Zyklus der Verzweiflung - Schuberts Winterreise

  • Liebe Schubertianer,


    Mehr noch als "Die schöne Müllerin" , bei der oft eine künstliche Heiterkeit die Schwermut verdeckt, tritt die Melancholie in der 1827 komponierten "Winterreise zutage, die bisweilen in blanke Verzweiflung mündet. Mache sehen in hier ein Vorbild Mahlers zu den "Liedern eines fahrenden Gesellen", und in der Tat es gibt Ahnlichkeiten.



    Schubert vertonte ursprünglich 12 Lieder, da er die anderen nicht kannte. Als sie Ihm aber 8 Monate später zur Kennnis gelangte, schrieb er einen zweiten Teil.
    Die Reihenfolge wie wie sie kennen, entspricht nicht der originalen, und es gab Versuche sie wiederherzustellen. Dabei stellte sich heraus, daß das nicht möglich war, so passten musikalisch nicht aneineander. Schubert hatte aus den Gedichten eines Dichters (Wilhelm Müller 1794-1827), der heute längst vergessen wäre, ein Meisterwerk gemacht.
    Schubert sagte über diesen Zyklus, als er ihn seinen Freunden vorstellte:


    Zitat

    Ich werde Euch einen Zyklus schauerlicher Lieder vorsingen, ich bin begierig zu sehen, was Ihr dazu sagt. Sie haben mich mehr angegriffen, als dies je bei anderen Liedern der Fall war.



    Er sang seinen Freunden den gesamten Zyklus vor. Sein Freund Schober meinte anschließend, das einzige ihm zusagende Lied wäre "Der Lindenbaum"


    Schubert war nicht gekränkt, er meinte nur beharrlich, daß ihm alle Lieder gefielen, und daß es den Freunden bald ebenso ergehen würde....


    In der Tat: Die Wintereise ist eines der am meisten eingespielten Werke der gesamten Musikliteratur, schon seit der Steinzeit der Schallplatte.


    Hier lässt sich auch der Wandel des Zeitgeschmacks verfolgen, vom kultivierten Schönlkang zum (IMO) manchmal übertriebenen "Expressionismus"
    Kaum ein Großer Liedsänger (und nicht nur solche) ging an diesem Zyklus vorbei, jeder wollte sich verewigen. In Meiner Jugend galten Dietrich Fischer Dieskau und Hermann Prey als die Idealbesetzung für diese Lieder, zuvor war es Hans Hotter.
    Traditionell wurde die "Winterreise" jedoch auch von Mezzosopranan gesungen. Hier waren Christa Ludwig und Brigitte Faßbaender federführend.


    Das Thema "Winterreise" ist ein dankbares, weil man es von zahlreichen Aspekten beleuchten kann, und weil man selbst immer wieder neue Einsichten zu diesem Werk gewinnt, isofern hatte Schubert also mit seiner Einschätzung völlig recht. Wer dafür prädestiniert ist, den begleitet dieser Zyklus sein Leben lang.


    Freundliche Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo,
    tatsächlich war die Winterreise meine erste - und bisher einzige - Annäherung an des Thema "Lied". Ich habe mir nach einigem Probehören die Aufnahme mit H.Prey und Wolfgang Sawallisch gekauft und mag diese sehr, gerade wegen des melancholischen, düsteren und grüblerischen Charakter. Mit den unzähligen Aufnahmen von DFD konnte ich mich nicht anfreunden, seine Interpretationen sind mir durchweg zu "künstlerisch" (um nicht zu sagen künstlich...). Interessieren würde mich noch eine Aufnahme mit S. Goerne oder Roman Trekel.
    Mit fröhlicheren Zyklen werde ich mich wahrscheinlich schwerer tun, da werde ich wahrscheinlich die gleichen Schwierigkeiten haben wie mit Operetten u.ä..
    Alfred, Frage an Dich als "Winterreise-Fan" - welche Stereo-Aufnahme favorisierst Du?
    Gruß
    Achim

    Herzliche Grüße
    Uranus

  • Um es ganz salopp zu formulieren, ist "Die Winterreise" die gelungenste Darstellung der Stationen eines Selbstmörders bis zum bitteren? Ende.
    Das Aufblitzen falscher Hoffnungen, der letzte Trotz, dann die Resignation und das Sichfügen.
    Meisterhaft ist hier auch der Klavierpart.


    Zu meinen Lieblingsaufnahmen:
    Natürlich Hans Hotter,
    Gerard Souzay
    Peter Anders (diese Aufnahme habe ich zufällig in einem scheußlichen Elektrogroßmarkt entdeckt)


    Von den neueren Aufnahmen Thomas Hampson mit Sawallisch als Begleiter.
    Goerne mit Brendel werde ich sicher erwerben.

    Otto Rehhagel: "Mal verliert man und mal gewinnen die anderen".
    (aus "Sprechen Sie Fußball?")

  • Wie schon in dem anderen Thread erwähnt, habe ich mir die
    Winterreise von N. Stutzmann zugelegt, mit der ich doch
    recht zufrieden bin.
    Sonst habe ich als Favorit Peter Schreier mit Richter am Klavier.



    Diese Aufnahme ist bis auf die störenden Publikumsgeräusche
    hervorragend.


    Auf meiner Wunschliste steht noch die Aufnahme mit
    Pregardien/Staier.



    Gruß
    Rüdiger

    Gruß
    Rüdiger


    ________________________
    Lärm ist ... nur eines der Übel unserer Zeit, wenn auch vielleicht das auffälligste. Die anderen sind Grammophon, Radio und neuerdings die verheerende Television.


    C.G. Jung

  • über die "alten" bzw. "klassischen" Aufnahmem der "Winterreise" wurde hier an anderer Stelle schon genug gesagt.
    Meine persönliche Referenz-Empfehlung ist diese:



    Im Gegensatz zu etlichen Aufzeichnungen, die durch puren Schöngesang bestechen, kommen hier die Parameter der Glaubwürdigkeit hinzu. Die Interpretation ist ein Hangeln über Abgründen der Herzens und der Seele; ich denke SO meinte es Schubert.

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • @achim-cremerius


    Zitat

    Alfred, Frage an Dich als "Winterreise-Fan" - welche Stereo-Aufnahme favorisierst Du?


    Hallo achim, Hat ein bisserl gedauert, hab den Beitrag erst jetzt gelesen, manchmal übersieht man halt was.....


    Ja als Kind meiner Zeit natürlich Prey und Dieskau,


    Als FI-Di auf dem Höhepunkt seiner Karriere war, hat kein Mensch den Vortrag als "künstlich" eingstuft, einfach nur als perfekt, er war einfach sakrosankt, in England ist er das heute noch.


    Winterreisen mit Hermann Prey habe ich mit Karl Engel und Philippe Bianconi. Hier hört man sehr gut, wie sich die Stimme, aber auch der Vortrag gewandelt hat, sie ist im Alter dunkler, aber auch weniger bewgelicher geworden, zugleich ist das Aufbegeheren der Resignation gewichen.


    Eine weiter gute Aufnahme ist jene mit Matthias Goerne für hyperion. Der Liedbegleiter Grahm Johnson war hier der Initiator eines Projektes, aller Schubert Lieder, und er wählte auch die Sänger hiefür aus.
    Goerne war eine "Leihgabe" von Universal an hyperion.
    Die Aufnahme (Studioaufnahme im Gegensatz zur neuen Aufnahme mit Brendel, die ein Livemitschnitt ist) war ein großer Erfolg.


    Roman Trekel sang sie "Winterreise" für naxos ein.
    Eine gute Aufnahme, wie ich meine, nicht nur angesichts des verlockenden Preises. Ulrich Eisenlohr, sein Begleiter fällt mir durch einige Eigenwilligkeiten im Vortrag (positiv) auf, er hat "Charakter".


    Ansonst ist sicher die bereits empfohlene Aufnahme mit Quathoff (hab sie noch nicht, kenne sie aber vom hineinhören) eine gute Wahl,
    wenngleich ich eine "vernichtende" Kritik darüber gelesen habe.
    Es wurde darin beanstandet, daß einige dramatische Stellen dem puren Schöngesang geopfert wurden, ein Verdikt, wahr oder unwahr, das mich nicht kratzt.



    Du siehst schon, lieber Achim, es gibt bei mir keine "Lieblinginterpretation" , das Werk (und wahrscheinlich ist es deshalb so beliebt) kann man von vieln Blickpunkten aus betrachten (interpretieren), immer wieder treten neue Facetten hervor.



    Was meinst Du mit "fröhlicheren Zyklen" ?


    Die schöne Müllerin ? Die Lieder eines Fahrenden Gesellen ? Die Kindertotenlieder, Lieder Aus des Knaben Wunderhorn ???


    Freundliche Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von BigBerlinBear
    über die "alten" bzw. "klassischen" Aufnahmem der "Winterreise" wurde hier an anderer Stelle schon genug gesagt.
    Meine persönliche Referenz-Empfehlung ist diese:
    im Gegensatz zu etlichen Aufzeichnungen, die durch puren Schöngesang bestechen, kommen hier die Parameter der Glaubwürdigkeit hinzu. Die Interpretation ist ein Hangeln über Abrgründen der Herzens und der Seele; ich denke SO meinte es Schubert.


    Genau BigBerlinBear , mir aus der Seele gesprochen!
    So muß das klingen.

  • Schnell ein paar Worte von mir dazu ...


    vor vielen Jahren habe Fischer-Dieskau in der Staatsoper in Hamburg mit der Winterreise gehört - ich habe selber oft zuvor an dem Zyklus gearbeitet und ohne die notwendige Erfahrung aber trotzdem mit viel Freude mich daran versucht. Nachdem ich Fischer-Dieskau gehört habe, war es für mich einer unter mehreren Hinweisen, diesen Zyklus nicht länger zu vergewaltigen - was ich bisher nicht geschafft habe, da ich mich immer wieder daran versuche, wenn ich alleine bin. :wacky:


    Fischer Dieskau war einfach unglaublich ! Zum ersten Mal hörte ich den Zyklus, wie ich ihn empfand nur nicht ausdrücken konnte. Seltsamerweise aber geht es mir nicht so bei der CD Aufnahme von 1962 - da fehlt etwas und ich kann nicht beschreiben was. An das Erlebnis, daß ich damals hatte reicht diese Aufnahem längst nicht heran - keine Ahnung warum, mir fehlt irgendwie die Tiefe. Vielleicht lag es ja auch an meiner Begleitung, mit der ich dieses wunderbare Erlebnis hatte - wer weiß :D


    In der letzten Zeit habe ich öfters die Aufnahme von Thomas Quasthoff (mit Charles Spencer am Klavier) gehört - ich mag Quasthoff schon seit langem und fühle mich in seiner Stimme sehr wohl; er versteht etwas von Technik, ohne sie in den Vordergrund zu schieben - meines Erachtens ein großer Sänger. Die Kritik, daß der Schöngesang im Vordergrund steht - nein, der kann ich mich nicht anschließen - gerade da empfinde ich das Gegenteil.
    Besonders gelungen imho sind seine Interpretationen "Die Krähe" und auch "Frühlingstraum" - allerdings liegt mir nicht so sehr der Pianist, der meines Erachtens einige Anweisungen in der Notation falsch verstanden hat - alles in allem aber eine schöne Aufnahme .... wenn sie auch nicht dem damaligen Erlebnis nahe kommt!


    Nun, nur ein paar Gedanken von mir - beste Grüße


    Nebu


    8)

  • Alfred schrieb:


    Zitat

    Es wurde darin beanstandet, daß einige dramatische Stellen dem puren Schöngesang geopfert wurden, ein Verdikt, wahr oder unwahr, das mich nicht kratzt.


    Also was immer der Kritiker da gehört haben will: diese ganze Eispielung ist NICHT auf Schöngesang ausgerichtet und trotzdem weder hart noch rauh, und genau das macht ja wohl ihren Reiz aus. Möglicherweise vermisste der Kritiker, sprechgesangsgartige "Ausbrüche" ala Fischer-Dieskau, der ja die Rezeptionsgeschichte dieses Werkes wesentlich mitgeprägt hat, aber genau dieses wollte Quasthoff nicht liefern. Aber wie bei allen großen Kunstwerken ist auch bei der "Winterrreise" noch lange nicht das "letzte Wort" gesprochen.

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Hallo,


    Ich freue mich, daß ich offenbar doch keinen so schlechten Geschmack habe, auch mir gefällt Thomas Quasthoffs Aufnahme sehr.
    Sie ist ein Fixstarter noch dieses Jahr, alledrings gibt es vorher noch wichtiger Anschaffungen immerhin habe ich bisher 8 Winterreisen, historische und jene auf LP (Vinyl) nicht mal mitgerechnet.


    Und weil wir grad bei "historisch" sind:
    Hans Hotter ist einer der ganz großen Interpreten der Winterreise, er hat sie mehrfach aufgenommen, die berühmteste war wohl jene mit Michael Raucheiesen in den vierzigern. ich persönlich habe mich jedoch für die klanglich bessere Aufnahme mit Gerald Moore als Begleiter am Flügel entschieden, obwohl manche meinen, Hotters Leistung wäre hier nicht so überragen, wie jene auf der älteren Aufnahme......



    Schließlichmöchte ich noch die naxos Aufnahme (welch Zeitsprung) mit Roman Trekel und Ulrich Eisenlohr erwähnen: Sie ist gewiss preiswert, aber nie und nimmer billig, und sie hätte IMO auch zum Vollpreis ein gewichtiges Wort mitzureden, äh mitzusingen in der Gruppe der Winterreisenden....



