• Im Vorstellungsthread hat mir der neue User Amdir geantwortet; damit es nicht zu OT wird antworte ich ihm in diesem eigenen Thread, in dem es um HIP generell gehen soll, nicht nur um bestimmte Teilaspekte.


    Hosenrolle1
    Ja, ich beschäftige mich auch mit der HIP, allerdings weitestgehend in der Theorie bzw. höre ich mir auch gerne mal HIP-Aufnahmen an. In der (Geigen-)Praxis hatte ich bisher aber noch fast gar nichts damit zu tun, was wohl vor allem daran liegt, dass ich kein Profigeiger oder Violine studiere (ich als Lehramtsstudent habe "nur" weiterführenden Instrumentalunterricht) und ich dementsprechend bisher auch noch keinen Rundbogen oder gar eine Barockgeige benötigt habe. Was am ehesten in die Richtung ging war, dass ich von der Lehrerin einer Kommilitonin mit der ich zusammenspiele gefragt wurde, ob ich nicht den Bogen wie im Barok üblich, also näher an der Mitte als am Frosch, halten könne.


    Würde das etwas bringen? Der barocke Bogen, den du erwähnt hast, war ja doch anders gebaut. Die Spannung war geringer, und ich las, dass seine Form bestimmte Spieltechniken, die mit dem modernen Bogen nicht so gut oder gar nicht realisierbar sind, ermöglichte. Etwa 3 Saiten gleichzeitig zu spielen, oder so ähnlich. Ist schon länger her, dass ich das gelesen habe.


    Persönlich bin ich aber sowieso kein Freund davon, unterschiedliche Stile zu spielen, wenn man nicht völlig drin ist in der Materie. Wie Harnoncourt schon meinte:


    Zitat

    Genaugenommen erhält der heutige Musiker eine Ausbildung, deren Methode sein Lehrer so wenig durchschaut wie er selbst. Er lernt die Systeme von Baillot und Kreutzer, die für die Musiker von deren Zeitgenossen konstruiert wurden, und wendet sie auf die Musik völlig anderer Zeiten und Stile an. (...) Da wir nun einmal Musik aus etwa vier Jahrhunderten aufführen, müssen wir, anders als die Musiker früherer Zeiten, die optimalen Aufführungsbedingungen jeder Art von Musik studieren. Ein Geiger mit der perfektesten Kreutzer/Paganini-Technik möge nicht glauben, damit das Rüstzeug für Bach oder Mozart erworben zu haben. Dafür müsste er die technischen Voraussetzungen und den Sinn der „sprechenden“ Musik des 18. Jahrhunderts wieder zu verstehen und zu erlernen trachten.




    Darmsaiten hatte ich bisher glaube ich nur einmal aufgezogen, mit gefallen die zu starke Beeinträchtigung des Spiel- und Klangverhaltens sowie das leichtere Verstimmen durch äußere Einflüsse wie Temperatur und Feuchtigkeit nicht, ebenso wie die Tatsache, dass man viele Darmsaiten durch die fehlende Kugel nicht mit dem Feinstimmer stimmen kann. Den Klang von Darmsaiten habe ich aber recht gerne, vielleicht werde ich mal wieder darauf zurückgreifen, bisher siegten aber immer Gewohnheit und Bequemlichkeit ;)


    Auch das kann ich sehr gut nachvollziehen; Darmsaiten haben natürlich ihre praktischen Nachteile. Auch darauf ging Harnoncourt ein:


    Zitat

    Die nächste große Umwälzung, die heute sehr heruntergespielt wird, war die Einführung der Stahlsaite zwischen ca. 1920 und 1960. Zuerst war die Violin-Stahl-E-Saite eine billige Lösung des teuren Saitenproblems für Schüler. Eine Geige quintenrein für einen Solisten zu besaiten, kostete einen Geigenbauer mehrere Stunden und zahlreiche weggeworfene, weil nicht genügend reine, Saiten. Eine Stahlsaite hielt sehr lange, blieb quintenrein, war billig - dass sie nicht schön klang, hielt vorerst die Solisten von ihr ab. Auch viele Orchestermusiker lehnten sie ab. Die Saiten wurden dann etwas besser, klangen weniger vulgär, und schließlich siegte doch die Bequemlichkeit. - Einige Dirigenten wie Felix Weingartner und Franz Schalk (der ihre Verwendung in der Oper verbot) lehnten sie ab. Erst in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts setzten sie sich endgültig durch - eine traurige Konzession an die Sicherheit zu Lasten der Schönheit. Immerhin, die übrigen Saiten blieben vorerst aus Darm. Als ich 1948 nach Wien kam (mit Stahlsaiten auf meinem Cello), spielte kein einziger Cellist hier Stahlsaiten. Die ersten Worte meines Lehrers Prof. Emanuel Brabec (Solocellist der Wiener Philharmoniker) waren: "Weg mit dem Draht!". Wenige Jahre später spielten alle Cellisten auf Stahlsaiten, und bald folgten sogar die Kontrabässe.
    Das klangliche Resultat war sehr eigenartig: die Instrumente klangen nun beim Ohr lauter, im Saal weniger voll - praktisch ohne Bogengeräusch, was vor allem bei den tiefen Streichern, den Kontrabässen auffiel. - Später wurde die Besaitung wegen des Tonqualitätsverlustes modifiziert, man spielt jetzt teils wieder umsponnene Darmsaiten, Seilsaiten aus Metall oder Plastik, aber kaum nackte Darmsaiten. Nach meinem Geschmack war der alte Streicherklang viel schöner, wärmer, voller - ich habe das mit verschiedenen Orchestern ausprobiert.


    Ich bin kein Kenner, was unterschiedliche Saitenmarken bei der Violine angeht, ich weiß nicht welche Firmen und Qualitäten es da gibt. Sicher gibt es auch schlechte Darmsaiten oder Imitate, die wie Plastik klingen. Aber ich bevorzuge unbedingt den Darmsaitenklang, und wie man an dem Zitat sieht, wurde der auch noch bis ins 20. Jahrhundert hinein bevorzugt, die Stahlsaiten wurden nur mehr aus praktischen Gründen aufzogen, nicht aus klanglichen. Ich persönlich halte den Stahlsaitenklang in keinster Weise aus, weder als Soloinstrument noch im Orchester.


    Vom Quatuor Terpsychordes, das du vielleicht kennst, gibt es eine tolle Aufnahme von Schuberts Streichquartett "Der Tod und das Mädchen", auf alten Instrumenten mit Darmsaiten bespielt. Ich fand es erstaunlich, wie vielseitig diese Klänge sind. Harnoncourt schreibt hier "voll" und "warm", aber ich habe da noch mehr Klänge gehört. Zu Beginn des 2. Satzes etwa, bei dieser Trauermusik, klangen die Streicher sehr fahl und düster, ohne dabei aber "hässlich" im negativen Sinne zu klingen.
    Wenn ich dann nur 2 Takte einer Stahlsaitenaufnahme anhöre, höre ich nur metallisches Schnarren, ein stählerner, angespannter Klang, der mir wehtut. Wie eine Maschine, wie ein Roboter klingt das für mich - überhaupt kein Vergleich mit den Darmsaiten. Davon einmal abgesehen, dass die Stahlsaiten-Geiger die Stücke generell immer zu hoch spielen, wodurch die Musik zusätzlich noch überreizt klingt.
    (Falls du Interesse hast kann ich dir mal auf YouTube ein Vergleichsvideo HIP vs. modern erstellen)


    In einer anderen HIP-Aufnahme habe ich mir Mendelssohn-Bartholdys "Sommernachtstraum" angehört. Wie die Streicher da herumschwirren, wie lebendig und "organisch" dieser Klang ist .... als ich zum Vergleich eine reguläre Aufnahme von der Stange gehört habe, habe ich nur stählernes Geschrubbe gehört, wie wenn man mit einem Stahlschwamm auf einem Teller kratzt. Dieser "natürliche" Ton des Waldlebens war völlig verschwunden, es klang "industriell".


    Es freut mich, dass du da als Musiker doch ein Ohr dafür hast :)




    LG,
    Hosenrolle1

  • Würde das etwas bringen? Der barocke Bogen, den du erwähnt hast, war ja doch anders gebaut. Die Spannung war geringer, und ich las, dass seine Form bestimmte Spieltechniken, die mit dem modernen Bogen nicht so gut oder gar nicht realisierbar sind, ermöglichte. Etwa 3 Saiten gleichzeitig zu spielen, oder so ähnlich. Ist schon länger her, dass ich das gelesen habe.

    Nun, zumindest in der Lautstärke und seiner "Weichheit" lässt sich der Klang so beeinflussen - nicht so sehr wie mit einem barocken Bogen, aber immerhin - schließlich nehmen die effektive Bogenlänge (der "spielende" Bereich) sowie dadurch auch das Gewicht, welches bei gleichem Druck durch Hand und Finger auf der Saite lastet ab. Dadurch wird der Klang etwas leiser und zarter und man muss sich den Bogen besser einteilen, was ebenfalls ein Umdenken und einen gegebenfalls anderen Klang zur Folge hat. Es ging bei dem betreffenden Stück übrigens um das Largo der Triosonate aus Bachs "Musikalisches Opfer".
    Das stimmt, mit Barockbögen lassen sich bei ausreichendem Druck auch drei Saiten gleichzeitig spielen, was bei den aktuellen Bögen nur mit deutlich stärkerem Druck oder einem "Miniarpeggio" funktioniert.



    Vom Quatuor Terpsychordes, das du vielleicht kennst, gibt es eine tolle Aufnahme von Schuberts Streichquartett "Der Tod und das Mädchen", auf alten Instrumenten mit Darmsaiten bespielt. Ich fand es erstaunlich, wie vielseitig diese Klänge sind. Harnoncourt schreibt hier "voll" und "warm", aber ich habe da noch mehr Klänge gehört. Zu Beginn des 2. Satzes etwa, bei dieser Trauermusik, klangen die Streicher sehr fahl und düster, ohne dabei aber "hässlich" im negativen Sinne zu klingen.
    Wenn ich dann nur 2 Takte einer Stahlsaitenaufnahme anhöre, höre ich nur metallisches Schnarren, ein stählerner, angespannter Klang, der mir wehtut. Wie eine Maschine, wie ein Roboter klingt das für mich - überhaupt kein Vergleich mit den Darmsaiten. Davon einmal abgesehen, dass die Stahlsaiten-Geiger die Stücke generell immer zu hoch spielen, wodurch die Musik zusätzlich noch überreizt klingt.
    (Falls du Interesse hast kann ich dir mal auf YouTube ein Vergleichsvideo HIP vs. modern erstellen)


    In einer anderen HIP-Aufnahme habe ich mir Mendelssohn-Bartholdys "Sommernachtstraum" angehört. Wie die Streicher da herumschwirren, wie lebendig und "organisch" dieser Klang ist .... als ich zum Vergleich eine reguläre Aufnahme von der Stange gehört habe, habe ich nur stählernes Geschrubbe gehört, wie wenn man mit einem Stahlschwamm auf einem Teller kratzt. Dieser "natürliche" Ton des Waldlebens war völlig verschwunden, es klang "industriell".

    Ich habe mir die betreffende Aufnahme mal angehört und sie mit einer "modernen" Version verglichen. Du hast Recht, ein Unterschied ist hörbar, deine Beschreibung des HIP-Klanges trifft mMn zu. Allerdings kann ich deine Meinung zu Stahlsaiten nur zum Teil unterstützen. Ich finde auch, dass Darmsaiten runder, wärmer klingen, eine solche Kluft zwischen den Versionen wie du sie hörst, kann ich allerdings nicht feststellen. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich den Klang von Stahlsaiten so sehr gewohnt bin, dass ich ihn nicht so abstoßend oder künstlich wahrnehme wie du es tust. Vielleicht hast du auch bisher nur Aufnahmen erwischt, in denen besonders scharf klingende Saiten verwendet wurden, mittlerweile ist die Saitenentwicklung so weit fortgeschritten, dass durch Hybridsaiten (Darm mit Metallumwicklung) und ähnliche Scherze das "Metallische" im Klang vermieden werden kann.


    Die Tonhöhe ist da natürlich auch etwas sehr Markantes, eine "Überreizung" konnte ich so nicht bemerken, wobei mir tatsächlich die Tiefe des HIP-Klanges zusagte. Das hängt aber wohl auch vom Stück ab, bei anderen Werken passt vielleicht der hohe Kammerton besser. Aber das ist ja auch generell die Sache: Die HIP geht ja davon aus, dass die Stücke so klingen sollen, wie sie zu Lebzeiten des Komponisten geklungen haben (könnten). Durch die Weiterentwicklung der Instrumente macht dies heutige Aufnahmen und Konzerte eher zu "modernen" Versionen - gewissermaßen einer Interpretation des Originals bedingt durch die Zeit und Entwicklung. Interpretationsvergleich ist mir wichtig (wie wohl so ziemlich jedem hier), weshalb ich beiden Varianten sozusagen neutral gegenüberstehe. Ich mag keine mehr als die andere, missen möchte ich keine von beiden. Mal gefällt mir eine HIP-Interpretation, mal eine moderne Interpretation eines Stückes lieber.



    Was mich dann noch interessieren würde: So wie ich deinen Text verstanden habe, hörst du dir überhaupt keine Aufnahmen oder Konzerte mit Nicht-Darmsaiten an, sondern nur HIP-gerechte Aufnahmen und Konzerte. Ist es nicht schwer, da die richtigen Konzerte und Aufnahmen zu finden? Nicht falsch verstehen, ich finde das nicht schlecht, nur ich könnte das nicht, dazu liebe ich zu viele Nicht-HIP-Aufnahmen und gehe zu gerne ins Konzert ;)


    Liebe Grüße,
    Amdir

  • Das stimmt, mit Barockbögen lassen sich bei ausreichendem Druck auch drei Saiten gleichzeitig spielen, was bei den aktuellen Bögen nur mit deutlich stärkerem Druck oder einem "Miniarpeggio" funktioniert.

    Das wäre so ein Beispiel: der Komponist wußte damals, was mit den damaligen Bögen oder Instrumenten machbar war, und was nicht, und hat entsprechende Sachen geschrieben. Wenn man das mit heutigen Instrumenten und Bögen versucht, muss man Konzessionen machen, Alternativen finden.
    Und da stellt sich dann die Frage: wieso nimmt man nicht gleich die entsprechenden Instrumente und spielt es richtig?



    Die Tonhöhe ist da natürlich auch etwas sehr Markantes, eine "Überreizung" konnte ich so nicht bemerken, wobei mir tatsächlich die Tiefe des HIP-Klanges zusagte.

    Ich habe mal vor einiger Zeit verschiedene Versionen von Mozarts kleiner Nachtmusik angehört, HIP vs. modern. Zuerst der tiefere Klang der HIP, dann der sehr hohe der modernen, und dadurch klang die Musik so überreizt, überspannt.



    Die HIP geht ja davon aus, dass die Stücke so klingen sollen, wie sie zu Lebzeiten des Komponisten geklungen haben (könnten).

    Hmm, nein, dem stimme ich nicht ganz zu. Es geht normalerweise nicht darum, historische Aufführungen zu rekonstruieren, sondern das Werk so umzusetzen, wie der Komponist das wollte, und die Musik lebendig zu machen, als wäre sie gerade erst komponiert worden.
    Es kann ja sein, dass zu Lebzeiten des Komponisten immer zu wenig Musiker vorhanden waren, die Instrumente schlecht waren oder andere Dinge Probleme bereiteten. Es wäre m.E. unsinnig, wenn man das in die heutigen HIP-Aufführungen miteinbezieht, sozusagen die Probleme von damals ebenfalls rekonstruiert.


    Ich würde sagen, HIP geht davon aus, was der Komponist wollte, und wie man seinen Vorstellungen und dem Werk noch näher kommt. HIP forscht immer weiter, entwickelt sich weiter und lernt aus Fehlern. Traditionen bedeuten Stillstand, ein Imitieren dessen, was vorher war. So kommt man keinem Werk näher.



    Was mich dann noch interessieren würde: So wie ich deinen Text verstanden habe, hörst du dir überhaupt keine Aufnahmen oder Konzerte mit Nicht-Darmsaiten an, sondern nur HIP-gerechte Aufnahmen und Konzerte. Ist es nicht schwer, da die richtigen Konzerte und Aufnahmen zu finden?

    Ja, da bin ich konsequent. Ich bin nicht an den Fehlern, die speziell im 20. Jahrhundert gemacht wurden, interessiert, sondern am Werk und einer möglichst werkgerechten Aufführung.


    Gunthard Born schreibt in seinem interessanten Buch "Mozarts Musiksprache" etwas dazu:


    Dies zu verfolgen [die kunstvollen Modulationen bei Mozart] fällt den meisten musikinteressierten Laien heute recht schwer, denn das Organ, mit dem sie Mozarts Modulationen als Ausdrucksmittel bemerken könnten, wurde ihnen durch nachfolgende Musiker betäubt, stillgelegt, verödet. Doch Mozart ging davon aus, daß Kenner auch seine Modulationen bewußt miterlebte und verstanden, sonst hätte er diesem Ausdrucksmittel in seinen Opern nicht so konkrete Aussagen anvertraut, ohne die sich der Inhalt der Dramen manchmal gar nicht verstehen lässt.



    Ich interessiere mich für diese Dinge, für die unterschiedlichen Klänge unterschiedlicher Tonarten, die ebenfalls ein wichtiger Teil dieser Kompositionen sind. Warum soll ich mir Aufnahmen anhören, die diese Dinge gar nicht enthalten, und mir, wie Born richtig sagt, meine Ohren veröden lassen?


    Ich mag z.B. den Freischütz und habe viele Aufnahmen davon - aber tatsächlich habe ich keine einzige, weil keine davon den Freischütz enthält, und ich höre mir auch keine davon mehr an. Was war denn z.B. so besonders an dieser Oper? Die Instrumente damals hatten ihre Vor- und Nachteile, wie jedes Instrument zu jeder Zeit. Weber hat nun Musik geschrieben, die die eher "unschönen" Töne und Klänge dieser Instrumente gezielt verwendet hat. Andere Komponisten haben eher darauf geschaut, die schönen Töne zu verwenden, Weber aber hat die unschönen verwendet. Und das war damals natürlich ganz neu und ungewohnt, diese Klangfarben zu hören. Die Flöten und Clarinetten im tiefen Register, die dumpfer klangen, in Tonarten, wo sie nicht mehr so rein klangen.


    Und was höre ich auf meinen Aufnahmen? Moderne Instrumente, die in allen Tonarten, in jeder Lage gleich schön klingen! Was soll das??
    Weber verwendet gezielt unschöne Töne der damaligen Instrumente, und ich höre da nur schöne, reine, brillante Töne? Dafür fehlt mir jedes Verständnis, und deswegen höre ich es mir auch nicht mehr an. Webers so kunstvoll komponierte Klangfarben, die dieses Werk u.a. auch ausmachen, fehlen völlig.


    Manchmal lässt er mehrere Hörner spielen, wobei die einen offen, andere zur Hälfte gedämpft sind, weil das auf dem Naturhorn nicht anders zu bewerkstelligen ist. Es entsteht ein Mischklang aus offen und gedämpft. Bei den Ventilhörnern (die Weber übrigens ablehnte) klingt jeder Ton offen und sauber - diese Mischklänge fehlen nun. Wenn einer Aufnahme Dinge fehlen, die das Werk auch ausmachen, warum soll ich sie mir anhören?
    Oder anders gefragt: was ist verkehrt oder seltsam daran, wenn man sich das anhören möchte, was Komponisten komponiert haben?


    Aber auch was HIP-Aufnahmen angeht bin ich konsequent. Wenn eine Aufnahme, die mir bisher gefallen hat, nachweislich aufgrund neuerer Forschungen das Werk falsch präsentiert, dann gefällt mir diese Aufnahme auch nicht mehr, denn ich bin, wie gesagt, am Werk interessiert. Ich vermeide normalerweise auch ältere HIP-Aufnahmen aus den 70ern oder 80ern, weil das frühere Stadien waren, die den damaligen Wissensstand repräsentieren. Sogar Harnoncourt hat in einem Interview gesagt, dass er irgendeine alte Aufnahme von ihm nicht mehr gut findet, weil er damals noch nicht wusste, was er heute darüber weiß.



    EDIT: ich finde es toll, wie man mit dir über dieses Thema reden kann, und dass du auch Notenbeispiele verstehst, das erleichtert die Kommunikation schon sehr! :)




    LG,
    Hosenrolle1

  • Zitat

    Hmm, nein, dem stimme ich nicht ganz zu. Es geht normalerweise nicht darum, historische Aufführungen zu rekonstruieren, sondern das Werk so umzusetzen, wie der Komponist das wollte, und die Musik lebendig zu machen, als wäre sie gerade erst komponiert worden.


    Das ist eine Behauptung der ich mich entgegenstelle, das letzteres der Fall ist;


    RICHTIG ist, daß HIP NICHT der Versuch ist, das originale Klangbild wieder herzustellen - allerdings wird das immer so dargestellt


    Meine ersten Hörerfahrungen auf dem Gebiet der Interpretation auf Originalinstrumenten - man nannte das : "historische Aufführungspraxis" basieren auf den Aufnahmen mit dem Collegium Aureum unter Franzjosef Mayer (1925-2014) für harmonia mundi (Heute: DEUTSCHE harmonia mundi).
    DORT und DAMALS wurde die Behauptung aufgestellt nicht nur das originale Klangbild wiederherzustellen, sondern auch an historischen Orten aufzunehmen.
    Es durften nur Originalinstrumente und deren exakte Nachbauten verwendet werden.


    Diese Aufnahmen klangen eigentlich eher moderat, weder grell noch schrill oder besonders rhytmisch- Man versuchte werbetechnisch mit "edlen intrumenten" "hervorragenden Interpreten" und Historischen Locations" - allen voran dem Zedernsaal von Schloss Kirchheim zu punkten.


    Das war aber - aus meiner Sicht NICHT HIP sondern "historische Aufführungspraxis".
    Den Unterschied - aus meiner Sicht - werde ich demnächst formulieren. Das Problem dabei ist, daß die beiden Begriffe inzwischen in der "allgemeinen Wahrnehmung" - so es denn in diesem Bereich überhaupt eine gibt - weitgehend miteinander verschmolzen sind.


    Persönlich bin ich - aus reinem Interesse an der Musikhistorie - eher an "historischer Aufführungspraxis, als an HIP interessiert.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich persönlich mag diese vielen unterschiedlichen Begrifflichkeiten nicht wirklich. HIP kann auch bedeuten, dass auf modernen Instrumenten gespielt wird, on period instruments kann bedeuten dass nicht HIP gespielt wird, usw. usw.


    Interessiert bin ich eigentlich nur daran, wie das Werk selbst umgesetzt wird, und zwar möglichst so, wie der Komponist es sich gedacht hat. Oft genug wurden die Werke damals ja nicht so aufgeführt, wie der Komponist es wollte: falsche Räumlichkeiten, schlechte Musiker, schlechte Instrumente, zu wenig Musiker, Umbesetzungen, usw.
    Das wäre für mich als historische Information interessant, jedoch hören will ich doch lieber die Komposition :)


    Historisch informiert - dafür kann ich ein Beispiel nennen. Zu früheren Zeiten, als Komponisten noch nicht jede Spielanweisung exakt notiert haben, ging ein Komponist davon aus, dass die Spieler wussten, wie die Noten zu interpretieren sind, denn die Musiker hatten ja eine entsprechende Ausbildung, und hätten vielleicht sogar genaue Anweisungen als Beleidigung empfunden.
    Die Musiker von heute haben diese Ausbildung aber in der Form nicht, weder die zur Bach-Zeit noch die zur Mozart Zeit, usw. Und dann haben sie diese Noten vor sich, wo es überhaupt keine Anweisungen gibt.
    Und hier kommt dann das historisch informierte ins Spiel: wenn der Musiker Quellen studiert, und versucht, die Ausbildung und das damalige Wissen der Musiker nachzuvollziehen, dann kann er die Noten auch werkgerechter interpretieren.




    LG,
    Hosenrolle1

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  • Es wird von den Vertretern der "HIP" gerne begrifflich verwischt.


    Während sich für "Historische Aufführungspraxis" jene Leute interessieren, die der Nostalgie zugeneigt sind, hat die "HIP" eine andere Anhängeschaft. Gemein ist beiden nur, daß sie jeweis winzig ist.
    Wie konnte sich das eigentlich - für eine gewisse Zeit - so durchsetzen, daß es markbeherrschend war ?
    Wer hatte daran interesse ?


    Und letztlich - Wie definiere ich HIP ?


    MEINE Definition stammt nicht von mir, sondern von Nikolaus Harnoncourt.
    Er, der immer den Concentus Musicus als Stammorchester hatte (sein eigenes, von ihm begründetes Orchester) dirigiert plötzlich große Sinfonieorchester.
    Selbstverständlich reagierte die einschlägige Presse mit Häme.
    ER - ein Vertreter der histortschen Aufführungspraxis nun mit modernem Orchester ?
    Harnoncourt hatte schnell eine Antwort parat: Es ginge ihm nicht um "Historische Aufführungspraxis" im nostalgischen Sinn, sondern darum die Spieltechniken und Gepflogenheiten der vergangenen Jahrhunderte zu KENNEN also darüber INFORMIERT zu sein . NICHT notwendigerweise historisch getrau, sondern im "Sinne" der historischen Spielgepflogenheiten zu agieren. Das I des Namens kommt von INFORMIERT. Also: "HISTORISCH INFORMIERTE Aufführungspraxis und NICHT: HISTORISCH GETREUE Aufführungspraxis.
    Herr Harnouncout hat als hier einen Spielraum offengelassen den er - und noch mehr seine Nachfolger - reichlich ausgenutzt hat.


    Darüber mehr in meinen nächsten Beiträgem zu diesem Thema.


    mrfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich setze nun an der Stelle fort, wo ich geendet habe:


    Zitat

    Herr Harnouncout hat also hier einen Spielraum offengelassen den er - und noch mehr seine Nachfolger - reichlich ausgenutzt hat.


    In der Tat haben die das.
    Ich fand HIP schon deswegen für unglaubwürdig, weil man plötzlich der Meinung war auf die historischen "Oeiginalinstrumente" verzichten zu können.
    Meiner Meinung nach sollte das aber eine ESSENTIELLE Bedingung sein,
    Stellt sich also als eher verwaschene Annäherung an alte Aufführungspraxis dar.
    Und siehe da:
    Plötzlich wurde quasi über Nacht eine neue Art, die altbekannte Werke zu interpretieren, eingeführt. Wie zumeist, wenn Harnoncourt eine seiner Theorien einführte, klang es spröder und ausgeprägt rhytmisch. Unfreundlich formuliert auch: Unangenehm.
    Seine Nachfolger versuchten ihn in dieser hinsicht zu übertrumpfen - und oft gelang das auch.
    Irgendwie erinnern mich die Interprationen der Musik des (beispielsweise) 18. Jahrhunderts nicht wirklich an Rokoko.
    Rokoko ist ja für viele überhaupt ein Reizwort, weil es das tändelnd-verspielte dieser Zeit besonders betont.


    Rokoko passt vorzüglich zum "galanten Stil". Der wird aber heute eher ungern betont oder gehört.
    Igendwie erinnert mich HIP und sein ideologischer Unterbau an das "Regietheater".
    Beide diese Moden pflegen einen rabiaten Stil, der mich irgendwie an den Begriff "Establishmentfeindlich " denken lässt, man will nicht mehr gefallen, sondern provozieren um jeden Preis.
    Indes: Nichts ist nur schwarz oder weiß. Es gibt Stücke und Komponisten die durch die HIP-Bewegung gewonnen haben, vor allem dann, wenn in der Prä-HIP-Ära die Interpretation ins Starre indifferente abglitten, weil man sich nicht getraut hat, Musik der (beispielsweise) Ikone Bach temperamentvoll zu spielen vor Ehrfucht vor dem Komponisten.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich habe einen neuen Videovergleich gemacht, diesmal geht es um KV 309.


    Genauer gesagt, um einen bestimmten Akkord, und wie er auf einem alten Pianoforte sowie auf einem modernen Flügek klingt. Dazu habe ich drei kleine Vergleiche gemacht: man hört abwechselnd das alte Klavier, dann ein modernes Klavier. Dann kurze Pause, dann wieder das alte Klavier und ein anderes modernes Klavier einer anderen Aufnahme, dann wieder Pause und wieder alt und dann neu.




    Das hier ist die Stelle. In tiefer Lage (beide Systeme im Bassschlüssel) notiert er hier einen Quart-Sept-Nonen-Vorhalt, der sich auf der 2 in F-Dur (F-A) auflöst. Dieser Vorhalt klingt dissonant und reibt sich, bevor es auf der 2 wieder harmonisch wird, und dazu habe ich jetzt diesen Vergleich gemacht, wo man diese Stelle hört.



    Auf dem alten Fortepiano klingt dieser Akkord im Bass durchsichtiger, und man hört die "unschöne" Reibung auch viel deutlicher. In den drei modernen Versionen aber klingt er zu verschwommen und zu harmlos, da reibt sich nichts.
    (Leider weiß ich nicht, wie das Fortepiano gestimmt wurde, aber solche Akkorde klingen natürlich mit den alten Stimmungen auch nochmal anders, haben je nach Tonart mal mehr, mal weniger Reibung als auf dem gleichtönig gestimmten modernen Klavier)


    Welche Stimmung hat Mozart eigentlich benutzt? Werckmeister II?




    LG,
    Hosenrolle1

  • Hallo Hosenrolle1,


    mir ist noch nicht so ganz klar, ob Du nur offene Darmsaiten hören möchtest oder auch "hybride" (um Amirs Terminus aufzugreifen). Im PI-Orchester habe ich eigentlich immer auch umsponnene Saiten genutzt, auschliesslich offene wohl nur zu zwei Gelegenheiten, dabei handelte es sich freilich um Literatur des frühen 17. Jahrhunderts und eigentlich mehr um eine Kammerbesetzung.
    Zudem waren bereits im 18. Jahrhundert mindestens die g-Saiten umsponnen.


    Ausserdem erscheint es den meissten HIP-Orchestern zu risikobehaftet, auf reinem Naturmaterial zu spielen. Die Toleranz von Publikum und Kritik für schiefe und sich im Verlauf des Konzertes möglicherweise verändernde Klänge (Stimmungen/Temperaturen) ist auch nach mehr als sechzig Jahren HIP nur bedingt gewachsen, in einigen Feldern eher gegenläufig. Die zunehmend "zwölftönigere" (Harnoncourt) Stimmung des modernen Flügels und die Übertragung derselben auf Orchester (und Chöre) spricht für sich. Selbst in "normalen" Orchestern gibt es die Tendenz, die letzten verbleibenden, risikobehafteten Naturmaterialien durch artifizielle Produkte möglichst zurückzudrängen: Stichwort Rohrblätter. Und erst kürzlich ist wieder einmal eine "originalgetreu rekonstruierte" Orgel aus dem Huß-Umfeld des mittleren 17. Jahrhunderts gleichschwebend temperiert worden.


    Natürlich ist es nicht zuletzt eine Kostenfrage, auch für die - sich oft selbst tragenden - Ensembles. Nicht-umsponnene Darmsaiten haben nun einmal eine kurze Haltbarkeitsdauer. Man kann sie zwar beispielsweise auch lackieren, dabei wird der Sinn offener Darmsaiten aber eher konterkariert (bei der Geige vor allem hinsichtlich der schriller werdenden e-Saite).



    Der barocke Bogen, den du erwähnt hast, war ja doch anders gebaut. Die Spannung war geringer, und ich las, dass seine Form bestimmte Spieltechniken, die mit dem modernen Bogen nicht so gut oder gar nicht realisierbar sind, ermöglichte. Etwa 3 Saiten gleichzeitig zu spielen, oder so ähnlich.

    Als relevanter empfinde ich die mittels Bogenreaktion fast automatisch veränderte Artikulation. Man sucht auch nicht mehr so sehr nach den Bindebögen in den Noten... Dass sich Vibrato und Legato verändern, ist ja bereits die Erfahrung der HIP-Pioniere (hier im Thread sind übrigens Rundbogen und Barockbogen etwas durcheinandergewirbelt)


    Übrigens: von welcher Sommernachtstraum-Aufnahme sprachst Du (Herreweghe? Brüggen?) ? Und was ist mit diesen unzähligen darmsaitenlosen HuG-Aufzeichnungen?



    Welche Stimmung hat Mozart eigentlich benutzt? Werckmeister II?

    Mozart wird, je nach Lebensalter und Ort, verschiedeneTemperaturen genutzt haben, ausgerechnet eine mitteltönige aber doch wohl nicht !
    :pinch:

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  • mir ist noch nicht so ganz klar, ob Du nur offene Darmsaiten hören möchtest oder auch "hybride" (um Amirs Terminus aufzugreifen). Im PI-Orchester habe ich eigentlich immer auch umsponnene Saiten genutzt, auschliesslich offene wohl nur zu zwei Gelegenheiten, dabei handelte es sich freilich um Literatur des frühen 17. Jahrhunderts und eigentlich mehr um eine Kammerbesetzung.
    Zudem waren bereits im 18. Jahrhundert mindestens die g-Saiten umsponnen.


    Mit Saitenmarken, Saitenarten etc. kenne ich mich leider nicht aus. Man wüsste wissen, zu welcher Zeit welche Saiten produziert wurden, da gib es sicher verschiedene. Es gibt aber leider auch keine wirkliche Möglichkeit, über so etwas genauer zu informieren, weil niemand so sehr ins Detail gehen möchte. (Ist ja auch klar, die meisten wollen einfach nur hören, und sich nicht mit solchen Dingen befassen, da ist die Nachfrage entsprechend gering, und das Angebot ebenfalls)


    Man kann ja schon froh sein, wenn in CD-Booklets zu HIP-Aufnahmen überhaupt sowas steht wie "Stimmton = XY Hz" oder "Wir verwenden Naturhörner und Holzschlägel". Aber darüber hinaus gibt es praktisch keine Infos.
    Wenn da ein Klavierkonzert von Mozart gespielt wird, dann will ich auch, dass im Booklet steht "Verwendet wird die Stimmung XX, denn Forschungen haben gezeigt, dass ..." usw.


    Und ich muss nochmal sagen: es gibt für mich keine guten und schlechte Instrumente. Ich habe nichts gegen Stahlsaiten, moderne Klaviere oder was weiß ich. Es gibt für mich nur richtiges und falsches Werkzeug. Ein Hammer ist perfekt zum Nägel einschlagen, eine Säge ist perfekt um etwas zu sägen. Aber mit dem Hammer kann man schlecht sägen, und mit der Säge keine Nägel einschlagen. Und so sehe ich das mit Instrumenten: der Komponist kennt die Instrumente seiner Zeit, er kennt ihre Stärken und Schwächen, er hat ihre Eigenschaften genau studiert(!), sich von ihnen vielleicht sogar inspirieren lassen, und entsprechend komponiert.
    Das gilt für Händel genauso wie für Mozart, für Weber genauso wie für Strauss.
    Strauss schreibt für eine moderne Oboe, also kann man da nicht einfach eine aus der Mozart-Zeit nehmen, weil sie die Komposition nicht richtig umsetzen kann, den Klang und die Komposition völlig verfälscht.
    Und umgekehrt funktioniert eine moderne Oboe nicht für Mozart, weil die Komposition nicht dafür gedacht ist. Sie kann Mozarts Klangwelten, seine Klangvorstellungen, die ganze Komposition nicht erzeugen, weil sie das falsche Werkzeug ist.


    Mir geht es immer nur darum, dass eine Komposition "richtig" umgesetzt wird, und dazu gehört u.a. auch das richtige Werkzeug. Das, wofür der Komponist komponiert hat, soll auch zum Einsatz kommen.


    Ausserdem erscheint es den meissten HIP-Orchestern zu risikobehaftet, auf reinem Naturmaterial zu spielen. Die Toleranz von Publikum und Kritik für schiefe und sich im Verlauf des Konzertes möglicherweise verändernde Klänge (Stimmungen/Temperaturen) ist auch nach mehr als sechzig Jahren HIP nur bedingt gewachsen, in einigen Feldern eher gegenläufig.

    Die Toleranz ist ja oft noch nicht mal für vom Komponisten beabsichtigte(!) schiefe oder "unschöne" Töne da. Aber alte Opern werden auch auf Darmsaiten gespielt, und das oft über 3 Stunden; bis jetzt habe ich noch nicht mitbekommen, dass es plötzlich schief klingt.


    Und erst kürzlich ist wieder einmal eine "originalgetreu rekonstruierte" Orgel aus dem Huß-Umfeld des mittleren 17. Jahrhunderts gleichschwebend temperiert worden.

    Ja, davon habe ich schon gehört, dass man alte Orgeln auch auf 440Hz stimmt. Fürchterlich.


    Als relevanter empfinde ich die mittels Bogenreaktion fast automatisch veränderte Artikulation.

    Wie gesagt, damit kenne ich mich leider nicht wirklich aus, und ich habe auch momentan keine Möglichkeit, mehr darüber zu lernen. Ich suche eh nach Büchern, wo etwas darüber stehen könnte.


    Übrigens: von welcher Sommernachtstraum-Aufnahme sprachst Du (Herreweghe? Brüggen?) ?

    Jep, Brüggen:



    Ich muss aber gestehen, dass mir das Stück an sich nicht wirklich gefällt, also ich bin kein Fan davon.


    Und was ist mit diesen unzähligen darmsaitenlosen HuG-Aufzeichnungen?

    Was ist mit denen?


