Schostakowitsch - Jazz-Suiten

  • Hallo,


    keine Angst, der Schmuddel-Mensch aus dem Tamino-Keller möchte keinesfalls die oberen Etagen besudeln... :]


    Ich freue mich zur Zeit wie ein Schneekönig über meinen Neubesitz der Jansons-Box mit den Schostakowitsch-Sinfonien. Daraus hörte ich gerade im Anschluss an die Elfte die Jazz-Suiten. Zwar hatte ich sie schon zuvor mit Chailly in Besitz, sie aber nie wirklich richtig wahrgenommen.


    Mir stellen sich ein paar Fragen dazu:
    Welche Affinität hatte Schostakowitsch zum Jazz, was veranlasste den größten sowjetischen Komponisten, Suiten angelehnt an die ur-amerikanischste Musikform zu schreiben? Sollte es eine Form von Bewunderung ausdrücken oder eine Karikatur sein? Wie waren die Reaktionen der Obrigkeit darauf? Wann entstanden die Werke? Mein Höreindruck ist, dass die Jazz-Bezugsquelle sehr früh anzusiedeln ist, d.h. ich höre Einflüsse der Jazzform heraus, die ich mit den zwanziger Jahren verbinde. Ich gehe aber davon aus, dass die Suiten erheblich später entstanden, oder?


    Ich würde mich freuen, mehr über die Entstehung und Wirkung zu erfahren.


    Gruß
    B.

  • # 1934 Suite für Jazzorchester Nr. 1, ohne Opus (ursprünglich: Opus 38 )
    # 1938 Suite für Jazzorchester Nr. 2, ohne Opus (orchestriert von Gerard McBurney)


    also alles Werke, die vor der grandiosen 4. Sinfonie komponiert wurden. Ich vermute, dass es hier die Erinnerungen an die Zeit als Kino-Pianist eine Rolle spielen dürften.


    Die Chailly-Aufnahme hat mir nie so recht gefallen, da ziehe ich die BrilliantClassics Aufnahme mit dem National Symphony Orchestra of Ukraine, Theodore Kuchar trotz der gelegentlichen Mängel vor. Es gibt aber auch bei Naxos eine mit Yablonsky.

    Gruß ab


    ---
    Und ich meine, man kann häufig mehr aus den unerwarteten Fragen eines Kindes lernen als aus Gesprächen mit Männern, die drauflosreden nach Begriffen, die sie geborgt haben, und nach den Vorurteilen ihrer Erziehung.
    J. Locke

    Einmal editiert, zuletzt von a.b. ()

  • Hallo Barbirolli und a.b.,


    das Dir die Aufnahme mit Theodor Kuchar gut gefällt, dazu kann ich Dir nur beipflichten.
    Ich habe vorher die Naxos-Aufnahme mit Yablonsky gekauft, die mir nicht besonders zusagte, da ich auch den Vergleich Chailly kannte. Auch meine Ausflüge mit Yablonsky zum Interpretationsvergleich einiger Sinfonien endeten mit dem Absetzen der entsprechenden CD/SACD.
    Erst Theodor Kuchar hat es geschafft, das bei mir diese Musik der Jazz-Suiten wirklich "ins Ohr geht", weil er den Witz in der Musik umsetzen kann und nicht präsentiert diesen Yablonsky-Langweiler.


    IMO hat die Bezeichnung Jazz-Suite im Falle Schostakowitsch wenig bis gar nichts mit Jazz zu tun und bezieht sich warscheinlich auf Schostakowitsch´s Zeit als Filmmusikpianist, wo freie Improvisation an der Tagesordnung ist.
    Die Jazz-Suiten hören sich jedenfalls kein bischen nach Jazz an, so wie man es mitunter von Leonard Bernstein kennt.


    Bei jpc ist leider die BRILLANT-Box mit den Jazz-Suiten Nr.1 und 2 und vielen anderen lohnenswerten Schostakowitsch-Werken und Filmmusiken verschwunden (Dirigent Kuchar).
    Stattdessen findet sich nur noch eine SACD :

    Jazz-Suiten Nr. 1 & 2;
    Overture über russische and kirkisische Themen op. 115;
    Novorossijsk Crimes; Festival Overtüre op. 96

    Ukraine SO, Theodor Kuchar
    BRILLANT, Aufnahme 2003 DDD
    In meiner BRILLANT 3CD-Box sind zusätzlich diese Filmmusik-Suiten mit Kuchar enthalten:
    Hamlet-Suite; Gadfly-Suite; The Bolt -Suite op. 27a; The Limpid Stream-Suite op. 39a; The Golden Age-Suite op. 22a

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Das Label hat sie jedenfalls noch im Programm:

    Gruß ab


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    Und ich meine, man kann häufig mehr aus den unerwarteten Fragen eines Kindes lernen als aus Gesprächen mit Männern, die drauflosreden nach Begriffen, die sie geborgt haben, und nach den Vorurteilen ihrer Erziehung.
    J. Locke

  • Da hier auch Entstehungszeiten genannt wurden, möchte ich darauf hinweisen, dass das, was lange Zeit fälschlich die "Suite für Jazzorchester Nr. 2" genannt wurde, eigentlich die "Suite für Varietätsorchester" ist und nicht 1938, sondern ziemlich sicher erst Mitte der 1950er entstanden ist (und anscheinend erst 1988 (!) zum ersten mal aufgeführt wurde). Der berühmte "2. Walzer" daraus ist dem Film "Die erste Staffel" entnommen.


    Ich muss sagen, mir gefällt die Aufnahme mit Yablonsky. Zum Beispiel spielt er den "2. Walzer" recht schnell, was ihm m. E. gut tut. Chailly ist mir ein klein wenig zu träge, passt aber gut zum Kubrick-Film "Eyes Wide Shut".


    Was ich mich frage: Wie "jazzig" ist die Musik eigentlich? Unter "Jazz" verstehe ich etwas anderes. Der Name "Suite für Varietätsorchester" deutet ja auch nicht darauf hin. (Nebenbei: In den Titeln ist ja genau genommen nicht von "Jazz" die Rede, sondern von "Jazzorchester".) Wie steht es mit der "Suite für Jazzorchester Nr. 1" von 1934? Auch diese (Waltz/Polka/Foxtrot) würde ich nicht wirklich mit "Jazz" in Verbindung bringen, eher mit "Tanzmusik", aber ich bin da kein Experte. Barbirolli nannte oben Jazz der 1920er Jahre. Die (rekonstruierte) tatsächliche "Suite für Jazzorchester Nr. 2" kenne ich garnicht.


    Oder ist es eher so, dass "Jazz" hier für "(dekadente) westlich-orientierte" Musik steht? Musik, wie man sie etwa auch im "Goldenen Zeitalter" findet?


    maticus

  • Also, die Jazz-Suiten finde ich gar nicht "belanglos". Es sind eben keine schicksalssträchtigen Sinfonien, sondern "leichte" Musik, die Shostakovich ebenso beherrscht hat.


    Diese CD sollte man jedenfalls unbedingt haben:


    Nicht ohne Grund hat Stanley Kubrick den "Walzer Nr. 2" aus der Jazz-Suite Nr. 2 für seinen letzten Film "Eyes Wide Shut" ausgewählt. Ein einmaliges Stück. Chailly und das Concertgebouworchester spielen die Stücke perfekt.


    Ich möchte (hier an richtiger Stelle) ausdrücklich klarstellen, dass ich die Jazz-Suiten auch schätze und gerne höre. Die Jazz-Suiten sind nur im Vergleich zu den Sinfonien belanglosere Musik und ich meine auch nicht dafür geeignet, jemandem den Zugang zu Schostakowisch zu ermöglichen. Denn das ist nicht der Schostakowitsch, der den Hörer total begeistern kann.


    Die von Dir Agon gezeigte Chailly-Aufnahme der Jazz-Suiten hatte ich auch. Die Jazz-Suiten mit Chailly waren gut.
    ** Ich habe die CD aber aus zwei Gründen abgesetzt:
    1. Der Titel auf der CD THE JAZZ ALBUM ist für mich ein Witz, denn von Jazz (so wie man es kennt) ist auf der CD kein Ton enthalten.
    2. Die Kopplung auf der CD ist unmöglich: Man hat das KK Nr.1 zwischen die Jazz-Suiten mittenrein gelegt ... finde ich total unpassend. Und die Aufnahme des KK 1 hat mir gegenüber meinen Favoriten Eugen List/Maxim Schostakowitsch und Giltburg/Petrenko auch nicht gefallen.
    8-) Diese Decca-CD war somit für mich obsolet !


    Die Jazz-Suiten habe ich mit Theodore Kuchar (NAXOS) - siehe Beitrag 3 und Yablonsky (NAXOS) in abgemessenen Kopplungen und ebenfalls sehr guten Aufnahmen.
    Bei den Stücken kann man ohnehin nicht viel fasch machen.



    NAXOS, 2001, DDD

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Ich finde aber, daß die Jazz-Suiten mit diesem komischen Naxos-Yablonsky kein Ersatz sind für die ausgefeilten und stilistisch brillianten Wiedergaben unter Riccardo Chailly und dem Concertgebouworchester. Auch die Aufnahmen unter Kuchar und Kitajenko überzeugen mich nicht im Geringsten.


    Chailly hat drei überragende CDs von "leichten" Shostakovich-Werken aufgenommen, die für mich vollkommen unersetzlich sind:


    1.)


    2.)


    3.)