Puccini - Kitschfabrikant oder verkanntes Genie?

  • Hier liest man sehr viel über "ernstzunehmende" Komponisten. Mozart war Meister der Vokalmusik, Rossini und viele andere stehen wohl ausser Frage, was die Qualität ihrer Musik angeht.


    Aber über Puccini streiten sich die Gelehrten: Die einen "vergöttern" ihn, die anderen tun ihn als süsslichen Kitsch ab. Nichtsdestotrotz: Der Mann ist gerade mal 80 Jahre dot, und mit etwa der Hälfte seines Oeuvres kann man problemlos und zu jeder Zeit jedes Opernhaus füllen. Muss also was dran sein an dem Toskaner.


    Dass er musikalisch typisch und dabei unerreicht ist, zeigen zwei Beispiele, die eng mit seinem letzten Werk zu tun haben: Über der Komposition seiner "Turandot" starb er, die Oper blieb leider unvollendet. Lediglich einige Skizzen lagen vor. -


    Um jetzt mit der unvollendeten Turandot keinen finanziellen Verlust zu erleiden, entschied sich sein Verleger, die Vollendung des dritten Aktes einem gewissen Franco Alfano zu übertragen. Diese Version wird gängigerweise heute gespielt, wenn die Turandot auf dem Plan steht. Aber man höre genau hin: Ab dem Tod der Liu ist Turandot deutlich hörbar nicht mehr Puccini...


    Das ist jetzt fast 80 Jahre her. Erst in diesem Jahrtausend wurde einem nicht unbekannten (aber mittlerweile verstorbenen) Komponisten der Auftrag erteilt, ein neues Ende der Turandot zu schreiben. - Das ist mittlerweile sogar auf Schallplatte eingespielt, aber auch das (oder erst recht das!) ist nicht mehr Puccini.


    Es scheint also - damals wie heute - gar nicht so leicht, solchen vermeintlich zuckersüssen Kitsch zu produzieren. Da gehört eben ein bisschen mehr dazu! Oder was meint ihr?


    Gruss,


    Hendrik

  • Hallo Hendrik,


    bemerkenswert ist doch, das Puccini einen Spitzenplatz innerhalb des ´Belcanto´ (der Begriff ist jetzt eher in dem Sinne zu verstehen, wie in Radiosender benutzen ) besetzt. Die Popularität seiner Opern überragt viele Zeit- und Gesinnungsgenossen. Melodieseelige Arien in opulenter Orchestrierung basierend auf eher seichten Storys schrieben viele. Puccini konnte es offenbar außerordentlich gut. :) Einige seiner Arien dürften zu den weltweit bekanntesten zählen, auch außerhalb der `Klassikgemeinde´.
    La Boheme nun unter musikdramatischen Aspekten gegen den Tristan auszuspielen zu wollen ist vermutlich ähnlich sinnvoll, wie ein Gedicht von Eichdorff gegen einen Roman von Dostojewski antreten zu lassen. 8-)


    Früher hörte ich viel Puccini. Meine erste Operngesamtaufnahme war die Karajan-Boheme, wohl eine von Pavarottis besten Konserven.



    Wie auch immer, wunderschöne Musik, die auch richtig dramatisch werden kann, wenn Musiker und Regie-Team mit Geschmack vorgehen. Aktuell höre ich eher einzelne Arien von bevorzugten Sängern und meine Begeisterung für Puccini ist nicht mehr so grenzenlos wie früher. Allerdings geht das ja einigen Leuten hier mit Mozart auch so. Haken wirs also unter ´Präferenz´ ab. 8-)

    Gruß
    Anti

  • Hallo


    Also in meiner Jugend war ich einfach ein Puccini-Verweigerer, jedoch hab ich ihn nie als kitschig abgetan, ich finde Turandot ist doch ein starkes Thema, aber da gibt es noch andere Themen aus der Weltliteratur.
    Kitsch ist, wenn man es darauf anlegt, fast in jeder Oper, sei sie von Verdi, Wagner oder Mozart.
    (Gilda singt sterbend im Sack, Lohengrin per Schwan reisend, ein Denkmal, das Lebendig wird und in den Spesesaal reitet, all das könnte man, so man will, als Kitsch interpretieren.)


    Das war es also nicht.


    Ich hatte keine Abneigung gegen Puccini, Indolenz wäre das passendere Wort. Wenn ich meine Präferenzen bekanntgebe, dann wird klar warum Puccini bei mir nicht so gefragt war, ich bin nämlich abgesehen von Mozart, Verdi, Bellini, Rossini und Donizetti ein Anhänger der leichten Französischen Oper, die heute sowieso niemand mehr hören will (Auber, Adam, Boieldieu).


    Erst vergangenes Jahr hab ich mich vorsichtig Puccini zugewandt und habe Tosca auf CD gekauft (Auf LP war sie schon vorhanden, aber das wußte ich bis soeben nicht, hab ich grad entdeckt) Dann hab ich noch die "Boheme" unter Karajan auf LP.


    In den nächsten Wochen wird eine Turandot angeschafft. Wenn keine allzu lauten Proteste von Eurer Seite kommen, dann würde ich mir die EMI- Midprice mit Carreras und Caballé zulegen, hab sie gestern quasi schon im Körbchen gehabt, aber dann fiel mir dieser Thread ein (der wahrscheinlich unbewusst den Kaufwunsch in mir ausgelöst hat) und ich sagte mir: Wart ab.


    Verkanntes Genie?
    Warum eigentlich verkannt?
    Puccinis Opern, zumindest die meisten, sind auf den Spielplänen aller führenden Opernhäuser, die Tonträgerindustrie hat ihn auch nicht gerade stiemütterlich behandelt.


    Ich würde es also, ungeachtet meine Präferenzen, so sehen: Puccini, ein erfolgreicher und anerkannter Komponist, mit Gefühl, was bühnenwirksam ist, und was nicht.



