• Neulich fragte ich mich, ob mit der Dodekaphonie alles getan sei.


    Was ich sagen will - ich fragte mich, ob mit der Erfindung Arnold Schönbergs, alle zwölf Töne der chromatischen Tonleiter in Reihen anzuordnen, jegliche Musik erschlossen sei und nichts Neues mehr kommen könne... ob je noch zukunftsweisende Erfindungen in der Musik stattfinden könnten...


    Dann hatte ich eine Idee - was, wenn man eine Oktave statt in zwölf, in eine andere Anzahl gleichartiger Intervalle unterteilen würde, beispielsweise 14 (14, weil dann die Anzahl schwarzer und weißer Tasten auf einem Klavier identisch wären)?
    Mich fragend, wie das klingen könnte, hatte ich vor, mit Audacity Töne der entsprechenden Frequenzen zu generieren. Aber da die Frequenz ja logarithmisch funktioniert und ich mathematisch nicht genau wusste, wie man das jeweils berechnet, begann ich, im Internet zu suchen. Gestern stieß ich darauf, das meine Erfindung bereits erfunden worde... genannt Mikrotonalität! Es gibt jedwede Art der Einteilung einer Oktave, von 12 über 14, 15, 24, 88 etc. Teile. Auf amazon.co.uk fand ich dann auch noch eine CD, mit Hörbeispielen. Auf den ersten Blick, ääh Hör, ziemlich verstimmt -- aber auf den zweiten auch einfach nur Gewöhnungssache, wie Atonikailtät. Das meiste davon ist ziemlich interessant!


    Nun meine Frage, was sind eure Ideen zur Zukunft von Musik... könnte sich Mikrotonalität, beispielsweise, durchsetzen? Immerhin müsste für jede neue Stimmung (d. h. Unterteilung einer Oktave) jedes Instrument (Streicher ausgenommen) entsprechend neu erbaut werden (so teilweise schon mit Gitarren und Synthesizern geschehen) - auf kurz oder lang zu kompliziert - oder nicht?
    Was hättet ihr sonst für Ideen für musikalische Revolutionen? (Oder ist das eh alles unnötiger Schwachsinn - "zwölf Töne sind gut, und basta!"?)


    Tatendrängend, Philipp :hello:

  • Ich halte das für ein Experiment, das unter Umständen gelingen mag - dann aber letztlich nur von kurzer Dauer für den jeweiligen Hörer ist.


    Ganz ähnlich ist ja das Thema Virtuosität zu betrachten. Mit der eigentlichen - essentiellen - Musik hat das m. E. nicht mehr viel zu tun. Virtuosität ist eine interessante Zutat zur Musik, welche die Musik erst zur Kunst macht, auf Dauer aber eben in gewisser Weise langweilig wird [nach einer längeren Phase der Faszination, versteht sich]. Die Grenzen der Virtuosität sind beispielsweise m. E. seit langem ausgereizt: g4 im Sopran und taktelange Koloraturen bezüglich der menschlichen Stimme, flitzende Hände auf den Tasteninstrumenten und dergleichen mehr [eine weitere Aufzählung scheint mir überflüssig zu sein]. Die Virtuositäten erleben immer mal wieder eine Renaissance für die Menschen und Hörer, die solches noch nicht erlebt haben, für die anderen gibt es nichts Neues mehr. Man kehrt dann automatisch, wenn auch [auf mich bezogen beispielsweise] eher widerstrebend, zurück zu den Anfängen, zu der Einfachheit, zum Essentiellen.


    Ich denke, daß die Toneinteilung, die wir heute überwiegend praktizieren, eine eher naturgegebene Sache ist, wenn auch diese Behauptung sicherlich durch zahlreiche Gegenbeispiele widerlegbar ist: Es gehört vielleicht auch eine Portion Mentalitätsgen dazu - ich glaube nicht, daß die Menschheit nur um der mathematischen Korrektheit Willen ihr Ohr "umstellt"...


    Wenn ich dabei die interessante Art der Geigenstimmung bei Biber noch hinzuziehe, so ist das sicherlich eine sehr interessante Art, die Violine zu spielen - eine virtuose, wobei die Virtuosität hier eine ganz andere als die oben beschriebene ist, aber durchgesetzt hat sich solches nicht.


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Interessante Sache, ich habe mich vor einiger Zeit etwas ähnliches gefragt.
    Vor einiger Zeit hatte ich die Möglichkeit, einen Blick in eine moderne "Partitur" zu werfen (fragt mich bitte nicht was und von wem ?( ). Hätte ich nicht vorher gewusst, dass es sich um Musik handelt, hätte ich es wohl für irgendwelche Schaltpläne o.ä. gehalten.
    Auf jeden Fall habe ich mir am Ende gedacht, wozu überhaupt noch so etwas wie feste Töne. Wäre es nicht viel einfacher, mit den Frequenzen an sich zu arbeiten, also die Intervalle aufzugeben (Mikrotonaliät auf höchster Ebene sozusagen - nicht mehr 12, 14, 15, 24 oder 88 Teile; machen wir doch gleich unendlich viele daraus).


    So kompliziert wäre die instrumentale Umsetzung ja auch nicht:
    Blasinstrumente bekämen anstelle von Ventilen Kolben, bei Tasteninstrumente ein paar mehr Saiten, zudem eine Mechanik, die erlaubt, dass man während des Spiels die Saiten umstimmen kann ...:rolleyes:
    Bei elektronischer Musik ist das ja sowieso kein Problem.


    Doch die Frage ist: Wozu?
    Musik entsteht ja nicht zu ihrem Selbstzweck, sie ist ein Mittel des Menschen, sich selbst und andere zu beeinflussen, wobei die Wirkungsrichtung natürlich recht groß ist. Sei es allein zu Unterhaltungszwecken (worunter nicht nur die U-Musik fällt, sondern auch ein großer Teil der angeblich so ernsten Musik, denn auch geistige Anstrengung ist eine Form der Unterhaltung), als Teil religiöser Riten, zu Propagandazwecken, oder natürlich auch zu "Forschungszwecken", also das Erforschen und Ausreizen der bestehenden musikwissenschaftlichen Ansätze.
    Somit stellt sich mir die Frage, was uns die Mikrotonalität bringt.
    Schönberg trieb die Frage nach der Vorherrschaft der Tonalität, ein durchaus interessantes Thema, das er jedoch mit der Dodekaphonie gelößt hat. Die Dissonanz ist emanzipiert, und die Idee, dass nur ein tonales System ansprechende Musik hervorbringen kann, beseitigt.
    Wir wissen heute, dass unser Empfinden von Konsonanz und Dissonanz zu einem großen Teil eine Frage der Prägung ist (wobei ich jedoch auch denke, dass ein gewisses Grundempfinden - Ulli hat es schon angesprochen - wohl natürlich ist), man schaue auf die Tonalitätssysteme anderer Völker und wie sie sich von unseren unterscheiden (wobei einige in diesem Forum weit stärker unserem System verbunden scheinen als andere :D :untertauch: ).


    Also stellt sich mir die Frage, wozu Mikrotonalität?
    Wir leben in einer Kultur, die geprägt ist von einem Dur-/moll-System (zu dem natürlich auch die entsprechenden Dissonanzen gehören, denn nur aus unsrer Prägung zur Konsonanz entwickelt sich der Reiz der Dissonanz, einen Reiz, den ich für mich nicht missen möchte), und ich verstehe nicht, warum einige Menschen solch ein Problem damit zu haben scheinen.
    Dieses System bildet für uns die Möglichkeit kultureller Interaktion, es ist ja nicht so, dass dieses System irgendwelche Mängel aufweißt, die uns in irgendeiner Weise einschränken, vor diesem Hintergrund betrachte ich die Dodekaphonie als eine Möglichkeit der musikalischen Grundlagenforschung, nicht als ein neues musikalischen Grundkonzept, auf das wir aufbauen werden. Die Kultur prägt unseren musikalischen Ausdruck, somit hat uns die Mikrotonalität "nichts Neues zu sagen".


    Soweit meine Überlegungen.
    Auf eine fruchtbare Diskussion,
    Heliaster :hello:

    "Phantasie ist unser guter Genius oder unser Dämon."
    - Immanuel Kant (1724-1804)

  • Hi ihr beiden, :) danke für die Beiträge!


    Zitat

    Original von Ulli



    Ich denke, daß die Toneinteilung, die wir heute überwiegend praktizieren, eine eher naturgegebene Sache ist, wenn auch diese Behauptung sicherlich durch zahlreiche Gegenbeispiele widerlegbar ist

    In der Tat - ich nehme mir mal heraus, Wikipedia zu zitieren:


    "41-TET is the lowest number of equal divisions which produces a better perfect fifth than 12-TET. It is not often used, however. (One of the reasons 12-TET is so widely favoured among the equal temperaments is that it is very practical in that with an economical number of keys it achieves better consonance than the other systems with a comparable number of tones.)"


    und zu diesem interessanten Bild verlinken...


    http://upload.wikimedia.org/wi…scales_against_M3P5P7.jpg


    Hmmm... wie kamst du eigentlich darauf, Mikrotonalität mit Virtuosität zu vergleichen? Letztere ist in der Tat ja nicht neu... In Ermangelung eines besseren Beispiels berufe ich mich wieder mal auf die Atonikalität, die ja eine Unzahl neuer Möglichkeiten der Komposition eröffnet hat, ohne dabei zwingend virtuos sein zu müssen. Was ich mich eben fragte - vielleicht ist Mikrotonalität eben der nächste Schritt, der wieder mehr Möglichkeiten auftut, und eben zunächst auch nur Gewöhnungssache ist. Zum Thema "interessant, aber nur für eine kurze Weile" - soweit ich weiß ist Serielles Komponieren doch immer noch eine der am meisten favorisierten Kompositionsweisen unserer Zeit - oder nicht?


    Zitat

    Original von Heliaster
    Interessante Sache, ich habe mich vor einiger Zeit etwas ähnliches gefragt.
    Vor einiger Zeit hatte ich die Möglichkeit, einen Blick in eine moderne "Partitur" zu werfen (fragt mich bitte nicht was und von wem ?( ). Hätte ich nicht vorher gewusst, dass es sich um Musik handelt, hätte ich es wohl für irgendwelche Schaltpläne o.ä. gehalten.

    :D In der Tat, ich halte es manchmal schon für fast übertrieben, elektronische Musik Musik zu nennen - wodurch ich sie keinesfalls herabwürdigen möchte, "Kunst" ist das ja durchaus.

    Zitat

    Original von Heliaster
    Auf jeden Fall habe ich mir am Ende gedacht, wozu überhaupt noch so etwas wie feste Töne. Wäre es nicht viel einfacher, mit den Frequenzen an sich zu arbeiten, also die Intervalle aufzugeben (Mikrotonaliät auf höchster Ebene sozusagen - nicht mehr 12, 14, 15, 24 oder 88 Teile; machen wir doch gleich unendlich viele daraus).

    Klingt erstmal schockierend - dann hat man ja überhaupt keinen Anhaltspunkt mehr. Über die Jahr(hundert?)e hinweg aber sicherlich auch nur Gewöhungssache.

    Zitat

    Original von Heliaster


    So kompliziert wäre die instrumentale Umsetzung ja auch nicht:
    Blasinstrumente bekämen anstelle von Ventilen Kolben, bei Tasteninstrumente ein paar mehr Saiten, zudem eine Mechanik, die erlaubt, dass man während des Spiels die Saiten umstimmen kann ...:rolleyes:

    :D Technisch kenne ich mich da nicht so aus - aber wenn du meinst... dann macht das die ganze Sache ja doch nicht so ganz unrealistisch :)

    Zitat

    Original von Heliaster


    vor diesem Hintergrund betrachte ich die Dodekaphonie als eine Möglichkeit der musikalischen Grundlagenforschung, nicht als ein neues musikalischen Grundkonzept, auf das wir aufbauen werden.

    So wollte ich das durchaus auch nicht gemeint haben! Mikrotonale Musik muss ja nicht von allem Anfang an wieder seriell und dissonant sein - es gibt ja auch in mikrotonaler Musik Harmonien (die der der Zwölfton-Chromatik im Übrigen meist gar nicht so fern, nein, wie oben zitiert, manchmal sogar noch näher sind als die Zwölfton-Chromatik selbst :D).

    Zitat

    Original von HeliasterDie Kultur prägt unseren musikalischen Ausdruck, somit hat uns die Mikrotonalität "nichts Neues zu sagen".

    Das versteh ich wiederum gar nicht... würdest du's mir erläutern? :)


    Philipp, jetzt Feuer gefangen habend :hello:

  • Hallo Philipp,


    Dodekaphonie ist doch ein alter Hut. :D


    Seitdem hat die serielle Musik selbige bzw. das Konzept der Reihe konsequent weitergedacht. Mikrotonalität findet sich schon bei Foulds, und bei vielen Zeitgenossen.


    Bereits Ives arbeitete mit polyrhythmischen Strukturen,deren Klangbild als eine Art "Unschärferelation" des Rhythmus bezeichnet werden könnte.


    John Cage führte die Aleatorik ins Geschehen ein bzw. war deren konsequente Fortdenker - zufallsgesteurte Musik. Bis hin zu totalen "Anti-Musik" 4"33.


    Einer der vielleicht bedeutendsten Komponisten des 20. Jhd. - Giacinto Scelsi - wurde laut eigenen Angaben bei der Beschäftigung mit der Zwölftonmusik krank und schuf Werke die diametral entgegengesetzt sich auf einen einzigen Ton konzentrierten (Quattri pezzi per ochestra). Dafür variierte er auf großartige Weise die an den Ton gebunden anderen Parameter.


    Schließlich sind noch die "Spektralen" zu nennen, deren Gründungsvater wohl Radulescu ist. Hier erwächst die organische Struktur eines Werkes aus der Vorstellung vorgegebener Klangfarben.


    Und das IST alles schon. Wie die Musik in unmittelbarer Zukunftklingen wird, ist eine spannende Frage, deren Antwort ich leider auch nicht kenne.


    :hello:
    Wulf

  • Zitat

    Original von A. Philipp Maiberg
    Hmmm... wie kamst du eigentlich darauf, Mikrotonalität mit Virtuosität zu vergleichen? Letztere ist in der Tat ja nicht neu... In Ermangelung eines besseren Beispiels berufe ich mich wieder mal auf die Atonikalität, die ja eine Unzahl neuer Möglichkeiten der Komposition eröffnet hat, ohne dabei zwingend virtuos sein zu müssen.


    Es geht ja nicht darum, virtuos sein zu sollen, sondern darum, etwas gegen die Langeweile zu unternehmen. Ich habe mich da offentlich etwas flasch ausgedrückt.


    :D


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Zitat

    Original von Heliaster
    Somit stellt sich mir die Frage, was uns die Mikrotonalität bringt.


    Ich würde ja schon sagen: neue, bislang unbekannte Klangwelten.
    Mikrotonalität wäre doch nur dann eine Sackgasse, wenn ihre Wirkung exakt = 0 wäre - so wie bei Musik, die sich ausschließlich im Ultra- und Infraschallbereich bewegt.


    Viele Grüße


    :hello:

  • Zitat

    Original von A. Philipp Maiberg
    ... ich nehme mir mal heraus, Wikipedia zu zitieren:


    "41-TET is the lowest number of equal divisions which produces a better perfect fifth than 12-TET. It is not often used, however. (One of the reasons 12-TET is so widely favoured among the equal temperaments is that it is very practical in that with an economical number of keys it achieves better consonance than the other systems with a comparable number of tones.)"...


    Das bedeutet doch wohl, dass die Unterteilung der Oktave in 12 Töne ein recht praktikabler Kompromiss zwischen dem Hörempfinden einerseits, andrerseits der Spielbarkeit ist.


    Ich denke, damit hat man eine wichtige Differenzierung zwischen 2 Zwecken, die man bei weiterer Diskussion darüber, inwieweit welche Sorte Tonalität eine natürliche Basis hat, berücksichtigen muss.


    Viele Grüße


    :hello:

  • ich möchte in diesem zusammenhang an Alois Haba erinnern.
    er starb 1973 und komponierte in mikrotönen (zb. viertelönen) wobei er eigens dafür gebaute instrumente verwendete.



    lg
    d.

    Es gibt kaum etwas Schöneres, als dem Schweigen eines Dummkopfes zuzuhören

  • Hallo alle,


    Danke für die weiteren Beiträge :)

    Zitat

    Original von Wulf
    Hallo Philipp,


    Dodekaphonie ist doch ein alter Hut. :D

    Gut, sagen wir eben Serialismus :) Welcher mir zwar schon bekannt ist, meines Erachtens aber musikalischer Unsinn ist :untertauch:.

    Zitat

    Original von Wulf
    Mikrotonalität findet sich schon bei Foulds, und bei vielen Zeitgenossen.

    Tatsächlich? Hmmm, da sollte ich wohl mal nachhören bzw. nachsehen :)

    Zitat

    Original von Wulf


    John Cage führte die Aleatorik ins Geschehen ein bzw. war deren konsequente Fortdenker - zufallsgesteurte Musik. Bis hin zu totalen "Anti-Musik" 4"33.

    Hmmm. Aleatorik ist ja eigentlich mehr eine neue "Spielweise" als eine neue "Kompositionsweise". Der Komponist arbeitet ja genau wie immer, nur, dass er dem Spieler überlässt, in welcher Reihenfolge die Teile zu spielen sind. Und ich bin dagegen, dass 4"33 Musik zu nennen ist.

    Zitat

    Original von Wulf


    Einer der vielleicht bedeutendsten Komponisten des 20. Jhd. - Giacinto Scelsi - wurde laut eigenen Angaben bei der Beschäftigung mit der Zwölftonmusik krank und schuf Werke die diametral entgegengesetzt sich auf einen einzigen Ton konzentrierten (Quattri pezzi per ochestra). Dafür variierte er auf großartige Weise die an den Ton gebunden anderen Parameter.

    Müsste ich mir anhören, dass dabei aber wirklich Neues außerhalb des gegebenen Rahmens der bisher verwendeten musikalischen Parameter geschaffen werden kann, kann ich mir eigentlich nicht vorstellen... (ich sage ja nicht, dass Musik nicht mehr kreativ sein kann - ich suche ja eigentlich vor allem eben nach neuen Parametern!)

    Zitat

    Original von Wulf


    Schließlich sind noch die "Spektralen" zu nennen, deren Gründungsvater wohl Radulescu ist. Hier erwächst die organische Struktur eines Werkes aus der Vorstellung vorgegebener Klangfarben.

    Wie ist sich das denn vorzustellen? Variationen über einem Grundmotiv, das dann eben besonders farbig klingt?


    Vermutlich unberechtigt besserwisserisch, Philipp :hello:

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  • Zitat

    Original von A. Philipp Maiberg
    Vermutlich unberechtigt besserwisserisch, Philipp :hello:


    Vermutlich :O ;)


    Zitat


    Hmmm. Aleatorik ist ja eigentlich mehr eine neue "Spielweise" als eine neue "Kompositionsweise". Der Komponist arbeitet ja genau wie immer, nur, dass er dem Spieler überlässt, in welcher Reihenfolge die Teile zu spielen sind. Und ich bin dagegen, dass 4"33 Musik zu nennen ist.
    Zitat:


    Ob man 4'33" als Musik durchgehen lässt oder nicht hängt vom Auge des Betrachters ab, richtet sich in meinen Augen nach der Intention des Meisters. Und die ist bekanntlich eine ganz andere als alle bisherigen.
    In seinen Werken - bis hin zu 4'33" - hat Cage durch Zen-Buddhismus beeinflußt mit seinen Werken die bisherige Art Musik zu erfahren zu durchdenken gründlich hinterfragt.
    Wie gesagt, ob das noch Musik ist, blebe mal dahingestellt. Aber 4'33'' ist viel mehr als Schweigen und eine echte Neuerung gegenüber allem, was bisher da war.
    Die Rücknahme des Individuums, die Hinterfragung des des göttlich vokativen Schöpfer-Genies etc. Es steckt viel Vorausgedachtes in diesem Werk.


    Zitat


    Müsste ich mir anhören, dass dabei aber wirklich Neues außerhalb des gegebenen Rahmens der bisher verwendeten musikalischen Parameter geschaffen werden kann, kann ich mir eigentlich nicht vorstellen... (ich sage ja nicht, dass Musik nicht mehr kreativ sein kann - ich suche ja eigentlich vor allem eben nach neuen Parametern!)


    Also,
    1. daß Du Dir das nicht vorstellen kannst, Philipp ist - entschuldige - Dein Problem.
    2. müßtest Du mal Parameter definieren.


    Die Aufhebung der Tonalität ist doch kein Parameter in dem Sinne, wie ich den Begriff in der Musik kennengelernt habe. Unter Parameter - so versch. Lexika - versteht man Tonhöhe, Tondauer, Tonfarbe, Stärkegrad etc.
    Und da gibt es Neuerungen - gerade in der Auslotung der Parameter.
    Stockhausen schrieb mt "Gruppen" wohl eines der wegweisendsten Werke in der 2. Hälfte des 20. Jhd.
    Ein anderer mag das genuer und besser darstellen als ich das hier ad hoc kann, aber Stockhausen ordnet das Orchester in 3 Gruppen, deren Zusammenspiel eine Funktion der Klangfarbe der Instrumente, wenn man das so sagen kann.
    Also: Scelsi und Stockhausen mal anhören. Und Cage natürlich :yes:


    Zitat


    Wie ist sich das denn vorzustellen? Variationen über einem Grundmotiv, das dann eben besonders farbig klingt?


    Quatsch
    Nicht nur besserwisserisch, sondern noch ein wenig überheblich?? :boese2:


    Zur spektralen Kompositionsweise fragst Du - wenn Du es genau wissen willst - am besten mal den Edwin. :O


    :hello:
    Wulf


    P.S. Der wirkliche Neuerer war übrigens Webern, der mit seinen filigranen Musik-Gebüden bis heute die Komponisten stark beeinflußt. ;)

  • Nun, ich sehe das so:
    Musik entsteht nicht aus sich heraus und die musikalische Entwicklung ist keine Entwicklung der Musik als solche.
    Musik entsteht und entwickelt sich immer als Reflexion der Gesellschaft.
    (Man vergleiche musikalische mit literarischen oder künstlerischen Epochen - und staune!)
    Die Tonikalität wurde nicht aufgegeben, weil dieser Weg von der Musik vorherbestimmt war, sondern weil das Vorrangegangene nicht mehr in der Lage war, die in der Welt vorgefundenen Probleme zu verarbeiten.


    Die Gesellschaft, die wir heute vorfinden ist eine Andere, uns somit steht auch die Musik vor neuen Herausforderungen. Wie die Musik in unserer Gesellschaft weiter entwickeln wird, kann ich nicht sagen, doch mit immer kleineren Intervallen schafft sich die Musik keinen neuen Ausdruck. Doch zu eben diesen drängt es sie!


    Heliaster :hello:

    "Phantasie ist unser guter Genius oder unser Dämon."
    - Immanuel Kant (1724-1804)

  • Zitat

    Original von Heliaster
    Die Tonikalität wurde nicht aufgegeben, weil dieser Weg von der Musik vorherbestimmt war, sondern weil das Vorrangegangene nicht mehr in der Lage war, die in der Welt vorgefundenen Probleme zu verarbeiten.


    Der westlichen Welt geht es im Moment - vom Klimawandel mal abgesehen, besser denn je. Wie drücke ich das aus, wenn die gesellschaftliche Problematik der Zeit proportional zum Dissonanzengehalt der Musik ist?

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

  • Zitat

    Original von Wulf



    Ob man 4'33" als Musik durchgehen lässt oder nicht hängt vom Auge des Betrachters ab, richtet sich in meinen Augen nach der Intention des Meisters. Und die ist bekanntlich eine ganz andere als alle bisherigen.
    In seinen Werken - bis hin zu 4'33" - hat Cage durch Zen-Buddhismus beeinflußt mit seinen Werken die bisherige Art Musik zu erfahren zu durchdenken gründlich hinterfragt.
    Wie gesagt, ob das noch Musik ist, blebe mal dahingestellt. Aber 4'33'' ist viel mehr als Schweigen und eine echte Neuerung gegenüber allem, was bisher da war.
    Die Rücknahme des Individuums, die Hinterfragung des des göttlich vokativen Schöpfer-Genies etc. Es steckt viel Vorausgedachtes in diesem Werk.

    Das will ich dem Werk doch auch alles gar nicht nehmen - ich hatte in keinster Weise beabsichtigt, es schlecht zu reden. :)

    Zitat

    Original von Wulf


    2. müßtest Du mal Parameter definieren.

    Wie wäre es mit "veränderbare Grundfunktion"? So wie, zum Beispiel, der Abstand der Intervalle in einer Komposition? Oder bin ich da schief gewickelt...? (Die Atonikalität wäre dann sozusagen die Abschaffung eines Parameters - der Grundtonart, auf die sich alles bezieht... Serialismus also das Hinzufügen neuer Parameter.)

    Zitat

    Original von Wulf




    Quatsch
    Nicht nur besserwisserisch, sondern noch ein wenig überheblich?? :boese2:

    Nein, wieso denn? :/ Ich hab tatsächlich nur versucht, mir vorzustellen, was damit gemeint sein könnte.


    Philipp (demütig...) :hello:

  • @ rappy


    Nun, ich wäre sehr vorsichtig wenn es darum geht, im welcher Weise Musik auf die Gesellschaft reagiert. Es wäre sehr töricht zu denken, dass der subjektive Klang in irgengeinem Verhältnis zur Welt steht, natürlich, das was Schönberg komponiert hat (hier nur als Beispiel) klingt für die meisten von uns dissonant und unstimmig. Wir verbinden dami ja fast zwangsläufig etwas schlechtes und setzen es in Verbindung mit der Gesellschaft, in der Schönberg lebte. Ich denke jedoch, dass dieser Ansatz in eine vollkommen falsche Richtung ziehlt. Wie schon angemerkt worden ist, ist die Dissonanz in den meisten Fällen gewöhnungssache. Zudem war es ja gar nicht das Anliegen dieser Komponisten dissonante Musik zu schreiben - hierbei handelt es sich wohl um ein weit verbreitetes Vorurteil. Es ging Schönberg und Anderen um eine Form musikalischer Emanzipation, die freie Atonikalität versuchte sich aus den Zwängen zu befreien, die die "Tonikalität" den Komponisten aufzwang, die Dissonanz war bisher eigentlich ja immer nur ein Mittel, mit dem man die Konsonanz noch weiter hervorhob, sie war nicht ihr Selbstzweck. Genauso liegt es in meinen Augen mit der Dodekaphonie. "Dissonanzen", in unseren Ohren, waren eine Begleiterscheinung, nicht das Ziel.


    Zudem kann man ja auch nicht erwarten, dass ein einmal aufgeschlagenes Kapitel der Musik einfach wider zugeschlagen wird. Der von Schönberg eingeschlagene Weg (Mir ist klar, dass man nicht von der Person Schönbergs als Erneuerer der Musik reden kann, aber ich hoffe ihr wisst, wie ich es meine) wird nun mal ein Teil unserer Musik, und heutige Komponisten werden ,ob es uns gefällt oder nicht, eine Musik schreiben, die sich dieser Tradition verbunden fühlt.

    "Phantasie ist unser guter Genius oder unser Dämon."
    - Immanuel Kant (1724-1804)

  • Dass Dissonanzen reine Gewöhnungssache sind, hatte Schönberg damals gedacht, mittlerweile hat sich aber gezeigt, dass dem nicht so ist. Er wollte die Dissonanz emanzipieren, aber es ist ihm nicht gelungen, 100 Jahre später hören wir immer noch "obertonreihenferne" Intervalle als dissonant und unangenehm (unbestritten, dass einem dieses "Unangenehme" gefallen kann). Das Problem bei der Atonikalität sehe ich darin, dass einzelne Töne ohne tonales System ihren Wert verlieren (in den Worten meines Lehrers: "dann ist es vollkommen egal, ob ich da jetzt ein G oder ein Ges schreibe"). Da vermag auch ein konstruiertes Ersatzsystem wie die Zwölftontechnik lediglich in der Theorie zu helfen, es ist Wunschdenken, dass der Hörer darin Orientierung findet.
    Des Weiteren sehe ich es nicht als zwingend, dass heutige Komponisten in Schönbergs Fußstapfen treten, in der Vergangenheit haben dies auch längst nicht alle getan. Was ist z. B. mit Prokofjew, der bis in die 40er noch komponierte, als hätte er den Sacre oder die Wiener Schule nie gehört. Und Schostakowitsch benutzte die Reihentechnik ja bekannterweise auch nur für spezielle Effekte. Heutzutage gibt es sowieso die Tendenz, von der Reihentechnik wieder wegzukommen, wenn ich das richtig sehe.

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

  • Du hast natürlich recht, wenn du schreibst, dass wir die Dissonanz noch heute als unangenehm empfinden, das habe ich ja auch nie bezweifelt. Schau mal weiter oben, da habe ich geschrieben, dass wir in einer Gesellschaft leben, die auf ein Dur-/moll-System aufbaut. Alles was ich damit sagen wollte ist, dass es die Dissonanz als solche nur in einem sehr begrenzten Maße gibt. Natürlich ist es ein Wunschdenken wenn man sagt, dass sich in unserer Musikkultur die Dodekaphonie als "Ablösesystem" der Tonikalität einbringt


    Interessant finde ich, dass du geschrieben hast, dass einzelne Töne ohne ein System ihren Wert verlieren. Ist es nicht genau das, was Schönberg wollte (mal ganz unabhänig davon, was man daven hält - besonders schön finde ich seine Musik auch nicht, interessant auf jeden Fall, aber schön :wacky: )?


    Zum letzten Punkt: Ich denke, da habe ich mich etwas zu undeutlich ausgedrückt (und bin ein wenig über das Ziel hinausgeschossen :stumm: )
    Was ich sagen wollte ist, dass Musiker auch in Zukunft Musik schreiben werden, die sich auf das System Schönbergs (im weitesten Sinne) beruft, dabei jedoch keinen Bezug zu der Gesellschaftlichen Situation Schönbergs herstellen. Damit ist ja nicht gesagt, dass sie die Atonikalität weiterführen. Wie du schon gesagt hast, und ich stimme dir in diesem Punkt voll zu, sehe ich zwei verschiedene Richtungen: Ein schlichtes Verharren auf Schönbergs Stil scheint es nicht zu geben (genau das habe ich ja gemeint mit "hat uns nichts mehr zu sagen") also zeichneten sich für Komponisten zwei mögliche Wege ab. Entweder sie werden immer "radikaler" (vgl. 4"33 ), oder, wie von die beschrieben, sie kehren sich ab von der Atonikalität.
    Zudem muss man im Bezug auf die Intention des Komponisten differenzieren: Wir sind von der Tonikalität geprägt, und so wird eine Musik, deren Primäres Ziel die Unterhaltung darstellt, tonikal geprägt sein


    Zudem sollten wir immer in Auge behalten, dass wie hier über Kunst reden. Und wie schwer sich diese in Formen drängen lässt, ist ja allen bekannt.


    Heliaster :hello:

    "Phantasie ist unser guter Genius oder unser Dämon."
    - Immanuel Kant (1724-1804)

  • Hallo rappy,


    Zitat

    Original von rappy
    Dass Dissonanzen reine Gewöhnungssache sind, hatte Schönberg damals gedacht, mittlerweile hat sich aber gezeigt, dass dem nicht so ist. Er wollte die Dissonanz emanzipieren, aber es ist ihm nicht gelungen, 100 Jahre später hören wir immer noch "obertonreihenferne" Intervalle als dissonant und unangenehm (unbestritten, dass einem dieses "Unangenehme" gefallen kann).


    Die Dissonanz, bloß isoliert als Intervall betrachtet, fehlt wohl in kaum einer Musik (vgl. z. B. die Chromatik in der Melodie von "A hard day's night" von den Beatles). Die Frage ist nur, welche Funktion sie jeweils hat: eher als "Verzierung" (z. B. Vorhalte) einer deutlich tonikalen Musik oder eher "emanzipiert" mit eigenständigerer Bedeutung, die dann auch eine Auflösung in Konsonanz nicht mehr erfordert?
    Die Emanzipation der Dissonanz fing bereits bei Wagner an. Die tendenziell totale Chromatik der Schönberg-Schule ist bloß eine radikale Konsequenz der These, dass man auch mit Klangkombinationen, die sich nicht mit dem tonalen Schema analysieren lassen, verbindliche Wirkungen erreichen kann. Wenn man diese These nicht teilt, muss man z. B. auch Debussy ablehnen.


    Ich glaube nicht, dass man Dissonanzen pauschal als unangenehm bezeichnen kann und einem deshalb vielleicht das Ungenehme gefällt. Es gab Zeiten, da galt der Tritonus als Teufel in der Musik, aber Wagner (vielleicht auch schon andere?) hat ihm neue Bedeutungsmöglichkeiten verliehen. Kann man einen Tritonus nicht auch als Ausdruck einer unstillbaren Sehnsucht hören?
    Und war es nicht von Epoche zu Epoche anders, was überhaupt als Dissonanz zu gelten habe?


    Zitat

    Das Problem bei der Atonikalität sehe ich darin, dass einzelne Töne ohne tonales System ihren Wert verlieren (in den Worten meines Lehrers: "dann ist es vollkommen egal, ob ich da jetzt ein G oder ein Ges schreibe"). Da vermag auch ein konstruiertes Ersatzsystem wie die Zwölftontechnik lediglich in der Theorie zu helfen, es ist Wunschdenken, dass der Hörer darin Orientierung findet.


    Das ist eben die Frage: Kann man ohne tonales System Klängen eine verbindliche Bedeutung geben? Ich glaube ja.


    Viele Grüße


    :hello:

  • Hi, :)


    Ich freue mich über die Anzahl interessanter neuer Beiträge^^ - bloß, ob die alle in die Richtung gehen, in die ich gedacht hatte... :) Na, mal schauen, ist jedenfalls fraglos eine schöne Konversation.


    Beobachtend, Philipp :hello:

  • Heliaster: dann scheinen wir ja doch so ziemlich einer Meinung zu sein ;)


    Kontrapunkt:


    Du sagt, dass keine Auflösung mehr erfordert wird, wenn man die Dissonanz "emanzipiert". Aber ist die Auflösung nicht gerade das, was Musik interessant macht? Der Dualismus Dissonanz-Konsonanz schafft Spannungsverhältnisse, die durch die "Emanzipation der Dissonanz" verloren gehen. Bei Debussy war das ja gerade die Absicht, aber dort passte es ja auch genau ins Konzept - die Frage ist eben, will man das dauerhaft?


    Zum Wandel der Dissonanz in den Epochen


    Zitat

    Kann man einen Tritonus nicht auch als Ausdruck einer unstillbaren Sehnsucht hören?


    Gerade diese Assoziation geht aber verloren, wenn er nicht in ein tonales System eingebunden ist. Oder hörst du einen Tritonus bei Schönberg noch als unstillbare Sehnsucht?


    Zitat

    Und war es nicht von Epoche zu Epoche anders, was überhaupt als Dissonanz zu gelten habe?


    Das stimmt, allerdings beziehst du dich hier wohl vorallem auf die Dissonanzenauffassung im Mittelalter und im Kontrapunkt der Renaissance. Naja, in der Theorie urteilte man ja anfangs einfach nach den mathematischen Zahlenverhältnissen, aber mal ehrlich: ist das wirklich ein Argument? Damalige gregorianische Gesänge scheuten auch keine Terzen (siehe z. B. dies irae), aber hast du schonmal einen mit einem Tritonussprung gehört? Ich nicht. Wir wissen ja außerdem viel zu wenig über das Hörempfinden der Menschen damals.


    Zitat


    Das ist eben die Frage: Kann man ohne tonales System Klängen eine verbindliche Bedeutung geben? Ich glaube ja.


    Die Frage ist tatsächlich interessant, und ich maße mir auch nicht an, ein pauschales nein zu sagen. Vielleicht ist es ja wirklich nur unsere Kultur, die uns jedes anderes System als das tonale verschlossen lässt.
    Aber ich weiß für mich persönlich, dass ich einen falschen Ton bei Wagner, wenn er nicht eine genauso befriedigende Ersatzfunktion liefert, sofort erkenne, bei Schönbergs Zwölftonmusik (wohlgemerkt nach dem Hören) nicht im geringsten - da könnte man noch so oft gegen die Reihe verstoßen (wenn das Stück einigermaßen komplex ist).

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

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  • Zitat

    Original von rappy
    Bei Debussy war das ja gerade die Absicht, aber dort passte es ja auch genau ins Konzept - die Frage ist eben, will man das dauerhaft?

    Passte es bei Schönberg denn nicht ins Konzept...? ?(


    Zitat

    Original von rappy


    Vielleicht ist es ja wirklich nur unsere Kultur, die uns jedes anderes System als das tonale verschlossen lässt.

    Wer ist dieses "uns", dem jedes andere System verschlossen bleibt?


    Weitgehend irritiert, Philipp :hello:

  • Hallo rappy,


    Zitat


    Du sagt, dass keine Auflösung mehr erfordert wird, wenn man die Dissonanz "emanzipiert". Aber ist die Auflösung nicht gerade das, was Musik interessant macht? Der Dualismus Dissonanz-Konsonanz schafft Spannungsverhältnisse, die durch die "Emanzipation der Dissonanz" verloren gehen. Bei Debussy war das ja gerade die Absicht, aber dort passte es ja auch genau ins Konzept - die Frage ist eben, will man das dauerhaft?


    Ich bin ja durchaus kein Gegner der Spannungsverhältnisse zwischen Dis- und Konsonanz wie sie etwa in der Wiener Klassik vorkommen. Aber zum einen bietet dieses Verhältnis nicht das einzige Spannungspotential. Zum andern sind Terzen und Quinten bei Schönberg ja nicht verboten. Sie spielen nur eine andere Rolle. So findet sich über weite Strecken des 2. Klavierstücks aus seinem aton(ik)alen op. 11 eine Mollterz im Bass.


    Zitat

    Zum Wandel der Dissonanz in den Epochen



    Gerade diese Assoziation geht aber verloren, wenn er nicht in ein tonales System eingebunden ist. Oder hörst du einen Tritonus bei Schönberg noch als unstillbare Sehnsucht?


    Ich müsste nochmal genau nachgucken, aber in dem op. 11, 2 gibt es, glaube ich, so eine Stelle. Jedenfalls sind Schönbergs atonale Werke eher das Gegenteil von Neuer Sachlichkeit wie wohl die Vertreter der Neoklassik bemängelten.


    Zitat

    Das stimmt, allerdings beziehst du dich hier wohl vorallem auf die Dissonanzenauffassung im Mittelalter und im Kontrapunkt der Renaissance. Naja, in der Theorie urteilte man ja anfangs einfach nach den mathematischen Zahlenverhältnissen, aber mal ehrlich: ist das wirklich ein Argument? Damalige gregorianische Gesänge scheuten auch keine Terzen (siehe z. B. dies irae), aber hast du schonmal einen mit einem Tritonussprung gehört? Ich nicht. Wir wissen ja außerdem viel zu wenig über das Hörempfinden der Menschen damals.


    Mit Gregorianischen Gesängen kenne ich mich gar nicht aus (obwohl - da gab es doch in den 90'ern mal so 'nen Disco-Hit :D ). Ich glaube auch nicht, dass das Hörempfinden eine festgelegte Sache ist. Jedenfalls ist die emotionale Besetzung eines Tritonus nicht eindeutig und kann doch auch sehr ambivalent sein. Wie er wirkt, kommt auf den Zusammenhang an.


    Zitat


    Aber ich weiß für mich persönlich, dass ich einen falschen Ton bei Wagner, wenn er nicht eine genauso befriedigende Ersatzfunktion liefert, sofort erkenne, bei Schönbergs Zwölftonmusik (wohlgemerkt nach dem Hören) nicht im geringsten - da könnte man noch so oft gegen die Reihe verstoßen (wenn das Stück einigermaßen komplex ist).


    Ich bin nicht imstande, Zwölftonreihen herauszuhören (wer kann das schon?) und traue mir auch nicht unbedingt zu, falsche Töne herauszuhören.


    Viele Grüße


    :hello:

  • Aber, aber, meine Herren ...
    Natürlich hat sich die Mikrotonalität längst durchgesetzt. Wenn man heute Uraufführungen hört, fragt man sich eher selten, ob das nun mikrotonal ist, oder nicht, beides ist völlig normal.


    Zur aleatorischen Tradition ist schon anzumerken, dass die Erweiterung des Klangraumes bei Cage in den 50ern Hand in Hand geht mit den aleatorischen KOMPOSITIONSTECHNIKEN. Man höre z.B. an, was das Orchester im Klavierkonzert von sich gibt. Das hatte weitreichendsten Einfluss auch auf nicht-Aleatorisches.


    Die elektronische Tradition seit den 1950er Jahren könnte auch in dieses komische Thema passen.


    Der Thread-Titel hatte mich vermuten lassen, dass es hier um viel ältere Musik gehen soll, z.B. Berlioz oder die Futuristen oder Varèse.


    So bin ich mir im Unklaren, wie aus diesen uninformierten Thesen (uninformiert in Bezug auf die Musik der letzt verflossenen 100 Jahre) etwas Konstruktives gewinnen läßt. Eine Zusammenfassung betont "neuartiger" Tendenzen? Wo anfangen (Berlioz)? Was mitnehmen?


    Zur aktuellen Gegenwart würden wir dabei aber kaum kommen und somit das gemeinte Thema der AKTUELLEN Zukunft gar nicht erreichen.
    :beatnik:

  • Naja, "durchgesetzt" klingt sehr optimistisch. Das größte Problem ist wohl der hohe zeitliche Aufwand für das Einstudieren mikrotonaler Werke, zu dem sich die wenigsten Musiker bereiterkennen. Ich hatte mal ein mikrotonales Chorwerk von einem schweizer Komponisten gehört, das aus wenigen Akkorden im Loop bestand. Die Leistung des Chors war beachtlich, es muss einfach unheimlich schwer sein, so etwas zu proben, vor allem wegen der ganzen Querstände. Die Probezeit war auch entsprechend lange.
    Also von "durchgesetzt" würde ich noch nicht sprechen.

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

  • OK, ich meinte im Konzertbetrieb für "Neue Musik". Mikrotonalität ist dort gar nichts Auffälliges.


    Natürlich gibt es daneben relativ unabhängig den "normalen klassischen Konzertbetrieb", der ja manchmal auch Uraufführungen bringt, und dann gibt es noch Mischungen - z.B.: "Die Wiener Philharmoniker spielen bei Wien Modern" oder die Salzburger Festspiele - die beide Bereiche bringen.


    Reihentechniken oder Mikrotonalität (was im Eröffnungsbeitrag merkwürdig gegeneinander ausgespielt wurde, was musikgeschichtlich extrem veraltet ist) hat sich beides nach 1950 in starkem Maße durchgesetzt (z.B. in der elektronischen seriellen Musik zugleich), zuerst vor allem die Reihentechnik, die aber bald so modifiziert und individualisiert wurde, dass sie heute kaum mehr als Merkmal einer Richtung erkannt werden kann, später auch die Mikrointervalle in immer breiterem Maße, ebenfalls in den unterschiedlichsten Strömungen. Deshalb ist für heute weder Reihentechnik noch Mikrotonalität besonders typisch, sondern das Nebeneinander von sehr vielen unterschiedlichen individuellen Lösungen zwischen diversen Strömungen und Tendenzen und Techniken.


    Deshalb reduziert sich für mich die Frage nach der Zukunft auf: Geht es so weiter mit dem Pluralismus oder wird wieder ein etwas einheitlicheres Stilgemisch etabliert? Ich tippe darauf, dass letzteres nicht eintritt.
    :hello:

  • Zitat

    Original von rappy


    Gerade diese Assoziation geht aber verloren, wenn er nicht in ein tonales System eingebunden ist. Oder hörst du einen Tritonus bei Schönberg noch als unstillbare Sehnsucht?


    Es wurde schon geschrieben, dass nicht jeder Tritonus die unstillbare Sehnsucht ausdrücken soll.


    Interessanter ist hier schon die Assoziation. Seit 100 Jahren haben wir nicht mehr den verbindlichen Lebensraum "Tonalität". Aber das heißt nicht, dass nicht Dreiklänge oder Akkordverbindungen Assoziationen hervorrufen, da sie an ältere, tonale Musik erinnern.


    Insofern übt die ältere Musik eine stärkere Wirkung auf neuere Musik aus, als man vielleicht zuerst denken mag, da die Komponisten mit Assoziationen der Hörer rechnen müssen, wenn sie einen Dreiklang schreiben (weshalb in sehr sehr vielen Stücken keine Dreiklänge vorkommen).
    :hello: