wie lernt man ein neues Orgelstück?

  • ich möchte hier als "Neuling" ein Thema beginnen, das mich schon lange Zeit beschäftigt. Ich habe mich schon oft gefragt, wie es wohl
    andere Organisten handhaben, wenn sie ein neues Stück einstudieren.
    Ich habe in meiner Zeit als Orgelschüler bei Prof. Forer mit den verschiedensten Methoden "gekämpft". Jede Stimme für sich einzelln auswendig lernen und viele viele verschiedene Übungsarten.
    Auf eine für mich sehr effektive Methode bin ich jedoch erst vor einigen Jahren gestoßen. Wenn mir ein Stück besonders gut gefällt, dann höre ich mir die Aufnahme dieses Werkes ganz genau an. Vorausgesetzt natürlich ist, es gibt bereits eine Einspielung dieses Werkes.
    Ich höre mir diese Aufnahme so oft an bis ich dieses Stück in meinen Gedanken bereits so gefestigt hat und ich es gedanklich bereits auswendig kann. Da kommt es schon vor, dass ich ein Werk sicher fünfzig mal gehört habe bevor ich anfange es zu lernen. Wenn es mir aber nach so oftmaligem Hören immer noch gefällt, dann geht es um ein vielfaches einfacher zu lernen. Ich habe so z.B. die 1 Sonate op.42 von Alex Guilmant in einer Zeit von 4 Wochen einstudiert, ohne vorher die Noten gehabt zu haben. Und das ohne eine Orgel zu Hause zu haben. Lediglich 2 - 3 Stunden wöchentlich in der Kirche. Die Noten konnte ich mir nach so oftmaligem Anhören bereits so genau vorstellen, dass nach dem Eintreffen der Partitur nicht viel Unterschied war zwischen den Noten auf dem Papier und den Noten in meinen Gedanken. Es war vielleicht nach so wenigen Übungsstunden nicht Schallplattenreif, jedoch durchwegs herzeigbar....


    Wie stellen sich die Professionisten dieser Aufgabe?


    lg


    Bernhard

  • Lieber Bernhard,


    erst einmal herzlich willkommen im Forum! Ich freue mich, dass mit dir die Orgelfraktion Zuwachs bekommt. Allzu viel ist hier leider noch nicht los...


    Zu deiner Lernmethode: Du bist mit einem absoluten Gehör ausgestattet, da hat das Kennenlernen durch Hören natürlich den Vorteil, dass man sich gleich die Noten dazu vorstellen kann. Ich könnte das natürlich nur soweit, wie meine musikalische Vorstellungskraft ausreicht. Und bei Guilmant wäre sie schon weit überschritten (übrigens: ist die Pastorale aus der ersten Sonate nicht herrlich? :jubel: ).
    Ich denke, dass man das Thema auf andere Instrumente übertragen kann und das keine orgelspezifische Methode ist. Die Gefahr sehe ich aber darin, dass durch das ständige Hören der Aufnahme eine Interpretationssichtweise so eingeprägt wird, dass man Andere ablehnt bzw. keine Eigene sucht, sondern sich auf genau diese Machart des bestimmten Interpreten einlässt, den man zigmal gehört hat. Abhilfe könnten da natürlich gleich mehrere Aufnahmen sein, aber das ist dann auch wieder eine finanzielle Frage. ;)



    LG, Peter.

  • Hallo zusammen,


    ich übe mich derzeit durch die J. S. Bachschen Orgelwerke.


    Die meisten Präludien, Fugen und Sonatensätze haben einen Umfang von 3-6 Seiten à 4 Zeilen. Macht 12 bis 24 Zeilen.


    Ich gehe so vor, dass ich im ersten Durchgang zunächst die Finger- und Fußsätze festlege. Pro Tag etwa 2-3 Zeilen. (Den Rest meiner täglichen Übezeit verwende ich für Stücke, mit denen ich schon weiter fortgeschritten bin.) Das dauert dann etwa 6 bis 12 Tage, je nach meinem Fortschritt und nach der Länge des Stückes.


    Im zweiten Durchgang versuche ich, das Stück in Etappen von 2-3 Takten immer wieder zu wiederholen, sehr langsam, quasi meditativ. So versuche ich, pro Tag wiederum 2-3 Zeilen weiter zu kommen. Das dauert also wieder etwa 6 bis 12 Tage, je nachdem. Im Ergebnis kann ich das Stück in sehr langsamen Tempo fehlerfrei spielen. (Gelegentliches Wiederholen früherer Abschnitte gehört dazu.) Leise Registrierungen sind hier sehr hilfreich.


    Im nächsten Durchgang übe ich an jedem Tag 2-3 Zeilen mit Metronom. Ich beginne je nach Stück etwa mit dem halbem bis zweidrittel des Endtempos (man sollte schon eine Idee haben, wie schnell es werden soll ...). Jede Zeile wird solange wiederholt, bis sie sauber läuft, dann noch dreimal. Habe ich die zwei bis drei Zeilen des Tagespensums durch, so erhöhe ich das Tempo um eine Stufe und mache dasselbe nochmal. Danach spiele ich die zwei oder drei Zeilen im Zusammenhang, noch einmal eine Tempostufe höher. (Also etwa von 69 auf 72 auf 76 usw.)


    Im nächsten Durchgang versuche ich, jeweils das ganze Stück durchzuspielen und das Tempo nach und nach zu steigern. Ziel ist aber nicht die Temposteigerung, sondern die Fehlerfreiheit. Bei Fehlern wird das Metronom abgestellt und die Stelle nochmal langsam geübt. Dieser Durchgang geht, bis das Stück "sitzt". Registrierungen sind hier völlig variabel, so langsam wird aber die Klangvorstellung klar.


    Ich arbeite - je nach verfügbarer Zeit - an zwei bis drei Stücken parallel. Ich fange jeden Tag mit dem Stück an, das im frühesten Stadium ist (z. B. Finger- und Fußsätze), mache weiter mit dem Stück, das im zweiten oder dritten Durchgang ist (2-3 Zeilen) und höre auf mit einem Stück, das ich schon ganz durchspielen kann.


    Die notwendigen und selbstverständlichen Abweichungen von dieser Methode ergeben sich ganz von selbst, etwa durch Aufführungstermine.


    Mit dieser Methode habe ich in 2008 fünf der sechs Triosonaten von J. S. Bach einstudiert und im Gottesdienst gespielt. In 2009 habe ich vom selben Komponisten die Präludien und Fugen in h-moll, a-moll (groß), G-Dur (groß) und A-Dur einstudiert und im Gottesdienst gespielt (alles Peters-Ausgabe, Band II). Das Präludium und Fuge f-moll ist gerade in der Mache. Danach geht es in Urlaub, daher habe ich zur Zeit "nur" das Präludium und die Fuge parallel einzustudieren.


    Ich übe pro Tag im Schnitt eine bis anderthalb Stunden.

  • Nun bin ich ja von Haus aus gelernter Pianist, aber spiele in der Kirche zunehmend auch Orgel, womit ich mittlerweile unseren Broterwerb nach der Auswanderung bestreiten kann.
    Ganz mitreden kann ich also in Bezug auf die grossen Werke (noch) nicht, aber einige der beschriebenen Übemethoden gibt es bei mir auch.


    Im Laufe des letzten Jahres habe ich also begonnen, mit Pedalbässen zu spielen. Zunächst einmal die liturgischen Teile( weil die ja zum Glück immer wieder kommen), dann auch einige Choräle.
    Vom Blatt spielen kann ich die Choräle bisher leider nur ohne Pedal im Endtempo. Die Routine fehlt mir da einfach.
    Ich muss mir also hier auch vor allem die Fusssätze aufschreiben und üben.
    Vor allem die linke Hand ( Tenor) gegen das Pedal macht mir noch am meisten Schwierigkeiten, weil man es sein Leben lang vom Klavierspiel her so gewohnt war, dass der linke Teil der linken Hand für die Bassbewegung zuständig ist.


    Ich suche mir also oft bestimmte, mir schwierige Wendungen aus ( meistens mit Gegenbewegungen linke Hand vs. Pedal) und übe diese Tonfolgen in einer Schleife. Dann erweitere ich den Zusammenhang....
    Zum ersten Üben benutze ich übrigens auch gerne eine leise Registrierung.


    Mit den anspruchsvollen Orgelwerken kann ich bisher noch nicht so richtig mitreden, aber ein Werk von Bach habe auf nicht unähnliche Art und Weise schon gespielt:


    Im Frühjahr sollte im Rahmen eines Konzerts die Choralbearbeitung von J.S.Bach " Ich ruf zu Dir Herr Jesu Christ" aufgeführt werden.
    Der hiesige Kantor könnte die zwar sehr gut alleine spielen, aber er bat mich( wohl aufgrund meiner Bachbesessenheit...), die Melodie zu spielen, während er die untere, begleitende 16-tel-Stimme und die Pedalbässe übernahm.
    Wir hatten nur eine Probe vor dem Konzert, und dort musste ich auch viele andere Sachen spielen. Wie so oft war die Zeit also extrem knapp... :rolleyes:



    Also hörte ich mir kurz Koopmans Novalis-Aufnahme vorher im Auto an, und visualisierte mir beim Fahren das Gehörte sowohl in Noten also auch auf den Tasten. Dass es f-moll war, wusste ich da noch nicht.


    Zudem dachte ich über die Interpretation nach; über das, was ich gut fand und was ich ggf. anders machen würde. Koopmans Verzierungen können ja sehr prägend sein...
    Bevor wir mit der Probe begannen, konnte ich es eigentlich schon, obwohl ich es vorher noch nicht gespielt habe...vieles ist eine Kopfsache, meiner Erfahrung nach.


    Wir haben es dann geprobt und nach dem 3. Versuch war es schon so, dass man es wirklich bringen konnte.
    Eigentlich brauchten wir nur etwas am Tempo, an kleinen agogischen Übergängen und an Detailfragen der Artikulation etwas machen.
    Zum Glück ist der Organist in Sarpsborg wirklich GENIAL. Da geht alles so einfach, wofür man mit anderen Leuten x-mal proben müsste.


    Im Konzert am nächsten Abend ist es dann zum Glück gut gelaufen...und der Einfluss der Koopmannischen Ornamentik war auch sicher vorhanden :D


    Ansonsten halte ich - egal, ob es nun am Klavier oder an der Orgel ist, das Üben mit Metronom für enorm wichtig.
    Gerne fange ich langsam an, und metronomisiere mich dann zum Endtempo hin hoch ( oder darüber hinaus...)


    Registrierungen und Klangvorstellungen werden bei mir ungefähr ab Mitte der Übephase zunehmend wichtiger, anfangs sind sie es noch nicht.
    Erst einmal die Noten "draufhaben"... ;)


    Gruss :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)