    Gruß aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Der Schubertianer Sagitt meint:


    Es gibt kein Werk klassischer Musik, das ich öfters gehört habe als die Winterreise. Dieses Werk begleitet seit Jahrzehnten mein Leben und ich habe sicher um die zwanzig Aufnahmen von diesem Werk, davon allein ungefähr zehn von Fischer-Dieskau.
    Vorab: Eigentlich ist es ja ein " Tenor-Zyklus",obwohl der Sänger der Uraufführung ein quasi pensionierter Tenor, Vogl, war und vielleicht eher baritonal gefärbt war. Aber für einen Tenor ist dieser Zyklus ein gewisser Horror. Wegen der tiefen Töne. Ich habe bereits in live-Konzerten Tenöre aussteigen hören, weil sie die tiefen Töne, etwa in Lied Nr. 9 einfach nicht darstellen konnten. Ein wenig wiederspreche ich mir jetzt, wenn ich als erstes auf die Aufnahmen von Peter Anders hinweise, er hat zwei gemacht, im Februar 1945 ! mit Michael Raucheisen und 1948 mit Günther Weißenborn. Ich schätze diese Aufnahme gerade deswegen, weil Anders so unperfekt singt. Die Winterreise ist die Reise eines zutiefst getroffenen Menschen, der in seiner Einsamkeit umherirrt. Wenn man dies mit Schöngesang zudeckt, wie etwa Thomas Hampson, wird der Gehalt dieses Zyklus verfehlt. Anders, mit seinem Pathos- es war eben die Zeit vor Fischer-Dieskau- drückt die Verzweiflung adäquat aus. Als zweites Beispiel aus dem Tenorbereich möchte ich auf Christian Elsner hinweisen, aber weniger wegen des Tenors, sondern wegen der Streichquartett Version, gespielt vom großartigen Henschel-Quartett. In der Quartett-Version wird das Elend, das diese Musik beschreibt, fast unerträglich intensiv.
    Fischer-Dieskau war immer mein Maßstab für diesen Zyklus. Es ist fast wie die Prägung der Graugans. Ich habe den Zyklus mit ihm kennengelernt( Moore- 1955) und lange Jahre immer nur gehört, wieviel Prozent Dieskau erreicht der Sänger. Heute bin ein wenig aus seinem Bann getreten,obwohl ich seine lebenslange Beschäftigung mit diesem Zyklus immer noch sehr respektiere. Ich will aus der Überfülle nur zwei Aufnahmen herausgreifen: seine erste 1948 mit dem Pianisten Billing. Er ist gerade aus der Gefangenschaft wieder zuhause, hat kaum Gesangsausbildung erhalten und singt den Zyklus herrlich unbefangen und so großartig, wie er nur selten von Sängern gestaltet werden kann.Die zweite Aufnahme ist diejenige mit Brendel, Anfang der achtziger Jahre. Fischer-Dieskau erzählte mir, er sei damals krank gewesen, habe aber die Aufnahme nicht absagen wollen. Gottseidank. So großartig gebrochen kann man die letzten Lieder nirgendwo hören.Brendel ist natürlich ein gänzlich adäquater Begleiter( man kann ja genügend über diesen Pianisten in diesem Forum lesen). Der gleiche Pianist hat gerade mit Goerne mal wieder eine Winterreise vorgelegt. Goerne hat eine fabelhafte, dunkler gefärbte Stimme und singt eine " modernere" Version dieses Zyklus. Es ist nicht der romatische Bursch, der die Einsamkeit fliehen möchte ( was ihm ja ach gelingt, im letzten Lied, mit einem anderen Außenseiter, dem ersten Menschen, der real in diesem Zyklus auftaucht). Bei Goerne assoziiere ich eher einen modernen Menschen, der in seiner Einsamkeit rotiert wie der Hamster im Rad.
    Letzte Bemerkung, momentan. Man sollte die Version von Zender hinzuziehen. Zender modernisiert den Zyklus sehr behutsam und macht ihn dadurch ganz besonders spannend. Etwa im Lied 23- Nebensonnen- bringt er eine Dimension von Schizophrenie herein, die Schubert mangels Erkenntnissen über eine solche Krankheit nicht zur Verfügung stehen konnte. Großartig musiziert vom ensemble modern unter der Leitung des Bearbeiters Zender.

  • Hallo und guten Abend,


    fremd bin ich eingezogen... eine Aufnahme der Winterreise zu erstehen und dem Werk überhaupt erstmals nahezukommen...
    Und gelandet bin ich bei - ja, ich bekenne es freimütig - bei Bostridge und Andsnes.


    DFD singt mir zu akademisch, und er schmiert z.T. Vokale ineinander, daß ich es vor lauter Manierismus nicht aushalte.
    Bostridge singt hörbar nicht in seiner Muttersprache, aber nicht störend! Im Gegenteil, die Art und Weise, wie er Vokale zu formen und zu singen versteht, ist toll und begeistert mich immer wieder. Wie er sich bei Harmoniewechseln in die neue Stimmung "hineingroovt" - sorry, aber das ich echt geil! Wie er sich "sacht, sacht" aus dem Hause macht, läßt mich jedes Mal lächeln vor Begeisterung über so viel musikalischen Verstand und die Lust, Text und Musik überzeugend zu vermählen.


    Quasthoff käme ggf. noch in Frage, aber es sollte erst mal ein Tenor sein. Mal sehen, was vielleicht noch kommt.


    In diesem Sinne, draußen schneit's auch gerade....
    Grüße von


    Antaeus

  • Sagitt meint:


    Über DFD ist immer gestritten worden und meist ging es um die Behandlung des Worts, man warf ihm vor, zu intellektuell zu sein, seinen Gesang zu sehr zu stilisieren.
    DFD hat deutlich über vierzig Jahre gesungen, die Winterreise seit 1948. Wenn man diese Karriere betrachtet, entwickelt sich ein Sänger weiter. Die frühen Aufnahmen , insbesondere diejenige von 1948 entstehen doch eher " aus dem Bauch". Die geistige Durchdringung des Zyklus fand bei Dieskau eher ab den sechziger Jahren statt. Kesting bezeichnet DFD als Monolizthen ( um ihn dann auch zu kritisieren). In der Tat war er über Jahrzehnte DER Liedersänger in der ganzen Welt.
    Das heißt nicht, dass man zwangsläufig durch seine Stimme angesprochen werden muss, aber man darf diesen großen Künstler auch nicht reduzieren.
    Zweitens meine ich, Tenöre, selbst wenn sie es singen können, sollten andere Lieder singen: In die tiefsten Felsengründe ( Lied 9) findet sich ein Bass, ein Bariton mit guter Tiefe ebenso, aber ein Tenor ?
    Die Stimmung des ganzen Zyklus ist doch düster ( Lied 22 scheint anders zu sein, aber ist es nicht verzweifelter Trotz ?) und in einer Düsternis verirrt sich der Tenor leicht. Selbst sehr gute Liedersänger, wie Peter Schreier einer ist ( hervorragend seine "schöne Müllerin" mit Konrad Ragossnig, Laute) ist hier fehl am Platz, selbst wenn einen Richter als seinen Begleiter hat.

  • Hallo,


    Ich habe meine 9 Winterreisen auf Tenöre durchforstet, jedoch außer der historischen Aufnahme mit Peter Anders keine gefunden.
    Bostridge (ich besitze hier nur eine Aufnahme mit Schube-Liedern und dabei wird es auch lange bleiben) hat eine Stimme, die ich persönlich (ebenso wie Pegardien) generell als unangenehm empfinde, daher bin ich parteiisch...
    Was man eventuell noch erörten könnte wäre, wie Jhr zu Einspielungen der Winterreise steht, die von Frauen interpretiert wurden, etwa Christa Ludwig oder Brigitte Faßbaender....


    Freundliche Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Alfred,


    zu Bostridge wollte ich mich gar nicht äußern, um niemandes Gefühle zu verletzen. Ich weise noch auf Ernst Haefliger hin, der alle drei " Zyklen" aufgenommen hat. Ich habe den lyrischen Tenor Haefliger immer sehr geschätzt,z.B. das Tenor bei Friscay, aber bei der Winterreise bevorzuge ich dunklere Stimmen, von einem Bass kann man den Zyklus gut hören, wir denken alle an Hotter, der schon mit Michael Raucheisen eine Aufnahme gemacht hatte. Aber auch dunkel gefärbte Baritone wie Goerne oder Quasthoff sind mir sehr angenehm. Der frühe DFD hatte auch eine recht dunkle Stimme. Ich denke, andere hielten ihn zu früh für einen italienischen Bariton ( der er nach meiner Auffassung nie war) und diese müssen ja quasi den Tenören nachsingen, da ist es schon gut, wenn man notfalls auch ein A singen kann. Die Stimme von DFD wurde dadurch soviel " heller", daß er in späteren Aufnahmen tiefe Töne in Bachkantaten,z.B. BWV 4, nicht mehr sang, sondern oktavierte ( was ich ziemlich ungehörig finde - wenn man es nicht singen kann oder will, soll man es lassen)


    Grüße aus dem nass-kalten Bremen


    Sagitt

  • Sängerinnen als Interpretinnen der "Winterreise":


    Istzustand:
    Ich kenne nur die Aufnahme mit Ludwig und Levine. Diese "Winterreise" konnte ich auch live im Musikvereinssaal erleben, da das Leben sich nicht nur hinter CD-Wänden abspielt.


