Frank Bridge (1879-1941) - vom Spätromantiker zum Modernisten

  • Der englische Komponist Frank Bridge gilt unter Fachleuten zwar als einer der bedeutendsten englischen Komponisten, ist aber bei uns nach wie vor wenig bekannt. Selbst der wikipedia Eintrag ist vergleichsweise dürftig (im Deutschen wie im Englischen). Meist fällt sein Name im Kontext mit Benjamin Britten, dessen Lehrer er war und dessen berühmte Variationen er inspirierte. Sein bekanntestes Werk ist wohl "The Sea". Im Forum wird er ab und zu erwähnt, meist sehr positiv, aber eine eigenen Thread hat er bislang nicht, was sich jetzt ändern soll. Äußerer Anlass ist, dass ich mir die Gesamtaufnahme der Orchesterwerke (6 CD) von Chandos bestellt habe und über die demnächst berichten werde. Andere Taminos sind eingeladen, ihre Hörerfahrungen mit Bridge beizusteuern.



    Bridge begann als Spätromantiker hat aber nach dem ersten Weltkrieg, den er als zutiefst überzeugter Pazifist verabscheute, eine zunehmend moderne Tonsprache angenommen, die ihn in die Nähe der zweiten Wiener Schule führte. Die gilt z.B. auch für sein 3. Streichquartett von 1926, das als eines seiner Meisterwerke gilt. Ein beim ersten Hören spröde wirkendes Werk, das tatsächlich den ersten beiden von Schönberg und denen von Berg nahesteht. Es ist zwar immer noch weitgehend tonal, aber doch streckenweise recht dissonant und abweisend. An anderen Stellen blühen Reminiszenzen an romantischere Klänge auf, die aber nur von kurzer Dauer sind. Ein sehr interessantes Werk, das man aber sicher mehrere Male hören muss, um in seine Welt völlig einzudringen. Die Aufnahme mit dem Allegri Quartet ist von 1973, eine neuere gibt es bei Naxos mit dem Maggini Quartet.


  • Als ich den Beitrag las, mit der Aufforderung, andere Taminos mögen ihre Hörerfahrungen mit Bridge mitteilen, war ich eigentlich skeptisch: Besitzt überhaupt jemand im Forum Aufnahmen von ihm? Die Antwort ist einfach: Ja - ich.
    Da lagen sie fein säuberlich und originalversiegelt, wartend bis jemand im Forum einen Thread über Bridge startet - und meine Erwartung wurde nicht enttäuscht.
    Gestern habe ich mir erstmals Bridges bekanntestes Werk, die Suite "The Sea" angehört, und nun, während ich hier schreibe, höre ich es bereits zum 2. mal.
    Hört man "The Sea" unvoreingenommen, dann wird man sich über die Einstufung des Stanford Schülers Bridge als "Modernist" wundern, denn das Werk ist ein sogenanntes "Frühwerk" - es gehört zu Bridges spätromantischer Phase und ist völlig tonal, teils lyrisch, teils monumental, teils stürmisch - niemals aber verstörend.


    Die ca 22 Minuten dauernde Suite ist viersätzig mit den Satzbezeichnungen:
    Nr 1) Seascape
    Nr 2) Sea-foam
    Nr 3)Moonlight
    Nr 4) Storm


    Meiner Meinung nach gelingt es Bridge teilweise sehr gut die verschiedenen Stimmungen uns Zustände des Meeres zu beschreiben. Das gilt sowohl für den 1. Satz, wo ich die Macht des Meeres erahnen kann, in all seiner Tiefe, Stille, Bedrohlichkeit und dennoch erhabener Schönheit. Weniger konnte ich mit der Darstellung der Gischt im 2. Satz anfangen - was durchaus an mir liegen kann. Sehr treffend - oder zumindest überzeugend gezeichnet - das Meer bei Moondlicht - aber natürlich ist der 4. Satz , der Sturm die Krönung. Stürmisches Meer war stets eine Herausforderung für Komponisten - Bridge stellt sich ihr mit Bravour....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hört man "The Sea" unvoreingenommen, dann wird man sich über die Einstufung des Stanford Schülers Bridge als "Modernist" wundern, denn das Werk ist ein sogenanntes "Frühwerk" - es gehört zu Bridges spätromantischer Phase und ist völlig tonal, teils lyrisch, teils monumental, teils stürmisch - niemals aber verstörend.

    Alfred hat natürlich völlig recht, Frank Bridge als Modernisten zu bezeichnen, geht eigentlich nicht. Ich hätte vielmehr schreiben müssen, vom Spätromantiker zum Modernisten. Heute habe ich die erste CD aus der GA der Orchesterwerke gehört und das war weitgehend pure Romantik. Davon demnächst mehr.



    Das 2. Streichquartett von 1914-15 ist ein Übergangswerk. Auf der einen Seite ist es weitgehend spätromantisch geprägt, zeigt aber im zweiten und dritten Satz schon einige modernere "Kanten". Auf alle Fälle ist das i.m.O. ein sehr substantielles Werk; mir fällt gerade kein früheres englisches Streichquartett ein, das ich für gewichtiger halten würde. Und die Magginis überzeugen wie gewohnt mit zuverlässigen und schwungvollem Spiel.

  • Inzwischen habe ich - durch diesen Thread angeregt - die Streichquartette Nr 1-4 erworben.
    Und so bietet es sich an, ein paar Worte über Bridges 1906 komponiertes Streichquartett Nr 1 zu schreiben, welches noch weitgehend frei von Einflüssen der Moderne war und als spätromantisch durchgehen kann . Auffallend der Beginn, der sehr verhalten erscheint und dann - plötzlich mit Temperament und Attacke fortsetzt. Eine positive Eigenschaft, die mir auffiel, war, dass Bridge, nicht wie viele andere britische Komponisten ein "Patchwork" verschiedenster Effekte anbietet, sondern das Werk in sich geschlossen - und auch musikalisch überzeugend ist , Kraftvoll direkt, temperamentvoll und stellenweise dennoch lyrisch...
    Bridge selbst hat in diversen Streichquartetten mitgespielt, oft als Substitut, und zumeist sein Lieblingsinstrument, die Bratsche. Das Streichquartett Nr 1 wurde in relativ kurzer Zeit geschrieben, da es für einen Wettbewerb in Bologna bestimmt war. Noch heute führt es den Beinamen "Bologna" Die offizielle Uraufführung fanf erst 1909 durch das "English String Quartett" in London statt, da sich die Jury in Bologna mit der Rückgabe der Noten einige Jahre Zeit liess - und keine Abschrift existierte....

    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred


    PS: Das auf der gleichen CD befindliche Streichquartett Nr 3 habe ich inzwischen auch gehört - und es klingt in der Tat wesentlich spröder als die vergleichsweise eingängige Nr 1 - gelinde gesagt.....

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Nach zweijähriger Pause folgt heute eine Erwähnung - mehr ist es ja nicht - einer weiteren symphonischen Dichtung. "Summer" H 116 Sie entstand in den Jahren 1914/15. Persönlich habe ich keine Beziehung zum Titel aufbauen können, kann diesen daher nicht wirklich nachvollziehen. Am ehesten trifft noch der Beginn und einige ähnliche Stellen die Stimmung des Sommers: Glühende Hitze, flirrende Luft, alles kommt zum Erliegen. Eine Art hypnotisierener Ruhe liegt über der Szene. Diese Beinahe-Stille weicht stellenweise einer ebensolchen, die aber von einer unterschwelligen Unruhe gekennzeichnet ist. Den dynamischen "Ausbruch" etwa nach 4 Minuten Spielzeit und einem triumphierenden Ende des etwa 10 Minuten dauernden Stückes kann ich leider nicht zuordnen. Die Wirkung des Werkes ist irgendwie in sich ruhend, von den von mir bezeichneten Ausnahmen mal abgesehen.

