Gewandhaus zu Leipzig: Robert Schumann, Das Paradies und die Peri (13. Februar 2014)

  • Es war ein Abend, der vollkommen zu Leipzig paßte. Denn hier in Leipzig wurde das weltliche Oratorium Schumanns am 4. Dezember 1843 in Leipzig uraufgeführt. Und auch der Dirigent hatte eine besondere Beziehung zu Leipzig. Sir John Eliot Gardiner dirigierte. Der Tag dieser Ausführung war zugleich das Datum seines Antritts des Präsidentschaft des hiesigen Bach-Archivs. Nicht zuletzt kann ich sagen, daß es dieses bisweilen als zu süßlich (um nicht zu sagen kitschig) angesehene Werk zu meinen absoluten Lieblingsstücken der Romantik zählt.
    Die Geschichte nach dem Orient-Epos Lalla Rookh von Thomas Moore (übersetzt von Emil Flechsig und dem Komponisten selbst) ist rasch erzählt: der Peri ist der Zugang zum Himmel verwehrt. Um ihn zu erlagen, muß sie "des Himmels liebste Gabe" bringen. Ihre ersten beiden Opfergaben – der letzte Blutstropfen eines tapferen Freiheitskämpfers und der letzte Seufzer einer Jungfrau, die in den Armen ihres von der Pest dahingerafften Geliebten stirbt – sind nicht ausreichend. Erst durch die Tränen eines reuigen Sünders erreicht die Peri ihr Ziel. Gutes zu erkennen ist also das Motto dieses Werks.
    Daß Gardiner die Peri wunderbar dirigieren kann, hat er u. a. in einer sehr guten Einspielung bewiesen. Der Monteverdi Chor ist ohnehin ein Garant für klangliche Präzision, Fülle und Ausdruck. Es waren also gute Vorzeichen. Als Solisten fungierten die Sopranistin Hannah Morrisson (Peri), Christina Landshamer (Jungfrau), Ann Hallenberg (Mezzosopran), James Gilchrist (Tenor), Thomas E. Bauer (Bariton), Panajotis Inconomou (Bass).
    Das Dirigat von Gardiner war grandios. Voller innigster Lyrik und Süße, aber etwa beim Auftritt des Tyrannen auch höchster Dramatik und partiell kammermusikalischer Transparenz. Die das Timbre von Morrisson für die Peri war in seiner Zartheit äußerst passend: das Problem war aber leider, daß ihre Stimme (zumindest an diesem Abend) einfach zu klein war und man sie nur partiell gut verstand. Ich bin nicht sicher ob sie krank war (sie hatte sich zumindest nicht ansagen lassen, putzte aber hin und wieder die Nase). Schade. Hätte die Zartheit der Stimme wirklich getragen, wäre es eine ideale Besetzung gewesen. Durchschlagender war hier Landshamer, die eine wunderbare Vorstellung in klarster Diktion bot. Der Tenor Gilchrist verfügte über ein schönes, warmes Timbre, bot einen schönen Legatogesang, hatte aber immer die notwendige Durchschlagskraft. Erst gegen Ende klang er ein wenig angestrengt. Hallenbergs Mezzosopran war neben Gilchrist für mich die beste Besetzung am Abend. In den mittleren Lagen mit äußerster Klarheit singend, ein schönes Timbre: toll. Der Bariton von Thomas E. Bauer war in der Höhe schön, in den Tiefen fehlte mir etwas Fundament. Davon hatte Panajotis Inconomou dafür genug: bei ihm paßten Ausstrahlung und stimmliche Autorität vollkommen.
    Star des Abends war aber der Chor: Präzision, Durchschlagskraft, stimmliche Varianz im Ausdruck hoben einen die unterschiedlichen Welten der Schumann’schen Ausdruckskraft. Insgesamt ein beglückendes Konzert, trotz einer scheinbar überforderten (oder kranken?) Peri. Solisten, Chor und Dirigent wurden völlig zu recht mit lang anhaltendem Applaus bedacht.
    Mit bestem Gruß
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Ich bin vom Konzert am 14.2. zurück und kann Dir voll und ganz beipflichten. Ich kann mich an kein Konzert erinnern, bei dem ich derart "weg" gewesen bin. Es hätte noch viel länger dauern dürfen.
    Ich glaube, Hannah Morrisson war wirklich gesundheitlich angeschlagen, auf einem Hocker neben ihr stand ein Glas Wasser bereit, aus dem sie hin und wieder einen Schluck nahm. (Den Großteil hat ihr allerdings Sir John nach dem Ende des ersten Teils weggetrunken, nach der Pause standen dann dort zwei Gläser :-) )
    Ich bin nun wirklich kein Stimmenkenner und kann eine Stimme technisch nicht beurteilen, aber neben der sympathischen Hannah Morrison war James Gilchrist für mich der Solist des Abends, ich fand seine Ausdrucksstärke und Textdeutlichkeit beeindruckend.
    Jedenfalls war ich sehr glücklich, einige Künstler, die ich bisher nur von CD kannte, auch einmal live zu erleben. Allen voran Sir John Elliot Gardiner und den beeindruckenden Monteverdi Choir. Welchen Sir Gardiner übrigens kurzfristig von der Orgel-Empore nach unten auf die Bühne "umdirigiert" hat, was ich für eine (akustisch) gute Idee halte. Leider schien man beim Gewandhaus nicht schnell und flexibel genug, die dadurch frei werdenden Plätze noch an den Mann zu bringen. Es war ansonsten bis auf Einzelpätze ausverkauft.



    :hello:
    Reinhard

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

  • Da darf man euch um ein so tolles Konzert ja wirklich beneiden, ihr beiden. Da ich das Werk ja auch (schon länger) in meiner Sammlung habe, werde ich es jetzt doch mal bald hören müssen. Hatte Sir John denn auch seine English Baroque Soloists dabei, oder hat er das Gewandhausorchester dirigiert?


    Liebe Grüße


    Willi :) ?(

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Nicht zuletzt kann ich sagen, daß es dieses bisweilen als zu süßlich (um nicht zu sagen kitschig) angesehene Werk zu meinen absoluten Lieblingsstücken der Romantik zählt.

    Hier ist noch einer an der Tastatur, der einen kleinen Neidkomplex ob eines derartig interessanten Konzertabends hat. Es ist schon wahr - das mit dem Kitschgefühl, Romantik ist den meisten Menschen halt suspekt, vielleicht, weil man Gefühle zeigen "muss". Das schreckt manche Leute ab. Merke: der Mensch an sich ist gut, aber die Leute....
    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Zitat William B. A.

    Zitat

    Hatte Sir John denn auch seine English Baroque Soloists dabei, oder hat er das Gewandhausorchester dirigiert?


    Lieber Willi,
    dirigiert hat er ein bis auf ganz leichte Wackler im Blech (kommen in der letzten Zeit leider immer einmal wieder vor) glänzend aufgelegtes Gewandhausorchester, deren warmer Grundton gerade Werken der Romantik noch einmal etwas ganz besonderes verleiht.
    Wenn ich mir Deine schönen Schilderungen der tollen Erlebnisse von Klavierabenden so ansehe, ist der Neid allerdings ganz auf meiner Seite ;)


    Herzliche Grüße
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Zitat Reinhard

    Zitat

    Welchen Sir Gardiner übrigens kurzfristig von der Orgel-Empore nach unten auf die Bühne "umdirigiert" hat, was ich für eine (akustisch) gute Idee halte


    Stimmt, das hatte ich ganz vergessen zu erwähnen. Auch die Verteilung der Sänger (der Bariton sang einen Teil seines Parts im Prinzip mittig rechts im Orchester) hielt ich für gelungen. Wirklich schade, daß man die Karten für die Orgelempore nicht einfach noch kurzfristig verkauft hat. Am Donnerstag war das Haus nicht ganz voll, aber mehr als zwei Dutzend Plätze werden auch nicht frei gewesen sein.
    Und auch wenn Hannah Morrisson anscheinend angeschlagen war kann ich Dir nur beipflichten: so in die Musik versenken kann man sich nicht immer.


    Herzliche Grüße
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Zitat musikwanderer

    Zitat

    das mit dem Kitschgefühl, Romantik ist den meisten Menschen halt suspekt, vielleicht, weil man Gefühle zeigen "muss". Das schreckt manche Leute ab. Merke: der Mensch an sich ist gut, aber die Leute....


    Das stimmt in der Tat, die Gefühlswelt der Romantik ist uns oft sehr fern. Sich Gefühlen einfach hinzugeben mag nicht so recht in die heutige Zeit passen. Oder wenn man sie zeigt, hat man oft den Eindruck, daß damit etwas bestimmtes erreicht werden soll. Gefühle einfach um der Gefühle willen sind nicht angesagt ... aber ganz wunderbar :)
    Herzliche Grüße zum Wochenende
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Das "Romantik" uns prinzipiell suspekt wäre, halte ich dann doch für stark übertrieben.
    Ich klammere mal all die "romantic comedies" u.a. gefühlige Filme aus und beschränke mich auf klassische Musik und Oper. Finde es doch einigermaßen verwunderlich, dass obwohl die Oper (und vermutlich auch die Instrumentalmusik) der Romantik die populärste unter Klassikhörern ist, man sich hier schnell einig ist, dass uns die Romantik "sehr fern" sei...
    Ich habe "Das Paradies und die Peri" vermutlich noch nicht bewusst gehört (besitze aber eine Aufnahme). Aber zB "Der Rose Pilgerfahrt" und auch hier finde ich schon anhand der Zusammenfassung der "Handlung" nachvollziehbar, dass Kitschverdacht aufkommt (schon mit dem Titel assoziiere ich diese Bildchen, die Mädchen in der Grundschule ins Poesiealbum geklebt haben). Es ist vermutlich kein reiner Zufall, dass diese Stücke Schumanns nicht annähernd so verbreitet sind wie andere, unbestritten romantische, Stücke, also etwa Opern Wagners und Verdis o.ä. Es ist schon eine ziemlich spezifische Form von Biedermeier- und Poesiealbum-Romantik, die diese Stücke Schumanns wohl recht bald etwas an den Rand des Repertoires gedrängt hat.



    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat Johannes Roehl

    Zitat

    Das "Romantik" uns prinzipiell suspekt wäre, halte ich dann doch für stark übertrieben.


    Lieber Johannes Roehl,
    ich habe lediglich bemerkt, daß uns die Romantik häufig sehr fern sei, nicht prinzipiell. Da sehe ich einen großen Unterschied.


    Zitat

    spezifische Form von Biedermeier- und Poesiealbum-Romantik, die diese Stücke Schumanns wohl recht bald etwas an den Rand des Repertoires gedrängt hat.


    Da hast Du vollkommen recht, aber hier würde ich die Frage stellen: warum eigentlich? D. h., welche Form der Romantik ist akzeptabel, welche nicht und warum ist die leicht süßliche Biedermeier Romantik aktuell für viele so schwer zu ertragen?


    Daß die Instrumentalmusik der Romantik prinzipiell die populärste ist, halte ich schließlich für eine Fehleinschätzung (hinsichtlich Opern gebe ich Dir natürlich recht), hier würde ich die Werke der Wiener Klassik dagegenhalten, die sich einer ungebrochenen Beliebtheit erfreuen.
    Beste Grüße
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Ich kann mich der Begeisterung für die Peri im Gewandhaus nur anschliessen. Ich war in beiden Vorstellungen, beide waren top, so dass ich den Eindruck hatte, dieses Werk im Konzertsaal wohl kaum noch einmal auf diesem Niveau hören zu können. Die Ensembleleistung in der zweiten Vorstellung war womöglich noch um eine Nuance kompakter.


    Es war mein erster Besuch im Gewandhaus, bin für die beiden Vorstellungen extra aus der Schweiz angereist und es hat sich voll ausgezahlt. Hier wird königlich musiziert, mit einem wunderbaren Klangkörper, in ausgezeichneter Akustik. Warme, intensive Streicher, präzise Bläser (speziell aufgefallen: die 1. Klarinette, aber auch die Hörner und der Paukenspieler: ein echter Liebhaber seines Instruments!). Ich sass einmal hinten und einmal ganz vorne. Beide Male klang es gleich gut und gleich transparent. Über die stimmliche Indisponiertheit von Hannah Morrison wurde hier schon berichtet. Die zweite Vorstellung gelang ihr besser, aber immer noch sang sie etwas verhalten, wenig klar in Ausdruck und Gestaltung. Wahrscheinlich war sie wirklich erkältet. Der "Erzähler" James Gilchrist (Tenor) sang zwar sehr ausdrucksvoll und mit klangschönem Timbre, aber die Textverständlichkeit litt unter seinem Akzent. Die übrigen Sänger alle top: speziell Christina Landshammer (Sopran) und Ann Hallenberg (Mezzo), markig auch die Auftritte von Panajotis Iconomou (Bass). Über jedem Zweifel - und für mich neben dem Orchester und seinem famosen Gastdirigenten Gardiner das Highlight des Abends - war der Monteverdi Choir, der sich wohl weltweit zu den besten Chören überhaupt zählen darf.


    Aber was wären all die guten Leistungen der Instrumentalisten und Sänger ohne dieses bezaubernde Werk von Schumann? Woran liegt's, dass dieses Kleinod so selten aufgeführt wird? Hat Schumann überhaupt etwas Inspirierteres geschrieben? Liegt's am Libretto, an der blumigen Sprache, die heute als zu süsslich empfunden wird? Oder ist es das Zwitterwesen, weder (kirchliches) Oratorium, noch Oper, so was dazwischen, man kann's nicht recht einordnen? Fehlen die Bravourarien? Beim Hinausgehen hatte ich jedenfalls den Eindruck, dass die Konzertbesucher begeistert waren. Die beiden Vorstellungen werden sicher ihren Teil dazu beitragen, dass die Peri nicht mehr nur ein Geheimtip bleibt.


    Spielmann

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  • Das Stück war ja anscheinend zu Schumanns Lebzeiten erst einmal sehr erfolgreich. Ich habe neulich endlich mal die erste CD der Sinopoli-Aufnahme (DG/Brilliant) angehört.
    (Basiert auf einem Mitschnitt aus Dresden, mit den Gesangssolisten bin ich nicht so glücklich...)
    Keineswegs will ich bestreiten, dass das schöne Musik ist (und wieder mal habe ich den Eindruck, dass die Vorwürfe, Schumann könne nicht instrumentieren, ungerechtfertigt sind), aber ich finde das Teil insgesamt schon ziemlich schräg. Sowohl von der Form als auch vom Inhalt der Dichtung. Mich wundert tatsächlich, dass das so populär war. Mir ist dieser gesamte orientalische Hintergrund weitgehend unbekannt (d.h. ich hatte vor Schumann weder von "Peris" noch von den mythisch/historischen Namen jemals was gehört) und angesichts der Episoden und der entsprechend "Gaben" kommt bei mir schon Kitschverdacht auf. Aber der Stoff muss seinerzeit sehr gut angekommen sein; es gibt angeblich einen Brief von Wagner, in dem der Schumann lobt, diesen Stoff bearbeitet zu haben (schräge Erlösungsgeschichten waren vermutlich durchweg dessen Steckenpferd).


    Hier findet man (ein wenig nach unten scrollen, die Erläuterungen rechts sind ein wenig verschoben) übrigens die Vorlage aus "Lalla Rookh"; die Übersetzung bei Schumann ist relativ eng am Original)
    http://www.columbia.edu/itc/me…s/lallarookh/part_04.html

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich habe neulich endlich mal die erste CD der Sinopoli-Aufnahme (DG/Brilliant) angehört.
    (Basiert auf einem Mitschnitt aus Dresden, mit den Gesangssolisten bin ich nicht so glücklich...)

    Dan empfehle ich als Alternative mal diese Aufnahme:



    Wäre auch hier gleich bestellbar:


    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Hallo Johannes,



    ich finde das Teil insgesamt schon ziemlich schräg. Sowohl von der Form als auch vom Inhalt der Dichtung. Mich wundert tatsächlich, dass das so populär war.


    Der Inhalt der Dichtung ist freilich angreifbar und ist sicher nicht zeitgemäss. Das wird man irgendwann auch von den heutigen Fantasy-Geschichten sagen (Harry Potter, Herr der Ringe etc.). Die Erlösungsmythen und das orientalische Ambiente entsprachen damals offenbar dem Zeitgeist. Was meinst du mit der "schrägen Form"? Die Anlage der Komposition? Das Stück hat zwar noch Nummern, mit ariosen Rezitativen, zeigt aber bereits Elemente der späteren durchkomponierten Oper, war insofern also recht innovativ für das Jahr 1843, auch was die Form des weltlichen Oratoriums anbelangt.


    Zitat


    es gibt angeblich einen Brief von Wagner, in dem der Schumann lobt, diesen Stoff bearbeitet zu haben


    Wagner hatte sich offenbar auch bereits mit dem Peri-Stoff auseinandergesetzt. Er schreibt an Schumann: »Ich kenne dieses wundervolle Gedicht nicht nur, sondern es ist mir auch schon durch meine musikalischen Sinne gefahren: ich fand aber keine Form, in welcher das Gedicht wiederzugeben sei, und wünsche Ihnen daher nun Glück, die richtige gefunden zu haben.« (Brief vom 21. Sept. 1843).


    Gruss
    Spielmann

  • Ich freue mich sehr, daß der kleine Bericht etwas Resonanz gefunden hat, so daß das Werk weiterhin Beachtung findet.


    Zitat Johannes Roehl

    Zitat

    Mir ist dieser gesamte orientalische Hintergrund weitgehend unbekannt (d.h. ich hatte vor Schumann weder von "Peris" noch von den mythisch/historischen Namen jemals was gehört) und angesichts der Episoden und der entsprechend "Gaben" kommt bei mir schon Kitschverdacht auf.


    Ich habe diese orientalischen Erzählungen seit meiner Kindheit regelrecht geliebt, vielleicht sind es jetzt also Reminiszenzen daran, die mitschwingen. Angesichts der "Gaben" mag der Verdacht des Kitschigen aufkommen. Aber was ist denn das Leitmotiv? Der Versuch zu erkennen, was gutes Handeln ist, unabhängig von den zeitgebundenen Beispielen ist das m. E. überhaupt nicht kitschig, sondern die Auseinandersetzung mit moralischen Vorstellungen. Damit ist der Inhalt vielleicht sogar weniger angreifbar als mancher Opernstoff (ich denke nur an Wagners Feen, eine recht eindimensionale Geschichte, trotzdem wunderbar). Die Musik ist zwar süßlich, aber die empfinde ich grade nicht als kitschig. Warum ist sie denn so süßlich?: weil dem Hörer das Geschehen über die Gefühlswelt der Peri vermittelt wird. Bei einem solchen Wesen muß die Musik entsprechend klingen.
    Schumann selbst hielt das Werk im Übrigen für eine seiner bedeutendsten Kompositionen, die Allgemeine Musikzeitung sprach gar vom Vollzug "der Begründung einer neuen Gattung".
    Beste Grüße
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • die Allgemeine Musikzeitung sprach gar vom Vollzug "der Begründung einer neuen Gattung".


    Das ist auch etwas dran. Wenn ich mich nicht irre, wollte Schumann das Werk ja zunächst auch als "Dichtung" bezeichnet haben, also das neue auch im Genre deutlich machen. Dabei sehe ich starke Parallelen zu Berlioz, namentlich zu seinem "Roméo et Juliette", einer Symphonie dramatique. Wobei der Franzose noch weiter geht, indem er die Handlungsmomente weitgehend sinfonisch ausdrückt. Beide wollten etwas zustande bringen, was es bis dato nicht gab. In diese Reihe der auch formalen Neuerungen würde ich auch den "Elias" von Mendelssohn stellen. Bei Schumanns "Peri" ist der Text schon schwierig und selbst als romantische Verortung nicht einfach nachzuvollziehen. Dass im Nachkriegsdeutschland lange ein Bogen darum gemacht wurde, liegt doch sicher auch an diversen Versuchen unter dem Kaiser und später unter Hitler, das Werk konform zurecht zu schnitzen. Leider weiß ich darüber zu wenig, würde also schon mal die konkreten Textveränderungen kennen. Zum meinem größten Bedauern habe ich die "Peri" nie live gehört. Ich kenne aber die Einspielungen und habe auch etliche Mitschnitte, darunter unter Giulini mit der hinreißenden jungen Helen Donath. Eine Aufführung braucht großes Können, wie es offenbar in Leipzig zum Tragen kam. Dank auch von mir für den Bericht von JLang, der mich wieder auf dieses beutende Werk brachte.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Einen deutlichen Unterschied zu Paulus und Elias sehe ich darin, dass die "Peri" erstens nicht-christlich ist und zweitens viel weniger deutlich an entsprechende Vorbilder bei Bach und Händel anknüpft. Selbst wenn einige Passagen, etwa die Fuge oder vorher der Chor beim der Episode mit dem Vaterlandsverteidiger und dem Eroberer auch ein wenig an diese Komponisten erinnern mögen.
    Allerdings ist gut vorstellbar, dass auch Mendelssohn, wenn er länger gelebt hätte, noch weltliche Oratorien in einer ähnlichen Richtung komponiert hätte (die "Walpurgisnacht kenne ich zu meiner Schande auch noch nicht...).


    Insgesamt ist der Hinweis auf Berlioz sicher ein Beleg dafür, dass damals unterschiedliche alternative Formen zwischen Oratorium, Theatermusik und Oper im Schwange waren. Die Faust-Vertonungen von Berlioz und Schumann wären hier auch noch zu nennen. Interessanterweise haben es die meisten dieser Stücke nach wie vor eher schwer, vielleicht weil sie immer noch zwischen den Stühlen hängen (und das Publikum, anders als man meinen könnte, wohl auch nicht aufgeschlossener geworden ist). Selbst das vermutlich heute bekannteste und meistgespielte Stück, Berlioz' Faust, ist verglichen mit den üblichen Wagner- oder Verdiopern Nischenrepertoire.

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    (Bob Dylan)

  • Hallo Rheingold,


    Dass im Nachkriegsdeutschland lange ein Bogen darum gemacht wurde, liegt doch sicher auch an diversen Versuchen unter dem Kaiser und später unter Hitler, das Werk konform zurecht zu schnitzen.


    Im Dritten Reich wurde der erste Teil mit dem dritten vertauscht, so dass statt der Reuetränen des Sünders das Blut des Krieghelden den Eintritt ins Paradies bewirkte! Fies, aber dies hat offenbar dazu geführt, dass dem Werk nach dem Krieg der Nimbus der Kriegheldenverehrung anhaftete.


    Spielmann

  • Zitat Rheingold1876

    Zitat

    Dass im Nachkriegsdeutschland lange ein Bogen darum gemacht wurde, liegt doch sicher auch an diversen Versuchen unter dem Kaiser und später unter Hitler, das Werk konform zurecht zu schnitzen.


    Das ist vollkommen richtig: bereits 1914 wurde das Werk als "Musik zur Totenfeier unserer Heldenscharen" missbraucht (eine freundlichere Formulierung fällt mir nicht ein). Zum Tausch der ersten und dritten Episode kam es dann 1943. Ich kann auch verstehen, daß man sich dann schwer tat mit dem Werk. Umso wichtiger halte ich, es wieder stärker in die Aufführungskalender zu integrieren.


    Zitat Johannes Roehl

    Zitat

    Die Faust-Vertonungen von Berlioz und Schumann wären hier auch noch zu nennen.


    Die wurden übrigens kürzlich auch gegeben, nur leider war ich beruflich verhindert ;(
    Für Berlioz kann man nach Berlin fahren, dort steht die Oper ab 23. Februar in der Deutschen Oper auf dem Programm.


    Zitat

    (und das Publikum, anders als man meinen könnte, wohl auch nicht aufgeschlossener geworden ist)


    Da bin ich nicht ganz sicher. Die Peri in Leipzig war auf jeden Fall gut besucht. Ich glaube, es ist - wie Rheingold bereits bemerkte - in der Tat schwerer, ein Ensemble (Solisten, Orchester, Chor) zusammenzustellen, die es präsentieren können und dazu noch bezahlbar sind.


    Mit bestem Gruß zum Sonntag
    JLang

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