    Mozart wird, je nach Lebensalter und Ort, verschiedeneTemperaturen genutzt haben, ausgerechnet eine mitteltönige aber doch wohl nicht !

    Warum nicht? Gibt es da eine wissenschaftliche Erklärung dafür?




    LG,
    Hosenrolle1

  • Strauss schreibt für eine moderne Oboe, also kann man da nicht einfach eine aus der Mozart-Zeit nehmen, weil sie die Komposition nicht richtig umsetzen kann, den Klang und die Komposition völlig verfälscht.


    Völlig???


    Mir geht es immer nur darum, dass eine Komposition "richtig" umgesetzt wird, und dazu gehört u.a. auch das richtige Werkzeug. Das, wofür der Komponist komponiert hat, soll auch zum Einsatz kommen.


    Glaubst Du im Ernst, dass Deine (für mich überspitzten) Anforderungen realisierbar sind? Kannst Du, von wenigen Ausnahmen abgesehen, überhaupt noch mit Freude Musik hören (live und auf ...gespeichert)?


    VG
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Völlig???

    Ja!!!


    Glaubst Du im Ernst, dass Deine (für mich überspitzten) Anforderungen realisierbar sind?

    Das kann und will ich nicht beurteilen. Das Einzige, was ich machen kann ist, meine eigenen Konsequenzen zu ziehen und HIP-Aufnahmen zu unterstützen indem ich sie kaufe, und nicht-HIP-Aufnahmen und Konzerte zu meiden.
    Ich finde es übrigens keineswegs überspitzt, wenn man Kompositionen so hören möchte, wie der Komponist sie komponiert hat, und es sind viele Leute und Künstler da, die das ebenfalls wollen. Was das Regietheater angeht, da bin ich tolerant, mich stört es nicht, wenn es gut gemacht und nicht bloß auf Schockeffekt aus ist. Bei der Musik verstehe ich aber keinen Spaß.


    Kannst Du, von wenigen Ausnahmen abgesehen, überhaupt noch mit Freude Musik hören (live und auf ...gespeichert)?

    Natürlich, Rockmusik, Jazz, guter Blues, Popmusik, auch exotische Rhythmen, gefällt mir sehr und macht mir Freude :)




    LG,
    Hosenrolle1

  • Warum nicht? Gibt es da eine wissenschaftliche Erklärung dafür?


    Mozart moduliert viel zu weitläufig, um ein Clavier mit mitteltöniger Stimmung nutzen zu können. Die mitteltönige Temperatur wurde ja schliesslich verdrängt, um dem Komponisten einen grösseren Tonartenspielraum innerhalb eines Stücks zu gewährleisten, ohne allzu grosse Verstimmung zu evozieren. Mozart wird auch an anachronistisch temperierten Instrumenten gespielt haben, etwa alten italienischen Orgeln. Dort begnügte er sich sicherlich mit Improvisationen im passenden Tonrahmen , der enger war als bei seinen notierten Kompositionen. Schon sehr viel älteren Clavierwerken der "Übergangszeit" um 1700 lässt sich häufig entnehmen, ob sie für mitteltönige oder gleichschwebende Instrumente verfasst wurden.




    Ja, davon habe ich schon gehört, dass man alte Orgeln auch auf 440Hz stimmt. Fürchterlich.


    Das ist zum Glück nicht die Regel.




    Zitat von Hosenrolle1: Aber alte Opern werden auch auf Darmsaiten gespielt, und das oft über 3 Stunden; bis jetzt habe ich noch nicht mitbekommen, dass es plötzlich schief klingt.


    Wenn es "plötzlich" schief klingt, ist tatsächtlich etwas schiefgegangen. Allerdings verändert sich die Temperatur/Stimmung/Intonation selbst eines konventionellen Orchesters im Verlauf eines Konzerts. Obwohl die Intonation oft von der 1. Oboe ausgeht, fallen beispielsweise Rohrblattinstrumente und Streicher sukzessive auseinander, da sich die Rohrblätter durch Feuchtigkeit und Wärme der Atemluft verändern. Ausserdem sind alle der Umgebungstemperatur ausgeliefert. Da bei PI-Orchestern noch mehr organisches Material zum Einsatz kommt, sind die dementsprechenden Folgen ausgeprägter.


    So ein Orchestergraben in der Oper ist dann natürlich recht warm. Im sommerlichen Holzkasten in Bayreuth mit überdecktem Graben dürfte es besonders gemütlich werden...
    Dennoch scheinen die Zuhörer in der Regel nichts zu bemerken. Meine diesbezüglichen Thesen zu Bayreuth:
    a) ein Teil der Zuhörer wird durch die noch viel miserablere Intonation der Sänger abgelenkt.
    b) der andere Teil besteht aus eingefleischten Wagnerianern. Und die sind bekanntlich ohnehin taub.

  • Gestern höre ich mir auf YouTube irgendeine Version der Arie "Martern aller Arten" aus Die Entführung aus dem Serail an, und erwische die mit Diana Damrau. Da denke ich mir, wieso klingt die Musik so ungewohnt schön, und sehe - ein HIP-Orchester! Also gleich die Noten besorgt und mich mehr damit beschäftigt. Hier ein paar Beispiele. Zuerst wieder die HIP-Version, danach eine moderne.



    Vergleich 1: das Solo der Oboe klingt, auf der alten Oboe gespielt, für mich viel schöner, der Klang ist voller als der der modernen Oboe, und herber.


    Vergleich 2: die Holzflöte von Mozart hat hier viel mehr Ausdruck, klingt ebenfalls "holziger" und hat für mich mehr Charakter; davon abgesehen mischt sie sich viel mehr mit dem Fagott und den Streichern als vergleichsweise hohler klingende Metallflöte.


    Vergleich 3: zuerst spielen Flöte und Oboe zusammen, dann spielt die Oboe weiter, während die anderen Instrumente kurze, schnelle Figuren spielen. Flöte und Oboe mischen sich in der HIP-Version richtig schön, in der modernen Version aber ergibt sich kein Mischklang, dafür klingt die Oboe zu trötig, zu anders als die Flöte. Dazu dieses widerliche dünne Stahlsaiten-Geschrammel der Solo-Violine.


    Vergleich 4: zuerst spielen Solo-Violine und -Cello eine kurze Aufwärtsfigur, die dann von Solo-Flöte und -Oboe fließend übernommen wird. Alleine der Darmsaitenklang der beiden Streicher ist so herrlich, und dann der herb-luftige Mischklang der Holzbläser. In der modernen Version wieder das leider so typische Geschrammel von Stahl auf Holz. Der Mischklang von Flöte und Oboe klingt hier zwar nicht so abstoßend wie die Stahlsaiten davor, aber dennoch lange nicht so "edel" wie die echten Holzinstrumente.


    Vergleich 5: zuerst trillern Flöte und Oboe zusammen, im nächsten Takt trillern auch Violine und Cello mit. Auch hier mischen sich die Holzbläser miteinander, aber auch mit den Solostreichern viel besser als das dünne Getröte und Gezirpe der modernen Version.


    Notenbeispiele dazu schenk ich mir.




    LG,
    Hosenrolle1

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  • Wo wir gerade bei der Entführung aus dem Serail sind ...
    Harnoncourt gab in einem Interview auf folgende Frage folgende Antwort:


    Zitat

    In Krips´ Wiener Aufnahme der Entführung aus dem Serail von 1966 wird die meiste Zeit auf einem gleichmäßigen dynamischen Niveau musiziert. In Ihrer Zürcher Aufnahme aus dem jahr 1985 fliegt einem schon nach wenigen Takten die Janitscharenmusik um die Ohren.Ich habe mir eigens für diese Entführung in Hessen Tschinellen gießen lassen, weil Mozart da zwei verschieden gestimmte Tschinellen verlangt. Und das wird normalerweise missachtet. Meine Frage war: Warum ist in der Ouvertüre diese türkische Musik? Die besteht aus einer großen Trommel, die mit einer Keule und einer Peitsche oder Birkenrute auf das Fell geschlagen wird. Die Janitscharenmusik meint hier einen schweren Keulen - oder Faustschlag in den Bauch und Peitschenhiebe auf den nackten Rücken. Wenn Mozart das in die Ouvertüre der Entführung schreibt, dann heißt das für mich: "Da, wo Menschen geschlagen werden." Und das erste, was der Belmonte dann singt, ist "hier", bezogen auf das, was man in der Ouvertüre gehört hat. Das ist nicht einfach nette türkische Musik, kling-kling-kling, und jetzt sagt er: "Hier soll ich dich denn sehen." Nein! "Hier, wo Menschen geschlagen werden, soll ich dich sehen. Ich würde dich viel lieber auf einer schönen Wiese in der Toskana sehen." Da finde ich die Aussage sehr stark.

    Harnoncourt spricht hier (wie so oft) Dinge an, ohne näher darauf einzugehen, sie dem Leser genauer zu erklären. (Oder die Redaktion hat entsprechende Aussagen herausgekürzt, auch das ist möglich).


    Mich hat dieses verschieden gestimmte Beckenpaar interessiert, sowie die hier erwähnte Trommel, denn offenbar handelt es sich hier um für Mozart ungewöhnliche Instrumente, die für eine korrekte Aufführung wichtig sind.
    Aufschluss darüber hat dankenswerterweise die Neue Mozart Ausgabe in ihrem Vorwort gegeben, die ich nur einmal mehr empfehlen kann!
    (LINK zu der Partitur)


    So heißt es da zu den Triangeln:


    Zitat

    Es besteht kein Zweifel, dass Mozart den Triangel-Part von mehr als einem Instrument ausgeführt sehen wollte , wahrscheinlich von zwei – vielleicht verschieden großen – Instrumenten. Offenbleiben muss die Frage, ob in Wien damals noch Triangel mit eingehängten Ringen benutzt wurden, wie dies „bis zum Ende des 18. Jahrhunderts“ nachweisbar geschehen ist.