    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Frank Bridges 2. Streichquartett entstand 1915 im Rahmen eines Kompositionswettbewerbs des britischen Kammermusikfreunds und -Förderers Walter Wilson Cobbet. (1847-1937) Bridge gewann damit den ersten Preis in der Sparte: "Das Beste Werk in Sonatenform" Bridge hatte , um dieses Quartett rechtzeitig fertigstellen zu können, die Komposition an der Sinfonischen Dichtung "Summer" unterbrochen, und einige Motive aus diesem Werk im Streichquartett verwendet. Die Uraufführung erfolgte durch das Londoner Streichquartett. Ich empfand das Werk trotz einiger kurzen temperamentbetonten Passagen und einem beschwingten Scherzo
    als eher melancholisch, nachdenklich. Es ist im Kern noch dehr der Spätromantik verbunden, einige sehr chromatische Passagen zeigen aber dann doch an wohin die Reise in Zukunft gehen wird. Das 2. Streichquartett in g-moll wird von vielen als Übergang zwischen dem spätromantischen Stil und Bridges ureigenster Tonsprache angesehen. Es zählt zu den bekanntesten Werken Bridges.

    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred
    Clck 555

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  • Soeben erklingt bei mir die viersätzige Orchestersuite "The Sea" von Frank Bridge, entstanden 1910/11.

    Diese gut klingende Stereoaufnahme der BBC von 1971 ist besonders interessant, da hier Bridges Schüler Benjamin Britten am Pult vor dem English Chamber Orchestra steht.

    Tatsächlich hat dieses überschaubare Werk eindeutig spätromantischen Charakter und gehört in die "edwardianische Phase" des Komponisten. Das Booklet erwähnt "zahlreiche wunderbare Rubati und feine Tempoabstufungen" in Brittens Interpretation, betont "die Werktreue der Aufführung" und "das unfehlbare Gespür Brittens für die Tonsprache und die Intention seines früheren Lehrers". Tatsächlich kam Britten bereits als Zehnjähriger mit "The Sea" und somit mit der Musik von Bridge in Berührung.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Alfred_Schmidt

    Hat den Titel des Themas von „Frank Bridge (1879-1941) - englischer Modernist“ zu „Frank Bridge (1879-1941) - vom Spätromantiker zum Modernisten“ geändert.
  • Irgendwie lag diese CD einige Jahre originalversiegelt bei den "ungehörten " CDS und wurde gestern im Rahmen der "Aufarbeitung" von ungehörten Lagerbeständen geöffnet und mit Bax "eingeweiht" Entgegen meinem ursprünglichen Plan Bridge für "später" aufzuheben, kam er heute in den Player. Ein kurzes Hineinhören in clips hatte mich nicht begeistert und so war ich skeptisch. Aber dann war alles ganz anders: Che surprise !!

    Das Klavierquintett in d- moll H49a ist ein richtiger Hammer.

    Es stammt aus der frühen Schaffensphase des Komponisten, nämlich von 1904 und sollte frei von Modernismen sein. Das stimmt - aber auch wieder nicht, denn die extreme Dynamik und die Stimmungsschwankungen sind schon extrem.

    Am 28. Mai 1907 fand die Uraufführung des damals noch viersätzigen Werkes in privatem Rahmen statt, wo Bridge selbst mitwirkte. Am Flügel saß Harold Samuel (1879-1937). Am 14 Juni des gleichen Jahres fand die erste öffentlich

    Aufführung mit dem Pianisten Thomas Dunhill (1877-1946) und dem Erinson Quartett.

    Bridge war indes mit einigen Aspekten des Werkes unzufrieden: Er zog es zurück und überarbeitete es radikal. Die Änderungen sind im Booklet beschrieben - Diese korrigierte Form ist es , die wir heute auf der gezeigten Aufnahme hören. Sie ist drei- statt viersätzig. Die Uraufführung der überarbeiteten Fassung fand am 29.Mai 1912 fast 5 Jahre auf den Tag genau nach der Erstaufführung statt. Am Flügel saß wieder Harold Samuel, diesmal aber mit dem "English String Quartet"

    Das Werk ist von ungeheurer Vielfalt und Plastizität Voll Kraft und stellenweise würde ich sagen "Urgewalt", dann wieder von Zartheit und Lebensfreude (Mittelsatz)

    Ob dieser starke Ausdruck dem Werk an sich oder den Ausführenden, Ashley Wass am Klavier und dem Tippet Quartett zuzuschreiben ist vermag ich nicht zu sagen....


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !