Roberto Alagna im Troubadour (Verdi), Bastille Oper, Paris, 28.06.2018

  • Die Bastille Oper wirkt schon von weitem im Pariser Stadtbild wie ein Koloss. Der Zuschauerraum ist entsprechend groß, der Saal fasst 2.700 Plätze. Es gab im Vorfeld mehrfache Umbesetzungen, zum Glück nicht für den Manrico, der mit Roberto Alagna angekündigt war (alternierend mit Yusif Eyvazov, der mir schon in Wien als Manrico nicht zugesagt hatte). Tagsüber erhielt ich noch per Mail die Nachricht, dass gestreikt und die Aufführung nur konzertant gegeben würde. Es wurde jedoch szenisch in einem Einheitsbühnenbild (Soldatenfriedhof) gespielt. Wir saßen in diesem großen Haus ziemlich weit oben, so dass mir wegen der Akustik Bedenken kamen. Das Orchester war aber gut zu hören, und als Ferrando (Mika Kares) seine Erzählung begann, waren alle Zweifel beseitigt. Sein Bass füllte strahlkräftig und volltönend die Höhen des Raumes.


    Das war der Leonora von Jennifer Rowley leider nicht gegeben. Nur im Forte füllte ihre Stimme das Haus, die mehr getragenen Passagen wie u.a. die großen Gesangsbögen in ihrer ersten Arie „Tacea la notte placida“, versandeten zwar nicht, blieben aber vom Klangvolumen her und auch der Strahlkraft unter den Anforderungen an diese Partie. Luna wurde von Vitaliy Bilyy gesungen, der Akustik des Hauses angemessen, aber ohne die Emotionen dieser Partie wirklich mit seiner Stimme zu transportieren. Darunter litt leider seine große Liebesarie „Il balen“; ich würde seinen Vortrag mit dem Adjektiv „gefühlssteif“ bezeichnen wollen.


    Ekaterina Semenchuk war als Azucena grandios und erschütternd in der gesanglichen Darstellung. Die Spannweite ihrer Stimme ist enorm mit glänzenden Höhen im Sopranbereich und voll klingender Tiefe, die auch lange gehalten werden kann. Das war vorbildlich.


    Zu Roberto Alagna, dem Star des Abends. Wie schön war die Stimme bereits aus dem Off (mit der er Leonara ansingt), aber eigentlich klang sie nur aus dem Off wirklich überzeugend schön (zum Beispiel im vorvorletzten Bild, wenn er bereits eingekerkert ist). Auf der Bühne selbst fehlte, retrospektiv gesehen, doch der Glanz, der aus dem Off in den Zuschauerraum gelangte. Nach der Pause machten sich bei Alagna Stimmprobleme deutlicher bemerkbar, seine Arie „Ah si ben mio“ klang wie unter Druck, an deren Ende wurde der Stimmfluss in den mehr getragenen Sequenzen von einem unangenehm meckernden Ton beeinträchtigt. Beim „Di quella pira“ verrutschte ihm das hohe C, er ließ sich von einem der umstehenden Soldaten noch etwas (war wohl vorbereitet) zu trinken geben, und ging trotzdem mit dem „All armi“ unter. Zum Jubel des Pariser Publikums unterbrach er, führte ein kurzes Gespräch mit dem Dirigenten und wiederholte die Stretta, diesmal mit einem gelungenen und frei klingenden hohen C, wohingegen das Schluss-C beim „All armi“ wieder kaum hörbar war. Das Publikum dankte ihn trotzdem mit Jubel, wohl für den guten Willen, so dass Alagna sich veranlasst sah, beim Abtreten von der Bühne noch ein weiteres hohes C zu schmettern. Den Schlussgesang schaffte er klanglich eben noch gerade, ließ sich aber mehrfach vom Orchester zudecken. Jedenfalls hatte Jennifer Rowley im Vergleich mit ihm noch schöne Momente, denn ihr Sopran klang mittlerweile doch viel reiner als Alagnas Tenorstimme. Unübertrefflich blieb aber die Gestaltung von Ekaterina Semenchuk mit dem Schlussgesang „Ai nostri montri“. Sie erhielt für ihre Gesamtleistung auch den größten Jubel, danach Alagna, gefolgt von Rowley und Bilyy.


    Die szenische Gestaltung war im Übrigen ärgerlich, Luna gehörte wieder zu den mordenden, hier in deutsche Wehrmachtsuniformen gesteckten Bösen, Manrico befehligte angloamerikanisch verkleidete Soldaten. Der Zigeunerchor trug, auf das Flüchtlingsthema verweisend, Koffer mit sich herum. Merkwürdig blieb nur die Vielzahl der Nonnen, die Leonora auf dem Weg ins Kloster begleiteten. Wo gab es während der in Szene gesetzten Zeit noch so umfangreich beseelte Nonnenklöster? Die Regie verantwortete Alex Olle (La Fura del Bauz), es handelte sich um eine Koproduktion mit den Opern in Rom und Amsterdam.

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv

  • Vielen Dank für den informativen und kritischen Bericht! Es grüßt Hans

    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*

  • Lieber Ralf,


    vielleicht war es ein Glück, dass die Sache, wenn auch im Einheitsbild, nur konzertant gegeben wurde, sonst hättest du vielleicht eine noch ärgerlichere Inszenierung gesehen. Mir kommt es nach deiner Schilderung so vor, als werde immer mehr zwanghaft und verkrampft aber gedanken- und kenntnislos, danach gesucht, wie man die Mode befriedigen könnte.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Wie man in der aktuellen Presse lesen kann, hat Alagna den Bayreuther Lohengrin abgesagt. Angeblich habe er den Text nur bis zum zweiten Aufzug lernen können. In der stimmlichen Verfassung wie als Manrico in Paris wäre er bei der Gralserzählung im dritten Aufzug wohl auch gnadenlos untergegangen. Wahrscheinlich ist es für seinen Ruf besser anzugeben, nicht genug Zeit zum Lernen zu haben als eine mögliche Stimmkrise einzugestehen.

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv