Sonderfahrt zu Schoonderwoerd
Ein betextetes Reisebilderbuch
Am 25. Januar AD MMVIII machte sich ein fanatisches Grüppchen Schoonderwoerdverehrer, zugleich versteckte op.-58-Fanatiker [daß "Fanatiker" hier nur ein Ersatzwort für Unbeschreibliches ist, ist an dieser Stelle nachlesbar - ich bin sicher, daß wäre bei Wahl der Schoonderwoerdaufnahme nicht so glimpflich ausgegangen...], auf die beschwerliche Reise von Scheibenhard im nordöstlichen Frankreich nach dem allseits bekannten Innsbruck, um alldort die unlängst auf einer Silberscheibe verteilewigten Klavierkonzerte Nos. 4 und 5 des Meisters Luigi van Beethoven lebendig zelebriert erleben zu können. Die Reisenden waren der wohlgeborne Chevalier de Scheibenhard nebst seiner ihm zufällig anheimgestellten Contrabaaß, die sich im folgenden Berichte farblich abheben wird, während der Autor dieser Zeilen bereits abgehoben ist.
Bereits im Sommer 2007 erhielt der Chevalier, vermutlich durch einen Observator genannten Beobachter in Wien höchstdaselbst, die Nachricht, daß Arthur Schoonderwoerd und das ihm gehorchende Ensemble Cristofori am 27. Jänner zu Hall in Tirol bei Innsbruck konzertieren. Die Gelegenheit schien dem temporär befristeten Wahlfranzosen willkommen und er entschloß sich, eine Wallfahrt anzutreten. Die Reisebegleitung war schnell ausgemacht und für den am Ort des mutmaßlichen Geschehens verwurzelten war keine besondere Überzeugungsarbeit zu leisten.
Mal ehrlich - wer würde denn da "nein" sagen!?
So begab es sich, daß der Chevalier mit seinem Bäßle über Ulm [25.01.2008] und Füssen [26.01.2008 - nicht ohne beim Mozartwirt zu Mittag gespeiset zu haben!]* nach 423 km Kutschfahrt Innsbruck erreichten, wo alldort bereits der auf dem Luftweg angereiste Herr Observator als fehlender Dritter im Bunde sich die Füße in den Hals wa[r]tete. Man traf sich an der Universität am Innrain und gelangte alsbald in die herrliche Herberge, welche von den Organisatoren des Konzertes extra für uns ausgesucht wurde: wenn auch deren musikalischer Geschmack zweifelhaft erscheinen mag, die Übernachtungsgelegenheit war vorzüglich und vor allem großzügig gewählt! Nachdem wir uns in unseren Suiten wohnlich eingerichtet hatten, begaben wir uns gleich zum Haller Kurhaus, wo man bereits hinsichtlich unseres Besuchs vorgewarnt war. Durch die Hintertür drangen wir in den vorübergehend als Konzertsal fungierenden Faschingsraum des Kurhauses zu Hall ein - die Türe stand etwas offen und es war dem Chevalier unbeschreiblich zumute: Die drei Weisen aus dem Gesternland betraten den Raum unter Klängen des ersten Satzes des vierten Konzertes und dem Chevalier ward es zumute, wie es ihm immer zumute wird, wenn er beispielsweise den "Salong" des Schloßtheaters zu Drottningholm betritt oder die Filmszene aus "Amadeus" anschaut, während jener Mozart am Billardtisch an seinem Figaro komponiert. Das Herz bleibt für eine sekundenlange Ewigkeit auf der Stelle stehen... *was sich natürlich unserer Gewohnheit gemäß über mehrere Gänge hinzog. Gerne hätten wir noch mehr Zeit mit den Moziwis verbracht, doch unser Reiseplan duldete keine größeren Verzögerungen. Dennoch nahmen wir uns die Zeit, in einem kurzen Ruinen-Rundgang uns einen Überblick über das Ausmaß der Brandkatastrophe zu verschaffen. Auch wenn der Mozartwirt von außen betrachtet kaum Schaden genommen zu haben scheint (zumindest so lange man das Gebäude nur von vorne betrachtet) und in der Gaststube alles beim alten zu sein scheint, ist das Obergeschoss doch nur mehr ein entkernter Rohbau, nachdem sämtliche verrußten Innereien von den Bauarbeitern herausgerissen wurden.
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Schon die als "Proben" bezeichnete Darbietung übertraf alle Erwartungen - was für ein Klang! Was für Instrumente! Eine unbekannte Kadenz [die frei improvisiert war, wie sich später herausstellen sollte. Wie übrigens alle erklungenen und auf CDs festgehaltenen Kadenzen]! Unmittelbar nach den Proben waren wir unversehens in Gespräche mit Arthur Schoonderwoerd verwickelt - als ob sich alte Bekannte unterhielten. (Warum nur musste ich unentwegt an Paul denken...?) Der Maestro war sichtlich hocherfreut über unser Erscheinen...
"...die Klavierkonzerte 1 bis 3, die Chorfantasie, alle Sinfonien,
Ouvertüren und besonders op. 61 in der Klavierfassung...
haben Sie alles? Liefertermin: z.z."
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"Wenn ich Ihnen mal eben die weltbeste Einspielung zeigen dürfte..."
"Tausche Klassikforum gegen Ihren Fritz...
Jetzt schaun Sie nicht so, das ist ein fairer Deal..."
Schoonderwoerd signierte recht schön brav alles, was man ihm vorlegte und plauderte dabei ohne Unterlass. Ein sehr sympathischer Mensch, den der Chevalier sogleich in sein Herz geschlossen hatte. Natürlich wurde das Fortepiano von Johann Fritz gleich genauer untersucht:
Marmor, Stein und Eisen bricht...
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Mann, wo sind jetzt bloß die
Noten von meiner freien Fantasie hin...?
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...und seitens des Chevaliers für das anstehende Konzert gutgeheißen.
Fritzchen ist in der Tat ein ganz außergewöhnliches Instrument. Er riecht ein bisschen nach Omas Mottenkiste (...und Mäusepipi, ergänzte Herr Schoonderwoerd meinen entsprechenden Kommentar). Man wird schon ein wenig ehrführchtig ob der Anwesenheit eines Zeitgenossen Beethovens. Automatisch senkt man die Stimme und meidet tunlichst jede Berührung aus Angst, das gute Stück könnte zu Staub zerfallen. Dabei handelt sich keineswegs um ein Spitzenmodell seiner Zeit. Johann Fritz war selbst ein Schüler Anton Walters, so dass man bereits bei dem nagelneuen Instrument von einem Nachbau der Instrumente des Meisters reden konnte. Dem genauen Beobachter (=uns ) fiel auf, dass die Verzierungen über der Tastatur lediglich aufgemalt und nicht eingelegt waren. Doch gerade das macht das Instrument sehr sympathisch. Es war nie ein Ziermöbel in adeligem Hause sondern diente nur einem einzigen Zweck: wundervolle Töne zu erzeugen - eine Bestimmung, der es selbst nach fast 200 Lebensjahren noch immer geflissentlich nachkommt, wenn auch es zwischenzeitlich einige Jahrzehnte als Mäusebehausung diente. Von einer Erörterung der Frage, ob durch das Eindringen von Mäuseexkrementen die Authentizität des historischen Klanges in Frage gestellt wird, will ich an dieser Stelle absehen.
Der Klang des Instrumentes jedenfalls spricht für sich. Auch wenn mir Aufnahmen mit hippen Fortepianos des ausgehenden 18. Jahrhunderts gelegentlich die Schuhe ausziehen (Schepperkisten...) würde ich dieses Instrument jederzeit einem modernen Flügel vorziehen.
Das kleine Städtchen Hall mit seinem mittelalterlichen Ortskern diente uns hervorragend als Kulisse für einen Abendspaziergang ohne die Illusion einer Zeitreise zu durchbrechen. Doch den heimeligen Lichtern aus den zahlreichen kleinen Restaurants der Innenstadt gelang es nicht, uns zu locken. Wir zogen die Privatsphäre unseres Hotels und die Schlichtheit unserer im Supermarkt erworbenen österreichischen Spezialitäten (Stiegel-Bier und Mannerschnitten) vor. An jenem Abend sermonierten wir noch einen langen, virtuellen Tritsch-Tratsch-Thread voll, bevor wir uns zu Bette legten.
Die Generalprobe wurde für den kommenden [Sonn-] Tag, 10.00 h anberaumt. Und die Pilger waren sicher, daß sie anwesend sein würden.
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Das 20 personenstarke Ensemble Cristofori
während der Proben zum 5. Klavierkonzert op. 73
in antiphonischer Streicheraufstellung:
Luigi de Filippi Violine I
Conrad Lepore Violine 2
Anfisa Kalinina Bratsche 1
Michel Renard Bratsche 2
François Michel Violoncello 1
Kaspar Singer Violoncello 2
Chereji Szilàrd Kontrabaß
Linde Brunmayr Flöte 1
Christine Brandauer Flöte 2 [nur op. 73]
Carin van Heerden Oboe 1
Wolfgang Dey Oboe 2
Markus Springer Clarinette 1
Ernst Schlader Clarinette 2
Jane Gower Fagott 1
Rogiero Goncalvez Fagott 2
Christian Binde Horn 1
Gabor Dalecker Horn 2
Mark Geelen Trompete 1
Femke Lunter Trompete 2
Martin Homann Pauken
ARTHUR SCHOONDERWOERD Fortepiano
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Fortsetzung folgt...