    In einer Fußnote wird noch ergänzt:


    Zitat

    Schon der Kopistenvermerk auf der ersten Seite der Ouverture ist als Triangoli zu lesen; Mozart selbst benützt neben der deutschen Form Triangel – sie könnte Einzahl oder Mehrzahl bedeuten – auch die unmissverständliche Angabe Triangoli.

    Es herrscht also Unklarheit darüber, WELCHE Triangeln man verwenden sollte. Aber auf jeden Fall nicht nur eine.



    Nun zu den verschieden gestimmten Becken, die Harnoncourt hier anspricht. Auch hier weiß die NMA ausführlicher zu berichten:


    Zitat

    Gleichfalls anders als bisher bei Aufführungen im allgemeinen üblich, kann bzw. sollte nach Meinung des Herausgebers – wieder auf Grund von Mozarts eigenen Angaben bzw. Notierungen – der Part der Piatti besetzt und ausgeführt werden. Nicht zufällig schrieb Mozart die Piatti in der Ouvertüre und in den Nummern 5b, 14 und 21b als g´´, hingegen in den Nummern 3 und 21a als e´´. Er notierte die Becken also jeweils auf der Quinte der zugrundeliegenden Tonart (C-dur bzw. a-moll). Dies zu vereinheitlichen (überall g´´, wie seit AMA in allen Ausgaben geschehen), schien nicht angebracht. Becken-Paare unterschiedlicher Größe und „Klangfarbe“ sind bekannt und auch heute greifbar. Auch wenn man Mozarts Notierung nicht als Beweis dafür nehmen will, dass verschieden große, höher bzw. tiefer, heller bzw. dunkler tönende Becken zur Verfügung standen bzw. benutzt wurden, so besagt Mozarts unterschiedliche Notierung sehr deutlich, dass er spezifische Klangvorstellungen – mit heller bzw. dunkler tönenden Becken, die der dominantischen Sphäre der betreffenden Tonart entsprachen – gehabt hat.

    Die NMA verweist hier auf eine Abbildung eines solchen Beckenpaares in H.G. Farmers Werk "Turkish Instruments of Music in the Seventeenth Century". Ich denke, dass jeder, der z.B. viel Jazz hört, nachvollziehen kann, wie unterschiedlich Becken klingen und eingesetzt werden können.



    Und schlussendlich die "Tamburo grande", von der H. hier spricht.


    Zitat

    Der Tamburo grande (oder Tamburo turco = „Türkische Trommel“) wird von Mozart stets „zweistimmig“ notiert. Die Behalsung nach unten betrifft die rechte Hand, die nach oben die linke. (...) Für die in der „türkischen Musik“ charakteristische deutliche Markierung des Grundschlages durch den Tamburo turco benutzte man in der Militärmusik mehrerer europäischer Fürstenhöfe seit Ende des 17. Jahrhunderts originale türkische Beute-Instrumente. Sie zeichnen sich durch sehr hohe Zarge und einen im Verhältnis dazu geringen Durchmesser aus, haben also Walzenform. Die rechte Hand schlägt mit einem (nicht gedämpften) Schlegel, die linke, am Zargenrand gehalten, bedient eine Gerte.


    Auch hier verweist die NMA wieder auf eine Abbildung und Beschreibung bei Farmer:


    Zitat

    Man vergleiche die Abbildung einer solchen türkischen Trommel bei Farmer, (...). Hier sind sowohl der dicke Schlegel mit kräftigem Kopf für die rechte als auch die (einzelne!) dünne Gerte für die linke Hand erkennbar

    Leider besitze ich diese Bücher nicht! Ich würde diese Abbildungen gerne sehen!



    Also, liebe HIP-Dirigenten, HIP-Orchester oder wer auch immer dafür verantwortlich ist - schreibt bitte in eure Booklets, ob ihr diese Instrumente korrekterweise auch verwendet. Die richtigen Instrumente des restlichen Orchesters nützen wenig, wenn dann gerade diese Instrumente fehlen, oder ersetzt werden. Eigentlich ist es traurig, dass man solche Dinge, die für jeden seriösen Dirigenten (und damit meine ich ausschließlich (gute) HIP-Dirigenten, alle anderen stopfe ich lieber als Füllmittel in den "Diese Dirigenten kann man vergessen"-Thread) selbstveständlich sein sollten, unter "HIP" verzeichnen muss. Die korrekte Ausführung von Mozarts Musik verkommt dadurch zu einem "seltenen Spezialvergnügen", obwohl es eigentlich Standard sein sollte. Und schreibt auch dazu, für welche Triangel ihr euch entschieden habt, und wieviele ihr verwendet. Ihr braucht da keine Angst zu haben, dass die Käufer sowas nicht lesen wollen; wer bewusst zu einer HIP-Aufnahme statt zu der momentanen Massenware greift, ist in der Regel auch an der Musik und der möglichst korrekten Umsetzung interessiert, und wird auch mit entsprechendem Interesse lesen, wie genau man sich an Mozarts Anweisungen gehalten hat. :)




    LG,
    Hosenrolle1

  • Ha, ich habe jetzt zumindest etwas zur Tamburo turco gefunden, und zwar in dem Buch Le percussioni von Guido Facchin.



    Da gibt es u.a. diese Zeichnung hier, die ein solches Instrument (ganz rechts) zeigt:



    Dazu dieser Text (Hervorhebungen von mir).


    Zitat

    Intorno al 1780 il tamburo turco, denominato davul, impiegato nelle bande dei giannizzeri, assunse dimensioni più grandi. Diversamente dal tamburo militare, il tamburo turco veniva tenuto sospeso a tracolla a un fianco, alla sella del cavallo o, più spesso, tenuto orizzontalmente. Quando le pelli erano poste in posizione verticale, la membrana destra veniva percossa con una pesante mazza in legno o dall´estremitá rivestita di cuoio (o stoffa) per marcare i tempi forti, mentre su quella sinistra si davano soltanto i colpi in levare con una verga ricurva fatta di rametti. Talvolta la risonanza era accresciuta da una corda di budello posta sopra la membrana superiore e in una stessa banda potevano suonare fino a sette-otto esecutori.


    Hier wird auch gesagt, dass die rechte Membran der Trommel mit einem schweren Holzschlegel geschlagen wird, um die Schwerpunkte im Takt zu markieren, die linke Membran wird mit einer Art gebogenen Rute bzw. Gerte geschlagen, wobei die Resonanz durch eine Darmsaite noch erhöht werden kann (vermutlich das gleiche Prinzip wie bei der heutigen Snaredrum, wo sog. Schnarrsaiten befestigt sind).




    LG,
    Hosenrolle1

  • Ich möchte mich nicht in diesen interessanten Thread einmischen, aber Harnoncourt übertreibt hier, oder unterliegt IMO einem Mißverständnis.
    Mozart - und viele seiner Zeitgenossen - wollten keine "türkische" Musik schreiben, sondern eine türkisch "stilisierende". Bei Karl Böhm (und nicht nur bei ihm) kann man sehr gut beim Anfang den "höfisch gezierten" Charakter in der Ouvertüre hören. Mozart verleiht der Oper ein wenig orientalisches Kolorit (wogegen im Figaro und auch in Beethovens "Fidelio" das eigentlich erforderliche SPANISCHE Kolorit völlig fehlt). Man muß aber im Auge behalten, daß gerade im ausgehenden 18. Jahrhundert orientalische "Moden" sehr gefragt waren.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Harnoncourt ist natürlich für seine sehr bildreiche Sprache bekannt; er war es gewohnt, dem Orchester dadurch Bilder, Gefühle, Situationen zu vermitteln, damit sie es so spielen, wie er sich das vorstellt.
    Darüber kann man streiten.
    Dass Mozart hier keine "authentische" Türkenmusik schreiben wollte ist aber sowieso jedem klar, nicht zuletzt natürlich Harnoncourt, der eine solche Behauptung auch gar nicht in den Raum gestellt hat; ihm ging es nur um die "harte" Musik, die diese Instrumente erzeugen, dumpfe Schläge mit dem Holz und auf das Fell schnalzende Gerten.


    Auf jeden Fall gehören besagte Instrumente in eine ordentliche HIP-Aufnahme (oder -Aufführung), wenn sie Mozarts Klangvorstellungen richtig umsetzen möchte, sonst ist das Ergebnis wertlos.
    Es empfiehlt sich auf jeden Fall, sich intensiver mit Mozarts Musiksprache zu beschäftigen - womit nicht das bloße Anhören irgendwelcher Aufnahmen gemeint ist - um mehr über die darin enthaltenen Aussagen zu erfahren.




    LG,
    Hosenrolle1

  • Hallo Hosenrolle1,


    Versuch einer Begriffsdefinition bzw. mein Verständnis zu


    A - HAP: Musik aus der Zeit von Frührenaissance bis Frühbarock so erklingen zu lassen, wie es damals gespielt und gehört wurde, das setzt voraus:


    1. ein Instrumentarium aus der betreffenden Zeit, das können ursprünglich alte Instrumente sein oder
    2. aktuelle Nachbauten, die vom Klang her den alten Instrumenten ebenbürtig sind. Spezialisten mit modernen techn. Hilfsmitteln ist es möglich, zerstörungsfrei alte Instrumente bis ins kleinste Detail zu erforschen, abzubilden um so den Nachbau fehlerfrei erstellen zu können. Dazu kommen chem. Verfahren um die Holzart incl. der zeitbedingten Veränderungen und die sonstigen Bestandteile (Leim, Lasur usw.) bestimmen zu können; die Art der Besaitung ist das geringste Problem.
    3. die Kenntnisse, wie diese Instrumente zu spielen bzw. in der Interpretation den damaligen Gepflogenheiten entpr. eingesetzt werden; dazu braucht es viel Detailkenntnisse, die von der zunehmend erfolgreichen Musikwissenschaft zur Verfügung gestellt werden, bzw. im Rahmen der Neubaus mit den Beteiligten erarbeitet werden.



    B – HIP: Musik aus der Zeit von Barock bis zur Romantik (erweitert bis Mitte des 20. Jh.?)...
    1. A1 und A2 entfallen, es werden die Instrumente, mit regionalen Abweichungen, der heutigen Musikpraxis verwendet.
    2. A3 wird so umdefiniert, dass mit den Instrumenten von B1 versucht wird (was schon mit der inzwischen allgemein üblichen gleichschwebenden Stimmung zu Problemen führt) mit den der damaligen Zeit entspr. Spieltechniken (die auf heutigen Instrumenten z. T. zu Schwierigkeiten führt) und Interpretationen zu einem dem Zeitraum entspr. Klang führt/führen soll.



    Bist Du mit meinem kurz gefassten Definitionsversuch einverstanden, wo nicht und wo ist er für Dich fehlerhaft?



    Viele Grüße und dankend für Deine Antwort
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

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  • Hallo zweiterbass,


    mit HAP habe ich mich ehrlich gesagt nie beschäftigt. Ich bin ein paar Mal über diesen Begriff gestolpert, aber mich hat nie interessiert, alte Aufführungen quasi zu rekonstruieren. Das scheitert schon daran, dass wir nicht exakt wissen, wie es damals war, und wie es klang. Das hat für mich tatsächlich etwas museales, wenn man so möchte: Geschehnisse der damaligen Zeit heute erlebbar machen, damit man als Zuhörer vielleicht sagen kann "Schau, so war das damals".
    Deswegen kann ich da nicht viel dazu sagen.



    Zu HIP:


    A1 und A2 entfallen, es werden die Instrumente, mit regionalen Abweichungen, der heutigen Musikpraxis verwendet.


    Es kommt halt darauf an, wie genau man es nimmt. Für manche bedeutet HIP automatisch auch, dass on period instruments gespielt wird, streng genommen ist HIP aber mehr auf die Spielweise bezogen, nicht auf die Instrumente. Man informiert sich beispielsweise darüber, wie die Noten bei Mozart oder Bach zu lesen sind, erwirbt sich das Wissen der damaligen Musiker, setzt dieses aber auf modernen Instrumenten um. Das wäre auf jeden Fall HIP.


    A3 wird so umdefiniert, dass mit den Instrumenten von B1 versucht wird (was schon mit der inzwischen allgemein üblichen gleichschwebenden Stimmung zu Problemen führt) mit den der damaligen Zeit entspr. Spieltechniken (die auf heutigen Instrumenten z. T. zu Schwierigkeiten führt) und Interpretationen zu einem dem Zeitraum entspr. Klang führt/führen soll.


    Jep, das denke ich auch, wobei das sicher von den jeweiligen Dirigenten abhängt. Manche werden vielleicht versuchen, etwa einen Ventilhornspieler dazu zu kriegen, so zu klingen als spiele er auf dem Naturhorn, andere werden das nicht tun, weil es sie nicht interessiert oder sie sich mit den Klängen und Eigenschaften der alten Instrumente nicht wirklich beschäftigt haben.


    Ich finde HIP im Zusammenhang mit modernen Instrumenten unnötig, denn man legt sich selbst Stolpersteine in den Weg. Wozu erwerbe ich mir dieses Wissen, wenn ich sowieso nicht vorhabe, die so wichtigen Klänge dieser Kompositionen ebenfalls zu Gehör zu bringen.


    Ich meine, eigentlich ist es ganz einfach: Mozart schreibt "Horn in G". Also nimmt man ein Naturhorn und verwendet den entsprechenden Stimmbogen zum Aufstecken in G, und kann damit problemlos Mozarts Musik spielen. Da brauche ich kein Ventilhorn dazu. Alle Töne, die ich für die Noten von Mozart brauche, sind auf diesem Naturhorn drauf.
    Das Tolle dabei ist: wenn ich das Naturhorn verwende, dann klingt es auch eher so, wie Mozart es wollte, etwa das Legato zwischen den Tönen, das fließender klingt, weil der Luftstrom nicht kurz durch das Drücken des Ventils unterbrochen wird.
    Mozart schreibt meist eh offene Töne vor, aber wenn er einen Ton schreibt, den du nur gedämpft spielen kannst, dann WEIßT du, dass er diesen Klang haben wollte, weil er wusste, dass es nur gedämpft geht.


    Es geht nicht nur um klangliche Ergebnisse, sondern auch darum, dass die Eigenschaften der jeweiligen Instrumente ebenfalls Teil der Komposition sind und diese beeinflussen. Wenn Mozart einen Flötenlauf notiert hat, der absichtlich unschön und ein wenig schief klingen sollte, was bringt es mir dann als Spieler, wenn ich weiß WIE man diese Noten richtig spielt, den Klang aber nicht umsetzen kann, weil die moderne Metallflöte immer sauber klingt und diese Töne nicht mehr produzieren kann?




    LG,
    Hosenrolle1

  • Ergänzung zum vorigen Beitrag von mir:


    Die Leute, die das Regietheater, oder moderne oder modernisierte Inszenierungen nicht mögen, würden sicher kein Problem damit haben, wenn das Angebot ausgewogen wäre, wenn man sich problemlos aussuchen könnte, was man sehen möchte.


    Ähnlich geht es mir bei diesem Thema: mich stört nicht, wenn die Leute sich Mozart und Co. lieber "modern" anhören und meinen, DAS sei der wahre Mozart. Nicht mein Problem. Was mich stört ist, dass es viel zu wenig Auswahl gibt, zu wenig Angebote, um diese Werke HIP und OPI zu hören, auch wenn es mit der Zeit immer besser wird. Diese Werke stecken voller Schönheiten (wobei ich das nicht nur auf "schöne Klänge" reduziere, sondern alles zusammen, alle Raffinessen, Klangfarben, auch die bewusst "schiefen" oder scharfen Klänge sind Teil dieser Schönheiten) - und als interessierter Hörer habe ich praktisch keine Chance, das zu erleben! Ich will hören, was Mozart da komponiert hat, aber es gibt praktisch keine Gelegenheit, diese Werke, diese Schönheiten zu entdecken.


    Sicher, es gibt besonders im barocken Bereich ein immer breiter werdendes Angebot, aber wenn ich z.B. Mozarts Opern hören möchte, ist die Auswahl extrem gering, und leider sind das entweder auch schon veraltete Aufnahmen, oder die Sänger sind für mich nicht gut (Stichwort Jacobs-Zauberflöte, Jacobs-Enführung oder Weill-Freischütz). Wenn das Angebot breiter wäre, hätte ich gar kein Problem.


    Weber mochte Ventilhörner nicht - und trotzdem gibt es, bis auf eine mir bekannte Ausnahme, keine einzige Gesamtaufnahme etwa vom Freischütz, wo Naturhörner spielen. Ich hoffe, dass sich das bald ändert und mehr gescheite Aufnahmen herauskommen, die die Klangvorstellungen der älteren Komponisten auch ernst nehmen und entsprechend umsetzen.


    Mich stört also das momentan zu geringe Angebot solcher Aufnahmen oder Aufführungen.




    LG,
    Hosenrolle1

  • @ Dritte Dame


    Hier wie versprochen ein Vergleich. Es handelt sich um die Schlusstakte der Figaro-Ouvertüre. Problematisch ist, dass du keine Noten lesen kannst (wenn ich das richtig mitbekommen habe), so dass ein Partiturbeispiel hier wenig Sinn hätte, obwohl es sehr wichtig wäre.



    Ich versuche es mal so zu erklären: die Hörner, für die Mozart schreibt, sind Naturhörner (s. mein Avatar). Diese Hörner fangen schon bei geringeren Lautstärken an zu schmettern, klingen dann rauh und kraftvoll. Das Gleiche gilt auch für Naturtrompeten.
    Am Ende der Figaro-Ouvertüre schreibt Mozart für diese Blechblasinstrumente eine Lautstärke vor, die dafür sorgt, dass es rauher und durchdringender klingt, wenn man so möchte. Die 1. Violinen (NICHT alle Streicher!) spielen da eine Figur dazu, die auf- und abwärts geht.
    Außerdem werden bei Mozart die Pauken mit Holzschlägeln geschlagen, was besonders in Verbindung mit den Blechbläsern ziemlich hart klingt.


    In meinem Vergleich hörst du zunächst eine HIP-Aufnahme dieser Schlusstakte, mit Naturinstrumente, Holzschlägeln und Darmsaiten.



    Direkt im Anschluss hörst du die selben Takte noch einmal, diesmal von einem modernen Orchester gespielt, auf Ventilhörnern, Ventriltrompeten sowie mit Filzschlägeln. Diese Ventilinstrumente fangen erst bei höheren Lautstärken an zu schmettern, und die Filzschlägel klingen natürlich weniger hart und "knackig" als die reinen Holzschlägel.
    In dieser Aufnahme hörst du, dass die Violinen besonders laut sind, und ihre Melodie recht schmalzig, mit Vibrato spielen, während das Blech, das Mozart eigentlich laut und rauh haben wollte, ganz zahm und brav im Hintergrund bleibt - hier dominiert die Streicherseligkeit.



