Kerners Krankheiten großer Musiker

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    Kerners Krankheiten großer Musiker
    Herausgeber: Andreas Otte, Konrad Wink; Schattauer GmbH; 10/2007
    6. erweiterte Auflage; 472 Seiten


    Wie der Name schon logisch schlußfolgern läßt, handelt es sich hierbei um die Krankengeschichten, Todesursachen bzw. oftmals deren Vermutungen von insgesamt 23 Komponisten. Namentlich wären das J.S.Bach, Mozart, Beethoven, Paganini, von Weber, Schubert, Bellini, Mendelssohn, Chopin, Schumann, Liszt, Wagner, Verdi, Smetana, Bruckner, Tschaikowsky, Dvorák, Puccini, Mahler, Debussy, Reger, Schönberg und Ravel. Dabei dient als Basis Dr. Kerners Recherchen und Analysen, welche zuletzt von Prof.Dr. Otte und Prof.Dr. Wink 2007 (Kerner ist 1981 verstorben) aktualisiert wurden. Diese letzten Aktualisierungen werden im Anschluss an dem Hauptteil, welcher (wie ich mal annehme) der zuvorgehenden Auflage entstammt, als „Updates“ deklariert. Zuerst folgt immer eine grobe chronologische Übersicht der wichtigsten Lebensstationen und Ereignisse, danach die jeweilige Abhandlung von jeglichen physischen und psychischen Krankheiten und Krankheitsverläufen (und auch die ggf. damit zusammenhängenden Laster) der Komponisten, wobei hier auch mal mehr mal weniger weitere biographische Informationen mit einfliessen, welche in keinem direkten Zusammenhang mit einer Krankheit stehen. Wie erwähnt zuletzt das „Update“, wobei mir aber beim Hauptteil nicht ganz im klaren ist welche Informationen noch von Kerner und welche von Otte und Wink stammen (da hier auch manchmal über Kerner in dritter Person geschrieben wird)


    Da ich von Manchen der erwähnten Komponisten noch nie eine Biographie gelesen habe, konnte ich hin- und wieder interessante Informationen herausnehmen ohne gleich eine ausführliche Biographie lesen zu müssen (welche natürlich so eine nicht ersetzen, aber gut um sich zum. fürs Erste einen groben Überblick zu verschaffen). Positiv sticht auch hervor, dass hier auch mit manchen Legenden und Irrtümern im Update aufgeräumt wurde (wie zB die Bleivergiftung Beethovens die in ihrer Überlegung als Todesursache viel zu kurz greift)
    Negativ empfinde ich die teils subjektiv, unhaltbaren Persönlichkeitsbeurteilungen im Hauptteil, welche bei einer seriösen Publikation nichts verloren haben (und mich auch schon seit jeher bei gewissen Biographien nervten) So kann man zB bei Seite 118 lesen:
    „Beim Betrachten der Konversationshefte wird quälend deutlich, wie sehr dieses Genie schon lange vor seinem Tode in den Sog einer tyrannischen Umwelt geriet, die ihn zu beherrschen und auf ihr mittelmäßiges Niveau herunterzuziehen bestrebt war – wohl wissend um seine Hilflosigkeit und Abhängigkeit. Wenn Beethoven zu solchen Querelen schließlich Ja und Amen sagte, dann nur darum, weil er sich diesen Kreaturen ausgeliefert wusste. Was hätte er getan, wenn sie morgen alle nicht mehr erschienen wären, die Stundenfrauen, die Zubringer, der Neffe Karl, der Bruder Johann, die zahllosen Manager und jene vielen Namenlosen, die kleine Dienstleistungen vollbrachten, um sich in seinem Ruhme zu sonnen!“


    Ich glaub ich muss nicht erwähnen, dass diese undifferenzierte, eindimensionale Perspektive nicht der Meinung der heutigen Beethoven-Forschung und Biographen entspricht (siehe zB Beethoven Forschung Bonn, Caeyers „Beethoven – der einsame Revolutionär“,…), sondern viel mehr über ein gewisses dogmatisch, ehrfürchtiges Beethovenbild Kerners und/oder der beiden anderen Autoren verrät.
    Ein weiterer negativer Punkt ist das Fehlen eines kurzen medizinischen Glossars am Ende des Buches bzw. Fußnoten zu medizinischen Fachwörtern. Einige Male stehen zwar Erklärungen in Klammern wie zB was ein Palmarerythem oder Ösophagusvarizen sind. Aber diese Vorgehensweise wurde nicht konsequent durchgezogen. Über manche Begriffe wie zB eine Fazialisparese, Pacchionische Granulierungen, Hirnatrophie oder Dysenterie-Symptome läßt das Buch den medizinischen Laien im Unklaren.


    Ich würde dieses Buch aber trotzdem Jedem empfehlen der an dieser Thematik interessiert ist, da alles in allem die beanstandeten Mängel zum Glück nicht allzu sehr ins Gewicht fallen und vor allem die „Updates“ durchaus informativ, frei von jeglichen subjektiv, polemischen Stellungnahmen sind (gelegentlich pathetische Schlußsätze kommen jedoch mitunter vor, finde ich jetzt aber weniger tragisch).
    Wie sehr sich dann letztendlich tatsächlich die jeweilige Todesursache eruieren läßt liegt natürlich an den im jeweiligen Fall vorhandenen Aufzeichungen und Überlieferungen. Das reicht von (aufgrund fehlender stichhaltiger Dokumente) vagen Hypothesen wie zB zu Mozarts Tod, über eine gewisse hohe Wahrscheinlichkeit wie zB Bruckner, bis hin zu eindeutigen Befunden wie zB bei Schumann (aufgrund der veröffentlichten Krankenakten). Eines kann man nahezu übergreifend nach durchlesen des Buches konstatieren…kaum Einer der oben Erwähnten konnte sich weichen und/oder harten Drogen - im Übermaß konsumiert - entziehen. Aber das dürfte wohl auch nicht sonderlich überraschen. ;)


    „Eine Erkenntnis von heute kann die Tochter eines Irrtums von gestern sein.” (Marie von Ebner-Eschenbach)