    Kommentar:
    a) Der Text der Winterreise bezieht sich eindeutig auf ein männliches Wesen, wenn eine Frau diese Texte singt, hört sich das etwas gewöhnungsbedürftig an.
    b) aaaaaaaaaaaaaaber, wenn man es so singt wie die Christa Ludwig, dann ja.


    Resultat: ambivalente Stellungnahme


    Gerwald

    Otto Rehhagel: "Mal verliert man und mal gewinnen die anderen".
    (aus "Sprechen Sie Fußball?")

  • Unbedingt Beachtung verdienen folgende Aufnahmen der Winterreise:


    - Peter Pears, von Benjamin Britten höchstselbst am Klavier begleitet. Der englische Tenor singt so ausdrucksstark und einfühlsam, daß manche der Meinung sind, diese Winterreise wäre die großartigste überhaupt. Ach, wäre da nicht das Problem der Aussprache...


    - "Schuberts Winterreise. Eine komponierte Interpretation" von Hans Zender. Auch Personen, die ansonsten nichts mit zeitgenössischer Musik verbindet, werden durch die Instrumentierung und die leichten Abwandlungen der Originalpartitur fasziniert sein. Die erste Aufnahme mit Blochwitz ist suggestiv, die mit Pregardien habe ich noch nicht gehört. Vernehmen wir H.-C. v. Dadelsen (in FonoForum 11 / 95): "Stern des Monats. Hans Zender hatte die Idee, Schuberts "Winterreise" nicht nur für das Ensemble Modern zu instrumentieren, sondern die Musik gleichzeitig aus einer zeitgenössischen Perspektive heraus kompositorisch zu interpretieren. Mit großer innerer Spannung, aber auch mit Hilfe zahlreicher grotesker, immer sehr pointierter musikalischer Einfälle, leitet Zender den Hörer ebenso packend wie hintersinnig durch den Zyklus. Die sehr ausgewogene, runde Stimme von Blochwitz bringt den lyrischen Ausdrucksradius des Zyklus' optimal zur Geltung und wird auch den Verfremdungsaspekten in glaubwürdiger Form gerecht." Natürlich sollte man auch eine "echte Winterreise" haben. Aber als Ergänzung ist Zenders Version herrlich.

    Wärmste Empfehlungen also!

    Musik: Atem der Statuen. Vielleicht: Stille der Bilder. Du Sprache wo Sprachen enden. Du Zeit, die senkrecht steht auf der Richtung vergehender Herzen. (Rilke)

    Einmal editiert, zuletzt von jubal ()

  • Es ist wirklich bedauerlich, dass Fritz Wunderlich nicht dazu gekommen ist, eine Winterreise aufzunehmen. Hat er sie überhaupt jemals einstudiert? Seine Aufnahmen der "Schönen Müllerin" von Schubert und der "Dichterliebe" von Schumann zeichnet IMO eine von Intellektualität gereinigte Natürlichkeit, besser: "Echtheit" aus. Wenn er es auch noch geschafft hätte, diese Echtheit mit Melancholie zu verbinden - es wäre wohl eine großartige Winterreise entstanden.


    Weg von den nicht existierenden Aufnahmen. Ich kannte bereits mehrere Aufnahmen: Fischer-Dieskau/Moore, Fischer-Dieskau/Brendel, Schreier/Richter, Schreier/Schiff, Quasthoff/Spencer. Doch erst vor kurzem ist mir eine Aufnahme in die Hände gefallen, wo mich der Zyklus wahrhaftig berührt hat; ich hatte zum erstenmal den Eindruck, dass ich den Wanderer auf seinem eisigen Weg "begleite".


    Es war die Aufnahme mit Hotter und Raucheisen von 1943. Inzwischen habe ich auch Goerne/Johnson gehört - Goerne kommt wohl Wunderlich am nächsten, hätte dieser den Zyklus eingespielt. Nach Hotter/Raucheisen IMO die beste Aufnahme. Jedoch, ihm fehlt Hotters Bass-Mächtigkeit und die unglaubliche Ruhe und Ausgeglichenheit, selbst wenn Hotter scheinbar ausbricht - die Landschaft die er durchschreitet liegt doch totenstill vor den Augen dessen, der ihm andächtig lauscht.

    Einmal editiert, zuletzt von Theiresias ()

  • Hi Theiresias,


    willkommen im Club, interessante Frage. Ich weiß nicht, ob wunderlich sich mit der Winterreise beschäftigt hat. Die Stimmlage dürfte eigentlich kein Problem sein, die dürfte vergleichbar sein mit der von Christoph Pregardien, der ja auch eine wunderschöne Winterreise eingespielt hat.


    Gruß, Markus aus FfM

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  • Zitat

    Original von jubal
    Unbedingt Beachtung verdienen folgende Aufnahmen der Winterreise:


    - Peter Pears, von Benjamin Britten höchstselbst am Klavier begleitet. Der englische Tenor singt so ausdrucksstark und einfühlsam, daß manche der Meinung sind, diese Winterreise wäre die großartigste überhaupt. Ach, wäre da nicht das Problem der Aussprache...


    Die großartigste überhaupt, ja, finde ich auch!


    Die Aussprache ist ein Problem? Wieso das denn? Ich finde, Peter Pears hat eine sehr gute, deutliche Aussprache. Daß er ganz selten mal ein Wort falsch ausspricht, kann man ihm nun wirklich nicht übelnehmen.


    Gruß
    Heinz

  • Salut,


    für Winterreisianer, die es ganz besonders schön haben wollen, möchte ich empfehlen, beim Hören der Winterreise Franz Kafka's "Das Schloss" zu lesen!! Eine Wahnsinnssache...


    Viele Grüße, Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • 8o 8o 8o 8o 8o


    Ähm, ich würd mal sagen, die Winterreisenstimmung ist mit Kafka nicht kompatibel. Es ist zwar alles furchtbar traurig, aber gruslig find ich die Winterreise eigentlich nicht :rolleyes:

  • Hallo Heinz,


    die Atmosphäre in Kafkas Roman "Das Schloß" ist ja eigentlich nicht gruselig, sondern vor allem düster und hoffnungslos. Der Held K. ist Mächten ausgeliefert, die er nicht kennt und die er nicht versteht. Er ist nicht Herr seines Schicksals und wird auch im Dorf unterhalb des Schlosses nicht heimisch. Er bleibt ein Fremder. Insofern bestehn schon einige Parallelen zur "Winterreise", wenngleich Kafkas "Schloß" wesentlich hermetischer und unzugänglicher ist.


    Grüße


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Danke, GiselherHH


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • ...ich finde , daß in der Musik trotz Darstellung von tiefer Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung immer auch Wärme und zumindest, wenn auch als "Irrlichter" , Spuren von Hoffnung zum Ausdruck kommen.Kafka ist in seiner Darstellung glaube ich, noch finsterer.
    Interessante Aufnahme d."Winterreise": Peter Anders

    Einmal editiert, zuletzt von ulesse ()

  • Meine Favoriten:
    Marko Rothmüller, der sein Emigrantenschicksal gestalterisch und vor allem musikalisch glaubhaft macht, o h n e in Pathosc und Weinerlichkeit zu verfallen,


    Hotter (1943) AUF DER Höhe seiner Kunst
    Peter Anders (1945); auch hier spielt dieZeit mit
    Fischer-Dieskau (1965)


    Gruss Guido

    Wie aus der Ferne längst vergang´ner Zeiten
    GB

  • Hallo allerseits,


    es wird Zeit, dass auch ich ein wenig Senf zur Winterreise dazugebe.


    Rienzi:

    Zitat

    Um es ganz salopp zu formulieren, ist "Die Winterreise" die gelungenste Darstellung der Stationen eines Selbstmörders bis zum bitteren? Ende.


    Ich glaube, dass da eine kleine Verwechslung vorliegt. Warum hat das eigentlich noch niemand beanstandet?
    Die Winterreise ist die Geschichte eines Wanderers in die Einsamkeit, mit allen ihren Folgen. Aber er trifft am Ende einen anderen Menschen mit ähnlichem Schicksal, dem aber die Trostlosigkeit unseres Wanderers abgeht. Er hat eine Tätigkeit, wenn auch die denkbar einfachste, und es bleibt offen, ob unser Wanderer weiter seines Weges zieht, oder ob er sich dem Leidensgenossen anschließt.


