Franz Liszt: Sinfonische Dichtung Nr. 8: Héroïde funèbre

  • Die Sinfonische Dichtung Nr. 8 von Franz Liszt trägt den Titel "Héroïde funèbre" (Heldenklage), S. 102. Sie ist vermutlich die am wenigsten gespielte und am seltensten eingespielte aller seiner Tondichtungen und hat zudem die längste Entstehungsgeschichte. Die Anfänge der Komposition lassen sich bereits bis ins Jahr 1830 zurückverfolgen, als Liszt an einer Revolutionssinfonie arbeitete, inspiriert durch die im selben Jahr stattfindende Julirevolution in Frankreich. Nachdem er das Material Jahre lang beiseite geschoben hatte, griff Liszt die Thematik während der Revolution in Ungarn 1849 neuerlich auf. Nun dachte der Komponist an eine fünfsätzige Sinfonie, welche patriotische Themen wie den Rákóczi-Marsch und die Marseillaise beinhalten sollte. 1851 wurde Joachim Raff mit der Instrumentation des Fragments beauftragt; es wurde indes nur der erste Satz, eben die "Heldenklage", vollendet. Es ist sehr fragwürdig, wie groß Raffs Anteil an der Orchestrierung tatsächlich war; die zwischen 1854 und 1856 vollendete Endfassung stammt jedenfalls mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von Liszt selbst. Die Uraufführung des Werkes fand schließlich am 10. November 1857 in Breslau statt.


    Thema der Sinfonischen Dichtung ist der um sich greifende Schmerz und die Trauer über (Kriegs-)Gefallene. Sie kann als eine Art Trauermarsch in sinfonischer Form verstanden werden. Der Marsch wird im Verlaufe des Werkes wiederholt und steigert sich von Mal zu Mal bis zum vermeintlichen Sieg. Gleichwohl klingt die Tondichtung in einem leisen und tieftraurigen Schlussteil aus, welcher für die Verneinung des Heldenkultes und der Kriegsverherrlichung steht. Es gibt in der "Héroïde funèbre" bereits Anklänge an Liszts Spätwerk.


    Die "Heldenklage" wurde fast ausschließlich im Rahmen von Gesamteinspielungen der Sinfonischen Dichtungen aufgenommen.




    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Heute bin ich bei diesem Werk angekommen. Als ich den Titel las, war ich geneigt, das Werk zu überspringen, weil ich meinte, es würde mich in depressive Stimmung versetzen. Das wäre - wie sich herausstellte - allerdings ein kapitaler Fehler gewesen, denn es handelt sich IMO um ein beeindruckendes Werl
    Eigentlich ist es nicht nur ein Trauermasch, sondern vermittel diverse Stimmungen, da der Marsch immer wieder variiert wird. Zeitweise ist er regelrecht "angriffslustig", meist unterschwellig bedrohlich, stellenweise aber auch verhalten. Etwa ab Minute 7:30 konnt er momentan scheinbar völlig zum erliegenm bimmt aber dann wie an Tempo und Lautstärke zu. Man wird mir vermutlich widersprechen, aber ich höre stellenweise etwas Gespenstisches, das mich an die Spukszene aus Wagners "Fliegenden Holländer" erinnert, ebenso wie ich meine Hector Berlioz' "Sinfonie Fantastique" durchschimmern zu hören......
    Wie schon die letzten Male habe ich auch heute der Aufnahme mit dem Gewandhausorchester Leipzig unter Kurt Masur den Vorzug gegeben.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Als nächstes Orchesterwerk will ich nun meine Eindrücke von der ‚Heldenklage‘ schildern. Dabei stelle ich zunächst das Angelesene über die Entstehung des Werkes voran: Die Keimzelle der ‚Héroïde funèbre‘ ist eine geplante, aber nie vollendete ‚Revolutions-Sinfonie‘, die Liszt nach den 1830er-Unruhen in Paris in Angriff genommen hatte. Gut zwanzig Jahre später hat er den vollendeten ersten Satz dieser Sinfonie, diese Heldenklage, zu einer Sinfonischen Dichtung ausgearbeitet und ihr seine ‚Idée fixe‘ in einem umfangreichen Vorwort vorangestellt. Die Instrumentation sollte ursprünglich Joachim Raff ausführen, was allerdings angezweifelt wird, weil sich Liszt damals mit seinem persönlichen Sekretär und Assistenten überworfen hatte.


    Ein Wort zu Liszts Einordnung der Komposition als Sinfonischer Dichtung: Es gibt vielfach Zweifel an diesem Terminus, weil die Musik nicht auf einer Dichtung beruht. Und es wäre möglich, dass Liszt sich dieser Diskrepanz bewusst war, denn er hat seinem Opus ein langes Vorwort beigegeben, in dem er einen dichterischen Sinn geradezu herbeibeschrieb. Im Gedächtnis geblieben ist mir sein Resümee, wonach von allen Emotionen nur der Schmerz unveränderlich und von keinem Wechsel betroffen sei. Kann der Komponist mir das mit seiner Musik auch beweisen?


    Die Musik kommt von Beginn an düster und mit wilden Ausbrüchen aus dem Orchester, wird dann zu einem Trauermarsch, ohne allerdings jene Empfindungen in mir auszulösen, wie es beispielsweise Händel mit seinem Marsch aus ‚Saul‘ schafft? Oder Beethoven mit dem Eroica-Trauermarsch? Ich nenne außerdem noch Chopins Marsch aus der 2. Klaviersonate und noch den Trauermarsch zum Tode Siegfrieds aus der Götterdämmerung - sie alle haben eine aufrüttelnde Wirkung auf mich; Liszts Ausdeutung von Trauer bleibt dagegen irgendwie blass, berührt mich nicht direkt. Aber das Werk hat auch einen sanft-wehmütigen Teil, der mich wie ein tröstliches Wort, in Musik gesetzt, berührt hat. Hier ist mir die Interpretation der Budapester sehr nahe, was übrigens nicht heißen soll, dass Árpád Joó die Ausbrüche der 'Trauer' nicht darzustellen vermag. Dass nach diesem ruhigen Teil die düstere Stimmung wiederkehrt und noch gesteigert wird, ehe sie schließlich leise, aber ohne eine Aufhellung verklingt, trifft zwar den vorgegebenen Sinngehalt, bleibt mir jedoch insgesamt fremd.


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Man wird mir vermutlich widersprechen, aber ich höre stellenweise etwas Gespenstisches, das mich an die Spukszene aus Wagners "Fliegenden Holländer" erinnert, ebenso wie ich meine Hector Berlioz' "Sinfonie Fantastique" durchschimmern zu hören......


    Lieber Alfred, ich werde Dir nicht widersprechen. Das Gespenstische höre auch ich heraus. Schon deshalb habe ich für dieses seltsame Stück, das in verschiedene Einzelteile zerfällt, immer sehr viel übrig gehabt. Es ist, als ob die Toten unterwegs sind. Von Carl Loewe gibt es die Ballade "Die nächtliche Heerschau", in der es diese unheimliche Stimmung auch gibt - hier gesungen von Hermann Prey:



    https://www.youtube.com/watch?v=DIjJJfZ4ULg


    Und plötzlich kommt es mir vor, als würde sich Liszt mit seinem berühmten Lied "Ob lieb, solange du lieben kannst" selbst zitieren:


    Das wäre - wie ich finde - ganz typisch für Liszt. Ein Hoffnungsschimmer. Etwas plakativ - aber sehr wirkungs- und gefühlsvoll.


    Lieber musikwanderer, mit Dir fühle ich mich trotz Deiner kritischen Beobachtungen gar nicht so weit auseinander wenn Du schreibst: "Liszts Ausdeutung von Trauer bleibt dagegen irgendwie blass, berührt mich nicht direkt. Aber das Werk hat auch einen sanft-wehmütigen Teil, der mich wie ein tröstliches Wort, in Musik gesetzt, berührt hat."


    Schön, dass uns Joseph wider auf dieses Werk brachte, das ich lange nicht gehört hatte.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Liebe Freunde,


    wie ich eingangs schon schrieb, dürfte die "Heldenklage" die unbekannteste Sinfonische Dichtung von Liszt sein. Kommerziell scheint es nur eine einzige Live-Aufnahme, die von Peter Maag aus Turin, zu geben (siehe ersten Beitrag). In einem Konzertprogramm ist sie mir ansonsten noch nie begegnet. Es ist sicherlich kein besonders eingängiges Werk und wohl auch nicht unbedingt eines, das zum Wiederhören einlädt. Fehlt den jeweiligen Dirigenten vielleicht der tiefere Zugang, weil sie es nur als Teil ihrer Gesamtzyklen einspielten? Die Maag-Aufnahme kenne ich leider nicht. Vielleicht hatte er ihn ja als einziger.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões