Prodigy Experience – Keyboard Sampling

  • Hallo, liebe Musikfreunde,


    mir ist bewusst, dass ich mich mit diesem Beitrag an den Grenzen eines „Orgelforums“ bewege. Ehrlich gesagt bin ich ziemlich enttäuscht, was in der Tradition der klassischen Orgelmusik an Innovationen seit 1945 – also nach Messiaen - angeboten wird. Entweder wird mit den technischen Möglichkeiten der Orgel experimentiert, oder es wird immer wieder das denkwürdige Konzert 1962 in Bremen genannt, als Ligetis „Volumina“ uraufgeführt wurden. Gern lasse ich mich aber eines besseren belehren.


    Weit spannender finde ich die neuen Entwicklungen mit der Einführung des Sampling auf Keyboards seit den 1980ern. Dies wurde anfangs vor allem von der DJ-Szene aufgegriffen, die kurze Samples (Musiksequenzen von oft nur wenigen Sekunden Dauer) aufgriffen, mit dem Keyboard verfremdeten, vervielfältigten oder unterschiedliche Samples übereinander legten. Mit den verbesserten technischen Möglichkeiten konnte diese Montage-Technik fortlaufend verbessert werden, bis es in den frühen 1990er so weit war, hieraus komplett neue Genres innerhalb der Pop-Musik zu kreieren (Trip Hop, Drum and Bass,
    Big Beat, es lohnt sich, zu diesen Themen ein wenig durch Wikipedia zu surfen).


    1992 veröffentlichte die britische Gruppe Prodigy ihr Debut-Album „Prodigy Experience“. Das war in der frühen Phase des Techno-Pop, als noch offen war, wohin die Reise geht. Treibende Kraft war Liam Howlett, geboren 1971 in England, der als DJ begann. Der Name „Prodigy“ spielt auf den Moog Prodigy-Synthesizer an.



    Mir geht es vor allem um die beiden ersten Stücke „Jericho“ und „Music Reach 1/2/3/4“. Hier ist wirklich ein neuer Klang zu hören. Gemischt mit vielen Spielereien, wie es häufig am Beginn einer neuen Entwicklung vorkommt, entstehen Orgelklänge – oder vielleicht besser gesagt: orgelähnliche Klänge - , die eine völlig eigene Aussagekraft haben. In Besprechungen wird oft von Höllenmusik oder infernalischen Klängen gesprochen. Wer all die Übertreibungen kennt, mit denen in diesem Gebiet der Musik Geschäft gemacht wird, sollte sich davon nicht ablenken lassen.


    Der Jazz hat das Keyboard Sampling aufgegriffen. Ich hörte es etwa beim Konzert von Bobby Previte in Frankfurt 2004, als von Musikern der New Yorker Avantgarde-Szene „Moskau Circus“ gespielt wurde.


    Mich würde interessieren, ob weitere Beispiele für gelungenen Einsatz dieser Technik bekannt sind und wie überhaupt Innovationen aus dem technischen Bereich für die neuere Musik gesehen werden.


    Viele Grüße,


    Walter

  • Beim Betrachten dieses guten alten Moog (auch Quitsche oder Schweineorgel genannt) geht schon ein bißchen mein Herz auf. Dem Teil kann man wirklich die schönsten/komischsten Töne entlocken. Man drückt auf eine Taste und der Ton wird stufenlos nach oben gezerrt man drückt auf eine andere Taste und der Ton wird bis zum Ton dieser Taste wieder ebenso heruntergefahren. Wenn man eine flinke Hand hat kann man so mit diesem Teil die verrücktesten Improvisationen (Jazz, Proggrock) spielen und mit der anderen Hand auf einem anderen Tasteninstrument (Keyboard, Mellothron etc) die passenden Akkorde greifen.


    Es gibt einige herausragende Musiker der neueren Musik, die verstanden mit diesem Teil virtuos umzugehen (The Prodigy kommen mir dabei eher nicht in den Sinn). Da fallen mir Namen wie Rick Wakemann ein.


    Leider ein Instrument, dessen sich (zu gunsten des technischen Fortschritts) immer weniger Musiker oder Tastenzauberer bedienen.

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

  • Hallo Walter,


    war früher selbst ein großer Prodigy-Fan und halte Liam Howlett für eines der größten musikalischen "Genies" unserer Zeit. Nachdem er früher ständig neue Richtungen eingeschlagen hat, sind ihm leider scheinbar irgendwann die Ideen ausgegangen. Das von Prodigy erkundete Neuland geriet meines Wissens nach dann auch irgendwann in Vergessenheit - verschüttet unter dem Einheitsbrei, der sonst im Pop/Dance/Alternative...-Bereich vorherrscht. Howlett selbst orientierte sich zeitweise ja sogar in Richtung Punk (in der letzten produktiven Phase mit Firestarter), während mir keine Nachfolger seines "Frühstils" bekannt sind.
    Vielleicht (und hoffentlich) weiß jemand im Forum doch mehr und kann Vertreter benennen :D [wobei aufgrund der Grenzwertigkeit des Themas wohl wenige sich mit der materie befasst haben dürften...]


    :hello:
    Stefan

    Viva la libertà!

  • Zitat

    Original von Walter.T
    Mich würde interessieren, ob weitere Beispiele für gelungenen Einsatz dieser Technik bekannt sind und wie überhaupt Innovationen aus dem technischen Bereich für die neuere Musik gesehen werden.


    Ich kann nur auf die letzte Frage Bezug nehmen. Soweit ich das überblicken kann (und das kann ich wohl ohnehin nicht), ist für mich der musikalische Höhepunkt im Bereich der Versuche, Innovationen aus dem technischen Bereich zu nutzen, die Tonbandmusik der 50er und 60er Jahre. Vergleicht man damit die älteren Versuche (und man kann auf ein halbes Jahrhundert solcher Versuche davor zurückblicken), wird klar, dass plötzlich eine Fülle bedeutender Werke entsteht, wobei aber fraglich bleibt, ob sie mit den zeitgleichen Höhepunkten im Bereich traditioneller Instrumente mithalten können.


    Seither scheint mir der elektronische Bereich in relativer Bedeutungslosigkeit vor sich hinzudümpeln, Xenakis war wohl eher eine Art "bestätigende Ausnahme". Die erwartete Lebendigkeit durch neue Technik hat die Live-Elektronik m.E. nicht eingelöst, oftmals nervt sie eher durch prinzipimmanentes Kanonisieren.


    Heute ist im Konzertbetrieb eine Szene auf der Schwelle zwischen Techno und Xenakisnachfolge sehr beliebt, hierin zeigt sich mir aber eher ein Anzeichen des Niveaurückgangs.

  • Hallo zusammen,


    ich bin echt erstaunt! Wußte gar nicht, daß Prodigy eine solche Vergangenheit hatten.


    Ich lernte die Gruppe durch den Song "Firestarter" kennen, den ich eher als niveau -und bedeutungslos erachtete, "Breathe" war ein wenig besser, aber insgesamt hielt ich die Jungs für paar durchgenallte Freaks, die ihrem Ärger mal ordentlich Luft machen wollten...


    LG
    Wulf.

  • Hallo Stefan,


    genau so sehe ich es auch. Was Prodigy anfangs spielte, schlug auf den Hörer wie ein Blitz ein. Danach wurde unklar, wie es weiter gehen kann. Für mich steht außer Frage, dass mit diesen Techniken ganz große Kunst gemacht werden kann, und ich hoffte mit diesem Thread vielleicht auf neue Ideen zu stoßen, was sich heute auf diesem Gebiet tut, da ich das selbst nicht mehr so gut mit verfolgen kann.


    Hallo 'kurzstückmeister',


    so weit ich die Tonband-Musik der 50er und 60er Jahre kenne, war ich davon nicht so begeistert, da ihr für mich das Feuer fehlte, wie es dann später etwa bei Prodigy zu hören ist. Mehr haben mich da einige Stücke aus den 70er und 80er angesprochen, bei denen die Cembalistin Chojnacka auf dem Cembalo regelrecht in einen Wettstreit mit der Eintönigkeit von Tonbändern tritt. Aber auch hier weiß ich nicht, wie sich das jetzt weiter entwickelt hat.


    Viele Grüße,


    Walter

  • Hallo Walter,


    leider habe ich auch wenig Einblick in heutige neue Strömungen. Vor knapp 10 Jahren hat mein Interesse an Pop/Disco etc. extrem abgenommen, zu sehr sank IMO die Qualität. Über Innovationen aus diversen Szenen bin ich auch nicht informiert. Leider wird moderne klassische Musik auch so wenig aufgeführt (na ja, bei vielem kann mans ja auch verstehen :angel: ) und so wenig über sie berichtet, dass auch hier ein Informationsdefizit zementiert wird. Hoffentlich können die Spezialisten hier im Forum für die Moderne etwas dazu beitragen :rolleyes:


    Hallo Wulf,


    Firestarter war sicher ein Extremfall, der schon in die von Dir beschriebene Richtung geht. Aber Prodigy hat ja permanent Neues ausprobiert, auch vorher völlig unbekannte Rhythmen eingeführt (z.B. Voodoo People) und sehr viel herumexperimentiert. Also kein starres Schema F, das gerade so angesagt war, einfach adaptiert. Aus Howletts Kreativität hätte man sicher auch auf anderen musikalischen Gebieten Anregungen aufnehmen können...


    :hello:
    Stefan

    Viva la libertà!

  • Zitat

    Original von Barezzi
    Über Innovationen aus diversen Szenen bin ich auch nicht informiert. Leider wird moderne klassische Musik auch so wenig aufgeführt (na ja, bei vielem kann mans ja auch verstehen :angel: ) und so wenig über sie berichtet, dass auch hier ein Informationsdefizit zementiert wird. Hoffentlich können die Spezialisten hier im Forum für die Moderne etwas dazu beitragen :rolleyes:


    Im allgemeinen gehen die Threads über einzelne Komponisten der vergangenen Jahrzehnte relativ schlecht, sodass ich den Eindruck habe, dass das Interesse hier nicht das größte ist, dennoch werde ich ab und zu einen starten.
    Einen Thread "Deutsche Musik ab 1970" habe ich vor geraumer Zeit gestartet, der ist etwas in Vergessenheit geraten.
    Ebenso einen über "Tonbandmusik bis 1970", da ich über spätere Entwicklungen keinen Überblick habe. Mag ja sein, dass die Elektronik nach 1970 im Forum auf viel mehr Interesse stößt, aber die Frage "was gibt es denn da" kann genausogut wie ich auch ein anderer stellen, Überblick kann ich keinen geben, nur mir zufällig bekannte Beispiele.


    Zitat

    Original von Walter T.
    so weit ich die Tonband-Musik der 50er und 60er Jahre kenne, war ich davon nicht so begeistert, da ihr für mich das Feuer fehlte, wie es dann später etwa bei Prodigy zu hören ist. Mehr haben mich da einige Stücke aus den 70er und 80er angesprochen, bei denen die Cembalistin Chojnacka auf dem Cembalo regelrecht in einen Wettstreit mit der Eintönigkeit von Tonbändern tritt. Aber auch hier weiß ich nicht, wie sich das jetzt weiter entwickelt hat.


    Mit der "relativen Bedeutungslosigkeit" habe ich vielleicht übertrieben, auf jeden Fall kenne ich auch zu wenig, um das wirklich sagen zu können. (Neben Xenakis muss auf jeden Fall auch Nono genannt werden ...) Ob nun eine Musik "Feuer" hat oder nicht, ist aber im Grunde für die Qualität nicht relevant, wer etwa bei Feldman "Feuer" sucht, wird wohl ebensowenig Glück haben, wie jemand, der bei genannter Popgruppe pastorale Stimmungen oder religiös gefärbte Erbauung sucht, nehme ich mal an.
    ;)

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Im allgemeinen gehen die Threads über einzelne Komponisten der vergangenen Jahrzehnte relativ schlecht, sodass ich den Eindruck habe, dass das Interesse hier nicht das größte ist, dennoch werde ich ab und zu einen starten.
    Einen Thread "Deutsche Musik ab 1970" habe ich vor geraumer Zeit gestartet, der ist etwas in Vergessenheit geraten.
    Ebenso einen über "Tonbandmusik bis 1970", da ich über spätere Entwicklungen keinen Überblick habe. Mag ja sein, dass die Elektronik nach 1970 im Forum auf viel mehr Interesse stößt, aber die Frage "was gibt es denn da" kann genausogut wie ich auch ein anderer stellen, Überblick kann ich keinen geben, nur mir zufällig bekannte Beispiele.


    Hallo Kurzstueckmeister,


    Das geringe Interesse hier im Forum hat sicherlich damit zu tun, dass bis auf einige Spezialisten die "breite Masse" der Klassikfreunde mit Musik der letzten Jahrzehnte kaum in Kontakt kommt - zu selten wird sie in Konzerten oder Radio gespielt. Im Fernsehen führt sie auch ein Aschenputteldasein.
    Meine häufigsten Erlebnisse mit neuer Musik waren auf dem bis vor einigen Jahren stattfindenden Sommer-Open-Air-Klassikfestival in Riedenburg (wird hier bestimmt keiner im Forum kennen), das von Franz Hummel und einem befreundeten ortsansässigen Sponsoren ( :jubel: ) veranstaltet wurde: Das Konzept hierbei war, bei jedem Konzert ein Stück eines jungen unbekannten Komponisten zu spielen - gemischt mit "Klassikern". Nur da Franz Hummel selbst zeitgenössischer Komponist ist, konnte wohl überhaupt so ein Modell entstehen...
    Habe diese Werke mit Interesse verfolgt, aber irgendwie stehen dann doch wieder die üblichen Verdächtigen auf dem musikalischen Alltagsspeiseplan :angel:


    :hello:
    Stefan

    Viva la libertà!