Händel "Giulio Cesare"

  • Bevor jemand vermutet, ich wäre an diesem Wochenende dem Cäsarenwahn verfallen - nein, mir geht's wunderbar. Aber wenn ich schon über eine Premiere und Referenzeinspielungen schreibe, kann ich die DVDs auch noch gleich dazupacken. Denn auch hier gibt's einiges zu entdecken. Machen wir's chronologisch:


    Glyndebourne - Orchestra of the Age of Enlightenment, William Christie (opus arte, 2005)


    Das jüngste Exemplar ist zugleich in Summe das Beste (und das vollständigste - 295 Minuten). Christie geht die ganze Sache sehr feingliedrig, eher langsam an und ermöglicht damit Regisseur David McVicar ein szenisches Feuerwerk der Extraklasse. Freilich ist dieses - passend zum Spielort - "very british", also voll mit schwarzem Humor und Einlagen an der Geschmacksgrenze (wenn etwa Cleopatra die Urne des Pompeius als Aschenbecher benutzt). Dennoch triftet die Szenerie nie in eine Kasperliade ab - wie bei Shakespeare, wo in die Tragödien Momente absurden und grotesken Humors platzen. Zeitlich befinden wir uns im Ausklang des British Empire, also etwa 1920er Jahre in Ägypten.
    Dank oskarreifer Maske weist Sarah Connolly eine bemerkenswerte Ähnlichkeit zu Georger VI. auf, gut trainierte Gestik und ein androgynes, gleichzeitig lyrisches Timbre machen die Verwandlung fast perfekt. Danielle de Niese gibt die Cleopatra als berechnende Sexbombe - mit großartiger stimmlicher Leistung (absolut sichere Koloraturen, vielleicht etwas wenig Schmelz) und vollstem Körpereinsatz samt Tanzeinlagen. Christophe Dumaux begeistert als cholerisch-bösartiger Versager (Tolomeo) ebenso wie Christopher Maltmann als sehr martialischer Achilla. Patricia Bardon (Cornelia) und Angelika Kirchschlager (Sesto) sind ausgezeichnet, das Duett "Son nata lagrimar" ist ein absolutes Highlight durch fast völliges Verschmelzen der Stimmen.



    Gran Teatre del Liceu - Michael Hofstetter (TDK, 2004)


    Kaum schwächer - dabei völlig anders - ist diese von Regisseur Wernicke auch hinsichtlich der Musiknummern geringfügig bearbeitete Aufnahme (216 min) aus Barcelona. Wernicke arbeitet mit Symbolen - Stein von Rosette, Krokodil (ein Schauspieler!) - und wenigen Requisiten auf sehr nüchterner Bühne. Das Orchester spielt tadellos.
    Countertenor Flavio Oliver ist ein jugendlich-stürmischer Caesar mit schlanker, sehr hell timbrierter (aber auch ein wenig kleiner) Stimme, dem mit Jordi Domenech ein intriganter - optisch sehr androgyner Tolomeo gegenübersteht. Elena de Merced ist eine junge, lyrische Cleopatra. Als Cornelia und Sesto begeistern Ewa Podles und Maite Beaumont. Das restliche Ensemble ergänzt auf sehr hohem Niveau.



    Australien Opera Sidney - Richard Hickox (EuroArts, 1994)


    Zeitlich wählt Regisseur Francisco Negrin einen ähnlichen Rahmen wie McVicar - allerdings ohne dessen Slapstick. Das Orchester spielt eine geringfügig gekürzte Fassung (216 min) stilvoll und solide. Die Regie funktioniert, ist aber in Summe ein wenig steif und brav.
    Graham Pushee in der Titelpartie hat eine große Bandbreite im Ausdruck und ein sattes Volumen - allerdings ein etwas gewöhnungsbedürftiges Timbre. Yvonne Kenny singt wunderschön und ergreifend, ist jedoch keine hocherotische Verführerin. Das übrige Ensemble zeigt weder besondere Schwächen noch Glanzlichter.



    Filmstudio - Staatskapelle Dresden, Craig Smith (Decca, 1990)


    Ein Wort: Peter Sellars! Eine Aufnahme die man liebt oder verabscheut. Wie (fast) immer bei Sellars ist die Szenerie Gegenwart - hier Naher Osten, ein Hotel vermutlich irgendwo in Palästina. Smith dirigiert wie gewohnt wenig packend aber grundsolide (239 min), das barocke Vibrieren des Orchesters fehlt freilich.
    Jeffrey Gall (Cesare) und Drew Minter (Tolomeo) sind große Sänger mit hoher Ausdruckskraft, leiden aber im Vergleich mit jüngeren Aufnahmen an der besseren Stimmausbildung der Countertenöre in den vergangen Jahren. Die viel zu früh verstorbene Lorraine Hunt begeistert als Sesto, sonst gibt es - wie oft bei Selllars-Produktionen dieser Zeit - ein paar stimmliche Unausgewogenheiten im Ensemble. Wie gesagt - Pflicht jedenfalls für Sellars-Fans.



    ergänzend: English National Opera - Charles Mackerras (arthaus)
    Die optische Variante der Chandos-Aufnahme: in englischer Sprache mit einem englischen Ensemble (insofern in perfekter Diktion) - szenisch etwas zu historisierend und steif. Janet Baker war freillich schon ein wenig zu alt für die Titelpartie, vor allem in den Höhen geht wenig. Wunderbar jedoch James Bowman als hysterisch-überdrehter Tolomeo. Eher für Sammler und Fans der "Opera in English", daher hier nur kurz beschrieben.