    Der Selbstmord wurde anderswo komponiert:


    Gute Ruh, gute Ruh! Tu die Augen zu!
    Wandrer, du müder, du bist zu Haus.
    Die Treu ist hier, sollst liegen bei mir,
    bis das Meer will trinken die Bächlein aus.



    Allerdings stimme ich mit dir überein, dass Gérard Souzay ein wunderbarer Schubert-Interpret ist. Auch bei der Winterreise. Auch Peter Pears habe ich gehört, und er hat mir gut gefallen.



    Interessant ist aber, dass Tenöre hier nicht sonderlich geschätzt werden. Dabei ist es sehr auffallend, welch andere Stimmung die Tenorlage erzeugen kann. Auch der Kontrast zur Klavierstimme wird des öfteren erhöht. Wer also Peter Anders kennt und seine Aufnahme(n) schätzt, dem lege ich wärmstens die Aufnahme von Julius Patzak mit Jörg Demus ans Herz.


    Sein Wanderer ist aufbegehrend und phasenweise trotzig gegenüber seinem Schicksal. Erst gegen Ende kehrt milde Resignation ein. Die Stimmung erinnert an einen frostigen Wintertag, bei dem die Sonne durch einen Dunstschleier gedämpft wird. Bei einem Bass habe ich immer das Bild eines düsteren Winterabends vor mir. Eine eigenwillige, dabei aber höchst empfehlenswerte Aufnahme!



    Ciao

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Die Winterreise - eines meiner Lieblingsstücke überhaupt.
    Zunächst was zu den Einspielungen:
    Mir gefällt auch die von Quasthoff am besten, er singt gerade nicht maniriert und bringt diese Stimmung gut hervor. Die vernichtende Kritik über Quasthoff stammt aus dem 'Rondo'-Magazin, welches für mich teilweise die Bild-Zeitung des Musikbetriebes ist. Quasthoff mag keine Kritiker und macht keinen Hehl daraus, viele Kritiker mögen ihn auch nicht, was man dann in solch seltsamen Kritiken nachlesen kann.
    Eine sehr interessante Alternative zu modernen Flügel ist der Hammerflügel, welcher, so finde ich, besser in die Stimmung passt.


    Und nun zu dieser Stimmung, bzw. zum Text und somit zum Dichter:
    Wilhelm Müller, das ist wahr, wäre wohl in Vergessenheit geraten, hätte Schubert nicht einen solch hervorragenden literarischen Geschmack bewiesen, denn ich finde, Wilhelm Müller ist einer der meistunterschätzten Dichter der Romantik, ein sehr politisch engangierter Dichter ('Griechen-Müller'), der von Heinrich Heine selbst in den höchsten Tönen gelobt wird, Heine sagt sogar, er sei von WM beeinflusst worden, hier ein Zitat Heines aus der 'romantischen Schule':


    " Wilhelm Müller,
    den uns der Tod in seiner heitersten Jugendfülle ent-
    rissen, muß hier ebenfalls erwähnt werden. In der
    Nachbildung des deutschen Volkslieds klingt er ganz
    zusammen mit Herren Uhland; mich will es sogar be-
    dünken, als sei er in solchem Gebiete manchmal
    glücklicher und überträfe ihn an Natürlichkeit. Er er-
    kannte tiefer den Geist der alten Liedesformen und
    brauchte sie daher nicht äußerlich nachzuahmen; wir
    finden daher bei ihm ein freieres Handhaben der
    Übergänge und ein verständiges Vermeiden aller ver-
    alteten Wendungen und Ausdrücke."


    Ich denke auch, die Winterreise einthält sehr viele politische Anspielungen
    ("Ob's unter seiner Rinde/Wohl auch so reißend schwillt ?"), doch ist das Leitmotiv die absolute Verzweiflung, nichteinmal der Tod ist dem Wanderer vergönnt, siehe 'Lindenbaum' : "Du fändest Ruhe dort!"
    Gemeint ist der Tod.


    Aus dem Lied 'Irrlicht':
    "Durch des Bergstroms trockne Rinnen
    Wind' ich ruhig mich hinab,
    Jeder Strom wird's Meer gewinnen,
    Jedes Leiden auch sein Grab."


    Folgerung:
    Seine Leiden finden kein Ende



    Viele Grüße

    Das Frühstück ist ihm viel zuviel Zeremonie. Die ganze Lächerlichkeit kommt zum Ausdruck, wenn ich den Löffel in die Hand nehme. Die ganze Sinnlosigkeit. Das Zuckerstück ist ja ein Anschlag gegen mich. Das Brot. Die Milch. Eine Katastrophe. So fängt der Tag mit hinterhältiger Süßigkeit an.

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