    Ein anderes kurzes Beispiel ist dieser Ausschnitt aus der Don Giovanni-Ouvertüre:



    Zweimal ein lauter Tuscher von Pauke und Blech, dann kurz die flinken Streicher.


    Auch hier zunächst eine HIP-Aufnahme, wo du deutlich hörst, wie die Pauke "knallt", und wie das Blech hier schon rauh klingt.
    Und direkt im Anschluss die selbe Stelle mit modernem Orchester: die Pauke weich und leise, das Blech ebenfalls dezent im Hintergrund.


    Mozart und auch andere Komponisten davor und danach kannten die Instrumente, die zur Verfügung standen, genau, kannten ihre Eigenschaften, ihre spieltechnischen Schwierigkeiten, ihre unterschiedlichen Klänge, und haben dieses Wissen für ihre Kompositionen ideal ausgenutzt. Und ich möchte hören, was die Komponisten da für Ideen hatten - und das geht nun mal nicht mit modernem Orchester, selbst wenn man es wollte.




    LG,
    Hosenrolle1

  • Man muß aber im Auge behalten, daß gerade im ausgehenden 18. Jahrhundert orientalische "Moden" sehr gefragt waren.


    mfg aus Wien
    Alfred


    Z.B. in der rasanten "Oper" (oder Singspiel) "Le Bourgeois Gentilhomme" von Rameau, nach dem Stück von Molière

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Jetzt bin ich doch positiv überrascht.


    Gerade las ich mir das Vorwort der NMA zu den Hornkonzerten von Mozart durch, da findet sich folgende Passage:


    Zitat

    Lange Zeit hat man das Inventionshorn über dem in gewisser Hinsicht praktischeren Ventilhorn vergessen. Glücklicherweise sind heute wieder Bestrebungen im Gang, dem Naturhorn zu einer neuen Blüte zu verhelfen. Nachbau von Instrumenten und Unterrichtsmöglichkeiten lassen die Vorteile des ventillosen Instruments für die Musik des 18. Jahrhunderts auch in der Praxis evident werden. An erster Stelle steht wohl der Effekt des unnachahmlichen Hornklangs in der entsprechenden Tonart, in der das Instrument gebaut ist und die jeweils vom betreffenden Musikstück verlangt wird. Hornstimmen auf einem Naturinstrument geblasen verleihen z.B. einer Sinfonie ein viel reineres und tieferes Tonalitätsgefühl, eine bedeutend charakteristischere Tonartenfarbe als mit einem Ventilinstrument. Und auch das im harmonischen Ablauf eines Satzes sich ergebende Entfernen von der Tonalitätsmitte wird durch Naturhörner klanglich intensiver erlebbar. Hinzu kommt, dass sich gewisse Bindungen auf dem Naturhorn besser und nahtloser ausführen lassen als auf dem Ventilinstrument. Weitere Vorzüge sind leichte Ansprache und Präsenz, wie sie auf einem Ventilinstrument mit seinen vielen konstruktionsbedingten Verbindunbgsmuffen und kompakten Windungen in dem Maße nicht möglich sind.


    Dass auch die NMA etwas dazu sagt, und dem Thema nicht gleichgültig gegenübersteht, hat mich überrascht, obwohl, so intensiv wie die jeden Takt, jede Note durchforsten und das Werk möglichst fehlerfrei wiedergeben wollen, sollte es eigentlich nicht verwundern.
    Und man merkt: die wissen, wovon sie sprechen, haben sich eingehender mit der Materie beschäftigt und plappern nicht nur irgendeinen Unsinn daher, den sie sich zusammenreimen. :hail:




    LG,
    Hosenrolle1

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  • Mit der musikologischen Debatte bin ich überfordert. Ich nehme mal meine Erfahrung. Bis etwa 1950 habe ich alte Musik gemieden, ja gehasst. Ich denke da an Josquin-Messen oder Palestrina-Motetten von Knabenchören mit großer Besetzung.
    Langeweile pur. Später wurden die Sachen von Vokalensembles (die Engländer, wie immer, als Vorreiter) übernommen mit sparsamer Begleitung von Instrumenten. Ich war wie elektrisiert. Die Schlüsselmusik dazu ist die Machaut-Messe mit dem Deller-Consort. Haydn-Sinfonien habe ich überhaupt keine gehört und Telemann habe ich abgetan. Dann kam die Cappella Colonensis und die Aacademy of Ancient Music; da änderte sich bei mir alles. Ich habe mir jede Telemann-Ouvertüre besorgt, die ich kriegen konnte. Dazu habe ich ein Fünfjahresprojekt gestartet und habe alle Haydn-Sinfonien gehört, nicht nur einmal, sondern mindestens 10 x. Dazu kam in meinem Vokalensemble die Einstudierung von Palestrinas berühmter Messe "Missa Papae Marcelli"! Dem folgte weitere Stücke der Vokalpolyphonie. Da habe ich es zu schätzen gewusst, wenn da alle Stimmen den gleichen Rang haben und nicht besonders Alt und Tenor nur die Begleitung abgeben.
    Ein Tipp: hört bei euch bei YouTube die atemberaubenden Aufführungen der "Poppäa" an. Dann vergleicht sie mit der Karajan-Aufnahme, die durchaus ihre Meriten hat, die ich in Wien live gesehen habe mit großartigen Sängern wie Sena Jurinac und Gerhard Stolze.
    Letztes Beispiel: die berühmte Air aus der 3. Ouvertüre von Bach. Meist gespielt, als wäre das von André Rieu. Dann die Essener Philharmonie mit dem "Orchestra of the Age of Enlightenment" unter William Christie. Rasant, atemberaubend, das empfanden auch die anderen Zuhörer so.
    Es gibt Ausnahmen. So hat Hans-Werner Henze den Ulisse bearbeitet, absichtlich mit großem Sinfonieorchester und tollen
    Solisten. In dieser Form habe ich die Oper mit Genuß gehört, vor allem, weil Henze den Rollen auf der Bühne jeweils mit Hilfe einer bestimmten Instrumentengruppe eine scharfe Präzisierung "verpasst" hat.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Ich kann Noten lesen, aber keine Partituren. Auch Vergleiche und Entschlüsseln von Musik anhand der Partituren, wie ihr das hier praktiziert, ist mir fremd. Damit wir uns richtig verstehen, ich habe überhaupt nichts gegen eure Debatten. Bei den Debatten über Instrumente kann ich z.T. folgen.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Ich kann Noten lesen, aber keine Partituren.


    Wenn du Noten lesen kannst, dann ist das schon viel Wert. Dann kannst du auch lesen, was in der Partitur steht, etwa einzelne Stimmen mitverfolgen beim Hören, und solche Sachen.
    Generell aber spricht nichts dagegen, etwas dazu zu lernen :)




    LG,
    Hosenrolle1

  • "Don_Gaiferos" hat hier etwas über Orchester geschrieben, das ich gerne aufgreifen wollte:


    man muss natürlich immer im Blick behalten, was auch machbar und realisierbar ist. Ich ziehe es im Übrigen auch vor, Instrumente aus der besagten Zeit oder Nachbauten zu hören; wo dies jedoch nicht möglich ist (nicht jedes Stadttheater kann mal einfach so einen ganzen Satz neuer Instrumente kaufen und natürlich auch entsprechende Musiker aus dem Hut zaubern, die dafür auch ausgebildet sind), begnüge ich mich mit einem modernen Orchester (wobei auch diese Instrumente ja meistens auch schon in ihrer heutigen Erscheinungsform ihrerseits wieder hundert Jahre und deutlich älter sind.)


    Du sagst schon sehr richtig, dass nicht jedes Stadttheater die Instrumente, geschweige denn die Musiker hat, die diese Instrumente gewohnt sind. Deswegen wird ja im normalen Repertoirebetrieb jedes Werk mit dem gleichen Orchester und den selben Instrumenten gespielt, völlig egal aus welcher Epoche. Und deswegen meide ich diesen Repertoirebetrieb und gehe lieber in Aufführungen, wo sich Ensembles auf eine bestimmte Epoche spezialisiert haben. Auf diese Weise unterstütze ich diese Ensembles finanziell, und lasse mein Geld nicht in den großen Häusern, die heute Mozart und morgen Strauss runterschrammeln.


    Von daher finde ich es völlig ok, über diesen Opernbetrieb zu klagen, jedoch wäre ich dann so konsequent, ihn auch nicht zu unterstützen, denn dann wird sich nichts ändern. Ich sehe das so ähnlich wie bei irgendwelchen Fast Food-Ketten: ich kann über das Essen dort schimpfen, wenn ich aber immer wieder dort hingehe und mein Geld dort lasse, statt etwa richtig gutes Fleisch vom Bauern zu kaufen, wird sich nichts ändern. Die Fast Food-Kette wird sich nur bestätigt fühlen und sagen "Die Leute kommen ja alle, also machen wir es richtig".


    Du hast übrigens Recht, wenn du sagst, dass die "modernen" Instrumente so modern gar nicht sind, weil sie fast gänzlich aus dem 19. Jahrhundert stammen, und sich seitdem vielleicht nur im Detail (größerer Tonumfang, anderes Klappensystem, etc.) verändert haben. Was aber dennoch nichts daran ändert, dass diese Instrumente sich sehr stark von denen vorangegangener Epochen unterscheiden!




    LG,
    Hosenrolle1

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