    Gruß
    aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Wenn Ihr Puccini nur als 'Banal' und 'Verkitscht' abtut, dann habt Ihr anscheinend noch nie gehört oder gelesen, was sich da alles im Orchestergraben tut, das ist modernste Musik auf der Höhe ihrer Zeit, vielleicht nicht gerade reformatorisch oder gar revolutionär, aber immerhin doch alle Zeitenströme interessiert und geschickt eingefangen und dem allgemeinen Publikumsgeschmack 'mundgerecht' zubereitet.
    Auch was die Dramaturgie betrifft, von ein paar Missgriffen abgesehen, sind die meisten Stücke genial, packend, mitreissend gestaltet, auch wenn sie nicht unbedingt immer den Intellekt fordern. Man darf eines nicht vergessen: Oper war das Kino, das Fernsehen der Menschen damals, sie war kommerzielles Geschäft, man musste, um erfolgreich zu sein, den 'Main-Stream' treffen, um es mal in modernem Neudeutsch auszudrücken.
    Und trotz allem: wer hätte es denn je sonst noch geschafft, einen derart überzeugenden Krimi wie 'Tosca' in Musik zu fassen ? Da sind Stilmittel drin, wie sie erst Jahrzehnte später der französische 'Film noir' zu bewältigen gelernt hat. Das ist ein Spiel mit Licht und Schatten, ein Eingehen des ganzen musikalischen Materials auf jede einzelne Situations-und Textnuance, wie sie nur die ganz großen Werke der Musikbühne besitzen (Übrigens ist die Wahl der Colin Davis-Tosca meiner Meinung nach nicht die schlechteste, wenn mein ganz persönlicher Favorit auch die Prêtre-Callas-Bergonzi-Gobbi ist und bleibt - trotz meiner Rysanek-Besessenheit *fg).
    Selbst wenn Puccini für die Massen und für seine eigenen Taschen komponiert hat, so hat er es sich dennoch niemals leicht gemacht, man denke nur an seine für damalige Zeiten sensationellen Forschungen auf dem Gebiet der traditionellen japanischen und chinesischen Musik. So etwas hat - auch einige Zeit später - mit einer derartigen Ernsthaftigkeit Bartók oder Kodály betrieben!!
    Selbst wenn Puccini auch nicht unbedingt den persönlichen Geschmack eines jeden Musikliebhabers trifft, so sollten wir doch zu schätzen und zu respektieren lernen, dass er Zeit seines Lebens die goldene Mitte zwischen ernsthaftem Künstlertum und banalem Erfolg gesucht (und auch sehr oft gefunden) hat, findet Ihr nicht?
    Und jetzt mal ehrlich: ist es denn so schlimm, auch wenn man sich sein Leben lang mit den ganz großen Gehirnleistungen einiger weniger Auserwählter auseinandersetzt, wenn man sich ab und zu auch einmal gehen und Herz und Seele zu ihrem recht kommen lässt? Wenn der Barak sein 'Mir anvertraut' anstimmt, schmelzen wir da nicht auch willenlos dahin?

    Alles Liebe,
    Euer
    Zeus

  • Da muss sich der RealPucciniKenner wohl doch noch mal zu Wort melden... (N.B. Für alle, die es nicht wissen: Mir ist so ziemlich *alles* bekannt, was Puccini komponierte und auf Tonträger eingespielt wurde...)


    Zitat von Antracis

    Früher hörte ich viel Puccini. Meine erste Operngesamtaufnahme war die Karajan-Boheme, wohl eine von Pavarottis besten Konserven

    Nicht nur eine von Pavarottis besten Konserven. Die Aufnahme gehört ganz klar zum Besten, was Karajan je gemacht hat.


    Alfred schrieb:


    Zitat

    In den nächsten Wochen wird eine Turandot angeschafft. Wenn keine allzu lauten Proteste von Eurer Seite kommen, dann würd ich mir die EMI- Midprice mit Carreras und Caballé zulegen, hab sie gestern quasi schon im Körbchen gehabt, aber dann fiel mir dieser Thread ein (der wahrscheinlich unbewusst den Kaufwunsch in mir ausgelöst hat) und ich sagte mir: Wart ab.

    Natürlich darfst Du erwerben, was Du möchtest. Darf ich Dir trotzdem eine anderslautende Empfehlung geben:


    a) Birgit Nilsson/Franco Corelli unter Molinari-Pradelli (EMI, müsste auch Midprice zu haben sein) - meiner Ansicht nach die ausdrucksstärkste Turandot, die es auf Tonträgern je gab. Klanglich analoge Mittelklasse aus den 60er Jahren.


    b) Sutherland/Pavarotti unter Zubin Mehta (Decca, ich glaube, mittlerweile auch Midprice) - schlüssige Aufnahme, nicht zuletzt wegen Mehta, der die Turandot (und einiges andere von GP) sehr gut kennt. Klanglich typisch Decca.


    c)Nilsson/Björling unter Leinsdorf (RCA Living Stereo). Vor allem wegen dieser beiden Gesangsakrobaten zu empfehlen, das Dirigat ist in Ordnung.


    (Die Reihenfolge gibt gleichzeitig eine Wertung an!)


    Alfred schrieb:


    Zitat

    Verkanntes Genie ? Warum eigentlich verkannt ? Puccinis Opern, zumindest die meisten, sind auf den Spielplänen aller führenden Opernhäuser, die Tonträgerindustrie hat ihn auch nicht gerade stiemütterlich behandelt. Ich würde es also, ungeachtet meine Präferenzen, so sehen: Puccini, ein erfolgreicher und anerkannter Komponist, mit Gefühl, was bühnenwirksam ist, und was nicht.

    Verkannt deshalb, weil er von der ernstzunehmenden Musikwissenschaft bis in die 80er Jahre hinein kaum beachtet worden ist. Die Publikationen waren bis dahin meistens romanartig verkitschte Biografien oder Erinnerungen bzw. Auszüge aus seinem (zum Glück recht regen Briefwechsel. Einige pouplärwissenschaftliche "kritische" Biografien, wie z.B. die von Mosco Carner, gab es natürlich, aber ansonsten fand er kaum eine Zusprache wie andere komponierende Kollegen.


    Dem steht natürlich die allgemeine Beliebtheit seiner Opern entgegen: Welcher Opernkomponist der letzten 150 Jahre könnte von sich behaupten, dass etwa die Hälfte seines Gesamtwerks dazu beitragen kann, dass Opernhäuser (auch in der Provinz) damit praktisch regelmässig ausverkauft sein können? Auch die Tonträgerindustrie kümmert sich gerne und oft (und zurecht) um den Toskaner!


    Zeus schrieb:


    Zitat

    Selbst wenn Puccini auch nicht unbedingt den persönlichen Geschmack eines jeden Musikliebhabers trifft, so sollten wir doch zu schätzen und zu respektieren lernen, dass er Zeit seines Lebens die goldene Mitte zwischen ernsthaftem Künstlertum und banalem Erfolg gesucht (und auch sehr oft gefunden) hat, findet ihr nicht ?

    Treffend ausgedrückt!


    Im nachhinein stelle ich fest, dass meine Thread-Eröffnung zwar provokant geschrieben ist, ich aber keinesfalls beabsichtigt habe, die Leistungen von Puccini in Frage zu stellen. Im Gegenteil: Er ist mir erheblich lieber z.B. als Verdi! Desweiteren stelle ich fest, dass nicht nur hier, sondern auch in anderen Foren kaum über Puccini diskutiert wird. (Sollte das etwa bedeuten, dass Puccini auch vom "engagierten" Musikliebhaber, wie er so hier durch die Foren tummelt, verkannt wird? Oder sind sich - z.B. im Gegensatz zu Wagner oder Mahler - alle über Giacomo einig?)


    Gruss,


    Hendrik

  • Hallo Alfred,


    eine Überlegung bei Deiner Anschaffung von
    Turandot wäre auch folg. DVD:



    Diese kostet bei JPC im Moiment nur 16,95 Teuro
    und stellt , sofern Du auch DVDs anschaust,
    eine Empfehlung dar.
    Diese Aufnahme ist mit Domingo als Kalaf. Da er
    italienisch singt, gibt es keine sprachl. Probleme.
    Die Inzenierung ist klassisch und Levine überzeugt.


    Gruß
    Rüdiger

    Gruß
    Rüdiger


    ________________________
    Lärm ist ... nur eines der Übel unserer Zeit, wenn auch vielleicht das auffälligste. Die anderen sind Grammophon, Radio und neuerdings die verheerende Television.


    C.G. Jung

  • RealHendik schrieb:


    [zitat
    Sutherland/Pavarotti unter Zubin Mehta (Decca, ich glaube, mittlerweile auch Midprice) - schlüssige Aufnahme, nicht zuletzt wegen Mehta, der die Turandot (und einiges andere von GP) sehr gut kennt. Klanglich typisch Decca[/zitat]


    Tatsach ist, das diese Aufnahme in der Tat die von mir präferierte wäre.
    Aber-Midprice ? Weit gefehlt, sie wird vollpreisig angeboten, leider. Aber vielleicht sollte man nicht am falschen Platz sparen, bei Mozart weiß ich welches die Highligts unter den Aufnahmen sind, bei Puccini weiß ichs nicht.


    Vielleicht sollte man den Thread ergänzend ausbauen:
    Die herausragendsten Gesamtaufnahmen von Puccinis Opern.


    Zum Thema warum Puccini in Foren fast nie ein Thread gewidmet wird: Das ist einfach. Weil Oper generell in Foren kauim erwähnt wird, ein Phänomen über das man diskutieren könnte (in eigenem Thread, versteht sich) :happy:


    Parsif
    Danke für Deine Empfehlung, aber ich bin ein "nur Hörer" hab kein DVD. Ich kann mir eine Oper auch 10 mal in gleicher Besetzung anhören, aber anschauen nicht ,-)
    Die Empfehlung bleibt aber trotzdem wertvoll, weil ja jedes neue interessierte Mitglied sie lesen kann, ebenso wie die Gäste :)


    Gruß aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Hendrik,


    Puccini war (auch) meine erste Liebe.
    (Bis auf ein paar Stücke konnte Verdi nie so recht
    mein Herz erreichen:) )
    War daher auch meine erste CD, die ich 1990
    erstand ("Puccini Weekend"-Weekend classics).


    Habe daher auch schon manche Zeit auf den Zug wartend am Bahnhof verbracht, wenn die Oper sich nicht an den Zeitplan hielt und "mein" Zug daher abgefahren war.


    Was Du über die neue Turandotfassung schreibst, interessiert mich. Kannst Du da LPs/CSs nennen?
    Würdest zum Kauf raten oder lieber in Musikbibliothek ausleihen?


    Grüße Harald

  • Hallo Alfred,


    auch ich kann den Kaufvideos/DVDs von Opern irgendwie nicht viel abgewinnen.
    Läßt sich mit dem wiederholten Hören von Tonträgern nicht vergleichen.


    Gruß nach Wien, Harald

  • Antracis schrieb:


    [zitat]
    La Boheme nun unter musikdramatischen Aspekten gegen den Tristan auszuspielen zu wollen ist vermutlich ähnlich sinnvoll, wie ein Gedicht von Eichdorff gegen einen Roman von Dostojewski antreten zu lassen.[/Zitat]
    Ich würde dieses Beispiel korrigieren: Ich würde La Boheme nicht mit einem Gedicht von Eichendorff, sondern eben mit einem spannenden und kurzweiligen Roman z.B. von Dostojewski vergleichen, und dann den Tristan - mit einem Roman von Joyce oder Proust. :)


    So stimmt es eher, finde ich.

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Hallo Peet,


    ist halt immer eine Sache, wie man den zum Vergleich herangezogenen Künstler bewertet. Dostojewski mag spannend und kurzweilig sein, für mich gehören seine Werke schlicht zu den bedeutensten Romanen der Weltliteratur. Aber eben nicht von seiner Sprache - wie z.B. bei Thomas Mann- , sondern von der tiefschürfenden Persönlichkeitsdurchleuchtung seiner Figuren her gesehen. Puccini ist für mich wundervolle Musik, prangende Orchestrierung und Melodieseeligkeit. Warum das negativ sein soll, keine Ahnung ;). Aber von der Story her kommt es für mich halt oft trotz aller Tragik nicht an die Konflikte z.B. eines Tristan oder Otello ran.


    Wobei ich aber selbst gerade merke: Vergleiche zwischen Künstlern sind immer blöd und folglich überflüssig. :happy: Ich wollte auch gar nix vergleichen, sondern mit Dostojewski vs Eichendorf Äpfel und Birnen verdeutlichen. Dabei meint Dostojewski nicht zwangsläufig Tristan oder Puccini.
    Ich wollte halt nur aufzeigen, dass es viele Facetten der musikalischen Kunst gibt, nicht jeder kann und muss vom Künstler erfüllt werden.


    Gruß
    Anti

  • Hallo Anti!


    Das stimmt ja sicher. Nur wollte ich mit der Fortsetzung deines Vergleichs zeigen, daß Boheme/Tristan-Unterschiede sehr wohl im Bereich der Story, besser gesagt, der Dramaturgie auch liegen. Tristan auf der Bühne ist normalerweise eine Zumutung, und man möchte Augen zumachen, um den eigentlichen Inhalt zu vernehmen. La Boheme kennt dieses Problem nicht. Da arbeiten Musik und Bühne zusammen. Das wäre ein Plus für Puccini :)

  • Harald schrieb:


    [Zitat] Was Du über die neue Turandotfassung schreibst, interessiert mich. Kannst Du da LPs/CSs nennen?
    Würdest zum Kauf raten oder lieber in Musikbibliothek ausleihen?
    [/Zitat]


    Hallo, Harald!


    Zu den Turandot-Schlüssen: Ricordi (und Puccinis Familie) hat (haben) 1924 - nach Pucinis Tod - einen weiteren Komponisten aus seinem "Verlagsprogramm", Franco Alfano, damit beauftragt, die Turandot nach P.'s Skizzen zu vollenden. Dabei handelt es sich um die Version, die man heute hört, wenn man Turandot live oder auf Schallplatte erlebt. (Übrigens mal genau hinhören: Nach Lius Tod ist das nicht mehr "echter" Puccini - es klingt insgesamt etwas "angestrengter" als der Original-Komponist. Puccini schien das Opernkomponieren irgendwie leichter zu fallen.)


    Aus irgendwelchen mir nicht ganz erklärlichen Gründen wurde vor einigen Jahren Luciano Berio damit beauftragt, einen *neuen* Schluss für die Turandot zu schreiben, wohl um etwas mehr "modernen" musikdramatischen Effekt zu erzielen.


    Dieses Finale ist m.W. erst einmal auf Schallplatte eingespielt worden (und erst vor wenigen Monaten erschienen).



    Ich finde das neue Finale nicht so gelungen. Das ist natürlich eine subjektive Einschätzung: Hängt möglicherweise damit zusammen, dass ich das Alfano-Finale zu gut kenne. Kann auch sein, dass die Mitwirkenden bei der Aufnahme keine erste Wahl waren - wie ich auch den Rest der CD im wesentlichen eher philologisch als interpretatorisch interessant finde. Chailly kennt sich eigentlich mit Puccini sehr gut aus, und der Aufwand, den er für einzelne Stücke betrieben hat, lässt eigentlich darauf schliessen, dass er sich auch bei der Aufführung um erstklassige Qualität bemüht...


    Gruss,


    Hendrik

  • Hallo


    auch wenn das Orchesterspiel bei der Turandot unter Metha besonders toll sein soll und Nilsson und Corelli um die Wette "krakeelen", so muss ich doch dringend von beiden Aufnahmen abraten.


    Die natürlichste, schlüssigste und beste Aufnahme ist:
    Karajan / Domingo / Ricciarelli / Hendricks / DGG


    Domingo singt hier wie ein Mann (Alpha-Männchen)!
    Pavarotti ist dagegen nur ein kleines Bürschlein.


    Corelli und Nilsson krakeelen nicht, sondern brüllen um die Wette.


    Caballe hat nicht im geringsten etwas von dem aufopfernden und liebenden Charme einer Hendricks.


    Und die Sutherland singt wie eine (man verzeihe mir den Vergleich) in die Jahre gekommene Alte mit zu viel Rusch und Lippenstift. Die Ricciarelli singt dagegen wie eine durchgeknallte, zickige Jungfrau !
    So soll es sein !


    Also vor einem Blindkauf lieber mal in die Karajan-Aufnahme hineinhören !!!


    Grüße TW

  • TobeyWilson schrieb:


    [Zitat] Die natürlichste, schlüssigste und beste Aufnahme ist:
    Karajan / Domingo / Ricciarelli / Hendricks / DGG
    [/Zitat]


    Uh... da muss ich was am Ohr gehabt haben. Ich fand die Karajan-Turandot (wie übrigens alle Opern-Digital-Aufnahmen von HvK) schlichtweg furchtbar.


    TobeyWilson schrieb


    [Zitat] Domingo singt hier wie ein Mann (Alpha-Männchen)!
    Pavarotti ist dagegen nur ein kleines Bürschlein. [/Zitat]


    Domingo singt da wie ein brünftiger Platzhirsch, aber nicht wie ein asiatischer Prinz! Pavarotti hat - schon immer gehabt - zwar ein sehr jugendliches Timbre, aber war 1972 stimmlich wie gestalterisch in seinem künstlerischen Zenit.


    TobeyWilson schrieb


    [Zitat] Corelli und Nilsson krakeelen nicht, sondern brüllen um die Wette. [/Zitat]


    Kann ich nicht nachvollziehen. Auch Corelli (m.A. noch besser als Pavarotti) ist ein kultivierter Strahle-Tenor, der den Calaf ganz hervorragend gibt. Nilsson hat die von Eis umgürtete fantastisch gegeben.


    Tobey Wilson schrieb:


    [Zitat] Caballe hat nicht im geringsten etwas von dem aufopfernden und liebenden Charme einer Hendricks. [/Zitat]


    Caballe ist keine optimale Besetzung, aber Hendricks auch nicht.


    TobeyWilson schrieb


    [Zitat=] Und die Sutherland singt wie eine (man verzeihe mir den Vergleich) in die Jahre gekommene Alte mit zu viel Rusch und Lippenstift. [/Zitat]


    Vielleicht auch nicht optimal als Turandot, aber allemal besser als Ricciarelli.


    TobeyWilson schrieb


    [Zitat] Die Ricciarelli singt dagegen wie eine durchgeknallte, zickige Jungfrau !
    So soll es sein ! [/Zitat]


    Sie singt zwar durchgeknallt und zickig, aber so soll es eben nicht sein. Die Turandot ist eine männerverabscheuende Frau, die die Schmach ihrer Ahnin nicht bei sich wiederholt sehen will. Ihre Interpretation klingt so, als spielte die Turandot Ende des 20. Jahrhunderts: "Ach nee, ich bin Prinzessin und ich will nicht! [mitdemfussaufstampf]" Grundsätzlich ist das eine Aufführung, wie sie ein Schülertheater inszeniert haben könnte... (hätten die Schüler die stimmlichen Mittel gehabt).


    Gut, jedem seinen Geschmack, aber ich fand diese Aufnahme der Turandot, na, sagen wir: peinlich. Mein Deutschlehrer hätte gesagt: Thema verfehlt.


    Gruss,


    Hendrik

  • Hallo


    ich denke jeder wird so seine Erfahrungen mit den Deutsch-Lehrern gemacht haben und kann über deren Benotungen einiges erzählen. "Thema verfehlt" ist nun wirklich das Subjektivste was es im Schulsystem gibt.


    Wir haben eben unterschiedliche Auffassungen über die Charaktere der Personen und der damit verbundenen Darstellung, Besetzung und Interpretation dieser Oper.


    Dass die HvK-Darstellung furchtbar ist, ist Deine Meinung und der Ausdruck leider absolut daneben. Florence Foster Jenkins ist furchtbar ! Wir wollen doch sachlich bleiben.


    Den Ausdruck des brünftigen Platzhirschen lasse ich gerne gelten. Er ist eben überzeugt von sich !


    Pavarottis "Vincero ! Vincero !" klingt goldig und ohne Metall (ist der Kleine nicht süß...).
    (Weil er 1972 auch die wirklich fantastische Boheme mit HvK aufnahm, muss er nicht das ganze Jahr so gesungen haben wie in dieser Einspielung)


    Da lobe ich mir doch die Potenz des Platzhirschen !



    Und wie Du bestätigst, singt die Ricciarelli durchgeknallt und zickig.


    Wir sind uns also quasi einig, nur dass ich sage :


    Platzhirsch und Zicke, so soll es sein !


    Mit brunftigem Gruß TW

  • Hallo Hendrik,


    danke für Deine Ausführung. Werde mich mal umhören nach der Aufnahme.
    Kennst Du eigentl. die deutsch gesungene Turandotaufnahme mit Jan Kiepura (als Kaleb)
    (Berlin, 1926). Mir persönlich klingt er zu hart.


    Grüße Harald

  • Hallo, Harald,


    nein, die besagte Aufnahme kenne ich nicht. Die "Härte" mag damit zusammenhängen, dass 1926 oft noch akustisch aufgenommen wurde, was gewisse Probleme bei der künstlerischen Gestaltung mit sich bringt.


    Zu der Karajan-Turandot: Hatte gerade zwei Stunden Autozufahren, und die Gelegenheit genutzt, bei eingeschalteter Klimaanlage, diese Aufnahme noch mal intensiv (übrigens erst das zweite Mal überhaupt) zu hören.


    Fangen wir mal beim Technischen an: Die Klangqualität ist oft verwaschen, allerdings passierte das der DG bei Früh-Digitalaufnahmen oft. (Die Decca-, RCA- und EMI-Aufnahmen sind da alle transparenter.)


    Karajan und Puccini: Tja, die Tempi bei dieser Aufnahme sind ihm doch eine Spur zu breit geraten. Alles wird biszumgehtnichtmehr ausgewalzt und in die Länge gezerrt - naja, dafür ist Karawan ja bekannt. Das massive Problem: Die Sänger haben an manchen Stellen deutliche Schwierigkeiten mit dem zähen Dirigat. Dafür wird dann aber wieder kein Orchestereffekt - insbesondere Schlagwerk - ausgelassen, sondern übermässig betont, dass es fast lästig wird. Im Grossen und Ganzen bleibt von der Aufnahme später Karajan pur: Puccini mit Zuckerguss - was Puccini aber nur selten gerecht wird. (Anm.: Diese Aufnahme als "natürlich" zu bezeichnen, kann man beim besten Willen nicht sagen. Das ist Künstlichkeit pur!)


    Wiener Philharmoniker/Staatsopernchor: Gewohnt gut, ein bisschen zu routiniert, allerdings bestehen doch Probleme mit der Orchester- und Chordisziplin, was am ehesten wohl dem "altersweisen" Dirigat zuzuschreiben ist. (N.B.: Nach dem, was ich so gehört habe, wurde Karajan in seinen letzten Jahren insbesondere von Orchestermusikern nicht mehr sonderlich ernst genommen. Das ist hier deutlich zu hören.)


    Domingo als Calaf: Natürlich singt Domingo die ROlle gut (muss mein geradiges Urteil etwas zurücknehmen), wie er per se gerne und gut Puccini singt! Allerdings gestaltet er die Rolle ein bisschen als ein sentimentaler spanischer Schwerenöter - ich könnte mir allerdings vorstellen, diese Art hat er von dem österreichischen Adligen aufgedrückt bekommen...


    Hendricks als Liu: gestaltet die Rolle schon ein bisschen zu jugendlich. Das ist keine liebende junge Frau, sondern eher ein schwärmerischer Backfisch. (Hat Barbara Hendricks eigentlich mal die Cio Cio San gesungen? Muss sie mit dieser Rollenanlage hervorragend bringen!)


    Die drei Minister: Leider etwas undiszipliniert, beinahe gelangweilt, auch von der Artikulation her gewöhnungsbedürftig. Da hätte ich ein bisschen mehr erwartet - auch von anderen Rollen. Der Scharfrichter in der Eingangsszene ("Popolo di Pekino" ), das muss bedrohlich klingen! Hier klingt es, als verlese er Informationen aus dem Amtsblatt, allerdings zum siebzigsten Mal aus dem gleichen Amtsblatt. Raimondi, ein Bass, den ich sehr mag (ich liebe ihn als Scarpia in Tosca), gibt sich hier altersschwach, aber nicht mit dem nötigen Altersstolz, sondern eher larmoyant.


    Die grösste Enttäuschung war allerdings Ricciarelli als Turandot. Sorry, die gute Katia ist mit dieser Rolle schlicht und ergreifend völlig überfordert. Von der dramatischen Wirkung her keine verzweifelte aber stolze Frau (wie es sein sollte!), sondern eben eine durchgeknallte Zicke. Dabei Schwierigkeiten mit der Intonation, insbesondere bei ff-Stellen, und mit Domingo (der hier seine Rolle (doch) ganz gut macht) überhaupt nicht harmonierend! Da hätte man viel lieber gehabt, das Happy End wäre eine Liaison zwischen Calaf und Liu.


    Mein Fazit: Die Karajan-Aufnahme kann allenfalls als mittelprächtig angesehen werden - wäre nicht die Protagonistin so überfordert. Die zieht nämlich alles 'runter. Diese Aufnahme der Turandot teilt sich in meiner Wertung den letzten Platz mit der Peking-Live-Aufnahme 1998...


    (N.B.: Puccinis Turandot/Karajan/Ricciarelli/Domingo auf CD - nur zweimal gehört! - gegen Höchstgebot abzugeben!)


    Gruss,


    Hendrik

  • TobeyWilson schrieb:


    [Zitat] Dass die HvK-Darstellung furchtbar ist, ist Deine Meinung und der Ausdruck leider absolut daneben. Florence Foster Jenkins ist furchtbar ! [/Zitat]


    Die Karajan-Interpretation der Turandot ist nicht nur meiner Meinung nach furchtbar, und der Ausdruck zwar sehr kräftig, aber beileibe nicht daneben.


    Florence Foster Jenkins? Die Frau war nicht in der Lage, auch nur einen Ton richtig zu treffen, aber sie hatte eine Freude daran, schwierigste Sopranarien zu singen - das hört man in ihren Aufnahmen in jedem Augenblick!


    Ist es nun furchtbarer, etwas mit vermeintlicher Sachkenntnis verbissen (und folglich gequält) überzuinterpretieren (und mehr einen Karajan als einen Puccini daraus zu machen - hat der adlige Österreicher ja immer wieder versucht) und der Nachwelt eine durchgorene Zuckerguss-Aufnahme zu hinterlassen, oder einfach ohne jedes technische Können seiner Freude Ausdruck zu verleihen?


    Dann hör Dir noch mal FFJ an, aber bitte nicht als musikalischen Scherz, sondern höre Dir mal - so wie bei Deiner Karajan-Turandot - die Platte genau an!


    Es gibt übrigens mittlerweile drei verschiedene Aufnahmen von FFJ. Die umfangreichste (angeblich vollständige) Ausgabe ist die auf Naxos:



    Gruss,


    Hendrik

  • Hallo RealHendrik TobeyWilson und (last but not least)Harald


    Ich finde es hoch interessant, daß das Thema solche Wogen schlägt und auch durchaus positiv, sieht man doch wie ernst Ihr das Thema "Klassische Musik" doch nehmt. Als Puccini-Nicht-Kenner, aber Opernkenner im allgemeinen, hat mich Euer Disput auch nicht verwirrt,denn bei aller Divergenz Eurer Aussagen konnte man wuinderbar verfolgen wo hier die Meinungen auseinanderdriften. Vieles was Ihr über die Sänger (auch hässliches :) ) gesagt habt deckt sich mit meiner Beurteilung. So stellte sich mir beispielsweise die Frage ob J.Sutherland der Rolle vom Ausdruck her gewachsen ist. Andererseits ist das für mich nicht so wahnsinnig wichtig, weil ich nämlich, bei allen Vorbehalten gegen die "Gestalterin" Sutherland ich die "Stimme" Sutherland sehr schätze. Etc. etc.
    Auch zu Corelli habe ich ein positives Bild, von ihm lasse ich mich gern anbrüllen.An Katja Ricciarelli hingegen erinnere ich mich als jene Sängerin, die am Anfang der Digitalära auf quasi "jeder" Neuaufnahme der DGG vetreten war, und wo wir nicht wussten ob wir den schrillen Digitalklang bemäkeln sollten oder diese Sängerin. (Gab es da nicht eine schreckliche Aida?? mit einer noch schrecklicheren Aufnahmetechnik ?)
    Aber all diese "Urteile" sind ja subjektiv, so konnte ich unlängst nicht nachvollziehen, warum jemand Lucia Popp "nicht ertragen " kann.
    Ich habe nun eine ungefähre Vorstellung welche der Aufnahmen mich interessieren könnten, aber sollte mich die Puccini Sucht dereinst packen, wird es bei einer Aufnahme ohnedies nicht bleiben.


    BTW. Foster Jenkins ist ein interessantes Thema, aber sie singt in einer anderen Liga :)


    Gruß aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Hallo


    @RealHendrick


    Du hast ja den Thread gestartet und schon in der Überschrift das Wort Kitsch benutzt und wirst Dir ja dabei etwas gedacht haben. Daher verstehe ich nicht ganz, warum Du den Zuckerguss nun ablehnst, denn anders als Verdi verträgt Puccini durchaus etwas Süße.


    Das Karajan-Argument kann ich schon nicht mehr hören. Natürlich hat HvK im Alter einiges in die Länge gezogen und ausgewalzt (gleiches gilt übrigens auch für Bernstein und Celibidache), aber daraus zu folgern, alles sei deshalb schlecht und mißlungen ist einfach falsch.


    Bzgl. der Hendricks : Sie gestaltet die Rolle nicht ein bisschen jugendlich, sondern ihre Stimme klingt einfach jugendlich und frisch.


    Über die Ricciarelli kann man durchaus geteilter Meinung sein, in dieser Aufnahme bringt sie aber IMO ihre beste mir bekannte Leistung (ihre anderen Aufnahmen sind alle wie Alfred richtig sagte, viel zu spitz. Die Turandot darf aber durchaus etwas spitz sein.)


    Du verkaufst Deine HvK Turandot, ich werde sie mir weiter mit dem größten Vergnügen anhören.


    P.S.: Über die Callas Turandot wurde noch gar nichts geschrieben. Ist die so schlecht ??? Muss ich mir in Ruhe mal wieder anhören.


    Grüße TW


    Ich denke es gibt sinnvolleres als sich die FFJ genau anzuhören. Es soll auch Filme geben, die sind so schlecht, dass man sie sich unbedingt ansehen soll, weil sie ja fast schon wieder gut seinen. Na dann weiterhin viel Spass..

  • TobeyWilson schrieb:


    [Zitat] Du hast ja den Thread gestartet und schon in der Überschrift das Wort Kitsch benutzt und wirst Dir ja dabei etwas gedacht haben. Daher verstehe ich nicht ganz, warum Du den Zuckerguss nun ablehnst, denn anders als Verdi verträgt Puccini durchaus etwas Süße. [/Zitat]


    Ich habe mich schon während meines Studiums sehr intensiv mit Puccini beschäftigt, bin dabei bei diversem Lehrpersonal auf Ablehnung mit eben dieser Charakterisierung gestossen. Erst in den letzten knapp 20 Jahren hat P. die "Rehabilitation" erfahren, die ihm m.A. zusteht. (Kurz: Ich bin Puccini-Liebhaber und bezeichne ihn als genialen (!) Komponisten.)


    Die Sache mit der "Süsse" in Puccini-Opern ist problematisch, aber leider ein nicht mehr auszuräumendes Clichée. Es gibt ein paar schöne Stellen, die "süss" sein müssen, aber das meiste ist hochdramatisch und verträgt das gar nicht. Und am wenigsten mit den Kandierten Früchten aus der Patisserie Karajan.


    TobeyWilson schrieb:


    [Zitat] Das Karajan-Argument kann ich schon nicht mehr hören. Natürlich hat HvK im Alter einiges in die Länge gezogen und ausgewalzt (gleiches gilt übrigens auch für Bernstein und Celibidache), aber daraus zu folgern, alles sei deshalb schlecht und mißlungen ist einfach falsch [/Zitat]


    Das Karajan-Argument wirst Du immer wieder hören - und zwar zu Recht. Viele Leute, die eng mit ihm zu tun hatten (z.B. ein mir bekanntes, mittlerweile pensioniertes, Mitglied der Berliner Philharmoniker), haben ihn in seinem letzten Lebensjahrzehnt nicht mehr ernst genommen. Die Sache mit dem "in die Länge walzen" ist auch Bernstein und Celibidache passiert, keine Frage. Die konnten es aber auch in hohem Alter noch mit Inhalt füllen. Damit hatte Karajan doch erhebliche Schwierigkeiten. "Alles" von Karajan ist nicht schlecht und misslungen - im Alter eben (leider) das Meiste. (Ehrlich gesagt, fällt mir aus seiner Digital-Zeit nicht viel Gutes ein. Seine Alpensinfonie vielleicht. Oder die Holst-Planeten. Oder seine letzte Bruckner-Aufnahme. Aber da gibt es grundsätzlich Besseres.)


    TobeyWilson schrieb:


    [Zitat] Über die Ricciarelli kann man durchaus geteilter Meinung sein, in dieser Aufnahme bringt sie aber IMO ihre beste mir bekannte Leistung (ihre anderen Aufnahmen sind alle wie Alfred richtig sagte, viel zu spitz. Die Turandot darf aber durchaus etwas spitz sein.) [/Zitat]


    Darf sie? Die Turandot ist eine der schwierigsten Sopranrollen bei Puccini überhaupt. Und Ricciarelli war mit dieser Rolle einfach völlig überfordert. Dass sie nun spitz (ich nenne es lieber: schrill) klingt, unterstützt diese Tatsache leider noch. (Wer die Turandot z.B. gut konnte, war eben die Nilsson und die Sutherland.)


    Ich werde morgen für ein paar Tage im Auto unterwegs sein. Die Gelegenheit ist günstig, meine fünf Turandots mal wieder alle zu hören und schön zu vergleichen. D.h. die insgesamt lustlose Karajan-Aufnahme habe ich ja heute schon ertragen.


    Die Callas-Turandot kenne ich gar nicht. Eine Lücke in meiner Sammlung, wie ärgerlich! Muss ich unbedingt mal 'reinhören!


    Gruss,


    Hendrik

  • Hallo


    Real Hendrik hat einen meinem Stil angepassten Threadtitel gezaubert, der provozieren sollte.
    Er selbst käme natürlich nie auf die Idee Puccini für kitschig erklären. Der Titel ist also ein Journalistentrick (hab ich mir abgeschaut, und einige haben hier mitgemacht, bringt etwas Farbe
    in die Threads)
    WEnn man Puccini für süsslich erklärt, dann könnte man das in gewisser Hinsicht auch für Verdi behaupten (Caro Nomen...)und auf der anderen Seite blutrünstig wie ein Groschenroman,ja damit meine ich Shakespeare, Beethoven könnte man pathetisch schwülstig nennen (Heil sei dem Tag, heil sei der Stunde....:happy: ) und bei Mozart nimmt sich ja seit neuestem sowieso keiner mehr ein Blatt vor den Mund..... :D
    Es ist alles nur eine Frage des Standpunktes.
    Dabei wird vergessen, daß man in früheren Jahren einfach anders empfand, man war nicht so leidenschaftslos wie heute, Gefühle, so man welche hatte wurden gezeigt. Insofern muß man ältere Werke anders beurteilen, die wurden ja nicht für unsere Zeit geschrieben.....


    Ich bin auch nicht mit allem einverstanden was hier über Karajan geschrieben wurde, aber das wäre Thema des Karajan Threads, den ja alle geflissentlich übergangen haben...... :D
    Vielleicht gräbt den mal einer aus, dann können wir gerne über HvKs Vorzüge und Schwächen sprechen (natürlich meine ich schreiben)


    Gruß
    aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Huija... was für ein Wochenende... Turandots am laufenden Band... gestern lief die fünfte Turandot (Mehta 1998, live in Peking)... jetzt will ich mir doch nochmal (ein drittes Mal) die Karajan-Aufnahme antun, vielleicht gibt es da noch etwas, das ich überhört habe.


    Das gibt Stoff für einen eigenen Thread! Nach der Durchsicht diverser Plattenkataloge "fehlen" mir noch zwei Aufnahmen, die sich m.A. nach unbedingt gehört zu werden lohnt: Serafin mit Callas, Ende der 50er Jahre, und Maazel mit Eva Marton, Anfang der 80er.


    In die Callas-Aufnahme konnte ich in Saarbrücken am Samstag mal kurz 'reinhören und habe mal ein paar Stellen im III. Akt angespielt. Hu... scheint mir so, als wäre die primadonna assoluta mit dieser Rolle stimmlich überfordert! (Muss mich aber noch tiefer 'reinhören.)


    Und die Maazel/Marton-Aufnahme scheint mir vor allem wegen der Marton sehr interessant - dürfte eine ziemlich gute Turandot sein, wahrscheinlich besser als Sutherland, und Ricciarelli sowieso (die in dieser Aufnahme übrigens die Liu singt).


    Wird spannend!


    Gruss,


    Hendrik

  • Was ist los? Puccini hat nicht nur die Turandot geschrieben! Da gibt es noch elf weitere Opern!


    Orgelpfeife, wie gefällt Dir Deine neue Solti-Boheme?! (Und wie darf man Dich mal persönlich anreden? "Orgelpfeife" in der direkten Ansprache hat doch etwas Herablassendes!?)


    Was ist mit Manon Lescaut oder Tosca (die ich mit für seine besten Opern halte)? Oder die beiden Belasco-Oeuvres "Madame Butterfly" und "Fanciulla del West"? Oder das oft unterschätzte Triptychon? Oder seine einzige "Operette", La Rondine?


    Gruss,


    Hendrik

  • 1. Inhalte der Opern von Puccini:
    Die Inhalte sind m. Meinung nach äußerst gesellschaftskritisch und haben mit Kitsch nichts zu tun.
    So werden der menschenverachtende Kolonialismus (Madama Butterfly), das vergebliche Streben der "Kleinen" nach einem sich leistbaren Leben (La Boheme, Manon Lescaut mit Einschränkungen), die über Leichen gehende Brutalität eines Stadtdiktators (Tosca), etc. behandelt.


    2. Die Musik ist halt schlechthin genial. Es interessierte mich sehr, welche Musik Komponisten der Moderne zu diesen Sujets geschrieben hätten. Das ist nicht ironisch gemeint.


    3. Die erwähnten Aufnahmen erlaube ich mir um zwei zu ergänzen:


    La Boheme: Carlos Kleiber/Chor und Orchester der Mailänder Scala/Pavarotti/Cotrubas/Cappuccilli, Popp aus 1979


    Turandot: Molinari-Pradelli/Chor und Orchester der Wiener Staatsoper/Nilsson/di Stefano/Leontyne Price
    aus 1961

    Otto Rehhagel: "Mal verliert man und mal gewinnen die anderen".
    (aus "Sprechen Sie Fußball?")

  • @ Rienzi:


    Zu 1) Weitgehend agreement!


    zu 2) Gibt's nichts mehr zu sagen. Doch! Berio hat erst vor wenigen Jahren das Finale zu Turandot "neu" geschrieben. Dürfte Dein Interesse schon wecken...


    zu 3) Die genannte Boheme halte ich klanglich für sehr bedenklich, ansonsten sicher eine interessante Lesart. Die M-P-Aufnahme von 1961 kenne ich leider nicht...


    Gruss,


    Hendrik

  • Lieber RealHendrik,


    Die Turandot aus 1961 habe ich mir einmal von Ö1 (Österreich 1) aufgenommen (Ö1 bringt in periodischen Abständen "historische Live-Übertragungen". Diese lagerte zuerst auf meinem alten Tonband, jetzt ist sie auf CD-R überspielt.

    Otto Rehhagel: "Mal verliert man und mal gewinnen die anderen".
    (aus "Sprechen Sie Fußball?")

  • Hallo RealHendirk,


    "Das Mädchen aus dem golden Westen" ist mir
    eine der "weniger geliebten" Pucciniopern.


    Was bevorzugst Du eigentlich ital. Originalversion
    oder auch deutsch gesungene Fassungen? (Wäre ja fast eine eigene Diskussionsfrage)


    Grüße Harald

  • Hmm... über die subjektive Beliebtheit von den einzelnen Puccini-Opern lässt es sich trefflich streiten... obwohl... de gustibus non est disputandum...


    Bei mir gehört die Fanciulla definitiv zu den liebsten Opern, vielleicht wegen des ausgefallenen Sujets. Musikalisch ist das Stück sowieso klasse, mag aber dem einen oder anderen zu harsch sein (vor allem denen, die glauben, Puccini fabrizierte nur süsslichen Kitsch).


    Die Frage nach den Sprachversionen ist etwas heikel. Im Allgemeinen handhabe ich es da wie die Metropolitan Opera: Nur Originalsprache. Was allerdings oft daran liegt, dass deutsche Versionen in Aufnahmen eher selten vorliegen, und auch live auf der Bühne wird meistens in Originalsprache gesungen.


    Bei Übertragungen in andere Sprachen sehe ich folgende Probleme: Eine wortwörtliche Übersetzung ist kaum möglich, man muss sich rhythmischen Gegebenheiten anpassen. Das führt leider oft zu grammatikalischen Unsinnigkeiten, Wortweglassungen oder -ergänzungen (um sich dem Rhythmus anzupassen) und auch zu "Betonungsverschiebungen", alles bis hin zu Sinnentstellungen. Kurz: Eine Übersetzung entspricht meistens nicht mehr dem "Original-Inhalt". Also lieber Original. (Mein Vater hielt es übrigens genau umgekehrt: Er war ein engangierter Sammler von "Opern auf deutsch", da allerdings speziell Mozart und Rossini.)


    Was mir gerade noch einfällt: Eine fremde Sprache könnte in der Oper auch fremd wirken. Ich erinnere mich an einen schwedischen Opernfilm der Zauberflöte, natürlich schwedisch gesungen. Das hat bei mir eher zu Heiterkeit wegen der Sprache als zu intensiver Auseinandersetzung mit der Musik oder dem Bildinhalt geführt.


    Gruss,


    Hendrik

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