerte“ viel dazu beitragen könnten, „ein Zeitalter zu reformieren, das gleichermaßen in Respektlosigkeit vor dem Göttlichen wie in der Brutalität im Umgang der Menschen miteinander versinkt.“ Daraus zieht sie ein fast schon revolutionär zu nennendes Fazit: Sie halte es für richtig, daß „in jeder Stadt des ganzen Königreiches Oratorien eingerichtet würden. Doch selbst dann müßten diese, um dem allgemeinen Wohl zu dienen, gratis gezeigt werden, so daß Personen aller Stände sie besuchen könnten, andernfalls wäre es nur eine geringe Zahl von Personen im Vergleich mit der Gesamtheit, denen es aufgrund ihres Vermögens möglich wäre, auf diese Weise Besserung zu erfahren.“ Es wäre interessant zu wissen, was der Geschäftsmann Händel zu diesem Vorschlag gesagt hätte, wäre er ihm zu Ohren oder unter die Augen gekommen.
In Deutschland war SOLOMON erstmals 1832 in der Berliner Singakademie zu hören. Von den Großen der Musik haben sich vor allen Dingen Felix Mendelssohn-Bartholdy und Johannes Brahms dem Oratorium zugewandt: ersterer dirigierte es 1835 in Köln, Brahms 1874 in Wien. Dokumentiert sind noch die Konzerte in Leipzig 1925 unter Karl Straube und die bei den Göttinger Händel-Festspielen 1970 und 1984. Die Plattenindustrie hat sich in jüngster Zeit verstärkt SOLOMON gewidmet, wie unter den Diskographischen Hinweisen festzustellen ist.
© Manfred Rückert für Tamino-Oratorienführer 2012
unter Hinzuziehung folgender Quellen:
Unvollständiges Libretto einer Aufführung in Minden/Westf.
Oratorienführer von Pahlen, Oehlmann, Scheibler/Evdokimova, Harenberg
Hans Joachim Marx: Händels Oratorien, Oden und Serenaten; Vandenhoeck & Ruprecht